Was ist Resilienz und wie kann sie gefördert werden? - BR

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FORSCHUNG

Was ist Resilienz und wie kann sie
gefördert werden?
Klaus Fröhlich-Gildhoff & Maike Rönnau-Böse

Der Artikel beschreibt das Konzept         silienz um eine dynamische Kapazität
von Resilienz, erläutert personale         (...), die sich über die Zeit im Kontext
Resilienzfaktoren und legt dar, wie        der Mensch- und Umweltinteraktion
Resilienz gefördert werden kann.           entwickelt« (Petermann et al., 2004,
                                           S. 345). Die positive Bewältigung von
                                           Krisen, Belastungen und Entwicklungs-
                                           aufgaben – eine spezifische Bedeutung
WAS IST RESILIENZ?                         haben hier Übergänge, zum Beispiel
                                           von der Familie in den Kindergarten

                                                                                      © Isidora Avramović (15 Jahre, Montenegro)/Prix Jeunesse Art Contest
Im Zusammenhang mit dem Wechsel            oder vom Kindergarten in die Schu-
der Blickrichtung in den Human- und        le – wirkt sich positiv auf die weitere
Gesundheitswissenschaften zu den           Entwicklung aus.
Ressourcen und gesunderhaltenden
Faktoren findet das Konzept der
Resilienz – also der seelischen Wider-     RESILIENZFAKTOREN
standskraft – und seiner Förderung
zunehmend Beachtung in Forschung           In der Resilienzforschung wurde und
und Praxis (Wustmann, 2004; Opp &          wird ein besonderes Augenmerk auf
Fingerle, 2007; Zander, 2011; Fröhlich-    die Identifikation von Schutzfaktoren
Gildhoff, Becker & Fischer, 2012;          gelegt, die die Wahrscheinlichkeit                                                                                Abb. 1: Kunst als Weg zur Resilienz:
                                                                                                                                                             »Kunst zu erschaffen war immer mein
Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse,           einer gesunden seelischen Entwick-
                                                                                                                                                             Weg, um negative Emotionen zu bekämp-
2015). Resilienz wird als – erworbe-       lung (deutlich) erhöhen (Bengel,                                                                                  fen« (Isidora, 15 Jahre)
ne – Fähigkeit verstanden, Krisen und      Meinders-Lücking & Rottmann,
Belastungen so zu bewältigen, dass das     2009; Rönnau-Böse, 2013). Es besteht
Individuum nicht zerbricht, sondern        Einigkeit darüber, dass der wichtigste
gestärkt daraus hervorgeht.                Schutzfaktor eine stabile, wertschät-                                                                             Rönnau-Böse, 2015). Im besten Fall sind
Grundsätzlich ist davon auszugehen,        zende, emotional warme Beziehung                                                                                  diese Beziehungspersonen die Eltern,
dass Resilienz keine angeborene Per-       zu einer (erwachsenen) Bezugsperson                                                                               aber gerade die Resilienzforschung
sönlichkeitseigenschaft ist, sondern       ist. In ihrer umfassenden Analyse der                                                                             hebt die Bedeutung von sogenannten
im Verlauf des Lebens entwickelt wird;     letzten 50 Jahre Resilienzforschung                                                                               kompensierenden Bezugspersonen
von besonderer Bedeutung sind dabei        kommt Luthar zu dem Schluss: »Die                                                                                 hervor. Dies können Fürsorgepersonen
die frühen Lebensjahre. Die Resilienz-     erste große Botschaft ist: Resilienz be-                                                                          aus dem erweiterten Familienkreis sein,
forschung zeigt, dass es sich um eine      ruht grundlegend auf Beziehungen«                                                                                 aber auch pädagogische Fachkräfte in
dynamische Eigenschaft handelt. Das        (Luthar, 2006, S. 780; Übers. d. Verf.).                                                                          Kindertageseinrichtungen, Grund-
Kind wird als aktiver »Bewältiger«         Dabei ist weniger entscheidend, zu                                                                                schulen oder in der Jugendhilfe (Bengel,
und (Mit-)Gestalter seines Lebens          wem diese Beziehung besteht, son-                                                                                 Meinders-Lücking & Rottmann, 2009;
gesehen; die Fähigkeit der seelischen      dern wie diese Beziehung gestaltet ist,                                                                           Pianta, Stuhlman & Hamre, 2007;
Widerstandskraft entwickelt sich aus       damit sie sich positiv auswirkt. Wich-                                                                            Luthar, 2006).
der Interaktion mit den Bezugsper-         tige Elemente sind hier die konstante                                                                             Auf der Ebene der Person selbst haben
sonen und realen positiven Bewälti-        Verfügbarkeit, die Vermittlung von                                                                                Kompetenzen zur Bewältigung heraus-
gungserfahrungen: Aus der gelungenen       Sicherheit und der feinfühlige Umgang                                                                             fordernder und kritischer Situationen
Bewältigung herausfordernder oder          mit den Bedürfnissen des Kindes sowie                                                                             eine wesentliche Bedeutung. In einer
kritischer Situationen geht das Kind ge-   eine wertschätzende Unterstützung                                                                                 weiter gefassten Definition wird Resili-
stärkt hervor. Es handelt sich bei »Re-    seiner Fähigkeiten (Fröhlich-Gildhoff &                                                                           enz als eine Kompetenz verstanden, die

4                          31/2018/1
FORSCHUNG

                              Selbst- und                                                      das Herangehen an Situationen und
                                                    angemessene Selbstein-
 Schutzfaktoren           Fremdwahrnehmung                                                     Aufgaben – damit auch die Art und
                                                    schätzung und Informa-
auf der personalen                                                                             Weise der Bewältigung – und führen
                                                       tionsverarbeitung
      Ebene
                                                                                               so oftmals zu einer Bestätigung des
                           Selbstwirksamkeit         Überzeugung, Anfor-                       eigenen Selbstwirksamkeitserlebens.
• Entwicklungs-            (Selbsterwartung)         derung bewältigen zu                      Selbstwirksame Kinder (und Erwach-
  aufgaben                                                 können
• aktuelle                                                                                     sene) haben auch eher das Gefühl,
  Anforderungen                                                                           B    Situationen beeinflussen zu können
• Krisen                                            Regulation von Gefühlen               e
                            Selbststeuerung                                               w
                                                                                               (sog. internale Kontrollüberzeugun-
                                                         und Erregung
                                                                                          ä    gen), und können die Ereignisse auf
                                                                                          l    ihre wirkliche Ursache hin realistisch
                                                                                          t
                                                         allg. Strategien
                                                                                          i
                                                                                               beziehen (realistischer Attributions-
                                                      zur Analyse und zum
                                                     Bearbeiten von Proble-               g    stil).
                            Problemlösen/                                                 u
                                                      men, Kreativität und
                          kognitive Flexibilität                                          n
                                                      Umstellungsfähigkeit                     (3) Soziale Kompetenz
                                                                                          g
                                                                                               Soziale Kompetenz umfasst die
                                                      Unterstützung holen,                     Fähigkeit, im Umgang mit anderen
                          Soziale Kompetenzen          Selbstbehauptung,                       soziale Situationen einschätzen und
                                                         Konfliktlösung
                                                                                               adäquate Verhaltensweisen zeigen zu
                                                                                               können, sich empathisch in andere
                                                           Realisierung
                                                    vorhandener Kompetenzen                    Menschen einfühlen sowie sich selbst
                           Stressbewältigung/
                          adaptive Bewältigung
                                                         in der Situation                      behaupten und Konflikte angemessen
                                                                                               lösen zu können. Es geht aber auch
Abb. 2: 6 persönliche Resilienzfaktoren zur Bewältigung von Krisensituationen, Entwick-        darum, auf andere Menschen aktiv
lungsaufgaben und schwierigen Alltagssituationen
                                                                                               und angemessen zugehen zu können,
                                                                                               Kontakt aufzunehmen sowie zwi-
                                                                                               schenmenschliche Kommunikation
sich aus verschiedenen Einzelfähigkei-             (1) Selbst- und Fremdwahrnehmung            aufrechtzuerhalten und adäquat zu
ten zusammensetzt (Rönnau-Böse &                   Selbstwahrnehmung umfasst vor al-           beenden. Des Weiteren zählt zur so-
Fröhlich-Gildhoff, 2012), Fingerle (2011)          lem die ganzheitliche und adäquate          zialen Kompetenz die Fähigkeit, sich
spricht hier von »Bewältigungskapi-                Wahrnehmung der eigenen Emotionen           soziale Unterstützung zu holen, wenn
tal«. Diese Kompetenzen sind nicht                 und Gedanken. Gleichzeitig spielt die       dies nötig ist.
nur relevant in Krisensituationen,                 Selbstreflexion eine Rolle, d. h. die Fä-
sondern auch notwendig, um z. B.                   higkeit, sich zu sich selbst in Beziehung   (4) Selbstregulation
Entwicklungsaufgaben und besonders                 zu setzen. Fremdwahrnehmung meint           Sich selbst regulieren zu können,
herausfordernde Alltagssituationen zu              die Fähigkeit, andere Personen und ihre     umfasst die Fähigkeit, eigene innere
bewältigen. Die Einzelkompetenzen                  Gefühlszustände angemessen und              Zustände, also hauptsächlich Gefühle
entwickeln sich in verschiedensten                 möglichst »richtig« wahrzunehmen            und Spannungszustände herzustellen
Situationen, werden unter Belastung                bzw. einzuschätzen und sich in deren        und aufrechtzuerhalten und deren
aktiviert und zeigen sich dann als                 Sicht- und Denkweise versetzen zu           Intensität und Dauer selbstständig
Resilienz. Eine genaue Analyse der                 können.                                     zu beeinflussen bzw. zu kontrollieren
weltweit identifizierbaren Langzeit-                                                           – und damit auch die begleitenden
studien unter der Resilienzperspektive             (2) Selbstwirksamkeit                       physiologischen Prozesse und Verhal-
sowie die Auswertung von bedeuten-                 Selbstwirksamkeit ist vor allem das         tensweisen zu regulieren. Dazu gehört
den nationalen und internationalen                 grundlegende Vertrauen in die eigenen       beispielsweise das Wissen, welche
Studien und Überblicksarbeiten zur                 Fähigkeiten sowie die Überzeugung,          Strategien zur Selbstberuhigung und
Thematik zeigt, dass auf personaler                ein bestimmtes Ziel auch durch Über-        welche Handlungsalternativen es gibt
Ebene 6 Kompetenzen – personale                    windung von Hindernissen erreichen          und welche individuell wirkungsvoll
Resilienzfaktoren – besonders relevant             zu können. Eine große Bedeutung             sind.
sind, um Krisensituationen, aber auch              haben dabei die Erwartungen, ob das
Entwicklungsaufgaben und kritische                 eigene Handeln zu Wirkungen (und Er-        (5) Problemlösefähigkeiten
Alltagssituationen zu bewältigen                   folgen) führt oder nicht. Diese Erwar-      Unter »Problemlösen« wird die Fähig-
(Rönnau-Böse, 2013) (Abb. 2).                      tungen steuern schon im Vorhinein           keit verstanden, »komplexe, (…) nicht

                                                                                               31/2018/1                           5
FORSCHUNG

eindeutig zuzuordnende Sachverhalte                                                          rungen durch verbale Verstärkung
gedanklich zu durchdringen und zu              FÖRDERUNG DER RESILIENZ                       des Selbstwirksamkeitserlebens (z. B.
verstehen, um dann unter Rückgriff                                                           lobende Ansprache oder ermutigende
auf vorhandenes Wissen Handlungs-              ... im Familienalltag                         Blickkontakte). Beim Essen/Füttern
möglichkeiten zu entwickeln, zu be-                                                          ergeben sich beispielhaft folgende
werten und erfolgreich umzusetzen«             In der Familie kommt es zunächst              Möglichkeiten: Die Bezugsperson
(Leutner et al., 2005, S. 125). Dabei ist es   grundlegend darauf an, dem (Klein-)           • … lässt das Kind selbst essen, wenn
wichtig, systematisch vorzugehen und           Kind Sicherheit und Zuverlässigkeit              es das altersgemäß schon kann,
das jeweilige Problem zu analysieren,          zu bieten. Die kindlichen Grundbe-            • … lässt das Kind den Löffel frühzei-
Lösungsmöglichkeiten, -mittel und              dürfnisse nach Bindung, Exploration,             tig selbst führen je nach Alter und
-wege abzuwägen und dann gleichfalls           Orientierung und Selbstwertschutz                Entwicklungsstand,
systematisch auszuprobieren. Dabei             (Grawe, 2004) müssen von den Er-              • … achtet auf Feinzeichen der Zu-
können unterschiedliche Problemlö-             wachsenen anerkannt und feinfühlig               und Abwendung,
sestrategien, z. B. eine sorgfältige Ziel-/    sowie entsprechend dem Alter und              • … erlaubt dem Kind, das Essen mit
Mittelanalyse, angewandt werden.               Entwicklungsstand des Kindes passge-             allen Sinnen zu genießen und zu
Die einfachste, oft nicht zielführende         nau beantwortet werden. Eltern sollen            erforschen (das kann auch heißen,
Strategie ist das »Versuchs-/Irrtums-          sich Zeit nehmen, in der sie wirklich            dass das Kind auch einmal mit den
verhalten«. Kinder müssen – und                für die Kinder »präsent«, also innerlich         Fingern in den warmen Tee fasst,
können – solche übergeordneten                 bezogen auf ihr Kind verfügbar sind.             das Brot zerkrümelt oder die Banane
Problemlösestrategien erlernen.                Kinder benötigen darüber hinaus                  zermatscht).
                                               An- und Herausforderungen, die sie            Kinder
(6) Aktive Bewältigungskompetenzen             in ihrer »Zone der nächsten Entwick-          • … wirken mit beim Tischdecken
Menschen empfinden den Charakter               lung« (Wygotski, 1987) angehen und               und -abräumen,
von belastenden und/oder heraus-               bewältigen können; dies bedeutet, dass        • … dürfen selbst Getränke einschen-
fordernden, als »stressig« erlebten            Unter- und Überforderung vermieden               ken und einen Lappen holen, wenn
Situationen unterschiedlich. Es geht           werden sollten. Manchmal benötigen               etwas danebengeht,
darum zu lernen, solche Situationen            Kinder auch Ermutigung und Zutrauen           • … dürfen in ihrem eigenen Tempo
angemessen einzuschätzen, zu bewer-            beim Herangehen an neue Aufgaben,                essen.
ten und zu reflektieren, um dann die           sie benötigen auf jeden Fall stärkende        Für alle diese selbst initiierten, explo-
eigenen Fähigkeiten in wirkungsvoller          Rückmeldungen über ihr Handeln und            rativen Handlungen ist eine verbale
Weise zu aktivieren und umzusetzen,            ein Verzeihen von Fehlern bzw. Miss-          Spiegelung und Unterstützung durch
um die Stresssituation zu bewältigen.          erfolgen. Bei Krisen und Belastungen          die Erwachsenen hilfreich.
Bedeutsam für den Umgang mit                   müssen die Erwachsenen verfügbar
Stress ist dabei das aktive Zugehen            sein und Halt (und Trost!) geben.             ... in Kindertageseinrichtungen
auf solche Situationen und das aktive          Im Alltag ist es hilfreich, die »Resilienz­
                                                                                             und Schulen
wie angemessene Einsetzen von Be-              brille« aufzusetzen und die perso-
wältigungsstrategien. Zum adäquaten            nalen Resilienzfaktoren zu stärken;           Entsprechend den Erkenntnissen der
Umgang mit Stress gehört allerdings            hierzu bieten sich alle Situationen an.       Präventionsforschung (Durlak, 2003;
ebenfalls das Kennen der eigenen               Exemplarisch seien Möglichkeiten,             Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann,
Grenzen und Kompetenzen und die                die Selbstwirksamkeit beim Essen zu           2009; Beelmann, 2006; Röhrle, 2008)
Fähigkeit, sich (dann) soziale Unter-          fördern, aufgeführt:                          sind spezifische gesundheitsförderliche
stützung zu holen.                             Um die Selbstwirksamkeit eines Kindes         bzw. präventive Maßnahmen dann am
Es ist zu beachten, dass diese 6 Resi-         zu fördern, braucht es Gelegenheiten,         wirkungsvollsten, wenn sie im Setting,
lienzfaktoren nicht unabhängig von-            aktiv und selbstständig seine Umwelt          also der Lebenswelt der Zielgruppe(n)
einander sind. So ist beispielsweise           zu explorieren und sich als »Verursa-         verankert werden und zugleich auf
eine adäquate Fremdwahrnehmung                 cher« wahrzunehmen. Die Förderung             mehreren Ebenen ansetzen, mithin
eine wichtige Voraussetzung für sozial         der Selbstwirksamkeit kann erfolgen           Kinder, Eltern und pädagogische
kompetentes Handeln.                           durch die Ermöglichung von aktiven            Fachkräfte erreichen. Dies bedeutet,
Auf der Grundlage dieser 6 Resilienz-          und selbst initiierten Handlungen,            dass Programme zur Förderung von
faktoren ist es möglich, Förderstrategi-       durch die Ermöglichung einer selbst-          Resilienz und Schutzfaktoren in eine
en zu entwickeln und die Forschungs-           ständigen Erforschung der Umwelt              dauerhafte Entwicklung der Institutio-
ergebnisse für die Praxis nutzbar zu           oder durch die Ermutigung beim                nen Kindertageseinrichtung und auch
machen.                                        Herangehen an An-/Herausforde-                Schule eingebettet sein sollten. Um

6                             31/2018/1
FORSCHUNG

nachhaltige Wirkungen entfalten zu Intervention auch in Grundschulen die Einrichtungen der Jugendsozialar-
können, muss das Team der pädago- (Fröhlich-Gildhoff et al., 2014).                                   beit eine besondere Bedeutung.
gischen Fachkräfte qualifiziert werden,                                                               Neben den grundlegenden Resilienzfak-
um dauerhaft im Alltag und mittels ... im Jugendalter                                                 toren sind spezifische Fähigkeiten zur
gezielter Maßnahmen die Resilienz der                                                                 Orientierung und zur Erlangung von
Kinder und ihrer Familien fördern zu Für die Bewältigung der spezifischen Handlungsfähigkeit in der multioptio-
können (Fröhlich-Gildhoff et al., 2011; Entwicklungsaufgaben im Jugend- nalen Welt bedeutsam: Es bedarf einer
2014; 2016; Rönnau-Böse & Fröhlich- alter – vor allem das Umgehen mit Bereitschaft, sich immer wieder auf
Gildhoff, 2015) (Abb. 3).                         und Annehmen der körperlichen Neues und auf Ungewissheiten einzulas-
Die Ergebnisse der komplexen Evaluati- Veränderungen sowie die Entwick- sen, soziale Beziehungen und Netzwerke
on der verschiedenen Projekte in Kitas lung eigenständiger Identität und die müssen immer wieder geknüpft, ausge-
und Schulen im Kontrollgruppendesign damit verbundene Lösung von den handelt und (re)aktiviert werden, eigene
zeigten eine hohe Akzeptanz und po- Eltern – benötigen die Jugendlichen Ziele können und müssen (selbstmo-
sitive Resonanz bei allen Zielgruppen Unterstützung und Halt von Erwach- tiviert) entwickelt werden und sollten
sowie statistisch bedeutsame, positive senen, zunehmend auch außerhalb dann in Handlungen einfließen.
Ergebnisse im Bereich des Selbstkon- der Herkunftsfamilie. Zudem werden
zepts und der kognitiven Entwicklung Gleichaltrige immer bedeutender. ... im weiteren Lebenslauf
bei den Kindern der Durchführungs- »Offensichtlich ist allein schon das
gruppen im Vergleich zu den Kontroll- Erleben von Peerbeziehungen resilienz­ In späteren Lebensphasen zeigen sich
gruppen (Rönnau-Böse, 2013).                      fördernd. Wer Peerbeziehungen erlebt seelische Widerstandskraft und Stärke
Werden die Fachkräfte in der Entwick- hat, kann anscheinend besser mit Be- nicht nur in der Bewältigung (exis-
lung einer resilienzförderlichen Haltung lastungen in Beziehungen umgehen« tenzieller) Krisen wie Arbeitslosigkeit,
und von spezifischen Kompetenzen zur (Steinebach & Steinebach, 2013, S. 102). Trennungen in Paarbeziehungen, dem
Resilienzförderung unterstützt, hat Zur Stärkung der Resilienz in dieser Tod von vertrauten Menschen oder
dies positive Auswirkungen sowohl auf sensiblen Phase benötigen Jugendliche dem Umgang mit Krankheiten oder
die Kinder als auch die Eltern sowie Anerkennung und Wertschätzung Verletzungen. Sie zeigen sich auch in
die Fachkräfte selbst. Die ressourcen- von Älteren, auch für manche extrem der Bewältigung lebensphasentypischer
orientierte Wahrnehmung der Kinder wirkenden Abgrenzungsbestrebungen Transitionen wie Familiengründung,
führt zu mehr Vertrauen in die eigenen wie z. B. die verschiedenen Formen von Auszug von Kindern, Beendigung der
Fähigkeiten bei allen Beteiligten. Die Jugendkulturen.                                                Arbeitstätigkeit oder dem Verlust von
Kinder erleben vermehrt positive Jugendliche benötigen Räume, in körperlichen und kognitiven Fähigkeiten
Selbstwirksamkeitserfahrungen, die denen sie unter sich sein können, sich mit zunehmendem Alter. Bedeutsam
Fachkräfte erhalten dadurch positive austauschen und entfalten können, sind hierbei soziale Unterstützung, ein
Rückmeldung auf ihre Angebote, also die Ermöglichung von Partizipati- positiver Selbstwert, aber auch die Fähig-
was wiederum in einen Anstieg des on und Verantwortungsübernahme für keit zur Sinnfindung und, damit verbun-
Vertrauens in die eigenen fachlichen Jugendliche (Raumgestaltung, eigene den, der Entwicklung von Lebenszielen
Kompetenzen mündet. Die Eltern er- »Plätze«) sowie die Unterstützung (Rönnau-Böse & Fröhlich-Gildhoff, 2015).
halten durch die ressourcenorientierte einer (positiven) Peer Culture durch Die Orientierung an persönlichen
Perspektive der Fachkräfte mehr positi- Begegnungsmöglichkeiten. Hier haben Zielen bzw. an einem Lebenssinn er-
ve Rückmeldungen, die                                                                                                höht, wie verschiedene
zu mehr Zuversicht in                                                  (1) Ebene pädagogische Fachkräfte             Studien zeigen konnten,
                                                                                  • Fortbildungen
die eigenen Erziehungs-                                                                                              prinzipiell das seelische
                                          (2) Ebene Kinder                     • Leitbild (Institution)
kompetenzen führen.              • Förderung der Resilienzfaktoren           • »pädagogischer Alltag«                Wohlbef inden, die
Dieses Vertrauen wirkt                          im Alltag                     • ressourcenorientierte                Lebenszufriedenheit
                                                                                  Fallbesprechungen
sich dann wieder auf                         • Kinderkurse                                                           und die allgemeine
                                • zielgruppenspezifische Angebote
die Beziehung zu den                                               (3) Ebene Zusammenarbeit mit Eltern               psychische Gesundheit
eigenen Kindern aus, die                    (4) Netzwerke
                                                                                 • Information                       (z. B. Brunstein et al.,
                                                                    • regelmäßige Entwicklungsgespräche
so von 2 Seiten gestärkt                • Erziehungsberatung
                                                                        • Beratung/»Sprechstunden«
                                                                                                                     2007). Eine wichtige
werden (Rönnau-Böse,                       • soziale Dienste                                                         Fähigkeit – insbeson-
                                                                                 • Elternkurse
                                    • Einrichtungen, Vereine etc.
2013; Fröhlich-Gildhoff                       im Sozialraum                                                          dere zur Sicherung des
et al., 2011). Diese                                                                                                 subjektiven Wohlbefin-
Ergebnisse finden sich Abb. 3: Multimodales Vorgehen im Setting-Ansatz zur Förderung von Resilienz                   dens – besteht darin,
bei einer gleichartigen                                                                                              die eigenen Ziele mit

                                                                                                 31/2018/1                                  7
FORSCHUNG

eigenen Kompetenzen und Außenbe-           Resilienz förderung ist kein                                   Cicchetti & Donald Cohen (Hrsg.), Developmental Psy-
dingungen immer wieder zur Passung         »Allheilmittel« und alle Maßnahmen                             chopathology: Risk, disorder, and adaptation (S. 739-
                                                                                                          795). New York: Wiley.
zu bringen; es kommt also auf eine         können nur die Wahrscheinlichkeit
                                                                                                          Opp, Günther & Fingerle, Michael (Hrsg.) (2007). Was
»flexible Zielanpassung« an. Dabei         erhöhen, dass Kinder, Jugendliche und                          Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko und Resili-
spielen »Reorganisationsprozesse«          auch Erwachsene die Herausforderun-                            enz. München: Reinhardt.

eine Rolle, also »eine Neuordnung          gen des Lebens »besser«, d. h. im Sinne                        Petermann, Franz, Niebank, Kay & Scheithauer, Her-
                                                                                                          bert (2004). Entwicklungswissenschaft: Entwicklungs-
von Prioritäten, die Lebenszielen zu-      des Erhalts seelischer Gesundheit be-                          psychologie – Genetik – Neuropsychologie. Berlin,
gewiesen werden« (Brunstein, Maier         wältigen. Resilienz »hilft« nicht, wenn                        Heidelberg: Springer.

& Dargel, 2007, S. 296).                   unmenschliche, unaushaltbare Lebens-                           Pianta, Robert, Stuhlman, Megan & Hamre, Bridget
                                                                                                          (2007). Der Einfluss von Erwachsenen-Kind-Bezie-
                                           bedingungen vorliegen – dann gilt es,                          hungen auf Resilienzprozesse im Vorschulalter und in
                                           diese Bedingungen zu verändern.                                der Grundschule. In Günther Opp & Michael Fingerle
                                                                                                          (Hrsg.), Was Kinder stärkt. Erziehung zwischen Risiko
FAZIT                                                                                                     und Resilienz (S. 192-211). München: Reinhardt.

                                            LITERATUR                                                     Röhrle, Bernd (2008). Die Forschungslage zur Präven-
                                                                                                          tion psychischer Störungen und zur Förderung psychi-
Die Förderung der seelischen Gesund-                                                                      scher Gesundheit. Verhaltenstherapie und Psychoso-
heit – operationalisiert über das Kon-      Beelmann, Andreas (2006). Wirksamkeit von Prä-                ziale Praxis 40(2), 343-347.
                                            ventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen:
zept der Resilienz- bzw. Schutzfaktoren     Ergebnisse und Implikationen der integrativen Erfolgs-        Rönnau-Böse, Maike & Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2015).
                                                                                                          Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspan-
– ist über die gesamte Lebensspanne         forschung. Zeitschrift für klinische Psychologie und
                                                                                                          ne. Stuttgart: Kohlhammer.
                                            Psychotherapie, 35(2), 151-162.
möglich und sinnvoll (Rönnau-Böse &                                                                       Rönnau-Böse, Maike (2013). Resilienzförderung in der
                                            Bengel, Jürgen, Meinders-Lücking, Frauke & Rottmann,
Fröhlich-Gildhoff, 2015). Die Resilienz­    Nina (2009). Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendli-         Kindertageseinrichtung. Freiburg: FEL.
faktoren lassen sich gezielt fördern        chen. Stand der Forschung zu psychosozialen Schutz-           Rönnau-Böse, Maike & Fröhlich-Gildhoff, Klaus (2012).
                                            faktoren für Gesundheit. (Forschung und Praxis der            Das Konzept der Resilienz und Resilienzförderung. In
– im Alltag und durch verschiedene          Gesundheitsförderung, Bd. 35). Köln: Bundeszentrale           Klaus Fröhlich-Gildhoff, Jutta Becker & Sibylle Fischer
»Programme«. Dabei geht es darum,           für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).                        (Hrsg.), Gestärkt von Anfang an. Resilienzförderung
                                                                                                          in der Kita (S. 9-29). Weinheim: Beltz.
dass Eltern und Professionelle – v. a.      Brunstein, Joachim, Maier, Günther & Dargel, Anja
                                            (2007). Persönliche Ziele und Lebenspläne: Subjektives        Steinebach, Christoph & Steinebach, Ursula (2013).
PädagogInnen, LehrerInnen, Psycho-          Wohlbefinden und proaktive Entwicklung im Lebens-             Gleichaltrige: Peers als Ressource. In Christoph Steine-
therapeutInnen – die »Resilienzbril-        lauf. In Jochen Brandtstädter & Ulman Lindenberger            bach & Kiaras Gharabaghi (Hrsg.), Resilienzförderung
                                            (Hrsg.), Entwicklungspsychologie der Lebensspanne             im Jugendalter (S. 93-110). Berlin: Springer.
le« aufsetzen und die Stärken ihres         (S. 270-304). Stuttgart: Kohlhammer.
                                                                                                          Wustmann, Corina (2004). Resilienz. Widerstandsfä-
Gegenübers stärken. Insbesondere in         Durlak, Joseph (2003).Generalizations regarding effec-        higkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern.
                                            tive prevention and health promotion programs. In
Kindertageseinrichtungen und Schulen        Thomas Gullotta & Martin Bloom (Hrsg.), The encyc-
                                                                                                          Weinheim: Beltz.

geht es um die veränderte Haltung pä-       lopedia of primary prevention and health promotion            Wygotsky, Lew (1987). Ausgewählte Schriften. Band 2:
                                            (S. 61-69). New York: Kluwer Academic/Plenum.                 Arbeiten zur psychischen Entwicklung der Persönlich-
dagogischer Fachkräfte, die Etablierung                                                                   keit. Köln: Pahl-Rugenstein.
                                            Fingerle, Michael (2011). Resilienz deuten – Schluss-
einer stärken- bzw. ressourcenorien-        folgerungen für die Prävention. In Margherita Zander          Zander, Margherita (Hrsg.) (2011). Handbuch Resili-
                                                                                                          enzförderung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwis-
tierten Pädagogik im Alltag unter Nut-      (Hrsg.), Handbuch Resilienzförderung (S. 208-218).
                                                                                                          senschaften.
                                            Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
zung vorhandener Materialien. Es geht
                                            Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Dörner, Tina & Rönnau-Böse,
darum, Menschen zu unterstützen und         Maike (2016). PRiK – Prävention und Resilienzförde-
zu ermutigen, Herausforderungen in          rung in Kindertagesstätten. Ein Trainingsprogramm.            DIE AUTORiNNEN
                                            München: Reinhardt.
ihrem nächsten Entwicklungsbereich
                                            Fröhlich-Gildhoff, Klaus & Rönnau-Böse, Maike (2015).
anzugehen und damit Unter- wie Über-        Resilienz. München: Reinhardt/UTB.
forderung zu vermeiden.                     Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Kerscher-Becker, Jutta, Rieder,
Dabei darf nicht vergessen werden,          Sophia, von Hüls, Bianca, Schopp, Stefanie & Ham-
                                            berger, Matthias. (2014). Grundschule macht stark!
dass der Kern der Resilienzförderung        Resilienzförderung in der Grundschule. Freiburg: FEL.
immer wieder die kontinuierliche            Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Becker, Jutta & Fischer, Sibylle.
Gestaltung entwicklungsförderlicher         (Hrsg.) (2012). Gestärkt von Anfang an. Resilienzförde-
                                            rung in der Kita. Weinheim: Beltz.
Beziehungen ist – dies muss bei allen       Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Beuter, Simone, Fischer, Sibylle,
Interventionen berücksichtigt werden.       Lindenberg, Julia & Rönnau-Böse, Maike (2011). Förde-
                                            rung der seelischen Gesundheit in Kitas für Kinder und
Erfahrungen aus Kita- und Schulteams,       Familien mit sozialen Benachteiligungen. Freiburg: FEL.       Dr. Klaus Fröhlich-Gildhoff ist Professor
die ihre Arbeit unter der Resilienz-        Grawe, Klaus (2004). Neuropsychotherapie. Göttin-             für Klinische Psychologie und Entwick-
perspektive neu betrachtet und z. T.        gen: Hogrefe.                                                 lungspsychologie und Leiter des Zent-
umgestaltet haben, zeigen, dass dies        Leutner, Detlev, Klieme, Eckhard, Meyer, Katja & Wirth,       rums für Kinder- und Jugendforschung
                                            Joachim (2005). Die Problemlösekompetenz in den Län-          (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule
zunächst mit Reflexionsprozessen und        dern der Bundesrepublik Deutschland. In Manfred
Mehrarbeit verbunden ist, allerdings        Prenzel et al. (Hrsg.), PISA 2003. Der zweite Vergleich       Freiburg.
steigen mittelfristig das professionelle    der Länder in Deutschland (S. 125-146). Münster i.W.:         Maike Rönnau-Böse ist Professorin für
                                            Waxmann.
Selbstverständnis und die Arbeitszu-                                                                      Pädagogik der Kindheit an der Evange-
                                            Luthar, Suniya (2006). Resilience in development: A
                                                                                                          lischen Hochschule Freiburg.
friedenheit.                                synthesis of research across five decades. In Dante

8                          31/2018/1
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