WEAVING Christina Kubisch - Soundseeing

 
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                                        WEAVING
                                                                Christina Kubisch

                                                      Das münsterlandweite Klangkunstfestival
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                                                      WEAVING
                                                      Klanginstallationen | Christina Kubisch

                                                      DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst

                                                      07.03. – 25.04.2021
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                                                              Grußwort | Isabel Pfeiffer-Poensgen                      Grußwort | Dr. Andrea Firmenich

                                                              In ihrer Breite und Vielfalt bereichert die kulturelle   Aus der zarten Pflanze SOUNDSEEING, die im Jahr 2009
                                                              Landschaft Nordrhein-Westfalens das Land auf einzig-     als Initiative des DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst in
                                                              artige Weise. Überall verbinden sich spannende Orte      Hörstel gemeinsam mit der Musikhochschule Münster
                                                              mit neuen Ideen. Ein herausragendes Beispiel ist das     und dem Kulturzentrum cuba-cultur aufkeimte, ent-
                                                              Klangkunstfestival SOUNDSEEING, das im ganzen            wickelte sich erfreulich rasch ein einzigartiges Netzwerk.
                                                              Münsterland historische Orte, Industriebauten und        Dazu konnte die Förderung der Kunststiftung NRW in der
                                                              Gärten mit aktuellen und experimentellen Klängen         Vergangenheit beitragen. Inzwischen wird das Festival
                                                              füllt und ihre Wahrnehmung verändert.                    von der Landesmusikakademie NRW getragen.
                                                              Seit vielen Jahren ermöglicht ein starkes Netzwerk       Höhepunkte 2021 sind drei große Einzelausstellungen von
                                                              aus elf Partnern diese Kulturerlebnisse im ländlichen    Christina Kubisch, Frauke Eckhardt und Christof Schläger.
                                                              Raum und inspiriert mit seinem vielfältigen Programm     Die international renommierten Klangkünstlerinnen
                                                              Zuhörerinnen und Zuhörer jeden Alters. Dieses            und -künstler versprechen mit ihren Arbeiten in Hörstel,
                                                              wichtige Engagement unterstützt die Landesregierung      Bocholt und Münster das Erlebnis einer beeindruckenden
                                                              gerne.                                                   Bandbreite der Klangkunst.
                                                              Ihnen allen wünsche ich viele »unerhörte«                Besonders freut mich, dass die Ausstellungen dauerhaft
                                                              Erlebnisse und dem Festival, den schwierigen             nicht nur in Katalogen, sondern auch online erlebbar sind
                                                              Umständen zum Trotze, viel Erfolg.                       – eine tolle Möglichkeit für jeden, sich der Klangkunst
                                                                                                                       intensiv zu nähern.

                                                              Isabel Pfeiffer-Poensgen
                                                              Ministerin für Kultur und Wissenschaft                   Dr. Andrea Firmenich
                                                              des Landes Nordrhein-Westfalen                           Generalsekretärin | Kunststiftung NRW

                          DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst
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                          Vorwort | SOUNDSEEING – das münsterlandweite Klangkunstfestival

                          Als SOUNDSEEING im Jahr 2009 mit einer ersten Klangkunstausstellung und experimentellen Konzerten im DA, Kunsthaus
                          Kloster Gravenhorst und in Münster startete, war nicht annähernd abzusehen, welche Entwicklung das Vorhaben nehmen
                          würde.
                          Heute, zwölf Jahre später, ist SOUNDSEEING zu einem großen, spartenübergreifenden und kooperativen Klangkunstfestival
                          im Münsterland geworden, das an 13 Veranstaltungsorten mit Ausstellungen, Konzerten und Workshops ein einmaliges,
                          sinnliches Erleben von Klängen ermöglicht.
                          Dabei werden alle nur denkbaren Präsentationsformen von Klangkunst in die Breite des Münsterlandes gebracht und er-
                          reichen so ein großes und bunt gemischtes Publikum. Von Workshops und Mitmachaktionen zum Thema »Klang für Kinder
                          und Familien« über experimentelle Konzerte mit Elektronik oder selbstkonstruierten Instrumenten und Performances bis
                          hin zu großen Ausstellungen mit bedeutenden internationalen Klangkünstlerinnen und -künstlern – die Klangkunst öffnet
                          mit ihren ganz speziellen Möglichkeiten die Ohren, Augen und Herzen der Besucherinnen und Besucher.

                          SOUNDSEEING 2021 startet mit WEAVING von Christina Kubisch. Den spannungsreichen Rahmen der Ausstellung bildet
                          das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Gravenhorst in Hörstel, nahe Ibbenbüren. Die historischen Gemäuer klingen durch
                          aktuelle Klangkunst neu und ungewohnt – eine Reibung, die inspiriert.

                          Unser herzlicher Dank gilt den fördernden Institutionen, den Kunstschaffenden, den Mitveranstalterinnen und -veranstaltern
                          sowie dem ganzen Team für die vertrauensvolle, konstruktive und angenehme Zusammenarbeit.

                          Prof. Stephan Froleyks              Antje Valentin
                          Kurator | SOUNDSEEING               Direktorin | Landesmusikakademie NRW

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                                                                                                                                                       Interview | Christina Kubisch und Andrea Jahn

                                                                                                                                                       Was man hört und was man sieht, passt in deinen Installationen erst einmal nicht zusammen.
                                                                                                                                                       Welche Absicht steckt hinter diesem Konzept?

                                                                                                                                                       Das ist eigentlich keine Absicht, sondern eher die Vorstellung, dass das, was wir als zusammenpassend empfinden, nicht
                                                                                                                                                       auf Tatsachen, sondern auf überlieferten Meinungen und Gewohnheiten beruht. Alles andere würde uns beunruhigen,
                                                                                                                                                       und wir Menschen mögen so etwas meistens nicht. Mich interessieren unterschiedliche Zugänge des Aufspürens von ver-
                                                                                                                                                       borgenen Realitäten, die mittels menschlicher Sinne nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmbar sind. Wenn also zum
                                                                                                                                                       Beispiel ein Klang aus einem unbekannten Spektrum auf ein vertrautes visuelles Bild trifft, glaubt man, zwei verschiedenen
                                                                                                                                                       Welten gegenüberzustehen. Aber wenn man sich darauf einlässt, ergibt sich durchaus eine neue Erfahrung, die den ersten
                                                                                                                                                       Eindruck des nicht Zusammenpassens aufhebt.

                                                                                                                                                       Dein Werk befasst sich mit einer Welt, die uns verschlossen bleibt, wenn wir uns nur auf unsere körpereigenen Sinne
                                                                                                                                                       beziehen. Es ist eine Parallelwelt, die im Zuge der Digitalisierung entstanden ist.
                                                                                                                                                       Wie bist du auf sie gestoßen und wann ist es dir erstmals gelungen, sie für uns erfahrbar zu machen?

                                                                                                                                                       Die Suche nach verborgenen Parallelwelten hat es schon immer gegeben, nicht erst seit der Digitalisierung. Nur sind die in
                                                                                                                                                       diesem neuen Kontext verborgenen Phänomene viel ausgeprägter und einschneidender als jemals zuvor. Als ich Ende der
                                                                                                                                                       1970er-Jahre von den Performances zum Bereich der Klanginstallation übergegangen bin, suchte ich nach Möglichkeiten,
                                                                                                                                                       eine längere Dauer von Klangübertragung möglich zu machen. Das war noch in der analogen Zeit von Tonbändern und
                   »Cloud« | Festival Topographies of Sound | Llubljana 2019                                                                           Kassetten. Bei Kursen im Fach Elektrotechnik, die ich nach meinem Diplom an der Musikhochschule Mailand belegte,
                                                                                                                                                       lernte ich unter anderem auch das Prinzip der elektromagnetischen Induktion kennen und war sofort begeistert davon.
                                                                                                                                                       Eine Übertragung von elektrischen Feldern durch bewegte Magnetfelder – das war eine für mich ganz neue Entdeckung,
                                                                                                                                                       die ich dann bald für meine ersten Installationen weiterentwickelt und eingesetzt habe.

                                                                               oben: »On Air« | Installation und Performance im Stadtraum
                                                                               Lagerhalle Scharnhorststraße | Münster 1984
                                                                               unten: »Remote Relations« | Kunstverein Körsbärsgarden | Gotland 2015
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WEAVING Christina Kubisch - Soundseeing
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                          Kannst du beschreiben, wie dieses Verfahren funktioniert?                                                                                   Der partizipative Aspekt – also die aktive Beteiligung der Besucher – spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle.
                                                                                                                                                                      Inwiefern ist diese Interaktivität wichtig für dich und deine Arbeit?
                          Unter Induktion versteht man die Entstehung eines elektrischen Feldes bei einer Änderung des magnetischen Flusses.
                          Das Prinzip der Induktion wurde 1831 von Michael Faraday entdeckt und später maßgeblich von Nikola Tesla weiter-                            Da ich von der Musik komme, ist mir das »Miteinander« beim Spielen immer selbstverständlich gewesen. Ich habe mich
                          entwickelt.                                                                                                                                 auch viel mit außereuropäischer Musik beschäftigt, wo der Klang zum alltäglichen Leben gehört. Die starre Gegenüber-
                          In meinen Arbeiten werden lange Stromkabel durch Räume gespannt, die, aus einem Verstärker kommend, in diesen                               stellung von Bühne und Publikum habe ich schon in vielen meiner Performances in den 1970er-Jahren infrage gestellt.
                          zurückgeführt werden, also eine Spule bilden. Die Besucher bekommen einen kabellosen Kopfhörer, in dem sich eine                            Mich interessiert es, dem Publikum eine individuelle Zeitgestaltung und freie Bewegungsmöglichkeiten in meinen
                          kleine Kupferspule befindet. Strom erzeugt immer auch ein elektromagnetisches Feld, und dieses wird bei den installierten                   Installationen zu geben.
                          Kabeln durch eingespeiste Klänge, die so erst einmal nicht hörbar sind, in unterschiedlichen Spannungen gebildet. Durch
                          die Spule im Kopfhörer und eine kleine elektronische Schaltung wird dieses Feld dann wieder in Audio zurückgewandelt.

                                                                                Induktion ist also eine Technik, die schon im 19. Jahrhundert entdeckt
                                                                                wurde. Die Dichte und Häufigkeit der heutigen digitalen Kommunikations-
                                                                                systeme hat dazu geführt, dass uns immer mehr magnetische Felder um-
                                                                                geben, wo immer wir uns auch aufhalten. In den 1980er-Jahren konnte ich
                                                                                weltweit noch große induktive Klanginstallationen an den verschiedensten
                                                                                Orten und Gebäuden machen, ohne dabei (ungewollt) Störgeräusche zu
                                                                                empfangen. Das änderte sich dann zunehmend in den 1990er-Jahren, und
                                                                                für einige Zeit habe ich darauf verzichtet, weiterhin mit dem Prinzip der
                                                                                Induktion zu arbeiten. Es gab einfach zu viele Fremdsignale, die sich in
                                                                                meine musikalischen Systeme einschlichen und sie, oft lautstark, unter-
                                                                                wanderten. Erst Anfang 2003, nach einem Test in Tokyo, wo ich einen
                                                                                besonders empfindlichen elektromagnetischen Kopfhörer dabeihatte,
                                                                                habe ich entdeckt, dass diese magnetischen Felder die Grundlage weiterer
                                                                                Arbeiten sein können. So entstand die Serie der »Electrical Walks«, bei
                                                                                denen die Besucher durch den Stadtraum gehen und die magnetischen
                                                                                Felder, die sie umgeben, live hören können.
                                   »La Serra« | Stadtgalerie Saarbrücken 2019                                                                               »Electrical Walks« | Museum of Modern Art | San Francisco 2017    »Weaving« | Atelier Nord | Oslo 2019

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                          Für mich steht hinter deinen Konzepten und künstlerischen Lösungen eine radikale Infragestellung klassischer
                          Kategorien wie Autorschaft und Kunstbegriff. Beispielsweise, wenn du das Publikum aufforderst, sich in deiner neuen
                          Arbeit WEAVING selbst so im Raum zu bewegen, dass jede/r für sich eine eigene Komposition entstehen lassen kann.

                          Das beruht weniger auf abstrakten theoretischen Thesen oder einem persönlichen Manifest. Es ist einfach spannend,
                          wenn man, ganz gleich ob in Musik oder Bildender Kunst, eine Erfahrung gemeinsam und trotzdem auch individuell
                          machen kann. Natürlich bin ich erst einmal die Autorin. Aber dann kann die Interpretation des Werkes sehr unterschiedlich
                          ausfallen. Um das möglich zu machen und nicht einfach im Chaos oder in der Belanglosigkeit zu enden, ist aber eine
                          sorgfältige Gestaltung und Vorbereitung notwendig. Also ein gutes Gleichgewicht zwischen System und Zufall.
                          Zu Kunstbegriffen kann ich nichts weiter sagen.

                          Neben dem performativen, kompositorischen Aspekt spielt auch der visuelle Eindruck in deinen Installationen eine ganz
                          entscheidende Rolle. Hier in Gravenhorst wurde aus der Zeichnung im Raum, die in früheren Arbeiten wie »La Serra« das
                          gesamte Raumvolumen ausgefüllt haben, in WEAVING eine konzentriertere Version, mit der du an eine Webmanufaktur
                          erinnerst. Wie ist dieses Werk entstanden?

                          Im Zentrum meiner Beschäftigung mit der Digitalisierung steht grundsätzlich die Frage, wie diese unsere Wahrnehmung
                          von Realität und Gesellschaft beeinflusst. Begriffe wie »cloud«, »mouse«, »net« oder »web« faszinieren mich, weil sie       Tonaufnahmen in der ehemaligen Weberei
                          Begriffe sind, die aus einem anderen Kontext kommen (Natur, Tiere, handwerkliche Tätigkeiten) und gerade deswegen in        TextilWerk Bocholt 2021
                          der Digitalsprache so verführerisch wirken. Das Wort »web« führt natürlich auch zur Assoziation des Webens, und ich habe
                          mich daher auch mit dem Begriff des Webens als handwerkliche Tätigkeit beschäftigt. So wie bei der Weberei immer zwei
                          Fadensysteme notwendig sind, damit Gewebe und Muster entstehen können, so ist auch bei Sendern und Empfängern
                          eines magnetischen Feldes ein passendes System notwendig, um eine Botschaft entstehen zu lassen.

                          In den letzten Jahren hatte ich viele neue elektromagnetische Klänge von digitalen Kommunikationssystemen aufgezeich-
                          net, die mir zusammen wie ein großer Webteppich mit ungewohnten Mustern vorkamen. 2019 konnte ich in Oslo beim
                          Ultima Festival eine erste Version von WEAVING realisieren. Durch die Möglichkeit, im TextilWerk Bocholt Tonaufnahmen

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                                                       von Webstühlen aus dem 19. und 20. Jahr-       Seit langer Zeit sammle ich das Wort »Stille« in allen mir zugänglichen Sprachen der Welt. Zu den mehreren Hundert
                                                       hundert zu machen, habe ich dann eine reale    Tonaufnahmen, die ich in den verschiedensten Ländern und Kontinenten gemacht habe, gehören Schriftsprachen ebenso
                                                       Vorstellung von einer Webereifabrik bekom-     wie gesprochene Sprachen und Dialekte. Viele Worte für »Stille« klingen je nach Kulturkreis und Kontinent sehr ähnlich,
                                                       men und diese in einer ganz neuen Version      andere sind vollkommen unterschiedlich, manchmal überraschend lautmalerisch und magisch. »Stille« kann in manchen
                                                       von WEAVING im Kloster Gravenhorst um-         Sprachen mit verschiedenen Worten ausgedrückt werden. Einige Sprachen haben kein Wort für Stille, sondern beschreiben
                                                       gesetzt. Schon im 19. Jahrhundert wurden       dafür den »Ort ohne Klang«. Die Aufnahmen sind nicht in einem schalltoten Raum entstanden, sondern dort, wo die
                                                       Systeme wie die Lochkartensteuerung für        Menschen leben. Die kleinen, feinen Geräusche vom Umfeld des Aufnahmeortes gehören zur Arbeit und zeigen, dass Stille
                                                       die mechanische Weberei verwendet, eine        nie abstrakte Abwesenheit von Klang ist, sondern eine Situation, die das Hören überhaupt erst möglich macht.
                                                       Vorform computergesteuerter Abläufe von        Im Gewölbe vom Kloster Gravenhorst wird das Wort »Stille« in 70 Sprachen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten
                                                       heute. So treffen in der Klanginstallation     gesprochen und wiederholt. Das permanente Rauschen der Stimmen wird nur kurzzeitig durch einen Moment der Stille
                                                       im Wechsel Klänge von akustischen Web-         unterbrochen.
                                                       stühlen, intensiven Stromfeldern und           In einem weiteren Raum hängt eine Gruppe von Sonagrammen aus der Serie »Analyzing Silence«, die einige dieser Ton-
                                                       digitalen magnetischen Feldern aus dem         aufnahmen noch einmal als visuelle Übersetzung zeigen. Sonagramme sind Aufzeichnungen von Lautfolgen, wobei die
                                                       World Wide Web aufeinander.                    Abszisse die Zeitachse bildet und die Ordinate die Frequenz angibt. Die Schwärzung steht im Zusammenhang mit der
                                                                                                      Lautstärke.
                         Neben der Absicht, Phänomene hörbar zu machen, die wir selbst nicht
                         wahrnehmen können, spielt auch die Erfahrung der Stille in deinen            Auch deine Installation »Festplatten« dreht sich indirekt um Stille – die Stille nach
                         Arbeiten eine zentrale Rolle. In »Analyzing Silence« hast du sie auch in     dem Tod –, denn es sind Fragmente von Grabsteinen, deren besondere Bedeutung du
                         dieser Ausstellung integriert, indem du die Stille sichtbar machst.          hier unter UV-Licht sichtbar machst. Welche Rolle spielt das?
                         Gleichzeitig kommt deine Analyse der Stille in einer weiteren Installation
                         »Silent Excercizes« zum Tragen, in der du dem Phänomen in verschie-          Seit fast 20 Jahren habe ich auf Friedhofsbesuchen in verschiedenen Ländern Europas
                         denen Sprachen und damit auch in unterschiedlichen Kulturen auf den          die zerbrochenen Teile von Grabsteinplatten gesammelt, die meist auf den »Steinecken«
                         Grund gehst. Wie bist du darauf gestoßen, dass etwas so Grundsätzliches      von Friedhöfen zwischengelagert werden, bevor man sie zu Straßensplitt verarbeitet.
                         wie die Erfahrung von Stille gar nicht überall auf der Welt erfahrbar ist,   Die Fragmente stammen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen,
                         und dass es in manchen Ländern viele verschiedene und in anderen gar         Rumänien etc. und aus ganz verschiedenen Zeiträumen.
                         keine Begriffe dafür gibt?

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                          Inschriften, wie »Unvergessen« findet man heute nur noch selten auf Grabsteinen. Meist sind es nur noch die Namen und          I                                   III
                          Lebensdaten und manchmal die Berufsbezeichnung. Die Inschriften werden in letzter Zeit zunehmend knapper, es gibt
                          immer mehr anonyme Bestattungen oder Stelengräber, das persönliche Grab verliert an Wertschätzung. Das hat viele,              1600 Meter Kupfer                   schwarze Klangtafeln im Hochformat auf weißgekälkter Wand
                          auch finanzielle Gründe, liegt aber auch daran, dass Daten heute eher in digitale Festplatten als in Stein geschrieben         bilden                              Klangwolken aus Stille, dazwischen Stille
                          werden.
                                                                                                                                                         Webstuhl, Labyrinth und Irrgarten
                          Die Fundstücke sind hingegen aus schwerem Material, unzeitgemäß und sperrig. Die Inschriften in den Steinfragmenten
                                                                                                                                                                                             schwarz und weiß
                          wurden mit einem speziellen weiß fluoreszierenden Pigment in mehreren Schichten überzogen, das nur bei UV-Licht zu
                          sehen ist. Eine Archivlampe mit UV-Röhren scheint auf dieses Steinfeld und bringt die Buchstaben zum Leuchten. Die
                                                                                                                                                         Irrgarten, Labyrinth, Webstuhl      aus und an
                          Worte, Zahlen und Zeichen, die in der Schriftart je nach Herkunft und Alter sehr unterschiedlich sind, ergeben keinen          und Ariadnefaden
                          zusammenhängenden Sinn. Sie wirken wie eine unbekannte Sprache, die man nicht mehr verstehen kann, wie eine Art                sind eins
                          Geheimschrift. Das UV-Licht hat eine ähnliche Funktion wie die elektromagnetischen Kopfhörer: Es macht normalerweise
                          nicht Wahrnehmbares sichtbar und stellt es in einen anderen Kontext.                                                           leiten und geleitet werden

                          Eine persönliche Frage zum Schluss: Klangkunst ist eine verhältnismäßig junge Kunstform, die erst in den 1980er-Jahren
                          maßgeblich in Erscheinung getreten ist. Du hast sie als Professorin an der HBK Saar in Saarbrücken in einem eigenen            II                                  IV
                          Studiengang gelehrt und weiterentwickelt. Inzwischen gehörst du zu den renommiertesten Klangkünstlerinnen, deren
                          Werke weltweit gezeigt und gesammelt werden. Würdest du sagen, dass sich Klangkunst inzwischen als künstlerisches              mein liebe / n in Gott              zwanzig Stufen von Grau
                          Medium durchgesetzt hat?                                                                                                       unser gut / und unser               zwanzig Rhythmen aus Grau
                                                                                                                                                         Der Wohltäte                        zwanzig Stillen im Querformat
                          Als Klangkunst wird heute vieles bezeichnet. Im Grunde geht es vor allem um die Aufhebung der Grenzen dessen, was
                          normalerweise noch immer getrennt ist: Musik und Bildende Kunst, der Konzertsaal und das Museum, die Partitur und die
                                                                                                                                                         Stücke schwerer Platten
                          Leinwand. Aber in der heutigen medialen Landschaft ist Klangkunst ein Teil fast jeden Festivals, und viele Ausstellungen
                          haben sich damit thematisch beschäftigt. Die Stadtgalerie Saarbrücken, die seit über 30 Jahren und auch heute weiterhin        in durchleuchteter Dunkelheit
                          Klangkunstausstellungen macht, ist ein prominentes Beispiel dafür. Was die Präsenz in den Sammlungen von Museen und            auf Resten von historischem Grund   Stephan Froleyks

                          kulturellen Institutionen angeht, so ist allerdings noch eine Menge Luft nach oben.
                                                                                                                                                         weißes Pigment

                          Dr. Andrea Jahn | Kunsthistorikerin | Kunst- und Kulturwissenschaftliche Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz   ruhe in
                          Direktorin des Saarlandmuseums Saarbrücken
                                                                                                                                                         Stille
               _14                                                                                                                                                                                                                                       _15
WEAVING Christina Kubisch - Soundseeing
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                                                       WEAVING 2019/2021

                                                       16-kanalige Klanginstallation
                                                       1600 Meter Kupferkabel, 16 Holzstrukturen, 16-kanalige
                                                       Komposition, Audiotechnik, Induktionskopfhörer

                                                       Die Intensität der Klänge ändert sich je nach Position
                                                       und Bewegung der Hörenden in der Installation. In den
                                                       »Webstühlen« wechseln sich die Klänge von industriellen
                                                       Webstühlen, magnetischen Wellen dichter Stromquellen
                                                       wie Transformatoren und Umspannwerke sowie die
                                                       elektromagnetischen Felder digitaler Kommunikations-
                                                       einrichtungen und Datenübertragungen ab.

                                                       Die Klänge der Webstühle wurden im TextilWerk Bocholt
                                                       aufgenommen.

                                                                                                                 _17
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                                                       WEAVING

                                                                 _19
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                                                       WEAVING

               _20                                               _21
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                                                       FESTPLATTEN 2006/2007

                                                       Grabsteinfragmente, UV-Licht,
                                                       fluoreszierendes Pigment

                                                       Die fragmentarischen Inschriften
                                                       der Grabsteine sind nur im Licht
                                                       einer Archivlampe lesbar.
                                                       Normalerweise werden diese
                                                       Steinabfälle zu Straßensplitt
                                                       verarbeitet.

                                                                                          _23
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                          Silent Exercizes

                          Version für Gravenhorst 2021
                          20 schwarze Flachlautsprecher, 20-kanalige Komposition,
                          Audiotechnik

                          In 70 Sprachen, aus verschiedenen Ländern und Kontinenten,
                          wird das Wort »Stille« gesprochen und wiederholt.
                          Das permanente Rauschen der Stimmen wird nur kurzzeitig
                          durch einen Moment der Stille unterbrochen.

               _24
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               _26                                     _27
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                                                       Analyzing Silence

                                                       Work in Progress
                                                       Fine Art Print auf Hahnemühle PhotoRag Ultrasmooth
                                                       20 Unikatdrucke | 25 x 60 cm

                                                       Das Wort »Stille« wird in verschiedenen Sprachen als
                                                       Sonagramm analysiert und als schwarz-weiße Grafik
                                                       visualisiert. Sonagramme sind Aufzeichnungen von
                                                       Lautfolgen, wobei die Abszisse die Zeitachse bildet und
                                                       die Ordinate die Frequenz angibt. Die Schwärzung steht
                                                       im Zusammenhang mit der Lautstärke.
                                                       Stille erscheint als ein visuelles Puzzle aus verschie-
                                                       densten grafischen Verläufen, die die Komplexität
                                                       unserer geschriebenen und gesprochenen Sprachen
                                                       sichtbar macht.

              _28                                                                                                _29
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                                                       Vita | Christina Kubisch                                                                   Ausstellungen | Christina Kubisch

                                                       Christina Kubisch, geboren 1948 in Bremen. Studium der Malerei, Musik und Elektronik in    Einzelausstellungen in Museen und Galerien in Europa, Asien, Australien, Nord- und Südamerika. Teilnahme an zahl-
                                                       Hamburg, Graz, Zürich und Mailand. Auf Performances und Videoarbeiten in den 1970er-       reichen internationalen Festivals und Gruppenausstellungen, u. a. Pro Musica Nova, Bremen 1976 und 1980 | Für Augen
                                                       Jahren folgen seit Beginn der 1980er-Jahre raumbezogene Klanginstallationen, Licht-        und Ohren, Berlin 1980 | Biennale von Venedig 1980 und 1982 | documenta 8, Kassel 1987 | Ars Electronica, Linz 1987
                                                       räume und Arbeiten im öffentlichen Raum. Zahlreiche elektro-akustische Kompositionen       Steirischer Herbst, Graz 1987 | Biennale of Sydney 1990 | Donaueschinger Musiktage 1993 und 1997 | Sonambiente, Berlin
                                                       und Radioproduktionen. Seit 2003 erneut Live-Auftritte.                                    1996 und 2006 | Klangkunstforum Berlin 1999 | Sonic Boom, London 2000 | Visual Sound, Pittsburgh 2001 | singuhr-hoer-
                                                                                                                                                  galerie, Berlin 2002 | Activating the Medium, San Francisco 2003 | sounding spaces, Tokyo 2003 | Resonanzen, ZKM, Karls-
                                                       Nationale und internationale Stipendien, Residencies und Auszeichnungen, u. a. Preis-      ruhe 2005 | Her Noise, London 2005 | B!AS International Sound Art Exhibition, Taipei 2005 | Stockholm New Music 2006
                                                       trägerin des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e. V. 1988; Arbeitsstipendium   Invisible Geographies, New York 2006 | Huddersfield Contemporary Music Festival 2007 | Soni(c)loud, Mexico City 2008
                                                       der Stiftung Kunstfonds 1990; Arbeitsstipendium der Senatsverwaltung Berlin 1995; Carl     Ars Electronica, Linz, 2010 | RUHR2010, Kulturhauptstadtprojekt 2010 | Triennale Douala, Kamerun 2010 | gateways, Art
                                                       Djerassi Honorary Fellowship, USA 2000; Ehrenpreis des Deutschen Klangkunst-Preises        and Networked Culture, Tallinn, 2011 | Sound Art. Klang als Medium der Kunst, ZKM Karlsruhe 2012 | Rheinklänge, bonn-
                                                       2008; SR-Medienkunstpreis 2009; Stadtklangkünstlerin Bonn, Beethovenstiftung 2013;         hoeren, Beethovenstiftung Bonn, 2013 | festival NOW, Essen 2014 | blurred edges festival, Hamburg, 2015 | Free Sound
                                                       Karl-Sczuka-Preis des SWR (mit Peter Kutin und Florian Kindlinger) 2016.                   The Future Lab, Osaka 2016 | Sound Tracks, Museum of Modern Art San Francisco 2017 | documenta Athen 2017 | UNArt
                                                                                                                                                  Shanghai 2018 | Sonic Acts Amsterdam 2019 | Electrical Moods, Stadtgalerie Saarbrücken 2019 | Échos magnétiques,
                                                       Seit 1975 Veröffentlichungen von Schallplatten, Kassetten und CD u. a. bei: Auf dem Nil,   Musée des Beaux-Arts de Rennes, 2019 | Time:Spans, New York 2019 | Ultima Festival Oslo, 2019 | Wittener Tage für
                                                       Cramps Records, Edition RZ, ampersand, semishigure, Die Schachtel, Olof Bright,            Neue Kammermusik 2020 | Ars Electronica Linz 2020 | Steirischer Herbst Graz 2020
                                                       Important Records, gruenrekorder, tochnit aleph, fragment factory.
                                                       Gastprofessuren in Maastricht, Paris, Berlin und Oxford. Von 1994 bis 2013 Professorin
                                                       für Audiovisuelle Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, Gründung des
                                                       Fachbereiches Audiovisuelle Kunst. Seit 1997 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin.

                                                       www.christinakubisch.de

               _30                                                                                                                                                                                                                                                           _31
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                                    Impressum

                                    Publiziert im Rahmen von:
                                    SOUNDSEEING – das münsterlandweite Klangkunstfestival
                                    März – September 2021

                                    Träger und Herausgeber:
                                    Landesmusikakademie NRW e. V.
                                    Steinweg 2 | D-48619 Heek-Nienborg
                                    Kurator: Stephan Froleyks

                                    Ausstellung im DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst:
                                    Technische Vorbereitung und Realisation der Installation WEAVING: Burkhard Greiwe und Michael Schleithoff
                                    Klangbearbeitung und Editing, Tontechnik, Tonaufnahmen in Bocholt: Eckehard Güther
                                    Aufbauassistenz: Katharina Lehmann und Kirsten Mühlbach

                                    Dank an das LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt für die Ermöglichung und Unterstützung der Tonaufnahmen.

                                    Katalog:
                                    Fotos: Andreas Lechtape (S. 2, 5, 15, 16, 18 li., 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 27 li., 28, 29, 30)
                                    Eckehard Güther (Titel, S. 11, 18 re., Rückseite), Sabine Herke (S. 17, 21 re. un., 27 re.), Christina Kubisch (U 2, S. 6 ob. u. un.,
                                    8, 11 un., 12, 13, 31, U 3), Rahne Ursa (S. 6 li.), Katherine du Thiel (S. 9 li.), Istvan Vandor (S. 9 re.)
                                    Texte: Andrea Jahn, Christina Kubisch, Stephan Froleyks
                                    Lektorat: Birgit Gropp | Projektbüro Kunst und Buch
                                    Graphik Design: Sabine Herke | herkewerke
                                    Druck: Wentker Druck | Auflage: 500

                                    ISBN 978-3-00-068680-1

                                    @ 2021

                                                                                                                                                                                                 Träger:

                 Gefördert durch:                                                                        Ausstellungsort WEAVING:                                   Kultur- und Medienpartner:
                                                                                                                                                                                                           Virtueller Rundgang durch die
                                                                                                                                                                                                           Klangkunstausstellung WEAVING im
                                                                                                                                                                                                           DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst >
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                                        Mehr sehen und hören?

                          ISBN 978-3-00-068680-1
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