WEAVING Christina Kubisch - Soundseeing
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Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 1 WEAVING Christina Kubisch Das münsterlandweite Klangkunstfestival
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 2 WEAVING Klanginstallationen | Christina Kubisch DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst 07.03. – 25.04.2021
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 4 Grußwort | Isabel Pfeiffer-Poensgen Grußwort | Dr. Andrea Firmenich In ihrer Breite und Vielfalt bereichert die kulturelle Aus der zarten Pflanze SOUNDSEEING, die im Jahr 2009 Landschaft Nordrhein-Westfalens das Land auf einzig- als Initiative des DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst in artige Weise. Überall verbinden sich spannende Orte Hörstel gemeinsam mit der Musikhochschule Münster mit neuen Ideen. Ein herausragendes Beispiel ist das und dem Kulturzentrum cuba-cultur aufkeimte, ent- Klangkunstfestival SOUNDSEEING, das im ganzen wickelte sich erfreulich rasch ein einzigartiges Netzwerk. Münsterland historische Orte, Industriebauten und Dazu konnte die Förderung der Kunststiftung NRW in der Gärten mit aktuellen und experimentellen Klängen Vergangenheit beitragen. Inzwischen wird das Festival füllt und ihre Wahrnehmung verändert. von der Landesmusikakademie NRW getragen. Seit vielen Jahren ermöglicht ein starkes Netzwerk Höhepunkte 2021 sind drei große Einzelausstellungen von aus elf Partnern diese Kulturerlebnisse im ländlichen Christina Kubisch, Frauke Eckhardt und Christof Schläger. Raum und inspiriert mit seinem vielfältigen Programm Die international renommierten Klangkünstlerinnen Zuhörerinnen und Zuhörer jeden Alters. Dieses und -künstler versprechen mit ihren Arbeiten in Hörstel, wichtige Engagement unterstützt die Landesregierung Bocholt und Münster das Erlebnis einer beeindruckenden gerne. Bandbreite der Klangkunst. Ihnen allen wünsche ich viele »unerhörte« Besonders freut mich, dass die Ausstellungen dauerhaft Erlebnisse und dem Festival, den schwierigen nicht nur in Katalogen, sondern auch online erlebbar sind Umständen zum Trotze, viel Erfolg. – eine tolle Möglichkeit für jeden, sich der Klangkunst intensiv zu nähern. Isabel Pfeiffer-Poensgen Ministerin für Kultur und Wissenschaft Dr. Andrea Firmenich des Landes Nordrhein-Westfalen Generalsekretärin | Kunststiftung NRW DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst _2 _3
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 6 Vorwort | SOUNDSEEING – das münsterlandweite Klangkunstfestival Als SOUNDSEEING im Jahr 2009 mit einer ersten Klangkunstausstellung und experimentellen Konzerten im DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst und in Münster startete, war nicht annähernd abzusehen, welche Entwicklung das Vorhaben nehmen würde. Heute, zwölf Jahre später, ist SOUNDSEEING zu einem großen, spartenübergreifenden und kooperativen Klangkunstfestival im Münsterland geworden, das an 13 Veranstaltungsorten mit Ausstellungen, Konzerten und Workshops ein einmaliges, sinnliches Erleben von Klängen ermöglicht. Dabei werden alle nur denkbaren Präsentationsformen von Klangkunst in die Breite des Münsterlandes gebracht und er- reichen so ein großes und bunt gemischtes Publikum. Von Workshops und Mitmachaktionen zum Thema »Klang für Kinder und Familien« über experimentelle Konzerte mit Elektronik oder selbstkonstruierten Instrumenten und Performances bis hin zu großen Ausstellungen mit bedeutenden internationalen Klangkünstlerinnen und -künstlern – die Klangkunst öffnet mit ihren ganz speziellen Möglichkeiten die Ohren, Augen und Herzen der Besucherinnen und Besucher. SOUNDSEEING 2021 startet mit WEAVING von Christina Kubisch. Den spannungsreichen Rahmen der Ausstellung bildet das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Gravenhorst in Hörstel, nahe Ibbenbüren. Die historischen Gemäuer klingen durch aktuelle Klangkunst neu und ungewohnt – eine Reibung, die inspiriert. Unser herzlicher Dank gilt den fördernden Institutionen, den Kunstschaffenden, den Mitveranstalterinnen und -veranstaltern sowie dem ganzen Team für die vertrauensvolle, konstruktive und angenehme Zusammenarbeit. Prof. Stephan Froleyks Antje Valentin Kurator | SOUNDSEEING Direktorin | Landesmusikakademie NRW _4
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 8 Interview | Christina Kubisch und Andrea Jahn Was man hört und was man sieht, passt in deinen Installationen erst einmal nicht zusammen. Welche Absicht steckt hinter diesem Konzept? Das ist eigentlich keine Absicht, sondern eher die Vorstellung, dass das, was wir als zusammenpassend empfinden, nicht auf Tatsachen, sondern auf überlieferten Meinungen und Gewohnheiten beruht. Alles andere würde uns beunruhigen, und wir Menschen mögen so etwas meistens nicht. Mich interessieren unterschiedliche Zugänge des Aufspürens von ver- borgenen Realitäten, die mittels menschlicher Sinne nicht oder nur eingeschränkt wahrnehmbar sind. Wenn also zum Beispiel ein Klang aus einem unbekannten Spektrum auf ein vertrautes visuelles Bild trifft, glaubt man, zwei verschiedenen Welten gegenüberzustehen. Aber wenn man sich darauf einlässt, ergibt sich durchaus eine neue Erfahrung, die den ersten Eindruck des nicht Zusammenpassens aufhebt. Dein Werk befasst sich mit einer Welt, die uns verschlossen bleibt, wenn wir uns nur auf unsere körpereigenen Sinne beziehen. Es ist eine Parallelwelt, die im Zuge der Digitalisierung entstanden ist. Wie bist du auf sie gestoßen und wann ist es dir erstmals gelungen, sie für uns erfahrbar zu machen? Die Suche nach verborgenen Parallelwelten hat es schon immer gegeben, nicht erst seit der Digitalisierung. Nur sind die in diesem neuen Kontext verborgenen Phänomene viel ausgeprägter und einschneidender als jemals zuvor. Als ich Ende der 1970er-Jahre von den Performances zum Bereich der Klanginstallation übergegangen bin, suchte ich nach Möglichkeiten, eine längere Dauer von Klangübertragung möglich zu machen. Das war noch in der analogen Zeit von Tonbändern und »Cloud« | Festival Topographies of Sound | Llubljana 2019 Kassetten. Bei Kursen im Fach Elektrotechnik, die ich nach meinem Diplom an der Musikhochschule Mailand belegte, lernte ich unter anderem auch das Prinzip der elektromagnetischen Induktion kennen und war sofort begeistert davon. Eine Übertragung von elektrischen Feldern durch bewegte Magnetfelder – das war eine für mich ganz neue Entdeckung, die ich dann bald für meine ersten Installationen weiterentwickelt und eingesetzt habe. oben: »On Air« | Installation und Performance im Stadtraum Lagerhalle Scharnhorststraße | Münster 1984 unten: »Remote Relations« | Kunstverein Körsbärsgarden | Gotland 2015 _6 _7
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 10 Kannst du beschreiben, wie dieses Verfahren funktioniert? Der partizipative Aspekt – also die aktive Beteiligung der Besucher – spielt dabei eine ganz wesentliche Rolle. Inwiefern ist diese Interaktivität wichtig für dich und deine Arbeit? Unter Induktion versteht man die Entstehung eines elektrischen Feldes bei einer Änderung des magnetischen Flusses. Das Prinzip der Induktion wurde 1831 von Michael Faraday entdeckt und später maßgeblich von Nikola Tesla weiter- Da ich von der Musik komme, ist mir das »Miteinander« beim Spielen immer selbstverständlich gewesen. Ich habe mich entwickelt. auch viel mit außereuropäischer Musik beschäftigt, wo der Klang zum alltäglichen Leben gehört. Die starre Gegenüber- In meinen Arbeiten werden lange Stromkabel durch Räume gespannt, die, aus einem Verstärker kommend, in diesen stellung von Bühne und Publikum habe ich schon in vielen meiner Performances in den 1970er-Jahren infrage gestellt. zurückgeführt werden, also eine Spule bilden. Die Besucher bekommen einen kabellosen Kopfhörer, in dem sich eine Mich interessiert es, dem Publikum eine individuelle Zeitgestaltung und freie Bewegungsmöglichkeiten in meinen kleine Kupferspule befindet. Strom erzeugt immer auch ein elektromagnetisches Feld, und dieses wird bei den installierten Installationen zu geben. Kabeln durch eingespeiste Klänge, die so erst einmal nicht hörbar sind, in unterschiedlichen Spannungen gebildet. Durch die Spule im Kopfhörer und eine kleine elektronische Schaltung wird dieses Feld dann wieder in Audio zurückgewandelt. Induktion ist also eine Technik, die schon im 19. Jahrhundert entdeckt wurde. Die Dichte und Häufigkeit der heutigen digitalen Kommunikations- systeme hat dazu geführt, dass uns immer mehr magnetische Felder um- geben, wo immer wir uns auch aufhalten. In den 1980er-Jahren konnte ich weltweit noch große induktive Klanginstallationen an den verschiedensten Orten und Gebäuden machen, ohne dabei (ungewollt) Störgeräusche zu empfangen. Das änderte sich dann zunehmend in den 1990er-Jahren, und für einige Zeit habe ich darauf verzichtet, weiterhin mit dem Prinzip der Induktion zu arbeiten. Es gab einfach zu viele Fremdsignale, die sich in meine musikalischen Systeme einschlichen und sie, oft lautstark, unter- wanderten. Erst Anfang 2003, nach einem Test in Tokyo, wo ich einen besonders empfindlichen elektromagnetischen Kopfhörer dabeihatte, habe ich entdeckt, dass diese magnetischen Felder die Grundlage weiterer Arbeiten sein können. So entstand die Serie der »Electrical Walks«, bei denen die Besucher durch den Stadtraum gehen und die magnetischen Felder, die sie umgeben, live hören können. »La Serra« | Stadtgalerie Saarbrücken 2019 »Electrical Walks« | Museum of Modern Art | San Francisco 2017 »Weaving« | Atelier Nord | Oslo 2019 _8 _9
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 12 Für mich steht hinter deinen Konzepten und künstlerischen Lösungen eine radikale Infragestellung klassischer Kategorien wie Autorschaft und Kunstbegriff. Beispielsweise, wenn du das Publikum aufforderst, sich in deiner neuen Arbeit WEAVING selbst so im Raum zu bewegen, dass jede/r für sich eine eigene Komposition entstehen lassen kann. Das beruht weniger auf abstrakten theoretischen Thesen oder einem persönlichen Manifest. Es ist einfach spannend, wenn man, ganz gleich ob in Musik oder Bildender Kunst, eine Erfahrung gemeinsam und trotzdem auch individuell machen kann. Natürlich bin ich erst einmal die Autorin. Aber dann kann die Interpretation des Werkes sehr unterschiedlich ausfallen. Um das möglich zu machen und nicht einfach im Chaos oder in der Belanglosigkeit zu enden, ist aber eine sorgfältige Gestaltung und Vorbereitung notwendig. Also ein gutes Gleichgewicht zwischen System und Zufall. Zu Kunstbegriffen kann ich nichts weiter sagen. Neben dem performativen, kompositorischen Aspekt spielt auch der visuelle Eindruck in deinen Installationen eine ganz entscheidende Rolle. Hier in Gravenhorst wurde aus der Zeichnung im Raum, die in früheren Arbeiten wie »La Serra« das gesamte Raumvolumen ausgefüllt haben, in WEAVING eine konzentriertere Version, mit der du an eine Webmanufaktur erinnerst. Wie ist dieses Werk entstanden? Im Zentrum meiner Beschäftigung mit der Digitalisierung steht grundsätzlich die Frage, wie diese unsere Wahrnehmung von Realität und Gesellschaft beeinflusst. Begriffe wie »cloud«, »mouse«, »net« oder »web« faszinieren mich, weil sie Tonaufnahmen in der ehemaligen Weberei Begriffe sind, die aus einem anderen Kontext kommen (Natur, Tiere, handwerkliche Tätigkeiten) und gerade deswegen in TextilWerk Bocholt 2021 der Digitalsprache so verführerisch wirken. Das Wort »web« führt natürlich auch zur Assoziation des Webens, und ich habe mich daher auch mit dem Begriff des Webens als handwerkliche Tätigkeit beschäftigt. So wie bei der Weberei immer zwei Fadensysteme notwendig sind, damit Gewebe und Muster entstehen können, so ist auch bei Sendern und Empfängern eines magnetischen Feldes ein passendes System notwendig, um eine Botschaft entstehen zu lassen. In den letzten Jahren hatte ich viele neue elektromagnetische Klänge von digitalen Kommunikationssystemen aufgezeich- net, die mir zusammen wie ein großer Webteppich mit ungewohnten Mustern vorkamen. 2019 konnte ich in Oslo beim Ultima Festival eine erste Version von WEAVING realisieren. Durch die Möglichkeit, im TextilWerk Bocholt Tonaufnahmen _10 _11
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 14 von Webstühlen aus dem 19. und 20. Jahr- Seit langer Zeit sammle ich das Wort »Stille« in allen mir zugänglichen Sprachen der Welt. Zu den mehreren Hundert hundert zu machen, habe ich dann eine reale Tonaufnahmen, die ich in den verschiedensten Ländern und Kontinenten gemacht habe, gehören Schriftsprachen ebenso Vorstellung von einer Webereifabrik bekom- wie gesprochene Sprachen und Dialekte. Viele Worte für »Stille« klingen je nach Kulturkreis und Kontinent sehr ähnlich, men und diese in einer ganz neuen Version andere sind vollkommen unterschiedlich, manchmal überraschend lautmalerisch und magisch. »Stille« kann in manchen von WEAVING im Kloster Gravenhorst um- Sprachen mit verschiedenen Worten ausgedrückt werden. Einige Sprachen haben kein Wort für Stille, sondern beschreiben gesetzt. Schon im 19. Jahrhundert wurden dafür den »Ort ohne Klang«. Die Aufnahmen sind nicht in einem schalltoten Raum entstanden, sondern dort, wo die Systeme wie die Lochkartensteuerung für Menschen leben. Die kleinen, feinen Geräusche vom Umfeld des Aufnahmeortes gehören zur Arbeit und zeigen, dass Stille die mechanische Weberei verwendet, eine nie abstrakte Abwesenheit von Klang ist, sondern eine Situation, die das Hören überhaupt erst möglich macht. Vorform computergesteuerter Abläufe von Im Gewölbe vom Kloster Gravenhorst wird das Wort »Stille« in 70 Sprachen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten heute. So treffen in der Klanginstallation gesprochen und wiederholt. Das permanente Rauschen der Stimmen wird nur kurzzeitig durch einen Moment der Stille im Wechsel Klänge von akustischen Web- unterbrochen. stühlen, intensiven Stromfeldern und In einem weiteren Raum hängt eine Gruppe von Sonagrammen aus der Serie »Analyzing Silence«, die einige dieser Ton- digitalen magnetischen Feldern aus dem aufnahmen noch einmal als visuelle Übersetzung zeigen. Sonagramme sind Aufzeichnungen von Lautfolgen, wobei die World Wide Web aufeinander. Abszisse die Zeitachse bildet und die Ordinate die Frequenz angibt. Die Schwärzung steht im Zusammenhang mit der Lautstärke. Neben der Absicht, Phänomene hörbar zu machen, die wir selbst nicht wahrnehmen können, spielt auch die Erfahrung der Stille in deinen Auch deine Installation »Festplatten« dreht sich indirekt um Stille – die Stille nach Arbeiten eine zentrale Rolle. In »Analyzing Silence« hast du sie auch in dem Tod –, denn es sind Fragmente von Grabsteinen, deren besondere Bedeutung du dieser Ausstellung integriert, indem du die Stille sichtbar machst. hier unter UV-Licht sichtbar machst. Welche Rolle spielt das? Gleichzeitig kommt deine Analyse der Stille in einer weiteren Installation »Silent Excercizes« zum Tragen, in der du dem Phänomen in verschie- Seit fast 20 Jahren habe ich auf Friedhofsbesuchen in verschiedenen Ländern Europas denen Sprachen und damit auch in unterschiedlichen Kulturen auf den die zerbrochenen Teile von Grabsteinplatten gesammelt, die meist auf den »Steinecken« Grund gehst. Wie bist du darauf gestoßen, dass etwas so Grundsätzliches von Friedhöfen zwischengelagert werden, bevor man sie zu Straßensplitt verarbeitet. wie die Erfahrung von Stille gar nicht überall auf der Welt erfahrbar ist, Die Fragmente stammen aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Polen, und dass es in manchen Ländern viele verschiedene und in anderen gar Rumänien etc. und aus ganz verschiedenen Zeiträumen. keine Begriffe dafür gibt? _12 _13
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 16 Klangraum DA Inschriften, wie »Unvergessen« findet man heute nur noch selten auf Grabsteinen. Meist sind es nur noch die Namen und I III Lebensdaten und manchmal die Berufsbezeichnung. Die Inschriften werden in letzter Zeit zunehmend knapper, es gibt immer mehr anonyme Bestattungen oder Stelengräber, das persönliche Grab verliert an Wertschätzung. Das hat viele, 1600 Meter Kupfer schwarze Klangtafeln im Hochformat auf weißgekälkter Wand auch finanzielle Gründe, liegt aber auch daran, dass Daten heute eher in digitale Festplatten als in Stein geschrieben bilden Klangwolken aus Stille, dazwischen Stille werden. Webstuhl, Labyrinth und Irrgarten Die Fundstücke sind hingegen aus schwerem Material, unzeitgemäß und sperrig. Die Inschriften in den Steinfragmenten schwarz und weiß wurden mit einem speziellen weiß fluoreszierenden Pigment in mehreren Schichten überzogen, das nur bei UV-Licht zu sehen ist. Eine Archivlampe mit UV-Röhren scheint auf dieses Steinfeld und bringt die Buchstaben zum Leuchten. Die Irrgarten, Labyrinth, Webstuhl aus und an Worte, Zahlen und Zeichen, die in der Schriftart je nach Herkunft und Alter sehr unterschiedlich sind, ergeben keinen und Ariadnefaden zusammenhängenden Sinn. Sie wirken wie eine unbekannte Sprache, die man nicht mehr verstehen kann, wie eine Art sind eins Geheimschrift. Das UV-Licht hat eine ähnliche Funktion wie die elektromagnetischen Kopfhörer: Es macht normalerweise nicht Wahrnehmbares sichtbar und stellt es in einen anderen Kontext. leiten und geleitet werden Eine persönliche Frage zum Schluss: Klangkunst ist eine verhältnismäßig junge Kunstform, die erst in den 1980er-Jahren maßgeblich in Erscheinung getreten ist. Du hast sie als Professorin an der HBK Saar in Saarbrücken in einem eigenen II IV Studiengang gelehrt und weiterentwickelt. Inzwischen gehörst du zu den renommiertesten Klangkünstlerinnen, deren Werke weltweit gezeigt und gesammelt werden. Würdest du sagen, dass sich Klangkunst inzwischen als künstlerisches mein liebe / n in Gott zwanzig Stufen von Grau Medium durchgesetzt hat? unser gut / und unser zwanzig Rhythmen aus Grau Der Wohltäte zwanzig Stillen im Querformat Als Klangkunst wird heute vieles bezeichnet. Im Grunde geht es vor allem um die Aufhebung der Grenzen dessen, was normalerweise noch immer getrennt ist: Musik und Bildende Kunst, der Konzertsaal und das Museum, die Partitur und die Stücke schwerer Platten Leinwand. Aber in der heutigen medialen Landschaft ist Klangkunst ein Teil fast jeden Festivals, und viele Ausstellungen haben sich damit thematisch beschäftigt. Die Stadtgalerie Saarbrücken, die seit über 30 Jahren und auch heute weiterhin in durchleuchteter Dunkelheit Klangkunstausstellungen macht, ist ein prominentes Beispiel dafür. Was die Präsenz in den Sammlungen von Museen und auf Resten von historischem Grund Stephan Froleyks kulturellen Institutionen angeht, so ist allerdings noch eine Menge Luft nach oben. weißes Pigment Dr. Andrea Jahn | Kunsthistorikerin | Kunst- und Kulturwissenschaftliche Vorständin der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz ruhe in Direktorin des Saarlandmuseums Saarbrücken Stille _14 _15
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 18 WEAVING 2019/2021 16-kanalige Klanginstallation 1600 Meter Kupferkabel, 16 Holzstrukturen, 16-kanalige Komposition, Audiotechnik, Induktionskopfhörer Die Intensität der Klänge ändert sich je nach Position und Bewegung der Hörenden in der Installation. In den »Webstühlen« wechseln sich die Klänge von industriellen Webstühlen, magnetischen Wellen dichter Stromquellen wie Transformatoren und Umspannwerke sowie die elektromagnetischen Felder digitaler Kommunikations- einrichtungen und Datenübertragungen ab. Die Klänge der Webstühle wurden im TextilWerk Bocholt aufgenommen. _17
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 20 WEAVING _19
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 22 WEAVING _20 _21
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 24 FESTPLATTEN 2006/2007 Grabsteinfragmente, UV-Licht, fluoreszierendes Pigment Die fragmentarischen Inschriften der Grabsteine sind nur im Licht einer Archivlampe lesbar. Normalerweise werden diese Steinabfälle zu Straßensplitt verarbeitet. _23
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 26 Silent Exercizes Version für Gravenhorst 2021 20 schwarze Flachlautsprecher, 20-kanalige Komposition, Audiotechnik In 70 Sprachen, aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, wird das Wort »Stille« gesprochen und wiederholt. Das permanente Rauschen der Stimmen wird nur kurzzeitig durch einen Moment der Stille unterbrochen. _24
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 28 _26 _27
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 30 Analyzing Silence Work in Progress Fine Art Print auf Hahnemühle PhotoRag Ultrasmooth 20 Unikatdrucke | 25 x 60 cm Das Wort »Stille« wird in verschiedenen Sprachen als Sonagramm analysiert und als schwarz-weiße Grafik visualisiert. Sonagramme sind Aufzeichnungen von Lautfolgen, wobei die Abszisse die Zeitachse bildet und die Ordinate die Frequenz angibt. Die Schwärzung steht im Zusammenhang mit der Lautstärke. Stille erscheint als ein visuelles Puzzle aus verschie- densten grafischen Verläufen, die die Komplexität unserer geschriebenen und gesprochenen Sprachen sichtbar macht. _28 _29
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 32 Vita | Christina Kubisch Ausstellungen | Christina Kubisch Christina Kubisch, geboren 1948 in Bremen. Studium der Malerei, Musik und Elektronik in Einzelausstellungen in Museen und Galerien in Europa, Asien, Australien, Nord- und Südamerika. Teilnahme an zahl- Hamburg, Graz, Zürich und Mailand. Auf Performances und Videoarbeiten in den 1970er- reichen internationalen Festivals und Gruppenausstellungen, u. a. Pro Musica Nova, Bremen 1976 und 1980 | Für Augen Jahren folgen seit Beginn der 1980er-Jahre raumbezogene Klanginstallationen, Licht- und Ohren, Berlin 1980 | Biennale von Venedig 1980 und 1982 | documenta 8, Kassel 1987 | Ars Electronica, Linz 1987 räume und Arbeiten im öffentlichen Raum. Zahlreiche elektro-akustische Kompositionen Steirischer Herbst, Graz 1987 | Biennale of Sydney 1990 | Donaueschinger Musiktage 1993 und 1997 | Sonambiente, Berlin und Radioproduktionen. Seit 2003 erneut Live-Auftritte. 1996 und 2006 | Klangkunstforum Berlin 1999 | Sonic Boom, London 2000 | Visual Sound, Pittsburgh 2001 | singuhr-hoer- galerie, Berlin 2002 | Activating the Medium, San Francisco 2003 | sounding spaces, Tokyo 2003 | Resonanzen, ZKM, Karls- Nationale und internationale Stipendien, Residencies und Auszeichnungen, u. a. Preis- ruhe 2005 | Her Noise, London 2005 | B!AS International Sound Art Exhibition, Taipei 2005 | Stockholm New Music 2006 trägerin des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e. V. 1988; Arbeitsstipendium Invisible Geographies, New York 2006 | Huddersfield Contemporary Music Festival 2007 | Soni(c)loud, Mexico City 2008 der Stiftung Kunstfonds 1990; Arbeitsstipendium der Senatsverwaltung Berlin 1995; Carl Ars Electronica, Linz, 2010 | RUHR2010, Kulturhauptstadtprojekt 2010 | Triennale Douala, Kamerun 2010 | gateways, Art Djerassi Honorary Fellowship, USA 2000; Ehrenpreis des Deutschen Klangkunst-Preises and Networked Culture, Tallinn, 2011 | Sound Art. Klang als Medium der Kunst, ZKM Karlsruhe 2012 | Rheinklänge, bonn- 2008; SR-Medienkunstpreis 2009; Stadtklangkünstlerin Bonn, Beethovenstiftung 2013; hoeren, Beethovenstiftung Bonn, 2013 | festival NOW, Essen 2014 | blurred edges festival, Hamburg, 2015 | Free Sound Karl-Sczuka-Preis des SWR (mit Peter Kutin und Florian Kindlinger) 2016. The Future Lab, Osaka 2016 | Sound Tracks, Museum of Modern Art San Francisco 2017 | documenta Athen 2017 | UNArt Shanghai 2018 | Sonic Acts Amsterdam 2019 | Electrical Moods, Stadtgalerie Saarbrücken 2019 | Échos magnétiques, Seit 1975 Veröffentlichungen von Schallplatten, Kassetten und CD u. a. bei: Auf dem Nil, Musée des Beaux-Arts de Rennes, 2019 | Time:Spans, New York 2019 | Ultima Festival Oslo, 2019 | Wittener Tage für Cramps Records, Edition RZ, ampersand, semishigure, Die Schachtel, Olof Bright, Neue Kammermusik 2020 | Ars Electronica Linz 2020 | Steirischer Herbst Graz 2020 Important Records, gruenrekorder, tochnit aleph, fragment factory. Gastprofessuren in Maastricht, Paris, Berlin und Oxford. Von 1994 bis 2013 Professorin für Audiovisuelle Kunst an der Hochschule der Bildenden Künste Saar, Gründung des Fachbereiches Audiovisuelle Kunst. Seit 1997 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin. www.christinakubisch.de _30 _31
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:22 Seite 34 Impressum Publiziert im Rahmen von: SOUNDSEEING – das münsterlandweite Klangkunstfestival März – September 2021 Träger und Herausgeber: Landesmusikakademie NRW e. V. Steinweg 2 | D-48619 Heek-Nienborg Kurator: Stephan Froleyks Ausstellung im DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst: Technische Vorbereitung und Realisation der Installation WEAVING: Burkhard Greiwe und Michael Schleithoff Klangbearbeitung und Editing, Tontechnik, Tonaufnahmen in Bocholt: Eckehard Güther Aufbauassistenz: Katharina Lehmann und Kirsten Mühlbach Dank an das LWL-Industriemuseum TextilWerk Bocholt für die Ermöglichung und Unterstützung der Tonaufnahmen. Katalog: Fotos: Andreas Lechtape (S. 2, 5, 15, 16, 18 li., 19, 20, 21, 22, 23, 25, 26, 27 li., 28, 29, 30) Eckehard Güther (Titel, S. 11, 18 re., Rückseite), Sabine Herke (S. 17, 21 re. un., 27 re.), Christina Kubisch (U 2, S. 6 ob. u. un., 8, 11 un., 12, 13, 31, U 3), Rahne Ursa (S. 6 li.), Katherine du Thiel (S. 9 li.), Istvan Vandor (S. 9 re.) Texte: Andrea Jahn, Christina Kubisch, Stephan Froleyks Lektorat: Birgit Gropp | Projektbüro Kunst und Buch Graphik Design: Sabine Herke | herkewerke Druck: Wentker Druck | Auflage: 500 ISBN 978-3-00-068680-1 @ 2021 Träger: Gefördert durch: Ausstellungsort WEAVING: Kultur- und Medienpartner: Virtueller Rundgang durch die Klangkunstausstellung WEAVING im DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst > _32
Katalog_WEAVING.qxp_Freigabe 05.04.21 11:23 Seite 36 Mehr sehen und hören? ISBN 978-3-00-068680-1
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