WEITERENTWICKLUNG DES VERBRAUCHERSCHUTZES DURCH DIE NEUE EU-VERBANDSKLAGEN-RICHTLINIE - JKU ePUB

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Eingereicht von
                                        Michael Weiser

                                        Angefertigt am
                                        Institut für Europarecht

                                        Beurteiler
                                        Univ.-Prof. Dr. Franz
                                        Leidenmühler

                                        Juli 2021
WEITERENTWICKLUNG DES
VERBRAUCHERSCHUTZES
DURCH DIE NEUE
EU-VERBANDSKLAGEN-
RICHTLINIE

Diplomarbeit
zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Rechtswissenschaften
im Diplomstudium

Rechtswissenschaften

                                        JOHANNES KEPLER
                                        UNIVERSITÄT LINZ
                                        Altenberger Straße 69
                                        4040 Linz, Österreich
                                        jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG
Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich
oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Pixendorf, 27.07.2021

                                                                                                 2
Inhaltsverzeichnis

I.    Ziel der Arbeit ....................................................................................................................... 4

II.   Kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht ...................................................................... 5

      A.    Grundlagen ................................................................................................................... 5

      B.    Bisherige Entwicklung im Unionsrecht ........................................................................... 6

      C.    Bestehende Rechtslage in Österreich............................................................................ 9

            1.     Verbandsklagen ...................................................................................................... 9

            2.     Verbandsmusterklagen ......................................................................................... 11

            3.     Sammelklagen nach österreichischem Recht ........................................................ 12

      D.    Umsetzung in anderen Rechtsordnungen.................................................................... 16

            1.     Europa .................................................................................................................. 16

            2.     USA ...................................................................................................................... 20

III. Die neue EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen.................................................... 22

      A.    Entstehung und Ziele................................................................................................... 22

      B.    Anwendungsbereich .................................................................................................... 25

      C.    Klagebefugnis.............................................................................................................. 26

      D.    Klagearten ................................................................................................................... 27

            1.     Unterlassungsklagen............................................................................................. 28

            2.     Abhilfeklagen ........................................................................................................ 29

      E.    Offenlegung von Beweismitteln ................................................................................... 31

      F.    Information der Verbraucher ........................................................................................ 31

      G. Grenzüberschreitende Verbandsklagen....................................................................... 33

      H.    Finanzierung................................................................................................................ 34

IV. Mögliche Umsetzung in die österreichische Rechtsordnung ............................................... 36

      A.    Opt-in-/Opt-out-Modell ................................................................................................. 36

      B.    Gestaltung einer Verbandsklage auf Leistung ............................................................. 38

      C.    Kollektivvergleiche ....................................................................................................... 43

V.    Fazit und Ausblick............................................................................................................... 44

VI. Literaturverzeichnis............................................................................................................. 45

                                                                                                                                              3
I. Ziel der Arbeit

„The right to redress“ wurde schon im Jahr 1962 von Präsident John F. Kennedy als eines der
wesentlichen Verbraucherrechte genannt. In der Rechtswissenschaft und der Praxis ist die
Verbesserung der Rechtsdurchsetzung seit damals ein Dauerthema.1

Wenn eine effektive Rechtsdurchsetzung nicht möglich ist, sind auch die umfangreichsten
Verbraucherschutzbestimmungen wirkungslos. Der VW-Abgasskandal hat die Schwächen der
derzeitigen Rechtslage besonders deutlich gemacht.2

Im Rahmen dieser Arbeit werden die Möglichkeiten zur Verbesserung der kollektiven
Rechtsdurchsetzung im Verbraucherrecht durch die neue EU-Verbandsklagenrichtlinie3
untersucht. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Beteiligung der Verbraucher am Verfahren, die
Gestaltung einer Klage auf Leistung sowie die Regelung von Kollektivvergleichen gelegt. Diese
Bereiche wurden ausgewählt, da sich dort die wesentlichsten Verbesserungen ergeben können.

Nach einer Beschreibung der zentralen Problemstellungen im kollektiven Rechtsschutz und der
bisherigen Entwicklungen auf Ebene der EU sowie in Österreich werden kollektive
Rechtsschutzinstrumente aus anderen Rechtsordnungen dargestellt. Damit soll gezeigt werden,
welche Arten der Verfahrensgestaltung geeignet sind, um das Ziel eines verbesserten
Rechtsschutzes zu erreichen. Anschließend werden die Regelungen der Richtlinie untersucht und
Spielräume für die Mitgliedsstaaten dargestellt. Auf dieser Grundlage werden abschließend
Möglichkeiten für die Umsetzung der Richtlinie in Österreich vorgeschlagen.

1
  Vgl. Augenhofer, Die neue Verbandsklagen-Richtlinie - effektiver Verbraucherschutz durch Zivilprozessrecht? NJW 2021, 113 (113).
2
  Vgl. Augenhofer, (K)Einer für alle – Gedanken zur deutschen Musterfeststellungsklage, zur Sammelklage österreichischer Prägung und zur
Verbandsklage 2.0, in Zinner/Reiffenstein (Hrsg), Hindernisse bei der kollektiven Verbraucherrechtsdurchsetzung (2019) 61 (61f).
3
   Richtlinie 2020/1828/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der
Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, ABl 2020 L 409, 1.
                                                                                                                                       4
II. Kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht

A. Grundlagen

Die Entwicklung des Verbraucherrechts ist eng verbunden mit der Entstehung und dem Fortschritt
der Massenproduktion. Die schwächere wirtschaftliche Position und das Informationsdefizit
gegenüber Unternehmern machen Verbraucher schutzbedürftig. Ziel des Verbraucherrechts als
Verbraucherschutzrecht ist, einen Interessenausgleich zu schaffen.4

Auf nationaler Ebene ist eine Definition des Verbraucherbegriffes im KSchG5 zu finden. Gehört
ein Rechtsgeschäft nicht zum Betrieb des Unternehmens einer Person, so wird diese Person
gemäß § 1 Abs 1 Z 2 KSchG als Verbraucher bezeichnet. In verschiedenen EU-Richtlinien ist der
Verbraucherbegriff inhaltlich ähnlich definiert und wurde durch die Rechtsprechung des EuGH im
Laufe der Zeit immer stärker konkretisiert.6 Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens war
zu beurteilen, ob auch eine juristische Person als Verbraucher nach der Klausel-Richtlinie7
eingestuft werden kann. Der EuGH hat dazu festgestellt, dass nur natürliche Personen
Verbraucher im Sinne der Richtlinie sein können.8

Jeder Verbraucher hat grundsätzlich die Möglichkeit, seine Interessen auf dem Rechtsweg über
eine Individualklage durchzusetzen. In vielen Fällen wird davon allerdings kein Gebrauch
gemacht, was sich einerseits auf Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten, andererseits auf
wirtschaftliche Überlegungen zurückführen lässt.9

Sind mehrere Verbraucher geschädigt, so lassen sich die Schäden in Massenschäden und
Streuschäden kategorisieren. Die EU-Kommission hat in ihrer Empfehlung zum kollektiven
Rechtsschutz aus dem Jahr 2013 den Begriff des Massenschadensereignisses definiert. Ein
Massenschadensereignis liegt vor, wenn mehr als eine natürliche oder juristische Person durch
eine oder mehrere ähnliche rechtswidrige Handlungen geschädigt wurde.10

Streuschäden sind eine Sonderform der Massenschäden und durch sehr geringe Schadenshöhen
charakterisiert. Verbraucher könnten zwar den Rechtsweg beschreiten, tun dies aber aufgrund
einer Kosten-Nutzen-Abwägung nicht.11

4
  Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 (2008) 9f.
5
  Konsumentenschutzgesetz BGBl I 1979/140.
6
  Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 34.
7
  Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl 1993 L 95, 29.
8
  Vgl. EuGH 22.11.2001 verb Rs C-541/99 und C-542/99, Cape Snc/Idealservice Srl und Idealservice MN RE Sas/OMAI Srl, ECLI:EU:C:2001:625 (Rz
17).
9
  Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 7 (20).
10
    Vgl. Empfehlung 2013/396/EU der Kommission vom 11. Juni 2013 Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und
Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl 2013 L 201, 60.
11
   Vgl. Schwamberger/Klever, Sammelklage europäischer Prägung? wbl 2019, 12 (15).
                                                                                                                                          5
Unternehmen ist dieser Umstand nicht nur bewusst, sie nutzen ihn gezielt aus, um ihren Gewinn
auf Kosten der Verbraucher zu steigern.12 Um dieser Entwicklung entgegensteuern zu können,
werden kollektive Rechtsschutzinstrumente benötigt, die es ermöglichen, unzulässige
Geschäftspraktiken zu untersagen und den erzielten Unrechtsgewinn der Unternehmen
abzuschöpfen.

Aus Sicht der Verbraucher trägt die Möglichkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung entscheidend
zur Wahrung ihrer Interessen bei. Vor allem Verbraucherschutzeinrichtungen sollen dadurch
primär gesetz- oder sittenwidrige AGB und bestimmte Wettbewerbsverstöße bekämpfen können.
Schauer spricht in diesem Zusammenhang von einer „marktpolizeilichen“ Aufgabe der
Verbraucherschutzeinrichtungen.13

B. Bisherige Entwicklung im Unionsrecht

Auf europäischer Ebene wurde das Thema Verbraucherschutz erstmals in den 1970er-Jahren
aufgegriffen. Gegen Ende der 80er-Jahre wurden Regelungen zum Verbraucherschutz durch die
Schaffung von Kompetenzgrundlagen im Primärrecht verankert. Bei der Erlassung von
Rechtsakten soll seitdem ein hohes Schutzniveau berücksichtigt sowie das Subsidiaritäts- und
Verhältnismäßigkeitsprinzip eingehalten werden. Als Rechtssatzform kommt vor allem die
Richtlinie zur Anwendung, um eine Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedsstaaten
zu erreichen.14

Wie schon anhand des Verbraucherbegriffs beispielhaft dargestellt wurde, hatte auch der EuGH
mit     seiner        Rechtsprechung               einen        maßgeblichen              Einfluss         auf     die      Entwicklung            des
Verbraucherschutzrechtes. Als Beispiel lässt sich bereits das Urteil zur Rechtssache Cassis de
Dijon aus dem Jahr 197915 heranziehen. Im Urteil hat der EuGH ausgesprochen, dass bei
Eingriffen in die Warenverkehrsfreiheit eine Rechtfertigung durch nationale Maßnahmen des
Verbraucherschutzes möglich ist.16

Im Primärrecht sind Regelungen zum Verbraucherschutz im AEUV17 zu finden. In Art 4 Abs 2 lit f
AEUV ist der Verbraucherschutz als geteilte Zuständigkeit zwischen der Union und den
Mitgliedsstaaten definiert.

12
   Vgl. Kletečka, Effektivitätsdefizite und dysfunktionale Verhaltenssteuerung im Privatrecht - Kann das Schadenersatzrecht hier etwas leisten? JBl 2018,
497 (498).
13
   Vgl. Schauer, Grundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 1 (4).
14
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 10-12.
15
   Vgl. EuGH 20.02.1979 Rs 120/78, Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, ECLI:EU:C:1979:42.
16
   Vgl. Lentner/Ratka, Entwicklungslinien der Europäisierung des Verbraucherschutzrechts und Konsumentenbegriffs, in Jost/Ratka (Hrsg), Ausgewählte
Praxisfragen des neuen Verbraucherrechts (2016) 51 (57).
17
   Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, BGBl III 1999/86.
                                                                                                                                                        6
Erlässt die Union Rechtsakte, so tritt für die Mitgliedsstaaten in den betroffenen Bereichen eine
Sperrwirkung hinsichtlich der nationalen Gesetzgebung ein.18

Verbraucherschutz stellt wie Umwelt- und Gesundheitsschutz eine Querschnittsmaterie dar. Die
Querschnittsklausel des Art 12 AEUV ist als Optimierungsgebot an alle Organe der EU gerichtet.
In    allen      Politikbereichen            sowie        bei     allen       Maßnahmen               soll    dadurch         ein     hohes
Verbraucherschutzniveau berücksichtigt werden.19

Art 169 AEUV ermöglicht der Union, Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels zu setzen. Diese
Maßnahmen können entweder nach Art 169 Abs 2 lit a AEUV auf die Binnenmarktkompetenz des
Art      114         AEUV          gestützt         werden          oder        unabhängig             davon          als      allgemeine
verbraucherschutzrechtliche                  Regelungen            festgelegt          werden.        Als    Maßnahmen              kommen
insbesondere             Verordnungen              und       Richtlinien          in     Betracht,           die     im      ordentlichen
                                                                                                 20
Gesetzgebungsverfahren gemäß Art 294 AEUV zu erlassen sind.

Um eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften zum kollektiven Rechtsschutz in den
Mitgliedstaaten zu erreichen, werden überwiegend Richtlinien gemäß Art 288 AEUV erlassen.
Diese sollen nur ein grundlegendes Schutzniveau bieten, welches als Mindeststandard
einzuhalten ist. Die Mitgliedstaaten können allerdings auch strengere Regelungen festlegen.21
Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten im nationalen Recht umzusetzen, wobei eine Wahlfreiheit
hinsichtlich der Form und Mittel der Umsetzung besteht. Nur die Ziele der Richtlinie sind
verbindlich.22

Durch          die        Unterlassungsklagen-Richtlinie                       199823          wurde           ein        Katalog           an
Verbraucherschutzbestimmungen definiert. Bei Verstößen gegen diese Bestimmungen, welche
die kollektiven Interessen berühren, sollten Unterlassungsklagen ermöglicht werden. Damit wurde
der Anwendungsbereich der bis dahin in Österreich bestehenden Verbandsklage entsprechend
erweitert. Ist ein berechtigtes Interesse am kollektiven Rechtsschutz gegeben, sollten die
jeweiligen Organisationen und öffentlichen Stellen der Mitgliedsstaaten die gesetzliche
Klagebefugnis für Unterlassungsklagen erhalten. Es wurden auch Vorgaben für die gerichtliche
Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Verstößen gemacht. Ziel der Umsetzung der Richtlinie
war, einen Mindeststandard an kollektivem Rechtsschutz in den Mitgliedsstaaten zu erreichen.24

18
   Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba 7.
19
   Vgl. Lurger in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 12 AEUV Rz 1-4.
20
   Vgl. Lurger in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 169 AEUV Rz 29.
21
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 45f.
22
   Vgl. Schroeder in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 288 AEUV Rz 53.
23
   Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen,
ABl 1998 L 166, 51.
24
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 250f.
                                                                                                                                               7
Im      Jahr       2008       wurde        von       der      Kommission            das         Grünbuch        über       kollektive
                                                                     25
Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher                              vorgelegt. Ziel dieses Grünbuchs war, den
Status       quo      zu      kollektiven        Rechtsschutzinstrumenten                  in     der     EU       zu     bewerten,
Verbesserungsmöglichkeiten                  darzulegen         und        Stellungnahmen          der     Mitgliedstaaten,          der
Verbraucherverbände und anderer Interessenvertretungen einzuholen.26 Es wurde aufgezeigt,
dass viele Verbraucher bei Streitwerten unter 1.000 EUR aus wirtschaftlichen Gründen und wegen
der langen Verfahrensdauer von der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen mittels
Individualklagen absehen. Entschädigungsleistungen waren zu diesem Zeitpunkt auch im EU-
Recht beim kollektiven Rechtsschutz nicht vorgesehen.27

Ein Jahr später wurde die Unterlassungsklagen-Richtlinie 2009 erlassen. Die bestehende
Unterlassungsklagen-Richtlinie aus dem Jahr 1998 wurde durch andere Richtlinien mehrfach
geändert, was zur Unübersichtlichkeit der Rechtsvorschriften im EU-Recht geführt hatte. Durch
die neue Richtlinie wurde eine kodifizierte Fassung geschaffen und die bestehende Richtlinie
aufgehoben.28 Die Umsetzung erfolgte in Österreich hauptsächlich im UWG29 sowie in den §§ 28ff
KSchG.30

Durch die Kommissionsempfehlung aus dem Jahr 201331 sollte der Zugang zum Rechtsschutz bei
Verstößen gegen Verbraucherschutzbestimmungen des Unionsrechts erleichtert werden.
Empfehlungen sind als unverbindliche Handlungsformen allerdings weder durchsetzbar noch
unmittelbar anwendbar. Sie dienen aber als Unterstützung bei der Auslegung unionsrechtlicher
Vorschriften durch nationale Gerichte. Für die Organe der EU                                                entfalten sie eine
Selbstbindungswirkung. Die Organe sollen nicht entgegen ihren eigenen Empfehlungen oder
Stellungnahmen Maßnahmen erlassen.32 In den Erwägungsgründen der Empfehlung wurde
festgehalten, dass durch die bestehenden Kollektivverfahren auf Unterlassung keine Möglichkeit
besteht, Schadenersatz zu erhalten und die Verfahrensvorschriften in den Mitgliedstaaten stark
voneinander abweichen.33

25
   Grünbuch der Europäischen Kommission vom 27. November 2008 über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM(2008) 794
endgültig.
26
   Vgl. Meller-Hannich/Höland, Die Europäische Sammelklage, GPR 2011, 168-176 (169).
27
   Vgl. KOM(2008) 794 endg, 4f.
28
    Vgl. Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der
Verbraucherinteressen, ABl 2009 L 110, 30.
29
   Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb BGBl I 1984/448.
30
   Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba 7 (20).
31
   Vgl. schon oben II. A. 5.
32
   Vgl. Schroeder in Streinz3 Art 288 AEUV, Rz 128.
33
   Vgl. ErwGr 10 bis 12 Empfehlung 2013/396/EU, ABl 2013 L 201, 60.
                                                                                                                                        8
C. Bestehende Rechtslage in Österreich

1. Verbandsklagen

Viele Verbraucher setzen ihre Rechte mittels Individualklage nicht durch. Da sich ein effektiver
Verbraucherschutz daher nicht erreichen lässt, wurde im KSchG bereits zum Zeitpunkt des
Inkrafttretens im Jahr 1979 die Verbandsklage eingeführt. Diese ist im zweiten Hauptstück in den
§§ 28-30 geregelt und ermöglicht es den in § 29 Absatz 1 genannten Verbänden, Unternehmer
wegen rechtswidriger Geschäftspraktiken auf Unterlassung zu klagen. Zu Beginn war die
Verbandsklage nur auf die Verletzung von Rechtsvorschriften des KSchG beschränkt, der
Anwendungsbereich wurde im Zuge der Umsetzung der Unterlassungsklagen-Richtlinie 1998
durch Einführung des § 28a KSchG auf zusätzliche Verbraucherschutzbestimmungen erweitert.
§ 29 KSchG wurde um einen Absatz 2 erweitert, um Verbandsklagen in Österreich auch für
ausländische Organisationen und öffentliche Stellen zu ermöglichen.34 Die Aufzählung der
Verbände in § 29 KSchG ist abschließend. Unter Verband sind bestimmte Kammern, öffentliche
Stellen und mit öffentlichen Geldern finanzierte Vereine zu verstehen.35

Die Verbandsklage kann auf mehrere Tatbestände gestützt werden. Nach § 28 Abs 1 KSchG ist
diese möglich, wenn gesetz- oder sittenwidrige Klauseln im geschäftlichen Verkehr verwendet
werden. Der Unterlassungsanspruch kann unabhängig von einem Verschulden geltend gemacht
werden. Auch die Empfehlung oder die bloße Gefahr der Verwendung solcher Klauseln reicht
bereits. Wird ein außergerichtliches Abmahnverfahren nach § 28 Abs 2 KSchG durch einen
Verband          durchgeführt            und       gibt      der       betroffene         Unternehmer                 eine   vollständige
Unterlassungserklärung ab, die mit angemessener Konventionalstrafe bewehrt ist, so kann er
damit ein Verbandsklageverfahren verhindern. Eine Unterlassungsklage ist allerdings auch ohne
vorgelagerte Abmahnung unmittelbar möglich.36 Als Hilfsmittel zur Kontrolle sowie zur
Nachkontrolle nach Beendigung eines Verfahrens dient den Verbänden die Bestimmung des § 28
Abs 3 KSchG. Damit sollen AGB und Vertragsformblätter auf Verlangen an die Verbände
ausgefolgt werden.37

Nach § 28a KSchG kann auch bei Verstößen gegen andere gesetzliche Bestimmungen auf
Unterlassung geklagt werden. Es sind nur bestimmte Regelungen, die EU-Richtlinien zum
Verbraucherschutz umsetzen von Relevanz und es müssen durch die Verstöße eine Vielzahl von
Rechtsverhältnissen mit Verbrauchern betroffen sein. Als zusätzliche Voraussetzung müssen die
allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sein. Ein Abmahnverfahren kann
auch in diesen Fällen vorgeschaltet werden.

34
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 249f.
35
   Vgl. Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, KBB - Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 29 KSchG Rz 1.
36
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 251f.
37
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 253f.
                                                                                                                                        9
Nach § 14 UWG kann ebenfalls auf Unterlassung geklagt werden, sofern Verstöße gegen
Vorschriften des UWG vorliegen. Sowohl Mitbewerber als auch Verbände sind dazu
aktivlegitimiert. Eine allgemeine Voraussetzung ist das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, da
die Verbandsklage auf Unterlassung gerichtet ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn weitere
Störungen ernsthaft zu erwarten sind. Die Beweislast für den Wegfall liegt beim Beklagten.38 Eine
einmalige Störung reicht nach der Rsp bereits aus. Wurde eine Unterlassungserklärung mit
vollständiger Unterwerfung abgegeben, so kann damit die Wiederholungsgefahr beseitigt
werden.39

§ 30 Abs 1 KSchG ordnet an, dass einzelne Bestimmungen des UWG auch bei Verbandsklagen
nach KSchG anwendbar sind. Somit können einstweilige Verfügungen zur Anspruchssicherung
sowie die Veröffentlichung des Urteils beantragt werden. Durch die Veröffentlichung soll eine
Aufklärung der Öffentlichkeit über die rechtswidrigen Geschäftspraktiken erreicht werden.40

Durch die Verbandsklage kann auf wirksame Weise eine präventive Marktkontrolle erfolgen.
Verbände können unmittelbar auf Grundlage eines eigenen Anspruchs und im öffentlichen
Interesse auf Unterlassung hinsichtlich AGB und bestimmter unzulässiger Geschäftspraktiken
klagen. Parallel dazu kann auch auf Unterlassung und Beseitigung nach den Regeln des UWG
geklagt werden. Mandate von Verbrauchern sind dafür nicht erforderlich.41 Ein Blick auf die
aktuelle Rechtsprechung des OGH zeigt die Effektivität von Verbandsklagen. In einem Verfahren
des VKI gegen die Erste Bank konnten 14 Klauseln in AGB für unzulässig erklärt werden.42

Das Urteil erstreckt sich auf alle betroffenen Verträge oder Rechtshandlungen. Eine Vielzahl von
Verbrauchern profitiert somit von den Urteilswirkungen, ohne selbst klagen zu müssen. Durch die
Möglichkeit der Urteilsveröffentlichung lässt sich auch eine generalpräventive Wirkung erzielen,
da andere Unternehmen dadurch von entsprechenden Handlungen abgehalten werden.43

Nachteilig ist, dass die Regelungen des KSchG keinen Folgenbeseitigungsanspruch vorsehen.
Lediglich im Falle der Verwendung unzulässiger AGB ist es möglich, sofern damit eine unlautere
Handlung iSd UWG vorliegt, auf diesem Weg Beseitigungsmaßnahmen zu erreichen. Diese sind
allerdings eingeschränkt, da der Beklagte ein Wahlrecht hinsichtlich der Ausgestaltung der
Maßnahmen hat.44

38
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 254 ff.
39
   Vgl. Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, KBB - Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 28 KSchG Rz 4.
40
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 257.
41
   Vgl. Leupold, Kollektiver Rechtsschutz: Österreich und Deutschland im Vergleich, ecolex 2019, 564 (564).
42
   Vgl. OGH 25. 3. 2021, 8 Ob 106/20a.
43
   Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 250.
44
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (564).
                                                                                                                      10
In § 28a KSchG ist die Liste der Geschäftspraktiken taxativ aufgezählt und es fehlen bestimmte
Regelungsbereiche. Um auch gegen Handlungen in diesen Bereichen mit der Verbandsklage
gemäß § 28 KSchG vorgehen zu können, muss immer ein Umweg über unzulässige AGB-
Klauseln gefunden werden. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass der vom Unternehmer
erzielte Unrechtsgewinn nur im engen Anwendungsbereich des Telekommunikationsgesetzes
abgeschöpft werden kann und nicht mit Hilfe der Verbandsklage. Ganz erheblich nachteilig für die
betroffenen Verbraucher ist, dass mit Einbringung der Klage durch einen Verband die Verjährung
der Ansprüche nicht gehemmt wird. Gerade aus diesem Grund unterstützt die Verbandsklage
nicht den einzelnen Verbraucher bei der Durchsetzung seines Anspruchs und ist daher als
Instrument des kollektiven Rechtsschutzes nicht ausreichend.45

2. Verbandsmusterklagen

Den Verbänden können auch Ansprüche von Verbrauchern zur Durchsetzung abgetreten werden,
um sogenannte „Musterprozesse“ zu führen. Die Regelung des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO46 hebt
Rechtsmittelbeschränkungen für Verbände auf. Trotz Unterschreitung der Wertgrenze kann das
Rechtsmittel der Revision an den OGH erhoben und eine höchstgerichtliche Entscheidung erreicht
werden.         Ohne        diese       Regelung           würden         Rechtsmittelverfahren                spätestens          bei      den
Oberlandesgerichten in letzter Instanz enden. Es soll dadurch eine regional unterschiedliche
Rechtsprechung verhindert werden.47

Mit Ausnahme von negativen Feststellungsklagen können alle Arten von Ansprüchen geltend
gemacht werden, sofern diese im Wege der Zession abtretbar sind. Bei einem vertraglich
vereinbarten           Zessionsverbot             kann        der      betroffene           Anspruch         nicht       mit     Hilfe       der
Verbandsmusterklage geltend gemacht werden, was auch durch die Rechtsprechung des OGH48
bestätigt wurde. Ein weiterer Nachteil besteht bei grenzüberschreitender Anspruchsdurchsetzung.
In diesen Fällen scheitert die Verbandsmusterklage, da sich der jeweilige Verband hinsichtlich der
internationalen           Zuständigkeit           im     Anwendungsbereich                  der     EuGVVO49            nicht      auf      den
                                                                                       50
Verbrauchergerichtsstand nach den Art 17ff stützen kann. Nur wenn der Verbraucher selbst als
Kläger oder Beklagter auftritt, kommt ihm dieser zugute.51

45
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565).
46
   Zivilprozessordnung RGBl 1895/113.
47
   Vgl. Deixler-Hübner, Exkurs: Verbraucherrechtliche Sonderklagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 406 (408).
48
   Vgl. OGH 9. 5. 2007, 7 Ob 85/07m.
49
   Verordnung 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl 2012 L 351, 1.
50
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408).
51
   Vgl. EuGH 19.01.1993 Rs C-89/91, Shearson Lehman Hutton/TVB, ECLI:EU:C:1993:15.
                                                                                                                                                11
Die Urteilswirkungen beschränken sich ausschließlich auf die Parteien des Verfahrens.
Verjährungsfristen              ähnlicher         Ansprüche           werden          durch    die   Verfahrenseröffnung         nicht
unterbrochen und die beklagten Unternehmen werden in aller Regel auch nicht freiwillig eine
Verzichtserklärung hinsichtlich der Verjährung abgeben. Aus diesen Gründen ist auch die
Verbandsmusterklage kein geeignetes Instrument zur kollektiven Rechtsdurchsetzung.52

Zwecks Führung eines Musterverfahrens gegen die Wiener Linien hatte sich der Verein für
Konsumenteninformation (VKI) den Anspruch einer Jahreskarteninhaberin mit einem Streitwert
von 60 Schilling abtreten lassen. Mittels Revision konnte so beim OGH eine Preiserhöhung für
unwirksam erklärt werden.53 Nur weil die Wiener Linien freiwillig für alle anderen
Jahreskartenverträge die Mehrbeträge zurückgezahlt haben, konnten auch die anderen Kunden
vom Ausgang des Verfahrens profitieren und mussten nicht selbst Klage einreichen.54

3. Sammelklagen nach österreichischem Recht

Da sich mit Musterverfahren nur die Rechtsfragen eines Musterfalles klären lassen, trifft bei
Massenschadensereignissen                         alle       anderen         Geschädigten            die      bereits    dargestellte
Verjährungsproblematik. Mit der Sammelklage nach österreichischem Recht soll dies dadurch
verhindert werden, dass sämtliche Ansprüche an einen Sammelkläger abgetreten und von diesem
geltend gemacht werden.55

Als Sammelkläger kann grundsätzlich jede natürliche und juristische Person auftreten. Am
häufigsten treten Verbände wie der VKI oder die Bundesarbeitskammer als Kläger auf.56 Daneben
bestehen          auch       Vereine          wie      COBIN          claims57        und     der    Verein     zum     Schutz    der
                                                                                 58
Verbraucherinteressen                    (Verbraucherschutzverein) ,                     welche        ebenfalls        verschiedene
Sammelklageaktionen betreiben.

Damit ein Kläger mehrere Ansprüche im Wege der objektiven Klagenhäufung zusammenrechnen
kann, müssen diese grundsätzlich gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN59 in einem tatsächlichen oder
rechtlichen Zusammenhang stehen.

52
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566f).
53
   Vgl. OGH 6. 9. 2001, 2 Ob 190/01g.
54
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408).
55
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408).
56
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566).
57
   Vgl. https://www.cobinclaims.at/ (abgefragt am 15.07.2021).
58
   Vgl. https://www.verbraucherschutzverein.at/ (abgefragt am 15.07.2021).
59
   Jurisdiktionsnorm RGBl 1895/111.
                                                                                                                                    12
Sollen mehrere voneinander unabhängige Ansprüche gesammelt eingeklagt werden, so kann dies
dennoch mittels einer objektiven Klagenhäufung nach § 227 Abs 1 ZPO erfolgen. Voraussetzung
dafür ist, dass für alle Einzelansprüche die Zuständigkeit des gleichen Gerichts gegeben und
jeweils die gleiche Verfahrensart zulässig ist. Hinsichtlich der Wertgrenzen normiert § 227 Abs 2
ZPO mit Verweis auf § 49 Abs 1 Z 1 JN, dass Ansprüche mit einem Wert unter 15.000 EUR mit
Ansprüchen, die einen höheren Streitwert aufweisen, verbunden werden können. Damit wird auch
der geringerwertige Anspruch vor dem Landesgericht verhandelt. Gleiches gilt für die Wertgrenze
bei Senatsanträgen.60

Bei der Revision an den OGH greifen die Wertgrenzen des § 502 Abs 2 und 3 ZPO. Wenn die
einzelnen Streitwerte stark voneinander abweichen, besteht das Risiko einer nachträglichen
Aufteilung der Klage im Rechtsmittelverfahren und es kann zur Abweisung einzelner Ansprüche
kommen. Dies lässt sich nur ausschließen, wenn die Ansprüche an einen Verband gemäß § 29
KSchG als Sammelkläger abgetreten werden und so die wertmäßigen Beschränkungen durch die
Regelung des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO nicht anwendbar sind.61 Die gesetzlich vorgesehenen
Verbände sind durch diese Regelung im Vergleich zu den genannten Vereinen oder sonstigen
Personen privilegiert. Die Vereine streben aus diesem Grund eine Aufnahme in die Liste der
Verbände an.62

Die Einbringung der Klage erfolgt in zwei Stufen. Zuerst müssen die einzelnen Ansprüche dem
Sammelkläger mittels Inkassozession abgetreten werden. Dieser kann anschließend mittels
objektiver Klagenhäufung gemäß § 227 ZPO die Streitwerte der einzelnen Ansprüche
zusammenrechnen und beim zuständigen Gericht einbringen.63

Die Bündelung mehrerer individueller Ansprüche über eine Inkassozession wurde vom OGH
grundsätzlich für zulässig erklärt, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der
Anspruchsgrund der einzelnen Ansprüche muss in wesentlichen Teilen gleichartig sein. Auch die
im Verfahren zu behandelnden Tatsachen- und Rechtsfragen in Bezug auf die Hauptfrage oder
eine entscheidende Vorfrage aller gebündelten Ansprüche müssen im Wesentlichen gleich sein.64

60
   Vgl. Rechberger/Klicka in ZPO5 (2019) § 227 ZPO Rz 1-2.
61
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409).
62
   Vgl. zur Petition des Vereins COBIN claims https://www.openpetition.eu/at/petition/online/cobin-claims-aufnahme-in-den-kreis-der-verbandsklage-
legitimierten-organisationen (abgefragt am 15.07.2021).
63
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409).
64
   Vgl. OGH 12.7.2005, 4 Ob 116/05w = ecolex 2005/359.
                                                                                                                                                13
Bei Massenschäden können mit dem Instrument der Sammelklage innerhalb eines einheitlichen
Zivilverfahrens Schadenersatzleistungen erstritten werden. Durch die Sammlung vieler
Einzelansprüche entstehen in Summe höhere Streitwerte. Damit wird die Klage auch interessant
für     Prozessfinanzierer,               welche         im      Rahmen            einer        Finanzierungsvereinbarung   das
Prozesskostenrisiko übernehmen und dafür im Falle des Obsiegens des Sammelklägers eine
Erfolgsbeteiligung erhalten. Der OGH65 sowie die Lehre66 haben bereits untersucht, ob diese Art
der Vereinbarung gegen das quota-litis-Verbot des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB verstößt und dies
verneint. Der Sammelkläger behält somit seine Klagelegitimation.67

Auch Geschädigte ohne Rechtsschutzversicherung erhalten so die Möglichkeit, sich der
Sammelklage anzuschließen und Schadenersatz zu erlangen. Aufgrund der stärkeren Position
des Sammelklägers mit dem Prozessfinanzierer im Hintergrund entsteht ein größerer Druck auf
beklagte Unternehmen und die Chancen für einen Vergleich können dadurch ebenfalls verbessert
werden.68

Durch die Führung vieler einzelner Verfahren bei unterschiedlichen Gerichten kommt es zu einer
uneinheitlichen Rechtsprechung. Die Entscheidung gleicher Tatsachen- und Rechtsfragen im
Rahmen eines einheitlichen Verfahrens bei einem zuständigen Gericht trägt maßgeblich zur
Verbesserung der Rechtssicherheit bei.69

Neben den zahlreichen Vorteilen der Sammelklage nach österreichischem Recht bestehen aber
auch einige Nachteile bei dieser Art der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Trotz der Zulässigkeit
der Anspruchsbündelung wird in der Praxis häufig vonseiten der beklagten Partei, wenn auch
regelmäßig erfolglos, die Unzulässigkeit einer Sammelklage eingewandt. Dies führt zu einer
Verzögerung des Verfahrens und einer unnötigen Erhöhung der Prozesskosten.
In der Anlaufphase des Verfahrens fallen zwar durch die konzentrierte Einbringung der einzelnen
Ansprüche noch geringere Kosten an, allerdings können diese im Rahmen des Beweisverfahrens
ins uferlose steigen, da keine Regelungen für eine Kostendeckelung existieren.
Aufgrund des Erfordernisses der Zession von Ansprüchen an den Sammelkläger müssen die
Geschädigten selbst aktiv werden, um ihre Ansprüche in das Verfahren einzubringen. Dieses Opt-
in-Modell führt in der Praxis dazu, dass sich nur wenige Personen am Verfahren beteiligen (lt. VKI
nur maximal 5% aller Geschädigten). Ansprüche, die nicht zur Rechtsdurchsetzung abgetreten
werden, unterliegen der Verjährung. Verbraucher, die nur von Streuschäden betroffen sind,
werden kein Interesse an der Abtretung ihrer Ansprüche an den Sammelkläger haben.70

65
   Vgl. OGH 27.2.2013, 6 Ob 224/12b = VbR 2013/5.
66
   Vgl. Oberhammer, Sammelklage, quota litis und Prozessfinanzierung, ecolex 2011, 972 (980).
67
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566).
68
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (410).
69
   Vgl. Kodek, Die "Sammelklage" nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615 (616).
70
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566).
                                                                                                                             14
Auch aus Sicht der Justiz stellt die Führung von solchen Großverfahren eine Herausforderung
dar, da die Verfahren durch die gesammelte Prüfung und Entscheidung vieler einzelner
Ansprüche komplexer werden.71

Bei Fällen mit Auslandsbezug besteht die gleiche Problematik wie bei der Verbandsmusterklage.
Durch die Abtretung der Ansprüche geht der Verbrauchergerichtsstand in Österreich verloren. Bei
deliktischer Schädigung mit Auslandsbezug wird über Art 7 Nr 2 EuGVVO neben der
internationalen Zuständigkeit auch die Gerichtszuständigkeit am Ort des Schadenseintritts
festgelegt. Dies führt idR dazu, dass mehrere Sammelklagen bei unterschiedlichen Gerichten
gegen den gleichen Beklagten eingebracht werden müssen.72

In Österreich wurden bereits einige Sammelklagen erfolgreich durchgeführt, beispielsweise im
Falle unzulässiger Zinsgleitklauseln bei Verbraucherkrediten sowie bei Anlegerschäden durch
fehlerhafte Beratung.73 Derzeit sind zum VW Abgasskandal 16 Sammelklagen des VKI in
sämtlichen Landesgerichtssprengeln in Österreich anhängig.74 Der EuGH hat dazu in einem
Vorabentscheidungsverfahren bereits die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte
bestätigt.75 Sowohl der Verein COBIN claims76 als auch der Verbraucherschutzverein77 betreiben
parallel dazu eigene Sammelaktionen in dieser Angelegenheit.

71
   Vgl. Kodek, ÖBA 2004, 615 (623).
72
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566).
73
   Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409).
74
   Vgl. zum aktuellen Stand der Verfahren https://verbraucherrecht.at/sammelaktionen-vw/5317 (abgefragt am 15.07.2021).
75
   Vgl. EuGH 09.07.2020 Rs C-343/19, Verein für Konsumenteninformation/Volkswagen AG, ECLI:EU:C:2020:534.
76
   Vgl. zur Aktion von COBIN claims https://www.diesel-klage.at/ (abgefragt am 15.07.2021).
77
   Vgl. zur Aktion des Verbraucherschutzvereins https://www.verbraucherschutzverein.at/Sammelaktionen-Diesel-Schaeden/ (abgefragt am 15.07.2021).
                                                                                                                                              15
D. Umsetzung in anderen Rechtsordnungen

In den EU-Mitgliedsstaaten existieren derzeit kollektive Rechtsschutzmechanismen in
unterschiedlicher Ausprägung.78 Es lohnt sich ein genauerer Blick auf die Regelungen in
Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden, weil sich dadurch die unterschiedlichen
Ansätze bei der Gestaltung von Kollektivklagen besonders gut hervorheben lassen. Zusätzlich
sind die Regelungen in den USA von Bedeutung, da dort bereits seit längerer Zeit echte
Gruppenverfahren bestehen.

Eine zentrale Fragestellung bei der Gestaltung des kollektiven Rechtsschutzes ist, ob die
Beteiligung der Verbraucher am Verfahren mittels eines Opt-in- oder Opt-out-Modells erfolgen
soll. Bei einem Opt-in-Modell müssen die Verbraucher selbst aktiv werden, um am Verfahren
teilnehmen zu können. Im Gegensatz dazu sind sie bei einem Opt-out-Modell von Anfang an
automatisch ins Verfahren einbezogen und müssen eine ausdrückliche Erklärung dazu abgeben,
falls sie doch nicht teilnehmen und damit in weiterer Folge auch nicht von den
Entscheidungswirkungen betroffen sein möchten.79

Im Auftrag des Bundesverbandes der deutschen Verbraucherzentralen haben Prof. Gsell und
Prof. Meller-Hannich ein Gutachten80 erstellt, in welchem die bestehende Rechtslage in
ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten analysiert wird. Zusätzlich werden Möglichkeiten zur
Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht vorgeschlagen. Auf dieses Gutachten wird in diesem
Kapitel sowie im Kapitel zu den Umsetzungsmöglichkeiten in Österreich Bezug genommen.

1. Europa

In     Deutschland             lassen       sich      die      Instrumente           des       kollektiven         Rechtsschutzes               in
Verbandsklageverfahren,                   Musterverfahren              sowie        Sammelverfahren                kategorisieren.           Zur
Bekämpfung             unzulässiger          AGB        und        Geschäftspraktiken              ist    eine      Verbandsklage              im
Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) geregelt. Die Parallelnorm ist in Österreich in § 28 KSchG
zu     finden.       §     2     UKlaG        erfasst        wie      §    28a       KSchG          Verstöße         gegen         bestimmte
Verbraucherschutzgesetze. Die deutsche Regelung bietet aber neben dem Anspruch auf
Unterlassung auch einen Anspruch auf Beseitigung. Ein weiterer Vorteil betrifft den Katalog der
Verbraucherschutzbestimmungen in § 2 UKlaG. Die Aufzählung ist nur demonstrativ, daher kann
bei sämtlichen Verstößen gegen Rechtsnormen im Bereich des Verbraucherrechts geklagt
werden.81

78
   Vgl. Meller-Hannich, Kollektiver Rechtsschutz in Europa und Europäischer Kollektiver Rechtsschutz, GPR 2014, 92 (92).
79
   Vgl. Loewit/Eichmeyer, Die Durchsetzung von Massenschäden: Opt-in versus Opt-out, ÖJZ 2020, 1057 (1059).
80
   Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21-
02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (abgefragt am 15.07.2021).
81
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (564).
                                                                                                                                                 16
Im Gegensatz zur Rechtslage in Österreich erfassen die Urteilswirkungen auch die betroffenen
Verbraucher. Diese müssen ihre Leistungsansprüche zwar selbstständig einklagen, können sich
dabei aber auf das Urteil des Verbandsverfahrens stützen. Durch Einbringung der Verbandsklage
wird die Verjährung der Einzelansprüche betroffener Verbraucher nicht gehemmt. Daher bietet
auch die deutsche Regelung kein ausreichendes Schutzniveau.82

Im Jahr 2005 wurde im Bereich der Musterverfahren als Reaktion auf eine Klagewelle gegen die
Deutsche Telekom AG das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) erlassen. Das
Verfahren nach dem KapMuG ist zweigeteilt. Im ersten Schritt wird ein Vorlageverfahren vor dem
zuständigen Landgericht und anschließend ein Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht
geführt. Für jeden Verbraucher wird aufgrund seiner eingebrachten Individualklage ein
Vorlageverfahren durchgeführt. Die individuelle Geltendmachung der Ansprüche bleibt den
Geschädigten somit trotz des Musterverfahrens nicht erspart. Ein weiterer Nachteil ist, dass der
Anwendungsbereich auf Klagen eingeschränkt ist, die fehlerhafte Angaben in öffentlichen
Kapitalmarktinformationen betreffen.83

Im Vorlageverfahren vor dem Landgericht kann entweder der Kläger oder der Beklagte einen
Musterfeststellungsantrag einbringen. Ist der Antrag zulässig, wird dieser vom Gericht im
elektronischen Bundesanzeiger öffentlich kundgemacht und das Verfahren unterbrochen. Erst
nachdem innerhalb einer Frist von vier Monaten mindestens neun zusätzliche Anträge mit dem
gleichen Feststellungsziel eingelangt sind, werden die Anträge dem Oberlandesgericht vorgelegt.
Das Oberlandesgericht führt anschließend das Musterverfahren und wählt dazu aus den Klägern
der Ausgangsverfahren einen Musterkläger aus. Das Verfahren endet mit einem Musterentscheid
als Beschluss. Die zwischenzeitig unterbrochenen Einzelverfahren bei den Landgerichten können
danach wieder aufgenommen und es kann eine Entscheidung über die individuelle Entschädigung
gefällt werden. Die Bindungswirkung des Musterentscheids erstreckt sich auf alle Parteien des
Musterverfahrens.84

Da die Teilnahme am Musterverfahren bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch den
Musterfeststellungsantrag beim Landgericht erklärt wird, basiert dieses Verfahren auf einem Opt-
in-Modell.

Entscheidender Nachteil ist die sehr lange Verfahrensdauer, wodurch eine effektive
Rechtsdurchsetzung nicht möglich ist. Seit Beginn des Musterverfahrens gegen die Deutsche
Telekom AG sind mittlerweile 15 Jahre vergangen.85

82
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565).
83
   Vgl. Möllers/Weichert, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NJW 2005, 2737 (2737f).
84
   Vgl. Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2739f).
85
   Vgl. Möllers/Wolf, Die Causa Telekom und das Recht auf effektiven Rechtschutz – zur überfälligen Reform des KapMuG, BKR 2021, 249 (249).
                                                                                                                                              17
Im Jahr 2018 wurde aufgrund des VW-Abgasskandals die Musterfeststellungsklage eingeführt.86
Diese ist am 01.11.2018 in Kraft getreten und in der deutschen Zivilprozessordnung in den §§ 606
ff geregelt. Die Klage kann nur von qualifizierten Einrichtungen eingebracht werden. In der Praxis
wurden die Regelungen erstmals im Verfahren des Bundesverbandes der deutschen
Verbraucherzentralen gegen die Volkswagen AG angewendet. Die Klage zielt ausschließlich auf
eine Feststellungsentscheidung ab, sodass die geschädigten Verbraucher anschließend noch
individuelle Leistungsklagen einbringen müssen, um zu einer Entschädigung zu gelangen. Im
Leistungsprozess trifft sie das volle Prozesskostenrisiko, da im vorhergehenden Verfahren die
individuelle Leistungsberechtigung nicht festgestellt wird.87

Eine Regelung zur Hemmung der Verjährungsfristen für die Einzelansprüche der Verbraucher
wurde ebenfalls eingeführt. Diese kommt nur zur Anwendung, wenn die Verbraucher ihre
Ansprüche zum Klageregister angemeldet haben. Weitere Voraussetzung ist, dass die einzelnen
Entschädigungsansprüche und der Feststellungsantrag in der Klage auf den gleichen
Tatsachengrundlagen basieren.88

Da die Verbraucher ihre Ansprüche aktiv bei einem Klageregister anmelden müssen, liegt dem
Verfahren ein Opt-in-Modell zugrunde.89

Vorteil dieser Aufteilung in zwei unabhängige Verfahren ist, dass Fragestellungen, die alle
Verbraucher betreffen, bereits gebündelt im Feststellungsverfahren behandelt werden können.
Dadurch werden die anschließenden Individualverfahren entlastet. Auch die Bereitschaft zu einer
außergerichtlichen Einigung wurde in der Praxis dadurch verbessert. Nachteilig ist, dass die
Verbraucher durch die frühe Anmeldung an das Verfahren gebunden werden, ohne zu wissen,
welche Erfolgsaussichten bestehen. Durch die Anmeldung werden auch keine Beteiligungsrechte
gewährt. Die Registeranmeldung wird im Feststellungsverfahren nicht geprüft und kann damit
auch nicht als Grundlage für die Entscheidung im späteren Leistungsprozess herangezogen
werden.90 Die Führung von zwei separaten Verfahren ist zeitaufwendig und daher nicht dazu
geeignet, rasche Kompensation für die geschädigten Verbraucher zu ermöglichen.91

Ein eigenes Verfahren zur kollektiven Durchsetzung einzelner Leistungsansprüche existiert nicht.
Wie bei der Sammelklage nach österreichischem Recht können Einzelansprüche mittels
Abtretung und Klagenhäufung gesammelt in einer Klage geltend gemacht werden.92

86
   Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (62).
87
   Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (64f).
88
   Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (67).
89
   Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (70).
90
   Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21-
02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (18f, abgefragt am 15.07.2021).
91
   Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (78).
92
   Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565).
                                                                                                                                                 18
Seit dem Jahr 2014 besteht in Frankreich mit der „Action de groupe“ ein Instrument zur kollektiven
Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen im Verbraucherrecht. Zur Klage befugt sind nur
bestimmte Verbraucher- und Interessenverbände, die staatlich benannt wurden. Das Verfahren
ist in zwei Teile gegliedert und die betroffenen Verbraucher können sich erst nach Fällung eines
Urteils oder Abschluss eines Vergleichs mit einer Opt-in-Erklärung anschließen. Im ersten
Verfahrensteil ist die Gruppe der Verbraucher nur anhand bestimmter Kriterien abstrakt definiert,
eine individuelle Anspruchsprüfung erfolgt noch nicht. Die Hemmung der Verjährungsfristen der
Einzelansprüche beginnt mit Einbringung der Klage. Ein verkürztes Verfahren ist in Fällen
vorgesehen, in denen bereits zu Beginn die Verbrauchergruppe eindeutig feststeht. Dann ist auch
eine direkte Schadenersatzleistung durch die Unternehmer möglich. Vorteil bei diesem Verfahren
mit     zeitlich      spätem         Opt-in        ist,    dass       die     Verbraucher            bereits       vor      Abgabe          ihrer
Teilnahmeerklärungen wissen, ob sich eine Beteiligung am Verfahren lohnt. Da nur wenige
Verbände zur Klage befugt sind und diese auch die Kosten der Verfahren tragen müssen, wurden
bisher aber nur wenige Verfahren geführt.93

In Belgien ermöglicht die „Action en réparation collective“ eine unmittelbare Entschädigung für
betroffene Verbraucher. Wie in Frankreich sind auch dort nur staatlich zugelassene
Verbraucherverbände zur Klage legitimiert. Eine Besonderheit ist, dass die Klage nicht nur eine
Entschädigungsleistung für Verbraucher, sondern auch für kleine und mittelständische
Unternehmen ermöglicht. Die Möglichkeiten des Gerichts zur Klageprüfung und Organisation des
Verfahrens sind sehr umfangreich. Es kann die Grundsatzentscheidung treffen, ob eine
Kollektivklage überhaupt zugelassen wird und ob ein Opt-in- oder Opt-out-Modell für den
konkreten Fall besser geeignet ist. Nachdem eine Klage für zulässig erklärt wurde, wird zuerst
versucht, einen Vergleich zu erzielen. Erst wenn dieser Versuch gescheitert ist, erfolgt die
Entscheidung über den Beginn der weiteren Verfahrensabschnitte. Entschädigungsleistungen
können entweder für die gesamte Klägergruppe oder individuell festgelegt werden. Im Rahmen
einer Entschädigungsphase ist anschließend ein Liquidator für den Vollzug der Entschädigung
zuständig.         Die      Klage       hat      einen       eingeschränkten              Anwendungsbereich,                  welcher         nur
Verbraucherschutzbestimmungen umfasst. Als weitere Nachteile werden die komplexe
Entschädigungsabwicklung, die lange Dauer bis zu einer Entscheidung über die Bildung der
Klägergruppe und die Tragung des vollen Prozesskostenrisikos durch die Verbände genannt.94

93
   Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21-
02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (13f, abgefragt am 15.07.2021).
94
   Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21-
02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (14f, abgefragt am 15.07.2021).
                                                                                                                                                 19
Zum Zweck der kollektiven Rechtsdurchsetzung in den Niederlanden wurde im Jahr 2005 eine
gesetzliche          Regelung          geschaffen,           die      auf     den       außergerichtlichen              Abschluss           eines
Kollektivvergleiches abzielt. Dem Namen des Gesetzes entsprechend wird die Bezeichnung
WCAM-Verfahren dafür verwendet. Die Anwendbarkeit des Verfahrens ist nicht auf bestimmte
Rechtsbereiche eingeschränkt.95

Der Vergleich ist zwischen dem Unternehmen, welchem eine rechtswidrige Handlung vorgeworfen
wird, und einem Verband bzw einer Stiftung zu vereinbaren. Die Prüfung und Genehmigung
werden durch das zuständige Gericht durchgeführt. Betroffene Verbraucher, die im Verfahren
nicht repräsentiert werden wollen, müssen ausdrücklich ihr Ausscheiden erklären. Das Verfahren
basiert somit auf einem Opt-out-Modell. Die selbstständige außergerichtliche Vereinbarung der
Entschädigung wird in der Praxis von allen Beteiligten anerkannt und hat sich bereits bewährt. Es
wurden 2016 noch zusätzliche Regelungen über eine kollektive Schadenersatzklage erlassen, um
die Unternehmen noch stärker zu außergerichtlichen Einigungen zu motivieren.96

2. USA

Als Instrument zur gemeinsamen Durchsetzung vieler einzelner Ansprüche besteht in den USA
im Bereich des Zivilprozessrechts die Class Action. Auf der Rechtsebene des Bundes ist diese in
Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) kodifiziert.97 Grundlage zur Bildung einer
Klägergruppe             sind        gleichartige          Rechte           oder       Ansprüche,             die      auf       gleichartigen
Lebenssachverhalten basieren. Charakteristisch für die Class Action ist, dass ein Kläger im
eigenen Namen und gleichzeitig als Stellvertreter für alle anderen Gruppenmitglieder auftritt.98

Eine Abtretungskonstruktion wie in Österreich ist zur Geltendmachung der Ansprüche nicht
erforderlich. Sind die Kriterien für die Gruppenzugehörigkeit bei einer bestimmten Person erfüllt,
so ist diese automatisch Mitglied der Klägergruppe. Es handelt sich dabei also um ein Opt-out-
Modell. In bestimmten Ausnahmefällen, wie zB bei Sammelklagen, die arbeitsrechtliche
Sachverhalte betreffen, kann durch das zuständige Gericht ein Opt-in-Modell angewendet
werden. Zwingende Voraussetzung ist immer die Information der bekannten und sonst noch in
Frage kommenden Gruppenmitglieder. Nur so haben die Betroffenen iSd Privatautonomie die
Möglichkeit, ihr Ausscheiden aus dem Verfahren zu erklären.99

95
   Vgl. Kodek, Kollektiver Rechtsschutz in Europa – Diskussionsstand und Perspektiven, in Blocher/Gelter/Pucher (Hrsg), Festschrift Christian Nowotny
zum 65. Geburtstag (2015) 127 (133f).
96
   Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21-
02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (12f, abgefragt am 15.07.2021).
97
   Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1058).
98
   Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1059).
99
   Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1060).
                                                                                                                                                   20
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