WEITERENTWICKLUNG DES VERBRAUCHERSCHUTZES DURCH DIE NEUE EU-VERBANDSKLAGEN-RICHTLINIE - JKU ePUB
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Eingereicht von Michael Weiser Angefertigt am Institut für Europarecht Beurteiler Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler Juli 2021 WEITERENTWICKLUNG DES VERBRAUCHERSCHUTZES DURCH DIE NEUE EU-VERBANDSKLAGEN- RICHTLINIE Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Magister der Rechtswissenschaften im Diplomstudium Rechtswissenschaften JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at
EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Pixendorf, 27.07.2021 2
Inhaltsverzeichnis I. Ziel der Arbeit ....................................................................................................................... 4 II. Kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht ...................................................................... 5 A. Grundlagen ................................................................................................................... 5 B. Bisherige Entwicklung im Unionsrecht ........................................................................... 6 C. Bestehende Rechtslage in Österreich............................................................................ 9 1. Verbandsklagen ...................................................................................................... 9 2. Verbandsmusterklagen ......................................................................................... 11 3. Sammelklagen nach österreichischem Recht ........................................................ 12 D. Umsetzung in anderen Rechtsordnungen.................................................................... 16 1. Europa .................................................................................................................. 16 2. USA ...................................................................................................................... 20 III. Die neue EU-Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen.................................................... 22 A. Entstehung und Ziele................................................................................................... 22 B. Anwendungsbereich .................................................................................................... 25 C. Klagebefugnis.............................................................................................................. 26 D. Klagearten ................................................................................................................... 27 1. Unterlassungsklagen............................................................................................. 28 2. Abhilfeklagen ........................................................................................................ 29 E. Offenlegung von Beweismitteln ................................................................................... 31 F. Information der Verbraucher ........................................................................................ 31 G. Grenzüberschreitende Verbandsklagen....................................................................... 33 H. Finanzierung................................................................................................................ 34 IV. Mögliche Umsetzung in die österreichische Rechtsordnung ............................................... 36 A. Opt-in-/Opt-out-Modell ................................................................................................. 36 B. Gestaltung einer Verbandsklage auf Leistung ............................................................. 38 C. Kollektivvergleiche ....................................................................................................... 43 V. Fazit und Ausblick............................................................................................................... 44 VI. Literaturverzeichnis............................................................................................................. 45 3
I. Ziel der Arbeit „The right to redress“ wurde schon im Jahr 1962 von Präsident John F. Kennedy als eines der wesentlichen Verbraucherrechte genannt. In der Rechtswissenschaft und der Praxis ist die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung seit damals ein Dauerthema.1 Wenn eine effektive Rechtsdurchsetzung nicht möglich ist, sind auch die umfangreichsten Verbraucherschutzbestimmungen wirkungslos. Der VW-Abgasskandal hat die Schwächen der derzeitigen Rechtslage besonders deutlich gemacht.2 Im Rahmen dieser Arbeit werden die Möglichkeiten zur Verbesserung der kollektiven Rechtsdurchsetzung im Verbraucherrecht durch die neue EU-Verbandsklagenrichtlinie3 untersucht. Der Schwerpunkt wird dabei auf die Beteiligung der Verbraucher am Verfahren, die Gestaltung einer Klage auf Leistung sowie die Regelung von Kollektivvergleichen gelegt. Diese Bereiche wurden ausgewählt, da sich dort die wesentlichsten Verbesserungen ergeben können. Nach einer Beschreibung der zentralen Problemstellungen im kollektiven Rechtsschutz und der bisherigen Entwicklungen auf Ebene der EU sowie in Österreich werden kollektive Rechtsschutzinstrumente aus anderen Rechtsordnungen dargestellt. Damit soll gezeigt werden, welche Arten der Verfahrensgestaltung geeignet sind, um das Ziel eines verbesserten Rechtsschutzes zu erreichen. Anschließend werden die Regelungen der Richtlinie untersucht und Spielräume für die Mitgliedsstaaten dargestellt. Auf dieser Grundlage werden abschließend Möglichkeiten für die Umsetzung der Richtlinie in Österreich vorgeschlagen. 1 Vgl. Augenhofer, Die neue Verbandsklagen-Richtlinie - effektiver Verbraucherschutz durch Zivilprozessrecht? NJW 2021, 113 (113). 2 Vgl. Augenhofer, (K)Einer für alle – Gedanken zur deutschen Musterfeststellungsklage, zur Sammelklage österreichischer Prägung und zur Verbandsklage 2.0, in Zinner/Reiffenstein (Hrsg), Hindernisse bei der kollektiven Verbraucherrechtsdurchsetzung (2019) 61 (61f). 3 Richtlinie 2020/1828/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG, ABl 2020 L 409, 1. 4
II. Kollektiver Rechtsschutz im Verbraucherrecht A. Grundlagen Die Entwicklung des Verbraucherrechts ist eng verbunden mit der Entstehung und dem Fortschritt der Massenproduktion. Die schwächere wirtschaftliche Position und das Informationsdefizit gegenüber Unternehmern machen Verbraucher schutzbedürftig. Ziel des Verbraucherrechts als Verbraucherschutzrecht ist, einen Interessenausgleich zu schaffen.4 Auf nationaler Ebene ist eine Definition des Verbraucherbegriffes im KSchG5 zu finden. Gehört ein Rechtsgeschäft nicht zum Betrieb des Unternehmens einer Person, so wird diese Person gemäß § 1 Abs 1 Z 2 KSchG als Verbraucher bezeichnet. In verschiedenen EU-Richtlinien ist der Verbraucherbegriff inhaltlich ähnlich definiert und wurde durch die Rechtsprechung des EuGH im Laufe der Zeit immer stärker konkretisiert.6 Im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens war zu beurteilen, ob auch eine juristische Person als Verbraucher nach der Klausel-Richtlinie7 eingestuft werden kann. Der EuGH hat dazu festgestellt, dass nur natürliche Personen Verbraucher im Sinne der Richtlinie sein können.8 Jeder Verbraucher hat grundsätzlich die Möglichkeit, seine Interessen auf dem Rechtsweg über eine Individualklage durchzusetzen. In vielen Fällen wird davon allerdings kein Gebrauch gemacht, was sich einerseits auf Unkenntnis der rechtlichen Möglichkeiten, andererseits auf wirtschaftliche Überlegungen zurückführen lässt.9 Sind mehrere Verbraucher geschädigt, so lassen sich die Schäden in Massenschäden und Streuschäden kategorisieren. Die EU-Kommission hat in ihrer Empfehlung zum kollektiven Rechtsschutz aus dem Jahr 2013 den Begriff des Massenschadensereignisses definiert. Ein Massenschadensereignis liegt vor, wenn mehr als eine natürliche oder juristische Person durch eine oder mehrere ähnliche rechtswidrige Handlungen geschädigt wurde.10 Streuschäden sind eine Sonderform der Massenschäden und durch sehr geringe Schadenshöhen charakterisiert. Verbraucher könnten zwar den Rechtsweg beschreiten, tun dies aber aufgrund einer Kosten-Nutzen-Abwägung nicht.11 4 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 (2008) 9f. 5 Konsumentenschutzgesetz BGBl I 1979/140. 6 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 34. 7 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 05. April 1993 über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, ABl 1993 L 95, 29. 8 Vgl. EuGH 22.11.2001 verb Rs C-541/99 und C-542/99, Cape Snc/Idealservice Srl und Idealservice MN RE Sas/OMAI Srl, ECLI:EU:C:2001:625 (Rz 17). 9 Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 7 (20). 10 Vgl. Empfehlung 2013/396/EU der Kommission vom 11. Juni 2013 Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl 2013 L 201, 60. 11 Vgl. Schwamberger/Klever, Sammelklage europäischer Prägung? wbl 2019, 12 (15). 5
Unternehmen ist dieser Umstand nicht nur bewusst, sie nutzen ihn gezielt aus, um ihren Gewinn auf Kosten der Verbraucher zu steigern.12 Um dieser Entwicklung entgegensteuern zu können, werden kollektive Rechtsschutzinstrumente benötigt, die es ermöglichen, unzulässige Geschäftspraktiken zu untersagen und den erzielten Unrechtsgewinn der Unternehmen abzuschöpfen. Aus Sicht der Verbraucher trägt die Möglichkeit der kollektiven Rechtsdurchsetzung entscheidend zur Wahrung ihrer Interessen bei. Vor allem Verbraucherschutzeinrichtungen sollen dadurch primär gesetz- oder sittenwidrige AGB und bestimmte Wettbewerbsverstöße bekämpfen können. Schauer spricht in diesem Zusammenhang von einer „marktpolizeilichen“ Aufgabe der Verbraucherschutzeinrichtungen.13 B. Bisherige Entwicklung im Unionsrecht Auf europäischer Ebene wurde das Thema Verbraucherschutz erstmals in den 1970er-Jahren aufgegriffen. Gegen Ende der 80er-Jahre wurden Regelungen zum Verbraucherschutz durch die Schaffung von Kompetenzgrundlagen im Primärrecht verankert. Bei der Erlassung von Rechtsakten soll seitdem ein hohes Schutzniveau berücksichtigt sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip eingehalten werden. Als Rechtssatzform kommt vor allem die Richtlinie zur Anwendung, um eine Angleichung der Rechtsvorschriften in den Mitgliedsstaaten zu erreichen.14 Wie schon anhand des Verbraucherbegriffs beispielhaft dargestellt wurde, hatte auch der EuGH mit seiner Rechtsprechung einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung des Verbraucherschutzrechtes. Als Beispiel lässt sich bereits das Urteil zur Rechtssache Cassis de Dijon aus dem Jahr 197915 heranziehen. Im Urteil hat der EuGH ausgesprochen, dass bei Eingriffen in die Warenverkehrsfreiheit eine Rechtfertigung durch nationale Maßnahmen des Verbraucherschutzes möglich ist.16 Im Primärrecht sind Regelungen zum Verbraucherschutz im AEUV17 zu finden. In Art 4 Abs 2 lit f AEUV ist der Verbraucherschutz als geteilte Zuständigkeit zwischen der Union und den Mitgliedsstaaten definiert. 12 Vgl. Kletečka, Effektivitätsdefizite und dysfunktionale Verhaltenssteuerung im Privatrecht - Kann das Schadenersatzrecht hier etwas leisten? JBl 2018, 497 (498). 13 Vgl. Schauer, Grundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 1 (4). 14 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 10-12. 15 Vgl. EuGH 20.02.1979 Rs 120/78, Rewe-Zentral AG/Bundesmonopolverwaltung für Branntwein, ECLI:EU:C:1979:42. 16 Vgl. Lentner/Ratka, Entwicklungslinien der Europäisierung des Verbraucherschutzrechts und Konsumentenbegriffs, in Jost/Ratka (Hrsg), Ausgewählte Praxisfragen des neuen Verbraucherrechts (2016) 51 (57). 17 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, BGBl III 1999/86. 6
Erlässt die Union Rechtsakte, so tritt für die Mitgliedsstaaten in den betroffenen Bereichen eine Sperrwirkung hinsichtlich der nationalen Gesetzgebung ein.18 Verbraucherschutz stellt wie Umwelt- und Gesundheitsschutz eine Querschnittsmaterie dar. Die Querschnittsklausel des Art 12 AEUV ist als Optimierungsgebot an alle Organe der EU gerichtet. In allen Politikbereichen sowie bei allen Maßnahmen soll dadurch ein hohes Verbraucherschutzniveau berücksichtigt werden.19 Art 169 AEUV ermöglicht der Union, Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels zu setzen. Diese Maßnahmen können entweder nach Art 169 Abs 2 lit a AEUV auf die Binnenmarktkompetenz des Art 114 AEUV gestützt werden oder unabhängig davon als allgemeine verbraucherschutzrechtliche Regelungen festgelegt werden. Als Maßnahmen kommen insbesondere Verordnungen und Richtlinien in Betracht, die im ordentlichen 20 Gesetzgebungsverfahren gemäß Art 294 AEUV zu erlassen sind. Um eine Harmonisierung der Rechtsvorschriften zum kollektiven Rechtsschutz in den Mitgliedstaaten zu erreichen, werden überwiegend Richtlinien gemäß Art 288 AEUV erlassen. Diese sollen nur ein grundlegendes Schutzniveau bieten, welches als Mindeststandard einzuhalten ist. Die Mitgliedstaaten können allerdings auch strengere Regelungen festlegen.21 Richtlinien sind von den Mitgliedstaaten im nationalen Recht umzusetzen, wobei eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Form und Mittel der Umsetzung besteht. Nur die Ziele der Richtlinie sind verbindlich.22 Durch die Unterlassungsklagen-Richtlinie 199823 wurde ein Katalog an Verbraucherschutzbestimmungen definiert. Bei Verstößen gegen diese Bestimmungen, welche die kollektiven Interessen berühren, sollten Unterlassungsklagen ermöglicht werden. Damit wurde der Anwendungsbereich der bis dahin in Österreich bestehenden Verbandsklage entsprechend erweitert. Ist ein berechtigtes Interesse am kollektiven Rechtsschutz gegeben, sollten die jeweiligen Organisationen und öffentlichen Stellen der Mitgliedsstaaten die gesetzliche Klagebefugnis für Unterlassungsklagen erhalten. Es wurden auch Vorgaben für die gerichtliche Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Verstößen gemacht. Ziel der Umsetzung der Richtlinie war, einen Mindeststandard an kollektivem Rechtsschutz in den Mitgliedsstaaten zu erreichen.24 18 Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba 7. 19 Vgl. Lurger in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 12 AEUV Rz 1-4. 20 Vgl. Lurger in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 169 AEUV Rz 29. 21 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 45f. 22 Vgl. Schroeder in Streinz, EUV/AEUV3 (2018) Art 288 AEUV Rz 53. 23 Richtlinie 98/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl 1998 L 166, 51. 24 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 250f. 7
Im Jahr 2008 wurde von der Kommission das Grünbuch über kollektive 25 Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher vorgelegt. Ziel dieses Grünbuchs war, den Status quo zu kollektiven Rechtsschutzinstrumenten in der EU zu bewerten, Verbesserungsmöglichkeiten darzulegen und Stellungnahmen der Mitgliedstaaten, der Verbraucherverbände und anderer Interessenvertretungen einzuholen.26 Es wurde aufgezeigt, dass viele Verbraucher bei Streitwerten unter 1.000 EUR aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der langen Verfahrensdauer von der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen mittels Individualklagen absehen. Entschädigungsleistungen waren zu diesem Zeitpunkt auch im EU- Recht beim kollektiven Rechtsschutz nicht vorgesehen.27 Ein Jahr später wurde die Unterlassungsklagen-Richtlinie 2009 erlassen. Die bestehende Unterlassungsklagen-Richtlinie aus dem Jahr 1998 wurde durch andere Richtlinien mehrfach geändert, was zur Unübersichtlichkeit der Rechtsvorschriften im EU-Recht geführt hatte. Durch die neue Richtlinie wurde eine kodifizierte Fassung geschaffen und die bestehende Richtlinie aufgehoben.28 Die Umsetzung erfolgte in Österreich hauptsächlich im UWG29 sowie in den §§ 28ff KSchG.30 Durch die Kommissionsempfehlung aus dem Jahr 201331 sollte der Zugang zum Rechtsschutz bei Verstößen gegen Verbraucherschutzbestimmungen des Unionsrechts erleichtert werden. Empfehlungen sind als unverbindliche Handlungsformen allerdings weder durchsetzbar noch unmittelbar anwendbar. Sie dienen aber als Unterstützung bei der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften durch nationale Gerichte. Für die Organe der EU entfalten sie eine Selbstbindungswirkung. Die Organe sollen nicht entgegen ihren eigenen Empfehlungen oder Stellungnahmen Maßnahmen erlassen.32 In den Erwägungsgründen der Empfehlung wurde festgehalten, dass durch die bestehenden Kollektivverfahren auf Unterlassung keine Möglichkeit besteht, Schadenersatz zu erhalten und die Verfahrensvorschriften in den Mitgliedstaaten stark voneinander abweichen.33 25 Grünbuch der Europäischen Kommission vom 27. November 2008 über kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren für Verbraucher, KOM(2008) 794 endgültig. 26 Vgl. Meller-Hannich/Höland, Die Europäische Sammelklage, GPR 2011, 168-176 (169). 27 Vgl. KOM(2008) 794 endg, 4f. 28 Vgl. Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl 2009 L 110, 30. 29 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb BGBl I 1984/448. 30 Vgl. Schauer, Europäische Rechtsgrundlagen, in Deixler-Hübner/Kolba 7 (20). 31 Vgl. schon oben II. A. 5. 32 Vgl. Schroeder in Streinz3 Art 288 AEUV, Rz 128. 33 Vgl. ErwGr 10 bis 12 Empfehlung 2013/396/EU, ABl 2013 L 201, 60. 8
C. Bestehende Rechtslage in Österreich 1. Verbandsklagen Viele Verbraucher setzen ihre Rechte mittels Individualklage nicht durch. Da sich ein effektiver Verbraucherschutz daher nicht erreichen lässt, wurde im KSchG bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens im Jahr 1979 die Verbandsklage eingeführt. Diese ist im zweiten Hauptstück in den §§ 28-30 geregelt und ermöglicht es den in § 29 Absatz 1 genannten Verbänden, Unternehmer wegen rechtswidriger Geschäftspraktiken auf Unterlassung zu klagen. Zu Beginn war die Verbandsklage nur auf die Verletzung von Rechtsvorschriften des KSchG beschränkt, der Anwendungsbereich wurde im Zuge der Umsetzung der Unterlassungsklagen-Richtlinie 1998 durch Einführung des § 28a KSchG auf zusätzliche Verbraucherschutzbestimmungen erweitert. § 29 KSchG wurde um einen Absatz 2 erweitert, um Verbandsklagen in Österreich auch für ausländische Organisationen und öffentliche Stellen zu ermöglichen.34 Die Aufzählung der Verbände in § 29 KSchG ist abschließend. Unter Verband sind bestimmte Kammern, öffentliche Stellen und mit öffentlichen Geldern finanzierte Vereine zu verstehen.35 Die Verbandsklage kann auf mehrere Tatbestände gestützt werden. Nach § 28 Abs 1 KSchG ist diese möglich, wenn gesetz- oder sittenwidrige Klauseln im geschäftlichen Verkehr verwendet werden. Der Unterlassungsanspruch kann unabhängig von einem Verschulden geltend gemacht werden. Auch die Empfehlung oder die bloße Gefahr der Verwendung solcher Klauseln reicht bereits. Wird ein außergerichtliches Abmahnverfahren nach § 28 Abs 2 KSchG durch einen Verband durchgeführt und gibt der betroffene Unternehmer eine vollständige Unterlassungserklärung ab, die mit angemessener Konventionalstrafe bewehrt ist, so kann er damit ein Verbandsklageverfahren verhindern. Eine Unterlassungsklage ist allerdings auch ohne vorgelagerte Abmahnung unmittelbar möglich.36 Als Hilfsmittel zur Kontrolle sowie zur Nachkontrolle nach Beendigung eines Verfahrens dient den Verbänden die Bestimmung des § 28 Abs 3 KSchG. Damit sollen AGB und Vertragsformblätter auf Verlangen an die Verbände ausgefolgt werden.37 Nach § 28a KSchG kann auch bei Verstößen gegen andere gesetzliche Bestimmungen auf Unterlassung geklagt werden. Es sind nur bestimmte Regelungen, die EU-Richtlinien zum Verbraucherschutz umsetzen von Relevanz und es müssen durch die Verstöße eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen mit Verbrauchern betroffen sein. Als zusätzliche Voraussetzung müssen die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt worden sein. Ein Abmahnverfahren kann auch in diesen Fällen vorgeschaltet werden. 34 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 249f. 35 Vgl. Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, KBB - Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 29 KSchG Rz 1. 36 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 251f. 37 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 253f. 9
Nach § 14 UWG kann ebenfalls auf Unterlassung geklagt werden, sofern Verstöße gegen Vorschriften des UWG vorliegen. Sowohl Mitbewerber als auch Verbände sind dazu aktivlegitimiert. Eine allgemeine Voraussetzung ist das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, da die Verbandsklage auf Unterlassung gerichtet ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn weitere Störungen ernsthaft zu erwarten sind. Die Beweislast für den Wegfall liegt beim Beklagten.38 Eine einmalige Störung reicht nach der Rsp bereits aus. Wurde eine Unterlassungserklärung mit vollständiger Unterwerfung abgegeben, so kann damit die Wiederholungsgefahr beseitigt werden.39 § 30 Abs 1 KSchG ordnet an, dass einzelne Bestimmungen des UWG auch bei Verbandsklagen nach KSchG anwendbar sind. Somit können einstweilige Verfügungen zur Anspruchssicherung sowie die Veröffentlichung des Urteils beantragt werden. Durch die Veröffentlichung soll eine Aufklärung der Öffentlichkeit über die rechtswidrigen Geschäftspraktiken erreicht werden.40 Durch die Verbandsklage kann auf wirksame Weise eine präventive Marktkontrolle erfolgen. Verbände können unmittelbar auf Grundlage eines eigenen Anspruchs und im öffentlichen Interesse auf Unterlassung hinsichtlich AGB und bestimmter unzulässiger Geschäftspraktiken klagen. Parallel dazu kann auch auf Unterlassung und Beseitigung nach den Regeln des UWG geklagt werden. Mandate von Verbrauchern sind dafür nicht erforderlich.41 Ein Blick auf die aktuelle Rechtsprechung des OGH zeigt die Effektivität von Verbandsklagen. In einem Verfahren des VKI gegen die Erste Bank konnten 14 Klauseln in AGB für unzulässig erklärt werden.42 Das Urteil erstreckt sich auf alle betroffenen Verträge oder Rechtshandlungen. Eine Vielzahl von Verbrauchern profitiert somit von den Urteilswirkungen, ohne selbst klagen zu müssen. Durch die Möglichkeit der Urteilsveröffentlichung lässt sich auch eine generalpräventive Wirkung erzielen, da andere Unternehmen dadurch von entsprechenden Handlungen abgehalten werden.43 Nachteilig ist, dass die Regelungen des KSchG keinen Folgenbeseitigungsanspruch vorsehen. Lediglich im Falle der Verwendung unzulässiger AGB ist es möglich, sofern damit eine unlautere Handlung iSd UWG vorliegt, auf diesem Weg Beseitigungsmaßnahmen zu erreichen. Diese sind allerdings eingeschränkt, da der Beklagte ein Wahlrecht hinsichtlich der Ausgestaltung der Maßnahmen hat.44 38 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 254 ff. 39 Vgl. Kathrein/Schoditsch in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, KBB - Kurzkommentar zum ABGB6 (2020) § 28 KSchG Rz 4. 40 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 257. 41 Vgl. Leupold, Kollektiver Rechtsschutz: Österreich und Deutschland im Vergleich, ecolex 2019, 564 (564). 42 Vgl. OGH 25. 3. 2021, 8 Ob 106/20a. 43 Vgl. Lurger/Augenhofer, Österreichisches und Europäisches Konsumentenschutzrecht2 250. 44 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (564). 10
In § 28a KSchG ist die Liste der Geschäftspraktiken taxativ aufgezählt und es fehlen bestimmte Regelungsbereiche. Um auch gegen Handlungen in diesen Bereichen mit der Verbandsklage gemäß § 28 KSchG vorgehen zu können, muss immer ein Umweg über unzulässige AGB- Klauseln gefunden werden. Ein weiterer Nachteil besteht darin, dass der vom Unternehmer erzielte Unrechtsgewinn nur im engen Anwendungsbereich des Telekommunikationsgesetzes abgeschöpft werden kann und nicht mit Hilfe der Verbandsklage. Ganz erheblich nachteilig für die betroffenen Verbraucher ist, dass mit Einbringung der Klage durch einen Verband die Verjährung der Ansprüche nicht gehemmt wird. Gerade aus diesem Grund unterstützt die Verbandsklage nicht den einzelnen Verbraucher bei der Durchsetzung seines Anspruchs und ist daher als Instrument des kollektiven Rechtsschutzes nicht ausreichend.45 2. Verbandsmusterklagen Den Verbänden können auch Ansprüche von Verbrauchern zur Durchsetzung abgetreten werden, um sogenannte „Musterprozesse“ zu führen. Die Regelung des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO46 hebt Rechtsmittelbeschränkungen für Verbände auf. Trotz Unterschreitung der Wertgrenze kann das Rechtsmittel der Revision an den OGH erhoben und eine höchstgerichtliche Entscheidung erreicht werden. Ohne diese Regelung würden Rechtsmittelverfahren spätestens bei den Oberlandesgerichten in letzter Instanz enden. Es soll dadurch eine regional unterschiedliche Rechtsprechung verhindert werden.47 Mit Ausnahme von negativen Feststellungsklagen können alle Arten von Ansprüchen geltend gemacht werden, sofern diese im Wege der Zession abtretbar sind. Bei einem vertraglich vereinbarten Zessionsverbot kann der betroffene Anspruch nicht mit Hilfe der Verbandsmusterklage geltend gemacht werden, was auch durch die Rechtsprechung des OGH48 bestätigt wurde. Ein weiterer Nachteil besteht bei grenzüberschreitender Anspruchsdurchsetzung. In diesen Fällen scheitert die Verbandsmusterklage, da sich der jeweilige Verband hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit im Anwendungsbereich der EuGVVO49 nicht auf den 50 Verbrauchergerichtsstand nach den Art 17ff stützen kann. Nur wenn der Verbraucher selbst als Kläger oder Beklagter auftritt, kommt ihm dieser zugute.51 45 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565). 46 Zivilprozessordnung RGBl 1895/113. 47 Vgl. Deixler-Hübner, Exkurs: Verbraucherrechtliche Sonderklagen, in Deixler-Hübner/Kolba (Hrsg), Handbuch Verbraucherrecht (2015) 406 (408). 48 Vgl. OGH 9. 5. 2007, 7 Ob 85/07m. 49 Verordnung 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl 2012 L 351, 1. 50 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408). 51 Vgl. EuGH 19.01.1993 Rs C-89/91, Shearson Lehman Hutton/TVB, ECLI:EU:C:1993:15. 11
Die Urteilswirkungen beschränken sich ausschließlich auf die Parteien des Verfahrens. Verjährungsfristen ähnlicher Ansprüche werden durch die Verfahrenseröffnung nicht unterbrochen und die beklagten Unternehmen werden in aller Regel auch nicht freiwillig eine Verzichtserklärung hinsichtlich der Verjährung abgeben. Aus diesen Gründen ist auch die Verbandsmusterklage kein geeignetes Instrument zur kollektiven Rechtsdurchsetzung.52 Zwecks Führung eines Musterverfahrens gegen die Wiener Linien hatte sich der Verein für Konsumenteninformation (VKI) den Anspruch einer Jahreskarteninhaberin mit einem Streitwert von 60 Schilling abtreten lassen. Mittels Revision konnte so beim OGH eine Preiserhöhung für unwirksam erklärt werden.53 Nur weil die Wiener Linien freiwillig für alle anderen Jahreskartenverträge die Mehrbeträge zurückgezahlt haben, konnten auch die anderen Kunden vom Ausgang des Verfahrens profitieren und mussten nicht selbst Klage einreichen.54 3. Sammelklagen nach österreichischem Recht Da sich mit Musterverfahren nur die Rechtsfragen eines Musterfalles klären lassen, trifft bei Massenschadensereignissen alle anderen Geschädigten die bereits dargestellte Verjährungsproblematik. Mit der Sammelklage nach österreichischem Recht soll dies dadurch verhindert werden, dass sämtliche Ansprüche an einen Sammelkläger abgetreten und von diesem geltend gemacht werden.55 Als Sammelkläger kann grundsätzlich jede natürliche und juristische Person auftreten. Am häufigsten treten Verbände wie der VKI oder die Bundesarbeitskammer als Kläger auf.56 Daneben bestehen auch Vereine wie COBIN claims57 und der Verein zum Schutz der 58 Verbraucherinteressen (Verbraucherschutzverein) , welche ebenfalls verschiedene Sammelklageaktionen betreiben. Damit ein Kläger mehrere Ansprüche im Wege der objektiven Klagenhäufung zusammenrechnen kann, müssen diese grundsätzlich gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN59 in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. 52 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566f). 53 Vgl. OGH 6. 9. 2001, 2 Ob 190/01g. 54 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408). 55 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (408). 56 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566). 57 Vgl. https://www.cobinclaims.at/ (abgefragt am 15.07.2021). 58 Vgl. https://www.verbraucherschutzverein.at/ (abgefragt am 15.07.2021). 59 Jurisdiktionsnorm RGBl 1895/111. 12
Sollen mehrere voneinander unabhängige Ansprüche gesammelt eingeklagt werden, so kann dies dennoch mittels einer objektiven Klagenhäufung nach § 227 Abs 1 ZPO erfolgen. Voraussetzung dafür ist, dass für alle Einzelansprüche die Zuständigkeit des gleichen Gerichts gegeben und jeweils die gleiche Verfahrensart zulässig ist. Hinsichtlich der Wertgrenzen normiert § 227 Abs 2 ZPO mit Verweis auf § 49 Abs 1 Z 1 JN, dass Ansprüche mit einem Wert unter 15.000 EUR mit Ansprüchen, die einen höheren Streitwert aufweisen, verbunden werden können. Damit wird auch der geringerwertige Anspruch vor dem Landesgericht verhandelt. Gleiches gilt für die Wertgrenze bei Senatsanträgen.60 Bei der Revision an den OGH greifen die Wertgrenzen des § 502 Abs 2 und 3 ZPO. Wenn die einzelnen Streitwerte stark voneinander abweichen, besteht das Risiko einer nachträglichen Aufteilung der Klage im Rechtsmittelverfahren und es kann zur Abweisung einzelner Ansprüche kommen. Dies lässt sich nur ausschließen, wenn die Ansprüche an einen Verband gemäß § 29 KSchG als Sammelkläger abgetreten werden und so die wertmäßigen Beschränkungen durch die Regelung des § 502 Abs 5 Z 3 ZPO nicht anwendbar sind.61 Die gesetzlich vorgesehenen Verbände sind durch diese Regelung im Vergleich zu den genannten Vereinen oder sonstigen Personen privilegiert. Die Vereine streben aus diesem Grund eine Aufnahme in die Liste der Verbände an.62 Die Einbringung der Klage erfolgt in zwei Stufen. Zuerst müssen die einzelnen Ansprüche dem Sammelkläger mittels Inkassozession abgetreten werden. Dieser kann anschließend mittels objektiver Klagenhäufung gemäß § 227 ZPO die Streitwerte der einzelnen Ansprüche zusammenrechnen und beim zuständigen Gericht einbringen.63 Die Bündelung mehrerer individueller Ansprüche über eine Inkassozession wurde vom OGH grundsätzlich für zulässig erklärt, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Der Anspruchsgrund der einzelnen Ansprüche muss in wesentlichen Teilen gleichartig sein. Auch die im Verfahren zu behandelnden Tatsachen- und Rechtsfragen in Bezug auf die Hauptfrage oder eine entscheidende Vorfrage aller gebündelten Ansprüche müssen im Wesentlichen gleich sein.64 60 Vgl. Rechberger/Klicka in ZPO5 (2019) § 227 ZPO Rz 1-2. 61 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409). 62 Vgl. zur Petition des Vereins COBIN claims https://www.openpetition.eu/at/petition/online/cobin-claims-aufnahme-in-den-kreis-der-verbandsklage- legitimierten-organisationen (abgefragt am 15.07.2021). 63 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409). 64 Vgl. OGH 12.7.2005, 4 Ob 116/05w = ecolex 2005/359. 13
Bei Massenschäden können mit dem Instrument der Sammelklage innerhalb eines einheitlichen Zivilverfahrens Schadenersatzleistungen erstritten werden. Durch die Sammlung vieler Einzelansprüche entstehen in Summe höhere Streitwerte. Damit wird die Klage auch interessant für Prozessfinanzierer, welche im Rahmen einer Finanzierungsvereinbarung das Prozesskostenrisiko übernehmen und dafür im Falle des Obsiegens des Sammelklägers eine Erfolgsbeteiligung erhalten. Der OGH65 sowie die Lehre66 haben bereits untersucht, ob diese Art der Vereinbarung gegen das quota-litis-Verbot des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB verstößt und dies verneint. Der Sammelkläger behält somit seine Klagelegitimation.67 Auch Geschädigte ohne Rechtsschutzversicherung erhalten so die Möglichkeit, sich der Sammelklage anzuschließen und Schadenersatz zu erlangen. Aufgrund der stärkeren Position des Sammelklägers mit dem Prozessfinanzierer im Hintergrund entsteht ein größerer Druck auf beklagte Unternehmen und die Chancen für einen Vergleich können dadurch ebenfalls verbessert werden.68 Durch die Führung vieler einzelner Verfahren bei unterschiedlichen Gerichten kommt es zu einer uneinheitlichen Rechtsprechung. Die Entscheidung gleicher Tatsachen- und Rechtsfragen im Rahmen eines einheitlichen Verfahrens bei einem zuständigen Gericht trägt maßgeblich zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei.69 Neben den zahlreichen Vorteilen der Sammelklage nach österreichischem Recht bestehen aber auch einige Nachteile bei dieser Art der kollektiven Rechtsdurchsetzung. Trotz der Zulässigkeit der Anspruchsbündelung wird in der Praxis häufig vonseiten der beklagten Partei, wenn auch regelmäßig erfolglos, die Unzulässigkeit einer Sammelklage eingewandt. Dies führt zu einer Verzögerung des Verfahrens und einer unnötigen Erhöhung der Prozesskosten. In der Anlaufphase des Verfahrens fallen zwar durch die konzentrierte Einbringung der einzelnen Ansprüche noch geringere Kosten an, allerdings können diese im Rahmen des Beweisverfahrens ins uferlose steigen, da keine Regelungen für eine Kostendeckelung existieren. Aufgrund des Erfordernisses der Zession von Ansprüchen an den Sammelkläger müssen die Geschädigten selbst aktiv werden, um ihre Ansprüche in das Verfahren einzubringen. Dieses Opt- in-Modell führt in der Praxis dazu, dass sich nur wenige Personen am Verfahren beteiligen (lt. VKI nur maximal 5% aller Geschädigten). Ansprüche, die nicht zur Rechtsdurchsetzung abgetreten werden, unterliegen der Verjährung. Verbraucher, die nur von Streuschäden betroffen sind, werden kein Interesse an der Abtretung ihrer Ansprüche an den Sammelkläger haben.70 65 Vgl. OGH 27.2.2013, 6 Ob 224/12b = VbR 2013/5. 66 Vgl. Oberhammer, Sammelklage, quota litis und Prozessfinanzierung, ecolex 2011, 972 (980). 67 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566). 68 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (410). 69 Vgl. Kodek, Die "Sammelklage" nach österreichischem Recht, ÖBA 2004, 615 (616). 70 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566). 14
Auch aus Sicht der Justiz stellt die Führung von solchen Großverfahren eine Herausforderung dar, da die Verfahren durch die gesammelte Prüfung und Entscheidung vieler einzelner Ansprüche komplexer werden.71 Bei Fällen mit Auslandsbezug besteht die gleiche Problematik wie bei der Verbandsmusterklage. Durch die Abtretung der Ansprüche geht der Verbrauchergerichtsstand in Österreich verloren. Bei deliktischer Schädigung mit Auslandsbezug wird über Art 7 Nr 2 EuGVVO neben der internationalen Zuständigkeit auch die Gerichtszuständigkeit am Ort des Schadenseintritts festgelegt. Dies führt idR dazu, dass mehrere Sammelklagen bei unterschiedlichen Gerichten gegen den gleichen Beklagten eingebracht werden müssen.72 In Österreich wurden bereits einige Sammelklagen erfolgreich durchgeführt, beispielsweise im Falle unzulässiger Zinsgleitklauseln bei Verbraucherkrediten sowie bei Anlegerschäden durch fehlerhafte Beratung.73 Derzeit sind zum VW Abgasskandal 16 Sammelklagen des VKI in sämtlichen Landesgerichtssprengeln in Österreich anhängig.74 Der EuGH hat dazu in einem Vorabentscheidungsverfahren bereits die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte bestätigt.75 Sowohl der Verein COBIN claims76 als auch der Verbraucherschutzverein77 betreiben parallel dazu eigene Sammelaktionen in dieser Angelegenheit. 71 Vgl. Kodek, ÖBA 2004, 615 (623). 72 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (566). 73 Vgl. Deixler-Hübner in Deixler-Hübner/Kolba 406 (409). 74 Vgl. zum aktuellen Stand der Verfahren https://verbraucherrecht.at/sammelaktionen-vw/5317 (abgefragt am 15.07.2021). 75 Vgl. EuGH 09.07.2020 Rs C-343/19, Verein für Konsumenteninformation/Volkswagen AG, ECLI:EU:C:2020:534. 76 Vgl. zur Aktion von COBIN claims https://www.diesel-klage.at/ (abgefragt am 15.07.2021). 77 Vgl. zur Aktion des Verbraucherschutzvereins https://www.verbraucherschutzverein.at/Sammelaktionen-Diesel-Schaeden/ (abgefragt am 15.07.2021). 15
D. Umsetzung in anderen Rechtsordnungen In den EU-Mitgliedsstaaten existieren derzeit kollektive Rechtsschutzmechanismen in unterschiedlicher Ausprägung.78 Es lohnt sich ein genauerer Blick auf die Regelungen in Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden, weil sich dadurch die unterschiedlichen Ansätze bei der Gestaltung von Kollektivklagen besonders gut hervorheben lassen. Zusätzlich sind die Regelungen in den USA von Bedeutung, da dort bereits seit längerer Zeit echte Gruppenverfahren bestehen. Eine zentrale Fragestellung bei der Gestaltung des kollektiven Rechtsschutzes ist, ob die Beteiligung der Verbraucher am Verfahren mittels eines Opt-in- oder Opt-out-Modells erfolgen soll. Bei einem Opt-in-Modell müssen die Verbraucher selbst aktiv werden, um am Verfahren teilnehmen zu können. Im Gegensatz dazu sind sie bei einem Opt-out-Modell von Anfang an automatisch ins Verfahren einbezogen und müssen eine ausdrückliche Erklärung dazu abgeben, falls sie doch nicht teilnehmen und damit in weiterer Folge auch nicht von den Entscheidungswirkungen betroffen sein möchten.79 Im Auftrag des Bundesverbandes der deutschen Verbraucherzentralen haben Prof. Gsell und Prof. Meller-Hannich ein Gutachten80 erstellt, in welchem die bestehende Rechtslage in ausgewählten EU-Mitgliedsstaaten analysiert wird. Zusätzlich werden Möglichkeiten zur Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht vorgeschlagen. Auf dieses Gutachten wird in diesem Kapitel sowie im Kapitel zu den Umsetzungsmöglichkeiten in Österreich Bezug genommen. 1. Europa In Deutschland lassen sich die Instrumente des kollektiven Rechtsschutzes in Verbandsklageverfahren, Musterverfahren sowie Sammelverfahren kategorisieren. Zur Bekämpfung unzulässiger AGB und Geschäftspraktiken ist eine Verbandsklage im Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) geregelt. Die Parallelnorm ist in Österreich in § 28 KSchG zu finden. § 2 UKlaG erfasst wie § 28a KSchG Verstöße gegen bestimmte Verbraucherschutzgesetze. Die deutsche Regelung bietet aber neben dem Anspruch auf Unterlassung auch einen Anspruch auf Beseitigung. Ein weiterer Vorteil betrifft den Katalog der Verbraucherschutzbestimmungen in § 2 UKlaG. Die Aufzählung ist nur demonstrativ, daher kann bei sämtlichen Verstößen gegen Rechtsnormen im Bereich des Verbraucherrechts geklagt werden.81 78 Vgl. Meller-Hannich, Kollektiver Rechtsschutz in Europa und Europäischer Kollektiver Rechtsschutz, GPR 2014, 92 (92). 79 Vgl. Loewit/Eichmeyer, Die Durchsetzung von Massenschäden: Opt-in versus Opt-out, ÖJZ 2020, 1057 (1059). 80 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21- 02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (abgefragt am 15.07.2021). 81 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (564). 16
Im Gegensatz zur Rechtslage in Österreich erfassen die Urteilswirkungen auch die betroffenen Verbraucher. Diese müssen ihre Leistungsansprüche zwar selbstständig einklagen, können sich dabei aber auf das Urteil des Verbandsverfahrens stützen. Durch Einbringung der Verbandsklage wird die Verjährung der Einzelansprüche betroffener Verbraucher nicht gehemmt. Daher bietet auch die deutsche Regelung kein ausreichendes Schutzniveau.82 Im Jahr 2005 wurde im Bereich der Musterverfahren als Reaktion auf eine Klagewelle gegen die Deutsche Telekom AG das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) erlassen. Das Verfahren nach dem KapMuG ist zweigeteilt. Im ersten Schritt wird ein Vorlageverfahren vor dem zuständigen Landgericht und anschließend ein Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht geführt. Für jeden Verbraucher wird aufgrund seiner eingebrachten Individualklage ein Vorlageverfahren durchgeführt. Die individuelle Geltendmachung der Ansprüche bleibt den Geschädigten somit trotz des Musterverfahrens nicht erspart. Ein weiterer Nachteil ist, dass der Anwendungsbereich auf Klagen eingeschränkt ist, die fehlerhafte Angaben in öffentlichen Kapitalmarktinformationen betreffen.83 Im Vorlageverfahren vor dem Landgericht kann entweder der Kläger oder der Beklagte einen Musterfeststellungsantrag einbringen. Ist der Antrag zulässig, wird dieser vom Gericht im elektronischen Bundesanzeiger öffentlich kundgemacht und das Verfahren unterbrochen. Erst nachdem innerhalb einer Frist von vier Monaten mindestens neun zusätzliche Anträge mit dem gleichen Feststellungsziel eingelangt sind, werden die Anträge dem Oberlandesgericht vorgelegt. Das Oberlandesgericht führt anschließend das Musterverfahren und wählt dazu aus den Klägern der Ausgangsverfahren einen Musterkläger aus. Das Verfahren endet mit einem Musterentscheid als Beschluss. Die zwischenzeitig unterbrochenen Einzelverfahren bei den Landgerichten können danach wieder aufgenommen und es kann eine Entscheidung über die individuelle Entschädigung gefällt werden. Die Bindungswirkung des Musterentscheids erstreckt sich auf alle Parteien des Musterverfahrens.84 Da die Teilnahme am Musterverfahren bereits zu einem frühen Zeitpunkt durch den Musterfeststellungsantrag beim Landgericht erklärt wird, basiert dieses Verfahren auf einem Opt- in-Modell. Entscheidender Nachteil ist die sehr lange Verfahrensdauer, wodurch eine effektive Rechtsdurchsetzung nicht möglich ist. Seit Beginn des Musterverfahrens gegen die Deutsche Telekom AG sind mittlerweile 15 Jahre vergangen.85 82 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565). 83 Vgl. Möllers/Weichert, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz, NJW 2005, 2737 (2737f). 84 Vgl. Möllers/Weichert, NJW 2005, 2737 (2739f). 85 Vgl. Möllers/Wolf, Die Causa Telekom und das Recht auf effektiven Rechtschutz – zur überfälligen Reform des KapMuG, BKR 2021, 249 (249). 17
Im Jahr 2018 wurde aufgrund des VW-Abgasskandals die Musterfeststellungsklage eingeführt.86 Diese ist am 01.11.2018 in Kraft getreten und in der deutschen Zivilprozessordnung in den §§ 606 ff geregelt. Die Klage kann nur von qualifizierten Einrichtungen eingebracht werden. In der Praxis wurden die Regelungen erstmals im Verfahren des Bundesverbandes der deutschen Verbraucherzentralen gegen die Volkswagen AG angewendet. Die Klage zielt ausschließlich auf eine Feststellungsentscheidung ab, sodass die geschädigten Verbraucher anschließend noch individuelle Leistungsklagen einbringen müssen, um zu einer Entschädigung zu gelangen. Im Leistungsprozess trifft sie das volle Prozesskostenrisiko, da im vorhergehenden Verfahren die individuelle Leistungsberechtigung nicht festgestellt wird.87 Eine Regelung zur Hemmung der Verjährungsfristen für die Einzelansprüche der Verbraucher wurde ebenfalls eingeführt. Diese kommt nur zur Anwendung, wenn die Verbraucher ihre Ansprüche zum Klageregister angemeldet haben. Weitere Voraussetzung ist, dass die einzelnen Entschädigungsansprüche und der Feststellungsantrag in der Klage auf den gleichen Tatsachengrundlagen basieren.88 Da die Verbraucher ihre Ansprüche aktiv bei einem Klageregister anmelden müssen, liegt dem Verfahren ein Opt-in-Modell zugrunde.89 Vorteil dieser Aufteilung in zwei unabhängige Verfahren ist, dass Fragestellungen, die alle Verbraucher betreffen, bereits gebündelt im Feststellungsverfahren behandelt werden können. Dadurch werden die anschließenden Individualverfahren entlastet. Auch die Bereitschaft zu einer außergerichtlichen Einigung wurde in der Praxis dadurch verbessert. Nachteilig ist, dass die Verbraucher durch die frühe Anmeldung an das Verfahren gebunden werden, ohne zu wissen, welche Erfolgsaussichten bestehen. Durch die Anmeldung werden auch keine Beteiligungsrechte gewährt. Die Registeranmeldung wird im Feststellungsverfahren nicht geprüft und kann damit auch nicht als Grundlage für die Entscheidung im späteren Leistungsprozess herangezogen werden.90 Die Führung von zwei separaten Verfahren ist zeitaufwendig und daher nicht dazu geeignet, rasche Kompensation für die geschädigten Verbraucher zu ermöglichen.91 Ein eigenes Verfahren zur kollektiven Durchsetzung einzelner Leistungsansprüche existiert nicht. Wie bei der Sammelklage nach österreichischem Recht können Einzelansprüche mittels Abtretung und Klagenhäufung gesammelt in einer Klage geltend gemacht werden.92 86 Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (62). 87 Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (64f). 88 Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (67). 89 Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (70). 90 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21- 02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (18f, abgefragt am 15.07.2021). 91 Vgl. Augenhofer in Zinner/Reiffenstein 61 (78). 92 Vgl. Leupold, ecolex 2019, 564 (565). 18
Seit dem Jahr 2014 besteht in Frankreich mit der „Action de groupe“ ein Instrument zur kollektiven Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen im Verbraucherrecht. Zur Klage befugt sind nur bestimmte Verbraucher- und Interessenverbände, die staatlich benannt wurden. Das Verfahren ist in zwei Teile gegliedert und die betroffenen Verbraucher können sich erst nach Fällung eines Urteils oder Abschluss eines Vergleichs mit einer Opt-in-Erklärung anschließen. Im ersten Verfahrensteil ist die Gruppe der Verbraucher nur anhand bestimmter Kriterien abstrakt definiert, eine individuelle Anspruchsprüfung erfolgt noch nicht. Die Hemmung der Verjährungsfristen der Einzelansprüche beginnt mit Einbringung der Klage. Ein verkürztes Verfahren ist in Fällen vorgesehen, in denen bereits zu Beginn die Verbrauchergruppe eindeutig feststeht. Dann ist auch eine direkte Schadenersatzleistung durch die Unternehmer möglich. Vorteil bei diesem Verfahren mit zeitlich spätem Opt-in ist, dass die Verbraucher bereits vor Abgabe ihrer Teilnahmeerklärungen wissen, ob sich eine Beteiligung am Verfahren lohnt. Da nur wenige Verbände zur Klage befugt sind und diese auch die Kosten der Verfahren tragen müssen, wurden bisher aber nur wenige Verfahren geführt.93 In Belgien ermöglicht die „Action en réparation collective“ eine unmittelbare Entschädigung für betroffene Verbraucher. Wie in Frankreich sind auch dort nur staatlich zugelassene Verbraucherverbände zur Klage legitimiert. Eine Besonderheit ist, dass die Klage nicht nur eine Entschädigungsleistung für Verbraucher, sondern auch für kleine und mittelständische Unternehmen ermöglicht. Die Möglichkeiten des Gerichts zur Klageprüfung und Organisation des Verfahrens sind sehr umfangreich. Es kann die Grundsatzentscheidung treffen, ob eine Kollektivklage überhaupt zugelassen wird und ob ein Opt-in- oder Opt-out-Modell für den konkreten Fall besser geeignet ist. Nachdem eine Klage für zulässig erklärt wurde, wird zuerst versucht, einen Vergleich zu erzielen. Erst wenn dieser Versuch gescheitert ist, erfolgt die Entscheidung über den Beginn der weiteren Verfahrensabschnitte. Entschädigungsleistungen können entweder für die gesamte Klägergruppe oder individuell festgelegt werden. Im Rahmen einer Entschädigungsphase ist anschließend ein Liquidator für den Vollzug der Entschädigung zuständig. Die Klage hat einen eingeschränkten Anwendungsbereich, welcher nur Verbraucherschutzbestimmungen umfasst. Als weitere Nachteile werden die komplexe Entschädigungsabwicklung, die lange Dauer bis zu einer Entscheidung über die Bildung der Klägergruppe und die Tragung des vollen Prozesskostenrisikos durch die Verbände genannt.94 93 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21- 02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (13f, abgefragt am 15.07.2021). 94 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21- 02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (14f, abgefragt am 15.07.2021). 19
Zum Zweck der kollektiven Rechtsdurchsetzung in den Niederlanden wurde im Jahr 2005 eine gesetzliche Regelung geschaffen, die auf den außergerichtlichen Abschluss eines Kollektivvergleiches abzielt. Dem Namen des Gesetzes entsprechend wird die Bezeichnung WCAM-Verfahren dafür verwendet. Die Anwendbarkeit des Verfahrens ist nicht auf bestimmte Rechtsbereiche eingeschränkt.95 Der Vergleich ist zwischen dem Unternehmen, welchem eine rechtswidrige Handlung vorgeworfen wird, und einem Verband bzw einer Stiftung zu vereinbaren. Die Prüfung und Genehmigung werden durch das zuständige Gericht durchgeführt. Betroffene Verbraucher, die im Verfahren nicht repräsentiert werden wollen, müssen ausdrücklich ihr Ausscheiden erklären. Das Verfahren basiert somit auf einem Opt-out-Modell. Die selbstständige außergerichtliche Vereinbarung der Entschädigung wird in der Praxis von allen Beteiligten anerkannt und hat sich bereits bewährt. Es wurden 2016 noch zusätzliche Regelungen über eine kollektive Schadenersatzklage erlassen, um die Unternehmen noch stärker zu außergerichtlichen Einigungen zu motivieren.96 2. USA Als Instrument zur gemeinsamen Durchsetzung vieler einzelner Ansprüche besteht in den USA im Bereich des Zivilprozessrechts die Class Action. Auf der Rechtsebene des Bundes ist diese in Rule 23 der Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) kodifiziert.97 Grundlage zur Bildung einer Klägergruppe sind gleichartige Rechte oder Ansprüche, die auf gleichartigen Lebenssachverhalten basieren. Charakteristisch für die Class Action ist, dass ein Kläger im eigenen Namen und gleichzeitig als Stellvertreter für alle anderen Gruppenmitglieder auftritt.98 Eine Abtretungskonstruktion wie in Österreich ist zur Geltendmachung der Ansprüche nicht erforderlich. Sind die Kriterien für die Gruppenzugehörigkeit bei einer bestimmten Person erfüllt, so ist diese automatisch Mitglied der Klägergruppe. Es handelt sich dabei also um ein Opt-out- Modell. In bestimmten Ausnahmefällen, wie zB bei Sammelklagen, die arbeitsrechtliche Sachverhalte betreffen, kann durch das zuständige Gericht ein Opt-in-Modell angewendet werden. Zwingende Voraussetzung ist immer die Information der bekannten und sonst noch in Frage kommenden Gruppenmitglieder. Nur so haben die Betroffenen iSd Privatautonomie die Möglichkeit, ihr Ausscheiden aus dem Verfahren zu erklären.99 95 Vgl. Kodek, Kollektiver Rechtsschutz in Europa – Diskussionsstand und Perspektiven, in Blocher/Gelter/Pucher (Hrsg), Festschrift Christian Nowotny zum 65. Geburtstag (2015) 127 (133f). 96 Vgl. Gsell/Meller-Hannich, Die Umsetzung der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie, https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/02/03/21- 02-04_vzbv_verbandsklagen-rl_gutachten_gsell_meller-hannich.pdf (12f, abgefragt am 15.07.2021). 97 Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1058). 98 Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1059). 99 Vgl. Loewit/Eichmeyer, ÖJZ 2020, 1057 (1060). 20
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