Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Deutschen Olympischen Gesellschaft - Ausgabe 2/2008
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Ausgabe 2/2008 Zeitschrift des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Deutschen Olympischen Gesellschaft
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Freundliche Grüße Inhalt aus der OF-Redaktion OF Mosaik 4 OF-Podium: Herta Däubler-Gmelin 6 D as Olympische Feuer in aller Munde, in den weltweiten Schlagzeilen, auf der universalen politischen Tagesord- nung. Kann man sich, liebe Leserinnen und Leser, einen gewal- Menschenrechte und olympischer Sport Prof. Dr. Helmut Digel 8 Trotz allem: Die Olympischen Spiele in Peking tigeren PR-Knalleffekt für eine Publikation gleichen Namens sind eine Chance 12 vorstellen? Wir sehen Staatenlenker, gekrönte Häupter, Frie- Günter Deister densapostel, religiöse Würdenträger, Regierungen, Protestbe- "The Games must go on" - auch diesmal 14 wegungen und ungezählte Institutionen mit diesem Leucht- Prof. Dr. Michael Krüger symbol des Sports befasst. Wir nehmen aber gleichzeitig zur Licht und Schatten: Der lange Weg des Olympischen Feuers 16 Kenntnis, dass der Lauf um die Welt, der Stationenweg durch Dr. Andreas Höfer alle Kontinente, der auf die Olympischen Spiele im August Die Urheberschaft 17 2008 in Peking einstimmen soll, keine erdumspannenden Dr. Kerstin Kirsch Begeisterungsstürme bei Millionen von Menschen auslöst. Oft Auf dem Weg nach Peking: ist sogar das Gegenteil der Fall. Andreass Dittmer - der mündige Athlet von der Müritz 20 Günter Deister Die Fackel wird da, wo es die politischen Verhältnisse zulassen, Britta Heidemann - eine deutsch-chinesische Liebesggeschichte 22 zum Freiheits- und Menschenrechtsfanal, was ja - gewaltfrei - Christiane Moravetz durchaus im olympischen Sinne ist. Sie nimmt allerdings Ralf Schumann - olympische Gelassenheit durch anderswo nur auf verschlungenen Pfaden und mit dem Glaubensstärke 24 gewollten Effekt der weitgehenden Nichtbeachtung Kurs auf Steffen Haffner Peking. Ein Dilemma, das der Politik im Reich der Mitte Der getrübte Blick auf die Olympiastadt Peking und die geschuldet ist. Die ungelöste Tibet-Problematik, verhaftete möglichen Folgen 26 Bürgerrechtler, unterdrückte Minderheiten, Horror-Hinrich- Michael Gernandt tungszahlen - alles dies rückt mit Olympia in den Fokus der Der Kontroll-Overkill: Neues Problemfeld Moleku ulardoping 30 Weltöffentlichkeit. Und das Olympische Feuer wird zum Michael Reinsch grenzüberschreitenden lodernden Protest mit Langzeitwir- Deutscher "Förderalismus" im Spitzensport 34 Günter Deister kung. So jedenfalls hatten sich die Pekinger Veranstalter den Fackellauf nicht vorgestellt. Interview mit Harald Denecken 38 Michael Gernandt Die neue "SSportlichkeit" und der alte "Sportgeist" Andererseits bekommen eigentlich schon jetzt die olympi- müssen keine Gegensätze sein 40 schen Realisten Recht, die mit der Vergabe der Spiele an Prof. Dr. Ommo Grupe Peking gewisse Öffnungstendenzen dank weltweiter Aufmerk- OF-Kommentare 46 samkeit erwartet haben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Prof. Dr. Detlef Kuhlmann / Dr. Karlheinz Gieseler / Denn ohne Olympia keine derartigen Reaktionen. Sicher, die Harald Pieper feierlichen Momente fehlen bisher. Und ob sie dem Gesamt- Sport - einn Bollwerk gegen den Antisemitismus szenario letztlich überhaupt noch beschieden sein werden und bekommt Risse 48 können, bleibt abzuwarten. Das Olympische Feuer immerhin Torsten Haselbauer / Martin Kraus brennt weiter, wenn es zur Zeit auch so heftig wie selten Sie sind im Kommen - und zwar mit Schmackes Zurr Zukunft der Vereine gehören auch die Alten 52 flackert. Umso mehr bemühen wir uns in dieser Ausgabe, Bianka Schreiber-Rietig unserem Namen im realistischen wie idealistischen Sinne Was macht eigentlich ...? Heinz Ulzheimer 56 verpflichtet, mit zahlreichen Beiträgen um zeitgemäße Orien- Steffen Haffner tierungshilfe in der zuweilen verworrenen olympischen Welt. Traurig stteht der Turnvater in der Hasenheide 58 Dr. Andreas Müller Ihr Harald Pieper Galerie: Pierre de Coubertin und die Künste - ein reiches Fammilienerbe 64 Prof. Dr. Norbert Müller / Dr. Christian Wacker Nachrichten des Deutschen Olympischen Sportbundes 68 Impressum 74 Nachrichten der Deutschen Olympischen Gesellschaft 76 Nachrichten der Deutschen Olympischen Akademie 91 Deutsches Sport & Olympia Museum 95 3
12 Deutsche in Thomas Bach, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes und Vizepräsi- resse des deutschen Sports sehr dankbar. Es gewährleistet im Hinblick auf die Fortset- IOC-Kommission dent des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), leitet im IOC auch weiter- zung der Aufgaben Kontinuität und ist Ausdruck einer engen und vertrauensvollen hin die "Juristische Kommission" sowie die Zusammenarbeit mit IOC-Präsident Rogge "Kommission für Sport und Recht". Darüber und dem gesamten Executive Board", E in rundes Dutzend Persönlichkeiten aus Deutschland ist in Arbeitsgremien des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hinaus ist Bach Mitglied der "Marketing-Kommission", der tätig. Sie beraten dort in internationalen Kommission für "Fernsehrechte Angelegenheiten des Sports und vertreten und Neue Medien". Thomas die Interessen deutscher Sportorganisatio- Bach war bei den Olympischen nen. Mit Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper Winterspielen 2006 erneut zum (Berlin) und Sven Busch (Hamburg) zogen Vizepräsidenten gewählt wor- zwei neue Mitglieder aus Deutschland in den, nachdem er diese Funktion IOC-Kommissionen ein. Gudrun Doll-Tepper gemäß Satzung 2004 turnusge- nimmt fortan den Platz von Ilse Bechthold mäß verlassen hatte. in der Frauen-Kommission ein, Sven Busch (Deutsche Presse-Agentur) ersetzt Hans- "Für die Berufung in derart Hermann Mädler (Deutsche Presse-Agentur) zentrale Verantwortungsbereiche in der IOC-Pressekommission. bin ich dem IOC auch im Inte- Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper IOC-Präsident Rogge: "Freie Meinungsäußerung ist ein Menschenrecht" A nlässlich einer aufgrund der Tibet- Krise von der Welt-Öffentlichkeit stark beachteten Sitzungswoche des schen Spielen 205 Länder und Gebiete vertreten sind, von denen sich viele unterei- nander in Konflikten befinden und die renzen, religiösen Disputen und vielem anderen genutzt würden. Internationalen Spiele nicht der Ort "Wenn Athleten ihre Meinung ausdrücken Olympischen Komi- sind, diese auszutra- wollen, ist das begrüßenswert", erklärte tees Anfang April in gen", sagte Rogge. Rogge weiter: "Aber es gibt natürlich auch Peking sprach IOC- das Recht, sich nicht zu äußern. Es gibt Präsident Dr. Jacques Regel 51.3 sieht vor, keine moralische Verpflichtung Stellung zu Rogge zu den Dele- dass "keine Art von nehmen. Sie haben auch das Recht, sich auf gierten aus 205 politischer, religiöser ihre sportliche Vorbereitung zu konzentrie- Nationalen Olympi- oder rassistischer ren und sollten sich nicht dazu gedrängt schen Komitees. Propaganda an fühlen, sich zu äußern, wenn sie dies nicht Dabei sagte er unter olympischen Wett- wollen. Das IOC und die Nationalen Olympi- anderem: kampfstätten, Ein- schen Komitees haben die Verpflichtung, sie richtungen oder vor jeder Form von Druck zu schützen. Ich "Die Möglichkeit zum Gebieten erlaubt ist, erwarte nicht, dass die Regel 51 häufig Ausdruck der persön- ein Prinzip, dass in gebrochen wird. Athleten sind erwachsene lichen Meinung ist der Olympischen und intelligente Menschen. Sie wissen, was ein grundlegendes Charta seit mehr als sie sagen können und was nicht. Wenn sie Menschenrecht und 50 Jahren die Univer- Zweifel haben, werden IOC und NOK ihnen benötigt deshalb salität der Spiele helfen", fasste Rogge zusammen. keine spezielle Klausel rechtfertigt. Die in der olympischen Anwendung dieser An die Vertreter der NOKs gerichtet sagte Charta, weil sie dort impliziert wird. Wir Regel ist Konsens", erklärte Rogge und er: "Kehren Sie in Ihre Länder zurück, achten aber darauf, dass es weder Propa- ergänzte, dass ohne diese Regel olympische sprechen Sie mit den Aktiven, sagen Sie ganda noch Demonstrationen an olympi- Wettkämpfe und Zeremonien als Bühne Ihnen, dass die Spiele gut vorbereitet sind; schen Orten gibt und zwar aus dem einfa- aller Art von politischen Statements zu es sind ihre Spiele und die Welt wird sich chen und guten Grund, dass bei Olympi- bewaffneten Konflikten, regionalen Diffe- freuen, ihnen zuzuschauen." 4 OF-MOS AIK
kommentierte Dr. Bach die Mitarbeit in den Seiten umfassende und vom Weltrat für Marken. Die vier Motive der Serie "Für den wichtigen Steuerungsgremien. Sportwissenschaft und Leibes-/Körpererzie- Sport 2008" sind den Olympischen Spielen hung (ICSSPE) in Auftrag gegebene Werk in Peking, der Fußball-Europameisterschaft Walther Tröger, das zweite deutsche IOC- wurde beim Empfang des Internationalen in Österreich und der Schweiz, der Schach- Mitglied, zugleich Mitglied des DOSB-Präsidi- Paralympischen Komitees (IPC) in Bonn der Olympiade in Dresden und der Segelflug- ums, ist weiterhin Vorsitzender der Kommissi- Öffentlichkeit vorgestellt. Die Weltrat- WM in der Nähe von Berlin gewidmet. on "Sport für alle" und darüber hinaus IOC- Präsidentin und Vizepräsidentin des Deut- Bereits seit 13. März sind die Briefmarken in Delegierter für den Behindertensport. Darüber schen Olympischen Sportbundes (DOSB), Postfilialen, Postagenturen und im Handel hinaus arbeitet er in der Kommission zur Prof. Dr. Gudrun Doll-Tepper, würdigte das erhältlich. Für die Entwürfe zeichnet die Vorbereitung des IOC-Kongresses 2009 mit. Werk als ein einzigartiges Zeugnis der Grafikerin Andrea Voß-Acker aus Wuppertal Vergangenheit und Gegenwart der paralym- verantwortlich. Im Haushaltsjahr 2007 Weitere deutsche Vertreter in IOC-Kommis- pischen Sportbewegung und des Internatio- konnte die Stiftung Deutsche Sporthilfe sionen sind: Dr. Roland Baar (Umweltkom- nalen Paralympischen Komitees. Das mit rund 3,5 Millionen Euro Einnahmen aus mission), Matthias Berg (Kommission Sport Mitteln des Internationalen Olympischen Zuschlägen von vier Briefmarken und einem und Recht), Joseph Fendt (Umweltkommis- Komitees (IOC) verfasste Buch trägt den Jubiläumsblock "40 Jahre Sporthilfe" verbu- sion), Walter Schneeloch (Kommission Sport Titel: "Athlete First. A History of the Para- chen. 2008 wird kein Block mehr veraus- für alle), Stefan Kürten (Radio- und TV- lympic Movement". Geschrieben wurde es gabt, so dass die Sporthilfe nur noch ca. 1,7 Kommission), Prof. Dr. Karl Lennartz (Kom- von dem anerkannten Sportwissenschaftler Millionen Euro an Erlösen aus vier mission für Kultur und Olympische Erzie- Steve Bailey vom Wincester College (Groß- Zuschlagsmarken erwarten kann. hung), Prof. Dr. Norbert Müller (Kommission britannien). Es erscheint in englischer für Kultur und Olympische Erziehung), Dr. Sprache und kann zum Preis von 75,00 Euro h.c. Klaus Schormann (Kommission für Kultur und Olympische Erziehung). bezogen werden über den Buchshop von ICSSPE in 14053 Berlin, Hanns-Braun- Letzte deutsche Olympia- Straße, Friesenhaus II, Tel. 030-36418850, Fax 8056386 sowie direkt im Internet unter medaillengewinnerin von Deutsche Leberstiftung www.icsspe.org. 1936 verstorben unterstützt Olympia-Teilnehmer Neue Sport-Briefmarken M it Elfriede Kaun verstarb die letzte deutsche Medaillengewinnerin bei den Olympischen Spielen von 1936 im Alter von D ie Deutsche Leberstiftung hat dem Deutschen Olympischen Sportbund B undesfinanzminister Peer Steinbrück stellte in Köln die neuen Sport-Brief- marken 2008 der Öffentlichkeit vor. Bun- 93 Jahren. Die Kieler Hochspringerin belegte im Berliner Olympiastadion den dritten Platz, wobei sie mit 1,60 m die gleiche Höhe wie angeboten, kostenfrei bei allen deutschen desinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble, die beiden Erstplazierten erreichte. Die Teilnehmern an den Olympischen Spielen in DOSB-Präsident Dr. Thomas Bach und gelernte Kindergärtnerin, die 1935 als erste Peking den Impfstatus festzustellen und Sporthilfe-Chefin Ann Kathrin Linsenhoff Deutsche 1,60 m überqueren konnte, erzielte eine Impfempfehlung abzugeben. Hinter- erhielten von Steinbrück im Rahmen der ihre beste Leistung 1939 mit 1,63 m. grund der Maßnahme ist, dass in China die Festakademie zum 125-jährigen Jubiläum Infektion mit dem Hepatitis B-Virus eine der des Deutschen Ruderverbandes im Kölner häufigsten Erkrankungen ist. Wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Medizi- Gürzenich die ersten Andrucke der neuen Richtigstellung nischen Hochschule Hannover und der Deutschen Leberstiftung heißt, kann durch eine einfache Blutuntersuchung festgestellt werden, ob eine Person durch eine zurück- E in "elektronischer Purzelbaum", den sich die Experten des Verlages nicht erklären können, hat uns im letzten Heft eine liegende Infektion oder Impfung bereits unliebsame Überraschung beschert. Den einen Schutz gegen Hepatitis A- und B- Beitrag von Professor Ommo Grupe zum Virusinfektionen hat. Wenn nicht, kann eine "Olympischen Leitbild", der mit dem Satz entsprechende Impfung erfolgen. endet - "Ohne die Spiele wäre sie in jedem Fall ‚ärmer'" - die Welt nämlich, die er meinte, schloss sich gewissermaßen ganz Geschichte der nahtlos Michael Gernandts Kommentar zum The-ma "Rekordexperimente" der Seiten 10 paralympischen Bewegung bis 12 ein weiteres Mal an. Ein Ärgernis, das wir zu entschuldigen bitten. Ommo Grupe selbst reagierte großherzig souverän mit der ie wechselvolle Geschichte der interna- Feststellung, Gernandts Ausführungen D tionalen paralympischen Bewegung ist jetzt als Buch erschienen. Das knapp 300 hätten es durchaus verdient, zweimal ge- lesen zu werden. OF-MOS AIK 5
och nie ist über China und seine Erfolge, aber richtigen Forderungen an die chinesische Regierung? N auch über die Menschenrechte in China und ihre Veränderung und über seinen Umgang mit Tibet und anderen Minderheiten so viel berichtet und gestritten Haben die Olympischen Spiele als weltweites offenes Fest der Begegnung und des Sports in Peking überhaupt noch eine Chance? Und was ist mit den Menschenrechten in worden wie in diesen Monaten vor den Olympischen China? Spielen in Peking. Das war zu erwarten und ist an sich zu begrüßen, weil China eben nicht allein wirtschaftliche Um mit letzterem anzufangen: Ich halte es für wichtig, die Großmacht, sondern auch wichtiges Mitglied der Weltge- Entwicklung der Menschenrechte in China wie in den ver- meinschaft ist, die ohne China keine durch Rechtsstaat- gangenen Jahren auch in der nächsten Zeit genau im Auge lichkeit und Menschenrechte geprägte globale Ordnung zu behalten und an der Verbesserung mitzuarbeiten. Das aufbauen kann. darf mit dem Ende der Olympischen Spiele auch nicht aufhören. Dabei wissen alle Interessierten, dass die Umset- China profitiert von der mit den Olympischen Spielen zung der Menschenrechte zunächst einmal Sache der Chi- verbundenen weltweiten Publicity. Allerdings sollten nur nesen selbst sein seine vielen, Respekt gebietenden Erfolge dargestellt muss. Man muss werden. Jetzt treten auch die Konflikte um Tibet und jedoch die Regie- fehlende Menschenrechte in den Vordergrund. Das stört rung auf jeden Manche in der Regierung, gehört jedoch zum realistischen kritischen Fall Gesamtbild Chinas. ansprechen - und es gibt leider mehr Auch die Exiltibeter und andere Minderheiten haben, wie davon als uns lieb ihre Internet-Präsentationen zeigen, die Olympischen sein kann. Dieses Spiele und den olympischen Fackellauf längst in ihre Verhalten ist auch Kampagnen um weltweite Aufmerksamkeit für ihre Anlie- keineswegs eine gen eingeplant - das ist ihr Recht. Einmischung in innere Angelegen- Die Niederschlagung des Aufstands und der Demonstratio- heiten, denn China nen der Tibeter und die Unterbindung jeder unabhängigen hat Menschen- Berichterstattung durch China haben jetzt vieles kompli- rechtspakte ratifi- ziert. Zusätzlich sehen wir in den letzten Wochen, dass ziert; China ist sich die kontroversen Positionen immer mehr verhaken, ständiges Mitglied was den Interessen einiger Akteure entsprechen mag, der des UN- Sicherheits- Stärkung der Menschenrechte und den berechtigten Anlie- rates und Mitglied gen der Tibeter jedoch wenig nützt. im UN-Menschen- rechtsrat. Damit ist Hier in Deutschland ist auch über einen Boykott der Olym- es dem universalen Prüfungsverfahren unterworfen wie pischen Spiele oder der Eröffnungsfeier oder darüber Deutschland auch. Als Großmacht hat es geradezu die diskutiert worden, den Sportlern Protestäußerungen zu Pflicht, Vorbild zu sein, auch wenn das China ebenso wenig gestatten. Im Chor der Forderungen dringen meist die gefallen mag, wie anderen großen Staaten auf unserem besonders schrillen Vorwürfe gegen die Regierung der VR Planeten. China, gegen das IOC und den DOSB durch, die natürlich Wirtschaft und Politik einbeziehen. Auch das nützt den Ich halte die Lage in Tibet für eine Tragödie, und es ist Menschenrechten nicht. Dafür entrüsten sich jetzt in zusätzlich ärgerlich, sicherlich zugleich eine wichtige China immer mehr Menschen mehr oder minder offiziell, Ursache für die weltweit kritische Berichterstattung, dass weil sie nur hören, "der Westen" gönne China weder seine China die Möglichkeit zu unabhängiger Information Erfolge noch die Spiele. Diese Welle des Nationalstolzes unterbunden hat. Genau das verhindert ja die gemeinsame droht, die kritischen Forderungen in China zu übertönen Grundlage für die Bewertung der Gewalttaten dort, die und die nötige Bereitschaft der Machthaber zu Dialog und auch niemand verteidigen wird, der die Tibeter als den Diskussion über die Verbesserung der Menschenrechte zu kleinen David ansehen, der sich kulturell und religiös bremsen. gegen den riesigen Goliath China behaupten muss. Gerade wer nicht nur die wirtschaftlichen Erfolge Chinas, sondern Was also tun? Wie soll das Olympische Komitee, wie sollen auch die Veränderungen beim Aufbau der Zivilgesellschaft sich die Sportler wegen Tibet verhalten? Was sind die und den Weg zu mehr Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit 6
in China mit großem Respekt verfolgt, muss diese falsche Jetzt ist die Zeit, aufeinander zuzugehen. Dazu sind alle Informationsstrategie als gravierenden politischen Fehler aufgefordert, die sich beteiligen können: Das IOC und die ansehen, der umgehend korrigiert werden muss. NOKs, ganz ohne Zweifel, die mit ihren chinesischen Part- nern, aber auch mit den einflussreichen Sponsoren bespre- Deutsche Journalisten haben berichtet, dass wohl alle chen müssen, wie die Forderung nach Transparenz und Seiten den Hass und das Gewaltpotenzial vieler junger Offenheit und nach Fairness mit Tibet umgesetzt werden Tibeter unterschätzt haben, die sich aus dem Gefühl der können. Wenn das gelingt und die chinesische Regierung Diskriminierung, der Unterlegenheit und der Überfrem- davon überzeugt werden kann, umgehend wieder unab- dung aufgestaut haben. Jetzt wird es darauf ankommen, hängige Journalisten zuzulassen, auch freie Gespräche mit dass die Strafverfolgung der Gewalttäter nachweisbar Sportlern und neugierigen China- Touristen, dann können rechtsstaatlich erfolgt und dass die friedlich Demonstrie- die Spiele noch das werden, was sie sein sollten: Ein welt- renden mit Respekt und Achtung behandelt werden, auch weites Fest, bei dem Sportler miteinander wetteifern und wenn ihre religiösen oder kulturellen Forderungen den viele tausend Menschen neue Kontakte knüpfen und OF-PODIUM Aufeinander zugehen - das nützt China und den Menschenrechten Von Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages Machthabern nicht gefallen. Die chinesische Führung hat Freundschaften schließen. Das nützt China, das hilft den seit Beginn ihrer Öffnungspolitik viel berechtigten Respekt Menschenrechten. für die Veränderung ihres Landes erfahren. Jetzt könnten die Erfahrungen etwa aus Frankreich bei der Bewältigung Und wenn der eine Sportler oder die andere Sportlerin, die der Gewaltaufstände junger Migranten in französischen China mit seinen Erfolgen und Problemen kennen, ein Vorstädten hilfreich sein: Auch dort war Befriedung erst Zeichen von Protest von sich geben will, dann gehen erfolgreich, als die Ursachen von Hass und Gewalt politisch davon weder China, noch die Welt, noch die Olympischen mit den Betroffenen aufgearbeitet wurden. Deshalb ist der Spiele unter. Ich jedenfalls habe die schwarzen Olympiasie- Dialog mit den Verantwortlichen in Tibet und mit dem ger bewundert, die auf dem Siegerpodest gegen die Ras- Dalai Lama als dem heute noch anerkannten religiösen senpolitik der USA protestierten, auch wenn das ein Ver- Führer, der weder Gewalt noch die Herauslösung Tibets aus stoß gegen den Comment des IOC war. Ich bin sicher, das dem Staatsverband Chinas akzeptiert, schlicht eine Frage ging auch vielen anderen Menschen so. Auch in China. der Klugheit. * Herta Däubler-Gmelin, Bundesministerin der Justiz a.D., ist Ich hoffe, dass die Monate bis zu den Olympischen Spielen auch Vorsitzende des Komitees für Rechtsangelegenheiten nicht durch immer mehr gegenseitige Vorwürfe und dann und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung geradezu zwangsläufig steigende Abgrenzung vertan des Europarates werden. 7
Menschenrechte und olympischer Sport: Auf drängende Fragen gibt es oft nur unzureichende Antworten Von Helmut Digel " D ie Würde des Menschen ist unantastbar" - diese ist, wenn die Frage nach der Einhaltung der Menschenrechte in Maxime ist das Fundament, auf dem die Gründungs- einer totalitären Gesellschaft gestellt wird, so ist dies ange- väter der Bundesrepublik Deutschland eine neue sichts der Menschenrechtsverletzungen, die nach wie vor in deutsche Gesellschaft gebaut sehen wollten. Mit diesem Satz China alltäglich sind, notwendig, naheliegend und bedarf einer wird auf die humanitäre Katastrophe verwiesen, die der Natio- sorgfältigen Würdigung. Der olympische Sport, allen voran das nalsozialismus in Deutschland und weit über Deutschland IOC hat sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Es darf dabei hinaus ausgelöst hatte. Mit dieser Feststellung wird eine Leitli- jedoch nicht vergessen werden, dass Menschenrechtsverletzun- nie angeboten, die es uns möglich macht, dass aus der men- gen nicht nur in Diktaturen vorkommen. Auch in Demokratien schenverachtenden Politik der Vergangenheit gelernt werden wird noch die Todesstrafe vollstreckt. Präventive Verhaftungen kann, dass sich unsere Gesellschaft zukünftig durch Humanität sind auch in nordamerikanischen und europäischen Staaten und Würde auszeichnen kann. Damit ist uns Deutschen aber immer häufiger auf der Tagesordnung, und die Verweigerung auch ein Auftrag mit auf den Weg gegeben, wo immer die des Dialogs mit Andersdenkenden zeichnet nicht nur die Menschenwürde angetastet wird. Wo immer Menschenrechte autoritären Regime dieser Welt aus. Auch kann der Hinweis in dieser Welt verletzt werden, sind diese anzuklagen und ist gemacht werden, dass in China nicht erst in jüngster Zeit dagegen anzugehen. Wir alle haben uns dafür einzusetzen, Menschenrechtsverletzungen zu beobachten sind, ja dass sich dass es zu einer Achtung der Würde des Menschen kommt. die Situation in Bezug auf die Menschenrechte seit der markt- Deshalb ist jeder Vollzug einer Todesstrafe ein Vollzug zuviel, wirtschaftlichen Öffnung eher positiv entwickelt hat. Dieser jede Bestrafung eines angeblich Schuldigen ohne ein Urteil relativierende Hinweis geht meist mit dem Vorwurf einher, dass eine Bestrafung zuviel, jede präventive Verhaftung eine zuviel sich die Verfechter der Menschenrechte der populären Olympi- und jede Verweigerung des Dialogs mit Andersdenkenden eine schen Spiele bedienen würden, um auf diese Weise eine inte- Verweigerung zuviel. Grundsätzlich muss für uns alle gelten, ressierte Öffentlichkeit zu erhalten. dass jede Verletzung der Menschenwürde eine zuviel ist. Dies gilt für unser eigenes Land. Dies gilt für Demokratien. Dies gilt Gewiss können solche Fragen aufgeworfen und diskutiert vor allem aber auch für autoritäre oder totalitäre Staaten, so z. werden. Es kann auch der Hinweis gemacht werden, dass B. für Russland und nicht zuletzt für China. Wenn wir von zuvor bereits Großereignisse des Sports in China stattgefun- Menschenrechten reden, so sollten sie allen Menschen gewährt den haben, ohne dass sie eine entsprechende Menschen- werden, und wir haben uns deshalb auch in aller Entschieden- rechtsdiskussion ausgelöst haben. Die Organisationen des heit gegen eine Relativierung der Menschenrechte einzusetzen. Sports werden zu Recht auch darauf hinweisen, dass in den Menschenrechte sind universell, wo immer Menschen leben, Ländern, in denen bislang Olympische Spiele ausgerichtet haben sie Gültigkeit. Frauen wie Männer haben einen Anspruch wurden, keineswegs eine Situation anzutreffen war, die unter auf Gleichberechtigung, Kinder benötigen den Schutz der Menschenrechtsgesichtspunkten alle zufrieden stellen konnte. Erwachsenen, Minderheiten sind von der Mehrheit zu respek- Solche Hinweise sind verständlich, und solche Fragen sollten tieren, Religionsfreiheit ist zu gewähren, jeder Mensch hat das diskutiert werden. Bezogen auf das Problem, das es zu lösen Recht auf ein würdiges Leben. gilt, sind sie jedoch nicht weiterführend. Wenn in diesen Tagen und Wochen aus Anlass der Olympi- Es ist notwendig, angemessen und gerade auch für die Olym- schen Spiele in Peking vermehrt der Fokus auf China gerichtet pische Bewegung bedeutsam, dass sie sich aus Anlass der 9
Olympischen Spiele in China den Fragen nach der Würde des der Journalist, der Partner aus der Wirtschaft, der Wissen- Menschen und den Fragen nach dem Vollzug der Menschen- schaftler. rechte stellt. Doch die Antworten auf diese Fragen sind kei- neswegs so einfach zu finden, wie es üblicherweise ange- Jene, die dabei dem Bereich des Sports zugehören, sollten nommen wird. Wir alle beklagen die Verletzung der Men- sich dabei jedoch eher durch Bescheidenheit auszeichnen. schenrechte, wir alle wehren uns, wenn die Würde des Men- Der Beitrag des Sports, den er zu Gunsten einer positiven schen angetastet wird, wir alle nehmen für uns eine Menschenrechtsentwicklung erbringen kann, ist eher ein bestimmte Moral in Anspruch, um auf das Unrecht hinzuwei- indirekter Beitrag. Auch dieser Beitrag kann durchaus seine sen, dass mit Menschen an den verschiedensten Orten dieser Wirkungen zeigen. Dies lässt sich in China seit seiner Öff- Welt geschieht. Die Frage, die sich in Bezug auf die Men- nung, seit der Entscheidung zu Gunsten der chinesischen schenrechtsverletzungen in China und anderswo auf dieser Olympischen Spiele in vielfältiger Weise beobachten. Der Welt jedoch stellt, ist jene nach der Verantwortung. Wer Sport ist ohne Zweifel ein Anlass für umfassende Lernpro- übernimmt Verantwortung, wenn Menschenrechte verletzt zesse. Der Sport ist auch ein Anlass für einen Wissensaus- werden, welche Verantwortung gibt es aus einer nationalen, tausch im Sport selbst und weit über den Sport hinaus. aus einer bilateralen, aus einer internationalen Perspektive? Schließlich ist der Sport vor allem auch ein Anlass der per- Sucht man eine Antwort auf diese Frage, so müssen wir ein sönlichen Begegnung und des persönlichen Gesprächs, in Dilemma erkennen. dem Menschen Vertrauen aufbauen, Bindungen eingehen, Verantwortung übernehmen. Die Wirtschaft versucht die Verantwortung in dieser Frage weit von sich zu weisen, sie verweist auf das Politiksystem. Seit der Vergabe der Olympischen Spiele zu Gunsten von Deshalb werden beste Geschäfte mit China gemacht, und Peking haben in China unzählige Begegnungen, Wettkämpfe, deshalb gibt es auch bei Verhandlungen über zukünftige Gespräche, Kongresse, Symposien, Workshops und Beratun- Wirtschaftsbeziehungen nur am Rande oder gar keinen gen stattgefunden. Der Sport war dabei ein Vehikel zur Inter- Menschenrechtsdialog. Die Wissenschaft trifft sich mit den nationalisierung des chinesischen Sports und damit immer Organisationen der Wissenschaft in den betreffenden Län- auch zur Internationalisierung der chinesischen Gesellschaft. dern, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Sie Zumindest Teile, insbesondere die urbanen Regionen der erforscht vielleicht sogar die Situation der Menschenrechte chinesischen Gesellschaft, wurden dadurch geöffnet. Deshalb in China. Eine Verantwortung für den Vollzug der Men- war die Entscheidung des IOC, die 29. Olympischen Spiele schenrechte übernimmt sie jedoch nicht. Die Kultur befindet nach China zu vergeben, eine sinnvolle und wegweisende sich längst in einem internationalen Austausch, auch dabei Entscheidung. Und deshalb wäre ein Boykott der Spiele, so können durchaus Menschenrechte thematisiert werden, wie ihn manche Menschenrechtsorganisationen und einzelne doch die Verantwortung wird auf Dritte abgeschoben. Repräsentanten gefordert haben und fordern, der falsche Gleiches gilt für den Sport. Auch er befindet sich seit lan- Weg. Doch nicht nur Internationalisierung ist dabei eine gem in einem internationalen Austausch. Doch eine Verant- durchaus wünschenswerte Folge, die Sportbegegnungen wortung für die Menschenrechtsproblematik kann und will ermöglicht haben. Der internationale Sport kann auch ein er nicht übernehmen. Bleibt also nur die Politik. Alle ande- demokratisches Modell anbieten, das einer sich wandelnden ren Teilsysteme verweisen auf ihre Nichtzuständigkeit in chinesischen Gesellschaft durchaus ein Vorbild sein kann. Bezug auf das Problem. Betrachten wir die Politik etwas genauer, so müssen wir jedoch erkennen, dass sie sich in Die chinesische Gesellschaft befindet sich auf dem Weg zu Bezug auf die Bearbeitung dieser Thematik als nicht beson- einer Zivilgesellschaft und benötigt dabei strukturelle Hilfen. ders glaubwürdig erweist. Zum einen stehen die politischen Die Idee des olympischen Sports und die Werte des Olympis- Behüter der Menschenrechte in der Gefahr, in ihren eigenen mus, der Verzicht auf jegliche Diskriminierung, das Ideal der politischen Gefilden Menschenrechte zu verletzen. Zum Chancengleichheit und nicht zuletzt das Prinzip des Fairplay anderen wird vor dem Hintergrund vielfältiger politischer können dabei durchaus eine wichtige Hilfe sein. Dennoch hat Interessen der Dialog über die Menschenrechte in der inter- sich der Sport dabei durch Bescheidenheit auszuzeichnen. nationalen Tagesordnung immer weit nach hinten verscho- Denn vor allem ist Glaubwürdigkeit vonnöten. Wenn der ben. Sport selbst die Würde des Menschen antastet, wie dies beim Dopingbetrug der Fall ist, wenn der Sport sich durch Korrup- Will man einen Ausweg aus diesem aufgezeigten Dilemma tion auszeichnet, wie dies in jüngster Zeit vermehrt der Fall finden, scheint es so zu sein, dass die Lösung nur im Men- war, wenn Gewalt im Sport angetroffen werden kann, wenn schen selbst, bei jedem einzelnen Bürger und jeder Bürgerin somit im Sport selbst sein ureigenstes Prinzip, das Prinzip des zu suchen ist. Den Menschenrechtsdialog hat somit jeder von Fairplay mit Füßen getreten wird, so ist allerdings kaum uns zu führen. Jeder ist aufgefordert, sich am Schutz der anzunehmen, dass der Sport den ihm angestammten Beitrag Menschenrechte zu beteiligen: der Sportler, der Funktionär, zum Schutz der Würde des Menschen erbringen kann. 10
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Trotz allem: "allem Unrecht, nicht nur in Tibet, zum Trotz, seit drei Jahrzehnten in vielem auf dem richtigen Weg. Weil es Fortschritte in der Wirtschaft, in Wissenschaft und Kultur, sogar in der Justiz gemacht hat. Weil es ein Die Olympischen immer wichtigerer Partner zu werden beginnt". Es ist eine Einschätzung, die eine Richtschnur war für das Internationale Olympische Komitee (IOC). 1979 nahm es das Nationale Olympische Komitee (NOK) der Volksrepublik auf, und zwar unter der Spiele in Peking von Peking nur mit größtem Zähneknir- schen akzeptierten Bedingung, dass das bereits 1951 anerkannte NOK von Hong- kong und das 1960 aufgenommene Taiwan als eigenständige chinesische Repräsentan- sind eine Chance ten in der olympischen Völkerfamilie ver- bleiben müssten. In keinem anderen Welt- gremium hat das Regime in Peking eine derartige Aufweichung seiner "Ein-China- Politik" zugelassen. Bereits 1993 hielt der damalige IOC-Präsi- Von Günter Deister dent Juan Antonio Samaranch die Zeit für gekommen, Peking die Olympischen Spiele ausrichten zu lassen. Doch sein Einfluss reichte nicht aus. Sydney behielt im Wahlfi- nale die Oberhand mit einer Mehrheit von U m die Situation kurz vor den Olympischen Spielen in zwei Stimmen, und das auch nur deshalb, weil die Australier Peking einschätzen zu können, ist ein Blick in die in der Nacht vor der Abstimmung zwei afrikanische IOC- Vergangenheit Pflicht. Die Volksrepublik China hatte Mitglieder dadurch zu sich herübergezogen hatten, dass sie sich auf ihrem "Großen Marsch" in die totale Isolation verirrt. deren NOK-Organisationen eine üppige Finanzhilfe zusicher- "Der Große Sprung nach vorn" und die "Große Proletarische ten. Acht Jahre später dann gewann Peking mit 56 Stimmen Kulturrevolution" wurden zum Synonym für eine Menschen vor Toronto (22), Paris (18) und Istanbul (9) so eindeutig wie verachtende kommunistische Diktatur, die Millionen von selten zuvor eine Stadt und so mehrdeutig, was die Motive Toten zu verantworten hat, durch blutige Verfolgung und der 105 persönlichen IOC-Mitglieder betrifft: Man müsse durch die Unfähigkeit des Systems, Menschen vor dem Hun- würdigen, dass Peking die mit Abstand besten technischen gertod zu bewahren. Anfang der 70-er Jahre begann sich Voraussetzungen für die Ausrichtung der Spiele präsentiert China, das über fast zwei Jahrhunderte durch japanischen habe; man müsse, trotz aller Risiken, die Fortschritte in China Militarismus und westliche imperiale Macht gedemütigt anerkennen und die weitere Öffnung befördern; man dürfe wurde, vorsichtig zu öffnen. Und es war ausgerechnet der das bevölkerungsreichste Land der Erde mit seiner Jahrtau- Sport, durch den sich die Volksrepublik dem verhassten "Klas- sende alten Geschichte nicht ein zweites Mal abweisen, und senfeind" USA anzunähern versuchte. Chinas Einladung an das zum Vorteil von Europa und Nordamerika, den Dauer- die amerikanische Tischtennis-Nationalmannschaft und deren Gastgebern Olympischer Spiele; man müsse die Potenziale Auftritt 1971 in Peking ging als Ping-Pong-Diplomatie in die nutzen, die dem aufstrebenden Land innewohnen. Es war ein Geschichte ein. Ein Jahr später folgte Präsident Richard Nixon Gemisch aus technischen, geopolitischen, kulturellen, und den Spuren der Sportler bei seinem Treffen mit dem "Großen ökonomischen Motiven - alle zusammen hatten sie gravie- Führer" Mao tse-tung in Chinas Metropole. rende politische Auswirkungen. Der Dalai Lama sagte damals, und er hat es auch jetzt wiederholt: "China hat die Olympi- Seitdem hat sich im Riesenreich eine zweite Revolution schen Spiele verdient." ereignet. Es sei nicht nur "eine gigantische Leistung", 1,3 Milliarden Menschen zu ernähren, zu kleiden, auszubilden Die Weltmeinung schwankte 2001 zwischen Zustimmung und und in Arbeit zu bringen, schreibt "Die Zeit". Das Land sei Ablehnung. Die italienische "La Republica" schrieb: "Jetzt sind 12
sie dran, weil man eine Welt nicht für immer draußen vor der kauften Autos im vergangenen Jahr sind die Wolfsburger Tür lassen kann. Jetzt sind sie dran, weil es die Globalisierung Marktführer in China, die Position soll nun durch den olympi- will. Man lässt dort Sport machen, wo auch die Geschäfte schen Einsatz ausgebaut werden. Adidas, Ausrüster von 16 willkommen sind." Die Londoner "Times" kommentierte: "Der Nationalteams einschließlich des chinesischen, kleidet das olympische Sieg setzt China auf Bewährung. Der auf Heim- Freiwilligen-Heer der Spiele ein und will seinen Umsatz in lichkeit bedachte Staat ist nun unter der Lupe der Welt. Es ist China bis 2010 auf 1,3 Milliarden Euro steigern. Bis vor drei eine Herausforderung für China und ein Test für das IOC." So ist es nun gekommen, auch wenn die Herausforderungen nun viel weiter gespannt sind. "Der Umgang mit China ist zuerst ein Thema der Politik", hat die "Süddeutsche Zeitung" in einem Leitartikel unter der Überschrift "Kein Boykott gegen China" geschrieben und dabei ausgeführt, dass "ein Streit um Symbole nicht Ziel führend" sei. Das gelte beim Dalai Lama im Kanzleramt wie für den Boykott der Spiele oder beim Fernbleiben der politi- schen Prominenz von der Eröffnungsfeier. Ganz klar, Protest ersetzt keine Politik, aber wie reagiert die Politik? Von UN- Generalsekretär Ban Ki Moon über George W. Bush bis Angela Merkel und Gordon Brown, niemand sprach sich für einen Boykott der Spiele aus. Dennoch gab es konsequente Inkon- sequenz zuhauf, wie das Beispiel Frankreich besonders zeigt. Erst stellte Staatsministerin Rama Yade, in der Regierung für Menschenrechte zuständig, für den Besuch der Eröffnungs- feier durch Präsident Nicolas Sarkozy als "Bedingung" auf: Ende der Gewalt, Freilassung der politischen Gefangenen, Aufklärung der Vorfälle in Tibet, Aufnahme eines Dialogs mit dem Dalai Lama. Postwendend widersprach Außenminister Bernard Kouchner: "Frankreich stellt keine Bedingungen", Frankreich wolle nicht einen möglichen Dialog "behindern". Auch klar: Sarkozy hatte erst kürzlich Wirtschaftsvereinba- rungen in Peking über 30 Milliarden Euro abgeschlossen. Das, was nun Frankreich als Bedingung nicht mehr unbedingt will, will nun das Europaparlament bedingt - Fernbleiben der Staats- und Regierungschefs von der Eröffnungsfeier, falls Peking nicht in ein Gespräch mit dem Dalai Lama eintrete. Das würde bei Geschlossenheit Sinn machen. Wirkungsvoller wäre es allerdings, die politischen Anführer würden hingehen und vor Ort ihre Meinung kundtun, wie es nun viele Sportler planen. Die "Süddeutsche" hat zu den Wechselwirkungen zwischen Jahren betrug er noch 100 Millionen Euro. Vorstandschef Handel und Wandel so geschrieben: "Umso absurder ist es, Herbert Hainer spricht von der "besten Chance, die wir jemals nun für ein Sportereignis einen Boykott zu diskutieren, der hatten, um uns in der Region zu präsentieren", die soll durch mit Blick auf deutsche Firmen und ihre Geschäfte in China einen Boykott nicht verloren gehen. Hainer sagt: "Konfronta- noch nie ernsthaft erwogen wurde." Die Volkswagen AG, ein tion bringt uns nicht weiter, es ist besser, einen konstruktiven Hauptsponsor des chinesischen olympischen Organisations- Dialog zu führen." komitees BOCOG, ließ folgerichtig verlauten, man solle von einem Sponsor nicht erwarten, dass er politische Probleme Ein Boykott der Peking-Spiele ist keine Lösung - weil das von lösen könnte. VW bezahlt mehr als 100 Millionen Dollar Anfang an Konsens war in Deutschland bis hin zur Bundes- dafür, dass es BOCOG mit der Fahrzeugflotte von 6.000 kanzlerin und in der Öffentlichkeit trotzdem eine Boykott- Wagen ausrüsten und die Olympische Fackel begleiten darf. Diskussion entbrannte, hatte die Führung des Deutschen Daraus ist jetzt mehr ein Muss geworden. Mit 910.500 ver- Olympischen Sportbundes (DOSB) am 24. März eine Teilnah- 13
me seiner Olympiamannschaft in Peking bestätigt und dabei der Sicht der Politik. Ich finde, dass der Sport solche Dinge erklärt: "Der DOSB verurteilt jede Form von Gewalt als den nicht ohne Abstimmung mit der Politik machen kann", so der Prinzipien des Sports widersprechend." Mit dieser schwer zu SPD-Politiker in einem Interview mit der "Frankfurter Alge- missdeutenden Erklärung, die sich auch auf die Einstellung meinen Zeitung". Gleichzeitig kündigte Danckert an, dass des Dalai Lama stützen konnte, stand die Dachorganisation sechs weitere Mitglieder seines Sportausschusses zu den unter allen internationalen Sportverbänden zunächst allein. Spielen nach Peking fahren werden. Der Politiker wörtlich: Der DOSB konnte dabei Bezug nehmen auf seine Grundsatz- "Wir haben uns, lange bevor Tibet eine Rolle spielte, entschie- erklärung vom 22. Mai 2007. "Der DOSB ist den Menschen- den, die zweite Hälfte der Spiele zu besuchen, so dass die rechten verpflichtet. Dem DOSB ist bewusst, dass die Men- Eröffnungsfeier für uns ausfällt." Das heißt: Politiker haben schenrechtssituation in China trotz feststellbarer Verbesse- schon längst entschieden, hinzufahren, Sportler sollen noch rungen in den letzten Jahren nach wie vor nicht zufrieden warten und gefälligst bei der Politik anfragen, ob sie starten stellend ist." So unterstützenswert und vorausschauend die dürfen. Der Athlet als Verfügungsmasse der Politik - eine Erklärung war, so haftete ihr doch ein beträchtlicher Mangel besonders problematische Argumentation in einer Zeit, in der an: Sie war von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert die Frage der Partnerschaft zwischen Politik und Sport wieder worden. diskutiert wird. Staatssport sei, wenn die Bundeswehr zur Förderung des Spitzensports 760 Planstellen zur Verfügung Christian Breuer, der gewählte Athletensprecher des deut- stellt, sagen Kritiker. Staatssport wäre, wenn Verteidigungs- schen Sports, hat die Erklärung des DOSB vom 24. März mit minister Franz Josef Jung die knappe Hundertschaft an den Worten begrüßt: "Die Boykott-Diskussion ist eine Soldaten im deutschen Team aus Peking abkommandieren immense psychische Belastung für die Sportler, die momen- würde. Das wird er mit Sicherheit nicht tun, sondern überle- tan für die Spiele trainieren." Die Teilnahmebestätigung gen, wie sinnvoll seine eigene Anwesenheit in Peking wäre. bedeute "Planungssicherheit nach Wochen der Verunsiche- rung". Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der Vorsitzende Die internationale Politik in ihrer ersten Zuständigkeit für des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Peter Dan- politische Veränderungen in China schwankend zwischen ckert, zu jenen gehörte, die diese Zusicherung für "voreilig Uneinigkeit und Machtlosigkeit, die globalisierte Wirtschaft und verfrüht" hielten. "Denn die Dinge könnten sich so darauf bedacht, nicht anstößig gegenüber Peking zu werden, zuspitzen, dass man an so etwas denken muss, jedenfalls aus um die Geschäfte nicht zu beinträchtigen - da wirkt es " D as IOC hat noch nie in seiner Geschichte von sich aus Olym- pische Spiele abgesagt, son- dern musste sich in den Fällen, in denen Olympische Spiele ausfallen "The Games must go on" mussten, stets unüberwindlichen Sachzwängen beugen. Eine interessan- te Tatsache sollte in diesem Zusammenhang nicht ver- steht für die Hoffnung auf eine bessere Zukunft, eine fried- schwiegen werden: In allen drei Fällen, in denen die Olympi- lichere Welt und den Fortschritt der Menschheit. Fallen schen Spiele der Neuzeit ausfallen mussten - 1916, 1940 Spiele aus oder werden Spiele boykottiert, werden nicht nur und 1944 - waren die Deutschen maßgeblich dafür verant- die jungen Athletinnen und Athleten betrogen, die sich wortlich. 1972 verhinderte IOC-Präsident Avery Brundage intensiv und über lange Zeit auf dieses Fest vorbereitet durch seine einsame Entscheidung den Abbruch und das haben, sondern stellvertretend für sie die Jugend der Welt Ende der Spiele; obwohl es allen Grund gegeben hätte, insgesamt; und mit ihr verlöre die Menschheit allgemein ein angesichts der Ermordung von jüdischen Sportlern durch Stück Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Jugend der palästinensische Terroristen in Deutschland das gesamte Welt friedlich miteinander wetteifert und streitet und nicht, Unternehmen abzublasen. wie es in Wirklichkeit leider viel zu oft der Fall ist, sich im Namen der Politik mit scharfen Waffen die Köpfe einschlägt "The Games must go on" - Brundage hatte damals gute oder von politischen und militärischen Führern dazu ange- olympische Gründe, dass für ihn ein Abbruch der Spiele stiftet wird. Obwohl die antiken Olympien mehr als tausend nicht in Frage kam. Diese Gründe gelten bis heute: Olympi- Jahre abgehalten wurden und obwohl (oder weil) in der sche Spiele sind ein Fest der Jugend. Sie werden für und Antike Kriege zum Alltag gehörten, fielen sie deshalb nie durch die Jugend der Welt abgehalten. Und diese Jugend aus. Wenn Olympische Spiele ausfallen, bedeutet das für 14
geradezu grotesk, vom IOC zu verlangen, es könne wesentli- Rogges Aufforderung an China, die Menschenrechte einzu- chen Einfluss auf die Verbesserung von Menschenrechten in halten und Pressefreiheit zu respektieren, hat für die Olym- China nehmen. Was man allerdings nach der Niederschlagung pische Bewegung befreiende Wirkung, für die chinesische der Tibet-Erhebung erwarten konnte, war eine klare, unmiss- Führung bedeutet sie eine offene Konfrontation. Von jetzt verständliche Haltung. Daran hat es zunächst gefehlt. Erst als an hält das IOC und Peking nur noch der reine Pragmatis- das an Peking ausgeliehene Symbol des Olympische Feuers mus zusammen, der Welt ein Schauspiel zu liefern, das die unter der chinesischen Trägerschaft zu einer Brandfackel Interessen der beiden Ungleichen nicht allzu sehr beschä- wurde und das IOC in eine nicht gewollte Brüderschaft mit digt. Ob das gelingen kann, ist nun die spannende Frage bis dem autoritären Regime geraten war, wurde Jacques Rogge zur Pekinger Schlussfeier am 24. August. Rogges viel sagen- deutlich. "Das Bewerbungskomitee hat uns 2001 versichert, des Eingeständnis, das IOC befinde sich "zweifellos" in einer die Spiele würden helfen, die soziale und Menschenrechtssi- Krise, gibt eine Vorschau auf die quälenden letzten 100 Tage tuation zu verbessern. Ich rufe dazu auf, diese moralische vor der Eröffnung der Spiele. China wird noch stärker in den Verpflichtung einzuhalten." Grundsätzlich geklärt hat der Fokus der globalisierten Welt geraten, einer Welt, die sich in belgische IOC-Präsident, ein Mann großer Integrität und ihrer Betriebsamkeit normalerweise schnell abwendet und nicht ganz so ausgeprägtem politischen Gespür, auch die nach neuen Schwerpunkten der Erregung sucht. Ein blutig Rechte und Pflichten für Athleten: Freie Rede überall in niedergeschlagener Aufstand hier, eine gewaltige Men- Peking, also auch in olympischen Anlagen. Aus gutem Grund schenkatastrophe dort - war da nicht kürzlich was in Birma dort aber das Aufrechterhalten einer werbefreien Zone, was und Darfur? Die vom IOC nach Peking vergebenen Olympi- das Demonstrationsverbot für wen und was auch immer schen Spiele haben einen Ausnahmezustand geschaffen, der einschließt. Wer lesen wollte, der konnte diese Richtschnur dazu führt, dass Unterdrückung und Menschenrechtsverlet- für Athleten, die das IOC nun noch in eine Ausführungsbe- zungen zu einem Dauerthema geworden sind. Der olympi- stimmung kleiden will, bereits am 4. April bei Thomas Bach in sche Anlass schafft eine weltweite Bühne für andauernde einem offenen Brief des DOSB-Präsidenten an den Sportaus- Auseinandersetzungen und genaueres Hinsehen und ist schuss-Vorsitzenden Danckert nachlesen. Und selbst danach Voraussetzung für Austausch, Dialog und Begegnung - 37 wurde der deutschen Sportführung noch unterstellt, sie plane Jahre nach der ersten Ping-Pong-Diplomatie. So kann man einen "Maulkorberlass". sagen: Trotz allem - die Olympischen Spiele in Peking sind auch eine Chance. und der Millionär Brunda- - auch diesmal Von Michael Krüger ge stolz darauf war. Heute ist das IOC ein reicher Sportkonzern, dem man seine ehrenwerte olympi- sche Philosophie nicht mehr so leicht abnimmt. Olympier dasselbe, wie wenn für Christen das Osterfest Jeder aufmerksame Zeitungsleser weiß, dass bei einem Boy- abgesagt würde. kott oder einer Absage der Spiele für das IOC Milliarden von Dollars bzw. Euros auf dem Spiel stehen. Da spricht - leider Das hört sich heute alles sehr pathetisch an, aber es ist der auch im IOC selbst - kaum noch jemand vom Friedensfest der tiefere, olympische Grund, warum Olympische Spiele nicht Jugend, sondern man scheint nur noch Angst davor zu ausfallen und boykottiert werden dürfen. Es wäre zu wün- haben, dass die olympischen Aktien in den Keller rutschen. schen, dass die Meinungsführer der Olympischen Bewegung solche ethisch-olympischen Begründungen des berühmten Aber das ist falsch. Gerade weil das IOC heute so reich und Satzes von Avery Brundage "The Games must gon on" laut mächtig ist, könnte und müsste es seine Stimme lauter erhe- und deutlich in der Weltöffentlichkeit äußern würden. Dies ben und seine olympische Botschaft verkünden. Das hätte würde nicht ausschließen, ebenso deutliche Worte (und nichts mit Politik zu tun, sondern wäre ein Zeichen, dass der gegebenenfalls auch Taten) gegen offensichtliche Verstöße olympische Sport trotz gefüllter Taschen an seinen Idealen olympischer Prinzipien zu finden. festhält. Wenn das IOC schweigt, kann das auch missverstan- den werden. Nämlich dahingehend, dass die Olympier selbst Aber das IOC von heute befindet sich in einem Dilemma - im nicht mehr an das glauben, was sie in ihre Olympische Charta Unterschied zur Ära Brundage, als das IOC praktisch mittellos geschrieben haben. 15
Licht und A m Anfang war das Feuer. Allemal ist das Erlernen der Fähig- keit, ein solches zu entfa- chen, als ein früher Meilen- stein in der Geschichte der Schatten: Menschheit zu bezeichnen. Das Feuer erwies sich als überaus nützlich, aber auch als eine potenzielle Gefahr. Eine Quelle von Wärme und Licht, aber auch ein Aus- Der lange gangspunkt von Zerstörung und Tod. Ein Sinnbild für die Möglichkeiten und Kraft der Weg des Natur, aber auch für ihre Macht und Gewalt, die für Olympischen den Menschen in letzter Konsequenz nur schwer Feuers beherrschbar erscheint. So ist die Faszination groß, biswei- len - Stichwort Pyromanie - trägt sie auch krankhafte Von Andreas Höfer Züge. Wo Licht ist, findet sich eben auch Schatten. Schon von daher versteht es sich, dass dem Feuer seit jeher ein entsprechender Symbolgehalt innewohnt. In der Antike war ihm gar eine religiöse Bedeutung zuge- wiesen. Laut griechischer Mythologie verdanken die Menschen das Feuer ihrem großen Freund und Förderer Prometheus, der eine Fackel am funkensprühenden Son- nenwagen des Helios ent- zündet und damit auf der Erde einen Holzstoß zum Brennen gebracht haben soll. Ein wahres Husarenstück, für das freilich ein hoher Preis zu entrichten war. Der olympi- sche Gottvater Zeus nämlich sah den Tatbestand des Diebstahls erfüllt. Dem Dieb war eine harte Strafe gewiss, und auch die Nutznießer des Vergehens kamen nicht ungeschoren davon. Im Gegenteil: Eine gewisse 16
Die Urheberschaft Pandora wurde in Bewegung gesetzt, um eine gewisse Büchse zu übergeben, deren Inhalt das Dasein der Erden- bewohner bekanntlich aufs Nachhaltigste zu vergiften vermochte. Sollte sich also die Feuer-Gabe im Sinne dieser Überliefe- rung nachgerade als ein Danaergeschenk ausnehmen, es Geistes Kind der olympische Fackellauf wohl W hinderte dies die Alten Griechen keineswegs daran, die Entzündung des Feuers als einen kultischen Akt im Rah- sei, das hat sich die Weltöffentlichkeit anläss- men von Opferhandlungen zu zelebrieren - und dies lich der jüngsten Entzündung des Olympischen vorzugsweise auch im Rahmen der großen Kult- und Feuers beim Stadion des antiken Olympia und der sich Sportfeste, wie den Olympischen Spielen, die ja nicht anschließenden politischen Turbolenzen erneut gefragt. zuletzt als eine Art Gottesdienst zu Ehren des Zeus ver- Ganz sicher ist der seit 1936 bestehende Ritus aber keine standen wurden. "Erfindung der Nazis". Sehr beliebt waren in diesem Zusammenhang Fackelläufe, Begründet wurde der Fackellauf von Olympia in die aktuel- deren Start und Ziel oft Altäre darstellten, die aber nur le Gastgeberstadt der Olympischen Spiele von dem Deut- selten sportlichen Charakter im engeren Sinne aufwiesen. schen Carl Diem (1882-1962). Dieser war kein Nazi. Er Allerdings sind einige Ausnahmen belegt: Zum Beispiel besaß keine Parteimitgliedschaft der NSDAP. Die Verstri- wurde im Rahmen des großen Sportfestes der Athener, ckung, die Carl Diem mit vielen bedeutenden seiner Zeitge- den Panathenäen, ein Fackelrennen für Epheben, Jugend- nossen teilte, sollte auf der Folie der deutschen Geschichte, liche also, als Wettkampf der einzelnen Phylen oder insbesondere unter kritischer Würdigung der "Wilhelmini- Stadtteile ausgetragen. schen Ära" und deren Tiefenwirkungen gelesen werden. Pierre de Coubertin, der Gründervater des neuzeitlichen Der olympische Fackellauf wird als Überbringer der univer- Olympismus, war ein Philhellene, der es sich zum Ziel sellen olympischen Friedensbotschaft durchgeführt. Diese gemacht hatte, "antiken Geist in moderner Form" zu lässt sich nicht herrschenden Zeitströmungen einfach neuem Leben zu erwecken. Da er den Olympischen Spie- zuordnen, schon gar nicht der Rassenideologie der Nazis. len zudem einen quasi-religiösen Charakter verleihen Zweifellos lässt sich immer wieder eine Ambivalenz oder wollte - Coubertin sprach von einer "religio athletae" -, sogar Instrumentalisierung der "Olympischen Bewegung" versteht sich, dass Symbolik und Zeremoniell im Ablauf durch maßlose Machtinteressen beobachten und beklagen. und Rahmen der Spiele große Bedeutung erhielten. Hier entspringt der Wunsch nach größerer Eindeutigkeit, nach genauerem Wissen, nach gezielterer olympischer Die einzelnen Elemente - etwa der Einmarsch der Natio- Forschung. In welcher Richtung? nen, der Eid, die Fahne mit den Ringen, die Siegerehrung auf dem Treppchen usw. - wurden nach und nach entwi- Nach Professor Nikolaos Nissiotis, dem Athener Religionsphi- ckelt, das Feuer aber kam relativ spät hinzu. Erst 1928 losophen und Ex-Präsidenten der Internationalen Olympi- nämlich loderte ein solches erstmals in einem Olympiasta- schen Akademie (IOA), zudem Mitglied des Weltkirchenrates dion, und zwar in Amsterdam, wo ein innovativer Archi- in Genf, glaubte der Inaugurator der modernen Olympischen tekt einen Turm errichtet hatte, der dem Feuer einen Spiele, Pierre de Coubertin (1863-1937), grundlos, dass die exponierten Standort garantierte. Die Entzündung erfolge griechische Athletik eine "Religion" sei: Coubertins Sportbe- eher unspektakulär. griff richtet sich auf das "Erzielen" einer Transzendenz durch Steigerung der Anstrengungsbereitschaft des Selbst. Das Wer genau die Idee zu dieser zeremoniellen Innovation nennt Coubertin "Athletik". Sein Irrtum resultiert nach hatte, lässt sich aus den verfügbaren Quellen nicht rekon- Professor Nissiotis aus der verabsolutierenden Vermengung struieren. Der Urheber einer weiteren und zwar spektaku- des im christlichen Sinne Heiligen mit demjenigen Weihevol- lären Neuerung lässt sich leichter bestimmen: Carl Diem. len, das allein der griechisch-antike Kulturraum unter "Ath- Seine Idee war es, das Feuer nicht irgendwo und irgend- letik" verstand. wie, sondern feierlich im antiken Olympia entzünden und mit Hilfe eines Fackelstaffellaufes an den Austragungsort Vielleicht findet sich hier ein Fingerzeig für ambivalente der Sommerspiele von 1936 transportieren zu lassen. Einschätzungen, aber auch für Anfälligkeiten des olympi- schen Geschehens heutzutage. Bevor wir urteilen, sollten wir Da auf diese Weise einem vermeintlich unsterblichen uns fragen, wes Geistes Kind wir denn sind. olympischen Geist gehuldigt werden sollte, zeigte sich Kerstin Kirsch 17
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