Zweifelnde Blicke Sport - Spiegel

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Zweifelnde Blicke Sport - Spiegel
Sport

Zweifelnde Blicke
Olympia Die Bilder von Helden und großen Emotionen
schafften es nicht, die Wirklichkeit zu verdrängen. Selbst die
Sportler misstrauten offen vielen Höchstleistungen.
                Als am zehnten Wettkampf-                             sive. Um die Reisen zu finanzieren, legt
                tag ein plötzlich einsetzen-                          sie jeden Monat etwas von ihrer Rente zu-
                der Platzregen den Innen-                             rück. Sie bucht immer ein Jahr im Voraus,
                raum des Olympiastadions                              über Dertour, wo eine persönliche Betreue-
                von Rio de Janeiro unter                              rin sie am Telefon berät.
                Wasser setzt, scheint es, als                           „Olympia ist einfach das Größte“, sagt
                käme der Wahnsinn dieser                              Paepcke, die ihr gesamtes Berufsleben in
                Spiele für einen kurzen Au-                           einer Bücherei der Continental Gummi-
                genblick zum Stillstand.                              Werke in Eldagsen bei Hannover verbracht
Während die Stabhochspringer vor der                                  hat. „Dieses internationale Flair, wenn die
Kurve ihre Stäbe einpacken, legt Hanne-                               Welt zwei Wochen lang in Frieden zusam-
lore Paepcke auf der Tribüne ihr Fernglas                             menkommt. Da fehlen mir die Worte.“
aus der Hand und pustet einmal kräftig                                   Hannelore Paepcke und Hugo Dänhardt
ihre Backen auf.                                                      sind 2 von 20 oder vielleicht 30 deutschen
   Paepcke, eine rüstige ältere Dame, trägt                           Olympia-Globetrottern, die seit Jahrzehn-
eine gestreifte Bluse, die ein Andenken an                            ten den Athleten um die Welt folgen. Sie
die Spiele in Los Angeles ist. Ihre rosa So-                          versuchen, etwas von diesem alten olym-
cken sind aus Seoul, und ihre Hose ist aus                            pischen Geist in eine Zeit hinüberzuretten,
Athen. Um den Hals trägt sie ein Tuch, in                             in der sich immer mehr Menschen von die-
das die Flaggen all der Länder eingestickt                            sen Spielen abwenden, weil sie ihnen zu
sind, die 1936 bei den Spielen in Berlin da-                          groß geworden sind, zu kommerziell, zu
bei waren, dem Jahr ihrer Geburt. Neben                               kriminell. Die Frage aber ist, was es für
ihr in Block 214 sitzt der 76-jährige Hugo                            Olympia bedeutet, wenn jetzt sogar Vete-
Dänhardt, den sie seit Moskau 1980 kennt,                             ranen wie Paepcke oder Dänhardt leise
und hält ein kleines Nickerchen.                                      Zweifel an dem Zirkus kommen, den sie
  „Sind anstrengend, die Spiele, nicht nur                            durch ihr Fernglas sehen.
für die Sportler“, sagt Paepcke. Wie Dän-                               „Ich trau dem nicht“, sagt Paepcke, als
hardt war sie in den letzten Tagen bei der                            der 100-Meter-Läufer Usain Bolt nach dem
Eröffnungsfeier, beim Turnen und beim                                 Regen zur Siegerehrung ins Stadion
Schwimmen, jetzt läuft der dritte Tag der                             kommt.
Leichtathletik, und die Wege zu den Wett-                               „Der macht zu viele Fisimatenten“,
kampfstätten sind fast so lang wie damals                             raunt Dänhardt, den der aufbrandende Ju-
bei den Winterspielen von Calgary, als sie                            bel aus dem Schlaf hochschrecken lässt.
jeden Tag drei Stunden mit dem Auto in                                   Auch ihn störte das Wummern all der
die Berge fuhren.                                                     Helikopter, das sich gestern vor dem
   Seit der 100-Meter-Läufer Armin Hary                               Startschuss des 100-Meter-Rennens über
1960 in Rom ihr Herz für die Leichtathletik                           die Stille des Olympiastadions legte. Für
entflammte, hat Paepcke keine Olympi-                                 viele, die wie Paepcke oder Dänhardt
schen Spiele mehr verpasst. Rio, sagt sie,                            Olympia live verfolgen, ist es der Sound
sind ihre dreißigsten, Winterspiele inklu-                            der Spiele.
                                                                         Die Helikopter zogen ihre Schleifen
                                                                      auch über der Bucht der Segler, sie kreis-    vela Cidade de Deus aufgewachsen ist, in
                                                                      ten über der Beachvolleyballarena am          die Herzen aller Brasilianer kämpfte. In
                                                                      Strand von Copacabana. Nie waren die          diesen Bildern lag eine Kraft, weil sie von
                                                                      Bilder, die sie lieferten, so wichtig. Nie    der Überwindung eines Schicksals handel-
                                                                      machte Olympia an einem Ort Station, des-     ten. Hambüchen war größer als die
                                                                      sen Schönheit sich besser dazu eignete, all   Schmerzen in seiner kaputten Schulter. Sil-
                                                                      die Zweifel zu überstrahlen, die diese        va hatte sich erhoben über ihre Herkunft,
                                                                      olympische Bewegung mittlerweile weckt.       aber viel mehr war da nicht. Schon die
                                              YVES HERMAN / REUTERS

                                                                         Aber es funktionierte nur in seltenen      Show von Usain Bolt, der eigentlich der
                                                                      Momenten. Es funktionierte, als sich der      große Star der Spiele sein sollte, wirkte
                                                                      Turner Fabian Hambüchen mit der letzten       müde und seltsam routiniert.
                                                                      Reckübung seiner Karriere den großen             Die Bilder schafften es nicht, die Wirk-
                                                                      Traum vom Gold erfüllte oder als sich die     lichkeit zu verdrängen. Mit jeder Medaille,
            Gewichtheber Rachimow                                     dunkelhäutige Judoka Rafaela Silva, die       die russische Sportler gewannen, flammten
        Aus der Zeit gefallener Dinosaurier                           in der Nähe des Olympiaparks in der Fa-       die Diskussionen um das russische Staats-
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FRANCOIS-XAVIER MARIT / AFP

                          Olympiaschwimmer nach dem Start: In vier Jahren wird das Märchen weitergestrickt

doping wieder auf. Jeder neue Weltrekord      Stadt, die angesichts verschiedener Krisen     Kern inzwischen aus weitgehend manipu-
weckte misstrauische Blicke. Auf gewisse      überfordert war mit dem Empfang von ei-        lierten Wettkämpfen besteht?
Weise passte es ins Bild einer korrupten,     ner halben Million Gästen. Die keine fuß-         Im Olympiastadion machen sich vor den
um sich selbst kreisenden Organisation, als   ballstadiongroße Wasserballarena braucht,      Augen von Hannelore Paepcke und Hugo
am Mittwoch der irische IOC-Funktionär        sondern Unfallchirurgien, die dem deut-        Dänhardt die Stabhochspringer wieder be-
Patrick Hickey wegen des Verdachts auf        schen Kanutrainer Stefan Henze vielleicht      reit. Der Brasilianer Thiago Braz da Silva
Schwarzhandel mit Eintrittskarten festge-     das Leben hätten retten können. Henze          ist noch im Rennen um Gold, aber wie so
nommen wurde.                                 war mit dem Taxi verunglückt und ver-          oft in diesen Tagen sind die Tribünen auch
  Aber das ist es nicht allein.               starb Tage später im Krankenhaus.              an diesem Abend ziemlich leer. Paepcke
  Rio de Janeiro, das waren die ersten           Nicht nur in Rio fragten sich während       hat gelesen, dass die Brasilianer durch die
Spiele in Südamerika. In den Wochen vor       dieser zwei Wochen viele, wozu es diese        Wirtschaftskrise wenig Geld für Eintritts-
der Eröffnungsfeier war oft die Rede vom      Spiele in ihrer heutigen Form noch braucht.    karten haben, aber andererseits, das hatte
Vermächtnis, das sie hinterlassen würden,     Wie lässt es sich rechtfertigen, an einem      sie auch, als sie 1960 für ihre Romreise ei-
von neuen Bus- und U-Bahn-Linien, aber        Ort wie diesem Milliarden Euro in ein          nen Kredit aufnahm, den sie drei Jahre
dann lenkte Olympia den Blick auf eine        Sportevent zu investieren, das in seinem       lang abbezahlte. „Kann sein“, sagt Paep-
                                                                                                                     DER SPIEGEL 34 / 2016   93
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PATRICK SMITH / GETTY IMAGES
                             Beachvolleyball-Olympiasiegerinnen Laura Ludwig und Kira Walkenhorst: Die unvergesslichen Momente

cke, die keinen Mann und keine Kinder                  Zeiten, sondern die, in denen sie Frieden        ner wettbewerbsverzerrende Mittel näh-
hat, „dass mir Olympia mehr bedeutet.“                 mit der Vergangenheit schloss.                   men, die Bahnradfahrer sprachen davon,
   Olympia, das sind für sie die unvergess-               Es ist etwas, das man vielleicht im Kopf      die Leichtathleten. Rio, das war das Neue,
lichen Momente, die sie abends immer in                haben sollte, wenn man heute Olympia-            waren die Spiele eines offenen General-
ein kleines Büchlein einträgt. 1968 ist sie            bilanzen zieht. Diese Spiele kommen wo-          verdachts.
in einem mexikanischen Hotel dem Sprin-                her, und es ist kein Zufall, dass sie in einer      Wer einen Eindruck davon bekommen
ter Jesse Owens über den Weg gelaufen,                 Zeit gewachsen sind, als sich eine nach          will, warum das so ist, muss nur einen Tag
der das Idol ihrer Kindheit war. Die Un-               dem Krieg in Trümmern liegende Welt              beim Gewichtheben verbringen. Die Zu-
terschrift, um die sie Owens damals bat,               nach Aussöhnung gesehnt hat.                     schauerränge in der Halle sind nur zu ei-
hat sie noch heute, genauso wie das Auto-                 Schwer zu sagen, ob dieser Blick auf die      nem Viertel gefüllt. Kraftprotze mit dicken
gramm des Weitspringers Bob Beamon,                    Spiele überleben wird, wenn Menschen             Armen und dickem Bauch stemmen Eisen-
den sie 20 Jahre nach dessen Rekordflug                wie Paepcke oder Dänhardt irgendwann             stangen über den Kopf, sie blasen die Ba-
durch die mexikanische Höhenluft im                    nicht mehr so weit reisen können. Sicher         cken auf. Schon bei den ersten Olympi-
Deutschen Haus in Seoul getroffen hat.                 ist nur, dass etwas auf dem Spiel steht,         schen Spielen 1896 gehörte das Gewicht-
   Während der französische Stabhoch-                  wenn diese Perspektive fehlt.                    heben zum Programm. Es geht um eine
springer Renaud Lavillenie mit seinem ers-                Die Generationen, die ihnen folgen,           der Kernfragen des Sports: Wer ist der
ten Versuch locker die Höhe von 5,70 Me-               wachsen mit Sportlern auf, deren strahlen-       Stärkste? Aber im Vergleich zu Beachvol-
ter meistert, erzählt Paepcke von dem klei-            de Siege keine Legenden mehr begründen,          leyballern oder BMX-Fahrern wirken die
nen Dorf in Hinterpommern, in dem sie                  sondern nur noch Fragen aufwerfen. Wie           Gewichtheber in Rio wie aus der Zeit ge-
während der Kriegsjahre aufwuchs. Sie er-              kann es sein, dass eine weitgehend unbe-         fallene Dinosaurier. Jürgen Spieß aus Hei-
zählt von den Russen, die Ende 1944 Tod                kannte Äthiopierin über 10 000 Meter mal         delberg lässt auf der Bühne 220 Kilogramm
und Vertreibung brachten, von der Flucht               eben den Weltrekord um eine Ewigkeit             auflegen, die Stange entgleitet ihm. Fehl-
nach Westen und den Schwierigkeiten, die               von 14 Sekunden verbessert? Was sind die         versuch. Im zweiten Anlauf schafft er es,
sie lange hatte, über all das wegzukommen,             Silbermedaillen der russischen Schwimme-         trotzdem landet Spieß am Ende chancen-
aber dann, sagt sie, sei etwas passiert, bei           rin Julija Jefimowa wert, die in ihrer Kar-      los auf Platz zehn.
den Winterspielen vor zwei Jahren.                     riere schon zwei Dopingsperren abgeses-             Auf der Tribüne sitzt Christian Baum-
   Paepcke saß im Zug von Sotschi nach                 sen hat?                                         gartner, er ist Präsident des Bundesver-
Moskau, als sie mit einem Russen ins Ge-                  Nach dem Rennen von Jefimowa wehte            bands Deutscher Gewichtheber und gehört
spräch kam. Stunden, sagt sie, hätten sie              ein Hauch von Kaltem Krieg durch die             zur Exekutive des Weltverbands. Baum-
geredet, über alles, was damals während                Schwimmarena. Ihre Rivalin Lilly King aus        gartner, schwarzer Anzug und weißes
des Krieges geschehen ist. Am Ende                     den USA, die gerade Gold gewonnen hatte,         Hemd, sagt: „Wir stehen vor dem Super-
tauschten sie Adressen aus, und Wochen                 sagte auf der Pressekonferenz, dass sie          GAU.“ Sein Sport droht wegen der vielen
später kam ein Brief mit ein paar Fotos,               stolz sei, sauber zu schwimmen, und es           Dopingfälle aus dem Olympiaprogramm
die sie bei der Verabschiedung gemacht                 war kein Einzelfall. Das Misstrauen zog          zu fliegen. Kürzlich gab es Nachtests von
hatten. Für Paepcke waren diese Spiele                 sich durchs olympische Dorf. Immer wie-          Proben, die bei den Spielen 2008 und 2012
von Sotschi nicht die betrügerischsten aller           der hörte man Athleten klagen, dass Geg-         genommen wurden. 31 Gewichtheber flo-
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gen mit verbotenen Mitteln auf, sie kom- sen der Dopingproben mussten auf die so großen sozialen Unterschieden gegeben.
men aus Kasachstan, Weißrussland oder Schnelle andere Labore gefunden werden. Tokio werde ganz anders. Man merkt
Rumänien. Baumgartner und seine Kolle- Die Kontrolleure in Kreischa wurden ge- Coates an, dass er froh ist über Spiele, bei
gen aus dem Weltverband wollten acht Na- fragt, ob sie innerhalb von zwei Wochen denen wohl vieles reibungsloser laufen
tionen von den Spielen ausschließen, doch rund 800 zusätzliche Tests machen könn- wird als in Rio. Es ist, als würde Olympia
das IOC sperrte sich.                         ten. „Wir konnten das nicht leisten, für sol- in die zivilisierte Welt zurückkehren.
   Baumgartner schüttelt den Kopf. „Wenn che Mengen brauchen wir normalerweise                   „Es gab auch noch keinen Japaner, der
sich alle nur noch fragen: Was ist ehrliche fünf Wochen“, sagt Thieme. Er musste die bei Olympia positiv getestet wurde“, sagt
Leistung, und was ist Doping?, dann wird Bitte ablehnen.                                       Coates.
unser Sport bedeutungslos.“                      Er weiß nicht, was aus den Proben ge-            Es klingt wie eine Beschwörung. Die
   Der Kasache Nijat Rachimow war zwei worden ist. Klar ist nur, dass man sie nach Wahrheit ist, dass den Spielen die guten
Jahre lang gesperrt, nachdem er sich mit zehn Tagen nicht mehr gebrauchen kann. Argumente ausgehen. Das zweieinhalb
Oxandrolon und Anabolika aufgeputscht           „Wir werden Doper nicht bekehren, in- Wochen kurze Spektakel lässt kaum etwas
hatte. Jetzt gewinnt er Gold und stellt ei- dem wir ihren Urin analysieren“, sagt Thie- zurück für Städte und Menschen, auch
nen neuen Weltrekord auf. Als er danach me, „aber wir müssen Grenzen setzen. Wir nicht für den Breitensport. Es wird immer
auf der Bühne tanzt, verlässt die deutsche müssen ihnen zeigen: Ihr kommt jetzt viel- schwieriger, Olympia rational zu rechtfer-
Mannschaft aus Protest die Halle.             leicht durch, aber irgendwann werdet ihr tigen, vielleicht werden deshalb die Emo-
   Vier Gewichtheber wurden bislang wäh- erwischt.“                                            tionen immer wichtiger.
rend der Spiele positiv getestet. Dazu           In den vergangenen Monaten wurden                Für Rio suchte sich das IOC Flüchtlinge
kamen zwei Schwimmerinnen, ein Boxer, 1243 Proben von den Spielen 2008 und und ließ sie in einem eigenen Team antre-
eine Läuferin, ein Radfahrer und zwei Ka- 2012 nachanalysiert. 98 davon waren posi- ten. Es waren Schwimmer, Judoka und
nuten, einer davon aus Russland. Elf Do- tiv, Dutzende Medaillen müssen neu ver- Läufer, sie gaben fünf Pressekonferenzen,
per unter 10 000 Sportlern. Detlef Thieme teilt werden. Es gehört inzwischen zu auf denen sie berichteten, wie der Sport
sagt: „Eine fantastische Ausbeute, wir lie- Olympia, dass die Wahrheit oft erst Jahre ihr Leben besser machte, sie befreite.
gen über dem Durchschnitt bei Olympi- später ans Licht kommt. In manchen Sport-                   In vier Jahren wird das Märchen weiter-
schen Spielen.“                               arten wird man erst bei den Spielen in vier gestrickt, dieses Mal von Erdbebenopfern.
   Thieme, 57, ist ein Mann aus der Schat- Jahren in Tokio wissen, wer in Rio Olym- Die Katastrophe in Fukushima war Teil
tenwelt Olympias. Er ist Chemiker und piasieger geworden ist.                                  von Tokios Olympiabewerbung. Die Spiele
Chef des Doping-Kontrolllabors in Kreischa.      John Coates, 66, ist IOC-Vizepräsident sollen der Region Hoffnung geben, sagen
In diesen Tagen ist er in Rio im Einsatz, er und der Chefkoordinator für die Spiele die Veranstalter. Japanische Top-Athleten
analysiert die Proben der Athleten. Thie- 2020. Der Australier hat auf einem weißen besuchen bereits Schulen dort. Damit die
me trägt Sonnenbrille und Flipflops, als er Ledersofa im IOC-Hotel in Rio Platz ge- Story funktioniert, sollen bei Olympia
frühmorgens am Strand von Copacabana nommen. Um ihn herum viel Marmor. Sportler aus Fukushima starten.
spazieren geht. Er hat gerade seine Schicht Coates rutscht auf die Sofakante und sagt,            Hannelore Paepcke sagt, sie werde nach
beendet, jede Nacht steht er im Labor der dass Tokio die vermögendste Stadt der Tokio reisen, wenn es ihre Gesundheit zu-
Universität von Rio, sucht in Blut und Urin Welt sei, kaum Kriminalität, tolles Essen. lasse. Sie ist schon eingeladen worden, von
nach Stimulanzien und Steroiden.             „Es werden die Technologie-Spiele“, sagt einer japanischen Bekannten, die sie 1964
   Knapp 6000 Dopingtests werden bei er. Für alles würden die Japaner Roboter bei ihren zweiten Sommerspielen kennen-
Olympia gemacht, 100 Wissenschaftler nutzen, selbst die Hunde auf den Straßen gelernt hat. In den Wochen bevor sie ihre
sind rund um die Uhr mit den Analysen seien manchmal Roboter.                                  Koffer packt, wird sie wie immer kurz mit
beschäftigt. „Die Sportler wissen das, des-     „Rio war ein Abenteuer“, sagt Coates, Hugo Dänhardt telefonieren, um zu hören,
wegen sind sie vorsichtig“, sagt Thieme. es habe noch nie eine Olympiastadt mit ob er auch schon gebucht hat.
Es heißt, sie dopten vor allem                                                                                  In der Kurve unter ihnen
zu Zeiten, in denen Tests un-                                                                                geht der Stabhochsprung in
wahrscheinlich seien. „Klei-                                                                                 die entscheidende Phase.
ne Dosen, spät am Abend“,                                                                                    Der Brasilianer Thiago Braz
sagt Thieme. Testosteron,                                                                                    da Silva hat mit 6,03 Meter
Wachstumshormon und Insu-                                                                                    gerade einen neuen olym-
lin. Hormone, die der Körper                                                                                 pischen Rekord aufgestellt.
selbst herstellt und die des-                                                                                Jetzt bereitet sich der Fran-
wegen schwieriger nachzu-                                                                                    zose Lavillenie auf seinen
weisen sind.                                                                                                 letzten Sprung vor, aber das
   Es sei „befremdlich“, man-                                                                                Publikum pfeift und buht,
che Athleten in Rio am Start                                                                                 um ihn aus der Konzentra-
zu sehen, sagt Thieme. Er re-                                                                                tion zu bringen. „Gehört sich
det sich in Rage, wegen Russ-                                                                                nicht“, sagt Paepcke.
land und der Inkonsequenz                                                                                       Lavillenie reißt die Stange,
des IOC. Dann erzählt er                                                                                     Brasilien gewinnt Gold, aber
eine Geschichte, die unge-                                                                                   es könnte sein, dass das Land
                                                                                                                REINALDO CODDOU H. / DER SPIEGEL

heuerlich klingt.                                                                                            in diesem Augenblick seinen
   Vor den Spielen, sagt Thie-                                                                               guten Ruf verloren hat. Mög-
me, habe die Wada vorüber-                                                                                   lich, dass es das ist, was von
gehend sechs Labore suspen-                                                                                  den Spielen in Rio in Erinne-
diert, deren Geräte wegen                                                                                    rung bleibt.
fehlender finanzieller Mittel                                                                                     Marian Blasberg, Lukas Eberle
nicht mehr auf dem neuesten                                                                                        Mail: marian.blasberg@spiegel.de,
Stand waren. Für die Analy-            Olympia-Globetrotter Paepcke, Dänhardt: „Einfach das Größte“                          lukas.eberle@spiegel.de

                                                                                                                                                   DER SPIEGEL 34 / 2016   95
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