ZWISCHEN FAKE NEWS UND HASS-BOTSCHAFTEN
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/// Warum seriöse Medien für den Zusammenhalt der Gesellschaft unverzichtbar sind ZWISCHEN FAKE NEWS UND HASS- BOTSCHAFTEN PETER FAHRENHOLZ /// Nicht erst seit der Corona-Pandemie wächst in den Sozialen Medien ein Paralleluniversum an unseriöser Information und Meinungsbildung an und gefährdet so zunehmend den Zusammenhalt der Gesellschaft. Umso wichtiger sind seriöse Medien, die faktenbasiert und unabhängig arbeiten. Auswirkungen von Corona chen Sondersendungen über alle As- auf die Medienwelt pekte der Pandemie und die Maßnah- Als Anfang 2020 die Corona-Pandemie men der Politik im Kampf gegen das auch in Deutschland zu den ersten In- Virus berichtet. fektionen führte und wenige Wochen später in den ersten Lockdown münde- te, gab es zwei völlig gegenläufige Ten- denzen. Auf der einen Seite entstand ein ungeheures Informationsbedürf- Durch die Corona-Pandemie nis, das von den Medien in Deutsch- entstand ein großes INFORMATIONS- land mit einer gewaltigen Kraftan- BEDÜRFNIS der Bevölkerung dazu. strengung bewältigt wurde. Die öffent- lich rechtlichen Fernsehsender haben über viele Wochen hinweg mit tägli- 500/2021 // POLITISCHE STUDIEN 35
Quelle: iStock.com/Chinnapong In der digitalen Welt nehmen die Sozialen Medien auch Einfluss auf Information und Meinungsbildung der User. Auch in den Printmedien war Coro- dien, deren gedruckte Auflage seit Jah- na monatelang das beherrschende The- ren zurückgeht) sprunghaft an. Über ma. Die Berichterstattung wurde deut- kein Thema wurde so ausführlich und lich ausgebaut, die „Süddeutsche Zei- detailliert berichtet wie über Corona tung“ etwa hat den Platz für die Wissen- und die Folgen. Im Grunde konnte je- schaftsberichterstattung verdoppelt, in der, der mit einigermaßen offenen Au- anderen Medien war es ähnlich. Es ex- gen durch die Welt geht, über alle wich- plodierte in der Zeit förmlich die noch tigen Fakten im Zusammenhang mit relativ neue Spezies des Datenjournalis- dieser Seuche Bescheid wissen. mus. In aufwendigen interaktiven Grafi- Eine Renaissance also der klassi- ken wurden die Ergebnisse und Projek- schen Medien, die sich insbesondere seit tionen der Wissenschaftler so aufberei- der erbitterten Auseinandersetzung um tet, dass sie auch der Laie verstehen die Flüchtlingspolitik immer wieder als konnte. Die aktuellen Zahlen über das „Lügenpresse“ schmähen lassen muss- Infektionsgeschehen auf der ganzen ten? Leider nicht ganz. Denn während Welt konnten jederzeit nachgelesen wer- auf der einen Seite alle Fakten zur Pan- den. Von den Lesern wurden diese An- demie breit und transparent dargestellt strengungen auch honoriert. Bei der wurden und auf enormes Leserinteresse „Süddeutschen Zeitung“ stieg die Zahl stießen, entstand auf der anderen Seite der Digital-Abonnenten (der neuen eine Art Paralleluniversum, in dem wichtigen „Währung“ für viele Printme- Menschen unterwegs sind, die Erkennt- 36 POLITISCHE STUDIEN // 500/2021
IM FOKUS nisse der Wissenschaft und die Bericht- nicht selten blanker Hass spricht. Nur erstattung darüber zu Lügen erklären. in den seltensten Fällen gelingt es, in ei- Stattdessen werden seit Beginn der Pan- nen Dialog mit dem Absender zu treten, demie abstruse Verschwörungstheori- bei dem Argumente ausgetauscht wer- en, die aus trüben Quellen im Internet den. Meist ist ein solcher Versuch völlig stammen, verbreitet und finden bei ei- sinnlos. ner Minderheit Anklang. Wie groß diese Minderheit ist, ist Der Bundeswahlkampf schwer einzuschätzen. Aber zu den un- und die Medien erfreulichen Erkenntnissen vieler Men- Auch im zurückliegenden Bundestags- schen gehört, dass sie in ihrem persönli- wahlkampf war diese Zweiteilung zu chen Umfeld immer wieder auf Freunde, beobachten. Es kursierte schnell die Bekannte oder Arbeitskollegen stoßen, Lesart, dass es sich um einen besonders von denen sie nie gedacht hätten, dass bösartigen Wahlkampf gehandelt hat. sie Corona-Leugner oder Impfgegner Doch davon konnte, was den eigentli- sind. Die sogenannte Querdenker-Be- chen Wahlkampf und die Berichterstat- wegung, die sich auf dieses Gebräu tung der Medien darüber anbelangt, stützt, radikalisiert sich seither immer keine Rede sein. Eher im Gegenteil. Die weiter. Trauriger Höhepunkt bis jetzt Spitzenkandidaten der Parteien gingen, war der Mord an einem jungen Tank- von heftigeren Attacken, die in der End- stellenmitarbeiter in Idar-Oberstein, der phase eines Wahlkampfes üblich sind, von einem Gegner der Corona-Maßnah- abgesehen, ausgesprochen respektvoll men, die nach wie vor von einer breiten miteinander um. Da hat es in früheren Mehrheit der Bevölkerung mitgetragen Zeiten ganz andere Wahlkämpfe gege- werden, erschossen wurde, nur, weil er ben, in denen Schmähungen und per- den Kunden zum Tragen einer Maske sönliche Verunglimpfungen des politi- aufforderte. schen Gegners an der Tagesordnung waren. Auch die Berichterstattung in den Medien über den Wahlkampf und die politischen Positionen, die die einzelnen Es hat sich ein PARALLELUNIVERSUM Parteien vertreten haben, war keines- von Querdenkern und Coronaleug- wegs einseitig oder unfair. Und es war nern entwickelt, welches sich auch nicht so, dass wichtige Themen in vorwiegend im Internet informiert. der Berichterstattung ausgeblendet wor- den wären. In der Welt der Sozialen Medien sah das ganz anders aus. Hier wimmelte es geradezu von Fake News, die von obs- kuren Internetportalen in die Welt ge- Wer sich als Journalist mit der setzt wurden oder von Hassbotschaften, schleppenden Impfkampagne befasst die sich via Twitter ausbreiteten. Nach und dafür plädiert, den Druck auf die einer Analyse der Organisation Hate- Impfverweigerer zu erhöhen, wird mit Aid, die Opfer von Hass im Netz berät kruden Mails überschüttet, aus denen und notfalls vor Gericht unterstützt, gab 500/2021 // POLITISCHE STUDIEN 37
IM FOKUS es allein von Anfang August bis Anfang sind das Ziel der Attacken und insofern September gegen die Spitzenkandidaten war es kein Wunder, dass die Hasswelle von Union, SPD und Grünen insgesamt im Wahlkampf besonders hoch war. fast 40.000 Botschaften mit beleidigen- „Gefährden Twitter und Co. die Demo- dem oder verletzendem Inhalt, soge- kratie?“, fragte der „Spiegel“ wenige nannte „hate speech“. Tage vor der Wahl. Auch gezielte Desinformationen hat- Dabei ist es meist nur ein sehr klei- ten Hochkonjunktur. So wurde etwa ner Teil von Aktivisten, der die Schmäh- dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder, maschine am Laufen hält. Die Organi- wie der „Spiegel“ kürzlich berichtete, sation HateAid hat das am Beispiel des das frei erfundene Zitat zugeschrieben: Wuppertaler SPD-Politiker Helge Lindh „Eltern, die ihre Kinder ohne Impf- nachgewiesen, der seit Jahren Opfer von schutz zur Schule schicken, sollten die Attacken aus dem Netz ist und im Juli Erziehungsberechtigung verlieren“. Der 2021 nach der Hochwasserkatastrophe Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter mehreren digitalen Angriffswellen aus hat angeblich ein Grillverbot nur für dem rechten und rechtsextremen Spekt- Deutsche gefordert, was ebenso eine rum ausgesetzt war. Nach der Daten- Lüge war wie ein gefälschtes Zitat der auswertung stammte die Hälfte der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, wo- etwa 4.000 Tweets dieses Shitstorms nach es Zeit würde, dass die Deutschen von 283 besonders aktiven Accounts. Verzicht lernen. Markus Söder hat auf Ohnehin wird die Breitenwirkung von dem CSU-Parteitag kurz vor der Wahl Twitter gern überschätzt. Nach einer die Hassbotschaften angesprochen, die Onlinestudie von ARD und ZDF gibt es ihn persönlich ständig erreichen. lediglich etwa 1,4 Millionen täglich ak- In den Sozialen Medien sind inzwi- tive Twitternutzer. Der Einfluss von schen Erregungs- und Empörungblasen Twitter auf den gesellschaftlichen und entstanden, deren Teilnehmer sich medialen Diskurs beruht also nicht selbst genügen und in denen kein Dis- etwa auf einer besonders großen Ge- kurs mit Andersdenkenden mehr mög- meinde von Nutzern oder gar einem re- lich ist. Wer in irgendeiner Weise öffent- präsentativen Abbild der Gesellschaft, lich exponiert ist, muss damit rechnen, sondern kommt dadurch zustande, dass via Twitter geschmäht, verhöhnt, belei- viele Botschaften von reichweitenstar- digt oder bedroht zu werden – bis hin zu ken Massenmedien aufgegriffen und da- Morddrohungen. Vor allem Politiker mit überhaupt erst einer breiteren Öf- fentlichkeit bekannt werden. Dafür sorgen starke Multiplikatoren – und zu denen gehören eben oft Politiker und die Medienschaffenden selbst. Was In den Sozialen Medien finden zählt, ist die schnelle Attacke oder Re- gezielt Desinformation und Hass- aktion, denn was auf Twitter nicht attacken gegen ANDERSDENKENDE schnell kommuniziert wird, wird nicht statt. wahrgenommen Die oft hysterische Er- regung verglüht in der Regel rasch. Auf der Strecke bleiben wichtige Fragen. Stimmen die Fakten überhaupt, auf de- 38 POLITISCHE STUDIEN // 500/2021
ren Basis man sich zu Wort meldet oder die Diskussionen, die in den Sozialen sind es bloße Behauptungen oder Ver- Medien geführt werden, nicht einfach mutungen? Muss man seine eigene Posi- ignorieren. Viele gesellschaftliche De- tion nicht nochmal in Ruhe überprüfen, batten wären ohne sie nicht möglich, ehe man damit an die Öffentlichkeit zumindest nicht in dieser Wucht und geht? „Ich habe den Eindruck, man haut Breite. Man denke nur an die Me-Too- alles raus, was einem im Moment ein- Bewegung oder Fridays for Future. Aber fällt“, sagt der CSU-Ehrenvorsitzende nicht auf jede Debatte im Netz aufzu- Theo Waigel über das Verhalten vieler springen und sie dadurch erst so richtig aktiven Kollegen aus der Politik. anzufachen, das müsste schon möglich sein. Man kann einen Shitstorm auch Was ist nötig? einfach mal vorüberziehen lassen, denn Dabei gerät niemand ins mediale Ab- erfahrungsgemäß legt er sich meist nach seits, der sich in den Sozialen Medien kurzer Zeit von allein. zurückhält oder sogar ganz darauf ver- zichtet. So wie der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck, der trotz vieler Follower sowohl bei Facebook als auch bei Twitter Anfang 2019 aufgehört hat, nachdem er Die Medien selber sollten im Netz sich mit seinen Äußerungen dort mehr- mehr ZURÜCKHALTUNG üben. mals in die Nesseln gesetzt hatte. Ha- beck vermisst seither nichts und braucht sich auch ohne diese Plattformen keiner- lei Sorgen um seine Öffentlichkeitswir- kung zu machen. Angela Merkel, daran hat der „Spiegel“ kürzlich noch einmal Schon seit Längerem gibt es, vor al- erinnert, hat sich gar nicht erst einen ei- lem in den USA, Bemühungen, Face- genen Account zugelegt, sondern über- book und Co. straffere Zügel anzulegen, lässt das Getwittere ihrem Regierungs- um die Hassbotschaften einzudämmen. sprecher Steffen Seibert. Auf Einsicht und Selbstkontrolle sollte Über mehr Zurückhaltung müssten man dabei nicht allzu sehr hoffen. Das auch die Medien selber nachdenken. ist erst kürzlich durch die Enthüllungen Die US-Journalistin Bari Weiss, die im einer Whistleblowerin deutlich gewor- Streit von der „New York Times“ ge- den, die bei Facebook ausgestiegen ist. schieden war, hat im Frühjahr 2021 in Sie haben gezeigt, dass der Konzern ge- einem Interview mit der „Süddeutschen nau weiß, welchen Schaden er in der Ge- Zeitung“ dafür plädiert, dass die Medi- sellschaft anrichtet, aber nur sehr wenig en nicht jede Aufregung mitmachen und dagegen unternimmt, um seine Profite Journalisten deshalb Twitter verlassen nicht zu schmälern. sollten. Gewissermaßen, um selber erst Umso wichtiger ist es, die Vorausset- gar nicht in Versuchung zu geraten. Da- zungen zu stärken, unter denen seriöse, für gäbe es gute Gründe, aber dennoch faktenbasierte Berichterstattung mög- ist der Vorschlag eine Illusion. Denn so lich ist. Die Corona-Pandemie hat ge- wie es nicht möglich ist, Zahnpasta in zeigt, wie elementar eine solche ist, auch die Tube zurückzudrücken, lassen sich wenn man damit nicht alle erreicht. 500/2021 // POLITISCHE STUDIEN 39
IM FOKUS Dazu gehört, dass sich Politik und Me- dien ihrer gemeinsamen Verantwortung bewusst sind und alles unterlassen, was die Spaltung der Gesellschaft weiter ver- tieft. Verschwörungstheoretikern aller Couleur muss man immer wieder Fak- ten entgegensetzen. Fakten, die von der Wissenschaft geliefert werden, von un- abhängigen NGOs und auch von den Studien, die in den Stiftungen der politi- /// P ETER FAHRENHOLZ schen Parteien erarbeitet werden. „Seri- ist Leitender Redakteur Politik der Süddeut- öse Medien“, sagt der CSU-Ehrenvorsit- schen Zeitung, München zende Theo Waigel, „sind für die Demo- kratie unverzichtbar“. In einer Zeit, in denen immer mehr Menschen bereit sind, abstrusen Verschwörungstheorien zu folgen, die von dubiosen Quellen im Netz verbreitet werden, sind sie vermut- lich unverzichtbarer denn je. /// 40 POLITISCHE STUDIEN // 500/2021
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