Zwischen Fälschung und Dokumentation - die einprägsame Bildsprache des Krieges - PHBern
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Zwischen Fälschung und Dokumentation - die einprägsame Bildsprache des Krieges Arbeitsblatt Hintergrundinformationen Bilder wurden im Ersten Weltkrieg in einem nie gekannten Ausmass als Propagandamittel aber auch zur Dokumentation des Krieges eingesetzt. 1916 wurde das Deutsches Bild- und Filmamt (BUFA) gegründet. Schon ein Jahr früher war die Section Photographique de l’Armée Française (SPA) und die Section Ci- nématographique de l’Armée (SCA) ins Leben gerufen worden, was die zunehmende Bedeutung der Bild- propaganda während des Krieges illustriert. Es sind nicht zuletzt Propagandabilder, welche die Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg prägen. Fragen wir uns selbst: Welche Bilder haben wir im Kopf, wenn wir an den Ersten Weltkrieg denken? Landschaften voller Krater, zerbombte Gebäude, abgekämpfte Soldaten in, vor und hinter Schützengräben, Materialschlachten, Gasmasken, Aufklärungsflugzeuge, zerfetzte Körper im sumpfigen Niemandsland, Kriegsgefangene. Besonders einprägsam ist das Motiv der aus dem Schützen- graben stürmenden Soldaten, die ikonografische Zuspitzung der Kämpfe an der Westfront im Motiv des „Going over the Top“, auf das heute kein Film über den Ersten Weltkrieg verzichten kann. Wie Anton Holzer schreibt, hat sich die Bildsprache des Ersten Weltkriegs vor allem in den 1920er und 1930er Jahren gefestigt und kann auch durch die aktuelle Welle neuer Publikationen kaum mehr verändert werden. Die in der Zwischenkriegszeit in Deutschland edierten Bildbände wollten vor allem Gegenbilder zur traumatischen Niederlage evozieren. Insbesondere die Grabenkämpfe der Westfront wurden bildlich in Szene gesetzt und, wie Holzer schreibt, zu einem „apokalyptischen Ringen“ stilisiert. Gemäss Holzer waren die meisten dokumentarischen Aufnahmen, die an die Öffentlichkeit gelangten, ge- stellte Szenen. Inszenierte Propagandafotos, manipulierte Aufnahmen. Aber auch Bilder von Übungen hinter der Frontlinie wurden und werden bis heute als „reale“ Kampfszenen verkauft. Auch Filmaufnahmen, im Hinterland gedreht, wurden als Dokument von Kriegshandlung ausgegeben – so etwa im britischen Propa- gandafilm „Battle oft the Somme“ von 1916. Nicht nur Propagandafilme, auch Spielfilmaufnahmen aus der Zwischenkriegszeit wurden und werden mitunter noch in aktuellen Dokumentarfilmen über den Ersten Welt- krieg als „echte“ Kriegshandlungen präsentiert. Erst in jüngerer Zeit werden Fotos aus Privatarchiven umfassend ausgewertet, die auch andere Seiten des Krieges zeigen. Inwiefern diese allerdings ins kollektive Gedächtnis einzudringen vermögen, ist noch unge- wiss. Sind manipulierte Fotos wahrer als reale Aufnahmen? Der Australier Frank Hurley komponierte Bilder aus verschiedenen Negativen (Kompositbilder) und stellt sie während und nach dem Krieg mit grossem Erfolg aus. Seine Begründung für die Manipulationen lautete: „Nur wenn man die Negative einzelner dramatischer Ereignisse kombiniert erhält man eine Ahnung davon, wie eine moderne Schlacht aussieht.“ Hurley wollte mit den Bildern suggerieren, dass der Zuschauer „Augenzeuge“ sein könne. Dass jene Schlacht, die er mit seinen manipulierten Fotos darstellte, gar nie so stattgefunden hatte, war für Hurley keine Kritik, die ihn davon hätte abhalten könnten, seine Fotomontagen weiterzuführen. Er ging sogar so-weit, mehrere Negative von Fotos von Übungen im Hinterland miteinander zu kombinieren und die so entstande- nen Bilder als Abbilder realer Kampfszenen zu deuten. Die Tatsache, dass Hurleys Bilder immer wieder reproduziert wurden, brachte es mit sich, dass aus seiner konstruierten Aufnahme nach und nach ein „ech- tes“ Kriegsbild wurde. Fiktion wurde Realität. 1 1 Quelle: Holzer (2004) Nadine Ritzer und Martin Furrer, PHBern 2018 www.phbern.ch/ideenset-weltkrieg
The Morning after the First Battle of Pass- chendaele „Die Vordergrundaufnahme mit verwundeten australischen Infanteristen entstand am 12.10.1917 in der Nähe der belgischen Ort- schaft Passchendaele, den Himmel mit den durchbrechenden Sonnenstrahlen setzte Hurley nachträglich hinzu.“2 Abbildung 1: The Morning after the First Battle of Passchendaele, public domain, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d7/Morning_a_Passchen- daele._Frank_Hurley.jpg Letzter Zugriff: 27.09.2018 Nicht alle waren mit Hurleys Vorgehen einverstanden. Sein Chef, Charles Bean, der Leiter der australischen Kriegsfotografie und Historiker mahnte, Bilder müssten die Wahrheit darstellen (= Dokumentarfotografie). Die Kompositbilder betrachtete er als Fälschung, die „das Anliegen einer wahrheitsgemässen Berichterstat- tung massiv gefährdeten.“ Da aber der Wert der Propaganda im Krieg stieg, kam es zu einem Umdenken und Hurley bekam den Auftrag, weitere Kompositionsbilder anzufertigen. Abbildung 2: The Raid, State Library of New South Wales, CC- SA 3.0 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Episode_af- ter_Battle_of_Zonnebeke_1918_Hurley.jpg Letzter Zugriff: 27.09.2018 2 Holzer (2004) PHBern 2018 2
The Raid (später bekannt unter „Going over the Top“ und „An Episode after the Battle of Zonnebeke“) Kom- positionsbild aus 12 Negativen, die im Herbst 1917 bei militärischen Übungen entstanden sind. Was waren die Folgen für die Überlieferung? - Es wurde und wird gerne „vergessen“, dass die Bilder Frank Hurleys (und zahlreicher anderer Kriegsfo- tografen, etwa jene von Ivor Castle) bewusst arrangierte Kompositionen oder/und Aufnahmen von Übungen sind. - Viele Fotografien signalisierten „Bewegung, Kampf, Angriff (...) wo in Wirklichkeit bedrückender Still- stand und ermüdendes Warten den Alltag beherrschten.“ - Diese Bilder prägten und prägen noch immer die ikonografische Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Ihre Motive wurden mehrfach reproduziert, u. a. auch im Spielfilm „Im Westen nichts Neues“. - Hurleys Kompositionen erinnern an Historiengemälde, diese verloren laut Anton Holzer im Beginnen- den 20. Jahrhundert aber an Bedeutung und wurden nach und nach durch (Foto-)Reportagen ersetzt. Das heisst, die Nähe zum eigentlichen (Kriegs-)Geschehen wurde fortan „echt“ gesucht.3 Zur Kriegsfotografie generell vgl. Artikel von Gerhard Paul: http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/bilder-in- geschichte-und-politik/73169/kriegsberichterstattung Mögliche Aufträge für Lernende 1. Eines oder beide Fotos von Hurley präsentieren und diese analysieren lassen (Bildquellenanalyse): - Was sehe ich? Was ist mein erster Eindruck des Fotos? - Was analysiere ich? Welche Details fallen mir auf? - Was interpretiere ich? Welches ist die Hauptaussage des Fotos im historischen Kontext? - Was frage ich? Habe ich offene Fragen an das Foto? Wie kann ich diese beantworten? - Wie handle ich? Was kann ich aus den Erkenntnissen für mein Handeln ableiten? 2. Die Lehrperson gibt Zusatzinformationen zum Foto bzw. den Fotos und lässt die Schülerinnen und Schüler sich zur Frage äussern: - Darf man ein Foto fälschen und dieses als Wahrheit ausgeben? - Nachdem sich die Lernenden geäussert haben, werden den Lernenden die zwei unterschiedli- chen Haltungen Frank Hurleys und seines Chefs Charles Bean präsentiert. Möglich wäre es, mit geteilten Rollen (pro/contra) in Partnerarbeit eine Kurzdiskussion zu führen, bevor die Überle- gungen im Plenum diskutiert werden. - Diskussion auf der Metaebene: Was leiten die Lernenden von ihrer Einsicht ab? Wie betrachten sie in Zukunft „Kriegsbilder“ (auch filmische)? 3 Holzer in Paul (2004) & Holzer (2014) PHBern 2018 3
So könnte Charles Bean, der Leiter der austra- So könnte Frank Hurley seine Bildmanipulatio- lischen Kriegsfotografie und Historiker Frank nen verteidigt haben: Hurley kritisiert haben: „Nur wenn man die Negative einzelner dramati- scher Ereignisse kombiniert, erhält man eine Ah- „Kriegsfotografien und andere Fotografien müssen nung davon, wie eine moderne Schlacht aussieht.“ die Wahrheit darstellen.“ „Ich will mit den Fotos die Kluft zwischen Kriegs- „Nur die Dokumentarfotografie kann Menschen und Heimatfront überwinden, den Betrachter näher den Schrecken des Krieges zeigen und sie wach- ran holen an das Geschehen.“ zurütteln.“ „Ich will, dass der Betrachter meiner Bilder zum „Die Kompositionsbilder von Frank Hurley sind Fäl- ‚Augenzeugen’ wird. Er soll den Schrecken des schungen, die das Anliegen einer wahrheitsge- Krieges erfahren. Ob das Foto manipuliert ist oder mässen Berichterstattung massiv gefährden.“ nicht, spielt dabei keine Rolle. Es kommt auf die Etc. Aussage an.“ Etc. Tabelle 1: Quelle: Holzer in Paul (2004) Weitere Quellen: Zur Kriegsfotografie generell: Paul, Gerhard (2005): Die Geschichte der fotografischen Kriegsberichterstat- tung. http://www.bpb.de/gesellschaft/medien/bilder-in-geschichte-und-politik/73169/kriegsberichterstattung Letzter Zugriff: 27.09.2018. The Battle oft he Somme: https://www.youtube.com/watch?v=xQ_OZfaiUlc Filmaufnahmen entstanden meist bei Übungen im Hinterland. Letzter Zugriff: 27.09.2018. Kriegsfotografie vom Kanadischen Fotografen William Ivor Castle: https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Wil- liam_Ivor_Castle Letzter Zugriff: 27.09.2018. Textquellen Holzer, Anton (2004). 1917. „Going over the Top“. Neue Perspektiven aus dem Schützengraben, in: Gerhard Paul, Bilder des Jahrhunderts, Band 1, 197-203. Holzer, Anton (2014). Die Schützengräben und der Heldentod. Wie Fotografien die Erinnerung an den Ers- ten Weltkrieg formen, in: NZZ, 25. Januar 2014. Bildquellen Abbildung 1: The Morning after the First Battle of Passchendaele, public domain, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d7/Morning_a_Passchendaele._Frank_Hurley.jpg Letzter Zugriff: 27.09.2018 .............................................................................................................................. 2 Abbildung 2: The Raid, State Library of New South Wales, CC- SA 3.0 https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Episode_after_Battle_of_Zonnebeke_1918_Hurley.jpg Letzter Zugriff: 27.09.2018 .......................................................................................................................................... 2 PHBern 2018 4
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