110 Jahre Forschung für den Biologischen Pflanzenschutz - Erfolge und zukünftige Herausforderungen am Julius Kühn-Institut - OpenAgrar
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Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit Annette Herz, Johannes A. Jehle 110 Jahre Forschung für den Biologischen Pflanzenschutz – Erfolge und zukünftige Herausforderungen am Julius Kühn-Institut 110 years of research for biological control – Achievements and future challenges at the Julius Kühn-Institut 252 Zusammenfassung populations. They are considered as highly environmen- tally friendly and obtained utmost importance in recent Biologische Pflanzenschutzverfahren nutzen lebende European and national strategies to reduce the use of Organismen und biologische Wirkstoffe zur Begrenzung chemical pesticides. First research activities on the use of und Bekämpfung von Schaderregerpopulationen und parasitic wasps in Germany date back to 1911. From the gelten als besonders umweltfreundlich. Im Rahmen der 1950s, further systematic research and development europäischen und nationalen Strategien zur Reduktion were carried out at the Institute for Biological Control in des chemischen Pflanzenschutzes kommt ihnen eine Darmstadt. Multiple achievements and repeated throw- besondere Bedeutung zu. Erste Forschungsaktivitäten backs mark the long path of biological control since these zum Einsatz von Schlupfwespen sind in Deutschland early pioneering days. Today, many biological control bereits seit 1911 dokumentiert. Systematische Forschungs- measures are an indispensable component in the plant und Entwicklungsarbeiten wurden dann ab den 1950er protection practice. Their role in future plant production Jahren am Institut für Biologischen Pflanzenschutz in systems will be even more decisive. Darmstadt aufgenommen und werden heute vielerorts fortgeschrieben. Vielfältige Erfolge und wiederkehrende Key words: Beneficials, microorganisms, botanicals, Rückschläge kennzeichnen den langen Weg des biologi- biodiversity, pesticides schen Pflanzenschutzes von den frühen Pionierzeiten bis heute. Während bereits zahlreiche biologische Verfahren aus der heutigen Pflanzenschutzpraxis nicht mehr weg- Einleitung zudenken sind, wird der Pflanzenbau der Zukunft noch weitaus stärker auf biologische Pflanzenschutzverfahren Der Biologische Pflanzenschutz beruht auf der Nutzung setzen. bzw. Verwendung lebender Organismen (einschließlich Viren) sowie biologischer Wirkstoffe und Prinzipien mit Stichwörter: Nützlinge, Mikroorganismen, Pflanzenstoffe, dem Ziel der Verminderung der Populationsdichten oder Biodiversität, Pestizide Auswirkungen von Schadorganismen, so dass der wirt- schaftliche Schaden weitgehend reduziert wird (KOCH et al., 2019). Auch die Anwendung von Infochemikalien Abstract (Semiochemicals), z. B. der Einsatz von Pheromonen, wird international häufig zu biologischen Verfahren Biological plant protection employs living organisms and gezählt, wobei sich hierfür in Deutschland eher der biological ingredients to control disease agents and pest Begriff des „biotechnischen Pflanzenschutzes“ durchge- Affiliation Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Biologischen Pflanzenschutz, Darmstadt Kontaktanschrift Prof. Dr. Johannes A. Jehle, Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Biologischen Pflanzenschutz, Heinrichstr. 243, 64287 Darmstadt, E-Mail: johannes.jehle@julius-kuehn.de Zur Veröffentlichung eingereicht/angenommen 12. Mai 2021/22. Juni 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart setzt hat. Biologische Pflanzenschutzverfahren wirken in Testverfahren bei der Zulassung von Pflanzenschutzmit- Übersichtsarbeit der Regel sehr spezifisch und gehen mit einem minima- teln geprüft werden (CANDOLFI et al., 2000). Auch Mög- len Eingriff in den Naturhaushalt einher. Daher sind sie lichkeiten der Nützlingsförderung durch Habitatmanage- wichtige Instrumente der Schaderregerkontrolle im öko- ment und Bereitstellung von Ressourcen in Agraröko- logischen und im integrierten Pflanzenbau. Man unter- system wurden in den 1990er Jahren an mehreren Insti- scheidet konservierende (Schutz und Förderung von tuten der damaligen BBA intensiv beforscht (z. B. RUP- Antagonisten), klassische (dauerhafte Etablierung PERT, 1993) und sind auch aktuell angesichts des Verlus- gebietsfremder Nützlinge) und augmentative Verfahren tes an biologischer Vielfalt wieder ein wichtiges Aktions- (Massenproduktion und Freisetzung von Mikro- und feld (z. B. HERZ et al., 2019). Ein hierbei wichtiger Faktor Makroorganismen), je nachdem wie diese Antagonisten ist unter anderem die Schaffung von ökologischen Infra- für pflanzenschützerische Zwecke eingebunden oder strukturen wie Hecken und ein- oder mehrjährige Blüh- verwendet werden (BATRA, 1982; KRIEG & FRANZ, 1989 streifen (BOLLER et al., 2004). So sind beispielsweise EILENBERG et al., 2001). Schwebfliegen oder parasitoide Wespen eifrige Blüten- In Deutschland lassen sich gezielte Forschungs- und besucher, denn sie benötigen Nektar und Pollen als Ener- Entwicklungsarbeiten zum biologischen Pflanzenschutz giequelle oder zur Eireifung. Bei Vorhandensein dieser bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurückverfol- Ressourcen in der Kultur kann die natürliche Schädlings- gen, wobei die Arbeiten des Julius Kühn-Instituts (JKI) regulierung deutlich gefördert werden. Kürzlich wurde (seit 2008) und seiner Vorgängerinstitutionen, der Biolo- in einer internationalen Studie, an der auch das JKI in gischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft Darmstadt beteiligt war, gezeigt, dass mit mehrjährigen 253 (BBA) (seit 1950) bzw. der Biologische Zentralanstalten Blühstreifen in Fahrgassen ökologischer Obstbaubetriebe für Land- und Forstwirtschaft“ (BZA) (seit 1949) in der eine verbesserte Blattlausregulierung erreicht werden ehemaligen DRR und der Biologischen Reichsanstalt kann (CAHENZLI et al., 2019). für Land- und Forstwirtschaft (BRA) (seit 1919) eine Bei akuten Schädlingsproblemen, aber auch als vor- besonders hervorgehobene Stellung haben. Neben beugende Maßnahme entsteht oft der Wunsch, Nützlinge einem Rückblick auf die besonderen Erfolge dieser gezielt in die Kultur einzubringen, um weitere Schäden Arbeiten, soll in dem vorliegenden Überblicksbeitrag an den Pflanzen zu verhindern. Bereits in der im Jahr auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforde- 1898 gegründeten „Biologischen Abteilung für Land- und rungen des biologischen Pflanzenschutzes eingegangen Forstwirtschaft“ am Kaiserlichen Gesundheitsamt in Ber- werden. lin-Dahlem wurden erste Überlegungen zum Einsatz von Nützlingen angestellt. So sind einer heute am Institut für Biologischen Pflanzenschutz befindlichen „Schlupf- Nützlinge im biologischen Pflanzenschutz wespenakte“ Aufzeichnungen zu entnehmen, nach de- nen im Jahr 1911 die Kaiserliche Biologische Anstalt für Natürliche Gegenspieler von Schaderregern an Kultur- Land- und Forstwirtschaft die Bestrebungen des „König- pflanzen erbringen wichtige Ökosystemdienstleistungen lichen Provinzialschulkollegiums der Provinz Westpreu- für den Menschen. Sie sind ein unverzichtbarer Baustein ßen“ zur Bekämpfung von Kohlschädlingen mit Hilfe von für eine natürliche Schädlingsregulierung in ackerbau- Nützlingen in einem Gutachten bewerten sollte (Abb. 1, lichen Kulturen, im Gemüse- und Zierpflanzenbau, im BIOLOGISCHE REICHSANSTALT FÜR LAND- UND FORSTWIRT- Obst- oder Weinbau sowie im Forst, und helfen, Nutz- SCHAFT, 1906-1933). pflanzen auf eine umweltfreundliche und nachhaltige Konkret ging es darum, Kokons der Brackwespe Cote- Weise gesund zu erhalten. Nützlinge im Sinne des Pflan- sia glomerata in großem Stil durch Lehrer und Schüler zenschutzes sind in der Regel wirbellose Tiere, die als einsammeln zu lassen, diese unter geeigneten Bedingun- Räuber, Parasitoide oder Parasiten verschiedene Stadien gen zu hältern und dann im folgenden Jahr gezielt im von Schaderregern abtöten oder in ihrer Vitalität schwä- Kohlanbau einzusetzen – heute wäre dies ein moderner chen. Sie gehören meistens zu den Arthropoda oder auch CitizenScience-Ansatz! Die Experten der Kaiserlichen zu den Nematoda (KRIEG & FRANZ, 1989, SCHMUTTERER & Anstalt äußerten sich allerdings eher skeptisch. Doch in HUBER, 2005). einem folgenden Bericht des besagten Provinzialschul- Man kennt verschiedene Strategien, Nützlinge als kollegiums werden erste Erfolge dieser Aktion geschil- Gegenspieler von Schaderregern zu rekrutieren. Im kon- dert, insbesondere auch dadurch, dass „die Jugend durch servierenden biologischen Pflanzenschutz wird versucht, die lebhaft interessierenden Erscheinungen in der Entwick- durch angepassten Pflanzenschutz und die Gestaltung lung der Tierchen zu aufmerksamer Beobachtung angeregt des Lebensraumes die natürliche Vielfalt von Nützlingen und für die Sache erwärmt wurde“. Systematischer zu erhalten und ihre Ökosystemleistung zu fördern. Auch begann die Suche nach spezifischen Nützlinge dann rund hierzu wurden und werden am JKI und dessen Vorgän- 10 Jahre später – mittlerweile an der BRA und initiiert gerinstitutionen wichtige Forschungsansätze verfolgt. So von ALBRECHT HASE, der dort das „Laboratorium für phy- haben intensive Arbeiten an mehreren Fachinstituten des siologische Zoologie“ leitete. Sein Augenmerk galt zu- JKI dazu beigetragen, dass Nebenwirkungen von Präpa- nächst der Bekämpfung von Vorratsschädlingen mit raten und ihren Wirkstoffen auf Nützlinge heutzutage in Brackwespen, für die er Methoden der Massenzucht ent- anerkannten, standardisierten und aussagekräftigen wickelte und dazu in engem Austausch mit Kollegen in Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit Abb. 1. „Schlupfwespenakte“ – eine Dokumentation zu For- schungsaktivitäten zum Einsatz von Schlupfwespen im biologi- schen Pflanzenschutz an der Kai- serlichen Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft in den Jahren 1906 – 1933. Unveröf- 254 fentlicht. Frankreich und den USA stand. Bald – ebenfalls angeregt einer Vielzahl von Einsatzgebieten im Vorratsschutz, durch die internationale Zusammenarbeit – interessierte Gartenbau und natürlich im Ackerbau zur Bekämpfung sich HASE auch für die Rekrutierung eines Eiparasitoiden, des Maiszünslers (Ostrinia nubilalis) auf aktuell mehr als die Erzwespe Trichogramma. Die ersten dieser Forschungs- 40.000 ha Anwendungsfläche in Deutschland (KOCH et objekte fand HASE in seinem eigenen Garten, nicht weit al., 2019). Mehrere Firmen bieten diesen Nützling an und vom Standort Berlin-Dahlem entfernt, und zwar in Form der Einsatz erfolgt sehr effektiv auch mit modernen von parasitierten Eigelegen der Kohleule (HASE, 1925). Methoden wie der Ausbringung mit Multikoptern. Die daraus schlüpfende Art war T. evanescens und HASE Die gartenbauliche Praxis verlässt sich auf kommer- gelangen erste Schritte hin zu einer Massenzucht und ziell in Massenzucht produzierte Nützlinge, die sehr spe- Verfügbarmachung dieser Tiere in großem Stil für Ver- zialisiert gegen ganz bestimmte Schaderreger vorgehen. suche gegen eine Vielzahl von Schädlingen in Landwirt- Der gewerbliche Einsatz von Nützlingen in Deutschland schaft, Gartenbau und Forst. In den folgenden zehn Jah- begann in systematischer Weise bereits in den 1980er ren waren die Aktivitäten von kleinen Erfolgen, mehr Jahren. Zu diesem Zeitpunkt standen kommerziell zwei aber noch von Rückschlägen gezeichnet und letztendlich Nützlinge in größerem Maßstab zur Verfügung: die fehlten dann auch irgendwann die notwendigen finanzi- Raubmilbe Phytoseiulus persimilis gegen Spinnmilben ellen Mittel. Ab 1933, während der Schreckensjahre des und die Erzwespe Encarsia formosa zur Bekämpfung der Nazi-Regimes und der Kriegs- und Nachkriegsjahre, wur- Weißen Fliege Trialeurodes vaporariorum (FRANZ, 1984). den keine Forschungen mehr in der „Schlupfwespenakte“ In beiden Fällen half auch das Interesse von engagierten dokumentiert. Erst in den 1950er Jahren griffen QUEDNAU Gemüseproduzenten den Nützlingen zum Durchbruch und Kollegen ebenfalls am Standort Dahlem an der nun (HUSSEY, 1985). Heutzutage stehen dem Erwerbsgärtner bestehenden BBA das Trichogramma-Thema wieder auf, mehr als 80 verschiedene Arten zur Verfügung (BATHON, allerdings mehr in Richtung Verhaltensbiologie und Sys- 1999). Vor allem im Tomaten-, Gurken- und Zierpflanzen- tematik dieses Nützlings (QUEDNAU, 1956; 1958). anbau kommen bei mehr als 90 % der Betriebe diese JOST FRANZ holte Trichogramma dann 1956 schließlich Gegenspieler mehr oder weniger regelmäßig zur Anwen- an das im Jahr 1948 gegründete „Kartoffelkäfer“-Institut dung (KOCH et al., 2019). Die Mehrzahl der käuflichen in Darmstadt, dem heutigen Institut für Biologischen Nützlinge wird unter Glas eingesetzt und bietet bei Pflan- Pflanzenschutz des JKI. Seine Forschung zielte dabei zenschutzproblemen im Gewächshaus sowie in der direkt auf eine Optimierung der Massenzucht sowie eine Innenraumdekoration die bevorzugte, aber auch oftmals Verbesserung in der Applikationstechnik insbesondere die einzig machbare Option (Abb. 2). für den Einsatz von Trichogramma im Obstbau ab (SCHÜTTE Auch im Vorratsschutz sind Nützlinge wichtig. Im Frei- & FRANZ, 1961). Ab den 1970er Jahren führte dann die land sollten heimische Arten freigelassen werden (vgl. praxisnahe Forschung unter SHERIF HASSAN am Darmstäd- Regelung nach § 40 Bundesnaturschutzgesetz). Hier eig- ter Institut zu einem regelrechten Boom möglicher nen sich z. B. insektenpathogene Fadenwürmer, da sie Anwendungen dieses Nützlings. Die von ihm forcierte in- wenig mobil sind und nicht vom Anwendungsort abwan- ternationale Zusammenarbeit ebnete den Weg zu einer dern. Sehr mobile, kommerziell verfügbare Nützlinge globalen Erfolgsgeschichte (HASSAN, 1998). Heutzutage wie der Sieben-Punkt-Marienkäfer oder die Hainschweb- ist Trichogramma ein bestens etablierter Nützling mit fliege sind auch heimisch, wandern aber meist nach der Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit Abb. 2. Anzahl der im Jahr 2021 verfügbaren Arten von Räubern, Parasitoiden und Fadenwürmern in den Anwendungsbereichen Freiland, Gewächshaus und Vor- ratsschutz. Räuberisch lebende Arten und Fadenwürmer kom- men sowohl im Freiland und un- ter Glas gegen eine Vielzahl an Schädlingen zum Einsatz. Schlupfwespen dagegen sind mehr spezialisiert und werden nur dort eingesetzt, wo ihre Wirte 255 vorkommen. Freilassung schnell ab, vor allem wenn die Umweltbedin- einer gewissen Zeit sehr gut regulieren. So parasitieren gungen nicht so vorteilhaft sind. Kommerziell produzier- die heimischen Schlupfwespen Dacnusa sibirica und te Nützlinge werden meist mit genauen Angaben zu ihrer Diglyphus isaea, die Ende der 1980er Jahre aus den USA Biologie, ihrem Wirts- und Beutespektrum und Hinwei- eingeschleppten Minierfliegen Liriomyza trifolii und sen zur bestmöglichen Ausbringung an den Kunden gelie- L. huidobrensis so erfolgreich, dass deren Auftreten in fert. Insektenpathogene Fadenwürmer werden i. d. R. in den Gewächshäusern gut kontrollierbar ist (LEUPRECHT, Wasser suspendiert und dann mit der Gießkanne oder 1992). Beide Parasitoide sind auch kommerziell zu er- auch der Pflanzenschutzspritze (bei geeigneter Düse und werben und können bei rechtzeitigem Einsatz einen möglichst auch nach Entfernung von sehr kleinporigen Befall weitgehend verhindern. Aktuell werden am JKI Filtern, die für die Fadenwürmer nicht passierbar sind) Möglichkeiten erforscht, wie man mit heimischen Parasi- oder dem Druckluftsprühgerät am Zielort auf den Boden toiden-Arten die zu Beginn der 2010er Jahre nach oder an die Pflanze gesprüht. Die meisten Parasitoide wie Deutschland eingeschleppte Kirschessigfliege Drosophila E. formosa, Trichogramma oder verschiedene Blattlaus- suzukii vor allem im geschützten Beerenobstanbau kon- schlupfwespen werden in einem Ruhestadium vom Nütz- trollieren kann (ENGLERT & HERZ, 2016). lingsproduzenten auf Kartonkärtchen geklebt oder in Das Ziel der klassischen biologischen Schädlings- Pappröhrchen eingebracht, die dann in die Kultur an den bekämpfung ist die dauerhafte Regulierung einge- Pflanzen befestigt werden. Die Wespen schlüpfen nach schleppter Schädlinge mittels nachgeführter spezifischer und nach, suchen nach spezifischen Signalen (meist Antagonisten aus dem ursprünglichen Herkunftsgebiet. Duftstoffen) ihrer Wirte und parasitieren diese dann. Die Diese Strategie wurde in Deutschland erstmals mit der nächste Generation entsteht und kann wiederum Schäd- Einfuhr der Erzwespe Aphelinus mali zur Regulierung der linge bekämpfen. Räuberische Arten werden oft im Ei- zuvor von Nordamerika aus eingeschleppten Blutlaus im oder Larvalstadium ausgebracht, oftmals „formuliert“ Obstbau verfolgt. Die ersten Tiere gelangten im Jahr mit Buchweizen-Spelzen oder anderen Trägerstoffen in 1924 aus Uruguay an das Institut für Pflanzenkrankhei- kleinen Papiertütchen, die den Räubern eine Versteck- ten in Landsberg an der Warthe (heute das polnische möglichkeit bieten und verhindern, dass sich die Tiere Gorzów Wielkopolski), wurden dort vermehrt und an während des Transportes vor dem Einsatz gegenseitig weitere Forschungsinstitution verteilt (Quelle: BRA- auffressen. Räuber wie die Larve der Florfliege haben ein Schlupfwespenakte). Heute ist diese Erzwespe seit lan- breiteres Beutespektrum und sind dadurch gegen mehre- gem etabliert und für die Populationsregulierung dieses re Schädlinge wirksam. Eine Auflistung der kommerziell Schädlings unverzichtbar – eine Erfolgsgeschichte! Ähn- erhältlichen Nützlinge sowie Bezugsquellen ist einem In- lich gelungen verlief auch die Ansiedlung der Erzwespe foblatt des JKI zu entnehmen (https://www.julius- Prospaltella perniciosi gegen die San-José-Schildlaus, kuehn.de/media/Veroeffentlichungen/Flyer/Nuetzlinge ausgehend von der Landesanstalt für Pflanzenschutz in _zu_kaufen.pdf). Baden-Württemberg während der 1950er Jahre (KRIEG & Mitunter können heimische Arten auch eingeschleppte FRANZ, 1989). Damalige Bemühungen am Institut in Schädlinge, die zunächst große Probleme bereiten, nach Darmstadt den Kartoffelkäfer mit der räuberischen Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Baumwanze Perillus bioculatus zu bekämpfen, schlugen schaften, Wirksamkeit, Humanpathogenität und -toxiko- Übersichtsarbeit hingegen fehl. Freilassungen in mehreren europäischen logie, Umweltverhalten und Ökotoxikologie, usw. bewer- Ländern blieben erfolglos, die nearktische Wanze eta- tet. Stand Frühjahr 2021 sind in Deutschland allein 32 blierte sich nicht (FRANZ, 1967). Heutzutage würde man verschiedene Virus-, Bakterien- und Pilzstämme in ver- die Freilassung eines Nützlings außerhalb seiner Her- schiedenen Pflanzenschutzmitteln zugelassen. Außer- kunftsregion zunächst sehr kritisch bewerten, um nega- dem kommen ca. 15 Naturstoffe und zehn Pheromone tive Auswirkungen durch ungewollt invasive Arten wie hinzu. im Fall des Asiatischen Marienkäfers Harmonia axyridis Wesentliche Impulse für die Entwicklung vieler dieser ab den 2000er Jahren zu vermeiden (BATHON, 1999). Mittel basieren auf den Forschungsarbeiten des Instituts Dagegen kommt es aber auf Grund der zunehmenden für Biologischen Pflanzenschutz in Darmstadt. Dort wur- Globalisierung in Transport und Warenaustausch trotz den erste Arbeiten mit Mikroorganismen (einschl. Viren) strenger Importbedingungen immer wieder zur Ver- als Pflanzenschutzmittel bereits in den 1950er Jahren schleppung von Pflanzenschädlingen in Regionen außer- initiiert, wobei der Fokus dieser frühen Aktivitäten ins- halb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes. Bei passen- besondere auf Forstschädlingen, wie z. B. Rote Kiefern- den Klimabedingungen und dem Vorhandensein geeig- buschhornblattwespe Neodiprion sertifer oder Wald- und neter Wirtspflanzen können sich diese Organismen eta- Feldmaikäfer (Melolontha sp.), lag. Zunehmend rückte blieren und beim Fehlen spezifischer natürlicher Feinde aber auch der Garten- und Obstbau in den Mittelpunkt. ungebremst vermehren. In Deutschland hat z. B. das 1964 wurde das erste mikrobielle Präparat „BIOSPOR“ explosionsartige Auftreten der Kirschessigfliege seit 2014 auf Basis des Bacillus thuringiensis in Deutschland aner- 256 ganz neue Herausforderungen vor allem an den Beeren- kannt. Auch der Stamm des Käferspezifischen Stammes obstbau gestellt. Ähnliches könnte geschehen, wenn sich B. thuringiensis ssp. tenebrionis wurde von den Darm- die bereits in den südwestlichen Bundesländern festge- städter Forschern entdeckt und später zu einem beson- stellte Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys) ders für den ökologischen Kartoffelanbau wichtigen Pro- weiter ausbreitet und vermehrt. Sie besitzt ein breites dukt NOVODOR entwickelt. Enge Forschungs- und Ent- Wirtspflanzenspektrum und könnte sich zu einem ernst- wicklungskooperationen mit Pflanzenschutzmittelher- zunehmenden Schädling im Obst (Apfel, Pfirsich), steller führten Anfang der 1990er Jahre zur Zulassung Gemüse (vor allem Tomate) und auch Ackerbau (Mais) von verschiedener Pilz- (Metarhizium anisopliae, BIO entwickeln. In anderen Invasionsgebieten, z. B. den USA 1020) und Viruspräparaten (Cydia pomonella Granulovi- oder auch der Schweiz, erhofft man sich Entlastung rus, GRANUPOM) (ZIMMERMANN, 1998). Nachdem 2005 durch die Etablierung der sehr spezifischen „Samurai- in Deutschland erstmals Resistenzen der Obstmade ge- Wespe“ (Trissolcus japonicus). Im Jahr 2020 wurde dieser gen das Apfelwicklergranulovirus (CpGV) festgestellt Eiparasitoid erstmals auch in Deutschland nachgewiesen wurden, bereiteten jüngere Forschungsarbeiten den Weg – vielleicht eine neue Chance in der klassischen biologi- für neue, resistenzbrechende CpGV-Präparate, sowie für schen Schädlingsbekämpfung (DIECKHOFF et al., 2021). das Phthorimaea operculella Granulovirus (PhopGV) zur Die Entwicklung von Ideen für eine spezielle Nütz- Bekämpfung der Tomatenminiermotte (JEHLE et al., lingsförderung als auch die Gewinnung neuer effizienter 2006; BIOCOMES, 2017). Aus dem Bereich der Natur- Kandidaten aus der heimischen Fauna, aber auch aus stoffe und anderer nicht-chemischer Pflanzenschutzver- dem Ursprungsgebiet eingeschleppter Schädlinge sind fahren ist die Entwicklung des damaligen Pflanzenstär- auch in Zukunft unverzichtbare Strategien bei der Bewäl- kungsmittels MILSANA und die Heißwasserbehandlun- tigung von Pflanzenschutzproblemen. Der biologische gen von Saatgut zur Bekämpfung samenbürtiger Krank- Pflanzenschutz mit Nützlingen bietet aber keine ad hoc- heitserreger hervorzuheben (SCHMITT et al., 2002; KOCH Lösungen. Vielmehr benötigt er auf Grund seiner Kom- et al., 2010). MILSANA beruht auf einem Extrakt aus dem plexität eine besondere Wertschätzung dieser „Freunde“ Sachalin-Staudenknöterich und erhöht die Widerstands- und die Berücksichtigung ihrer wesentlichen Bedürfnisse fähigkeit von Pflanzen gegen den Echten Mehltau und in der Kulturpflanzenerzeugung. Botrytis. Heute sind entsprechende Präparate als Fungi- zide in Nordamerika im Einsatz. Mit diesen Arbeiten wurden neben der biologischen Bekämpfung von Schäd- Anwendung von Mikroorganismen und Naturstoffen lingen auch jene von Krankheitserregern erfolgreich in das Institutsportfolio integriert. Im Gegensatz zu Makroorganismen, deren Verwendung Jüngste Forschungsschwerpunkte mit mikrobiellen derzeit vom Bundesnaturschutzgesetz geregelt ist, unter- Antagonisten umfassen Bodenschädlinge (Maikäfer liegt das Inverkehrbringen von mikrobiellen Antagonis- M. melolontha, Drahtwürmer (Agriotes sp.), Eulenraupen ten, Naturstoffen und Semiochemicals europäischen (Agrotis sp.), Dickmaulrüssler, pflanzenpathogene Regelungen der Wirkstoffgenehmigung und Pflanzen- Nematoden), invasive Schädlinge (Kirschessigfliege schutzmittelzulassung, welche in der Verordnung (EG) D. suzukii, Tomatenminiermotte Tuta absoluta, Buchs- Nr. 1107/2009 und weiteren damit zusammenhängen- baumzünsler Cydalima perspectalis, Herbstheerwurm den Verordnungen und Gesetzen niedergelegt sind. Im Spodoptera frugiperda und die Marmorierte Baumwanze Rahmen entsprechender Prüfverfahren werden diese H. halys), sowie und samen- und bodenbürtige Krank- Mittel hinsichtlich ihrer Identität, biologischen Eigen- heitserreger (Brandpilze und Fusarien), um nur einige zu Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart nennen. Die Produktion, Formulierung und Applikation ring-monvia.de)) bzw. besonders in Obstkulturen aktiv Übersichtsarbeit biologischer Präparate erfordert oftmals spezifische (HERZ et al., 2020; CAHENZLI et al., 2019). Methoden und Verfahrenstechniken, welche ebenfalls am Institut erforscht werden. Zur Identifikation und für Wirkungsstudien mikrobieller Antagonisten kommen Neue Herausforderungen heute modernste molekulare Techniken der Genom- sequenzierung (DNAseq und RNAseq) dieser Organis- Die Erfolge in Bezug auf die Erforschung und Entwicklung men und der zu kontrollierenden Schaderreger zum Ein- biologischer Pflanzenschutzverfahren mit Makro- und Mi- satz. Diese Methoden haben die Möglichkeiten der Diag- kroorganismen wären ohne eine nachhaltige und überaus nostik und das Potential funktioneller Studien revolutio- fruchtbare nationale, europäische und weltweite Zusam- niert und um ein Vielfaches beschleunigt. menarbeit des Instituts mit unzähligen Forschungspart- nern, Institutionen und in diversen Gremien nicht möglich geworden. Diese stets anwendungsbezogenen und pro- Funktionelle Biodiversität als Voraussetzung für den blemorientierten Kooperationen haben die Arbeiten des Biologischen Pflanzenschutz Instituts als auch seiner Partner wesentlich gefördert und geprägt. Hervorzuheben sind die seit Jahrzehnten andau- Viele Insekten und Spinnen, aber auch bodenlebende ernde Mitarbeit in der International Organisation for Bio- Organismen wie Fadenwürmer, Raubmilben und natür- logical and Integrated Control (IOBC-WPRS), der Euro- lich auch Mikroorganismen stellen als natürliche Gegen- pean and Mediterranean Plant Protection Organization 257 spieler von Schädlingen ihre Fraß- oder Parasitierungstä- (EPPO), der Society of Invertebrate Pathology (SIP), mit tigkeit der Landwirtschaft als kostenlose Ökosystem- der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) dienstleistung zur Verfügung. Insbesondere die Begren- sowie in zahlreichen EU-Forschungsverbünden, um nur zung der Bestandsdichte von pflanzensaugenden Schad- die wichtigsten zu nennen. erregern wie Blattläusen im Ackerbau oder Spinnmilben Dennoch führte der biologische Pflanzenschutz in den im Obst- und Gemüsebau unter die ökonomisch rele- vergangenen Jahrzehnten neben dem alles dominieren- vante Schadensschwelle kann mit der natürlich vorkom- den chemischen Pflanzenschutz ein Nischendasein und menden „Armada“ an Nützlingen gelingen (FREIER et al., war überwiegend auf den Ökologischen Landbau, wo 2007). Der alarmierende Verlust der Biologischen Vielfalt chemisch-synthetische PSM nicht verwendet werden dür- (IPBES, 2018) bedroht auch diese für die Kulturpflanzen- fen, und den Unter-Glas-Anbau beschränkt. Dies hat sich erzeugung so wichtige funktionelle Biodiversität. Habi- in den vergangenen Jahren grundlegend geändert, biolo- tatverlust durch Simplifizierung der Agrarlandschaft gilt gische Pflanzenschutzverfahren werden mittlerweile in als eine wesentliche Ursache (SEIBOLD et al., 2019), wes- vielen Kulturen eingesetzt (JEHLE et al., 2014; KOCH et al., halb ein wesentlicher Schritt zur Erhaltung und Förde- 2019). Heute setzen gesellschaftliche und politische For- rung von ökosystemaren Dienstleistungen wie Bestäu- derungen und die damit einhergehenden Ziele der Ver- bung, biologische Schädlingskontrolle oder auch Boden- ringerung des chemischen Pflanzenschutzes neue Rah- gesundheit daher in einer verbesserten Diversifizierung menbedingungen. Bereits die VO (EG) 1107/2009 priori- der Agrarlandschaft gesehen wird (MARTIN et al., 2019; sierte in seinen Erwägungsgründen (35) nicht-chemi- ALBRECHT et al., 2020). Für Arthropoden sind hier vor al- schen Methoden vor chemischen PSM. Entsprechend den lem die Erhaltung essentieller Nahrungshabitate (Alter- allgemeinen Grundsätzen der Richtlinie 2009/218/EG nativbeute/-wirte, pflanzenbürtige Nahrung wie Nektar sind „nachhaltigen biologischen, physikalischen und an- und Pollen) und Landschaftsstrukturen wie Hecken, deren nichtchemischen Methoden […] der Vorzug vor naturnahe Bereiche, Streuobstwiesen etc. als Rückzugs- chemischen Methoden zu geben“. Ebenso zielt die habitate wichtig. Verschiedene Agrarumweltmaßnah- Farm-to-Fork-Strategie der Europäischen Union auf eine men, z. B. die Anlage von Hecken oder Blühstreifen, auch deutliche Reduktion des chemischen Pflanzenschutzes mit gebietseigenem Saatgut von Wildpflanzen, bieten und auf einen verstärkten Ausbau des Ökologischen bereits finanzierte Umsetzungsmöglichkeiten für die Landbaus auf 30 % bis zum Jahr 2030. Landwirtschaft. Aktuell gibt es auch in Deutschland im Die Landwirtschaft der Zukunft wird daher mit deut- Rahmen des „Aktionsprogramms Insektenschutz“ (BMU, lich weniger Agrochemikalien auskommen müssen. Bio- 2019) oder verschiedener Förderprogramme des BMEL logische Präparate und Verfahren werden hierzu einen zahlreiche Forschungsprojekte, die beispielsweise unter- wichtigen Beitrag leisten. Weltweit werden heute aug- suchen, wie mit maßgeschneiderten Blühstreifen oder mentative Verfahren auf ca. 55 Millionen Hektar einge- einer Erhöhung der Anbauvielfalt die Populationen von setzt, wobei über 500 Nützlingsarten kommerziell erhält- Nützlingen in der Kultur oder auch in der Agrarland- lich und mehr als 200 Stämme von Mikroorganismen zu- schaft gefördert werden können. An einigen ist auch das gelassen sind (VAN LENTEREN et al., 2018; WILLER et al., Institut für Biologischen Pflanzenschutz beteiligt (z. B. 2021). Circa 60 % der derzeitig bearbeiteten Wirkstoff- FInAL-Projekt (Förderung von Insekten in Agrarland- genehmigungsverfahren auf EU-Ebene sind mittlerweile schaften: https://www.final-projekt.de/), MonViA-Pro- biologischer Natur. jekt (Das bundesweite Monitoring der biologischen Viel- Somit wird der biologische Pflanzenschutz zukünftig falt in Agrarlandschaften: https://www.agrarmonito- eine weit bedeutendere Rolle in der Anbaupraxis spielen, Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart was auch mit hohen Erwartungen an diese Verfahren ver- einem großen Anwendungsfeld zu ersetzen. Mit anderen Übersichtsarbeit knüpft ist. Nicht alle diese Erwartungen werden ad hoc Worten: Gerade die selektivsten Mittel und Verfahren erfüllt werden, insbesondere lässt sich kaum ein chemi- haben unter den gegenwärtigen Zulassungsbedingungen sches Mittel analog durch ein biologisches Verfahren er- und Marktbedürfnissen die größten ökonomischen setzen, weil die gewohnten Wirkungsgrade und Wir- Schwierigkeiten einer Kommerzialisierung. kungsbreiten chemischer Mittel von biologischen Verfah- Neben der Kulturpflanze und dem Schaderreger brin- ren häufig nicht erreicht werden. gen auf Mikro- und Makroorganismen beruhende biolo- Biologische Verfahren zeichnen sich grundsätzlich gische Pflanzenschutzverfahren eine weitere biotische durch eine hohe Spezifität für den Zielorganismus aus, Komponente ins Pflanzen-Schaderreger-System. Das so- hierauf gründen sich ihre allgemein günstigen human- genannte „Control Window“ (EVANS, 1994) wird hier- und ökotoxikologischen Eigenschaften. Aufgrund ihrer durch um ein vielfaches komplexer (Abb. 3). Selektivität haben viele biologische Pflanzenschutzmittel Insbesondere im Freiland unterliegt die Performance nur wenige Anwendungen, d. h. einzelne Mittel können des biologischen Antagonisten schwer zu kontrollieren- häufig nur gegen einen oder wenige Schaderreger in we- den Parametern. Feuchtigkeit (Luft, Boden, Blatt), Tem- nigen Kulturen eingesetzt werden. Dies gilt oft auch für peratur, UV-Exposition beeinflussen nicht nur das spezifische Nützlinge, die nur ganz bestimmte Schader- Wachstum und die Etablierungsfähigkeit des Schaderre- reger attackieren können. Gerade diese Eigenschaft ist gers, sondern auch der augmentativ eingesetzten Gegen- besonders für den klassischen biologischen Pflanzen- spieler. Hinzu kommen die Virulenz bzw. Konkurrenz- schutz interessant, wenn sich Perspektiven zur Regulie- und Lebensfähigkeit des Antagonisten, die auch durch 258 rung invasiver Schädlinge durch hochangepasste Gegen- die Produktionsbedingungen und Formulierung beein- spieler aus dem Ursprungsgebiet eröffnen. Die dem bio- flusst werden können. Aber auch die Dichte, Anfälligkeit logischen Pflanzenschutz inhärente ökologische Vorzüg- und Altersstruktur der Schädlingspopulation sind für den lichkeit stößt allerdings auf verschiedenen Ebenen an Erfolg einer biologischen Bekämpfung von grundlegen- ihre ökonomischen Grenzen; beispielsweise, wenn einer- der Bedeutung. Beispielsweise, müssen Bakterien und seits mehrere Schädlinge gleichzeitig bekämpft werden Viren von den Schädlingen peroral aufgenommen wer- müssen (Landwirt) oder andererseits die Anwendungs- den, ihre Wirkung hängt somit von der Fraßrate und dem fläche und damit die potentielle Marktgröße eines ent- Entwicklungszustand des Schädlings ab. Vielfach müs- sprechend spezifischen Produktes ein Inverkehrbringen sen zudem die Applikationstechnik und die Schad- unrentabel machen (Hersteller). Somit finden sich biolo- schwellen in Bezug auf die spezifischen Eigenschaften gische Mittel und Verfahren unter den gegenwärtigen des biologischen Wirkstoffes angepasst werden. Die Viel- Zulassungs- und Produktionsbedingungen in einem zahl dieser Einflussfaktoren und die Komplexität ihrer In- Selektivitätsdilemma: je spezifischer die Wirkung eines teraktion addieren sich zu einer Systemplastizität, in der Antagonisten, desto weniger potentielle Anwendungen die Wirkungssicherheit biologischer Pflanzenschutzver- und umso kleiner ist der Markt für ein entsprechendes fahren weniger konstant ist als bei chemischen Mitteln. Produkt. Gleichzeitig würden aber sehr viele unter- Deren gewohnte Wirkungsgrade werden von biologi- schiedliche biologisch basierte Verfahren benötigt, um schen Verfahren meist nicht erreicht. Daher werden auch einen weniger selektiven chemischen Wirkstoff mit etwaige Erwartungen, chemische Pflanzenschutzverfah- Abb. 3. Das Bekämpfungsfens- ter („Control Window“) wurde ur- sprünglich für Baculoviren und Insekten entwickelt, es gilt aber im Wesentlichen für viele andere mikrobieller Antagonisten von Insekten und über weite Teile auch für Pathogene und ihre Ant- agonisten (nach EVANS, 1994). * von besonderer Bedeutung bei Insekten als Schaderreger. Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 252–260, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.09 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart ren durch biologische und andere nicht-chemische Ver- Animals and Weeds, West Palearctic Regional Section (IOBC- WPRS). 158 Seiten. Übersichtsarbeit fahren ersetzen zu können, ohne Anpassungen der für DIECKHOFF, C., S. WENZ, M. RENNINGER, A. REIßIG, H. RAULEDER, C.P.W. chemischen Pflanzenschutz optimierten Anbaubedin- ZEBITZ, J. REETZ, O. ZIMMERMANN, 2021: Add Germany to the list— gungen nichts anderes als eine herbe Enttäuschung Adventive Population of Trissolcus japonicus (Ashmead) (Hyme- noptera: Scelionidae) emerges in Germany. Insects 12, 414, DOI: erfahren. Biologische Pflanzenschutzverfahren entfalten 10.3390/insects12050414. ihre volle Wirkung nur im Verbund mit weiteren vorbeu- EILENBERG, J., A. HAJEK, C. LOMER, 2001: Suggestions for unifying the genden Maßnahmen im Sinne des integrierten Pflanzen- terminology in biological control. 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