1968 eine Zeitenwende? - Die Jugendrebellion und ihre Folgen
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Wissenschaftsgeschichte 1968 – eine Zeitenwende? Die Jugendrebellion und ihre Folgen D as Jahr 1968 ist zu einem Symbol für eine Wende in Po- litik und Kultur der Bundesrepub- lik Deutschland geworden. Eine einflussreiche Publizistik sucht al- lerdings auch, alle Schäden und Irrtümer der jüngsten deutschen Geschichte den »68ern« zuzu- schreiben. Franziska Augstein hat in der Süddeutschen Zeitung am 8. April dieses Jahres zutreffend Vietnamkongress in Berlin im Februar 1968 – am Rednerpult einer der führen- den Köpfe der Studentenbewegung KD Wolf: Die Auseinandersetzung mit der amerikanischen Politik in Vietnam ge- hört zu den zentralen Themen der 68er. Während seines Jura-Studiums enga- giert sich Karl Dietrich ebenso wie sein jüngerer Bruder Frank. KD Wolff sitzt von 1965 bis 1967 im Studentenparla- ment und im AStA der Goethe-Universi- tät, ist von 1967 bis 1968 erster Vorsit- zender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). und gut zwischen der berechtigten Deutschland im Kritik der damaligen Jugendrebel- Herbst 1967: Bei len und ihren zum größten Teil der Feier zum Rektorenwechsels unrealistischen und verstiegenen an der Universität »Lösungen« für die Probleme der Hamburg demons- Zeit unterschieden. Die Entwick- trieren Studenten lung der Bundesrepublik zu einem im Audimax gegen liberalen und demokratischen Ge- die Ernennung meinwesen ging keinesfalls gradli- des Universitäts- nig von der Regierung Konrad rektors mit dem Spruchband »Un- Adenauers zur langen Kanzler- ter den Talaren schaft Helmut Kohls vonstatten. Muff von 1000 Während der Volksaufstand vom Jahren«. 17. Juni 1953 in der DDR von der Regierung mit aktiver Unterstüt- zung der sowjetischen Besatzung unterdrückt wurde, scheiterte die radikale Kritik der 68er nicht ganz so vollständig, auch wenn sie als Folge der Spaltung unter den Re- bellen und der selbstmörderischen sind unter uns« gezeigt wurde, ten), SDS (Sozialistischer Deut- Entgleisung einer Minderheit zum kam es zu heftigen Reaktionen scher Studentenbund) und Jung- anarchistischen Terrorismus vonseiten der ehemaligen Wehr- liberale waren froh, dass ein »Bund schließlich unrühmlich endete. machtsangehörigen [siehe auch freier Studenten«, der sich keiner Als Angehöriger der ersten »Wie ich die ›68er‹ erlebte«, Seite Partei verbunden fühlte, ihnen zur Nachkriegsgeneration war mir 87]. Die demokratischen Parteien Seite stand. Ein durchaus deutsch- noch die Haltung der Studierenden konnten nur wenige Studenten als freundlicher Vortrag des bekannten in jenen Jahren lebendig in Erin- Mitglieder für ihre Jugendvereini- Schweizerischen Theologen Karl nerung. Als 1947 in Tübingen der gungen rekrutieren. RCDS (Ring Barth, in dem er auf die Notwen- antinazistische Film »Die Mörder Christlich-Demokratischer-Studen- digkeit der Auseinandersetzung Forschung Frankfurt 2/2008 85 12 UNI 2008_02 Teil 03 PSG.indd 85 26.06.2008 12:28:26 Uhr
Wissenschaftsgeschichte Der Marsch der jungen Kritikern genannt wurden) Bürgerrechtler auf achtete die USA als führende Wirt- Washington: Im schaftsmacht, Helfer beim Wieder- August 1963 hält aufbau und Beschützer vor der aus Martin Luther King seine histo- dem Osten drohenden Roten Ar- rischen Rede mee sehr hoch. Zugleich betrachte- »I Have a Dream« ten diese Kreise aber die Amerika- am Lincoln Me- ner noch immer leicht hochmütig morial. Der Theo- als »kulturlos«, und viele von ih- loge und charis- nen lehnten die populäre Musik matischer Bürger- und Kinowelt von jenseits des Oze- rechtler, der 1964 den Friedens- ans ab. Für die mit der als Autori- nobelpreis erhält, tät empfundenen Gesellschaft un- rüttelt nicht nur zufriedenen und gegen sie allmäh- die amerikanische lich mehr und mehr rebellierenden Gesellschaft auf – jungen Deutschen waren Protest- auch viele deut- methoden der amerikanischen sche Jugendliche Studierenden wie »Go-ins, Teach- und Studenten so- lidarisieren sich. ins, Love-ins« dagegen willkom- men übernommene Kampfformen. Ein wichtiger Wendepunkt in der Entwicklung war der 2. Juni 1967: An diesem Tag kam der Stu- dent Benno Ohnesorg durch einen Schuss des Polizeiobermeisters mit und Überwindung der Nazi- te der nach wie vor benachteiligten Karl-Heinz Kurras ums Leben. Oh- ideologie hinwies, fand kaum ge- Afroamerikaner. Die Ermordung nesorg, der an der Freien Universi- nügend Zustimmung. Auch wenn von John F. Kennedy im Jahr 1963 tät Romanistik und Germanistik das demokratisches Bewusstsein und die seines Bruders Robert studierte, nahm an einer Demonst- gewachsen war, trat erst im Laufe 1968 fanden ebenso wie der Mord ration gegen den als Staatsgast der 60er Jahre eine nachhaltige an dem charismatischen Anwalt nach Berlin angereisten iranischen Wendung ein. der Afroamerikaner, Martin Luther Schah teil, er war unbewaffnet King, insbesondere in der deut- und wurde von hinten angeschos- »Go-ins« und andere Folgen schen Jugend große Beachtung sen. Der Berliner Polizeipräsident der amerikanischen Rebellion und führten zu einem differenzier- wie auch der Regierende Bürger- Studentische und gymnasiale teren Verhältnis der Jugendlichen meister Heinrich Albertz, die zu- Jugendliche entdeckten die Bedeu- gegenüber den USA, als es noch nächst die Tat des Polizisten vertei- tung der Dritten Welt und ihres bei der älteren Generation anzu- digt hatten, traten wenig später Kampfes gegen Kolonialmächte so- treffen war. Das »konservative Es- nach Selbstkritik zurück. Kurras wie die Rebellion an amerikani- tablishment« (wie die politisch wurde mit der entlastenden Be- schen Universitäten und die Revol- führenden Kreise jetzt von den gründung »Putativnotwehr« frei- Der Tod von Benno Ohnesorg: Am 2. Juni 1967 wird der 26-Jährige bei einer Demonstrati- on unter ungeklär- ten Umständen von dem Kriminal- obermeister Karl- Heinz Kurras er- schossen. Dies ist das entscheidende Ereignis für die Ausweitung der Studentenrevolte in der gesamten Bundesrepublik. 86 Forschung Frankfurt 2/2008 12 UNI 2008_02 Teil 03 PSG.indd 86 26.06.2008 12:28:28 Uhr
Wissenschaftsgeschichte Bericht des Zeitzeugen: Wie ich die »68er« erlebte A ls ich im Wintersemester 1945/46 an der Tübinger Universität mein Studium auf- wünschenswert; Seminare mit star- kem Zulauf konnten durch solche Gruppenarbeiten intensiver gestal- nahm, waren viele Studierende tet werden. Allerdings mussten die noch deutlich von der Naziideo- Teilnehmer deutlich machen, wel- logie und von Misstrauen gegen chen individuellen Anteil sie an sol- die Besatzungsmacht geprägt. chen Arbeiten hatten. Drei Konflik- Bei der Vorführung des Films te mit Protestierern sind mir in »Die Mörder sind unter uns« Erinnerung geblieben. Relativ wurden laute Proteste der in ih- harmlos war ihre Forderung, unser rer »Ehre gekränkten« ehemali- Institut »Rosa Luxemburg Institut« gen Wehrmachtsangehörigen zu taufen. Ich lobte – mit ironi- laut. Der erste Tübinger Univer- schem Unterton – die Idee mit dem sitätsrektor Hermann Schneider, Hinweis: Rosa Luxemburg sei eine ein »Alt-Germanist«, behauptete besonders fleißige und erfolgreiche weise den Grund für die Nützlich- Vor dem Hör- in seiner Antrittsrede dem Sinne Studentin der Universität Zürich keit einer Beschäftigung mit der saal V der Uni- nach, zum Glück habe die Ger- gewesen und könne schon deshalb antiken Demokratie, die zum Bei- versität Frank- manistik nichts mit den Nazi- allen Studierenden der Politikwis- spiel noch für Jean-Jacques Rous- furt: Theodor W. Adorno diskutiert ideologien zu tun gehabt. Das senschaft ein Vorbild sein. seau in der Neuzeit einflussreich lebhaft mit den führte immerhin zu seinem bal- In meiner Eigenschaft als Senats- gewesen war, die aber aufgrund Studenten, ob er digen Rücktritt, weil der franzö- beauftragter für studentische Veran- der anderen sozialökonomischen seine nach Stö- sische Hochschuloffizier diese staltungen, die mit Staatsgeldern Verhältnisse in einer Sklavenhal- rungen wochen- Äußerung bedenklich fand. Eine unterstützt wurden, lehnte ich es ter-Gesellschaft und in einer mo- lang ausgesetzte von mir gegründete Vereinigung auf einer Vollversammlung des SDS dernen marktwirtschaftlichen Vorlesung »Ein- demokratischer Studenten wur- am 21. November 1967 ab, Geld für Klassengesellschaft und den dort führung in dia- lektisches Den- de von der französischen Besat- einen Vortrag zum Thema »Enteig- entstehenden Problemen der mo- ken« wieder zung unterstützt. Hochschul- net Springer« zu genehmigen; die- dernen Demokratien nicht verein- aufnehmen kann gruppen der demokratischen ses Thema könnte aber sehr wohl bar ist. Hannah Arendts Forde- – allerdings auch Parteien waren so schwach, dass unter dem Titel »Pressekonzentrati- rung, demokratische Politik solle an diesem Tag sie meist zusammen mit uns on als Gefahr für die Demokratie« sich nicht mit Wirtschaftsfragen ohne Erfolg. Gastredner (meist demokratische behandelt werden. Dieser auch von beschäftigen, stammt noch aus ih- Politiker) einluden. meinen Assistenten unterstützte rer problematischen Orientierung Vorschlag wurde abgelehnt. In der an der klassischen Polisdemokratie. »Atmosphäre in Frankfurt Folge wurde auf Anregung des Derartige Wünsche von Vorle- wohltuend … kritischer« Rechtssoziologen Prof. Wiethölter sungsbesuchern hielt ich nicht nur Auch wenn sich die Verhält- die Funktion eines professoralen für legitim, sondern sogar für hilf- nisse im Laufe der Jahre in Tü- »Vormunds« für mit öffentlichen reich und nützlich. bingen verändert hatten, so Geldern unterstützte studentische empfand ich doch im Unter- Veranstaltungen abgeschafft. Der Politikwis- schied dazu 1963 die soziokultu- In einem meiner Seminare setz- senschaftler relle Atmosphäre in Frankfurt als te ich mich mit der unüberlegten Iring Fetscher wohltuend offener und selbstbe- Identifikation linker Studenten mit (rechts) und der wusst kritischer. Da ich mich palästinensischen Israel-Feinden Sozialphilosoph schon früh intensiv mit Marx auseinander und wies darauf hin, Jürgen Habermas im und dem sowjetischen Marxis- dass ehemalige Nazis sich mit ihren April 1975 im mus beschäftigt hatte, konnte ich Publikationen für palästinensische Hörsaal VI der mit den rebellischen linken Stu- Israel-Feinde engagiert hätten, un- Goethe-Universi- denten mühelos diskutieren und ter anderem ein ehemaliger nieder- tät: Gemeinsam ihnen auch auf diesem Gebiet sächsischer Rechtsradikaler. Die Die Bitte eines SDS-Studenten, mit Rudi wissenschaftlich fundiertes Wis- voreilige Identifikation Israels mit in einem Artikel für ihre Zeitung Dutschke neh- sen vermitteln. Solange die Aus- einer »US-amerikanischen getarn- die chinesische »Kulturrevolution« men sie an einer einandersetzung der Studieren- ten Kolonie« beruhe auf einem his- darzustellen, lehnte ich allerdings Solidaritätsver- anstaltung für den mit dem »Establishment« torischen Erkenntnisfehler. Zu wei- ab, da ich im Gegensatz zu ihrer ir- einen in Jugos- relativ zivil vonstatten ging, teren Störungen ist es während regeleiteten Begeisterung für die lawien unter- konnte ich sie verstehen und so- meiner Vorlesungen und Seminare »befreite Jugend und ihren Kampf drückten Gesell- gar unterstützen. Eine aktive in der Folge nur selten gekommen, gegen die Bürokratie« eingesehen schaftstheoreti- Mitwirkung der Studierenden an Studierende verlangten allerdings hatte, dass es sich um ein höchst ker teil. der Planung von Seminaren bei Themen, deren aktuelle Bedeu- grausames Manöver Mao Tse ebenso wie die Anfertigung von tung ihnen nicht einleuchtete, eine Tungs handelte, der auf diese Wei- Seminararbeiten durch kleine erklärende Begründung. So entwi- se seine bedrohte Machtposition Arbeitsgruppen hielt ich sogar für ckelte ich wunschgemäß beispiels- retten wollte. Iring Fetscher Forschung Frankfurt 2/2008 87 12 UNI 2008_02 Teil 03 PSG.indd 87 26.06.2008 12:28:29 Uhr
Wissenschaftsgeschichte Auseinandersetzung mit der Staatsge- walt in Frankfurt: Demonstranten provo- zieren im Mai 1969 die Polizei durch den Hitler-Gruß, um die Polizisten als Faschisten darzustellen. (so auch Richtern) der Bundesre- publik noch immer viele ehemalige Nazis, die sich oft entschuldigend als verdienstvolle Antikommunis- ten verstanden, die schon vor 1945 gleichsam NATO-Kämpfer gewesen waren. Marcuse, Horkheimer, Adorno – und die Protestierer An einigen Universitäten ent- deckten Studierende Publikationen von Professoren, die sich in der Nazizeit der herrschenden Ideolo- gie angepasst hatten und keine of- fene Selbstkritik übten, oft auch belastende eigene Publikationen aus Universitätsbibliotheken ver- schwinden ließen. Im Gegensatz dazu lehrten an der Frankfurter Universität aus dem Exil heimge- kehrte Antinazis wie Max Horkhei- mer und Theodor W. Adorno, die schon aus diesem Grund Verständ- nis für die rebellischen antinazisti- schen Jugendlichen hatten. Noch eindeutiger trat Herbert Marcuse, der in den USA lehrte und vor sei- ner Emigration dem Institut für Sozialforschung angehört hatte, für die Anliegen der Jugendrebellion ein. Herbert Marcuse hatte schon in den USA ein neues welthistori- sches revolutionäres Subjekt in der Verbindung der Befreiungsbewe- gung der Dritten Welt mit der Re- bellion der akademischen Jugend diagnostiziert. Das ehemals revolu- tionär gewesene Proletariat war – Einführung in die Kritische Theorie: Das so seine Diagnose – durch gestiege- philosophische Seminar von Max Hork- nen Wohlstand und Manipulation heimer und Theodor W. Adorno, das sie der Massenmedien für diese Auf- über viele Jahre gemeinsam angeboten gabe verloren. Wolfgang Abend- haben, ist bei den Studenten in den 1960er Jahren sehr gefragt. roth, der wegen seines Antifaschis- mus in einer Strafeinheit eingesetzt war und den Krieg knapp überlebt hatte, verteidigte ebenso die rebel- gesprochen und lediglich in den lischen Studenten. Innendienst versetzt. Dieses Ereig- Generell kam es in Frankfurt zu nis führte nicht nur in Berlin zu offeneren Diskussionen mit den wütenden Demonstrationen und Protestierenden, zu Auseinander- heftigen Verurteilungen der ver- setzungen aber kam es mit Max antwortlichen Politiker vonseiten Horkheimer, Theodor W. Adorno der rebellischen Studenten. Wäh- und ihrem Schüler Jürgen Haber- Herbert Marcuse, der schon zu den Gründungsmitgliedern des rend sich die politischen Parteien mas, weil die Studenten die Bezie- Instituts für Sozialforschung gehört hatte und ebenso wie Horkheimer und Adorno in die USA emigriert war, gilt als en- in den westlichen Demokratien in hung von Theorie und Praxis zu gagierter und einflussreicher Sozialphilosoph der Jugendrevol- der Regel als Erben des Antifa- »kurzschlüssig« interpretierten. te, die von Kalifornien ausgehend in den späten 1960er Jah- schismus verstanden, gab es unter Adorno erkannte die Gefahr schon, ren die Universitätsstädte der westlichen Welt ergreift. Politikern und höheren Beamten bevor der studentische Anarchis- 88 Forschung Frankfurt 2/2008 12 UNI 2008_02 Teil 03 PSG.indd 88 26.06.2008 12:28:29 Uhr
Wissenschaftsgeschichte mus gewalttätige Formen entwi- wirklichen, wurde freudig begrüßt. Der Autor ckelte: »Die Kritik am Anarchis- Einer der populärsten Studenten- Prof. Dr. Iring mus ist nicht hinfällig geworden. führer, Rudi Dutschke, reiste nach Fetscher, 86, war Seine Wiederkehr ist die eines Ge- Prag, um die Unterstützung deut- von 1963 bis zu spenstes. Die Ungeduld gegenüber scher studentischer Rebellen zum seiner Emeritierung der Theorie, die in ihm sich mani- Ausdruck zu bringen. Am 11. April im Jahre 1987 Pro- festiert, treibt den Gedanken nicht 1968 kommt es in Berlin zu einem fessor für Politik- über sich hinaus. Indem sie ver- lebensgefährlichen Revolveratten- wissenschaft an der gisst, fällt sie hinter sich zurück.« tat auf Dutschke, an dessen Spät- Goethe-Universität mit dem Schwer- Ebenso klar wies er schon 1968 da- folgen er 1979 stirbt. Von seinen punkt politische rauf hin, dass es ein Irrtum ist, zu Anhängern wird vor allem die Theorie und Ideen- meinen, »im Zusammenhang kol- Springer-Presse für den Anschlag geschichte. Dem lektiver Aktion werde besser ge- des nazistisch beeinflussten ar- Selbstverständnis dacht«. Marcuses Weg wollten die beitslosen Josef Bachmann verant- nach ein Brücken- meisten Frankfurter Kollegen nicht wortlich gemacht. Die Bildzeitung bauer zwischen folgen, für die Studenten hatte er hatte durch ihre Angriffe auf de- Geist und Politik suchte Fetscher nicht die Nische einer auf die Universität dagegen etwas Faszinierendes. Zu- monstrierende Studenten die At- begrenzten Denkschule, sondern engagierte sich öffentlich – gleich blickten sie auch im Mai mosphäre für dieses Verbrechen unter anderem in der Grundwertekommission beim Partei- 1968 sehnsuchtsvoll und bewun- bereitet. vorstand der SPD und als Berater des früheren Regierenden dernd nach Frankreich, wo die Ak- Berliner Bürgermeisters Willy Brandt (SPD). Kenner und tion gemeinsam von Studenten, Impulse für die Wende? Wegbegleiter bescheinigten Fetscher ein radikales kritisches linken Intellektuellen und Arbei- Die Phase der Jugendrebellion Denken mit einer »wohlwollend-optimistischen Grundhal- tern getragen wurde, während in der Bundesrepublik hat bei den tung«. Zu seinem Forschungsschwerpunkt machte Fetscher neben der Geschichte der politischen Theorien und Philoso- deutsche Gewerkschafter zwar Kri- demokratischen Nachbargesell- phien die Entstehungs- und Entwicklungsbedingungen der tik an den geplanten Notstandsge- schaften oft Anteilnahme und totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde er setzen übten, aber nicht bereit wa- Sympathie ausgelöst, die zum Teil aber vor allem als undogmatischer Marxismusforscher, wobei ren, dafür einen Generalstreik zu sogar gegenüber den späteren Ter- es ihm »darum ging, den emanzipatorischen Gehalt der riskieren. roristen noch anhielt. Die histori- Marx’schen Theorie unter ihren parteioffiziellen Verzerrungen sche Zeitenwende des Jahres 1989 und Überlagerungen freizulegen« – wie es sein frührer Assis- Internationale Aspekte war weder durch die Rebellen von tent und späterer Herausgeberkollege Prof. Dr. Herfried Münkler formulierte. Zu Fetschers bekanntesten Schriften der Bewegung 1968 vorbereitet noch durch sie er- zählen das Standardwerk »Von Marx zur Sowjetideologie« Aktuelle Rückblicke auf 1968 schwert. Sie wurde in der Sowjet- (1957; 23. Auflage 1987) und das dreibändige Handbuch vernachlässigen oft die internatio- union durch Michail Gorbatschow »Der Marxismus« (1963 – 1968). 1985 begann Fetscher zu- nalen Aspekte dieser Bewegung: In und seine Mitstreiter ausgelöst und sammen mit Herfried Münkler mit der Veröffentlichung einer den USA kam es zu Studentenpro- führte unter anderem zu den Leip- auf fünf Bände angelegten Geschichte politischer Ideen. Im- testen gegen den verhängnisvollen ziger Montagsdemonstrationen, zu mer wieder wandte sich Fetscher aber auch aktuellen poli- Vietnamkrieg und für eine Vollen- deren Erfolg die evangelische Kir- tischen Entwicklungen zu. Die politische Kultur in einem normativen Verständnis beleuchtete er 1990 in dem Buch dung der längst versprochenen che wesentlich beigetragen hat, auf »Toleranz. Von der Unentbehrlichkeit einer kleinen Tugend Gleichberechtigung der Afroameri- denen aber neben der Parole »wir für die Demokratie« und in der Essaysammlung »Utopien, kaner und der Latinos. Die Protes- sind das Volk« leider Reichskriegs- Illusionen, Hoffnungen. Plädoyer für eine politische Kultur tierenden lehnten die offizielle flaggen auftauchten, deren politi- in Deutschland«. amerikanische Politik ab, die ver- sche Zuordnung jedenfalls nicht Fetscher wurde 1922 in Marbach/Neckar als Sohn des Arz- suchte, die kubanische Revolution demokratisch sein konnte. tes und späteren Professors für Hygiene Rainer Fetscher ge- zu bekämpfen, und auch eine mili- Etwas großzügiger beurteilt hat boren und wuchs in Dresden auf. Den Krieg erlebte er als tärische Intervention in Kuba ver- die Jugendrebellion, die mit dem aktiver Offizier vor allem an der Ostfront. Über Dänemark sucht hatte und später den Sturz Stichwort »68« umschrieben wird, kam er nach Dresden zurück und fand seine Mutter verwit- des sozialistischen argentinischen auf dem Umweg über die am wet: Am letzten Kriegstag (8. Mai 1945) hatte die SS noch Präsidenten Allende förderten. 22. Oktober 1969 gebildete sozialli- seinen Vater erschossen, als er versuchte Konflikte zwischen Die deutschen 68er bezogen ih- berale Regierung unter Bundes- Besatzung und der Bevölkerung zu vermeiden und der Roten Armee die Zusammenarbeit mit Dresdner Antinazis anzubie- ren Protest vor allem auf den Viet- kanzler Willy Brandt doch zum ten. Die Familie übersiedelte bald nach Westen, wo Fetscher namkrieg, in dem die USA ab 1965 Ende der Sowjetunion und ihrer in Tübingen Philosophie und Germanistik studierte. Er pro- den höchst fragwürdigen Demo- »Satellitenstaaten« beigetragen. movierte bei Eduard Spranger und war anschließend dessen kraten General Ky im Kampf ge- Brandts Entspannungspolitik ge- Assistent. Die Habilitation erfolgte bei Theodor Eschenburg. gen den kommunistischen Norden genüber der DDR und letztlich 1963 wurde Fetscher als ordentlicher Professor an die Uni- unterstützten. Zu den verehrten auch gegenüber der Sowjetunion versität Frankfurt berufen. »Helden« der 68er wurden der sowie der für die Rote Armee un- Gastprofessuren führten ihn unter anderem an die New nordvietnamesische Politiker Ho erreichbare US-amerikanische Rüs- School for Social Research in New York (1968/1969), nach Chi Min und der Argentinier Che tungsvorsprung führten zur Resig- Tel Aviv (1972), an das Netherlands Institute for Advanced Guevara, der die kubanische Revo- nation der sowjetischen Führung Study Wassenaar (1972/1973), an das Institute for Advan- lution zusammen mit Fidel Castro und ihrer Bereitschaft, die DDR ced Study der Australian National University Canberra anführte und später in Bolivien er- aufzugeben. In so komplexen his- (1976) und an das Institute for European Studies der Har- vard University (1977). Rufe an die Universitäten Konstanz, mordet wurde. Der Versuch des torischen Zusammenhängen ist Nijmwegen, Wien und New York lehnte Fetscher ab. 2004 tschechischen Reformkommunis- freilich die Feststellung eines ein- wurde er von der philosophischen Fakultät der Universität ten Dubček, einen »Sozialismus deutigen Kausalnexus nicht gut Osnabrück zum Dr. phil. h.c. ernannt. mit menschlichem Antlitz« zu ver- möglich. ◆ Forschung Frankfurt 2/2008 89 12 UNI 2008_02 Teil 03 PSG.indd 89 26.06.2008 12:28:30 Uhr
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