54 Prozent der Fläche Deutschlands könnten für die sichere Endlagerung infrage kommen - jetzt beginnt die weitere Eingrenzung der Gebiete ...
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Nr. 10 /Oktober 2021 Das Magazin der Bundesgesellschaft für Endlagerung 54 Prozent … Hochradioaktive Abfälle … der Fläche Deutschlands könnten für die sichere E ndlagerung infrage kommen – jetzt beginnt die weitere E ingrenzung der Gebiete
Momentaufnahme Die Tagesschau vom 28. September 2020 begann mit einer Nachricht, mit der kaum jemand gerechnet hatte. Susanne Daubner verkündete das Ende des Projektes Gorleben. Der Beitrag zeigte auch die Vorstellung der Karte auf dem Titel dieses Magazins. Sie stammt aus dem an jenem Tag veröffentlichten „Zwischenbericht Teilgebiete“ der Bundes gesellschaft für Endlagerung (BGE) und zeigt auf, welche Gebiete im weiteren Verfahren der Endlagersuche näher untersucht werden. Und der Bericht benennt diejenigen Gebiete, die bei der Endlagersuche schon jetzt ausgeschlossen werden können. 2
Editorial Liebe Leserinnen und Leser! War das ein denkwürdiger Moment, als Susanne Daubner am 28. Sep tember 2020 in der Tagesschau verkündete, dass in Gorleben kein Endlager für hochradioaktive Abfälle gebaut wird? Ja, aber es war vor allem eine Zäsur, ein Paradigmenwechsel. Und zwar nicht nur, weil die Menschen in der Region an diesem Abend nach 40 Jahren end loser und verfahrener Diskussionen erleichtert aufatmeten. Sondern vor allem, weil aus den Fehlern der Vergangenheit endlich Konse quenzen gezogen wurden. Der Anfang vom Ende des Projektes Gorleben fällt ins Jahr 2013, als das „Standortauswahlgesetz“ in Kraft trat. Darin war der Neustart des Standortauswahlverfahrens festgelegt – mit dem Ziel, in einem wissenschaftsbasierten und transparenten Ver fahren einen Standort für ein geologisches Endlager für insbesondere Wärme ent wickelnde radioaktive Abfälle zu finden. Die Erkundungsarbeiten im Salzstock Gorleben wurden beendet, 2017 begann die neuerliche Suche nach dem Endlager. 2031, so der Plan, soll es gefunden sein. Dafür wurden auch die Zuständigkeiten neu geordnet – mit dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) als Aufsichts- und Beteiligungsbehörde, der BGE als Vorhabensträgerin und der Wissenschaft und der Öffentlichkeit als kritische Verfahrens beteiligte. Zu den wichtigsten Erkenntnissen aus 40 Jahren Streit um Gorleben gehört, dass die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle aus dem Betrieb von Kernkraftwerken eine gesamtgesellschaftliche Auf gabe ist. Eine Aufgabe, die also nur im gesellschaftlichen Konsens erfolgreich sein wird. „Politik und Behörden haben in den vergange nen Jahrzehnten oft Fehlinformationen von sich gegeben“, sagt der Kommunikationsexperte Frank Brettschneider in unserem Interview ab Seite 8. „Vertrauen ist schnell zerstört – und es dauert lange, es aufzubauen.“ Genau darum wird es in den nächsten Jahren immer und immer wieder gehen. Ihr Einblicke-Team 3
Es geht um Bürgerbeteiligung Wir müssen reden Auf der Suche nach einem Endlager für hochradio Von Michael Prellberg aktive Abfälle wird ganz Deutschland nach Der Autor ist freier Journalist. Seine Beiträge erscheinen wissenschaftlichen Kriterien auf geeignete Standorte unter anderem in der ZEIT, geprüft. Das Verfahren ist aufwendig, langwierig – Capital, im manager magazin und Greenpeace Magazin und transparent. Bürger*innen reden mit und sind von Anfang an in die Fachdebatten eingebunden E Niemand will s ist einiges falsch gelaufen bei der Niemand will den „Schiet“ haben, daran Suche nach Endlagern für radio hat sich bis heute nichts geändert. Doch den „Schiet“ aktive Abfälle. Es gab fragwürdige irgendwo müssen die hochradioaktiven Empfehlungen, überstürzte Ent Abfälle tief im Untergrund gelagert wer haben, daran scheidungen und nicht zuletzt politische den – sicher für mindestens eine Million Festlegungen. Polizei in Rüstung und Was Jahre. Deshalb macht Deutschland Tabula hat sich bis serwerfer auf der einen Seite, an Gleisen rasa und fängt von vorne an, mit streng festgekettete Demonstrierende auf der wissenschaftlichen Kriterien und einem heute nichts anderen Seite: So soll es bei der Endlager vollkommen offenen Prozess. Anfangs war suche nicht mehr laufen. Wann dieser die Landkarte komplett weiß, 2020 hat die geändert Kurswechsel erstmals ins öffentliche Be Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wusstsein trat, lässt sich genau bestimmen. sie erstmals eingefärbt: Etwa die Hälfte des „Salzstock Gorleben nicht geeignet“ als Landes bleibt derzeit noch im Blick für die Atommüll-Endlager: Das verkündete Standortauswahl. Susanne Daubner am 28. September 2020 um 20 Uhr in der ARD als Topmeldung Wissenschaft im Vordergrund der Tagesschau. Kein Endlager in Gorleben – was „Die betroffene Region wird den ermittel für ein Signal! Das 600-Einwohner-Dorf ten Standort nur dann tolerieren können, im Wendland ist Symbol für eine Atom wenn das Verfahren transparent abläuft, politik, die wenig auf Bürger*innen hört. alle Einwände gehört wurden und die Ent Zugleich ist Gorleben ein Symbol für den scheidung nachvollziehbar ist“, heißt es aus anhaltenden Protest von Menschen vor dem Bundesamt für die Sicherheit der nuk Ort, die sich politischer Willkür nicht fü learen Entsorgung (BASE) als zuständiger gen. Schon 1979 informierten Landwirte Beteiligungsbehörde. Deshalb können und aus dem Wendland vor 100.000 demons sollen „Bürgerinnen und Bürger den Aus trierenden Menschen den damaligen nie wahlprozess mitgestalten und auf verschie dersächsischen Ministerpräsidenten: „Lie denen Ebenen Einfluss nehmen“. Das hat ber Herr Albrecht, wir wollen deinen mit bundesweiten Fachkonferenzen bereits Schiet nicht haben!“ begonnen. Das Spektrum wird später er 4
weitert, beispielsweise mit Regionalkonfe Fragen, Hinweisen und Kritik einbringen. Eine Million Jahre müssen die renzen vor Ort. Der Gesetzgeber hat den Beteiligten auf Abfälle sicher gelagert sein. Bei den bereits abgeschlossenen gegeben, wissenschaftliche Erkenntnisse, Dieser Zeitraum entzieht sich ersten Fachkonferenzen steht – wie im ge Methoden und Kriterien während des unserer Vorstellungskraft. In samten Verfahren – die Wissenschaft im gesamten Standortauswahlverfahrens trans ihren Illustrationen macht Vordergrund: Was ist aus geologischen parent zu kommunizieren – und sie hinter Charlotte Apel die Dimensio Gründen die beste Option für ein fragen zu lassen. In den drei Fachkonferen nen fassbar. Sie entstanden Atommüll-Endlager? Die Eckdaten sind zen dieses Jahres ging es dabei erst einmal im Rahmen eines Projekts an geklärt: Das Endlager muss unterirdisch in um den Blick zurück. Diskutiert wurde der der Hamburger University of Salz-, Ton- oder kristallinen Wirtsgesteinen „Zwischenbericht Teilgebiete“ vom Septem Europe for Applied Sciences angelegt werden. Diese Gesteine müssen ber 2020, der großzügig und nach Akten Formationen bilden, die mindestens 300 lage alle Gesteinsformationen – insgesamt Meter unter der Oberfläche liegen, mindes 90 sogenannte Teilgebiete – ausweist, die tens 100 Meter mächtig sowie hitzebestän theoretisch infrage kommen könnten. Der dig und wasserdicht sein. Über alles Weitere Zwischenbericht erwartet immerhin für wird diskutiert. Dabei bleiben die Wissen rund 54 Prozent der bundesdeutschen Flä schaftler*innen keineswegs unter sich: Be che günstige geologische Voraussetzungen wusst sollen sich alle Interessierten mit für die Endlagerung radioaktiver Abf älle. 5
Um die Zahl der wirklichen Optionen ge Verfahren selbst stößt auf Kritik: „Der nauer bestimmen zu können, wird jetzt im Start verlief sehr holprig“, sagt etwa Asta nächsten Schritt in repräsentativen vorläu von Oppen vom Rechtshilfe e.V. Gorleben. figen Sicherheitsuntersuchungen nach geo „Partizipation sollte nicht nur reine In logischen und später bei Bedarf auch nach formation, sondern echte Mitwirkung planungswissenschaftlichen Kriterien ge sein.“ Viele Hinweise und Nachfragen sei nauer gefiltert. en auf der Fachkonferenz einfach weg moderiert worden, monieren auch andere Öffentlichkeit bleibt am Ball Teilnehmer*innen. Eine formelle Öffentlichkeitsbeteiligung ist laut Standortauswahlgesetz erst wieder vorgesehen, wenn diese Ergebnisse vor liegen. Diese „Partizipationslücke“, wie sie „Wir müssen auch genannt wird, hat viele Teilneh mer*innen der Fachkonferenzen verärgert. gemeinsam „Die Menschen wollen da weiter dranblei ben“, sagt beispielsweise Sabrina Kaestner, erkunden, Bürgermeisterin im oberfränkischen Markt leuthen. Schon zuvor hatte es jede Menge wie wir Kritik gegeben, etwa an der Form des Zwischenberichtes: 90 Teilgebiete auf mehr erkunden als der Hälfte Deutschlands – damit werde der Suchraum kaum eingeschränkt. „Nie wollen.“ mand fühlt sich betroffen“, kritisiert etwa Stephan Wichert-von Holten, die Atommüllkonferenz, ein Zusammen schluss von rund 30 Initiativen. Auch das Superintendent Lüchow-Dannenberg Nach dem August-Termin der Fachkon ferenz sollte eigentlich Schluss sein mit der formellen Bürgerbeteiligung. Es wäre in den Augen vieler das Ende der versproche nen Transparenz gewesen. Wenn die Suche nach dem Endlager „für die nächsten Jah re im Tunnel verschwindet“, sagt Stephan Wichert-von Holten, der für das Wendland zuständige S uperintendent der evange lischen Kirche, drohe das gesamte Projekt zu implodieren. Die in der Fachkonferenz gezeigte Gesprächsbereitschaft der BGE sei der beste Ansatz, um Vertrauen aufzu bauen. Dieses keimende Pflänzchen sei in Gefahr, wenn jetzt die Öffentlichkeit ab gekoppelt wird. Transparenz? Offenheit? Perdu. Wichert-von Holten fordert die Bür gerbeteiligung auch im nächsten Schritt: „Wir müssen gemeinsam erkunden, wie wir erkunden wollen.“ Die Botschaft ist angekommen. Über ein Beteiligungsformat, das gerade entwickelt wird, soll die Öffentlichkeit auch die nächsten Schritte begleiten. Ein „breiter Kreis von vernetzten Interessier ten, offen für alle“ – so stellt sich das BASE das Forum vor. Sämtliche Arbeits fortschritte sollen „transparent, öffentlich und kontinuierlich“ verfolgt und kritisch hinterfragt werden. 6
Der ehrliche Wille, in diesen Dialog einzu steigen, war in den Fachkonferenzen deut lich zu spüren, sagt Marktleuthens Bürger meisterin Sabrina Kaestner. Sie hat sich in der Organisation der Fachkonferenz enga giert und war positiv überrascht von dem Niveau der Diskussion. Jetzt ist sie erleich tert, dass die Öffentlichkeit am Ball bleiben kann: „Ich finde es großartig, dass von al len Seiten der Wille zu spüren ist, die Öf fentlichkeit mitzunehmen – auch wenn es heißt, über das hinauszugehen, was vom Gesetz vorgesehen ist.“ Sie ist zuversicht lich, dass gemeinsam ein Konzept erarbei tet werden kann, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind. Nervosität vor Ort Es kann kein Zuviel an Transparenz geben. Denn selbst was formal richtig ist, kann leichtfertig Vertrauen verspielen, wenn es nicht offen kommuniziert wird. Das hat auch die BGE lernen müssen. Sie hatte im Juli vier Gebiete benannt, in denen sie ihre Methoden entwickeln und verfeinern will. Untersucht werden soll, mit welchen Me thoden aus den 90 Teilgebieten vielver sprechende Standortregionen für eine über tägige Erkundung herausgefiltert werden können. „Zur Methodenentwicklung ist ein gehen frühestmöglich zu veröffentlichen. wissenschaftlich so stabil und unver Gebiet nicht besser oder schlechter ge Auch wenn das bedeutet, dass weiterhin rückbar sein, dass die Politik es nicht um eignet als andere Gebiete“, sagt BGE- unfertige Arbeitsstände zugänglich ge werfen kann.“ Geschäftsführer Steffen Kanitz, trotzdem macht werden. Dafür muss es jetzt weitergehen. regte sich sofort Protest. „So geht das Dieses Versprechen sollte die BGE Mit dem Aussieben. Genau dafür wer nicht“, empörte sich Thüringens Minister besser halten. Denn von ihrem Verhalten den – etwa in Thüringen oder Bahlburg – präsident Bodo Ramelow: Zwei der ausge hängt entscheidend ab, ob die Standort praxisnahe und robuste Methoden zur wählten Gebiete liegen auch auf Thüringer suche für das Endlager ein Erfolg werden Bewertung aller 90 Teilgebiete entwickelt. Boden. Im niedersächsischen Landkreis kann. Oder ob doch wieder politische Das Ergebnis ist eine Vorschlagsliste mit Harburg mit seinem Salzstock Bahlburg Gründe den Ausschlag geben. Diese Angst Standortregionen, die in einigen Jahren kritisierten Politik und Verwaltung, nicht hat beispielsweise Amanda Hasenfusz, die konkret von der Erdoberfläche aus unter vorab informiert worden zu sein. „Ein sol in der dünn besiedelten Altmark in Sach sucht werden sollen. Anschließend wer ches Vorgehen sorgt bei den Menschen vor sen-Anhalt lebt. „Hier gibt es eine sehr den die Bürger*innen bei Regionalkon Ort für Verunsicherung und Misstrauen“, schöne Landschaft, aber wenig Men ferenzen als „zentralem Gremium zur sagte Landrat Rainer Rempe. schen“, sagt die Atomkraftgegnerin. Sie Beteiligung der Öffentlichkeit vor Ort“ für „Wir haben unterschätzt, wie sensi befürchtet, dass die wissenschaftlichen alle dann übrig gebliebenen Standort bel bereits auf das Nennen von Gebieten, nicht die entscheidenden Gründe sein wer regionen einbezogen. bei denen es nur um die Entwicklung von den, wenn es eines Tages zum Schwur Die Endlagersuche ist vom Gesetz Methoden geht, reagiert wird“, sagt kommt. „Am Ende wird doch wieder ge geber als „selbsthinterfragendes und Wolfram Rühaak, Abteilungsleiter Sicher schaut, wo wenig Menschen leben und lernendes Verfahren“ angelegt. Die BGE heitsuntersuchungen bei der BGE. „Wir wenig Widerstand zu erwarten ist“, sagt und das BASE haben gelernt, dass sie nicht haben den frühestmöglichen Zeitpunkt Hasenfusz. Denn am Ende entscheidet der für die nächsten Jahre im Tunnel ver gewählt, um die Vorgehensweise trans Bundestag und damit die Politik. schwinden dürfen, ohne ihre guten Absich parent zu machen – dieses Vorgehen birgt ten zu konterkarieren. Offenheit und Trans immer die Gefahr, dass es mangels eines Vorbildliche Ehrlichkeit parenz müssen während des gesamten ausgefeilten Kommunikationskonzeptes zu Prozesses gezeigt und gelebt werden. Missverständnissen kommt“, sagt Ge Die darin liegende Gefahr sieht auch Su Schließlich soll 2031 die Entscheidung für schäftsführer Steffen Kanitz. Das kann perintendent Wichert-von Holten. Der das deutsche Endlager fallen, und zwar auch in Zukunft immer wieder vorkom Kirchenmann leitet daraus einen Auftrag transparent nach wissenschaftlichen Krite men, aber die BGE wird an ihrem Verspre ab: „Die BGE muss vorbildlich ehrlich rien. Ob das funktionieren wird? Die Wei chen festhalten, Sachverhalte und Vor sein. Das Ergebnis der Endlagersuche muss chen jedenfalls sind gestellt. 7
Interview „Wozu das G anze?“ Bei der Suche nach einem geeigneten Endlagerstandort sollen Bürger*innen intensiv eingebunden werden. Ein Gespräch mit dem Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider Herr Brettschneider, wie kann sicher- sich gegeben, und mit dieser Hypothek len. Alle Informationen müssen jederzeit gestellt werden, dass die Beteiligung geht es jetzt in die Gespräche. Die Fehler allen Interessierten zugänglich sein. Wie der Menschen ernst genommen und sind ein Ballast. Sie dürfen nicht totge gesagt: maximale Transparenz und Offen ein Erfolg wird? schwiegen werden. Und schon gar nicht heit. Denn entscheidend für die Akzeptanz Die Auswahl des bestmöglichen dürfen sie sich wiederholen. Vertrauen ist des Ergebnisses ist die Glaubwürdigkeit Endlagers für hochradioaktive Abfälle ist schnell zerstört – und es dauert lange, es des Verfahrens. ein langwieriger Prozess, bei dem wir aufzubauen. Genau das kann dieses Ver noch ziemlich am Anfang stehen. Was fahren jetzt leisten. BGE und BASE als staatliche Institu- sich schon jetzt sagen lässt: Das vorgese tionen müssen also regelmäßig infor- hene Verfahren ist genau richtig, weil es Wie kann dieser Vertrauensaufbau mieren? reinen Tisch macht und auf maximale gelingen? Das allein reicht nicht aus. Infor Transparenz und Offenheit setzt. Politik Mit Glaubwürdigkeit, die ist ganz mation darf keine Einbahnstraße sein. Es und Behörden haben in den vergangenen entscheidend. Es muss deutlich werden, geht darum, in einen Dialog zu kommen. Jahrzehnten oft Fehlinformationen von dass alle Akteure mit offenen Karten spie Es heißt für die Wissenschaft, die Verwal tung und die Politik, den Bürgerinnen und Bürgern zuzuhören und sich mit dem Ge sagten auseinanderzusetzen. Reicht das schon aus für die vieler- orts geforderte Bürgerbeteiligung? Bürgerbeteiligung heißt nicht, dass die Bevölkerung entscheidet. Das wäre di rekte Demokratie. Die Entscheidung liegt also bei den gewählten Abgeordneten, und damit ist die Mehrheit der Menschen hier zulande auch völlig einverstanden. Unter Frank Brettschneider lehrt Kommuni kation an der Universität Hohenheim. Zu seinen Schwerpunkten zählen das Kommunikationsmanagement, die Verständlichkeitsforschung und die politische Kommunikation. Im März 2021 veröffentlichte er eine Studie über „Bürgerbeteiligung“ 8
einer Bedingung: Sie wollen in die Ent geht von der Aktenlage aus. Auf der Basis scheidungsfindung einbezogen werden. wurde etwa die Hälfte der Fläche in Und das erfordert sowohl von der Wissen Deutschland ausgeschlossen. Zum Teil gibt schaft als auch von der Verwaltung, ihre es präziseres Datenmaterial, das bewusst Rollen zu überdenken. „Wenn die noch nicht eingeflossen ist – ausgewertet wird es im nächsten Schritt, der jetzt an Was muss die Wissenschaft anders machen? Minister steht. Und dann wird wieder weniger Flä che übrig bleiben. Anschließend erfolgen Die Rolle der Wissenschaft in die sem Prozess besteht darin, auf die Fragen präsidenten Erkundungen, in denen neue Daten erho ben werden. Und dann wird wieder weni der Bürgerinnen und Bürger zu antworten. Und zwar so, dass diese verstehen, was Markus Söder ger Fläche übrig bleiben. Eigentlich ein ganz einleuchtendes und nachvollziehbares gesagt wird. Hier hat die Wissenschaft noch einiges zu lernen. Sie muss Experten oder Bodo Vorgehen. sprache in eine für Laien verständliche Sprache übersetzen. Auch Visualisierun Ramelow Mindestens zehn Jahre wird es noch dauern, bis das Ergebnis der Standort gen helfen, komplexe Sachverhalte an schaulich darzustellen. Denn Verständnis sagen: ‚Kein auswahl feststeht. Fordert dieser Zeit- raum allen Beteiligten etwas zu viel ist die Voraussetzung dafür, Informationen nachvollziehen zu können. Und nur dann Endlager in langen Atem ab? Ja, aber so ist es eben. Die Daten kann Akzeptanz entstehen. Bayern‘ oder lage lässt nicht mehr zu. Und auch die Bevölkerung würde ein Hauruck-Verfahren Und wo ist die Verwaltung gefordert? Für Behörden ist es anstrengend, ‚Kein Endlager nicht akzeptieren – völlig zu Recht. Die BGE muss also – wir kommen immer wie dieses aufwendige Verfahren der Standort auswahl über den gesamten Zeitraum offen in Thüringen‘, der auf den Kern – für ein transparentes und offenes Verfahren sorgen, das sauber und transparent zu halten. Behörden ha ben ein anderes Vorgehen gelernt: Der dann durchgezogen wird. Das erfordert Mut, denn es bedeutet, sich einzulassen auf ein Prozess findet komplett intern statt, und erst die gefundene Lösung wird der Öffent diskreditiert vorläufiges und damit unvollständiges Wis sen. Und es bedeutet, dieses unvollständige lichkeit vorgestellt. Das muss hier anders laufen. Dieses Rollenverständnis im Dialog das den Wissen offen zu kommunizieren. müssen viele Verwaltungen erst noch ver innerlichen. gesamten Egal wie transparent und wissen- schaftlich valide das Verfahren durch- Die Suche nach einem Endlager- Prozess“ gezogen wird: Sobald am Ende ein Standortname feststeht, wird sich standort soll wissenschaftlich so solide Widerstand vor Ort regen. sein, dass die Ergebnisse unumstößlich Die Verfahrensakzeptanz ist immer sind. Ist das überhaupt möglich? höher als die Ergebnisakzeptanz. Niemand Es ist der einzig mögliche Weg. Die sagen: „Kein Endlager in Bayern“ oder will ein Endlager in seinem Vorgarten – Auswahl des Standortes wird nur ak „Kein Endlager in Thüringen“, dann dis schon weil vermutet wird, dass es den Wert zeptiert werden können, wenn die Wissen kreditiert das den gesamten Prozess. Er des eigenen Hauses mindert. Das wird schaft überzeugende Argumente dafür wird dann als politischer Prozess wahr aber selten ausgesprochen. In der Praxis liefert … genommen und nicht als eine nach wissen sorgt das für Eiertänze, weil stattdessen schaftlichen Kriterien ablaufende, objekti Ersatzdiskussionen geführt werden. Dabei … und wenn ihren Ergebnissen ge- ve Auswahl. Auch erscheint der Prozess sind solche Vorbehalte völlig legitim, dafür glaubt wird. dann nicht mehr ergebnisoffen. Genau das sollte niemand in die Ecke gestellt werden. Da habe ich keine Sorge. Wir haben ist aber der Kern des gesamten Verfahrens. Anfang des Jahres eine repräsentative bun Wie also umgehen mit legitimen desweite Umfrage durchgeführt. Darin ging Derzeit kommen angeblich 54 Pro- Vorbehalten? es unter anderem um das Vertrauen, das zent der bundesdeutschen Fläche als Das beste Vorgehen, um solche Menschen Institutionen entgegenbringen. Standort infrage. Das ist doch unrea- Vorbehalte in eine Perspektive zu setzen, Die Wissenschaft lag ganz klar auf dem listisch! ist die Frage: Wozu das Ganze? Das Ge ersten Platz – noch vor Gerichten und der Es kommen nicht 54 Prozent infra meinwohl muss erkennbar werden – auch Polizei. Ja, es gibt 10, vielleicht 15 Prozent ge. Sondern 54 Prozent können derzeit für die Bürgerinnen und Bürger mit legiti der Bevölkerung, die wissen immer alles noch nicht sicher ausgeschlossen werden. men Vorbehalten. Sobald beispielsweise besser, aber damit kann – und muss – man Das ist ein Unterschied. Das ganze Verfah Profitinteressen von Unternehmen ins leben. Alle wird man nie überzeugen. Man ren geht ja schrittweise vor: ein Trichter, in Spiel kommen, wird es schwierig mit dem braucht allerdings eine breite Basis. dem oben viel reinkommt – ganz Deutsch Gemeinwohl. Aber dass wir die hoch Dafür muss die Standortauswahl land –, und am Schluss kommt idealerwei radioaktiven Abfälle, die in Deutschland sauber erfolgen. Das ist die Aufgabe für se der bestmögliche Standort für ein End produziert wurden, auch irgendwo lagern die BGE und für das BASE als Träger des lager heraus. Daher ist es wichtig, die müssen, und zwar so sicher wie möglich, Verfahrens. Es ist aber ein Problem, wenn Abläufe wieder und wieder zu erklären. Im das ist Konsens. Irgendwo muss das Zeug der Prozess aus der Politik heraus unter bisherigen Schritt ist kein einziger Fakt halt hin. miniert wird. Wenn die Ministerpräsiden originär erhoben worden, sondern der Zwi ten Markus Söder oder Bodo Ramelow schenbericht aus dem September 2020 Die Fragen stellte Michael Prellberg 9
Die Endlagersuche – ein lernendes Verfahren Der Weg zum Endlager gleicht der Bahn einer Kugel in einem Trichter: Ihr Lauf wird von einer Projektphase zur nächsten immer wieder anhand mehrerer Kriterien überprüft. So kann aus Fehlern gelernt werden. Bürger*innen sind eingeladen, den Prozess zu begleiten Start: September 2017 PHASE I, SCHRITT 1 28. September 2020 • Zwischenbericht Teilgebiete • Bürgerbeteiligung PHASE I, SCHRITT 2 Vorschlag Standortregionen für übertägige Erkundung • Bürgerbeteiligung • Entscheidung Gesetzgeber PHASE II Vorschlag Standortregionen für untertätige Erkundung • Bürgerbeteiligung • Entscheidung Gesetzgeber Planungswissenschaftliche Abwägungskriterien Diese kommen ab Schritt 2 der Phase I immer dann zum Zug, wenn geologische Kriterien für die Auswahl nicht ausreichen. Im Prinzip gilt aber: Die Geologie im Untergrund hat stets Vorrang vor den übertägigen Gegebenheiten, denn die Sicherheit des Endlagers unter der Erde muss für einen Zeitraum von einer Million Jahren gewährleistet sein Sicherheitsuntersuchungen Vorläufige Sicherheitsuntersuchungen finden mehrfach im Standortauswahlverfahren statt. Im Schritt 2 der Phase I handelt es sich um relativ allgemeine repräsentative und vorläufige Sicherheitsuntersuchungen. Es wird die Sicherheit der Geologie, der Endlagertechnik und des Zusammenwirkens beider Komponen ten im Gesamtsystem bewertet 10
Die Expert*innen der BGE arbeiten sich vom Groben ins Feine. Im ersten Schritt der Phase I wurden die existierenden Daten grob ausgewertet, um Teilgebiete auszuweisen (siehe Titel bild). Im zweiten Schritt geht es nun an die detaillierteren Auswertungen. Auf deren Basis entscheidet der Gesetzgeber am Ende von Phase I, welche Gebiete oberirdisch erkundet Ausschlusskriterien werden. Am Ende von Phase II schlägt die BGE dem Gesetz geber mindestens zwei Regionen für die unterirdische Sechs Ausschlusskriterien schließen Erkundung vor. Phase III mündet schließlich in der finalen einen Endlagerstandort aus: Standorte ntscheidung. aktive Störungszonen, negative Auswirkungen von Bohrungen und Die Fachleute hinterfragen ihre Ergebnisse selbst und Bergbau, Vulkanismus, eine Erd stellen sie zur wissenschaftlichen Diskussion. Dabei sind stets bebenzone, Hebungen von mehr die Bürger*innen beteiligt. So lernt die BGE im Standort als einem Millimeter im Jahr sowie auswahlverfahren junges Grundwasser Mindestanforderungen Mindestens 300 Meter unter der Erde müssen die hochradioaktiven Abfälle eingelagert werden. Die Gesteins schicht, in der ein einschlusswirksamer Gebirgsbereich gefunden werden soll, muss in der Regel mindestens 100 Meter dick sein. Das Gestein soll möglichst dicht sein, und es soll keine Zweifel geben, dass das Gestein seine Barrierewirkung für mindestens eine Million Jahre behalten wird Geowissenschaftliche Abwägungskriterien Elf geowissenschaftliche Abwägungs kriterien, die an 40 Indikatoren gemessen werden, sollen die geo logische Sicherheit eines Endlagers bewerten helfen. Dabei geht es PHASE III beispielsweise um die Rückhalte Vorschlag für Endlagerstandort fähigkeit eines Gesteins für Radio • Bürgerbeteiligung nuklide, um die Stabilität, Wärme • Entscheidung Gesetzgeber beständigkeit oder auch um den Zustand des Deckgebirges. Die geowissenschaftlichen Abwägungs kriterien werden mehrfach im Auswahlverfahren angewendet, zum zweiten Mal im Schritt 2 der Phase I Standortentscheidung 2031 11
Ha Wir laden Sie herzlich ein zum Dialog: Dan ben Sie n sc F dial hrei ragen? • 12. Oktober 2021, 18-19.30 Uhr (online): Endlagersuche – wie geht das? og@ ben Sie einb u • 9. November 2021, 18-19.30 Uhr (online): Endlagersuche – wie geht das? licke ns: .de • 13./14. November 2021, Berlin: Statuskonferenz Endlagerung des BASE • 14. Dezember 2021, 18-19.30 Uhr (online): Endlagersuche – wie geht das? Alle Veranstaltungen sind öffentlich, weitere Informationen finden Sie unter: www.bge.de/veranstaltungen Die Fachkonferenz Teilgebiete ist das erste gesetzlich vorgeschriebene eteiligungsformat im Standortauswahlverfahren. Weitere Informationen dazu: B www.endlagersuche-infoplattform.de/Fachkonferenz Wir über uns Die Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH (BGE) sucht den Standort für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle, der die bestmögliche Sicherheit für eine Million Jahre gewährleistet. Außerdem betreibt die BGE die Endlager Konrad und Morsleben sowie die Schachtanlage Asse II und das Bergwerk Gorleben. Im Internet finden Sie weitere Informationen rund um die Endlagersuche und die Beteiligung der Bürger*innen: • Bundesgesellschaft für Endlagerung: • www.bge.de/endlagersuche • Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: • www.bmu.de/themen/atomenergie-strahlenschutz/endlagerprojekte • Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE): • www.base.bund.de • www.endlagersuche-infoplattform.de • Nationales Begleitgremium: • www.nationales-begleitgremium.de Auf der Homepage des Magazins bieten wir aktuelle Informationen und Berichte sowie barrierefreie PDFs aller Ausgaben. Dort können Sie auch Klassensätze bestellen: www.einblicke.de Impressum Herausgeber: Bundesgesellschaft für Endlagerung mbH, Eschenstraße 55, 31224 Peine, www.bge.de. V. i. S. d. P.: Manuel Wilmanns; Einblicke-Team: Dagmar Dehmer, Frank Ehrlich, Helge Essert, Katharina Kiefer, Klaus Wild Verlag: TEMPUS CORPORATE GmbH, Alt-Moabit 94, 10559 Berlin; Projekt- und Redaktionsleitung: Dr. Joachim Schüring; Gestaltung: Susanne Kluge, Chris Delaney (Art Director); B ildredaktion: Sima Ebrahimi-Yazdi; Lektorat: Dr. Katrin Weiden; Herstellung: Tim Paulsen Bildnachweise: Titel: BGE/TEMPUS CORPORATE, S. 2: Studio Hamburg PDF Enterprises GmbH, S. 4-7: Charlotte Apel, S. 8: Universität Hohenheim, S. 10/11: Susanne Kluge/ TEMPUS CORPORATE Druck: Kern GmbH, Bexbach Die Einblicke sind auf einem FSC-zertifizierten Papier unter Verwendung von Altpapier und wiederaufforstbaren Rohstoffen gedruckt und klimaneutral. Die durch die Herstellung verursachten Treibhausgasemissionen wurden durch Investition in ein Klimaschutzprojekt HINWEIS FÜR BLINDE UND kompensiert. MENSCHEN MIT SEHBEHINDERUNG Erscheinungsdatum: 7.10.2021 Vertrieb: Diese Ausgabe erscheint zeitnah als Beilage in Dieses Magazin gibt es auch folgenden Medien: DER TAGESSPIEGEL, DIE ZEIT, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche als barrierefreies PDF-Dokument: Zeitung, taz, WELT https://einblicke.de/magazine
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