60 Jahre "nukleare Teilhabe" Deutschlands - Xanthe Hall - ICAN Deutschland
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
60 Jahre „nukleare Teilhabe“ Deutschlands Xanthe Hall ICAN-Briefing März 2018
ICAN-Briefing 60 Jahre „nukleare Teilhabe“ Deutschlands Xanthe Hall Am 25. März 1958 beschloss der Bundestag nach viertägiger, März 2018 hitziger Debatte die Ausrüstung der Bundeswehr mit atoma- ren Trägersystemen im Rahmen der NATO. Die BRD kaufte bei den USA die Trägersysteme und stellte die Mannschaf- ten; die USA stellten die Atomsprengköpfe, die im Ernstfall eingesetzt werden könnten. Nach Ende des Kalten Krieges blieben Atomwaffen in Westdeutsch- land stationiert, obwohl die Sowjetunion ihre Atomwaffen aus der ehemaligen DDR und anderen Ländern des Warschau-Paktes abzog. Noch heute lagern schätzungsweise bis zu 20 US-Atombomben auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. Im Ernstfall werden diese Bomben durch deutsche Piloten eingesetzt. „Nukleare Teilhabe“ bezeichnet die Beteiligung von NATO-Mitgliedern an Planung, Vorbereitung und Übung des Einsatzes von US-Atomwaf- fen. Heutzutage gibt es zwei Varianten der Teilhabe: erstens, die politi- sche Teilhabe durch die Teilnahme an der nuklearen Planungsgruppe der NATO, wo Einsatzplanung, Strategie und Stationierung von Atom- waffen diskutiert werden; zweitens, die technische Teilhabe, bei der NATO-Staaten Stützpunkte, Flugzeuge und Personal zur Verfügung stellen und Piloten den Einsatz von Atomwaffen üben. Der NATO-Beschluss 1957 Auf dem NATO-Gipfel im Dezember 1957 in Paris wurde beschlossen, dass die USA taktische Atomwaffen in Europa stationieren werden. 1 Final Communiqué, Diese sollten unter US-amerikanischem Verschluss gehalten wer- NATO Summit, 16.-19.12.1957, Punkte 20-22, https://www. den und weiter Eigentum der USA bleiben, aber den europäischen nato.int/docu/comm/49-95/ c571219a.htm NATO-Streitkräften zur Verfügung gestellt werden.1 2
ICAN Deutschland Der Start der ersten „Sputnik“-Satelliten-Rakete ins All am 4. Okto- März 2018 ber 1957 beunruhigte die NATO. Damit hatte die Sowjetunion unter Beweis gestellt, dass sie die ballistische Raketentechnologie so weit 60 Jahre Nukleare Teilhabe entwickelt hatte, dass sie auch die USA angreifen konnte. In einem Xanthe Hall Interview mit dem Hessischen Rundfunk am 19. Dezember erklärte der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer, was die neuen Entwicklungen für Folgen haben könnte: Die bisherige Doktrin der NATO sah vor, dass die USA auf einen Angriff der Sowjetunion in Europa mit einem vernichtenden atomaren Vergeltungsschlag mit 2 Rumpf, M. Der Pariser Bombern reagieren würde. Wenn jedoch nun die Sowjetunion selbst Nato-Gipfel zur atoma- ren Aufrüstung Europas, die USA mit Interkontinentalraketen bedrohen konnte, stellte Ade- Deutschlandfunk, 19.12.2017, http://www.deutschlandfunk. nauer in Frage, ob die USA tatsächlich bereit wären, die eigene Ver- de/vor-60-jahren-been- nichtung zu riskieren, um ihre europäischen Verbündeten zu verteidi- det-der-pariser-nato-gip- fel-zur-atomaren.871.de.htm- gen.2 l?dram:article_id=406315 Gemeinsames europäisches Atomprojekt Auch die Franzosen waren besorgt, wie der damalige französische Staatssekretär Maurice Faure dem deutschen Bundeskanzler am 3 Zank, W. Adenauers Griff 16. November 1957 bei einer Besprechung in dessen Privatvilla in nach der Atombombe, Die Zeit, 26.07.1996, Rhöndorf mitteilte.3 Europa könne künftig mehr auf sich selbst ange- http://www.zeit.de/1996/31/ Adenauers_Griff_nach_der_ wiesen sein. Faure berichtete weiter, dass die Italiener bei einem Atombombe gemeinsamen Vorstoß dabei seien. Er meinte, dass man es nicht länger hinnehmen könne, dass nur die USA und Großbritannien im Besitz von Atomwaffen seien. Bundesaußenminister Heinrich von Brentano fügte hinzu, man müsse darauf bestehen, dass auch weitere europä- ische Staaten über Raketen und Atomwaffen verfügten. Adenauer plante sogar selbst Atomwaffen herzustellen, womit die Franzosen und Italiener zunächst einverstanden waren. Ein gemeinsames atomares Rüstungsprojekt wurde durch die „Rhöndorfer Vereinbarung“ ins Leben gerufen. Das Projekt wurde allerdings später vom französischen General Charles de Gaulle gestoppt, als dieser wieder an die Macht kam. Die atomare Bewaffnung Deutschlands Adenauer und der damalige Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß waren überzeugt, man müsse mit Atomwaffen in Europa die Glaub- würdigkeit der Abschreckung untermauern. Der Bundeswehr sollten nicht nur Raketen, sondern auch Atomgranaten mit kurzer Reichweite zur Verfügung stehen. Somit könnte sich auch die deutsche Armee gegen einen befürchteten Vormarsch sowjetischer Panzer auf dem Gefechtsfeld atomar verteidigen. Der Widerstand in Deutschland gegen diese Pläne war groß. Bereits im April 1957 sprachen sich 18 Wissenschaftler in der „Göttinger Erklä- rung“ gegen eine atomare Bewaffnung Deutschlands aus. Sie mahnten vor den Folgen eines Einsatzes mit taktischen Atomwaffen: „Taktische Atomwaffen haben die zerstörende Wirkung normaler Atombomben. Als ‚taktisch‘ bezeichnet man sie, um auszudrücken, dass sie nicht nur gegen menschliche Siedlungen, sondern auch gegen Truppen im Erd- kampf eingesetzt werden sollen. Jede einzelne taktische Atombombe oder -granate hat eine ähnliche Wirkung wie die erste Atombombe, die 3
ICAN Deutschland Hiroshima zerstört hat. Da die taktischen Atomwaffen heute in gro- März 2018 ßer Zahl vorhanden sind, würde ihre zerstörende Wirkung im Ganzen sehr viel größer sein. Als ‚klein‘ bezeichnet man diese Bomben nur im 60 Jahre Nukleare Teilhabe Vergleich zur Wirkung der inzwischen entwickelten ‚strategischen‘ Xanthe Hall Bomben, vor allem der Wasserstoffbomben.“4 4 Göttinger Erklärung, Der Bundestagsbeschluss für die Stationierung von Atomwaffen kam http://www.atomwaffena-z. info/fileadmin/user_upload/ am 25. März 1958 durch eine Mehrheit der konservativ-rechten Koa- pdf/goettinger_erklaerung.pdf lition zustande. Die Opposition protestierte in der Debatte heftig. Die Begründung Adenauers für die atomare Bewaffnung war die angebli- che Expansionspolitik der Sowjetunion. „Sowjetrussland ist an kon- ventionellen Waffen stärker als irgendeine Macht auf der Erde“, sagte Adenauer damals. „Sowjetrussland ist - auch wenn wir keine Details darüber wissen, können wir das mit aller Sicherheit sagen - nuklear 5 Plenarprotokoll Bundestag, hoch aufgerüstet. Noch am 22. Januar hat Chruschtschow in einer 21. Sitzung, 25.3.1958, S.1102, http://dip21.bundestag.de/ Rede, die er öffentlich gehalten hat, gesagt, dass die Sowjetunion in dip21/btp/03/03021.pdf der Lage wäre, jeden Punkt der Erde durch ihre Raketen mit nuklea- ren Köpfen zu erreichen.“5 Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß behauptete vor dem Plenum, dass die Sowjetunion kurz vor einem atomaren Angriff auf Deutschland stehe. Deswegen müsse Deutschland zum eigenen Schutz durch die Alliierten atomar aufrüsten. Er führte aus, dass „die Moskauer Deutschlandpolitik, nachdem sie die Forderung nach Zerstückelung Deutschlands im Jahre 1945 deshalb 6 Plenarprotokoll Bundestag aufgegeben hat, weil die sowjetischen Armeen an der Elbe standen, 21. Sitzung, 25.3.1958, S.1113, http://dip21.bundestag.de/ immer, wenn auch unter verschiedenen Prätexten und mit verschie- dip21/btp/03/03021.pdf denen Einkleidungen, die Herrschaft über ganz Deutschland verlangt hat.“6 Die SPD wandte sich entschieden gegen eine atomare Bewaffnung Deutschlands durch die NATO. Der Abgeordnete Gustav Heinemann warf der Bundesregierung vor, die Frage der nuklearen Bewaffnung an die NATO-Zugehörigkeit zu koppeln, weil die Aufrüstung in der 7 Plenarprotokoll Bundestag Bevölkerung so unbeliebt war. „Auch wenn wir keine Aufrüstung der 21. Sitzung, 25.3.1958, S.1060, http://dip21.bundestag.de/ Bundeswehr vollziehen, kann die Bundesrepublik gegenwärtig in der dip21/btp/03/03021.pdf NATO bleiben, so wie auch andere Nationen in ihr sind, ohne atomar bewaffnet zu sein.“7 Die Protestbewegung „Kampf dem Atomtod“, unterstützt von SPD, FDP, den Gewerkschaften, der Kirche, den Universitäten und ver- schiedenen SchriftstellerInnen, organisierte Massendemonstrationen. Die Städte Hamburg und Bremen sowie einige Kommunen in Hessen beschlossen Volksbefragungen. Diese wurden jedoch auf Antrag der Bundesregierung vom Bundesverfassungsgericht am 30.7.1958 als verfassungswidrig verboten. Am Tag der geplanten Abstimmung ging die Hälfte der rund 1.000 Beschäftigten der Kasseler Henschel-Werke spontan gegen die atomare Bewaffnung Deutschlands auf die Straße. Zuvor hatten rund 10.000 Arbeiter der VW-Werke Braunschweig und Wolfsburg die Arbeit niedergelegt. 4
ICAN Deutschland Stationierung der Atomwaffen in Deutschland März 2018 Bereits ab Herbst 1953 begann die Stationierung der ersten Atomwaf- 60 Jahre Nukleare Teilhabe fen der westlichen Alliierten in der BRD: nukleare Marschflugkörper, Xanthe Hall Fliegerbomben, Atomraketen, Atomgranaten und ab 1955 auch Atom- minen. Diese Atomwaffen wurden in „Sondermunitionslagern“ einge- lagert. Erst 1957 wurde die deutsche Öffentlichkeit über die Existenz dieser Waffen informiert. Insgesamt waren sie auf 100, später mehr als 150, Standorte (mit Ausnahme von West-Berlin) verteilt. Zwischen 1958 und 1963 begann auch die Sowjetunion Atomwaffen in der DDR zu stationieren. Die genaue Zahl der Lager ist unbekannt, wird aber auf um die 30 geschätzt. Sie standen ausschließlich unter sowjetischer Kontrolle. Ab 1968 wurden auch NVA-Verbände mit atomaren Träger- systemen ausgerüstet und die westliche „nukleare Teilhabe“ kopiert. Die nukleare Teilhabe der NATO wurde in Deutschland durch die Luftwaffe und das Heer umgesetzt. Die Bundeswehr stellte Personal für den Einsatz von ADM-Minen, Artillerie und Transporte der Atom- waffen zur Verfügung. Später erhielt die Bundeswehr auch atomare Artillerieraketen und -geschütze. Die Luftwaffe erhielt atomwaffenfä- hige Luftabwehrraketen und nukleare Fliegerbomben. Die USA sollten jedoch die Hoheit über die Atomsprengköpfe behalten. Am Anfang (bis Ende) der 1960er Jahre fürchteten die Vereinigten Staaten die Gefahr eines nicht-autorisierten Einsatzes durch deut- sche Soldaten. In einem Video des Sandia-Labors erinnert sich der Historiker Hugh Agnew, wie er einen Wachmann fragte, was dieser 8 Sandia Lab: Always/Never, tun würde, wenn ein deutscher Pilot einfach mit den Atombomben Film, 2010, https://nsarchive2. gwu.edu/nukevault/ebb498/ fortfliegen würde. Agnew riet ihm in diesem Fall auf die Atomwaffen zu schießen.8 Später wurden die Bomben mit einem Sicherheitssys- tem ausgestattet und mussten durch US-amerikanisches Personal mit einem Code entsperrt werden. Die Verfügung über die Massenver- nichtungswaffen sollten aber an die Deutschen weitergegeben werden, wenn diese sie mit Flugzeugen einsetzen müssten. Diese potentielle Verfügungsübergabe wird oft als Verletzung der Bestimmung des Nichtverbreitungsvertrags kritisiert, der jegliche Weitergabe von Atomwaffen explizit untersagt. Gemeinsame nukleare Planung Die nukleare Planungsgruppe (NPG) wurde 1966 eingerichtet, um NATO-Mitgliedern ein Forum zu bieten, Informationen über nukleare Streitkräfte und Planungen auszutauschen. In der NPG werden die Mitgliedsstaaten durch ihre VerteidigungsministerInnen vertreten. Frankreich stellt eine Ausnahme dar. In der Gruppe wird über Sicher- heit und Schutz der Atomwaffen sowie ihre Überlebensfähigkeit; über Kommunikation und Informationssysteme sowie Stationierungsfragen diskutiert. Beraten wird die NPG durch die so genannte „High-Level Group“ (HLG), die aus nationalen PolitikerInnen und ExpertInnen besteht. Den Vorsitz der HLG haben die USA inne. Die NPG und HLG haben absolute Autorität in allen nuklearen Fragen der NATO-Vertei- digung. 5
ICAN Deutschland Die Bundesregierung argumentiert, dass die Beibehaltung der März 2018 US-Atomwaffen in Deutschland ein Mitspracherecht über Atomwaffen in der NATO sicherstelle. Es können jedoch alle NATO-Mitglieder an 60 Jahre Nukleare Teilhabe der NPG teilnehmen, auch wenn das Land beschlossen hat, die Sta- Xanthe Hall tionierung von Atomwaffen auf seinem Territorium zu untersagen. Das zeigen Beispiele wie Norwegen, Spanien, Dänemark, Litauen oder Island. Reduzierung der Atomwaffen in Europa Nach Ende des Kalten Krieges wurde die Zahl der Atomwaffen in Europa sukzessiv verringert. In den 1960er und 1970er Jahren gab es mehr als 7.000 Atomwaffen in Europa, in den 1980er bis zu 6.000. Die erste große Abrüstungsrunde kam nach Abschluss des INF-Vertra- ges 1988 zustande, als alle Mittelstreckenraketen aus West- und Ost- deutschland abgezogen wurden. 1991 wurde die Zahl der US-Atomwaf- fen auf zunächst 1.400 reduziert, die aber schrittweise weiter reduziert wurde. Atomwaffenexperte Hans Kristensen schätzte die Zahl vor 10 9 Cable from NATO to CIA: Jahren noch auf rund 200. Seine Schätzung wurde durch von Wiki- PDUSP Miller consults with al- lies on nuclear posture review, leaks veröffentlichte NATO-Kommunikation bestätigt.9 Die heutige 4.9.2009, https://wikileaks. org/plusd/cables/09USNA- Zahl von Atomwaffen liegt schätzungsweise bei 150, nach einer letzten TO378_a.html Reduzierungsrunde unter Präsident Obama. Über die Jahre hat sich sowohl die Zahl der Lagerorte für Nuklearwaf- fen in Europa als auch die Zahl der Staaten, die aktiv mit Flugzeugen bei der nuklearen Teilhabe mitmachen, immer weiter verringert. In den letzten zwanzig Jahren wurden die Lager Nörvenich, Memmingen und Ramstein in Deutschland, Lakenheath in Großbritannien, Araxos in Griechenland sowie Akinci und Murted in der Türkei geschlossen. Rund 60 Prozent der verfügbaren modernen Lagerstätten für Atom- waffen in Europa wurden dabei stillgelegt. Aus der technischen nukle- aren Teilhabe ausgeschieden ist neben Kanada auch Griechenland. Nukleare Teilhabe heute Aktuell sind vier Länder in Europa an der technischen Teilhabe beteiligt: Belgien (Kleine Brogel), Italien (Ghedi Torre), Niederlande (Volkel) und Deutschland (Büchel). Zudem werden US-Atomwaffen auf dem US-Stützpunkt in Aviano in Italien gelagert. Bis vor dem versuchten Putsch in der Türkei waren auch US-Atomwaffen auf dem US-Stützpunkt in Incirlik stationiert. In der Öffentlichkeit wurde darü- ber diskutiert, ob sie bereits abgezogen wurden. Bisher fehlen dafür aber Beweise. Lagerorte und Anzahl von Atomwaffen in Europa unter- liegen der Geheimhaltung, so dass alle Daten nur Schätzungen sind – auf der Grundlage von Satellitenbildern, deklassifizierten Dokumenten und Gesprächen mit Militärs. Als belastbar gelten die Daten von Hans Kristensen von der Wissenschaftsvereinigung Federation of American Scientists. 6
ICAN Deutschland Flugplatz Land Waffenzahl Träger März 2018 Büchel D 10-20 Tornado PA-200 60 Jahre Nukleare Teilhabe Kleine Brogel B 10-20 F16 Xanthe Hall Volkel NL 10-20 F16 / F35* Ghedi Torre I 10-20 Tornado PA-200 Aviano (US) I 50 F16 / F35* 10 Kristensen, H. NATO Nuclear Weapons Security Incirlik (US) TR 50 F16 / F35* Costs Expected to Double, 11.3.2014, https://fas.org/ blogs/security/2014/03/na- * Alle F35-Flugzeuge sollen ab 2024 atomwaffenfähig werden10 to-nuclear-costs/ Die US-Atomwaffen werden auf europäischen Flugplätzen in geschütz- ten unterirdischen Magazinen, sogenannten „Weapons Storage Vaults“ (Unterflurmagazinen), aufbewahrt. Jedes Magazin kann bis zu vier Waffen aufnehmen. Die Flugzeuge werden in der Nähe stationiert, und die Magazine werden aus dem Boden hochgefahren, so dass die Atom- bomben schnell auf die Flugzeuge montiert werden können. Politische Entscheidung notwendig Schätzungsweise 20 B61-Atombomben befinden sich in Deutschland. Sie sind als Bewaffnung für bis zu 46 Tornados der deutschen Luft- waffe in Büchel vorgesehen. Obwohl sich die schwarz-gelbe Bundes- 11 Antrag der Fraktionen regierung 2009 im Koalitionsvertrag für deren endgültigen Abzug CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einsetzen wollte und der Bundestag 2010 das Ziel fraktionsübergrei- NEN, Deutschland muss deutliche Zeichen für eine fend bekräftigte11, sind wir heute weit von einem Abzug entfernt. Statt- Welt frei von Atomwaffen dessen gibt es Pläne für die Stationierung einer neuen, verbesserten setzen, 24.03.2010, http:// dip21.bundestag.de/dip21/ Version der Atombombe, der B61-12.12 2020 soll die Serienproduktion btd/17/011/1701159.pdf dieser Bombe beginnen. 12 Nassauer, O. und Piper, G. Atomwaffen-Modernisierung in Europa, das Projekt B61-12, Die Bombe soll viel mehr Möglichkeiten zum Einsatz bieten: sie kann BITS & atomwaffenfrei.jetzt. 2012, http://www.atomwaffen- digital gesteuert werden und sie wird nicht mehr abgeworfen, sondern frei.de/fileadmin/user_upload/ ist durch ein neues Heckteil lenkbar. Sie soll damit als „Präzisions- pdf_Dateien/Materialien/ B61_Studie_web.pdf waffe“ einsetzbar sein. Die wählbare Sprengkraft erlaubt eine Atome- xplosion mit niedriger oder hoher Zerstörungskraft. Mit der Statio- nierung der B61-12, die bereits in den nächsten Jahren beginnen soll, wird auch die Frage eines Ersatzes für die Trägerflugzeuge Tornado aufgeworfen, denn die Nutzungsdauer der Tornados wurde bereits verlängert und läuft in den 2020er wieder aus. 13 Koalitionsvertrag zwischen Im neuen Koalitionsvertrag13 wird die Strategie des Aussitzens fort- CDU, CSU und SPD, S. 148, 7.2.2018, https://www.cdu.de/ gesetzt. Deutschland handelt nicht, sondern setzt auf die Großmächte system/tdf/media/dokumen- te/koalitionsvertrag_2018. USA und Russland - in der Hoffnung, dass diese irgendwann Gesprä- pdf?file=1 che über taktische Atomwaffen führen und die Atombomben in Europa in diesem Zug abgerüstet werden. Doch es sieht schon lange nicht mehr so aus, als ob das in naher Zukunft geschehen wird. ICAN fordert daher die Bundesregierung auf sich aktiv an der Abrüs- tung zu beteiligen und die US-Atomwaffen aus Deutschland abziehen zu lassen. Die Regierung wiederholt den Fehler der 80er Jahre, wenn sie die Neustationierung von Atomwaffen in Europa als Drohmit- tel nutzt, um Russland zu Verhandlungen zu zwingen. Beteiligt sich Deutschland damit an einer Art neuem „NATO-Doppelbeschluss“? 7
ICAN Deutschland Gerade angesichts des Bröckelns des INF-Vertrags zu Mittelstrecken- März 2018 raketen ist eine solche Strategie höchst gefährlich. Damit kehren wir zum ungezügelten Wettrüsten des Kalten Kriegs zurück. 60 Jahre Nukleare Teilhabe Xanthe Hall Wie im Jahr 1958 sollte zumindest der Bundestag über eine Neustati- onierung von Atomwaffen und damit auch über deren Konsequenzen entscheiden, inklusive des Kaufs eines teuren neuen Atomwaffenträ- gers. Damit würde auch die Öffentlichkeit informiert und kann ent- sprechend reagieren. Im Koalitionsvertrag steht: „Solange Kernwaffen als Instrument der Abschreckung im strategischen Konzept der NATO 14 Koalitionsvertrag zwischen eine Rolle spielen, hat Deutschland eine Interesse daran, an den CDU, CSU und SPD, S. 148, 7.2.2018, https://www.cdu.de/ strategischen Diskussion und Planungsprozessen teilzuhaben.“14 Auch system/tdf/media/dokumen- te/koalitionsvertrag_2018. ohne US-Atomwaffen hierzulande kann Deutschland an der nuklearen pdf?file=1 Planungsgruppe der NATO teilnehmen. Das ist jedem Mitglied mög- lich. Aber wie sollen wir das selbsterklärte Ziel der Bundesregierung von einer atomwaffenfreien Welt erreichen, wenn niemand damit anfan- gen möchte, sie zu ermöglichen? Wo bleiben die „neuen Initiativen“ für die Abrüstung, auch innerhalb der NATO, die schon im Koalitions- vertrag 2013 und in der NATO seit 2010, versprochen wurden? Die US-Atomwaffen in Deutschland erfüllen keinen militärischen Zweck mehr. Sie sind nur Druckmittel und Zeichen der Bündnistreue. Den- noch haben sie eine unvorstellbare Zerstörungskraft. Jede einzelne Bombe hat die dreizehnfache Größe der Bombe, die über Hiroshima abgeworfen wurden. Und: Die Atombomben machen Deutschland zum potenziellen Ziel eines nuklearen Angriffs. Nach 60 Jahren „nukleare Teilhabe“ ist es an der Zeit, die atomare Abschreckung in Frage zu stellen. Wollen wir mit der wieder stärker werdenden Angst leben, dass Atomwaffen wieder eingesetzt werden könnten? Oder wollen wir uns mit dem neuen UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen weltweit für Abrüstung, und damit für eine nachhal- tige Sicherheit, einsetzen? „Entweder schaffen wir die Atomwaffen ab, oder sie schaffen uns ab“, erklärte ICAN-Direktorin Beatrice Fihn bei der Verleihung des Friedensnobelpreises an ICAN am 10. Dezember 2017. 8
Sie können auch lesen