8 Sozialstruktur und soziale Lagen - Auszug aus dem Datenreport 2021 - Bundesinstitut für ...
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8 Sozialstruktur und soziale Lagen Auszug aus dem Datenreport 2021 Die Inhalte des Datenreports werden unter der Creative Commons Lizenz »CC BY-NC-ND 4.0 – Namensnennung – Nicht-kommerziell – Keine Bearbeitung 4.0« veröffentlicht.
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Sozialstruktur und soziale Lagen Probleme der sozialen Ungleichheit und men« fühlen. Vor diesem Hintergrund 8.1 der Verteilung des gesellschaftlichen wird in diesem Kapitel die ungleiche Ver- Soziale Lagen Wohlstands sind regelmäßig Thema in der öffentlichen Debatte. Während sich die teilung der Lebenschancen zwischen ver- schiedenen Bevölkerungsgruppen in der und soziale wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik gesellschaftlichen Statushierarchie be- Schichtung* insgesamt positiv entwickelt hat, kommt dies nicht allen Menschen gleichermaßen trachtet. Dabei steht die Frage im Mittel- punkt, inwieweit sich die Sozialstruktur * Überarbeitung der Version, die 2013 von Roland Habich erstellt wurde. zugute. Die soziale Ungleichheit nimmt und die damit einhergehenden Lebensbe- zu. Die Zahl der Menschen, die armutsge- dingungen in West- und Ostdeutschland fährdet sind, stieg in den vergangenen 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung Mareike Bünning Jahren tendenziell an (siehe Kapitel 6.2.2, immer noch unterscheiden. u Info 1 Wissenschaftszentrum Berlin Seite 224, und 6.3.2, Seite 232) und die für Sozialforschung (WZB) Schere zwischen Arm und Reich geht weiter 8.1.1 Soziale Lagen in Deutschland auseinander. Im öffentlichen Diskurs wird Im Folgenden wird ein übergreifendes WZB / SOEP vielfach die Sorge geäußert, dass damit Bild der Sozialstruktur der Bundesrepu auch eine emotionale Komponente einher- blik präsentiert, das auf die Konzepte der geht und sich insbesondere in Ostdeutsch- sozialen Lagen und der subjektiven land immer mehr Menschen abgehängt Schichteinstufung zurückgreift. Für die beziehungsweise nicht mehr »mitgenom- Unterscheidung von sozialen Lagen wird u Info 1 Soziale Lagen und soziale Schichten Konzepte wie soziale Lagen und soziale Schichtung beziehen sich auf die vertikale Gliederung der esellschaft und werden zur Analyse von Strukturen sozialer Ungleichheit verwendet. Damit können die G Positionen von Personen in einer Statushierarchie erfasst werden. Demnach ergeben sich aufgrund materieller Lebensbedingungen verschiedene typische Erwerbs- und Lebenschancen, die sich in einer sozialen Lage oder sozialen Schicht verdichten. Unterschiedliche soziale Lagen und soziale Schichten bieten also unterschiedliche und ungleich verteilte Lebensgestaltungschancen. Soziale Schichtung bezeichnet generell eine strukturelle Ungleichheit zwischen sozialen Positionen, die sich zum Beispiel in Einkommens-, Prestige- und Einflussdifferenzen ausdrückt. Das Konzept der sozialen Lagen bezieht neben klassischen Ungleichheitsdimensionen wie dem Erwerbsstatus weitere Indikatoren objektiver und subjektiv wahrgenommener Lebensbedingungen mit in eine multidimen sionale Analyse sozialer Ungleichheit ein. Zunächst werden soziale Lagen nach dem Erwerbsstatus b eziehungsweise Status der Nichterwerbstätigkeit unterschieden. Anschließend werden die sozialen Lagen in Bezug auf objektive Merkmale wie dem Einkommen und subjektive Merkmale wie der Lebens- zufriedenheit verglichen. 271
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung u Abb 1 Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 2018 — in Prozent Frauen Männer 2 leitende Angestellte, 3 2 höhere Beamtenschaft 3 hoch qualifizierte 14 18 Angestellte, gehobene 11 10 Beamtenschaft 19 qualifizierte Angestellte, 11 18 mittlere Beamtenschaft 9 5 einfache Angestellte, 2 6 Beamtenschaft 2 0 Meister/-innen, 3 0 Vorarbeiter/-innen 4 1 7 Facharbeiter/-innen 5 15 3 un-, angelernte 4 2 Arbeiter/-innen 3 4 Selbstständige, 8 2 freie Berufe 6 2 2 Arbeitslose 3 3 6 Hausfrauen / 0 1 -männer 0 7 7 Studium, Lehre 4 5 1 1 Vorruhestand 2 2 6 3 nicht erwerbstätig 5 2 bis 60 Jahre 5 noch ab 61 Jahren 5 5 erwerbstätig 5 0 noch nie 0 0 erwerbstätig 0 Rentner/-innen 5 6 (ehemalige 9 Arbeiter/-innen) 14 Rentner/-innen 18 15 (ehemalige Angestellte, 24 Beamte) 15 Rentner/-innen 3 4 (ehemalige 2 Selbstständige) 2 Frauen West Männer West Frauen Ost Männer Ost Datenbasis: ALLBUS 2018 272
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 8.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 u Tab 1 Soziale Lagen in Ost- und Westdeutschland 1990 / 1991 und 2018 — in Prozent West Ost West Ost Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Frauen 1990 1991 2018 bis 60 Jahre Leitende Angestellte , höhere Beamtenschaft 3 1 2 1 3 2 3 2 Hoch qualifizierte Angestellte , 16 7 13 14 18 14 10 11 gehobene Beamtenschaft Qualifizierte Angestellte , mittlere Beamtenschaft 11 14 5 22 11 19 9 18 Einfache Angestellte , Beamtenschaft 3 8 4 9 2 5 2 6 Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 4 0 10 2 3 0 4 0 Facharbeiter /-innen 15 1 28 10 7 1 15 5 Un-, angelernte Arbeiter /-innen 4 2 3 2 4 3 3 2 Selbstständige, freie Berufe 8 4 7 5 8 4 6 2 Arbeitslose 2 2 7 10 2 2 3 3 Hausfrauen / -männer 0 25 0 3 0 6 0 1 Studium, Lehre 11 5 3 1 7 7 5 4 Vorruhestand 2 2 4 7 1 1 2 2 Nicht erwerbstätig 1 5 0 0 3 6 2 5 ab 61 Jahren Noch erwerbstätig 3 1 3 1 5 5 5 5 Noch nie erwerbstätig 0 6 0 1 0 0 0 0 Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 3 5 2 4 6 5 14 9 Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 10 11 8 10 15 18 15 24 Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 4 2 2 2 4 3 2 2 Datenbasis: ALLBUS 1980–2012 kumuliert; ALLBUS 2018 die erwachsene Bevölkerung nach Alter stattfanden, brachten weitreichende Kon- land weiter verbreitet als in Ostdeutsch- (bis 60 Jahre, ab 61 Jahren) sowie nach sequenzen für die Sozialstruktur mit sich. land. Angesichts des demografischen ihrer Stellung zum und im Erwerbsleben Während sich die DDR als vollbeschäftigte Wandels nahm der Anteil an Rentnerin- aufgegliedert. Daraus ergeben sich insge- Arbeitsgesellschaft charakterisieren ließ, nen und Rentnern im Vergleich zu 1990 samt 18 soziale Lagen von Erwerbstätigen folgten für einen erheblichen Teil der deutlich zu. und Nichterwerbstätigen, die zunächst ehemals Erwerbstätigen im Verlauf der In beiden Landesteilen dominieren für Männer und Frauen getrennt dar gesellschaftlichen Transformation nach unter den Erwerbstätigen die Angestellten gestellt werden. Im Blickpunkt dieses der deutschen Vereinigung ungewollte sowie Beamtinnen und Beamten. Wäh- K apitels steht die Sozialstruktur im Jahr Lebensphasen in Arbeitslosigkeit, Vor rend die alte Bundesrepublik bereits über 2018 in West- und Ostdeutschland. ruhestand und Hausfrauenrolle. Im Zeit- einen längeren Zeitraum als eine »Ange- Durch den Vergleich mit dem Jahr 1990 verlauf näherten sich die Beschäftigungs- stelltengesellschaft« bezeichnet wurde, können zudem die Richtung des sozialen strukturen in Ostdeutschland denen in löste sich die ausgeprägte »Facharbeiter Wandels insgesamt sowie insbesondere Westdeutschland an. gesellschaft« der damaligen DDR weit die sozialstrukturellen Veränderungen in Die Sozialstruktur Westdeutschlands gehend auf, wenngleich bei den Männern Ostdeutschland in der Zeit seit der deut- veränderte sich im Vergleich dazu seit Facharbeiterpositionen immer noch stär- schen Vereinigung betrachtet werden. 1990 nur leicht. Die größte Ausnahme ker und Angestelltenpositionen weniger Dabei richtet sich das Interesse vor allem stellt die gestiegene Beteiligung von verbreitet sind als in Westdeutschland. darauf, inwieweit soziale Lagen einerseits Frauen am Erwerbsleben dar: Der Anteil Je nach sozialer Lage bieten sich unter- mit objektiven Lebensbedingungen ein- der Hausfrauen ging seit 1990 um drei schiedliche Chancen zur Lebensgestal- hergehen und andererseits mit subjekti- Viertel zurück. Parallel dazu stieg der tung. Die Ungleichheit in den objektiven ven Wahrnehmungen und Bewertungen Anteil von Frauen in qualifizierten und Lebensbedingungen, die sich aus der Zu- verbunden sind. u Abb 1, Tab 1 hoch qualifizierten Angestelltenpositio- gehörigkeit zu den hier unterschiedenen Die massiven Umwälzungen, die nach nen deutlich an. Die Hausfrauenrolle ist sozialen Lagen ergibt, äußert sich unter 1990 auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt aber auch heute noch in Westdeutsch- anderem in Einkommensunterschieden, 273
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung u Tab 2 Indikatoren der objektiven Lebensbedingungen in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2018 — in Prozent Eigene wirtschaft- Quintile des Haushaltseinkommens pro Kopf ¹ Wohneigentum ² liche Lage West Ost ist sehr gut / gut West Ost unterstes mittleres oberstes unterstes mittleres obestes West Ost bis 60 Jahre Leitende Angestellte, höhere Beamtenschaft 0 12 56 0 24 19 57 69 88 81 Hoch qualifizierte Angestellte, 3 13 42 3 18 35 59 61 86 89 gehobene Beamtenschaft Qualifizierte Angestellte, mittlere Beamtenschaft 8 25 20 14 29 11 59 61 77 79 Einfache Angestellte, Beamtenschaft 27 18 10 33 33 5 44 44 58 53 Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 8 21 15 0 41 9 65 75 85 83 Facharbeiter /-innen 6 30 9 19 34 2 60 53 58 62 Un-, angelernte Arbeiter /-innen 31 24 1 32 27 5 35 42 50 46 Selbstständige, freie Berufe 10 12 39 18 15 44 65 66 65 84 Arbeitslose 77 15 0 90 3 0 27 19 18 9 Hausfrauen / -männer 24 18 6 / / / 52 / 59,7 / Studium, Lehre 49 15 4 47 23 0 42 33 60 65 Vorruhestand 18 23 18 43 29 5 70 52 43 19 Nicht erwerbstätig 61 12 2 60 9 0 41 32 48 53 ab 61 Jahren Noch erwerbstätig 12 17 40 13 19 25 76 76 75 66 Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 36 16 1 43 12 0 60 52 72 54 Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 14 22 23 16 31 5 73 53 83 80 Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 30 11 11 44 28 0 81 64 70 64 1 Bedarfsgewichtetes Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf. Zu Quintilen siehe Kapitel 6.2, Seite 223, Info 4. 2 Anteil der Personen, die angaben, dass sie im eigenen Haus / in der eigenen Wohnung (auch Familienbesitz) wohnen. / Fallzahl zu gering. Datenbasis: ALLBUS 2018 im allgemeinen Lebensstandard – zum in Ost- und Westdeutschland, zeigt sich, Die ungleichen materiellen Verhältnis- Beispiel gemessen am Wohneigentum – dass Ostdeutsche in nahezu allen sozia- se, die mit diesen sozialen Lagen verbun- sowie in der Bewertung der eigenen wirt- len Lagen gegenüber Westdeutschen den sind, spiegeln sich auch in der subjek- schaftlichen Lage. Dabei zeigt sich, dass deutlich schlechter gestellt waren. Ledig- tiven Beurteilung der eigenen wirtschaftli- mit einer höheren Position in der hierar- lich bei un- und angelernten Arbeiterin- chen Situation wider. Während Personen chischen Gesellschaftsstruktur erwar- nen und Arbeitern, Selbstständigen und in privilegierten sozialen Lagen ihre wirt- tungsgemäß auch eine vorteilhaftere Nichterwerbstätigen gab es nur geringe schaftliche Situation vorwiegend als »sehr materielle Situation verbunden ist. Hoch Unterschiede zwischen den beiden Landes- gut« oder »gut« bewerteten, fiel die Bewer- qualifizierte oder leitende Angestellte teilen. u Tab 2 tung bei Personen in schlechteren sozialen und Beamte sowie Selbstständige befan- Wohneigentum verdeutlicht als re Lagen erwartungsgemäß weniger günstig den sich überdurchschnittlich oft im obe- levanter Indikator für den allgemeinen aus. Erneut besteht zwischen Arbeitslosen ren Segment der Einkommensverteilung, Lebensstandard, dass mit den differen- und allen anderen sozialen Lagen eine während die Zugehörigkeit zu Arbeiter- zierten sozialen Lagen auch Unterschiede deutliche Kluft. In Ostdeutschland be- positionen eher mit einem mittleren oder in den Möglichkeiten der Ressourcen werteten darüber hinaus auch Personen niedrigen Einkommen verbunden war. verwendung einhergehen: In Ost- und im Vorruhestand ihre wirtschaftliche Am schlechtesten war es um die Einkom- Westdeutschland fanden sich unterdurch- Lage nur selten als »sehr gut« oder »gut«. menssituation von Arbeitslosen bestellt; schnittliche Eigentümerquoten bei wenig Die subjektive Beurteilung des eigenen diese fanden sich insbesondere in Ost- qualifizierten Arbeiterinnen und Arbei- Anteils am allgemeinen Lebensstandard deutschland nahezu ausschließlich im tern, Angestellten und Beamten, bei Stu- als »gerecht« (beziehungsweise »unge- untersten Einkommensquintil wieder. dierenden, Nichterwerbstätigen und vor recht«) variiert ebenfalls nach sozialer Vergleicht man die finanzielle Situation allem bei Arbeitslosen. Lage. Es zeigt sich, dass vor allem Arbeits- 274
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 8.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 u Tab 3 Indikatoren der subjektiven Wohlfahrt in Ost- und Westdeutschland nach sozialen Lagen 2018 Einstufung Allgemeine Bei dieser Gerechter Anteil auf der Oben- Lebens- Zukunft keine am Lebensstandard ¹ Unten-Skala ² zufriedenheit ³ Kinder mehr ⁴ West Ost West Ost West Ost West Ost in % Durchschnittswert Durchschnittswert in % bis 60 Jahre Leitende Angestellte, höhere Beamtenschaft 84 76 7,4 6,8 8,4 8,1 12,3 28,0 Hoch qualifizierte Angestellte, 80 72 7,1 7,1 8,2 8,4 18,8 24,8 gehobene Beamtenschaft Qualifizierte Angestellte, mittlere Beamtenschaft 70 53 6,5 6,5 7,9 7,8 29,1 32,4 Einfache Angestellte, Beamtenschaft 47 30 5,9 5,8 7,5 7,1 49,4 48,9 Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 59 58 6,3 6,9 7,6 7,9 43,9 47,8 Facharbeiter /-innen 55 19 5,8 5,8 7,6 7,3 45,7 58,3 Un-, angelernte Arbeiter /-innen 42 31 5,7 5,4 7,6 6,5 51,3 52,0 Selbstständige, freie Berufe 75 70 6,8 6,9 7,7 8,3 19,1 27,3 Arbeitslose 44 16 4,6 4,5 6,2 5,1 62,2 70,0 Hausfrauen / -männer 56 / 6,1 / 7,9 / 37,7 / Studium, Lehre 76 75 6,5 6,5 8,0 7,9 26,1 20,0 Vorruhestand 54 33 5,5 4,4 5,9 5,6 44,4 42,9 Noch nie / nicht erwerbstätig 54 41 5,5 5,3 7,0 7,2 40,9 41,7 ab 61 Jahren Noch erwerbstätig 70 32 6,8 6,3 7,9 7,6 17,2 39,2 Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 61 30 5,7 5,8 7,9 7,2 51,2 56,5 Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 73 58 6,6 6,2 8,2 7,9 21,3 37,9 Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 74 36 6,6 5,6 8,4 7,1 16,7 47,6 1 Anteil »gerecht /mehr als gerecht«. 2 Mittelwerte auf der Oben-Unten-Skala von 1 bis 10. 3 Mittelwerte auf Zufriedenheitsskala von 0 bis 10. 4 Zustimmung zur Aussage »So wie die Zukunft aussieht, kann man es kaum noch verantworten, Kinder auf die Welt zu bringen.« / Fallzahl zu gering. Datenbasis: ALLBUS 2018 lose, aber auch Personen in einfachen Ar- schaft, wie an der Selbsteinstufung auf drei Skalenpunkte. In den meisten sozia- beiter- oder Angestelltenpositionen sowie der »Unten-oben-Skala« (1 bis 10) abzu len Lagen stuften sich Ostdeutsche und Facharbeiterinnen und Facharbeiter in lesen ist. Am höchsten ordneten sich er- Westdeutsche ähnlich ein. Insbesondere Ostdeutschland seltener als andere einen wartungsgemäß leitende und höhere Personen im Vorruhestand und ehema gerechten Anteil am gesellschaftlichen A ngestellte und Beamte, Selbstständige lige Selbstständige, aber auch leitende Wohlstand zu erhalten glaubten. Nur 44 % sowie Meisterinnen und Meister ein, aber Angestellte und noch erwerbstätige ältere der Arbeitslosen in Westdeutschland und auch diejenigen, die in ihrem zurück Menschen stuften sich im Westen deut- 16 % in Ostdeutschland betrachteten ihren liegenden Erwerbsleben eine solche Posi- lich höher ein als im Osten. Meisterinnen Anteil am Lebensstandard als gerecht. In tion ausgeübt hatten (Rentnerinnen und und Meister sowie Vorarbeiterinnen und Ostdeutschland betrachteten auch ältere Rentner) oder den Aufstieg in eine ent- Vorarbeiter hingegen stuften sich in Ost- Menschen mit Ausnahme der ehemaligen sprechende Position für die Zukunft er- deutschland höher ein. Angestellten und Beamten ihren Anteil warteten (noch in Ausbildung). Am unte- Die allgemeine Lebenszufriedenheit am Lebensstandard vergleichsweise selten ren Ende ordneten sich dagegen einfache ist das bilanzierende Maß der Bewertung als gerecht. Grundsätzlich sahen Ost- Angestellte, (ehemalige) un- und ange- aller Lebensumstände. Hier wird noch deutsche über fast alle Lagen hinweg ihren lernte Arbeiterinnen und Arbeiter sowie deutlicher als bei der wahrgenommenen Lebensstandard im Vergleich zu West- Arbeitslose, Nichterwerbstätige und Per- sozialen Position in der gesellschaftlichen deutschen seltener als gerecht an. u Tab 3 sonen im Vorruhestand, aber auch Fach- Hierarchie, dass mit den verschiedenen Die einzelnen sozialen Lagen reprä- arbeiterinnen und Facharbeiter ein. Die sozialen Lagen auch ein unterschiedlich sentieren auch unterschiedliche soziale Differenz zwischen den sozialen Lagen hohes Niveau an Lebensqualität verbun- Positionen in der subjektiv wahrgenom- mit der höchsten und niedrigsten Einstu- den ist. Auch hier betrug die Differenz menen vertikalen Gliederung der Gesell- fung betrug in beiden Landesteilen fast zwischen den sozialen Lagen mit der 275
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.1 / Soziale Lagen und soziale Schichtung höchsten und niedrigsten Einstufung 2,5 fache Angestellte, (ehemalige) Arbeite- Lagen hinweg weiter verbreitet als in West- Skalenpunkte in Westdeutschland und rinnen und Arbeiter, Facharbeiterinnen deutschland. Nur Studierende und Aus- sogar mehr als 3 Skalenpunkte in Ost- und Facharbeiter sowie Meisterinnen zubildende im Osten schätzten die Zu- deutschland. Tendenziell ist die Lebens- und Meister blickten pessimistisch in die kunft optimistischer ein als im Westen. zufriedenheit in Ostdeutschland etwas Zukunft. Sie waren zu großen Teilen der geringer als in Westdeutschland. Selbst- Ansicht, so wie die Zukunft aussehe, könne 8.1.2 Subjektive ständige hingegen gaben in Ostdeutsch- man es kaum noch verantworten, Kinder Schichtzugehörigkeit land deutlich höhere Zufriedenheitswerte auf die Welt zu bringen. Personen in Eine relevante Ergänzung des im Wesent- an als in Westdeutschland. leitenden und hoch qualifizierten Ange- lichen auf objektiven Informationen zur Auch bezüglich der Erwartungen an stelltenpositionen sowie Selbstständige Stellung zum und im Erwerbsleben beru- zukünftige Entwicklungen zeigen sich teilten diese Ansicht hingegen eher selten. henden Bildes der sozialen Lagen liefern deutliche Unterschiede nach sozialer Zudem war Zukunftspessimismus in Ost- Informationen über die subjektive Position. Insbesondere Arbeitslose, ein- deutschland über nahezu alle sozialen Schichteinstufung. Angaben darüber, wie sich Personen in eine vorgegebene Rang- ordnung sozialer Schichten einstufen, bieten vor allem Aufschlüsse darüber, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen u Abb 2 Subjektive Schichtzugehörigkeit 1990 / 1991 und 2018 — in Prozent innerhalb der Gesellschaft ihren eigenen Status und ihre Chancen auf gesellschaft- liche Teilhabe im Vergleich zu anderen Westdeutschland Ostdeutschland wahrnehmen und bewerten und welchem 11 obere Mittel-, 2 sozialen Milieu sie sich zuordnen. 14 Oberschicht 5 In Westdeutschland ordnete sich im Jahr 2018 knapp ein Viertel der erwachse- 60 37 Mittelschicht nen B evölkerung der Unter- oder Arbeiter- 61 56 schicht zu, knapp zwei Drittel der Mittel- 27 Arbeiterschicht 57 schicht und ein Siebtel der oberen Mittel- 23 36 oder Oberschicht. Im Vergleich zu 1990 2 3 stuften sich etwas mehr Personen in die Unterschicht 2 3 obere Mittel- und Oberschicht ein, etwas weniger Personen in die Arbeiterschicht. 1990 1991 Die Veränderungen in Ostdeutschland 2018 2018 sind deutlich stärker. 1991 ordnete sich noch über die Hälfte der Bevölkerung der Datenbasis: ALLBUS 1980 − 2012 kumuliert, ALLBUS 2018 Arbeiterschicht zu, nur ein gutes Drittel fühlte sich der Mittelschicht zugehörig. Inzwischen hat sich dieses Verhältnis um- u Tab 4 Subjektive Schichtzugehörigkeit in Deutschland 1980 – 2018 — in Prozent gekehrt. Mit 5 % identifizierten sich 2018 obere Mittel-/ zudem etwas mehr Ostdeutsche mit der Unterschicht Arbeiterschicht Mittelschicht Oberschicht oberen Mittel- und Oberschicht als noch Westdeutschland 1991. Der Unterschicht im engeren Sinne 1980 1 30 59 10 ordnete sich in West- wie Ostdeutschland 1991 1 24 62 13 2018 mit 2 beziehungsweise 3 % nur ein 2000 1 30 59 10 sehr kleiner Teil der Bevölkerung zu. u Abb 2 2010 3 23 62 13 Die Unterschiede in der Struktur der 2018 2 23 61 14 sozialen Schichtung, die sich auf Basis der Ostdeutschland subjektiven Einstufung der Befragten im 1991 3 57 37 2 Vergleich von West- und Ostdeutschland 2000 2 49 45 3 ergeben, sind damit auch heute noch be- 2010 4 38 51 6 merkenswert, obwohl sie sich deutlich ver- 2018 3 36 56 5 ringert haben. Die in den früheren Jahren Datenbasis: ALLBUS 1980–2012 kumuliert; ALLBUS 2018 in Ostdeutschland zu beobachtende pyra- 276
Soziale Lagen und soziale Schichtung / 8.1 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 midenförmige Schichtstruktur einer Arbei- Die subjektive Schichtzugehörigkeit stuften sich insbesondere leitende und tergesellschaft näherte sich allmählich wird nicht nur von objektiven Faktoren höhere Angestellte und Beamte sowie der zwiebelförmigen – für Mittelschicht- bestimmt, sondern hängt darüber hinaus Selbstständige ein. u Tab 5 gesellschaften charakteristischen – Ver- von dem jeweils zugrunde liegenden Be- Ostdeutsche identifizierten sich im teilung in Westdeutschland an. Diese zugsrahmen und den verwendeten Ver- Vergleich zu Westdeutschen auch im Jahr Entwicklung deutet für Ostdeutschland gleichs- und Bewertungsmaßstäben ab. 2018 noch über nahezu alle sozialen Lagen somit auf einen signifikanten Wandel in Dennoch bestimmt der faktische sozio- hinweg zu größeren Anteilen mit der der Wahrnehmung der eigenen Position in ökonomische Status beziehungsweise die A rbeiterschicht und zu geringeren Teilen der hierarchischen Struktur der Gesell- soziale Lage maßgeblich die subjektive mit der Mittel- oder gar der Oberschicht. schaft hin. u Tab 4 Schichteinstufung. Personen, die eine Dieser Befund deutet darauf hin, dass Betrachtet man die Entwicklung in A rbeiterposition einnehmen oder früher sich die weiterhin bestehenden auffälli- Westdeutschland seit 1980, zeigt sich eingenommen haben (Rentnerinnen und gen Ost-West-Differenzen in der subjek- h ingegen, dass die subjektive Schicht Rentner), identifizierten sich – insbeson- tiven Schichteinstufung nur partiell einstufung hier über die vergangenen dere in Ostdeutschland – auch subjektiv durch Unterschiede in der Verteilung auf 36 Jahre weitgehend unverändert blieb tendenziell mit der Arbeiterschicht. die verschiedenen Statuslagen erklären und außer zyklischen Schwankungen kein Personen mit einem Angestellten- oder lassen. Es ist vielmehr davon auszugehen, Trend zu beobachten ist. Aktuelle Thesen Beamtenstatus sowie Selbstständige ord- dass sich die ostdeutsche Bevölkerung über das Entstehen einer »neuen Unter- neten sich dagegen mit überwiegender innerhalb des gesamtgesellschaftlichen schicht« und ein erhebliches Schrumpfen Mehrheit der Mittelschicht zu. Eine Aus- Schichtungsgefüges deshalb tendenziell der Mittelschicht finden somit zumindest nahme bilden lediglich die einfachen niedriger einstuft, weil sie sich nach wie auf Grundlage der subjektiven Schicht A ngestellten, die sich in Ostdeutschland vor mit der westdeutschen vergleicht identifikation weder für Ost- noch für eher der Arbeiterschicht zugehörig fühl- und aus dieser Perspektive Statusdefizite Westdeutschland empirische Bestätigung. ten. In die obere Mittel- und Oberschicht wahrnimmt. u Tab 5 Subjektive Schichtzugehörigkeit nach sozialen Lagen 2018 — in Prozent Westdeutschland Ostdeutschland Unter- / Unter- / obere Mittel- / obere Mittel- / Arbeiter- Mittelschicht Arbeiter- Mittelschicht Oberschicht Oberschicht schicht schicht bis 60 Jahre Leitende Angestellte, höhere Beamtenschaft 7 60 33 8 77 15 Hoch qualifizierte Angestellte, 9 60 30 10 75 15 gehobene Beamtenschaft Qualifizierte Angestellte, mittlere Beamtenschaft 20 72 8 26 66 8 Einfache Angestellte, Beamtenschaft 47 51 1 64 36 0 Meister /-innen, Vorarbeiter /-innen 44 51 5 42 58 0 Facharbeiter /-innen 54 45 1 69 31 0 Un-, angelernte Arbeiter /-innen 76 24 0 77 23 0 Selbstständige, freie Berufe 15 59 27 19 67 14 Arbeitslose 59 41 0 66 34 0 Hausfrauen / -männer 33 62 5 / / / Studium, Lehre 22 58 20 21 69 10 Vorruhestand 33 59 7 52 43 5 Noch nie / nicht erwerbstätig 49 49 2 62 32 6 ab 61 Jahren Noch erwerbstätig 20 59 21 40 54 6 Rentner /-innen (ehemalige Arbeiter /-innen) 58 42 0 74 26 0 Rentner /-innen (ehemalige Angestellte, Beamte) 12 75 14 21 77 2 Rentner /-innen (ehemalige Selbstständige) 11 70 19 30 70 0 / Fallzahl zu gering. Datenbasis: ALLBUS 2018 277
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.2 / Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa 8.2 Die Entwicklung der Einkommensunter schiede in Deutschland ist regelmäßig gleich zu verteilen. Stark ausgeprägte Einkommensungleichheiten laufen die Einkommens Gegenstand öffentlicher Debatten: Die ei sem Prinzip zuwider. Das Bedarfsprinzip gerechtigkeit nen brandmarken jegliche noch so kleine Zunahme an Einkommensungleichheit setzt auf eine Verteilung, die individuell unterschiedliche Bedarfe anerkennt. Das in Deutschland und sehen darin einen weiteren Beweis Leistungsprinzip hingegen fordert, dass und Europa für die Ungerechtigkeit der Gesellschaft. Andere verweisen darauf, dass das Un d iejenigen in einer Gesellschaft mehr erhalten sollten, die höhere Leistungen gleichheitsniveau in Deutschland gegen erbringen. Ungleichheiten, die auf Leis Jule Adriaans, Stefan Liebig über anderen Ländern eher moderat sei tungsunterschiede zurückzuführen sind, Deutsches Institut für Wirtschafts und angesichts dessen kein Grund zur können demnach durchaus als gerecht forschung (DIW Berlin) Besorgnis bestehe. Es finden sich aber bewertet werden. Gemäß des Anrechts auch Stimmen, die Einkommensungleich prinzips sollten Güter und Lasten auf Ba heiten als notwendigen Bestandteil einer sis von Statusmerkmalen wie Familienan WZB / SOEP (sozialen) Marktwirtschaft sehen, weil sehen, Herkunft oder in der Vergangen Unterschiede in den individuellen Talen heit Erreichtem verteilt werden. ten, den getätigten Investitionen in die ei In der 2018 / 2019 durchgeführten gene Ausbildung oder auch der Leistungs 9. Welle des European Social Survey (ESS) bereitschaft honoriert werden müssten. wurden Personen aus 27 europäischen Antworten auf die Frage, ob Einkommens Ländern auch zu ihren Gerechtigkeitsein ungleichheiten groß oder klein, gut oder stellungen befragt. Auf einer Skala von schlecht, gerecht oder ungerecht sind, 1 »stimme stark zu«, 2 »stimme etwas zu«, hängen dabei immer auch von der 3 »weder noch«, 4 »lehne etwas ab« und normativen Perspektive ab, aus der diese 5 »lehne ganz ab« konnten die Befragten beleuchtet werden. Die empirische Ge ihre Ablehnung oder Zustimmung zu den rechtigkeitsforschung zeigt: Menschen vier Verteilungsprinzipien angeben. In unterscheiden sich in ihrer Präferenz für Abbildung 1 ist dargestellt, wie hoch der bestimmte Verteilungen und Verteilungs Anteil derjenigen ist, die den jeweiligen regeln und damit letztendlich auch in Prinzipien entweder etwas oder stark zu ihrer Bewertung der Einkommensver stimmten. Für das Gleichheitsprinzip gab teilung. Diese subjektiven normativen es im europäischen Durchschnitt mit Präferenzen und Gerechtigkeitsbewer rund 54 % Zustimmung eine knappe tungen stehen im Fokus dieses Beitrags. Mehrheit, allerdings unterschieden sich die Länder hier deutlich. Während in 8.2.1 Unterschiedliche Bewer Norwegen nur rund ein Viertel (23 %) der tungsmaßstäbe für eine gerechte Befragten die Verteilung von Gütern und Einkommensverteilung Lasten nach dem Prinzip der Gleichheit Ob Ungleichheiten als gerecht oder unge unterstützte, waren es in Portugal mehr recht bewertet werden, hängt davon ab, als drei Viertel (78 %). In Deutschland ob die Verteilungsergebnisse den norma unterstützten rund 42 % der Befragten tiven Vorstellungen, nach welchen Prin das Gleichheitsprinzip und lagen damit zipien Güter und Lasten in einer Gesell deutlich unter dem europäischen Durch schaft verteilt werden sollten, zuwider schnitt. u Abb 1 laufen oder damit übereinstimmen. Auch Beim Bedarfsprinzip hingegen gehört wenn individuelle Vorstellungen von Deutschland mit 83 % zu den Ländern, in G erechtigkeit durchaus heterogen sind, denen sich die im europäischen Vergleich können vier grundlegende Verteilungs stärkste Zustimmung zur Verteilung der prinzipien unterschieden werden: Gleich Güter nach individuellem Bedarf fand. heit, Bedarf, Leistung und Anrecht. Insgesamt zeigt sich für das Bedarfs Das Gleichheitsprinzip verlangt, prinzip auch im europäischen Durch Güter und Lasten in einer Gesellschaft schnitt eine breite Zustimmung (76 %). 278
Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa / 8.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 u Abb 1 Zustimmung zu verschiedenen Verteilungsprinzipien im europäischen Vergleich 2018 / 2019 — in Prozent Gleichheitsprinzip Bedarfsprinzip Durchschnitt Durchschnitt Norwegen 22,8 54,3 Tschechien 46,6 76,4 Estland 23,5 Ungarn 52,7 Schweden 27,9 Slowakei 53,2 Litauen 29,3 Polen 58,7 Niederlande 29,4 Litauen 59,7 Finnland 37,3 Bulgarien 59,8 Tschechien 37,4 Großbritannien 72,4 Deutschland 42,2 Montenegro 72,5 Lettland 45,2 Estland 72,8 Großbritannien 45,3 Niederlande 74,0 Ungarn 46,4 Lettland 74,3 Polen 47,7 Finnland 75,1 Schweiz 47,7 Belgien 75,4 Bulgarien 50,7 Serbien 75,6 Montenegro 53,5 Kroatien 78,4 Österreich 55,2 Irland 78,5 Slowakei 56,6 Italien 79,4 Serbien 58,3 Frankreich 81,5 Irland 59,2 Österreich 81,8 Belgien 59,5 Schweiz 82,1 Spanien 63,0 Zypern 82,4 Zypern 64,3 Norwegen 82,6 Frankreich 69,9 Schweden 82,8 Kroatien 70,8 Deutschland 83,1 Slowenien 72,3 Portugal 84,1 Italien 76,0 Spanien 84,6 Portugal 77,9 Slowenien 86,6 »Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Einkommen und Vermögen »Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn sie sich um Arme und Bedürftige gleichmäßig auf alle Menschen verteilt sind.« kümmert, unabhängig davon, was diese der Gesellschaft zurückgeben.« Dargestellt ist der Anteil der Befragten, die dieser Aussage etwas oder stark zustimmten. Datenbasis: ESS Round 9, gewichtet 83 Prozent betrug 2018/2019 der Anteil der Befragten in Deutschland, die einer Verteilung der Güter nach indi viduellem Bedarf als Grundlage einer gerechten Gesell- schaft zustimmen. Somit lag Deutschland mit fast 7 Prozentpunkten deutlich über dem europäischen Durchschnitt. 279
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.2 / Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa u Abb 1 (Fortsetzung) Zustimmung zu verschiedenen Verteilungsprinzipien im europäischen Vergleich 2018 / 2019 — in Prozent Leistungsprinzip Anrechtsprinzip Durchschnitt Durchschnitt Tschechien 69,7 80,5 Finnland 4,6 12,5 Slowakei 72,8 Litauen 5,7 Ungarn 73,2 Schweden 6,2 Montenegro 73,8 Niederlande 6,3 Litauen 74,8 Frankreich 7,3 Finnland 75,3 Italien 7,9 Spanien 76,1 Slowenien 9,8 Großbritannien 76,3 Zypern 10,4 Portugal 77,4 Schweiz 10,5 Schweiz 78,4 Spanien 11,3 Niederlande 78,4 Kroatien 12,4 Irland 78,5 Deutschland 12,9 Schweden 79,3 Ungarn 13,4 Polen 80,1 Bulgarien 13,9 Bulgarien 80,3 Portugal 14,6 Kroatien 81,0 Norwegen 14,8 Norwegen 81,4 Großbritannien 16,3 Italien 81,8 Belgien 16,4 Belgien 82,2 Polen 16,5 Serbien 82,8 Estland 18,6 Frankreich 82,8 Österreich 19,1 Zypern 83,6 Montenegro 19,3 Lettland 84,5 Tschechien 21,1 Deutschland 86,2 Serbien 21,4 Slowenien 87,2 Lettland 22,0 Estland 88,4 Irland 28,0 Österreich 90,3 Slowakei 30,3 »Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn hart arbeitende Menschen »Eine Gesellschaft ist gerecht, wenn Menschen aus Familien mit mehr verdienen als andere.« hoher gesellschaftlicher Stellung Privilegien in ihrem Leben genießen.« Dargestellt ist der Anteil der Befragten, die dieser Aussage etwas oder stark zustimmten. Datenbasis: ESS Round 9, gewichtet Lediglich in Tschechien fand sich mit gerechten Gesellschaft in ganz Europa genoss, fand eine Verteilung nach dem 47 % keine mehrheitliche Zustimmung. eine breite Zustimmung. Deutschland nrechtsprinzip – also auf Basis zuge A Das Leistungsprinzip ist ein zentraler liegt mit einer Zustimmungsrate von schriebener oder erworbener Status normativer Pfeiler moderner Gesellschaf 86 % deutlich über dem europäischen merkmale – kaum Unterstützung in Euro ten. Wer mehr leistet, sollte auch mehr Durschnitt von 81 %. pa. Im europäischen Durchschnitt stimm bekommen. Wenig überraschend fand Während Leistung als gerechtes Ver te lediglich jede / jeder Achte (13 %) dem das Leistungsprinzip als Grundlage einer teilungskriterium hohe Anerkennung Anrechtsprinzip zu. Deutschland liegt 280
Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa / 8.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 u Info 1 u Abb 2 Anteil der Erwerbstätigen in Datengrundlage Deutschland, die ihr Brutto- und Der European Social Survey (ESS) ist eine länderübergreifende Befragung, die seit 2002 Nettoeinkommen als gerecht ansehen alle zwei Jahre in vielen europäischen Ländern durchgeführt wird. In der 2018 / 2019 durch 2017 und 2019 — in Prozent geführten 9. Welle des ESS, wurden Personen aus 27 europäischen Ländern zu ihren Gerechtigkeitseinstellungen b efragt. Im Fokus stand unter anderem die Gerechtigkeitsbewertung von Einkommen. Die Bewertung erfolgte dabei jeweils über eine 9-stufige Skala, die zwischen ungerechterweise zu niedrigen, g erechten und ungerechterweise zu hohen Einkommen u nterscheidet. Die Skala verläuft von – 4 bis + 4, wobei negative Werte ungerechte Unter 48,8 50,0 bezahlung und positive ung erechte Überbezahlung anzeigen. Der Skalenmittelpunkt 0 gibt an, 43,8 43,4 dass ein Einkommen als gerecht bewertet wird. In Deutschland wurden dafür 2 358 Personen befragt; in ganz Europa waren es insgesamt rund 47 000 Menschen, die an der Befragung teilgenommen haben. Die 9. Welle des ESS stellt damit r epräsentative Befragungsdaten zur Verfügung, die einen einmaligen, vergleichenden Einblick in die Wahrnehmung von Gerechtig- keit in Europa erlauben. Als zweite Datenquelle dient das Sozio-oekonomische Panel (SOEP). Das SOEP ist eine jährlich am DIW Berlin durchgeführte repräsentative Wiederholungsbefragung privater Haus- halte und Personen in Deutschland. Das SOEP deckt eine Vielzahl von Themen ab: 2017 und 2019 wurden die Personen dazu befragt, als wie gerecht oder ungerecht sie ihr eigenes Einkommen bewerten. Die hier berichteten Ergebnisse beruhen auf rund 30 000 Angaben. 2017 2019 Ähnlich wie beim ESS konnten die e rwerbstätigen Befragten abstufen, ob sie ihr Einkommen als ungerecht zu niedrig, gerecht oder ungerecht zu hoch bewerten. Zusätzlich dazu wurden Brutto Netto sie gebeten a nzugeben, wie hoch ihr tatsächliches Einkommen ausfällt und wie hoch ein g erechtes Einkommen für sie persönlich aussehen sollte. Dargestellt ist der Anteil derjenigen Erwerbstätigen, die ihr eigenes Einkommen auf einer 11-stufigen Skala von – 5 (ungerechterweise zu niedrig) bis + 5 (ungerechter- weise zu hoch) mit 0 (gerecht) bewerteten. Datenbasis: SOEP v35 (2017); SOEP-Vorabdaten (2019), gewichtet hier genau im europäischen Mittelfeld. 8.2.2 Wahrnehmung des eigenen wenn das Nettoeinkommen – also das Auch wenn in der Slowakei und in Irland Einkommens als gerecht Einkommen nach Abzügen und Steuern – die Zustimmungsraten fast ein Drittel Bei den Gerechtigkeitsprinzipien Gleich beurteilt wird. Hier lag der Anteil der Er (30 %) erreichten, spielte das Anrechts heit, Bedarf, Leistung und Anrecht werbstätigen, die ihr Nettoeinkommen prinzip für die Bürgerinnen und Bürger handelt es sich um abstrakte normative als gerecht empfinden, 2017 bei rund 44 % in Europa eher eine geringere Rolle für Verteilungsprinzipien, also um Vorstel und im Jahr 2019 bei etwa 43 %. Damit eine gerechte Verteilung von Gütern lungen darüber, wie eine gerechte Gesell empfand zwar fast jede / jeder Zweite in und Lasten. schaft ihre Güter und Lasten idealerweise Deutschland die Höhe des eigenen Ein Insgesamt zeigt der Vergleich der 27 verteilen sollte. Wie jedoch steht es um kommens als gerecht; im Umkehrschluss europäischen Länder, dass sowohl das die Gerechtigkeitswahrnehmung in bedeutet dies aber auch, dass die andere Leistungs- als auch das Bedarfsprinzip Deutschland, wenn es ganz konkret um Hälfte der Erwerbstätigen Ungerechtig die Vorstellungen der Menschen von das eigene Einkommen geht? Wird dieses keit in Bezug auf das eigene Einkommen einer gerechten Verteilung der Güter und als gerecht empfunden? Um sich dieser wahrnimmt. Dabei gilt, dass der Abzug Lasten in einer Gesellschaft mehrheitlich Frage zu nähern, werden hier neben den von Steuern und Sozialversicherungs prägt. Beide Prinzipien schließen sich Ergebnissen des European Social Survey beiträgen den Anteil derjenigen, die ihr also keineswegs aus. Vielmehr geht die Daten des Sozio-oekonomischen Panels Einkommen als ungerecht empfinden, er Erwartung, dass individuelle Leistungen (SOEP) aus den Jahren 2017 und 2019 höht. u Abb 2 belohnt werden sollten, mit einer breiten verwendet. u Info 1 In den repräsentativen Befragungs Befürwortung des Prinzips einher, dass In den Jahren 2017 und 2019 empfand daten des European Social Survey (ESS) eine grundlegende Bedarfsabsicherung knapp die Hälfte der Beschäftigten in zeigt sich, dass Deutschland bei der Teil einer gerechten Gesellschaft ist. Deutschland das eigene Bruttoeinkom wahrgenommenen Einkommensgerech In Deutschland finden das Leistungs- men – also das Einkommen, das sie ohne tigkeit im europäischen Mittelfeld liegt. und Bedarfsprinzip besonders hohe und Abzüge von Steuern oder Sozialversiche Während laut Daten des ESS 47 % der mehrheitliche Zustimmung, das Gleich rungsbeiträgen bekommen – als gerecht. Erwerbstätigen in Deutschland ihr Brut heitsprinzip hingegen nicht. Dieser Anteil fällt deutlich niedriger aus, toeinkommen als gerecht bewerteten, 281
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.2 / Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa u Abb 3 Anteil der Erwerbstätigen in verschiedenen europäischen Ländern, 8.2.3 Gerechtigkeitsbewertung der die ihr Bruttoeinkommen als gerecht ansehen 2018 / 2019 — in Prozent Einkommensverteilung Wie würde die Einkommensverteilung in Durchschnitt Deutschland aussehen, wenn alle das Bulgarien 18,7 43,5 Bruttoeinkommen erhalten würden, wel Serbien 19,9 ches sie als gerecht erachten? In der Be fragung des Sozio-oekonomischen Panels Ungarn 20,1 (SOEP) wurde nicht nur danach gefragt, Montenegro 24,1 ob das eigene Einkommen als gerecht Litauen 26,2 wahrgenommen wird, sondern auch nach Polen 29,9 der Höhe, die das eigene Einkommen Slowakei 30,2 h aben müsste, um gerecht zu sein. Für Kroatien 32,4 Personen, die ihr Einkommen als gerecht bewerten, sind tatsächliches und gerech Zypern 32,7 tes Einkommen identisch, für alle ande Portugal 33,9 ren unterscheidet sich der gerechte vom Tschechien 33,9 tatsächlichen Einkommensbetrag. Be Frankreich 35,8 rechnet man aus diesen Angaben eine aus Spanien 36,3 Perspektive der Befragten »gerechte« Ein Italien 36,7 kommensverteilung, kann diese mit der tatsächlichen Einkommensverteilung Lettland 37,1 verglichen werden. Der Vergleich in Ab Slowenien 37,1 bildung 4 zeigt, dass eine solche »gerech Estland 38,5 te« Einkommensverteilung gegenüber Deutschland 47,0 der realen Verteilung leicht nach rechts Finnland 49,7 verschoben ist, die Beschäftigten in Schweden 55,1 Deutschland in einer »gerechten« Welt Schweiz also mehr Gehalt für ihre Arbeit bekom 56,0 men würden. Besonders deutlich ist diese Österreich 56,3 Verschiebung bei Personen mit niedrigen Belgien 57,7 und mittleren Einkommen. In ihrem Irland 58,4 Verlauf sind die beiden Einkommens Großbritannien 59,4 verteilungen dagegen weitestgehend Norwegen 62,1 identisch. u Abb 4 Niederlande 65,5 Die Verteilung auf Basis »gerechter« persönlicher Einkommen folgt offenbar keinem Gleichheitsideal. Auch wenn alle Dargestellt ist der Anteil derjenigen Erwerbstätigen, die ihr eigenes Bruttoeinkommen auf einer 9-stufigen Skala befragten Beschäftigten das Einkommen von – 4 (Einkommen ist zu niedrig, äußerst ungerecht) bis + 4 (Einkommen ist zu hoch, äußerst ungerecht) mit 0 (Einkommen ist gerecht) bewerteten. bekämen, das sie für sich persönlich als Datenbasis: ESS Round 9, gewichtet. gerecht bewerten, würde es nach wie vor deutliche Einkommensungleichheiten in Deutschland geben. Dies spiegelt sich auch in der vergleichsweise geringen Zu stimmung für das Gleichheitsprinzip liegen diese Anteile in vielen süd- und Anteil der Erwerbstätigen, die sich als ge und der hohen Zustimmung zum Leis osteuropäischen Ländern deutlich unter recht entlohnt empfinden, deutlich höher tungsprinzip wider, die in den europä 40 %. Die deutschen Nachbarländer als in Deutschland. Im europäischen Ver isch vergleichenden Daten sichtbar wur Schweiz, Österreich, die Niederlande gleich lässt sich damit für Deutschland den. Hier sei jedoch angemerkt, dass für und Belgien schnitten hingegen mit durchaus Nachholbedarf beim Thema die Berechnung der »gerechten« Einkom Werten zwischen 56 % und 65 % deutlich Einkommensgerechtigkeit konstatieren. mensverteilung nur berücksichtigt wur besser ab. Auch in Schweden, Irland, Das gilt besonders im Vergleich zu den de, welches Einkommen Erwerbstätigte Großbritannien und Norwegen war der westeuropäischen Nachbarn. u Abb 3 in Deutschland für sich selbst als gerecht 282
Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa / 8.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 betrachten würden. Bei der Frage, wie ge u Abb 4 Tatsächliche und gerechte Verteilung der Bruttoerwerbseinkommen recht die Einkommensverteilung in in Deutschland 2017 / 2019 Deutschland ist, geht es hingegen nicht nur um das eigene Einkommen, sondern 0,00030 auch um die Einkommen anderer. Auch wenn ich mich selbst gerecht entlohnt 0,00025 fühle, kann ich ungerecht finden, was andere Menschen um mich herum ver 0,00020 dienen. In der 2018 / 2019 erhobenen 9. Welle 0,00015 des European Social Survey (ESS) wurden alle Befragten gebeten, jeweils anzugeben, 0,00010 wie sie niedrige und hohe Einkommen in ihrem Land bewerten. Dazu sollten die 0,00005 Befragten an die untersten und obersten 10 % der höchstverdienenden Vollzeitbe 0,00000 schäftigten denken. Zusätzlich wurden 0 1 000 2 000 3 000 4 000 5 000 6 000 7 000 8 000 9 000 10 000 ihnen Informationen zu den tatsächli Bruttoerwerbseinkommen in Euro chen Bruttoeinkommen dieser Gruppe präsentiert. In Deutschland waren die tatsächliches Einkommen gerechtes Einkommen entsprechenden Einkommensgrenzen Dargestellt ist die geglättete Einkommensverteilung (Kerndichteschätzung). Aus Darstellungsgründen wurden »über 5 800 Euro« für hohe Einkommen Einkommen über 10 000 Euro monatlich aus der Berechnung der Dichtefunktion ausgeschlossen. Datenbasis: SOEP v35 (2017); SOEP-Vorabdaten (2019), gewichtet. Nur abhängig Beschäftige in Vollzeit. und »unter 1 700 Euro« für niedrige Ein Gepoolte Angaben aus 2017 und 2019 kommen. Zur Bewertung verwendeten 47 Prozent aller Erwerbstätigen sahen 2018 / 2019 ihr Bruttoeinkommen als gerecht an. In den deutschen Nachbarländern Schweiz, Österreich, Niederlande und Belgien lag der Anteil deutlich höher. 283
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.2 / Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa u Abb 5 Durchschnittliche Gerechtigkeitsbewertung u Abb 6 Durchschnittliche Gerechtigkeitsbewertung niedriger Einkommen in Europa 2018 / 2019 hoher Einkommen in Europa 2018 / 2019 Durchschnitt Durchschnitt – 2,3 0,7 Schweden – 1,2 Bulgarien 0,0 Finnland – 1,7 Polen 0,3 Tschechien – 1,7 Lettland 0,3 Niederlande – 1,7 Tschechien 0,4 Norwegen – 1,8 Ungarn 0,4 Irland – 1,9 Schweden 0,4 Großbritannien – 1,9 Litauen 0,4 Belgien – 1,9 Estland 0,5 Frankreich – 2,0 Deutschland 0,5 Schweiz – 2,1 Irland 0,5 Litauen – 2,2 Serbien 0,6 Deutschland – 2,2 Großbritannien 0,6 Polen – 2,3 Frankreich 0,6 Ungarn – 2,6 Norwegen 0,7 Österreich – 2,7 Finnland 0,7 Italien – 2,8 Spanien 0,7 Spanien – 2,8 Slowakei 0,9 Slowakei – 2,8 Schweiz 0,9 Lettland – 2,8 Kroatien 1,0 Slowenien – 2,9 Belgien 1,1 Estland – 2,9 Portugal 1,1 Montenegro – 2,9 Niederlande 1,1 Kroatien – 3,0 Slowenien 1,2 Serbien – 3,1 Montenegro 1,3 Portugal – 3,2 Österreich 1,3 Bulgarien – 3,3 Italien 1,5 Zypern – 3,3 Zypern 1,9 Dargestellt ist die durchschnittliche Bewertung von niedrigen Bruttoeinkommen im eigenen Land. Dargestellt ist die durchschnittliche Bewertung von hohen Bruttoeinkommen im eigenen Land. Mittelwerte auf einer 9-stufigen Skala von – 4 (Einkommen sind zu niedrig, äußerst ungerecht) Mittelwerte auf einer 9-stufigen Skala von – 4 (Einkommen sind zu niedrig, äußerst ungerecht) über 0 (Einkommen sind gerecht) bis + 4 (Einkommen sind zu hoch, äußerst ungerecht). über 0 (Einkommen sind gerecht) bis + 4 (Einkommen sind zu hoch, äußerst ungerecht). Datenbasis: ESS Round 9, gewichtet Datenbasis: ESS Round 9, gewichtet die Befragten eine 9-stufige Skala, die positive Werte anzeigen, dass die Einkom als ungerecht und zu niedrig bewertet, von – 4 »niedrige Einkommen, äußerst un men als ungerechterweise zu hoch bewer hohe Einkommen als ungerecht und zu gerecht« über 0 »gerechtes Einkommen« tet werden. hoch. Allerdings ist das Ausmaß der bis + 4 »hohe Einkommen, äußerst un In den Abbildungen 5 und 6 ist die empfundenen Ungerechtigkeit in Bezug gerecht« verläuft. Negative Werte zeigen durchschnittliche Bewertung für verschie auf niedrige Einkommen deutlich stärker. an, dass die Einkommen als ungerechter dene Länder dargestellt. In ganz Europa Deutschland liegt hier mit einem Wert weise zu gering bewertet werden, während wurden niedrige Einkommen im Schnitt von – 2,2 im europäischen Mittelfeld. Am 284
Einkommensgerechtigkeit in Deutschland und Europa / 8.2 Sozialstruktur und soziale Lagen / 8 geringsten wurden niedrige Einkommen Niveau des europäischen Durchschnitts. in Tschechien und Finnland als unge Bei der Zustimmung zum Gleichheits recht eingestuft. Am stärksten wurde die prinzip, also einer gleichmäßigen Vertei Ungerechtigkeit dagegen in Bulgarien lung von Gütern und Lasten, zeigen sich und Zypern empfunden. Hohe Einkom zum Teil deutliche Länderunterschiede. men wurden in Deutschland mit einem Dabei findet eine Verteilung nach dem Durchschnitt von 0,5 nur in geringem Prinzip der Gleichheit in Deutschland Maße als ungerecht bewertet. Hier gehört eine vergleichsweise niedrige Zustim Deutschland im europäischen Vergleich mung. Nimmt man individuelle Ein eher zu den Ländern, die wenig Unge kommen in den Blick, so waren 2017 und rechtigkeit bezüglich des oberen Endes 2019 knapp die Hälfte der Erwerbstäti der Einkommensverteilung äußern. In gen in Deutschland der Meinung, dass Italien und Österreich war die Ungerech ihre Bruttoeinkommen gerecht sind. Mit tigkeitswahrnehmung hoher Einkommen diesen Werten liegt Deutschland im Be fast dreimal, in Zypern fast viermal so reich des europäischen Durchschnitts. hoch wie in Deutschland. Übereinstim Nachbarländer wie die Schweiz, Öster mend findet sich in diesen drei Ländern reich, die Niederlande und Belgien eine im Vergleich zu Deutschland deut schneiden jedoch deutlich besser ab. Ob lich höhere Präferenz für das Gleichheits wohl viele Menschen in Deutschland ihr prinzip. u Abb 5, Abb 6 Einkommen als ungerecht bewerten, würde eine Einkommensverteilung, die 8.2.4 Zusammenfassung und Fazit sich daran orientiert, welches Einkom Eine Grundannahme der empirischen men Erwerbstätige für sich selbst als ge Gerechtigkeitsforschung lautet, dass Un recht ansehen, nach wie vor große Unter gleichheit vor allem dann mit negativen schiede aufweisen. Allerdings würden in gesellschaftlichen Konsequenzen ver einer solchen »gerechten« Welt vor allem bunden ist, wenn die Ungleichheit als diejenigen mit niedrigen und mittleren ungerecht bewertet wird. Ein Blick auf Einkommen mehr verdienen. Auch in die normativen Vorstellungen in Bezug Bezug auf die Frage, wie gerecht oder un auf eine gerechte Verteilung in Europa gerecht die Einkommen am oberen und zeigt: Die individuelle Leistung und der unteren Ende der Einkommensvertei individuelle Bedarf sind anerkannte lung wahrgenommen werden, zeigt sich, Prinzipien für eine gerechte Einkom dass vor allem die niedrigen Einkommen mensverteilung. Die Zustimmung in als ungerecht eingestuft werden. Demge Deutschland für diese beiden Vertei genüber fällt die Ungerechtigkeitswahr lungsprinzipien liegt noch einmal deut nehmung in Bezug auf hohe Einkommen lich über dem insgesamt schon hohen nur schwach aus. 285
8 / Sozialstruktur und soziale Lagen 8.3 / Lebenssituation von Migrantinnen und Migranten und deren Nachkommen 8.3 Im Jahr 2018 lebten rund 20,8 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea, Somalia, Iran, Pakistan und den Lebenssituation Deutschland, was etwa 20 % der Gesamt Nachfolgestaaten Jugoslawiens. von Migrantinnen bevölkerung ausmachte (siehe dazu Kapi tel 1.2, Seite 30). Bei der Bevölkerung mit In Kapitel 1.2 wurden bereits Grund daten zur Bevölkerung mit Migrations und Migranten, Migrationshintergrund handelt es sich hintergrund auf Basis des Mikrozensus deren Nach- im Hinblick auf Herkunft und Migrati onsbiografie um eine äußerst heterogene präsentiert. In diesem Kapitel wird die Lebenssituation von Migrantinnen und kommen und Bevölkerungsgruppe. Nach dem Zweiten Migranten und deren Nachkommen so Geflüchteten in Weltkrieg verlagerten zahlreiche Migran tinnen und Migranten aus den sogenann wie von Geflüchteten mit den Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) für Deutschland ten Gastarbeiterländern, zu denen auch 2018 beschrieben. Dabei werden unter das frühere Jugoslawien sowie die Türkei schiedliche Lebensbereiche genauer be zählten, ihren Lebensmittelpunkt in die trachtet, etwa der Bildungsstand, die Be Maria Metzing Bundesrepublik Deutschland und holten schäftigungsstruktur und das Einkom Deutsches Institut für Wirtschafts anschließend ihre Familien nach. Nach men, die gesundheitliche Situation, die forschung (DIW Berlin) der deutschen Vereinigung siedelten viele soziale sowie sprachliche Integration und Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler kulturelle Orientierungen. Darüber hin WZB/SOEP aus Rumänien, Polen und den Gebieten aus werden ausgewählte Bereiche des der ehemaligen Sowjetunion in das ver Lebens von Migrantinnen und Migranten einigte Deutschland über. Darüber hin und deren Nachkommen mit der Situation aus stellten zu Beginn der 1990er-Jahre von Geflüchteten verglichen. u Info 1 zahlreiche Geflüchtete aus den Balkange bieten Asylanträge in Deutschland. Seit 8.3.1 Bildungsabschlüsse den EU-Osterweiterungen (ab 2004) Mit Blick auf den höchsten Bildungsab kommt ein großer Anteil von Migrantin schluss (nach ISCED »International Stan nen und Migranten aus osteuropäischen dard Classification of Education«, siehe EU-Ländern nach Deutschland, etwa aus Kapitel 2.1, Seite 53, Info 2) lassen sich Polen und der Slowakei. Zudem stieg seit große Unterschiede zwischen der Bevölke 2011 auch die Zahl der Asylanträge. Hier rung mit und ohne Migrationshintergrund bei handelte es sich hauptsächlich um feststellen. Personen mit Migrations u Info 1 Definitionen Personen mit Migrationshintergrund sind entweder selbst zugewandert oder haben mindestens einen zugewanderten Elternteil. Um die Heterogenität der Personen mit Migrationshintergrund zu beschreiben, werden Migrantinnen und Migranten, einschließlich Geflüchteter und Migrantennachkommen, folgender fünf Herkunftsgruppen betrachtet: aus der Türkei, aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, aus den ehemaligen Anwerbestaaten Südwesteuropas (Italien, Spanien, Griechenland, Portugal), (Spät-)Aus- siedlerinnen und (Spät-)Aussiedler sowie Personen aus osteuropäischen Ländern. Die Zugehörigkeit zu einer Herkunftsgruppe wurde von dem Geburtsland der Befragten oder deren Eltern abhängig gemacht. Falls keine eindeutige Zuordnung zu einer Herkunftsgruppe möglich war, wurden die Befragten nur der Gesamtgruppe der Migrantinnen und Migranten zugeordnet, etwa wenn die Mutter in Griechenland und der Vater in der Türkei geboren wurde. Insofern umfasst die Gruppe der Personen mit Migrationshinter- grund nicht nur die fünf differenzierten Herkunftsgruppen. Gesondert betrachtet werden Geflüchtete, die ab 2013 in Deutschland eingereist sind. Als Geflüchtete werden in diesem Kapitel alle Personen bezeichnet, die nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Asyl antrag gestellt haben. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan, Irak, den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, Eritrea, Somalia, Iran sowie Pakistan. Ebenfalls gesondert ausgeführt werden die 17- bis 45-jährigen Migrantennachkommen, die entweder schon in Deutschland geboren wurden oder vor dem siebten Lebensjahr nach Deutschland zugewandert sind und dement- sprechend in Deutschland die Schule besucht haben. Personen, die 2018 jünger als 17 Jahre alt waren, bleiben in diesem Kapitel unberücksichtigt. Insgesamt wurden rund 19 800 Personen ohne und rund 11 000 Personen mit Migrationshintergrund befragt. Je nach Item kann die Zahl der Personen variieren. 286
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