Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften

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Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften
Nr. 1
                                       Januar | Februar | März 2019

Zeitschrift der Föderation
Vinzentinischer Frauengemeinschaften

Z        eit
        um...
Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften
Inhalt

     Inhalt

3    VORWORT
4    GEISTLICHES WORT                               Zum Titelbild
     FÖDERATION:
6    Gebetspatenschaft aller
     Gemeinschaften der Föderation
7    Impressionen aus den USA (5)
9    Bericht von der Konferenz der
     Vinzentinischen Obdachlosen-Allianz
13   MEDITATION:
     Wie eine Konferenz mit dem hl. Vinzenz
     von Paul heute ablaufen könnte
17   MEDITATION:
     Elisabeth Anna Seton – eine zweite
     heilige Luise?
18   BILDMEDITATION:
     Eine Botschaft von Bestand
22   AUS UNSERER GESCHICHTE:                            Zeit zum …
     Was uns Mutter Vinzenz Sultzer für
     heute mit auf den Weg gibt               Die Turmuhr des Schlosses in Rappers-
                                              wil (Schweiz) zeigt gerade 11:20 Uhr.
28   FREIBURG: Eine Million Sterne für        Diese Zeit, die aus vier Himmelsrich-
     eine gerechtere Welt                     tungen festzustellen ist, weckt bei
28   FULDA: Vinzenz-von-Paul-Stiftung         Menschen verschiedenste Gedanken.
     gegründet                                Eines ist sicher: Es geht langsam auf
                                              den Mittag zu, auf die Zeit zum Essen
     HILDESHEIM:                              und um Pause zu machen.
30   Postkarte                                Jede Uhr erinnert mit ihrem Zeiger-
31   Vor 100 Jahren: Als die Schwestern       stand an meine Gegenwart, die ich
     zum ersten Mal wählen durften            gestalten kann. Alles, was einmal war,
                                              und das, was noch kommen wird, ent-
32   PADERBORN: Erfahrungsaustausch
                                              ziehen sich meines Einflusses! Das Ver-
     und Beten auf Malayalam                  gangene kann ich nicht mehr verän-
33   STRASSBURG/UNTERMARCHTAL:                dern und das Zukünftige liegt noch in
     Exerzitienangebote                       Gottes Hand. Nur das Hier und Jetzt ist
                                              die Zeit, die Gott mir schenkt für mein
33   WIEN: Umbau und Renovierung des
                                              Leben und Handeln und Gestalten,
     Mutterhauses in Wien Gumpendorf          und das von Minute zu Minute.
35   LITERATURTIPP: Gott, ihr Drei ...
                                                                  Text: Sr. Ursula Bittner
35   IMPRESSUM                                                        Foto: Heidi Bittner
36   DIE LETZTE SEITE: Jede Minute

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Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften
Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser!

S  ie haben das erste heute des
   Jahres 2019 aufgeschlagen
und werden merken, dass es
                                   Im nächsten Heft soll eine
                                   Zeitzeugin ausführlich über
                                   die Anfänge und Weiterent-
36 Seiten geworden sind. Ein       wicklung zu Wort kommen.
großes DANKE allen, die uns            Kehren wir wieder zum
Beiträge gesendet haben.           aktuellen heute-Heft zurück.
    2019 ist ein Jubiläumsjahr     Die Themen sind wieder bunt       Sr. M. Elisabeth
für das heute. Vor 50 Jahren,      gemischt. Mit dem Titelbild
1969, hat es sich aus dem          werden wir an die Wichtig-
„Rundbrief “ entwickelt. Es        keit erinnert, ganz im Hier
erschien damals zweimonat-         und Jetzt zu leben und zu
lich. Ich hatte die Gelegenheit,   handeln. Die Bildmeditation
die ersten sechs Hefte des         in der Mitte des Heftes führt
Jahres 1969 durchzublättern.       uns die Evangelisten vor
Ich war sehr erstaunt, welche      Augen, die die Worte und
aktuelle Themen aufgegriffen       Taten Jesu Christi die Zeiten
wurden. Es war beispielsweise      hindurch lebendig halten. Im
zu lesen von: Wandlungspro-        „Geistlichen Wort“ gibt uns       Wolfgang Dausch
zessen in Kirche und Welt,         Generaloberin Sr. Katharina
Eucharistie und Einheit der        Mock das wichtige Wort            der vinzentinischen Föderati-
Christen, Tradition auf dem        Jesu „Was ihr von anderen         on in Hildesheim eingerichtet
Prüfstand, die Frau in der Kir-    erwartet, das tut auch ihnen“     wurde. So kann die Verbun-
che, Toleranz und christlicher     mit auf den Weg. Das schöne       denheit in der gesamten Föde-
Lebensstil, Mut zur Zukunft,       Gebet von Alois Albrecht          ration gestärkt und gefördert
der Missionsauftrag der            „Dass unser Leben mehr            werden. In diesem Jahr lässt
Kirche, die Jugend von heute       werde als…“ bringt unser          uns Sr. M. Karin Weber Selige
oder der moderne Mensch.           aller Sehnen zum Ausdruck.        und Heilige betrachten, die
                                   In den Berichten über die         unseren heiligen Stiftern in
50 Jahre aktuelle Themen           Obdachlosen-Konferenz in          ihrer Spiritualität ähnlich
Auch eine „spirituelle Fort-       Rom, die „Vinzenzkonferenz        sind. Mit der hl. Elisabeth
bildung“ zu den einzelnen          heute“, die Stiftungsgründung     Anna Seton lernen wir eine
Evangelisten und ihren             in Fulda, das Treffen der indi-   „zweite hl. Luise“ kennen.
Schriften wurde angeboten.         schen Schwestern bis hin zum          Wir wünschen ihnen viel
Außerdem wurden prakti-            Umbau des Mutterhauses            Freude beim Lesen. Mögen
sche Themen behandelt:             Wien können wir teilnehmen        Sie immer wieder Zeit fin-
Übung im Gespräch, eine            am vinzentinischen Gesche-        den für die schönen Dinge
„Fremdwörterseite“, zwi-           hen heute. Sehr ans Herz          des Lebens.
schenmenschliche Bezie-            legen möchten wir Ihnen die
hungen oder Spannungen             Gebetspatenschaft, die auf        Sr. M. Elisabeth Auberger
innerhalb der Gemeinschaft.        Initiative der Jahreskonferenz    und Wolfgang Dausch

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Geistliches Wort

Liebe Schwestern, liebe interessierte                              der goldenen Regel formu-
                                                                   liert ist, als eine anspruchs-
Leserinnen und Leser!                                              volle Herausforderung an
                                                                   mich.
                                                                       Meine Erwartungen an
                                  vielmehr meistens bestim-        andere sind ja dann auch
                                  men unsere Erwartungen an        Erwartungen an mich selbst.
                                  die anderen unsere zwischen-     Und ganz selbstverständlich
                                  menschlichen Beziehungen         erwarte ich von den ande-
                                  und führen immer dann zu         ren, dass sie barmherzig und
                                  Konflikten, wenn diese un-       gerecht handeln.
                                  ausgesprochenen Erwartun-            Darüber hinaus erwarte
                                  gen an die oder den anderen      ich von meinen Mitmen-
                                  nicht erfüllt werden. Wie        schen, dass sie geduldig,
                                  aber soll ein anderer wissen,    verschwiegen, wahrhaftig,
                                  was ich von ihm erwarte,         verbindlich, einsatzbereit,
                                  wenn ich nicht darüber           verfügbar, wertschätzend,
                                  spreche?                         freundlich, höflich, zuvor-
                                      Jesus gibt darauf die        kommend, tolerant, ver-
Schwester Katharina Mock,         Antwort: „Was ihr von an-        ständnisvoll, uneigennützig
Generaloberin in Paderborn        deren erwartet, das tut auch     und noch vieles mehr sind,
                                  ihnen.“                          damit wir ein gutes Mitein-
                                      Jeder Mensch würde           ander leben können.

D   ie Heilige Schrift ist seit
    meinen Kindertagen
ein Buch, das mich nicht
                                  wahrscheinlich Jesus darin
                                  zustimmen, dass dies eine
                                  Möglichkeit ist, die zwischen-
                                                                       Ich denke, dass es mir
                                                                   nicht allein so ergeht. In
                                                                   ganz vielen Fällen gibt
loslässt. Eine Stelle hat es      menschlichen Beziehungen         es Menschen, die große
mir besonders angetan: Die        zum Guten hin zu verän-          Erwartungen an andere
sogenannte goldene Regel.         dern. Aber so möchte ich         haben, an die Politiker, an
Im Matthäusevangelium fin-
den wir sie mit dem folgen-
den Wortlaut: „Was ihr also
                                              »Was ihr von anderen
von anderen erwartet, das                       erwartet, das tut
tut auch ihnen.“ (Mt 7,12)
Im Lukasevangelium finden                     ebenso auch ihnen.«
wir fast die gleichen Worte.
Dort ist zu lesen: „Was ihr
                                                    (Lk 6,31)
von anderen erwartet, das         anfügen, nur so lange es         die Wirtschaftsbosse, an die
tut ebenso auch ihnen.“ (Lk       mich nicht selbst betrifft.      Vorgesetzten, an die Obern
6,31)                             Denn, wenn ich mir meine         usw.. Es gibt dabei auch
    Wir Menschen haben            Erwartungen an die Mit-          manchmal nicht erfüllbare
ausgesprochene oder unaus-        menschen ins Bewusstsein         Erwartungen. Meistens sind
gesprochene Erwartungen           rufe, dann empfinde ich die      sich Menschen mit hohen
an andere. Manchmal oder          Aufforderung Jesu, wie sie in    Erwartungen an andere

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Geistliches Wort

nicht bewusst, dass Jesus
seinen Jüngern aufgetragen             DASS UNSER LEBEN MEHR WERDE
hat, die Erwartungen, die sie
an andere haben, in gleicher
Weise für die anderen zu               Herr,
erfüllen.                              dass unser Leben mehr werde als ein hektischer
    Vielfach werden Erwar-
                                       Ablauf von Stunden, Tagen, Jahren und Jahrzehnten,
tungen an „die da oben“ in
folgenden Sätzen formuliert:           danach sehnen wir uns: nach Sinn und Erfülltsein.
„Man müsste doch…“ oder
„Könnte man nicht…“                    Herr,
    Hinter solchen Sätzen              dass unser Leben mehr werde als ein
kann ich mich als einzelne             ungeordneter Haufen von Gedanken,
gut verstecken. Denn „man“             Wünschen, Begierden und Erwartungen,
bin ja nicht ich. Das Wort             danach sehnen wir uns: nach Sinn und Ziel.
„müsste“ ist ja auch nur eine
Aufforderung an den oder               Herr,
die andere, dass „etwas“
                                       dass unser Leben mehr werde als eine zufällige
(das ich längst erkannt habe)
vom anderen getan werden               Reihe von Handlungen, Taten, Werken und Leiden,
muss. Dabei kann ich mich              danach sehnen wir uns: nach Sinn und Gelingen.
ganz vergnüglich zurückleh-
nen, weil dieses „müsste“ ja           Herr,
dem anderen gilt, aber ganz            dass unser Leben mehr werde als ein verworrenes
bestimmt nicht mir.                    Knäuel von Beziehungen, Sympathie, Miteinander
    Ich glaube, wenn es ge-            und Gegeneinander,
länge, dass jeder seine Er-            danach sehnen wir uns: nach Sinn und Liebe.
wartungen, die er offen
ausgesprochen oder still und           Herr,
heimlich an andere hat, im
                                       dass unser Leben mehr werde,
eigenen Leben, auch nur
ansatzweise, für andere ver-           die Erfahrung von Sinn darin sei,
wirklicht, dann hießen die             danach sehnen wir uns, darum bitten wir.
erwartungsvollen Sätze nicht
mehr: „Man müsste doch…“               Amen.
oder „Könnte man nicht…“,
sondern: „Ich tue dies oder
jenes, weil ich erwarte…“.
Ganz sicher würde es aber          Unsere Erwartungen            größtenteils Sehnsüchte
in Gesellschaften, Einrich-     haben meistens damit zu          nach gelingendem Leben.
tungen, Gemeinschaften,         tun, dass wir mit dem, was       In einem Gebet von Alois
Familien beobachtbare Ver-      wir sind und haben, nicht        Albrecht heißt es:
änderungen im Miteinander       zufrieden sind. Unsere           Dass unser Leben mehr
geben.                          Erwartungen sind somit           werde.

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Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften
Föderation

                                                  Eine großartige Idee                                                                                                                                                                                                              Eine gute Idee war auch
                                                                                                                                                                                                                                                                                die Anregung, Nachbar-
Gebetspatenschaft aller Gemeinschaften der Föderation                                                                                                                                                                                                                           schaftsbesuche zu machen.
                                                                                                                                                                                                                                                                                So können wir uns gegen-
                                                                                                                                                                                                                                                                                seitig kennenlernen und

B  ei der Jahreskonferenz der
   vinzentinischen Föderati-
on in Hildesheim vom 3. bis
                                                                                                                                                 vent sichtbar sind. So wer-
                                                                                                                                                 den alle Schwestern immer
                                                                                                                                                 wieder daran erinnert. Eini-
                                                                                                                                                                                                                                                                                bereichern. Auch die vielen
                                                                                                                                                                                                                                                                                Angebote der Föderation
                                                                                                                                                                                                                                                                                (Tagungen, Urlaube, Exerzi-
7. Oktober 2018 wurde die                                                                                                                        ge andere Gemeinschaften                                                                                                       tien und Sabbatzeiten) sind
Idee einer Gebetspatenschaft                                                                                                                     beten an einem bestimmten                                                                                                      eine gute Gelegenheit zum
geboren. Eine sehr schöne                                                                                                                        Tag eine Fürbitte. Eine ande-                                                                                                  gegenseitigen Kennenlernen.
und großartige Idee.                                                                                                                             re Gemeinschaft fertigt ein                                                                                                        Die Zeitschrift heute ist
    Diese Patenschaft soll das                                                                                                                   Plakat an mit einem Foto des                                                                                                   ein gutes Medium, sehr viele
Zusammengehörigkeitsge-                                                                                                                          Mutterhauses und des Ge-                                                                                                       Schwestern daran Anteil
fühl stärken und uns helfen,                                                                                                                     neral- bzw. des Provinzrates                                                                                                   nehmen zu lassen.
aneinander zu denken und                                                                                                                         und hängt dieses ersichtlich                                                                                                       So möchte ich bitten und
füreinander zu beten. Es                                                                                                                         für die Schwestern aus. Zu                                                                                                     ermutigen, mir über die zu-
wurde eine Liste erstellt, die                                                                                                                   Beginn eines Monats nimmt                                                                                                      ständige Korrespondentin
ersichtlich macht, wann für                                                                                                                      eine Gemeinschaft mit der                                                                                                      ihrer Gemeinschaft Berich-
welche Gemeinschaft gebetet                                                                                                                      anderen Kontakt per E-Mail                                                                                                     te darüber zukommen zu
wird. In welcher Form das                                                                                                                        auf und sendet ein Foto                                                                                                        lassen. Auch das Erzählen
geschieht, ist den jeweiligen                                                                                                                    ihrer Gemeinschaft mit. Eine                                                                                                   der eigenen Berufungsge-
Gemeinschaften überlassen.                                                                                                                       gute Möglichkeit wäre auch,                                                                                                    schichte oder Tätigkeit, aber
Ich habe einige Rückmel-                                                                                                                         wenn die Gemeinschaft, für                                                                                                     auch andere Berichte sind
dungen erhalten.                                                                                                                                 die gebetet wird, ihre Gebets-                                                                                                 so wertvoll, dass es viele
    Eine Gemeinschaft                                                                                                                            anliegen an Föderations-                                                                                                       erfahren sollten – nach dem
schreibt den Namen der je-                                                                                                                       referentin Sr. M. Karin Weber                                                                                                  Motto: „Das Licht nicht unter
weiligen Gemeinschaft, für                                                                                                                       sendet. Sie kann dann diese                                                                                                    den Scheffel, sondern auf den
die in diesem Monat gebetet                                                                                                                      Anliegen den anderen Ge-                                                                                                       Leuchter stellen, dass es viele
wird, unter die Gebetsanlie-                                                                                                                     meinschaften zur Verfügung                                                                                                     sehen und sich freuen!“ 
gen des Papstes, die im Kon-                                                                                                                     stellen.                                                                                                                             Sr. M. Elisabeth Auberger, Wien

                                                                         Gebetspatenschaften innerhalb der Föderation und ihrer Gäste
 Febr                    März                     April                    Mai                   Juni                    Juli                     Aug                          Sept              Okt               Nov                 Dez                         Jan                Febr                März April                                     Mai                        Juni
 2019                    2019                     2019                     2019                  2019                    2019                     2019                         2019              2019              2019                2019                       2020                2020                2020 2020                                      2020                       2020
                                                                                                                                                                                                                                        Mutterhaus Mananthavady
                                                                                                                                                    Mutterhaus Untermarchtal
 Mutterhaus Heppenheim

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Regionalhaus Lima, Peru
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Regionalhaus Nekemte,
                          Mutterhaus Hildesheim

                                                                                                  Mutterhaus Paderborn

                                                                                                                                                                                                                                                                                                          Regionalhaus Mbinga,
                                                                                                                          Mutterhaus Straßburg

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Provinzhaus Mitundu,
                                                  Mutterhaus Innsbruck

                                                                            Mutterhaus München

                                                                                                                                                                                                                    Mutterhaus Suwon
                                                                                                                                                                                                 Mutterhaus Zams

                                                                                                                                                                                                                                                                                       Provinzhaus Graz
                                                                                                                                                                               Mutterhaus Wien

                                                                                                                                                                                                                                                                   Provinzhaus Köln

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       Äthiopien

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         Tansania
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Tansania

                                                                                                                                                                                                  6
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Vinzentinische Familie

                                             Impressionen aus den USA (5)

                                            Glaubenszeugnisse –
                                   Eindrücke aus der katholischen
                                        Studentenseelsorge

E  s begann mit einer ein-
   fachen Frage: Willst du
die Exerzitien der Studenten
                               der USA ist es zu dieser
                               Zeit nicht unüblich, dass
                               die ersten Schneeschauer zu
                                                               wunderschön und es schnei-
                                                               te zum ersten Mal. Die Stu-
                                                               denten bauten die Zelte auf
begleiten? Ich hatte nicht     erwarten sind.                  und der hauptamtliche Mit-
viel darüber nachgedacht           Ich kam aus der Geschich-   arbeiter der Studentenseel-
und spontan zugesagt. Erst     te aber nicht mehr heraus:      sorge, ein weiterer Student
einige Tage später hatte ich   Ein Mann ein Wort; das gilt     und ich bezogen die Hütte.
mich genauer erkundigt und     auch für einen Vinzentiner.     Mit genügend Proviant für
dann erfahren, dass es sich        Glücklicherweise gab es     mindestens drei Wochen
um „Camping-Exerzitien“        die Möglichkeit, in Zelten      machten sich die Studenten
handelte. Es handelte sich     zu schlafen oder in einer       ans Werk und bereiteten
um eine Gruppe von 15 Stu-     Campinghütte. Dankbar           über dem zuvor entzündeten
denten im Alter von 19 bis     hatte ich die Alternative zum   Lagerfeuer mit Pfannen und
25 Jahren. Der Ort war an      Zelt angenommen. Als es         Töpfen ein typisch amerika-
                                                               nisches Frühstück. Für mich
    »Alles war wunderschön und es                              waren die drei Tage sehr
                                                               entspannend, weil ich nichts
      schneite zum ersten Mal.«                                vorzubereiten hatte, sondern
                                                               nur für Gespräche mit den
einem wunderschönen See        dann so weit war, starteten     Studenten und für die Eu-
mit angrenzendem Cam-          wir am frühen Freitagmor-       charistiefeier zur Verfügung
pingplatz gelegen. Alles sah   gen und kämpften uns mit        stehen sollte.
gut aus und hörte sich auch    zwei VW-Bussen und einem            Was sich zunächst
herausfordernd an, wenn es     Auto durch den Berufsver-       einfach und unspektakulär
nicht Mitte Oktober gewesen    kehr von Chicago. Auf dem       anhörte, entwickelte sich
wäre. Im Mittleren Westen      Gelände angelangt, war alles    zu einer der intensivsten

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Vinzentinische Familie

Glaubenserfahrungen, die              hat mich dabei das Zeugnis      nehmer ein Glaubenszeugnis
ich in den letzten Jahren             eines Studenten, der sagte,     abzugeben. Die Aufgabe
machen durfte. Bereits beim           er lasse sich seinen Glauben    bestand darin, eine Schrift-
Mittagessen kam die Frage             nicht von Bischöfen und         stelle auszusuchen, die dem
nach den Beichtzeiten auf,            Priestern kaputt machen, die    jeweiligen Teilnehmer etwas
was mich bei so jungen                sich nicht korrekt verhalten    bedeutet, und dann 10 bis 15
Männern, von denen keiner             haben bzw. kriminell gewor-     Minuten vor der Gruppe da-
Theologie studiert, doch              den sind und Schutzbefoh-       rüber zu sprechen. Danach
sehr wunderte. Es sollte              lene missbraucht haben. Ein     bestand die Möglichkeit zu
                                                                      Rückfragen, Diskussionen
                                                                      oder eigenen Gedanken.
                                                                      Neben den persönlichen
                                                                      Erfahrungen in den Beicht-
                                                                      gesprächen waren diese
                                                                      Einheiten ein zutiefst berüh-
                                                                      rendes Erlebnis für mich.
                                                                      Wo lebst du? Kommt
                                                                      und seht!
                                                                      Die Erfahrungen mit den
                                                                      Studenten und ihrer offenen
                                                                      Art, mit religiösen und welt-
                                                                      lichen Fragen umzugehen,
                                                                      haben mir gezeigt, wie wich-
                                                                      tig es heute ist, dass gerade
„Camping-Exerzitien“ amerikanischer Studenten                         junge Menschen die Mög-
                                                                      lichkeit haben sollten, mit
sich herausstellen, dass alle         anderer antwortete darauf,      Menschen in der Nachfolge
15 Teilnehmer zur Beichte             dass es auf Christus und die    Jesu Christi in Kontakt zu
kamen und dies für mich ein           Eucharistie ankomme und         kommen. Ich glaube, dass es
eindrucksvolles Erlebnis war.         nicht auf einzelne Personen.    für alle Beteiligten hilfreich
Es zeigte sich, dass es für           Er würde auch nicht auf die     ist, wenn dabei Grenzen
die Studenten sehr wichtig            Idee kommen, aus den USA        und Barrieren institutionel-
war, einen Vinzentiner bzw.           auszuwandern, nur weil es im    ler Art abgebaut werden.
Priester außerhalb der Litur-         Augenblick einen schreck-       Bereits Jesus sagte den ersten
gie und ohne standesbeding-           lichen Präsidenten gäbe.        Jüngern auf die Frage „Wo
te Barrieren zu erleben. Es           Genauso wäre die Kirche         lebst du?“: Kommt und seht.
entwickelten sich Gespräche           auch immer mehr als ihre        Die überkommenen Modelle
über Politik, Deutschland             geweihten Vertreter. Dieses     in unseren Gemeinschaften
und Europa, Berufswün-                reflektierte Zeugnis von jun-   müssen überdacht und geän-
sche und vor allem über die           gen Menschen hat mich tief      dert werden. Es reicht nicht
Situation der Kirche in den           berührt und ermutigt.           aus, die Menschen in unsere
Vereinigten Staaten und in                In den nächsten zwei        Häuser einzuladen und
Deutschland. Tief berührt             Tagen hatte jeder der Teil-     ihnen einen Einblick in un-

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Vinzentinische Familie

ser Gemeinschaftsleben zu
geben. Ich bin der Meinung,
dass auch wir viel offener
und gezielter auf Menschen
zugehen müssen, sie in ihren
Lebensgewohnheiten und
an ihren Lebensorten ernst
nehmen müssen, und so per-
sönliche Kontakte aufbauen.
    Der ungewöhnliche Ort
der „Camping-Exerzitien“ hat
gezeigt, dass es für die Be-
gegnung mit Jesus Christus
keine ungeeigneten Orte gibt,
sondern dass ER tatsächlich
dort ist, wo zwei oder drei in
seinem Namen versammelt             Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz kamen aus 35 Ländern.
sind. Der Mut, sich auf die
Wünsche der Studenten ein-
zulassen, ihnen zu erlauben,
den Ort auszusuchen, und                Damit jeder einen Ort hat, den
ihnen zuzutrauen, dass sie
selbst spirituelle Erfahrun-
                                        er seine Heimat nennen kann
gen einbringen können, war                         Bericht von der Konferenz der
eine wirklich bereichernde
                                                Vinzentinischen Obdachlosen-Allianz
Erfahrung.

                                    I
Neues Feuer entfachen                 m Frühsommer vergange-              meinschaften für die Flücht-
Es könnte für uns als vin-            nen Jahres bekam ich eine           linge engagieren. Die Ant-
zentinische Gemeinschaften          Einladung von FAMVIN zur              worten, die ich bekommen
eine Chance sein, neues             Internationalen Konferenz             habe, arbeitete ich in meine
Feuer zu entfachen. Wir             (26.–28. November 2018)               Vorbereitungen ein. Da der
müssen uns nur trauen, die          in Rom, wo ich in einem               Workshop auf Englisch sein
alten Pfade zu verlassen.           Workshop über unsere                  sollte, galt es noch alles zu
Wenn wir dabei Jesus Chris-         Flüchtlingsarbeit berichten           übersetzen. Die offiziellen
tus und seine Botschaft im          sollte. Da ich nicht nur vom          Sprachen bei der Konferenz
Blick behalten, können auch         Engagement unserer Ge-                waren Englisch, Französisch
wir bereichernde Glaubens-          meinschaft berichten wollte,          und Spanisch.
erfahrungen an ungewöhn-            sondern auch aufzeigen                    Die Konferenz fand in
lichen Orten machen.                wollte, was in der Föderation         einem Haus der Filles de
    Trauen wir IHM und              insgesamt geschieht, startete         la Charité, dem Casa Ma-
trauen wir vor allen Dingen         ich eine Rundmail mit der             ria Immaculata, statt. Es
den Menschen etwas zu!             Bitte, mir kurz zu schreiben,         waren gut 100 Teilnehmerin-
            P. Andreas Müller CM   wie sich die einzelnen Ge-            nen und Teilnehmer aus

                                                    9
Zeit um... Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften
Vinzentinische Familie

35 Ländern und von 18          noch viel an Netzwerkarbeit          Unter den vielen Infor-
verschiedenen Zweigen der      geleistet werden! Durch die      mationen möchte ich zwei
Vinzentinischen Familie.       moderne Technik und die          auswählen und daran teil-
Aus dem deutschen Sprach-      Sozialen Medien ist Unter-       haben lassen: ein Stimmungs-
gebiet waren nur Sr. Anna-     stützung und Hilfe über          bild im 2. Newsletter der
Luisa und ich anwesend. Bei    Kontinente hinweg möglich        FHA vom Dezember 2018
der Konferenz ging es um       und sollte noch mehr ge-         und ein Vortrag, der mich
die Vision der Vinzentini-     nutzt werden um der Armen        sehr berührt hat. 
schen Obdachlosen Allianz      willen, denen unser Dienst
(FHA): „Dass jeder einen       gilt!                               Sr. M. Karin Weber, Untermarchtal
Ort hat, den er seine Hei-
mat nennen kann und zu
einer Gemeinschaft gehört“.             »Die Konferenz war ein
Geistliche Impulse, Vorträ-
ge, Gruppenarbeiten und                 eindrückliches Erlebnis
Workshops wechselten ab,
so dass die Teilnehmer viel
                                           einer weltweiten
miteinander ins Gespräch               Vinzentinischen Familie.«
kamen. Viele Projekte zu
diesem Thema aus aller Welt
wurden vorgestellt. Durch
das Vorstellen dieser Pro-                               Draußen-Sein –
jekte wurde bewusst, wieviel                             eine spirituelle Erfahrung
Not, Elend und Leid es auf
unserer Welt gibt; aber auch
wie groß das Engagement
und die Hilfsbereitschaft
                                                         L    azarus, komm heraus!“ rief Je-
                                                              sus laut (Joh 11,43). Was bedeu-
                                                          tet es jedoch, „draußen zu sein“?
sind.                                                     Draußen zu sein, erklärt Bischof
    Für mich war die Kon-                                 Duffé, Sekretär des Dikasteriums
ferenz ein eindrückliches                                 für die Integrale Menschliche Ent-
Erlebnis einer weltweiten                                 wicklung, ist, nackt vor anderen zu
Vinzentinischen Familie, die     Mgr. Bruno Marie Duffé   sein, am Kreuz unserer Misserfolge
sich trotz unterschiedlicher                              und Enttäuschungen gekreuzigt zu
Sprachen verständigen kann     werden und den großen Sturm des Misstrauens zu spüren.
und die getragen wird von      Draußen zu sein bedeutet, in den heftigen Winden der Unge-
einem Charisma, das alle       wissheit zu sein, in der Kaltfront der eigenen Grenzen, in der
verbindet und einen guten      Willkür des Regens, des Windes und des Hungers. Es ist die
und fruchtbaren Grund          Angst, nicht zu wissen, ob es möglich ist, in dieser Welt ein
für unseren gemeinsamen        wenig Vertrauen zu finden.
Dienst bietet. Die Vernet-        Draußen zu sein bedeutet, auf der Straße zu sein, einem
zung untereinander hat mich    Ort der Anonymität und Ignoranz. Gleichwohl kann dieses
sehr beeindruckt. Da muss      „Draußen-Sein“ auch und „paradoxerweise“ ein Raum für
in der deutschsprachigen       eine „unerwartete und lichtvolle Begegnung“ sein, ein Raum,
Vinzentinischen Familie        in dem eine spirituelle Erfahrung erlebt werden kann: eine

                                            10
Vinzentinische Familie

„spirituelle Bekehrung,
einander willkommen zu
heißen“.
    Diese „spirituelle Be-     V    or gut einem Jahr, am 14. Okto-
                                    ber 2017, wurde in Rom die Vin-
                               zentinische Allianz für die Obdach-
gegnung mit unseren ob-
dachlosen Brüdern und          losen (FHA) in Gegenwart von 10.000
Schwestern“ ist, so Monsig-    Vinzentinern und Vinzentinerinnen
nore Duffé, auf drei wich-     aus aller Welt gegründet. Die erste Konferenz der Allianz
tigen Säulen aufgebaut: auf    im November 2018 war eine einzigartige Gelegenheit für
dem Blick, der Gegenwart/      die Vinzentinische Familie, sowohl den Umfang der Heraus-
Präsenz und dem Wort.          forderungen der Obdachlosigkeit zu verstehen, als auch zu
Diese Erfahrung auf dem        sehen, dass die Vinzentinische Familie gut aufgestellt ist, um
Weg beginnt mit dem Blick,     auf die Größe dieser Herausforderung zu antworten durch
einem „ruhigen und anteil-     wirksame Zusammenarbeit und den systemischen Wandel.
nehmenden Blick“. Der Blick    Die Teilnehmer verstanden besser, wie die Arbeit mit den
ist eine Tür zwischen dem      obdachlosen Menschen eingebettet ist in ihre Vinzentinische
physischen, dem spirituellen   Spiritualität, in die Tradition der Familie und dass es unerläss-
und dem gemeinschaftlichen     lich ist, Konzepte und Innovationen sowohl vor Ort als auch
Leben, in dem jeder bei sei-
                               weltweit zu integrieren, um das Problem zu lösen.
nem Namen genannt wird.
                                   Die Konferenz fühlte sich an, als ob sie der Ausgangs-
Angeschaut zu werden be-
                               punkt und wirkliche Anfang der FHA ist. Obwohl die Allianz
deutet, erkannt zu werden,
beim Namen genannt zu          eine weltweite Bewegung ist, die Unterstützung leisten
werden, Ansehen zu bekom-      kann, müssen die Maßnahmen lokal sein, um wirksam zu
men; es ist ein Wiedererken-   werden. Obwohl wir einen Projektplan haben, bleiben wir
nen, es bedeutet „für jeman-   im Dienst der Vinzentinischen Familie und bereit, uns an
den in der Menge Mensch zu     ihre Bedürfnisse anzupassen. Obgleich wir in einem kleinen
sein“. Es ist eine Erfahrung   Team arbeiten, glauben wir an die Stärke des weitreichenden
eines Exodus, die es uns       Vinzentinischen Netzwerks.
ermöglicht, eine Begegnung         Wir werden im Laufe des Jahres 2019 an verschiedenen
in Wahrheit zu leben.          Aktivitäten arbeiten: an der Darstellung der Vinzentinischen
    In der Begegnung ent-      Dienste auf einer Karte, an der Netzwerkbildung, an den
decken wir uns selbst „arm     Stipendiaten-Programmen, an der 13-Häuser-Kampagne, an
und reich zugleich“, wir       der Ausbildung und anderen. Aber die wirklichen Verände-
entdecken, dass „derjenige,    rungen werden an der Basis stattfinden und die Träume und
der draußen ist, ein schönes   Projekte der Obdachlosen auf der Straße, der Flüchtlinge
Gesicht hat und dass der
                               oder der Slum-Bewohner nähren. Mögen unsere Präsenz
einzige Reichtum der des
                               und Freundschaft, unsere Aktionen und unser Mühen bei
Austauschs ist“.
                               ihnen die Hoffnung aufrechterhalten auf eine Welt, in der
    Dieser Austausch, dieser
Dialog, dieser Exodus von      jeder Mensch einen Ort hat, den er seine Heimat nennen
uns selbst beginnt mit dem     kann und einen Platz in einer Gemeinschaft.
Wort, denn das geistliche                 Yasmine Cajuste, FHA Projekt-Entwicklungs-Managerin
Leben – in den Spuren

                                          11
Vinzentinische Familie

Christi, des Dieners und des       Unter Bezugnahme auf          ders oder der obdachlosen
Gesandten – drückt sich in      das Apostolische Schreiben       Schwester“, „die uns dazu
den Worten unseres mensch-      von Papst Franziskus, Gau-       anleitet, Christus in diesem
lichen Wesens aus, in den       dete et Exsultat (2018), er-     anderen zu empfangen, den
Augen, die sich begegnen,       wähnt Bischof Duffé drei         wir nie darauf reduzieren
und in den Lebenswegen, in      Komponenten jeder „Begeg-        können, was er ist oder was
denen sich die Bedürfnisse      nung in Wahrheit“:               er geworden ist“.
der Menschen offenbaren.                                             So evangelisieren wir
    Aber für die meisten Ob-    1 Demut oder Sanftmut:           und werden von anderen
dachlosen ist die Straße oft    Ein Weg „von Jesus vorge-        evangelisiert: er und sie,
still. Diese Menschen verlie-   geben“, der „durch Demut         die uns einen Blick schen-
ren das Wort, das bedeutet      geht“. In der Bibel werden       ken, der uns aufrichtet; er
die Teilhabe am Gespräch.       Sanftmütige und Arme mit         und sie, die im Moment
                                dem gleichen Ausdruck            der Dankbarkeit für uns das
      »Ihnen das                bezeichnet. Die Demütigen        Wort aussprechen, das uns
                                sind also unsere Meister. Die    herausruft (aus unseren
    Wort zu geben,              Spiritualität der Nähe zu den    Sicherheiten und unserem
       bedeutet,                Ärmsten ist eine Spiritualität   Wohlbehagen), um von der
                                der Verbundenheit in Demut       Angst zur Liebe, vom Tod
   Ihnen die Würde              und Sanftmut.                    zum Leben zu gelangen.
      zu geben.«                2 Leidenschaft oder             Eine Herausforderung für
                                   Wagemut:                      die Vinzentinische Familie
Ihnen „das Wort“ zu geben,      Das heißt, „das zu leben,        Am letzten Morgen unter-
bedeutet, ihnen die „Würde“     was wir zutiefst glauben, in     strich Mons. Duffé die tiefe
zu geben, die jeden von uns     einer großen Verfügbarkeit       Hoffnungslosigkeit, die die
zu einem Wesen macht, das       für die Erleuchtung durch        Obdachlosigkeit mit sich
fähig ist zu empfangen und      den Heiligen Geist und in        bringt. „Wie ist es mög-
zu geben. In der Tat geht es    einem großen Hören auf den       lich“, fragte er, „zu glauben,
um eine Präsenz: Es geht        Nächsten“.                       immer wieder zu glauben,
darum, dort zu sein, präsent                                     wenn man draußen sitzt
für den anderen, manch-         3 Aufmerksamkeit für            oder liegt und versucht,
mal in einem gemeinsamen            Kleinigkeiten:               vor dem Wind, vor Blicken
Schweigen, wo einer dem         Das bedeutet, auf die ein-       und manchmal von Gott
anderen nahe ist, um ihn zu     fachen Dinge des täglichen       selbst verschont zu bleiben?
hören. Sprechen bedeutet, da    Lebens zu achten. Es ist         Und wie können wir auf
zu sein; es ist eine Präsenz.   Jesus, der uns alle eindring-    diese Weise nicht nur ein
   Dieser Austausch auf der     lich dazu auffordert, auf die    Zuhause schaffen, sondern
Straße mit den Obdachlosen      Details, die kleinen Dinge,      auch den inneren Frieden,
verpflichtet uns „weiter zu     die andere bewegen, und auf      die innere Freude wieder-
gehen als geplant…“ Der         ihr Glück zu achten. Es geht     herstellen? Eine Herausfor-
wohlwollende Umgang „mit        um „die Betrachtung des          derung, aber eine, für die
dem anderen“ wird zum brü-      Antlitzes Christi im Ange-       die Vinzentinische Familie
derlichen Umgang „mit dir“.     sicht des obdachlosen Bru-       gut gerüstet ist.

                                              12
Meditation

          Zu echten Dienerinnen
          gehört die Innerlichkeit
           Wie eine Konferenz mit dem heiligen
         Vinzenz von Paul heute ablaufen könnte

U    nser Zwischenzeit-Doku-
     ment (ZZD; Dokument
der Töchter der christlichen
                                 lichen Liebe im 21. Jahr-
                                 hundert zu sein, wagen wir
                                 es, unsere Innerlichkeit noch
Liebe für die Zeit zwischen      mehr zu pflegen.“
den Generalversammlungen)            Davon ausgehend haben
stellt uns die Frage: „Was       die Schwestern des Provinz-
würden uns der heilige Vin-      hauses in Graz nachgedacht,
zenz und die heilige Luise       nachgelesen und Aussprüche
heute in einer neuen Konfe-      des heiligen Vinzenz, auch
renz vorschlagen, um im          Schriftworte, zusammenge-
21. Jahrhundert echtere Die-     tragen, die das ausdrücken,           bindenden Worten, die Herr
nerinnen zu sein?“ Im glei-      was Vinzenz zum Thema                 Portail sprechen könnte,
chen Dokument kann man           „Innerlichkeit“ sagen, ja             ergeben sie ein lebendiges
diese Antwort lesen: „Um         unterstreichen würde. Ein             Gespräch mit „Herrn Vin-
wahre Töchter der christ-        wenig geordnet und mit ver-           zenz heute“:

                                Meine lieben Schwestern!
                            Beginnen wir IN NOMINE DOMINI!

                 Mit großer Freude bin ich
heute mit Herrn Vinzenz bei Ihnen, um Ihnen             Dazu  möchte Herr Vinzenz selbst
                                                         gleich dieses hervorheben: „Die
zu helfen, sich an Worte unseres guten Vaters          Innerlichkeit, meine Schwestern, ist eine
zu erinnern, die Ihre Mitschwestern vor mehr           Haltung des Hingewendet-Seins zu Gott, zu
als 350 Jahren auch schon gehört und Ihnen             allem, was sein Reich angeht, staunende
in den Konferenzen und Briefen überliefert             Freude über seine Größe, seine Barmherzig-
haben. In diesen Worten ist Herr Vinzenz sel-          keit mit den Menschen; daraus fließt die Liebe
ber unter uns, er schaut uns an und freut sich         zum Nächsten aus Liebe zu Gott.“
über jedes Wort, das uns seine Anwesenheit
lebendig werden lässt.
    Wir wollen über die Innerlichkeit sprechen,         Das schreibt auch der hl. Paulus an
                                                         die Korinther: „Die Liebe Christi
denn sie ist die wichtigste Voraussetzung, die         drängt uns, … Denn er ist für alle gestorben,
Basis für wahre Dienerinnen im 21. Jahrhun-            damit die Lebenden nicht mehr für sich
dert.                                                  leben.“ (2 Kor 5,14 + 15)

                                                  13
Meditation

                                                        Das innere Leben ist notwendig. Wenn das
 Und zwei Schwestern wissen zu sagen:
  Das Gebet lag unserem Vater Vinzenz                   fehlt, fehlt alles.“ (SV XII, 130)
ganz besonders am Herzen. Er sagte uns:
„Das innerliche Gebet, meine Töchter, ist eine          Ich denke, dass es Herrn Vinzenz ganz
Erhebung des Herzens und des Geistes zu Gott,           recht ist, wenn wir auch auf einige Gefah-
mit der sich die Seele wie von sich selbst löst,        ren – selbst wenn es viele gibt – zu sprechen
um Gott in ihr zu suchen. Es ist ein Gespräch           kommen. Bitte, Schwestern!
der Seele mit Gott, eine gegenseitige Kommu-
nikation, bei der Gott innerlich der Seele sagt,
was sie nach seinem Willen wissen und tun                Ja,Geistalsder
                                                                     Sie, Herr Vinzenz, über den
                                                                         Welt sprachen, sagten Sie:
soll, und bei der die Seele sagt, was sie nach          „Sehen Sie, liebe Schwestern, solange der Sinn
dem, was er ihr kundtut, erbitten soll.“                einer Barmherzigen Schwester von den Eitelkei-
                                                        ten der Welt in Anspruch genommen ist, ist sie
                                                        auch geneigt, ihm Folge zu leisten. Nun aber ist
 deEineWorte:
         andere Schwester bringt folgen-
               „Die affektive Liebe ent-                es ein untrüglicher Grundsatz Jesu Christi, dass
springt dem Herzen. Der liebende Mensch ist             niemand zwei Herren dienen kann. Wer also
voller Sehnsucht und Zartheit, sieht nur den            vom Geiste der Welt beherrscht ist, der muss
gegenwärtigen Gott … Er fühlt sich von dieser           überzeugt sein, dass er am Geiste Gottes nicht
göttlichen Liebe umfangen und findet keinen             teilhaben kann.“ (25.8.1648) „Hütet euch vor
Geschmack an anderen Gedanken… Wenn                     dem Einfluss des Weltgeistes. Vergesst nicht die
man für Gott arbeitet…, so ist das die effektive        Abtötung, besonders die Beherrschung der
Liebe, die Liebe der Tat.“ (19.9.1649)                  Sinne. Betet, dass ihr nicht in die Versuchung
                                                        der Lauheit fallt. Seid ehrlich miteinander, helft
                                                        einander, kleine Fehler abzulegen.“
 Über diese beiden Formen der Liebe
  wissen wir noch mehr: „Nichts ent-
spricht dem Evangelium mehr als einerseits in                  Schwester meinte dann: „Mein
der Betrachtung, in der Lesung und in der                Eine
                                                          Vater, die Versuchungen können uns
Einsamkeit Licht und Kraft für die Seele zu             dazu verleiten, den Gott gemachten Ver-
sammeln, und andererseits zu den Menschen               sprechungen untreu zu werden. Das scheint
zu gehen und sie an dieser geistlichen Nahrung          mir das erste Unheil zu sein.“ (24.8.1654)
teilhaben zu lassen. Das heißt, handeln, wie
unser Herr getan hat und nach ihm seine
Apostel; das heißt den Dienst der Martha mit             Wieder eine andere erinnerte sich,
                                                          dass Herr Vinzenz gesagt hatte: „Meine
dem der Maria verbinden.“ (SV XI, 40-41)                Schwestern, wie leicht führt doch die Zwietracht
                                                        … an den Rand des Verderbens! Mein Leib bildet
                                                        mit allen seinen Gliedern eine Einheit. Ginge
 Und jetzt dazu ein sehr eindringlicher
  Aufruf von Vater Vinzenz: „[Gebt                      jemand hin und verletzte mir meine Hand durch
acht!] ER ist es, der [im Gebet zu uns] spricht;        einen tiefen Einschnitt ins Fleisch, so würde der
wir müssen aufmerksam hinhören und uns                  Schmerz meinen ganzen Leib in Mitleidenschaft
Gott hingeben, um sein Wort in die Tat                  ziehen. Ebenso verhält es sich mit einer religiösen
umzusetzen. Es heißt: Sucht das Reich Gottes!           Gemeinde. Herrscht bei einigen Zwietracht, so
… Sucht Gott in euch! Sucht das innere Leben.           müssen es alle büßen.“ (24.8.1654)

                                                   14
Meditation

      eine andere: „Das ist ein unver-       er sagte auch: „Meine lieben
 Und
  brüchlicher Grundsatz: Wer vom Geist  Und
                                         Schwestern, sooft Sie das Vaterunser
unseres Herrn beseelt ist, handelt milde und         beten, achten Sie besonders auf das Wort
sanft. Unfreundlich und hart wird dagegen            ‚und führe uns nicht in Versuchung‘, um von
vorgehen, wer sich von den Trieben und vom           unserem Herrn die Gnade zu erbitten, doch ja
bösen Geist drängen lässt.“ (SV IV, 577)             nicht in der Versuchung zu unterliegen. Allen,
                                                     die Gott liebt, bleiben Heimsuchungen nicht
  Dazu meinte eine weitere Schwester:                erspart.“ (24.8.1654)
 „Heute bedarf diese Innerlichkeit großer
Anstrengung und Beharrlichkeit. Der Wohl-              Viele Schwestern erinnerten sich auch
stand und die verschiedenen Medien haben              daran, dass die Einigkeit ein wichtiges
auch bei uns Einzug gehalten und sind                Mittel ist, das das innerliche Leben unter-
Ursache von Ablenkung und Zerstreuung.               stützt: „Mein Herr, ein mächtiger Beweg-
Mehr denn je sollen wir mit der Schöpfung,           grund ist der Gedanke, dass Gott immer da
mit den Mitschwestern achtsam umgehen;               ist, wo der Friede herrscht, weil die Einigkeit
Sanftmut, Hingabe, Herzlichkeit, Freude,             ihn erfreut und zufriedenstellt.“ (26.4.1643)
Offenheit, Bereitschaft, Liebe, Begeisterung
tragen viel zu einer leidenschaftlichen Liebe        „Die Einigkeit ist das Abbild der Allerheiligs-
für Gott und für die Armen bei. Freilich             ten Dreifaltigkeit, die aus drei durch die Liebe
lauern auch Gefahren auf diesem Weg:                 geeinten Personen besteht.“ (26.4.1643)
Resignation, auch Verzweiflung, Gleichgültig-
keit oder wenig Freude an Gott und gött-               Jesus selbst hat um die Einigkeit
lichen Dingen; zu viel Beschäftigung mit sich         gebetet, als er sprach: „Für sie bitte ich;
selber…“                                             … sie sind in der Welt, … Vater, bewahre sie in
                                                     deinem Namen, den du mir gegeben hast,
Hier können wir vielleicht einige Mittel             damit sie eins sind wie wir.“ (Joh 17, 9 f.)
anfügen, die in uns die Innerlichkeit
stärken:                                               „Meine Töchter“, meinte darauf Herr
                                                      Vinzenz , „ich flehe Gott von ganzem

 „Ein Mittel, dem Weltgeist zu ent-
  gehen, besteht darin, dass wir Gott
                                                     Herzen an, er möge Ihnen die Gnade ver-
                                                     leihen, die so notwendige Einigkeit stets im
demütig und inständig bitten, uns dessen             Auge zu behalten.“ (26.4.1643).
Verwerflichkeit erkennen zu lassen, damit wir
einen großen Widerwillen gegen ihn fassen.“
(25.8.1648)                                           Auch die Bedeutung der Hoch-
                                                       achtung wurde von mehreren unter-
                                                     strichen: „Nichts darf die Hochachtung
       „Als Heilmittel dagegen“ – meinte             schmälern, die wir unseren Mitschwestern
      Herr Vinzenz – „empfehle ich Ihnen,           schulden. Man muss immer alles gut auslegen.
meine Töchter, lieben Sie die kleinen Demüti-        So wie der Bischof von Genf zu sagen pflegte:
gungen, die die Vorsehung Ihnen zusendet             ‚Hat eine Sache 100 Gesichter, so muss man
oder die sie dort finden, wo Sie beschäftigt         immer das Schönste davon betrachten.‘“
sind.“ (25.8.1648)                                   (19.8.1646)

                                                15
Meditation

„Gewöhne dich daran, Dinge und Menschen                Ein weiteres Mittel, das die Innerlichkeit
immer und in jedem Falle nach ihrer guten              fördert, ist gewiss die Liebe zu Gott und zum
Seite hin zu beurteilen.“ (Gedrängt von                Nächsten. Auch dazu haben sie etwas zu
Erbarmen, S. 67, 16)                                   sagen, nicht wahr!

„Solange herzliche Hochachtung unter euch                Darauf einige Schwestern: „Die
herrscht, ist euer Haus ein Paradies. Lasst ihr         Bereitschaft, unseren Willen mit dem
es daran fehlen und kommt ihr euch nicht               Willen Gottes in Einklang zu bringen, ruft in
gegenseitig in Liebe zuvor, wird euer Haus wie         uns eine tiefe innere Ruhe hervor, aus der die
eine kleine Hölle sein.“ (SV IX, 27)                   Kraft zu Taten der Nächstenliebe erwächst.“

„Bemüht euch, einander stets mit herzlicher            „Lieben wir Gott, aber mit der Kraft unserer
Hochachtung zu begegnen, die sich durch ein            Arme und im Schweiße unseres Angesichtes.“
frohes Gesicht kundtut… Die Hauptsache                 (Gedrängt von Erbarmen, S. 96, 12.)
ist, dass ihr ein frohes Gesicht zeigt… Wollte
jemand seinen albernen Gefühlen freien Lauf
lassen, dann könntet ihr etwas Schönes er-              Da meldete sich Herr Vinzenz zu
                                                         Wort. Er sagte: „Denkt wohl daran,
leben. Selbstbeherrschung! Darauf kommt                meine Schwestern, die Armen sind unsere
es an.“ (SV IX, 158)                                   Herren und Meister! Das habe ich schon oft
                                                       gesagt! Es genügt nicht, dass ich Gott liebe,
                                                       wenn mein Nächster ihn nicht liebt! Ich
                                                       bitte euch auch vielmals, eure festgefahrenen
     »Denkt wohl daran, meine                          Gewohnheiten aufzugeben, loszulassen,
    Schwestern, die Armen sind                         und mit Vertrauen, Hochherzigkeit und
                                                       Begeisterung authentische DIENERINNEN
    unsere Herren und Meister!«                        für die Armen jeder Art von heute zu sein.“

Kommen wir noch auf eine andere wichtige                Da  es wirklich spät geworden ist,
                                                         bitten wir Herrn Vinzenz um
Haltung zu sprechen, nämlich die Tugend                seinen Segen: „Ich bitte unseren Herrn, dass
der Demut. Bitte, Schwestern!                          er Sie segne…, damit Sie weiterhin in seinem
                                                       Geiste leben… Meine Töchter, zur Erlangung

 „In dem Maße, als wir leer werden
  von unserem Ich, wird Gott selbst uns
                                                       dieser Gnade nehmen wir unsere Zuflucht
                                                       zur Mutter der Barmherzigkeit, … Ihrer
ausfüllen, denn ER mag die Leere nicht.“               großen Schutzherrin… Stellen wir uns unter
(Gedrängt von Erbarmen, S. 124, 4.)                    ihre Führung, … damit sie die Führerin der
                                                       Genossenschaft und jeder einzelnen Schwester
„Die Demut, die Christus … uns so oft emp-             sei. Benedictio Domini descendat super vos
fiehlt, ist das Fundament der gesamten Voll-           et maneat semper. Amen.“ (8.12.1658; SV X,
kommenheit im Sinne des Evangeliums. Sie ist           623)
die Klammer, die das ganze geistliche Leben zu-
sammenhält.“ (Gedrängt von Erbarmen, S. 62)                                     Sr. Christa Bauer, Graz-Paris

                                                  16
Meditation

          Elisabeth Anna Seton –
         eine zweite heilige Luise?

In diesem Jahr will ich für
 meine Meditationen zur
vinzentinischen Spiritualität
                                 kanerin. Wir alle sagen dies
                                 mit besonderer Freude und
                                 mit der Absicht, das Land
verschiedene vinzentinische      und die Nation zu ehren, aus
Heilige und Selige vorstellen,   der sie als erste Blume im Ka-
die bei uns nicht so bekannt     lender der Heiligen hervor-
sind. Dabei lasse ich mich       ging. Elizabeth Ann Seton war
von dem Gedanken leiten,         völlig amerikanisch! Freue
wie sie im Geist des hl. Vin-    dich auf deine ruhmvolle
zenz und der hl. Luise ge-       Tochter. Sei stolz auf sie. Und   Die hl. Elisabeth Anna Seton
wirkt haben.                     wisse, wie man sein frucht-       lebte nach der Spiritualität des
                                                                   hl. Vinzenz von Paul
    Als ich eine Beschreibung    bares Erbe bewahren kann.“
des Lebens und Wirkens der       Dies sagte Papst Paul VI bei
hl. Elisabeth Anna Seton         der Heiligsprechung von Eli-      che in New York getauft. Im
gelesen habe, hat mich dies      zabeth Ann Seton am 14. Sep-      Alter von drei Jahren verlor
spontan an das Leben und         tember 1975. Wer war Eliza-       sie ihre Mutter. Der Vater
Wirken der hl. Luise erin-       beth Ann Seton?                   heiratete ein zweites Mal,
nert. Da die Gemeinschaft,                                         aber die Stiefmutter brachte
die von der hl. Elisabeth        Kindheit                          den Kindern aus der ers-
Anna Seton gegründet wurde,      Elizabeth Ann Bayley wurde        ten Ehe ihres Mannes nur
nach der Spiritualität des       am 28. August 1774 als            Ablehnung und Kühle entge-
hl. Vinzenz lebt und sie         zweites Kind von Dr. Richard      gen. Da ihr Vater viel auf
damit zur Vinzentinischen        Bayley und Catherine Charl-       Geschäftsreisen war, wurde
Familie gehört, will ich         ton in New York geboren.          Elizabeth Ann ein einsames
Ihnen gerne diese vinzenti-      Ihr Vater, Dr. Richard Bay-       Kind, das sich immer mehr
                                                                   nach innen zurückzog.
  »Sie las gerne in der Bibel und                                  Elizabeth las gerne in der
                                                                   Bibel und versenkte sich in
versenkte sich in die Welt Gottes.«                                die Welt Gottes, die sie auch
                                                                   in der Natur als wunder-
nische Heilige vorstellen.       ley, war ein berühmter Arzt       bares Schauspiel der Liebe
Die Gemeinschaft der „Barm-      und gesuchter Spezialist auf      und Schöpferkraft Gottes
herzigen Schwestern vom          dem Gebiet der Bekämpfung         verstand.
hl. Josef “, die sie gründete,   des tückischen Gelbfiebers;           Die Schwierigkeiten mit
hat sich später dem Mutter-      ihre Mutter Catherine war         ihrer Stiefmutter nahmen
haus in Paris angeschlossen.     die Tochter eines tiefgläubi-     mit zunehmendem Alter zu,
    „Elizabeth Ann Seton ist     gen Geistlichen der Episko-       was ihrem Vater sehr leid tat.
eine Heilige. St. Elizabeth      palkirche. Elizabeth Ann
Ann Seton ist eine Ameri-        wurde in der Episkopalkir-        k Weiter auf Seite 20

                                               17
Bildmeditation

        EINE
Botschaft
  VON BESTAND

         A    n der Kanzel der Dorf-
              kirche in Hirschberg/
         Ostwestfalen sind die vier
                                          Vorgestern geschrieben,
                                          vor über 2000 Jahren; in
                                          einer Zeit, wo das Schreiben
         Evangelisten dargestellt. Wie    etwas ganz Besonderes war,
         gut, dass sie damals das Leben   um Inhalte für die Zukunft
         Jesu, seine Worte und Hand-      zu bewahren…
         lungen aufgeschrieben haben.
                                          Für heute richtungs-
                                          weisend, da die vier Evange-
»Immer wieder Gegenstand                  listen Grundhaltungen im
                                          Glaubensleben verkünden,
der täglichen Besinnung.«                 die für die Lebensgestaltung
                                          jederzeit hilfreich sind…

         Für uns Christen sind sie auch   Mit Ewigkeitswert, der
         heute immer noch wichtig         auf dem Weg in die Zukunft
         für die Lebensgestaltung im      die Hoffnung stärkt, auf
         Glauben und daher immer          dem Weg zu bleiben, um
         wieder Gegenstand der täg-       einmal im Reich Gottes an-
         lichen Besinnung.                zukommen…
                                                       Text: Sr. Ursula Bittner
                                                          Foto: Heidi Bittner

                                18
19
Meditation

                                                                        Mann zurück zu Gott und
                                                                        findet bei IHM Kraft und
                                                                        Trost in seiner fortschrei-
                                                                        tenden Krankheit. Elizabeth
                                                                        bringt dies einmal so ins
                                                                        Wort: „Mir kommt es vor,
                                                                        seit Wills Herz näher bei Gott
                                                                        ist, ist es auch näher bei mir.“
                                                                        Ihr Mann stirbt in Italien
                                                                        Elizabeth begleitete ihren
                                                                        Mann William auf einer Ge-
                                                                        schäftsreise nach Italien, von
                                                                        der er nicht mehr zurückkeh-
Statue der hl. Elisabeth Anna Seton                                     ren sollte. Er starb in Italien
                                                                        am 29. Dezember 1803, nach-
Er versuchte, mit Elizabeth           bekam ihr Mann das Gelb-          dem er noch seine Geschäfts-
im Briefkontakt zu bleiben,           fieber und auch die beiden        freunde besucht hatte. Eliza-
wenn er auf Geschäftsreisen           älteren Kinder erkrankten         beth ist am Boden zerstört
war, was aber nicht verhin-           daran. Die Sorgen Elizabeths      und weiß nicht mehr, wo sie
dern konnte, dass Elizabeth           waren groß. Einer Freundin        sich hinwenden soll. Gerade
in der eigenen Familie                gegenüber sagte sie in dieser     in dieser schweren Zeit lernt
immer mehr vereinsamte.               Zeit: „Ich opfere Gegenwart       sie die Geschäftsfreunde ihres
Von daher ist es vielleicht           und Zukunft IHM auf, der          Mannes als treue und hilfs-
verständlich, dass sie schon          Schöpfer und Hüter von            bereite Freunde kennen und
mit 19 Jahren, am 24. Januar          beiden ist.“                      lieben. Diese italienischen
1794, William Magee Seton                 Am 17. August 1801            Freunde waren katholisch
heiratete, den ältesten Sohn          stirbt ihr geliebter Vater, Dr.   und nahmen Elizabeth mit in
eines der reichsten Importeu-         Bayley, am Gelbfieber, das        die Gottesdienste, dort lernte
re von New York. William              er zeitlebens bei anderen         sie die Eucharistiefeier ken-
war hochgebildet, hatte ein           erfolgreich bekämpft hat. Als     nen und immer mehr lieben.
heiteres Wesen und war ein
rechtschaffener Mann. Wie
sich später herausstellte, litt
                                                 »Ich opfere Gegenwart
ihr Mann damals schon an                         und Zukunft IHM auf.«
Tuberkulose. Dieser Ehe wur-
den fünf Kinder geschenkt.            ihre jüngste Tochter zur Welt     Sie wuchs immer mehr in der
Als 1798 ihr Schwiegervater           kommt, ist die Krankheit          Überzeugung, dass Jesus im
starb, musste Elizabeths              ihres Mannes nicht mehr zu        Sakrament des Altares real
Mann die Geschäfte seines             übersehen. Elizabeth betet        gegenwärtig ist. Einer der
Vaters übernehmen. Bei der            viel für ihren Mann, auch um      Geschäftsfreunde fuhr mit
Geburt des dritten Kindes             Sorge für sein Seelenheil, und    ihr zurück nach Amerika.
wäre Elizabeth fast gestor-           bittet auch andere, für ihn zu    Auf dieser langen Schiffsreise
ben. Etwa zur gleichen Zeit           beten. Tatsächlich findet ihr     erfuhr Elizabeth von ihm

                                                    20
Meditation/Gebete

viel über den katholischen         1809 legten diese drei Frauen          starb im 47. Lebensjahr am
Glauben.                           für ein Jahr die Gelübde der           04.01.1821. Ihre tiefe Fröm-
    Zurück in New York will        Armut, der Keuschheit und              migkeit war stets auf Gott
Elizabeth zur katholischen         des Gehorsams ab.                      ausgerichtet und darauf, sei-
Kirche konvertieren, worüber           Diese neue Gemeinschaft            nen Willen zu erfüllen durch
ihre Angehörigen empört            ließ sich von der Spiritualität        alles Ringen und Leiden
sind. Doch am 14.03.1805           des hl. Vinzenz inspirieren            hindurch. Sie hatte ein war-
tritt Elizabeth zur katholi-       und verinnerlichte diese               mes, mütterliches Herz und
schen Kirche über und ist          auch im Blick auf ihre Werke,          war sehr praktisch veranlagt.
überglücklich. Sie schreibt        in denen sie sich benachteilig-        Sie war es, die die jungen
darüber: „Endlich ist Gott bei     ten Kindern und Jugendlichen           Schwestern prägte und form-
mir und ich bin in IHM. Jetzt      und Armen aller Schattierun-           te in ihrem geistlichen Leben
kann alles gut weitergehen,        gen widmete. Deshalb wird              und in ihrem Dienst bei den
ich gehöre ganz IHM.“              die hl. Elizabeth Ann Seton            Armen und benachteiligten
    Elizabeth geht nun ihren       gern mit Kindern abgebildet.           Kindern.
Weg mit Gott. Die tägliche         Durch das heiligmäßige Le-                 Elizabeth Ann Seton
Hl. Messe ist ihr ein Herzens-     ben von Elizabeth und ihren            wurde am 17. März 1963
anliegen und mit Erlaubnis         ersten Gefährtinnen wuchs              selig- und am 14. September
ihres Seelenführers darf sie       die Gemeinschaft sehr rasch,           1975 als erste Amerikanerin
auch täglich kommunizieren.        so dass sie noch zu ihren              heiliggesprochen. 
Sie liest und betrachtet viel      Lebzeiten 1.100 Mitglieder              Sr. M. Karin Weber, Untermarchtal
in der Bibel. In Baltimore         zählte. Mutter Elizabeth Ann           Text-/Bildquelle: https://setonshrine.org/
eröffnet sie eine katholische      Seton, wie sie genannt wurde,          elizabeth-ann-seton
Schule, weil sie die Bildung
und Erziehung im katholi-
schen Glauben als Basis                  Tischgebete mit Worten des hl. Vinzenz
für die Kinder unerlässlich
findet. Ihre drei Töchter sind                            Vor dem Mittagessen
mit ihr dabei. Am 8. Dezem-          Wieder haben wir uns um den Tisch versammelt, um gemein-
ber 1808 schließen sich ihr          sam das Mittagessen einzunehmen, um verbrauchte Kräfte zu
zwei Frauen an, die ihr im           erneuern und uns für Kommendes zu stärken. Wir tun es immer
Schuldienst helfen wollen.           wieder – seit Tagen, Wochen, Monaten, Jahren. Das ist ganz im
                                     Sinn des hl. Vinzenz, der sagte: „Welch ein Glück ist es, an dem
Erste Gründung                       Platz auszuharren, an den uns Gott gestellt hat!“ Auf die Für-
                                     sprache unseres Heiligen segne uns und diese Gaben der gute
Elizabeth spürt immer mehr
                                     Gott: „Im Namen des Vaters...“
in sich die Berufung zum
Ordensleben. So gründet sie                               Nach dem Mittagessen
mit dieser kleinen Gemein-           Gott, durch diese Gaben haben wir uns wieder für Kommen-
schaft die „Schwestern der           des gestärkt. Mach uns offen und bereit für all das, was noch an
Barmherzigkeit vom heiligen          diesem Tag sein wird, denn „was sich ohne unser Zutun und
Josef “, die erste religiöse Ge-     Wünschen ereignet, zeigt am besten Gottes Willen an.“ Diese Fest-
meinschaft für Frauen, die in        stellung des hl. Vinzenz stärke unser Vertrauen auf Gott und seine
den Vereinigten Staaten ge-          Wegbegleitung durch diesen Tag. Amen!              Sr. Ursula Bittner
gründet wurde. Am 25. März

                                                   21
Aus unserer Geschichte

                                                                 einen Punkt zusammenlau-
                                                                 fen: Wie können wir unsere
                                                                 Berufung als Barmherzige
                                                                 Schwester jetzt und hier
                                                                 glaubwürdig und erfüllt
                                                                 leben?
                                                                 Blitzlichter auf die
                                                                 spirituelle Prägung
                                                                 Wie wir gesehen haben, fällt
                                                                 die Lebenszeit von Sr. Vin-
                                                                 zenz Sultzer in eine bewegte
                                                                 Epoche: In dieser Zeit war –
                                                                 wenn wir die Spiritualitäts-
                                                                 geschichte betrachten – nicht
                                                                 viel Raum für große Ge-
                                                                 danken und neue Impulse.
                                                                 „Nach den Zerstörungen der
                                                                 Revolution und nach den
                                                                 napoleonischen Kriegen war
                     Zum 150. Todestag (4)                       der Wiederaufbau vordring-
                                                                 liche Aufgabe; die karita-
                                                                 tiven, sozialen und gesell-
               Bleibendes Erbe –                                 schaftlichen Aktivitäten der
             Vinzentinische Werte                                Christen hatten eindeutig
                                                                 Priorität vor dem geistlichen
              Was uns Mutter Vinzenz Sultzer                     Schrifttum.“ Es kann uns
              für heute mit auf den Weg gibt                     also nicht wundern, eine
                                                                 sehr tatkräftige und aktive
                                                                 Frau vor uns zu sehen.

A    m 22. September 2018
     fand in Straßburg ein
Symposium anlässlich des
                                 kaum aus einem rein auf die
                                 Vergangenheit gerichteten
                                 Interesse. Wir fragen diese
                                                                     Dennoch finden wir in
                                                                 ihren Briefen eindeutige
                                                                 Hinweise, dass es für die
150. Todestages der Straß-       Gründermutter unserer Ge-       Vitalität und Tatkraft einen
burger Generaloberin Mut-        meinschaften doch eher nach     soliden Boden, eine haltge-
ter Vinzenz Sultzer statt. Mit   dem, was sie uns für heute      bende Verwurzelung in der
dem Symposiumsvortrag            mit auf den Weg gibt – was      ausdrücklich vinzentinischen
„Bleibendes Erbe – Vinzen-       wir von ihr lernen können,      Spiritualität gibt. Wir bewe-
tinische Werte“ beenden          wie wir, von ihr inspiriert,    gen uns damit auf bekannte-
wir die heute-Serie über die     Antworten auf die Fragen        rem Terrain, das nach dem
Gründermutter.                   unserer Zeit finden – die auf   „Liebe sei Tat“ des heiligen
    Wenn wir uns mit dieser      den ersten Blick vielleicht     Vinzenz klingt. Wir können
historischen Persönlichkeit      ganz andere sein mögen, im      zudem feststellen, dass die
befassen, tun wir das ja wohl    Kern aber immer auf den         Spiritualität der Nachrevolu-

                                              22
Aus unserer Geschichte

tionszeit stark auf den Fun-    nene – „Schuldigkeit                      Dazu kommt, ebenfalls
damenten der Französischen      Büchel“, das bereits im Jahr          ausdrücklich genannt, das
Schule aufbaut, in der so-      1789 in Hagenau publiziert            „Unterweissungs-Buch“,
wohl Vinzenz als „Schüler“      wurde. Dieses Werk bietet             herausgegeben 1821. Dieses
des hier prägenden Bérulle      den Schwestern 12 Betrach-            ist bei Weitem umfangreicher
als auch Luise beheimatet       tungen an, die ihnen helfen           als das Schuldigkeitsbüchel
waren. Wir kommen also auf      sollen, den Geist ihres               und lässt deutlich erkennen,
diesem Weg auch dem Grün-       Dienstes tiefer zu erfassen.          dass die Gemeinschaft in
dungscharisma sehr nahe.        Das Leben als Barmherzige             den Jahren nach der Revo-
                                                                      lution eine feste Struktur
                                                                      als geistliche Gemeinschaft
»Suche sie alles auf Gott zu richten.«                                bekommen hat und das
                                                                      Hauptaugenmerk nun auf
Das Gebetsleben, das die        Schwester und ihr Dienst ist          der Gestaltung des geistli-
französische Schule pflegt,     vor allem Teil eines liebevol-        chen Lebens liegt. War beim
verbindet kontemplative         len Dialogs, eine Antwort             Schuldigkeitsbüchel der
Elemente mit dem Aufruf         der Dankbarkeit: „O grund-            Dreh-und Angelpunkt die
zum Handeln. Zudem ist die      gütiger Gott! wie mildherzig          Dankbarkeit für die Erfah-
Hinwendung zu Christus ein      und geschwind hast du mei-            rung der Barmherzigkeit
Kernthema.                      ne Fehler und Uibelthaten             von Gott her, aus der die
    Die optimistische Auf-      vergessen! mein Leib, meine           eigene Dienstbereitschaft
bruchstimmung, die die          Seele, mein ganzes Leben              als Antwort reift, klingt die
Französische Schule des         sollen dir zu einem schul-            Sprache hier strenger. Das
„Grand Siècle“ kennzeichnet,    digen Dankopfer gewidmet              Ordensleben, das durchge-
bleibt nicht in Vollform        seyn.“                                hend als ein Leben der Abtö-
wirksam. Als Antwort auf            Der Blick auf Jesus Chris-        tung geschildert wird, als
die aufkommenden aufklä-        tus wird vertieft mit dem             Weg der Nachfolge, der sich
rerischen Tendenzen und die     Werk „Nachfolge Christi“,             maßgeblich am Aufnehmen
Sehnsucht nach einer klaren     das Schwester Vinzenz ihren           des eigenen Kreuzes fest-
Ordnung als Gegenbild zu        Anvertrauten immer wieder             macht, hat das Ziel, die Voll-
den Wirren der Revolution       zur Betrachtung empfiehlt.
kommt es zu Bewegungen
der Restauration. Diese Span-
nung lässt sich auch in den        Titelseite des
spirituellen Quellen, die Sr.      Schuldigkeitsbüchels
Vinzenz Sultzer genutzt hat,
nachvollziehen. Wir wissen         Gottselige Erwägungen über
aus ihren Briefen, aus wel-        die Fürtrefflichkeit des Standes
chen geistlichen Werken sie        und die Schuldigkeit der
vornehmlich geschöpft hat.         Personen, welche sich aus Liebe
                                   Gottes und des Nächsten zum
Die spirituellen Quellen           Dienste der Armen und Kranken in
Da ist zunächst das – noch         Spitälern gewidmet haben
vor der Revolution erschie-

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