Amit Sharma "Meine Musik ist meine Mission" - Lassalle-Haus
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Amit Sharma «Meine Musik ist meine Mission» Der indische Dhrupad-Sänger Amit Sharma ist ein Verfechter des reinen Tons. Er stammt aus einer traditionellen Musikerfamilie und lebt seit 2012 in Zürich. Heute ist er ein gefragter Performer, Lehrer und Kenner einer jahrtausendealten spirituellen Gesangs- kunst, welche dieselben Wurzeln hat wie Yoga. Text: Irène Fasel I Bilder: Aana M. Sharma, Michela Di Sabino 14 | P or t r ät
« Der Ton muss rein sein.» S timme und Instrument sind on und Virtuosität. Alsbald ist ein klangvolles AUM hörbar, eins, wenn Amit Sharma zu das zu OM wird und wie ein zarter Vogel durch den Raum singen beginnt. Nachdem er schwingt. «Du singst eine Stunde und bist in dieser Aura. die Tanpura – eine Langhalslaute – Körper, Geist und Seele finden sich in einer Linie, alles gestimmt hat, gibt er mit der rechten wird verbunden. Das ist Yoga.» Hand die Melodie vor. Langsam er- hebt sich der Ton aus der Tiefe seines Anfänge am Königshof Körpers. «Der Ton muss rein sein», Um so weit zu kommen, musste er einen langen Weg be- lautet seine simple Erklärung. So schreiten. Angefangen hat alles in bestem Sinne: am kö- rein, dass die beiden Klangkörper ein niglichen Hof von Rewa, der «Stadt der weissen Tiger» in Ganzes bilden. Madhya Pradesh, 200 Kilometer von Varanasi entfernt. Amit lässt zunächst ein subtiles, zag- Amit gab mit 14 Jahren seine erste Soloperformance vor haftes AAA verströmen. Er hört in dem König, dessen Hofsänger sein Grossvater Kanheya sich hinein, findet den Ton, den ihm Lal Bandhavi war. Dieser legte all seine Hoffnung in Amit, das Instrument vorgibt. Dann erst die Dhrupad-Musik in seiner Familie weiterzugeben. nimmt die Stimme – stets begleitet Er war es auch, der seinen Enkel in die Kunst und Philo- von der Melodie der Tanpura – Volu- sophie des Gesangs einführte. Amit lernte von seinem men auf, er beginnt zu modulieren, neunten Lebensjahr an bis zu dessen Tod an seiner Seite. variiert in Tonhöhen und Lauten, ge- Die Familie war damals sehr wohlhabend, sodass auch tragen von einer unsagbaren Präzisi- die Frauen zur Schule gehen konnten, was in den Siebzi- Dhrupad-Gesang if. Dhrupad bedeutet «festgelegter Pfad». Es handelt sich um eine Sie werden in teils grosser Schnelligkeit artikuliert, die eine Richtung indischer Musik, die sich aus der Rezitation der Veden besondere Fertigkeit voraussetzt. Auch da zählt der Ton, nicht der entwickelt hat. Ursprünglich war dieser Gesang mit der Überlieferung Inhalt. Es ist der innere Ton, der zugleich nach innen führt. Sinn des der Sama-Veden verbunden, in Nordindien hat er sich zur musikali- Dhrupad-Gesangs ist nicht Unterhaltung, sondern Verinnerlichung. schen Form der spirituellen Dichtung der Bhakti-Bewegung Und damit eine rein meditative Praxis. weitergebildet. Unter der Herrschaft der Moguln gelangte er an die Die instrumentale Begleitung ist zunächst die Tanpura, eine Königshöfe und wurde zum vorherrschenden musikalischen Stil Langhalslaute. Sie gibt den Ton an, dessen Umfang sich über zweiein- Nordindiens. halb Oktaven erstrecken kann. Den Rhythmus bestimmt eine Diese jahrtausendealte Tradition liegt dem Dhrupad-Gesang Trommel, Tabla oder Pakhawaj. Eine strenge Folge von Tönen ist zugrunde, der heute in Konzertsälen vorgetragen wird. Dhrupad gilt vorgegeben, Raga genannt: eine Melodie. Mehr und mehr verdichten als strengster Vokalstil in der indischen Kunstmusiktradition. Er ist als sich Rhythmus und Tonhöhe und werden mit vielen Ornamentierun- kontinuierliche Steigerung arrangiert, vom tiefen, metrumfreien zum gen und Modulationen ausgezeichnet. Der Gesang nutzt sämtliche hohen rhythmischen Gesang. Wann und in welcher Reihenfolge die spieltechnischen Möglichkeiten und endet schliesslich in einem Töne, Verbindungen und Ornamente gesungen werden dürfen, ist Refrain. genau definiert. Dies bedeutet ein striktes und ausgeklügeltes Regelwerk mit zugleich grosser künstlerischer Freiheit. Weiterführend: Am Anfang war der Klang, der reine Ton. Dies wird in der klassischen www.dhrupad.ch indischen Musik bis heute gelehrt. Zum Gesang kam erst in zweiter Instanz das Wort hinzu, genauer gesagt, inhaltlose Silben. Am it S h a r ma | 15
Der Meister und sein Instrument: Amit Sharma mit seinem Lehrer Z.F. Dagar: Mit der Geste des «Charanspars» Amit Sharma mit Tanpura. erweist Amit ihm seinen Respekt und erhält damit dessen Segen. gerjahren noch eine Ausnahme war. Die Grossmutter lei- «Als Sänger muss man sehr beschei- tete selbst eine Schule, ihre Tochter und Enkelin traten in den sein. Musik ist ein Versuch, eine dieselben Fussstapfen. Für die Söhne war eine gute Aus- Beziehung aus dem Herzen zu schaf- bildung eine Selbstverständlichkeit. Auch Amit schloss fen. Es geht nicht darum, sein Ego seine musikalische Ausbildung mit einem Master ab, ab- aufzubauen oder gar stolz auf sich zu solvierte zudem ein Studium in Computerprogrammie- sein. ‹Get emotional, get connected›», rung und Wirtschaft. ist seine Devise. Gefühl ist alles. Nach dem Tod seines Grossvaters kamen Amit grosse Die Gundecha Brothers, ein Trio be- Zweifel: «Musik war in mir, doch wohin sollte ich ge- stehend aus zwei Sängern und einem hen?», fragte er sich. Bis eines Tages sein Vater mit ei- Trommelspieler, waren seine nächs- nem Zeitungsinserat erschien und zu ihm sagte: «Dahin ten Lehrer und Arbeitgeber. Amit trat gehst du.» Gesucht wurde ein Lehrer und Sänger für zusammen mit ihnen auf, war aber klassische indische Musik an einer Schule in der Haupt- auch ihr Manager. Er betreute ihre stadt Bhopal, die 600 Kilometer vom Elternhaus entfernt ausländischen Studenten, für die er lag. Der Entscheid, die Familie zu verlassen, fiel dem die Formalitäten regelte. Da lernte er 18-Jährigen nicht leicht. Doch er erhielt die Stelle unmit- seine zukünftige Frau Aana kennen, telbar nach dem Vorsingen vor einer Jury. Lächelnd sagt eine Schweizer Ingenieurin, die ih- er heute, manche hätten lieber einen unerfahrenen Kan- rerseits seit vier Jahren in Indien didaten angestellt, denn es sei einfacher, ein leeres Glas Dhrupad lernte. Bald entschieden sie, zu füllen als ein volles. ihr Leben gemeinsam zu führen und heirateten. Da Amit sich damit einer Gefühl ist alles von der Gemeinschaft des Gurus ge- «Ich erhielt 700 Rupien, was sehr wenig ist, aber von planten, für sie strategisch wichtigen dem Wenigen konnte ich sogar sparen, um Konzerte zu Heirat widersetzte, wurde das junge besuchen.» Er kaufte sich ein Fahrrad, vermied so Trans- Paar ausgeschlossen. Amit und Aana portkosten und lebte sehr einfach. In Bhopal versuchten in der Folge, in Indien zu « Als Sänger fand er seinen nächsten Lehrer, Z. F. Dagar. Das indische Schulsystem erfordert eine leben, was aber scheiterte. Korrupti- on und die Gesundheitsprobleme ih- muss man be- sehr enge, persönliche Beziehung zwischen res Sohnes zwangen sie schliesslich Lehrer und Schüler. Der Unterricht begann in die Knie. So reifte in Amit der Ent- scheiden sein. » morgens um 4 Uhr. «Der Beginn war fix und schluss, es in der Schweiz zu versu- immer gleich, das Ende wurde vom Lehrer chen. Aana hatte für ihn eine Kon- bestimmt. Du kannst nicht sagen, ich gehe jetzt.» Tägli- zerttournee in Europa organisiert. ches Lernen und Üben, manchmal bis zu zwölf Stunden, Im Jahre 2012 kamen sie gemeinsam 365 Tage im Jahr, und das während vier Jahren. Es war definitiv nach Zürich, wo sie ein Zen- eine strenge Schule, aber das einzig Richtige für Amit. trum für «Indian Music» gründeten. 16 | P or t r ät
« Wenn du müde bist, kannst du nicht singen.» Amit und Aana Sharma in concert. Harter Einstieg in der Schweiz Musik, die nach innen führt Der Einstieg war Knochenarbeit: Deutsch lernen, zu- «Wir lehren zu hören. Das ist der Anfang. Wir bereiten nächst Arbeitslosigkeit und Engagements mit Konzerten die Basis vor, auch die mentale Grundlage.» Dhrupad ist und Workshops, die anfänglich wenig Erfolg zeigten. Wie- eine Gesangskultur, die auf dem reinen Ton basiert. Sie der war die Überprüfung der eigenen Einstellung ge- ist eine spirituelle Musik, die nicht Unterhaltung bietet, fragt: «Wenn du innerlich ruhig bist, siehst du die Dinge sondern die Menschen – Zuhörer und Sänger – nach in- auf eine andere Art.» Nur so konnte er die Herausforde- nen führt. Oder, wie es eine Schülerin treffend formuliert: rungen managen. In der Folge hat sich Amit mit ver- «In Amits Gesangsstunden erfährt man den direkten Zu- schiedenen Jobs vom Kellner, Nachtwächter und sozialen gang zu seiner natürlichen Stimme.» Und wen die Ver- Betreuer bis zum Klassenassistenten an Schulen hochge- bindung zwischen Yoga und Stimme interessiert, ist in arbeitet. Für die Musik blieb ihm jedoch fast keine Zeit seinen Nada-Yoga-Kursen bestens aufgehoben. mehr. «Wenn du müde bist, kannst du nicht singen.» In seiner Musik lebt Amit Sharma für seine Mission, die Trotzdem hat Amit eisern weitergeübt. er von seinem Grossvater ererbt hat: die Tradition des Doch es gab auch Lichtblicke: Schon zwei Jahre nach sei- Dhrupad-Gesangs zu erhalten, in immer neuen Improvi- ner Ankunft in der Schweiz durfte Amit in der Villa Rieter sationen und Kompositionen weiterzuentwickeln und singen – dem Prestigeort für klassische indische Musik in diese einzigartige Kultur seines Heimatlandes, gemein- der Schweiz. Zudem wuchs die Zahl seiner Schüler, und sam mit seiner Frau Aana, an die Nachwelt weiterzuge- er konnte verschiedenste Konzerte und Workshops ge- ben. ben, so auch im Lassalle-Haus bei Menzingen (ZG). Im Ob sein Grossvater wohl stolz auf Amit wäre? «Er würde Sommer 2019 konnte er das Arbeitspensum seines Ne- uns wohl einige Dhrupad-Konzerte mehr wünschen», benjobs reduzieren. Plötzlich kam Bewegung in sein Le- meint Amit. Im Geheimen schwingt die Hoffnung mit, ben. Jetzt hatte er wieder mehr Zeit für die Musik, für endlich auch im Westen entdeckt zu werden. Das bleibt das Eigentliche in seinem Leben, das was ihm am Herzen ihm zu wünschen. liegt. Amit sieht sich nicht als Showman: «Ich kann auftreten, aber nicht reden.» Sein Leben und seine Wahrnehmung sind nach innen orientiert. Und doch ist er ein perfekter Lehrer. Er unterrichtet nicht nur die klassische indische Musik seiner Heimat, zu ihm kommen auch Gesangs- www.indianmusicandfood.ch schüler, die ihre eigene Stimme finden wollen. In beidem www.lassalle-haus.org: ist er ein Meister. Nada-Yoga (Yoga des Klangs): 3.– 5. April 2020 Nada-Natya-Yoga (Yoga des Klangs und Tanz): 27.– 30. September 2020 Am it S h a r ma | 17
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