Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner - Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023
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IWH Online 1/2019 Mai 2019 Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023
IWH Online 1/2019 Impressum In der Reihe „IWH Online“ erscheinen aktuelle Manuskripte der IWH-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler zeitnah online. Die Bände umfassen Gutachten, Studien, Analysen und Berichterstattungen. Kontakt Professor Dr. Oliver Holtemöller Tel +49 345 77 53 800 Fax +49 345 77 53 799 E-Mail: oliver.holtemoeller@iwh-halle.de Bearbeiter Dr. Andrej Drygalla Professor Dr. Oliver Holtemöller Dr. Axel Lindner Diese Studie wurde von der Volkswagen Financial Services AG in Auftrag gegeben und finanziert. Herausgeber Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) Geschäftsführender Vorstand Prof. Reint E. Gropp, Ph.D. Prof. Dr. Oliver Holtemöller Dr. Tankred Schuhmann Hausanschrift Kleine Märkerstraße 8 D-06108 Halle (Saale) Postanschrift Postfach 11 03 61 D-06017 Halle (Saale) Tel +49 345 7753 60 Fax +49 345 7753 820 www.iwh-halle.de Alle Rechte vorbehalten Zitierhinweis Drygalla, Andrej; Holtemöller, Oliver; Lindner, Axel: Internationale Konjunkturprognose und kon- junkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023. IWH Online 1/2019. Halle (Saale) 2019. ISSN 2195-7169 II
IWH Online 1/2019 Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023 Halle (Saale), 30.10.2018 III
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Stressszenarien für die Jahre 2018 bis 2023 Zusammenfassung Speziell für die Konjunktur in Europa sind zwei Risiken zu nennen: zum einen die Möglichkeit In der vorliegenden Studie werden zunächst eines ungeordneten Austritts Großbritanniens die weltweiten konjunkturellen Aussichten für aus der EU im Frühjahr 2019, zum anderen ei- das Ende des Jahres 2018 und für die Jahre ne neue Schuldenkrise, falls die Regierung Itali- 2019 bis 2023 dargestellt. Dabei wird folgen- ens ihre expansiven finanzpolitischen Vorhaben der Länderkreis betrachtet: Deutschland, Frank- in großem Stil umsetzt und dabei weiter Vertrau- reich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Ita- en der Finanzmärkte in die Solvenz des italieni- lien, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, schen Staates verspielt. Slowakei, Spanien und Tschechien. Die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick- Im Herbst 2018 sind die Unsicherheiten über lung in dem betrachteten Länderkreis (Basis- den Fortgang der Weltkonjunktur groß. Bis szenario) wird anhand grundlegender volkswirt- zum Sommer expandierte die globale Produk- schaftlicher Kennzahlen, etwa der Zuwachsra- tion zwar weiterhin recht kräftig. In den meis- te des Bruttoinlandsprodukts, beschrieben. Es ten Ländern schätzen die Unternehmen aber ge- wird auch die Entwicklung für den Fall skiz- genwärtig ihre Geschäftslage deutlich weniger ziert, dass die Weltwirtschaft eine ungünstige, günstig ein als in der ersten Jahreshälfte, und im eine sehr ungünstige Wendung (mittelschweres Oktober haben die Aktienbewertungen weltweit und schweres Negativszenario), oder auch eine deutlich nachgegeben. Auch stellen sich nun- günstige Wendung nimmt (Positivszenario). Das mehr die finanziellen Rahmenbedingungen für mittelschwere Negativszenario ist so gewählt, die Schwellenländer aufgrund eines Rückzugs dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der von internationalen Investoren schlechter dar. betrachteten Ländergruppe im Jahr 2019 gemäß Allerdings dürfte in den meisten fortgeschritte- der aus dem Modell resultierenden Wahrschein- nen Volkswirtschaften die Binnenkonjunktur an- lichkeitsverteilung nur mit einer Wahrschein- gesichts eines zumindest bis in das Jahr 2019 lichkeit von 10% noch geringer ausfällt; das hinein insgesamt expansiven geld- und finanzpo- schwere Negativszenario ist so gewählt, dass litischen Umfelds zunächst recht kräftig bleiben. sich mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1% ei- Belastend wirken indes die protektionistischen ne noch geringere Produktion realisieren dürfte. Maßnahmen der US-Politik sowie die Verunsi- Das Positivszenario wird schließlich so gewählt, cherung über die Zukunft der Welthandelsord- dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von nur nung. 10% zu einer noch höheren Produktion in der ge- Ein Hauptrisiko für die Weltkonjunktur ist ge- nannten Ländergruppe kommen dürfte. genwärtig die Gefahr einer weiteren Zuspit- Im Basisszenario liegt der Produktionszuwachs zung des Handelskonflikts zwischen den USA im betrachteten europäischen Länderkreis in den und China. Aber auch die handelspolitischen Jahren 2018 und 2019 bei jeweils 1,9%. Im Fall Spannungen zwischen den USA und der Eu- eines mittelschweren Einbruchs bleibt die Zu- ropäischen Union sind noch nicht ausgeräumt. wachsrate der europäischen Ländergruppe im
Jahr 2019 mit 0,3% um 1,6 Prozentpunkte un- ter der Rate im Basisszenario, im Fall eines schweren Einbruchs mit -1% um 2,9 Prozent- punkte. Besonders stark bricht in den negati- ven Risikoszenarien die Produktion in Griechen- land, Irland, der Slowakei und Polen ein. Beson- ders stabil ist die Produktion dagegen in Frank- reich. Der weltwirtschaftliche Schock reduziert die Produktion in Deutschland ungefähr so stark wie im Durchschnitt der Ländergruppe, die deut- sche Wirtschaft erholt sich dann aber besonders rasch. Die länderspezifischen Szenarien erlau- ben auch die Antwort auf die Frage, wie stark die deutsche Wirtschaft von dem Wirtschaftsein- bruch eines bestimmten Landes aus dem eu- ropäischen Länderkreis betroffen ist. Es zeigt sich, dass es für Deutschland nur bei einem schweren Einbruch der Konjunktur in Großbri- tannien, den Niederlanden und Polen zu mess- baren Produktionsverlusten kommt. Zuletzt wird ein Szenario betrachtet, in dem ein mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirtschaft- seinbruch mit einer deutlichen Erhöhung der Zinsen einhergeht. Ein solches Szenario könnte sich etwa aus einem Verlust an Vertrauen von Unternehmen und Haushalten in die Stabi- litätsorientierung der Geldpolitik entwickeln. In einem solchen Fall können die Zentralbanken gezwungen sein, ihre Reputation durch eine Hochzinspolitik wieder herzustellen auch unter Inkaufnahme einer längeren Phase gesamtwirt- schaftlicher Unterauslastung.
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 1 2 Die Lage der Weltwirtschaft im Herbst 2018 2 3 Zur Methodik 6 3.1 Der Wachstumskern des makroökonometrischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3.2 Die konjunkturelle Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.3 Die Modellierung der Zinsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.4 Berechnung der Risikoszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4 Konjunkturprognose im Basisszenario 10 5 Risikoszenarien 11 5.1 Mittelschweres und schweres Negativszenario und das Positivszenario . . . . . . . . . . 11 5.2 Länderspezifische Stressszenarien für das Jahr 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 5.3 Szenario eines langjährigen weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit Zinserhöhungen ein- hergeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 A Tabellen 16 B Dokumentation der Weiterentwicklungen am Modell 22
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Stressszenarien für die Jahre 2018 bis 2023 1 Einleitung nes zweiten Teils der Studie. Dort geht es um Szenarien einer ungünstigen und einer au- In der vorliegenden Studie werden zunächst die ßerordentlich ungünstigen konjunkturellen Ent- weltweiten konjunkturellen Aussichten für das wicklung in jeder der einzelnen Volkswirt- Ende des Jahres 2018 und für die Jahre 2019 schaften aus dem oben genannten europäischen bis 2023 dargestellt. In einem ersten Schritt wird Länderkreis. Schließlich wird das Szenario einer die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick- besonders lange dauernden ungünstigen welt- lung hergeleitet und beschrieben. Davon ausge- wirtschaftlichen Entwicklung dargestellt. hend werden Konjunkturbilder für die Fälle ge- Weil die Prognosen der Studie aus einem ma- zeichnet, dass die konjunkturelle Entwicklung in kroökonometrischen Modell für die interna- einem Teil der prognostizierten Volkswirtschaf- tionale Konjunktur gewonnen werden, kann ten eine ungünstige (mittelschweres Negativsze- präzise definiert werden, was unter günstig“ ” nario), eine sehr ungünstige Wendung (schwe- und ungünstig“ zu verstehen ist: Der erste Fall ” res Negativszenario), oder eine günstige Wen- bedeutet, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit dung nimmt (Positivszenario). Diese Teilmen- von 10% gemäß der im verwendeten Modell ge- ge besteht aus folgenden Mitgliedsstaaten der nerierten Wahrscheinlichkeitsverteilung die ge- Europäischen Union: Deutschland, Frankreich, samtwirtschaftliche Produktion in der genann- Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien, ten europäischen Ländergruppe im Jahr 2019 Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowa- noch geringer ausfällt, der zweite Fall wird kei, Spanien und Tschechien. Dabei geht es nicht so gewählt, dass mit einer Wahrscheinlichkeit darum, das Risiko eines auf diese Länder be- von nur 1% sich eine noch geringere Produk- schränkten Schocks abzubilden. Wie das Basiss- tion realisieren dürfte. Schließlich bedeutet das zenario der wahrscheinlichsten konjunkturellen Positivszenario, dass die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den einzelnen Ländern auf ei- Produktion in der Ländergruppe nur mit einer ner Prognose der gesamten Weltwirtschaft be- Wahrscheinlichkeit von 10% noch höher aus- ruht, so leiten sich auch die Szenarien einer be- fallen wird. Die auf diese Weise präzise de- sonders ungünstigen (oder besonders günstigen) finierten Risikoszenarien eignen sich auch als Konjunktur jeweils aus Annahmen von weltweit makroökonomische Basis für Stressszenarien auftretenden Schocks her. Der Kreis aller model- von Unternehmen, deren wirtschaftliche Situa- lierter Volkswirtschaften besteht aus Deutsch- tion wesentlich von der Entwicklung der ge- land, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien, samtwirtschaftlichen Produktion des betrachte- den Niederlanden, Belgien, Griechenland, Por- ten Länderkreises abhängt. tugal, Irland, Großbritannien, Schweden, Po- Die Konjunkturbilder werden anhand der fol- len, Tschechien, der Slowakei, Russland, den genden volkswirtschaftlichen Kennzahlen um- USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei, Japan, rissen: jährliche Veränderung des Bruttoinlands- Südkorea, China, Indien und Australien. produkts und des privaten Konsums, Arbeits- Länderspezifische Schocks sind Gegenstand ei- losenquote, kurzfristiger Zinssatz und lang- 1
fristige Rendite von Staatsanleihen, Inflation 2 Die Lage der Weltwirtschaft im gemessen am Verbraucherpreisindex, jährliche Herbst 2018 Veränderung der Industrieproduktion sowie Kfz- Absatz. Bei der Herleitung der Szenarien wer- Im Herbst 2018 sind die Unsicherheiten über den die Wechselwirkungen zwischen den ver- den Fortgang der Weltkonjunktur groß.1 Bis schiedenen Regionen berücksichtigt. Für jedes zum Sommer expandierte die globale Produkti- der vier Szenarien (Basisszenario, mittelschwe- on zwar weiterhin recht kräftig; einer Schwäche res Negativszenario, schweres Negativszenario, im ersten Quartal folgte ein deutlicher An- Positivszenario) wird beschrieben, welche Ent- stieg im zweiten. In den meisten Ländern wicklung für die betrachteten Länder in den Jah- schätzen aber die Unternehmen gegenwärtig ih- ren bis 2023 zu erwarten wäre. re Geschäftslage deutlich weniger günstig ein als in der ersten Jahreshälfte, und im Oktober haben die Aktienbewertungen weltweit deutlich nach- Schließlich wird das Szenario eines mindes- gegeben. Auch stellen sich die finanziellen Rah- tens dreijährigen weltweiten Konjunkturein- menbedingungen für die Schwellenländer auf- bruchs bei zugleich steigenden Zinsen darge- grund eines Rückzugs von internationalen Inves- stellt. Es zeigt sich, dass ein Anstieg der welt- toren nunmehr schlechter dar; in der Türkei und weiten Zinsen um etwa eineinhalb Prozentpunk- in Argentinien nahm die Entwicklung krisenhaf- te über drei Jahre den Zuwachs der Produktion te Ausmaße an. Zudem überschatten Handels- im zweiten Jahr stärker als im schweren Nega- konflikte den Ausblick. tivszenario drücken würde. Diese Aussage gilt Schon seit Jahresbeginn sind die Unterschiede allgemein für die internationale Konjunktur. Zu in der konjunkturellen Dynamik zwischen den den von den Zinsen überdurchschnittlich stark Ländern größer geworden. Während der Auf- betroffenen Ländern gehören Deutschland und schwung in den USA auch wegen des starken Großbritannien. Impulses durch die dortigen Steuersenkungen und staatlichen Mehrausgaben noch einmal an Schwung gewonnen hat und die Produktion in Der Aufbau der Studie ist wie folgt: In Abschnitt China weiter deutlich zulegt, hat die Konjunktur 2 wird die Lage der Weltwirtschaft im Herbst im Euroraum an Fahrt verloren. Besonders deut- 2018 dargestellt, wobei es im Abschnitt 2 um die lich war die Verlangsamung in Frankreich und derzeit wichtigsten Risiken für die Weltkonjunk- in Italien und damit in Volkswirtschaften, deren tur geht. Danach wird das makroökonometrische Dynamik im Jahr zuvor gemessen an ihren je- Modell skizziert (Abschnitt 3), mit dem die Pro- weiligen Trendwachstumsraten besonders hoch gnose, die beiden Negativszenarien und das Po- ausgefallen war. sitivszenario hergeleitet werden (Abschnitt 4). Der Welthandel, der Ende vergangenen Jahres noch kräftig gestiegen war, hat deutlich an Dy- Darauf werden länderspezifische Risikoszenari- namik verloren. Möglicherweise spiegelt sich en dargestellt (Abschnitt 5.2). Schließlich stellt darin bereits die Verschlechterung der handels- die Studie das Szenario einer ungünstigen welt- politischen Rahmenbedingungen wider. Im Lauf wirtschaftlichen Entwicklung dar, die besonders 1 Der Abschnitt ist eine aktualisierte Fassung des lange, nämlich drei Jahre über andauert, und die Überblickskapitels zum internationalen Teil des Herbst- mit einem starken Anstieg der Zinsen einhergeht gutachtens der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vom Oktober. An dem Gutachten hat das IWH mitgewirkt (Pro- (Abschnitt 5.3). jektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2018). 2
dieses Jahres ergriff die US-Regierung eine Rei- botsrückgang würde den Markt in einer Situati- he von protektionistischen Maßnahmen. So wur- on treffen, in der die Produktion bereits längere den Zölle für eine breite Palette von Gütern ins- Zeit hinter dem Verbrauch zurückgeblieben ist besondere aus China erhöht oder (als Ergebnis und somit die Lagerbestände stark abgenommen bilateraler Verhandlungen) Importquoten ein- haben. Zwar gibt es freie Förderkapazitäten, geführt. China, wie auch die Europäische Uni- denn einige Länder haben ihre Produktion frei- on sowie einige andere Länder, verhängte dar- willig beschränkt, doch sind diese nur begrenzt aufhin Vergeltungszölle auf US-Produkte. Die kurzfristig mobilisierbar. Hinzu kommt ein ste- neuen Handelshemmnisse können allerdings die tiger Rückgang des Ölangebots aus Venezuela schwache Dynamik des Welthandels nicht al- und Mexiko. Vor diesem Hintergrund stieg der lein erklären. Einmal schwächelt dieser bereits Erdölpreis im Jahresverlauf stark, und obwohl er seit dem Jahreswechsel, während die handelspo- im Oktober zusammen mit den Weltaktienkur- litischen Maßnahmen im Wesentlichen erst im sen wieder etwas gesunken ist, liegt er Ende des Sommer in Kraft traten. Außerdem betrafen die Monats mit etwa 76 US-Dollar (Brent) um rund Maßnahmen bis zur Ausweitung der Strafzölle 33% höher als vor einem Jahr. Dass sich dar- gegenüber China im September nur einen klei- in eher eine befürchtete Angebotsverknappun- nen Kreis von Gütern, die nur einen geringen gen und weniger eine lebhafte Weltkonjunktur Anteil des Welthandels ausmachen. Schließlich widerspiegeln, lässt sich daraus schließen, dass haben die Währungen der von den US-Zöllen die Preise für Industrierohstoffe seit Jahresbe- betroffenen Volkswirtschaften seit Beginn des ginn konstant blieben und im Falle von Kupfer, Handelskonflikts meist sehr stark gegenüber Nickel und Blei im Sommer sogar nachgaben. dem US-Dollar abgewertet, was dem mit der Die Verteuerung von Rohöl hat zur Jahresmit- Zollanhebung verbundenen Verlust an preisli- te die Verbraucherpreise in den größeren fortge- cher Wettbewerbsfähigkeit entgegenwirkt. Al- schrittenen Volkswirtschaften verstärkt steigen lerdings dürften die Handelskonflikte die Kon- lassen. Im Sommer erreichte die Inflationsra- junktur über die unmittelbaren Wirkungen auf te in den USA vorübergehend fast 3%, und im den Handel hinaus dämpfen, da die damit ver- Euroraum überstieg sie das von der EZB mit- bundenen Unsicherheiten die Unternehmensin- telfristig angestrebte Inflationsziel von etwa 2% vestitionen, etwa in den Auf- oder Ausbau von leicht. In Japan war die Inflation mit 1,2% (Sep- Exportstrukturen, bremsen. tember) allerdings immer noch gering. Die (um Die US-Regierung hat in diesem Jahr neben die Energiepreiskomponente bereinigte) Kernra- Maßnahmen zum Schutz importkonkurrieren- te hat sich bislang nur in den USA erhöht. So- der heimischer Anbieter auch politisch motivier- wohl in Japan (0,3% im September) als auch te Sanktionen verhängt, besonders umfänglich im Euroraum (1,1%) blieb sie praktisch un- gegenüber dem Iran in Verbindung mit der verändert. Allerdings scheinen in beiden Wirt- Aufkündigung des Atomabkommens im Mai.2 schaftsräumen die Löhne inzwischen schneller Es wird vielfach damit gerechnet, dass des- zu steigen. Dazu passt, dass die Arbeitslosigkeit halb künftig deutlich weniger iranisches Erdöl im Euroraum kontinuierlich fällt und in Japan auf den Weltmarkt kommt.3 Dieser Ange- inzwischen ausgesprochen niedrig ist. Setzt sich 2 die Zunahme des Lohnanstiegs fort, dürften bald Außerdem haben die USA im laufenden Jahr aus ver- schiedenen Gründen Sanktionen gegenüber Russland, Ve- auch die Verbraucherpreise beschleunigt steigen. nezuela und der Türkei verhängt. 3 So ist aus Europa die Nachfrage nach iranischem Öl Irans ihrerseits mit Sanktionen vonseiten der USA rechnen schon im Sommer deutlich zurückgegangen, weil Kunden müssen. Vgl. IEA: Oil Market Report (August 2018), S.17. 3
Aufgrund der anziehenden Inflation hat die tinien und die Türkei zu: Die türkische Lira US-Notenbank das Tempo ihrer geldpolitischen hat gegenüber dem US-Dollar seit Juli diesen Straffung erhöht. Sie hat ihr Zielband für die Fe- Jahres trotz einer leichten Erholung im Okto- deral Funds Rate in diesem Jahr bereits drei- ber um etwa 15% und der argentinische Peso mal angehoben, zuletzt im September auf 2,0 um etwa 25% an Wert verloren. Darüber hin- bis 2,25%. Sofern die konjunkturelle Expansi- aus haben die Währungen nahezu aller Schwel- on anhält, dürfte der Leitzins Ende 2019 bei 2,5 lenländer in den vergangenen Monaten spürbar bis 2,75% und damit ungefähr bei einem kon- abgewertet. Offensichtlich schätzen Finanzin- junkturneutralen Niveau angekommen sein. Die vestoren, wohl auch unter dem Eindruck der Leitzinsen im Euroraum und in Japan liegen da- Entwicklungen in Argentinien und der Türkei, gegen unverändert bei 0%, und die Finanzie- Anlagen in diesem Länderkreis generell riskan- rungskosten werden hier wie dort voraussicht- ter ein. Allerdings ging den Abwertungen ande- lich auch im Prognosezeitraum ausgesprochen rer Währungen zumeist eine erhebliche Aufwer- niedrig bleiben. Allerdings führen die Noten- tung voraus, so dass beispielsweise gegenüber banken beider Wirtschaftsräume den Umfang ih- dem Jahresbeginn 2016 häufig nur eine geringe rer Wertpapierkäufe zurück. Die EZB beabsich- Abwertung, teilweise sogar noch eine Aufwer- tigt, die Nettokäufe Ende 2018 ganz einzustel- tung zu verzeichnen ist. Geldpolitische Reaktio- len, der Leitzins dürfte aber erst in der zweiten nen blieben denn auch größtenteils aus; verein- Jahreshälfte 2019 angehoben werden. Für Japan zelt wurden die Leitzinsen sogar bis in den Som- zeichnet sich noch keine Zinserhöhung ab. mer hinein gesenkt. Demgegenüber standen die Die Finanzmarktteilnehmer haben ihre Erwar- Währungen Argentiniens und der Türkei schon tungen zur künftige Zinsentwicklung in den länger unter Druck, und die importierte Infla- USA aufgrund der dort kräftigen Konjunktur im tion ist in beiden Ländern so erheblich, dass Lauf der ersten Jahreshälfte 2018 nach oben kor- die Notenbanken mit drastischen Zinsanhebun- rigiert, womit auch die langfristigen Zinsen in gen reagiert haben. Zudem hat Argentinien ei- den USA deutlich gestiegen sind, für 10-jährige ne Kreditlinie mit dem IWF vereinbart, wel- Staatstitel um einen halben Prozentpunkt auf et- che die Zahlungsfähigkeit des Landes bis Ende wa 3,3% (Ende Oktober). Der Renditeabstand nächsten Jahres sicherstellt, aber Strukturrefor- gegenüber entsprechenden deutschen oder briti- men zur Bedingung macht. Die türkische Regie- schen Titeln ist gegenwärtig mit 2,9 beziehungs- rung strebt an, die Lage ohne Hilfe des Interna- weise 1,8 Prozentpunkten ausgesprochen groß. tionalen Währungsfonds zu meistern. Infolge des Zinsanstiegs in den USA haben Fi- Die Risiken für die Wirtschaft in den Schwel- nanzanlagen in Schwellenländern an Attrakti- lenländern sind vor diesem Hintergrund zwar vität verloren. Ein damit verbundener signifikan- deutlich gestiegen, ein verbreiteter Konjunktur- ter Rückgang der Nettokapitalzuflüsse schwächt einbruch oder gar eine Schwellenländerkrise, in der Regel die wirtschaftliche Dynamik der vergleichbar mit der Asienkrise 1997/98, ist Schwellenländer und führt zu Rückgängen bei aber nicht zu erwarten. Argentinien und die den Vermögenspreisen, die zuvor meist als Fol- Türkei sind deswegen besonders anfällig ge- ge der zugeflossenen Finanzmittel kräftig gestie- genüber Kapitalflucht, weil in beiden Ländern gen sind. Problematisch ist, dass Kapitalabflüsse die Verschuldung der Wirtschaft in hohem Maß selbstverstärkende Effekte haben können, ins- in Fremdwährungen denominiert ist, so dass es besondere wenn länderspezifische Risiken hin- bei Abwertung der heimischen Währung im- zukommen. Dies trifft gegenwärtig für Argen- mer teurer wird, die Schulden zu bedienen. 4
Hinzu kommt, dass beide Länder aufgrund ho- steuersatz im Herbst 2019 von 8 auf 10% zu her Leistungsbilanzdefizite in großem Umfang erhöhen, die Regierung will den restriktiven auf Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen Wirkungen dieser Maßnahme aber zunächst ent- sind. Zudem ist das Vertrauen von Anlegern in gegen wirken, indem ein Teil der Mehreinnah- die Stabilitätsorientierung der Wirtschaftspolitik men für zusätzliche Staatsausgaben verwendet gering. Die meisten übrigen Schwellenländern wird. sind weniger exponiert, nicht zuletzt, weil die Angesichts eines zumindest bis in das Jahr 2019 Fremdwährungsverschuldung nach der Krise der hinein insgesamt expansiven geld- und finanz- Jahre 1997/98 stark reduziert wurde und der Ka- politischen Umfelds dürfte die Binnenkonjunk- pitalbedarf zur Finanzierung von Leistungsbi- tur in den meisten fortgeschrittenen Volkswirt- lanzdefiziten zumeist gering ist. schaften zunächst recht kräftig bleiben. Belas- Die Aufwertung des Dollar betraf nicht nur als tend wirken indes die protektionistischen Maß- labil geltende Währungen, auch im Verhältnis nahmen der US-Politik sowie die Verunsiche- zum Euro hat er seit April um reichlich 7% rung über die Zukunft der Welthandelsordnung. an Wert gewonnen. Bemerkenswert ist, dass der Zwar hat die Trump-Juncker-Absprache vom Ju- im Allgemeinen wenig schwankende Dollarkurs li zunächst den Konflikt zwischen den USA und des Renminbi um etwa 10% gefallen ist. In der EU deeskaliert. Sie macht den Aufbau neu- China haben wohl Sorgen um die Auswirkun- er transatlantischer Handelshemmnisse für die gen des Handelskonflikts mit den USA für die Zeit der vereinbarten Verhandlungen über ein Exportwirtschaft eine wichtige Rolle gespielt, neues Abkommen zwischen den USA und der die auch zu deutlichen Kursverlusten an den Europäischen Union etwas weniger wahrschein- Aktienmärkten führten. Die chinesische Wirt- lich. Auch hat die Einigung der USA, Mexi- schaftspolitik scheint dieser Entwicklung gegen- kos und Kanadas im September auf ein Han- steuern zu wollen. Stand bis zum Frühjahr die delsabkommen, das NAFTA ersetzen soll, die Eindämmung des überbordenden Kreditwachs- handelspolitischen Perspektiven für Nordameri- tums im Vordergrund, wird das Finanzsystem ka verbessert. Diese Einigung zeigt aber, dass nun mit zusätzlicher Liquidität versorgt, und es Lösungen für Handelskonflikte wohl nur zu er- ist von zusätzlichen Staatsausgaben die Rede. zielen sind, wenn höhere nichttarifäre Handels- In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist hemmnisse in Kauf genommen werden. Der die Finanzpolitik vor allem in den USA ausge- Konflikt zwischen den USA und China scheint sprochen expansiv ausgerichtet. In diesem Jahr zudem weiter zu eskalieren. Dämpfend auf macht der fiskalische Impuls rund 1,5% des die internationale Konjunktur in den kommen- Bruttoinlandsprodukts aus, und auch im kom- den Quartalen wirkt schließlich die deutliche menden Jahr wird er erheblich sein. Expansiv, Verschlechterung der Finanzierungskonditionen wenngleich in deutlich geringerem Umfang, ist nicht nur in Argentinien und in der Türkei, son- die Finanzpolitik auch einiger Länder des Eu- dern auch in anderen Schwellenländern wie Bra- roraums ausgerichtet. Im Jahr 2018 sind dies vor silien und Russland. allem Spanien und die Niederlande, im kom- menden Jahr ist es insbesondere Deutschland Risiken und wohl auch Italien. Die britische Regierung hat ihre Sparpläne zwar gelockert, gleichwohl Das hier gezeichnete Bild einer weiteren, wenn bleibt die Finanzpolitik leicht restriktiv ausge- auch schwächeren Expansion der Weltwirtschaft richtet. In Japan ist vorgesehen, den Mehrwert- ist allerdings mit deutlichen Risiken behaftet. 5
Zum einen droht nach wie vor eine Zuspit- grund der hohen Staatsschuld des Landes von zung des Handelskonflikts zwischen den USA über 130% in Relation zum Bruttoinlandspro- und China. Eine solche könnte dem Welthan- dukt und eines nur geringen Potenzialwachstums delssystem großen Schaden zufügen, schon weil haben sich die Risikoprämien für italienische die USA mit Abstand der weltgrößte Impor- Staatstitel im Jahresverlauf sehr deutlich erhöht. teur und China die größte Exportnation ist. Auf- Die Rendite von italienischen Staatsanleihen mit grund der inzwischen hohen Verflechtung der 10-jähriger Laufzeit ist seit Jahresbeginn von Wertschöpfungsketten würden stärkere Handels- 2,0% auf 3,7% Ende Oktober gestiegen. Sollte barrieren zwischen den USA und China wohl die die Solvenz des italienischen Staates ernsthaft in Produktionskosten überall auf der Welt steigen Frage gestellt werden, könnte dies den Zusam- lassen. Auch die handelspolitischen Spannun- menhalt der Währungsunion gefährden. gen zwischen den USA und der Europäischen Union sind noch nicht ausgeräumt. Einen weite- 3 Zur Methodik ren Gefahrenherd für die Weltkonjunktur stellen die Krisen in Argentinien und in der Türkei dar. Die Konjunkturprognose und die Risikoszenari- Beide Länder haben für sich genommen kein en werden mit Hilfe eines internationalen ma- großes weltwirtschaftliches Gewicht. Das Bild kroökonometrischen Modells erstellt. Es handelt würde sich aber ändern, wenn die dortigen Kri- sich dabei um ein Modell, das einen neoklas- sen einen Vertrauensverlust gegenüber weiteren sischen Wachstumskern besitzt und kurzfristig Schwellenländern auslösten. Die Finanzierungs- einen neukeynesianischen Charakter hat. In dem bedingungen würden sich dann dort noch deut- Modell sind die Länder Deutschland, Österreich, lich stärker verschlechtern als hier unterstellt. Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Tschechi- Ein solcher Ansteckungsprozess ist auch deshalb en, Portugal, Belgien, die Niederlande, Irland, denkbar, weil die Fremdwährungsverschuldung Großbritannien, Griechenland, die Türkei, Ka- von Unternehmen in einigen Schwellenländern nada, Schweden, die USA, Mexiko, Brasilien, in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. Russland, Japan, China, Indien, Südkorea und Schließlich sind zwei Risiken speziell für die Australien abgebildet. Aus diesem Länderkreis Konjunktur in Europa zu nennen: zum einen die stammen gut 80% der Weltproduktion an Gütern Möglichkeit eines ungeordneten Austritts Groß- und Dienstleistungen. Im folgenden Abschnitt britanniens aus der EU im Frühjahr 2019, zum 3.1 wird zunächst der Wachstumskern des Mo- anderen eine neue Schuldenkrise, falls die neue dells beschrieben, bevor die konjunkturelle Dy- Regierung Italiens ihre expansiven finanzpoliti- namik in Abschnitt 3.2 und die Berechnung der schen Vorhaben in großem Stil und umsetzt und Risikoszenarien in Abschnitt 3.4 erläutert wer- dabei weiter Vertrauen der Finanzmärkte in die den. Solvenz des italienischen Staates verspielt. Um den Vertrauensverlust zu stoppen, ist zunächst 3.1 Der Wachstumskern des eine Verständigung mit der Europäischen Kom- makroökonometrischen Modells mission über den Haushaltsplan für das Jahr 2019 notwendig, nachdem der italienische Haus- Bei der Spezifikation des ma- haltsentwurf im Oktober von der Kommission kroökonometrischen internationalen Kon- mit dem Hinweis zurückgewiesen worden ist, junkturmodells wird davon ausgegangen, dass dass in ihm die Kommissionsempfehlungen kei- die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in eine ne Berücksichtigung fänden. Vor dem Hinter- Trendkomponente und in eine zyklische Kom- 6
ponente (Konjunktur) zerlegt werden kann und trendmäßige Bruttoinlandsprodukt (Y , Produk- dass die einzelnen Länder individuellen langfris- tionspotenzial) ergibt sich dann aus dem Pro- tigen Wachstumstrends folgen. Diese ergeben dukt von trendmäßiger Arbeitsproduktivität und sich basierend auf theoretischen Überlegungen trendmäßiger Anzahl der Erwerbspersonen: aus der trendmäßigen Wachstumsrate der Ar- beitsproduktivität (A) und der trendmäßigen Y t = At × N t . Entwicklung der Erwerbstätigenzahl (N ). Diese wird in die Komponenten Beschäftigungsquote Die Trend- und Zykluskomponenten des realen (ρ) und Erwerbspersonenzahl (P ) zerlegt:4 effektiven Wechselkurses (Z) und der Inflations- rate (π) werden ebenfalls mit Hilfe von univaria- Nt = ρt × Pt . ten Zeitreihenmodellen und anschließender Ver- wendung des HP-Filters berechnet. Zunächst wird die Beschäftigungsquote mit einem univariaten Zeitreihenmodell bis in 3.2 Die konjunkturelle Dynamik das Jahr 2030 fortgeschrieben und anschlie- ßend der H ODRICK -P RESCOTT-Filter (HP- Während die trendmäßigen Verläufe der ma- Filter) angewendet, um die Trendkomponente kroökonomischen Variablen auf die zuvor be- (ρ) und die zyklische Komponente (ρ̃) zu er- schriebene Weise unabhängig voneinander er- mitteln.5 Die Trendkomponente der Erwerbs- mittelt worden sind, folgt die konjunkturelle personenzahl (N ) wird berechnet, indem die Dynamik der wichtigsten makroökonomischen trendmäßige Beschäftigungsquote mit der Er- Variablen aus einem multivariaten Modell für werbspersonenzahl multipliziert wird, wobei für die jeweiligen Abweichungen vom Trend. Da- die Prognose Schätzungen der Europäischen zu wird die Produktionslücke (ỹ) als die re- Kommission zur natürlichen Arbeitslosenquote lative Abweichung vom trendmäßigen Brutto- berücksichtigt werden und die Vorausschätzung inlandsprodukt und die zyklische Komponen- der Erwerbspersonenzahl durch die Internatio- te der Inflationsrate (π̃) als absolute Abwei- nal Labour Organization (ILO) zugrunde gelegt chung von der trendmäßigen Inflationsrate defi- wird:6 niert. Im Einklang mit der neukeynesianischen N t = ρt × Pt . makroökonomischen Theorie wird unterstellt, dass Güterpreise eine gewisse Rigidität auf- Die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität weisen, so dass die Produktion kurzfristig von wird ebenfalls zunächst mit Hilfe eines uni- der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage determi- variaten Zeitreihenmodells (Random Walk mit niert wird. Die gesamtwirtschaftliche Nachfra- Drift für die logarithmierte Arbeitsprodukti- ge hängt von den Einkommenserwartungen, dem vität) bis in das Jahr 2030 fortgeschrieben, realen Zins, der internationalen preislichen Wett- das heißt es wird eine konstante trendmäßige bewerbsfähigkeit (gemessen anhand des rea- Wachstumsrate unterstellt. Anschließend wird len effektiven Wechselkurses) und der konjunk- die Trendkomponente der Arbeitsproduktivität turellen Situation im Ausland (gemessen an- (A) wiederum mit dem HP-Filter bestimmt. Das hand der handelsgewichteten Produktionslücke 4 Die Erwerbspersonenzahl ist die Summe aus Er- der übrigen Länder) ab.7 Auf dieser Stufe wer- werbstätigen und arbeitsuchenden Erwerbslosen. 5 7 Siehe zum H ODRICK -P RESCOTT-Filter Hodrick und In einer vorherigen Version des Modells wurde die Prescott (1997). konjunkturelle Dynamik eines Landes auch in direk- 6 Bei einer natürlichen Arbeitslosenquote ut gilt für die ter Abhängigkeit vom langfristigen Zinssatz modelliert. trendmäßige Beschäftigungsquote: ρt = 1 − ut . Zu den direkten Einflüssen langfristiger Zinsen auf die 7
den also explizit internationale Verflechtungen wobei der Parameter α die Schnelligkeit der An- berücksichtigt. Die Inflationsrate ergibt sich aus passung an die relative KKP bei kurzfristigen den Inflationserwartungen, dem Auslastungs- Abweichungen beschreibt. Für die Währungen grad der Volkswirtschaft (gemessen anhand der der Rohstoffexporteure Brasilien und Russ- Produktionslücke) und der Veränderung des rea- land wird die kurzfristige Dynamik zusätzlich len effektiven Wechselkurses, denn dieser be- in Abhängigkeit der Ölpreisentwicklung mo- einflusst die Preise ausländischer Güter, die in delliert. Die Fehlerkorrekturgleichungen eu- den inländischen Warenkorb eingehen. Der rea- ropäischer Währungen, die relativ stark an le effektive Wechselkurs wird im Modell deter- die Wertentwicklung des Euro gebunden sind, miniert, indem der nominale Wechselkurs und berücksichtigen zudem die kurzfristige Dyna- die Inflationsraten im In- und Ausland mit ent- mik des Euro-Dollar-Wechselkurses. sprechenden Gewichten zur Berechnung heran- Schließlich wird die Zinspolitik der Zentralbank gezogen werden. Die nominalen Wechselkurse mit Hilfe einer geldpolitischen Reaktionsfunk- der im Modell enthaltenen Länder gegenüber tion abgebildet, in die der Auslastungsgrad der dem US-Dollar werden dabei gemäß der re- Volkswirtschaft und die Abweichung der Inflati- lativen Kaufkraftparitätentheorie (KKP) model- onsrate von der trendmäßigen Inflationsrate ein- liert.8 Diese unterstellt, dass die Veränderung geht. Den Kern des Modells für die Prognose der des Wechselkurses zwischen zwei Währungen konjunkturellen Dynamik bildet also ein Sys- der Differenz der Inflationsraten in den jeweili- tem mit den vier Variablen Produktionslücke, gen Ländern bzw. Währungsräumen entspricht. zyklische Komponente der Inflationsrate, rea- Für die langfristige Dynamik des nominalen ler effektiver Wechselkurs und Zinssatz für je- Wechselkurses (∆st ) gilt somit: des Land, wobei die kurzfristigen Zinsen in den Ländern der Euroraums aufgrund der gemeinsa- ∆st = πt − πt∗ , men Geldpolitik identisch sind. Die weiteren endogenen Variablen privater wobei πt die Inflationsrate im In- und πt∗ die In- Konsum, Arbeitslosenquote, Industrieprodukti- flationsrate im Ausland bezeichnet. In der kurz- on und Kfz-Absatz werden mit Einzelgleichun- en Frist ist die Entwicklung des Wechselkurses gen modelliert, in die die jeweilige nationa- durch die Korrektur eventueller Abweichungen le wirtschaftliche Lage eingeht, insbesondere von der relativen KKP sowie den kurzfristigen das Bruttoinlandsprodukt. Das Modell hat somit Dynamiken der Inflationsraten bestimmt. Hier- eine blockrekursive Struktur. Zunächst werden zu wird die folgende Fehlerkorrekturgleichung die zentralen makroökonomischen Variablen mit geschätzt:9 Hilfe des internationalen Konjunkturmodells de- ∗ terminiert, anschließend werden die zusätzlich ∆(∆st ) = α(∆st−1 − πt−1 + πt−1 ) interessierenden Variablen aus den jeweiligen + γ∆(πt − πt∗ ) + t , nationalen Entwicklungen abgeleitet ohne dass privater Konsum, Arbeitslosenquote, Industrie- Konjunktur bzw. indirekten Wirkungen über kurzfristige produktion und Kfz-Absatz eine Rückwirkung Zinssätze besteht jedoch noch weiterer Forschungsbedarf. auf die Dynamik der anderen Variablen haben. 8 Siehe zur relativen Kaufkraftparitätentheorie u.a. Offi- cer (1976), Dornbusch (1987) und Rogoff (1996). Hier besteht zwar Potenzial, die Methodik zu 9 Die Spezifikation beruht auf der Annahme rigider verfeinern; für den in dieser Studie verfolg- Güterpreise, wodurch sich Wechselkursänderungen mit ei- ten Prognosezweck ist diese Vorgehensweise je- ner Verzögerung von mindestens einem Quartal in den je- weiligen Inflationsraten widerspiegeln. doch grundsätzlich gut geeignet, weil von der 8
Verfeinerung – wenn überhaupt – nur eine ge- Szenarien zu definieren, bestehen folgender ringfügige Verringerung der Prognosefehler zu Alternativen: erwarten ist. 1. Bedingte Simulation 3.3 Die Modellierung der Zinsstruktur • Schätzung des ma- kroökonometrischen Modells Die Leitzinsen werden über eine geldpoliti- sche Reaktionsfunktion bestimmt. Diese gibt • Prognose aller Variablen mit dem Mo- an, wie die Zentralbank den Kurzfristzins in dell Abhängigkeit von Produktionslücke und In- • Ermittlung des Prognoseintervalls für flation setzt. Ferner wird eine Verzögerung eine Referenzgröße (beispielsweise der Anpassung des Zinses an sein Zielniveau deutsches reales Bruttoinlandspro- berücksichtigt. dukt oder Summe der Bruttoinlands- Sodann werden die Niveaus der Marktzinssätze produkte aller oder mehrerer Länder unterschiedlicher Fristigkeit in Abhängigkeit im Modell) vom Leitzins geschätzt. Die Modellierung • Ermittlung des 10% (1%)-Quantils der Stützstellen der Zinsstruktur erfolgt unter der Referenzgröße Berücksichtigung signifikanter Zusammenhänge • Simulation (bedingte Prognose) des ihrer Dynamik und der Verläufe der kurzfristi- Modells basierend auf dem jeweiligen gen Zinsen (dreimonatiger Geldmarktzins) und Quantil der Referenzgröße der Renditen für zehnjährige Staatsanleihen. Für die Dynamik der Zinsen (Z) gilt dabei: • Negativ- bzw. Positivszenario spie- gelt Unsicherheit bezüglich der ver- schiedenen Schocks im Modell und ∆Zt = α(Zt−1 − β0 − β1 × RZt−1 ) bezüglich der geschätzten Modellpa- + γ∆RZt + t . rameter wider, soweit diese sich auf die Referenzgröße auswirken Referenzzins (RZ) für kurzfristige Zinsen ist der dreimonatige Geldmarktzins, während sich 2. Impulsantwortfolge die langfristigen Renditen an der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen orientieren. Letzte- • Schätzung des ma- re sind wiederum mit dem dreimonatigen Geld- kroökonometrischen Modells marktzins kointegriert.10 • Prognose aller Variablen mit dem Mo- dell 3.4 Berechnung der Risikoszenarien • Ermittlung der Quantile (10%/1%) ei- ner festzulegenden Referenzgröße Es werden zwei Negativszenarien ermittelt, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer noch • Kalibrierung eines spezifischen ungünstigeren konjunkturellen Entwicklung Schocks (beispielsweise geldpoli- 10% bzw. 1% beträgt. Zudem wird ein Po- tischer Schock, Inflationsschock, sitivszenario betrachtet. Hier beträgt die Nachfrageschock), der zu den ent- Wahrscheinlichkeit einer noch günstigeren sprechenden Realisierungen der konjunkturellen Entwicklung 10%. Um solche Referenzgröße führt 10 Vgl. Campbell und Shiller (1987). • Simulation des Modells 9
• Szenario verdeutlicht die Folgen eines 4 Konjunkturprognose im spezifischen Schocks Basisszenario 3. Multivariate Verteilung Mit dem in Abschnitt 3 skizzierten ma- kroökonometrischen Modell ergeben sich für • Schätzung des ma- die Konjunktur der in dieser Studie betrachte- kroökonometrischen Modells ten Länder in den Jahren 2018 und 2019 Pro- gnosen (Tabelle A.1), die im Allgemeinen nahe • Prognose aller Variablen mit dem Mo- an denen der Projektgruppe Gemeinschaftsdia- dell gnose vom September und auch an denen des • Ermittlung der multivariaten Vertei- IWF in dessen jüngsten World Economic Out- lung aller endogenen Variablen look (Oktober 2018) liegen.11 Für die beiden größten Volkswirtschaften, die USA und China, • Bestimmung des jeweiligen 10% werden für 2018 um 0,2 Prozentpunkte niedri- (1%)-Quantils anhand der multivaria- gere Zuwachsraten vorhergesagt als in der Ge- ten Verteilung meinschaftsdiagnose und im World Economic • Szenario bildet die Unsicherheit Outlook, für den Zuwachs der wechselkursge- bezüglich der verschiedenen Schocks wichteten Weltproduktion ergeben sich aber mit im Modell und bezüglich der 3,3% für 2018, 3,0% für 2019 und 2,9% für geschätzten Modellparameter wider, 2020 Raten, die denen der Gemeinschaftsdia- liefert aber nicht unbedingt ein gnose (3,3% für 2018, 3,0% für 2019 und 2,9% konsistentes Szenario für 2020) und des IWF (3,2% für 2018 und 3,1% für 2019) nahezu exakt entsprechen. Hier wird die Alternative 1, bedingte Simulation, Für den in dieser Studie betrachteten eu- gewählt. Als Referenzgröße wird die Zuwachs- ropäischen Länderkreis ergibt sich ein gesamt- rate des über den europäischen Länderkreis wirtschaftlicher Produktionszuwachs von je- aggregierten Bruttoinlandsprodukts verwendet. weils 1,9% in den Jahren 2018 und 2019. Um mit dem Modell die entsprechenden Quan- Für die einzelnen Länder sind die Unterschie- tile dieser Referenzgröße zu simulieren, wird in de zu den Prognosen der Gemeinschaftsdiagno- den Nachfragegleichungen sämtlicher im Welt- se und des IWF gering. Für Deutschland fällt modell enthaltener Länder jeweils ein allgemei- der diesjährige Produktionszuwachs im World ner Nachfrageschock eingebaut, so dass sich in Economic Outlook mit 1,9% zwei zehntel Pro- der Summe unter Berücksichtigung der interna- zentpunkte höher aus als in der vorliegenden tionalen Verflechtungen die entsprechende Ent- Studie und in der Gemeinschaftsdiagnose. Die wicklung des aggregierten realen Bruttoinland- etwas vorsichtigeren Prognosen haben durch sprodukts für den europäischen Länderkreis er- jüngste Indikatoren wie das ifo Konjunkturkli- gibt. An dieser Stelle wird also nicht die Wir- ma an Plausibilität gewonnen. Wegen der engen kung eines auf den europäischen Länderkreis be- Verknüpfung zur deutschen Konjunktur fällt in schränkten Schocks abgebildet. Erst in einem vorliegender Studie die Zuwachsrate in Tsche- weiteren Schritt werden für jede einzelne Volks- chien mit 2,8% etwas niedriger aus als beim wirtschaft des europäischen Länderkreises mit- IWF (3,1%). Die große Differenz zwischen den tels länderspezifischer Nachfrageschocks beide 11 Siehe Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2018) Negativszenarien simuliert. und IMF: World Economic Outlook (2018). 10
BIP-Prognosen bezüglich Irlands (für das Jahr Die Rendite für deutsche Staatspapiere mit 10- 2018 hier 6,9%, bei der Gemeinschaftsdiagno- jähriger Laufzeit steigt nach vorliegender Pro- se 7%, beim IWF nur 4,7%) erklärt sich aus gnose von durchschnittlich 0,5% in diesem Jahr der hohen Volatilität der irischen Volkswirt- auf 1% im Jahr 2019, für entsprechende Papie- schaftlichen Gesamtrechnung. So nahmen die re Italiens von 2,7% auf 3,8%. Dabei ist zu be- Exporte des Landes im vierten Quartal 2017 achten, dass die italienischen Renditen schon im um 7% zu, gingen Anfang 2018 um 5,5% Laufe von 2018 auf 3,6% (Ende Oktober) gestie- zurück, und stiegen im zweiten Quartal wieder gen sind. um 6% an. Hintergrund sind Bilanzierungsstra- tegien multinationaler Firmen, die ihren in Ir- 5 Risikoszenarien land ansässigen Töchtern von Zeit zu Zeit hohe Wertschöpfungsgewinne zufließen lassen. 5.1 Mittelschweres und schweres Die vorliegende Studie gibt zusätzlich einen Negativszenario und das Positivszenario Ausblick auf die weiteren weltwirtschaftlichen Perspektiven bis zum Jahr 2023. Der Produkti- Im Folgenden wird auf Grundlage des ma- onszuwachs in der Welt liegt demnach in fünf kroökonometrischen Modells gezeigt, mit wel- Jahren bei 2,7% und damit deutlich niedriger als cher gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu im Jahr 2018 (3,3%).12 Der Produktionszuwachs rechnen ist, wenn sie im Jahr 2018 eine in den USA schwächt sich danach sehr deutlich mittelschwere beziehungsweise schwere Krise auf 1,4% ab, der Chinas auf 5,6%. Das globa- trifft. Im ersten Szenario ist eine schwere Kri- le Wirtschaftswachstum wird dadurch gestützt, se dadurch definiert, dass für die europäische dass auf die im Schnitt besonders schnell wach- Ländergruppe Deutschland, Frankreich, Grie- senden Schwellenländer ein immer größerer An- chenland, Großbritannien, Irland, Italien, Nie- teil an der Weltproduktion entfällt. derlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei Die kurz- und langfristigen Zinsen sind im und Tschechien mit einer noch schwächeren verwendeten Weltmodell endogen. Im Modell Entwicklung nur mit einer Wahrscheinlichkeit steigen diese im betrachteten Länderkreis im von 10% zu rechnen ist. Für das zweite Risi- Prognosezeitraum langsam an, denn die ge- koszenario einer sehr schweren Wirtschaftskri- genwärtig fast überall leicht überausgelasteten se gilt, dass die Wahrscheinlichkeit einer noch Kapazitäten legen Erhöhungen der Leitzinsen schwächeren Entwicklung für die oben bezeich- nahe. Die Finanzmärkte erwarten, dass die EZB nete Ländergruppe 1% beträgt. Für das Positivs- erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 damit be- zenario gilt, dass mit einer noch günstigeren Ent- ginnt, ihre Leitzinsen vorsichtig anzuheben, und wicklung nur mit einer Wahrscheinlichkeit von dass der Tagesgeldsatz im nächsten Jahr nur 10% zu rechnen ist. Maßstab ist die Jahreszu- langsam über -0,3% steigen wird. Der im Mo- wachsrate des über die Ländergruppe aggregier- dell für den Euroraum prognostizierte Kurzfrist- ten Bruttoinlandsprodukts. zins von durchschnittlich 0,1% für das Jahr 2019 Im Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt liegt deshalb ein Stück weit über den Markter- die Zuwachsrate der europäischen Ländergruppe wartungen. aber nicht so deutlich, dass sich dar- im Jahr 2019 mit 0,3% um 1,6 Prozentpunk- aus ein anderes Konjunkturbild ableiten ließe. te unter der Rate im Basisszenario, im Fall ei- nes schweren Einbruchs mit -1% um 2,9 Pro- 12 Die Projektionen des IWF im World Economic Out- zentpunkte. Das sind keine außerordentlich ho- look ergeben für das Jahr 2023 mit 2,8% fast den gleichen Wert. hen Rückgänge, bedenkt man, dass das Brutto- 11
inlandsprodukt in der Europäischen Union im duziert die Produktion in Deutschland ungefähr Krisenjahr 2009 um 4,3% zurückging. Dieser so stark wie im Durchschnitt der Ländergruppe, Einbruch ist ein historischer Ausnahmefall ge- die deutsche Wirtschaft erholt sich dann aber blieben, dem nur die Große Depression ab 1929 besonders rasch. Diese Ergebnisse spiegeln nur zur Seite gestellt werden kann. Denkbar ist al- noch teilweise die Effekte von Finanzkrise lerdings, dass für die Weltproduktion ähnliches und Großer Rezession auf die einzelnen eu- gilt wie für etliche Größen, welche die Entwick- ropäischen Volkswirtschaften wider. So war Po- lung auf den Finanzmärkten kennzeichnen: Ex- len damals eines der wenigen Länder, in denen treme Ausreißer könnten häufiger anfallen, als es zu keiner Rezession kam. Mittlerweile ist der makroökonometrische Modelle dies nahelegen. Offenheitsgrad der polnischen Wirtschaft aber Die Zuwachsraten sind noch im Jahr 2020 deut- deutlich gestiegen, und dementsprechend dürfte lich niedriger als im Basisszenario. Das ist aber sie auch stärker von einem globalen Konjunktur- vor allem eine Folge der schwachen Zuwachsra- einbruch betroffen sein. ten in der zweiten Hälfte des Jahres 2019, wel- Das Positivszenario ist nahezu symmetrisch zum che auch noch das Produktionsniveau des Ge- Szenario eines mittelschweren Einbruchs. samtjahres 2020 relativ zum Vorjahr drücken. Im Jahr 2021 und in schwächerem Maß in den 5.2 Länderspezifische Stressszenarien für folgenden Jahren ist die Dynamik dann etwas das Jahr 2018 höher, denn die freien Produktionskapazitäten werden nach und nach wieder ausgeschöpft. We- Die Analyse der Risikoszenarien in Abschnitt niger rasch würde sich die Weltwirtschaft er- 5.1 hat gezeigt, wie sehr die einzelnen Länder holen, wenn der Konjunktureinbruch strukturel- von einem weltwirtschaftlichen Konjunkturein- le Ursachen hätte, welche nicht rasch zu be- bruch betroffen wären. So liegt das deutsche heben sind. Das zeigt der Gang der Weltwirt- Bruttoinlandsprodukt im Fall einer mittelschwe- schaft nach der Großen Rezession: Zwar er- ren weltwirtschaftlichen Krise im Jahr 2019 1,5 holte sich die Weltkonjunktur seit Mitte 2009 Prozentpunkte unter dem Niveau im Basissze- überraschend schnell; die in der Finanzkrise auf- nario. Von Interesse ist aber auch, wie tief eine getretenen Probleme auf den Finanz- und Immo- typische länderspezifische Krise in den einzel- bilienmärkten sowie die Krisen der öffentlichen nen Volkswirtschaften ausfällt. Zur Beantwor- Finanzen haben die Wirtschaft in vielen fortge- tung dieser Frage werden für jedes Land jeweils schrittenen Volkswirtschaften aber noch lange zwei Szenarien betrachtet. Das Szenario einer belastet. So hat sich die Erholung im Euroraum mittelschweren Krise ist dadurch gekennzeich- erst im Jahr 2015 zu einem Aufschwung entwi- net, dass mit einer noch schwächeren Entwick- ckelt. lung in dem betreffenden Land nur mit einer Es ist damit zu rechnen, dass sich die Produk- Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist. Für tionsverluste eines weltweiten Konjunkturein- das zweite Risikoszenario einer schweren Wirt- bruchs nicht gleichmäßig über die europäischen schaftskrise gilt, dass die Wahrscheinlichkeit ei- Volkswirtschaften verteilen (vgl. Tabellen A.1, ner noch schwächeren Entwicklung 1% beträgt. A.2 und A.3). Besonders stark bricht in den ne- Maßstab ist die Jahreszuwachsrate des Brutto- gativen Risikoszenarien die Produktion in Grie- inlandsprodukts in dem betreffenden Land. Um chenland, Irland, der Slowakei und Polen ein. abzuschätzen, wie sich Industrieproduktion, Ar- Besonders stabil ist die Produktion dagegen in beitslosenquote, privater Konsum und Inflation Frankreich. Der weltwirtschaftliche Schock re- in dem jeweiligen Szenario entwickeln, werden 12
für jedes Land jeweils zwei spezifische Simu- Länderkreis betroffen ist. Es zeigt sich, dass es lationen des Weltmodells vorgenommen. Dabei für Deutschland nur bei einem schweren Ein- wird in die Nachfragegleichung des Landes ein bruch der Konjunktur in Großbritannien, den allgemeiner Nachfrageschock eingebaut, so dass Niederlanden und Polen zu messbaren Produk- unter Berücksichtigung der internationalen Ver- tionsverlusten kommt. Über die Jahre zwischen flechtungen das reale Bruttoinlandsprodukt des 2019 und 2010 betragen sie 0,1 und im Fall Landes auf dem 10%- bzw. 1%-Konfidenzband Großbritanniens 0,2 Prozentpunkte. zu liegen kommt. Die Ergebnisse der länderspezifischen Simula- 5.3 Szenario eines langjährigen tionen finden sich in den Tabellen A.5 und weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit A.6. Vergleicht man die Produktionszuwächse Zinserhöhungen einhergeht mit denen in den globalen Risikoszenarien, ist zunächst festzustellen, dass sie sich im Jahr des Zuletzt sollen die Auswirkungen von Schocks 2019 wenig voneinander unterschei- Veränderungen der Zinsen auf ma- den; in Deutschland nimmt etwa die Produkti- kroökonomische Variablen genauer erforscht on in beiden Fällen im mittelschweren Szenario werden. Es wird ein Szenario betrachtet, in um 0,4% zu. Im folgenden Jahr kommt es aber dem ein mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirt- im globalen Risikoszenario zumeist zu erheb- schaftseinbruch mit einer deutlichen Erhöhung lich höheren Produktionsverlusten, als im Fall der Zinsen einhergeht. Die kurzfristigen Zinsen länderspezifischer Schocks zu beobachten ist. werden ab dem Jahr 2019 für die einzelnen Hier schlägt sich offenbar nieder, dass im Fall Ländern so hoch gesetzt, wie sie sich endogen länderspezifischer Schocks eine stabile Kon- in einem besonders positiven globalen Risiko- junktur im Ausland hilft, die heimische Kon- szenario ergeben würden.13 Der Anstieg der junktur wieder zu stabilisieren. Zinsen über alle Laufzeiten zusammen löst Vergleicht man die Werte für die Veränderung den weltwirtschaftlichen Abschwung aus. Das des Bruttoinlandsprodukts mit denen des Ba- ist eine ungewöhnliche Kombination, denn in sisszenarios für die einzelnen Länder, ist wie Abschwungsphasen sind Zinsen tendenziell schon für die globalen Risikoszenarien festzu- niedrig und in Aufschwungsphasen hoch. Zum stellen, dass schwere und mittelschwere Kon- einen wirkt die niedrige Güternachfrage in junktureinbrüche in Irland, Griechenland, der Abschwungsphasen inflationsdämpfend, und Slowakei und Polen mit besonders hohen Pro- deshalb geben sich Finanzinvestoren mit einer duktionsverlusten einhergehen. Bemerkenswert niedrigeren Nominalverzinsung zufrieden, wenn kräftig ist im Jahr 2020 die Erholung in der Slo- sie eine bestimmte reale Rendite anstreben. Zum wakei. Frankreich zeichnet sich durch eine recht anderen ist der markträumende Realzinssatz in hohe Stabilität aus. Deutschland ist, mit einem Aufschwungsphasen höher als in Abschwungs- Produktionsverlust in Relation zum Basisszena- phasen, denn ein hoher Realzins macht es rio von 1,5 Prozentpunkten im mittelschweren attraktiv, Ausgaben in die Zukunft zu verschie- Szenario, stabiler als der Durchschnitt des eu- ben, und trägt so im Aufschwung dazu bei, die ropäischen Länderkreises. 13 Das Positivszenario ist dadurch definiert, dass es Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% zu einer noch die Antwort auf die Frage, wie stark die deut- größeren Ausweitung der Weltwirtschaft kommt. In einem solchen Szenario sind die kurzfristigen Zinsen aufgrund sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei- der geldpolitischen Reaktionsfunktionen der Zentralban- nes bestimmten Landes aus dem europäischen ken hoch. 13
hohe Güternachfrage mit dem Güterangebot in Kauf genommen. Ein ähnliches Szenario ist und das niedrige Kapitalangebot mit der hohen prinzipiell auch für die Zukunft denkbar. Aller- Nachfrage nach Kapital in Deckung zu bringen. dings drohen Inflationserwartungen gegenwärtig Marktkräfte treiben in der Regel die Zinsen in kaum über die Zielraten der Zentralbanken zu Richtung Gleichgewichtswerte, in einer moder- steigen. Andererseits könnten diese Erwartun- nen Geldwirtschaft bemühen sich aber vor allem gen, einmal verselbständigt, in nicht allzu fer- die Zentralbanken darum, ihre Leitzinsen auf ner Zukunft auch schnell über die Zielraten hin- das jeweils markträumende Niveau zu bringen, ausschießen. Dafür gibt es aus monetaristischer denn eine deutliche und anhaltende Unter- Sicht ernst zu nehmende Argumente, denn die oder Überauslastung der Wirtschaft würde die großen Zentralbanken haben die Geldbasis in Preisniveaustabilität und damit das Ziel (oder den vergangenen Jahren sehr stark ausgewei- ein Hauptziel) der Zentralbanken gefährden. tet. Wenn (etwa aufgrund politischer Ereignis- Eine längere Phase gesamtwirtschaftlicher Un- se) in wichtigen Volkswirtschaften das Vertrauen terauslastung geht deshalb, anders als in dem von Unternehmen und Haushalten in die Stabi- in diesem Abschnitt betrachteten Szenario, sel- litätsorientierung der Geldpolitik verloren ginge, ten mit hohen oder steigenden Zinsen ein- wäre es zumindest denkbar, dass sich die Geld- her. Zwar ist denkbar, dass die Wirtschafts- politik gezwungen sähe, ihre Reputation durch subjekte im Abschwung die Aussicht auf den eine Hochzinspolitik wieder herzustellen auch Rückfluss verliehenen Kapitals als besonders unter Inkaufnahme einer längeren Phase gesamt- gering einschätzen und deshalb hohe Risi- wirtschaftlicher Unterauslastung. Das hier dar- koprämien fordern. Das war etwa der Fall gestellte Szenario kann aber auch als verkürzte während der Schulden- und Vertrauenskrise in Darstellung eines Anstiegs von Risikoaversion den südlichen Mitgliedsländern des Euroraums. gegenüber Finanzinstrumenten der Privatwirt- Es gibt aber in einem solchen Fall in der Re- schaft verstanden werden. In einem solchen Fall gel sichere (oder weniger unsichere) Schuldner, läge eine Störung des Transmissionsprozesses die sich dann sogar besonders günstig finanzie- zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft vor. ren können (flight to safety). In der Schulden- Tabelle A.7 zeigt die Effekte des weltweiten und Vertrauenskrise war das etwa der deutsche Zinsschocks, mit Zinsen, die in den Euroraum- Staat. 1 Ländern in der Spitze 3 2 Prozentpunkte höher Eine längere Phase verbreitet großer Unteraus- liegen als im Basisszenario, in dem das Zinsni- lastung bei weltweit hohen Zinsen gab es al- veau für den Euroraum ja besonders niedrig ist. lerdings in den Jahren 1979 bis 1982. Das da- Der Zuwachs der Produktion im europäischen malige Zinshoch ging vor allem auf die Geld- Länderkreis würde jeweils etwa 2 Prozentpunkte politik der US-Notenbank zurück. Sie verfolgte, in den Jahren 2019 und 2020 niedriger ausfallen. letztlich erfolgreich, das Ziel, die Inflation auf Wie schon in den anderen Risikoszenarien so ist ein gegenüber der vergangenen Dekade deutlich auch hier der Einbruch in Griechenland, Irland, niedrigeres Niveau zu bringen. Dazu war es er- der Slowakei und Polen besonders groß. forderlich, die Unternehmen und Haushalte da- zu zu bewegen, ihre aufgrund ihrer Erfahrungen verfestigt hohen Inflationserwartungen nach un- Literaturverzeichnis ten zu revidieren. Die jahrelange Unterauslas- tung der US-Wirtschaft (und anderer Volkswirt- Campbell, John Y., Shiller, Robert J. (1987), schaften) wurde dabei zu einem gewissen Grad Cointegration and Tests of Present Va- 14
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