Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner - Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023

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IWH Online                                          1/2019
                                                     Mai 2019

Andrej Drygalla, Oliver Holtemöller, Axel Lindner

Internationale Konjunkturprognose und
konjunkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023
IWH Online 1/2019

Impressum
In der Reihe „IWH Online“ erscheinen aktuelle Manuskripte der IWH-Wissenschaftlerinnen
und -Wissenschaftler zeitnah online. Die Bände umfassen Gutachten, Studien, Analysen und
Berichterstattungen.

Kontakt
Professor Dr. Oliver Holtemöller
Tel    +49 345 77 53 800
Fax    +49 345 77 53 799
E-Mail: oliver.holtemoeller@iwh-halle.de

Bearbeiter
Dr. Andrej Drygalla
Professor Dr. Oliver Holtemöller
Dr. Axel Lindner

Diese Studie wurde von der Volkswagen Financial Services AG in Auftrag gegeben und finanziert.

Herausgeber
Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH)

Geschäftsführender Vorstand
Prof. Reint E. Gropp, Ph.D.
Prof. Dr. Oliver Holtemöller
Dr. Tankred Schuhmann

Hausanschrift
Kleine Märkerstraße 8
D-06108 Halle (Saale)

Postanschrift
Postfach 11 03 61
D-06017 Halle (Saale)

Tel    +49 345 7753 60
Fax    +49 345 7753 820

www.iwh-halle.de

Alle Rechte vorbehalten

Zitierhinweis
Drygalla, Andrej; Holtemöller, Oliver; Lindner, Axel: Internationale Konjunkturprognose und kon-
junkturelle Szenarien für die Jahre 2018 bis 2023. IWH Online 1/2019. Halle (Saale) 2019.

ISSN 2195-7169

                                                                                               II
IWH Online 1/2019

Internationale Konjunkturprognose
und konjunkturelle Szenarien für die
Jahre 2018 bis 2023

Halle (Saale), 30.10.2018

                                                      III
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle
      Stressszenarien für die Jahre 2018 bis 2023

Zusammenfassung                                        Speziell für die Konjunktur in Europa sind zwei
                                                       Risiken zu nennen: zum einen die Möglichkeit
In der vorliegenden Studie werden zunächst            eines ungeordneten Austritts Großbritanniens
die weltweiten konjunkturellen Aussichten für         aus der EU im Frühjahr 2019, zum anderen ei-
das Ende des Jahres 2018 und für die Jahre            ne neue Schuldenkrise, falls die Regierung Itali-
2019 bis 2023 dargestellt. Dabei wird folgen-          ens ihre expansiven finanzpolitischen Vorhaben
der Länderkreis betrachtet: Deutschland, Frank-       in großem Stil umsetzt und dabei weiter Vertrau-
reich, Griechenland, Großbritannien, Irland, Ita-      en der Finanzmärkte in die Solvenz des italieni-
lien, Niederlande, Polen, Portugal, Schweden,          schen Staates verspielt.
Slowakei, Spanien und Tschechien.                      Die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick-
Im Herbst 2018 sind die Unsicherheiten über           lung in dem betrachteten Länderkreis (Basis-
den Fortgang der Weltkonjunktur groß. Bis              szenario) wird anhand grundlegender volkswirt-
zum Sommer expandierte die globale Produk-             schaftlicher Kennzahlen, etwa der Zuwachsra-
tion zwar weiterhin recht kräftig. In den meis-       te des Bruttoinlandsprodukts, beschrieben. Es
ten Ländern schätzen die Unternehmen aber ge-        wird auch die Entwicklung für den Fall skiz-
genwärtig ihre Geschäftslage deutlich weniger        ziert, dass die Weltwirtschaft eine ungünstige,
günstig ein als in der ersten Jahreshälfte, und im   eine sehr ungünstige Wendung (mittelschweres
Oktober haben die Aktienbewertungen weltweit           und schweres Negativszenario), oder auch eine
deutlich nachgegeben. Auch stellen sich nun-           günstige Wendung nimmt (Positivszenario). Das
mehr die finanziellen Rahmenbedingungen für           mittelschwere Negativszenario ist so gewählt,
die Schwellenländer aufgrund eines Rückzugs          dass die gesamtwirtschaftliche Produktion in der
von internationalen Investoren schlechter dar.         betrachteten Ländergruppe im Jahr 2019 gemäß
Allerdings dürfte in den meisten fortgeschritte-      der aus dem Modell resultierenden Wahrschein-
nen Volkswirtschaften die Binnenkonjunktur an-         lichkeitsverteilung nur mit einer Wahrschein-
gesichts eines zumindest bis in das Jahr 2019          lichkeit von 10% noch geringer ausfällt; das
hinein insgesamt expansiven geld- und finanzpo-        schwere Negativszenario ist so gewählt, dass
litischen Umfelds zunächst recht kräftig bleiben.    sich mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 1% ei-
Belastend wirken indes die protektionistischen         ne noch geringere Produktion realisieren dürfte.
Maßnahmen der US-Politik sowie die Verunsi-            Das Positivszenario wird schließlich so gewählt,
cherung über die Zukunft der Welthandelsord-          dass es mit einer Wahrscheinlichkeit von nur
nung.                                                  10% zu einer noch höheren Produktion in der ge-
Ein Hauptrisiko für die Weltkonjunktur ist ge-        nannten Ländergruppe kommen dürfte.
genwärtig die Gefahr einer weiteren Zuspit-           Im Basisszenario liegt der Produktionszuwachs
zung des Handelskonflikts zwischen den USA             im betrachteten europäischen Länderkreis in den
und China. Aber auch die handelspolitischen            Jahren 2018 und 2019 bei jeweils 1,9%. Im Fall
Spannungen zwischen den USA und der Eu-                eines mittelschweren Einbruchs bleibt die Zu-
ropäischen Union sind noch nicht ausgeräumt.         wachsrate der europäischen Ländergruppe im
Jahr 2019 mit 0,3% um 1,6 Prozentpunkte un-
ter der Rate im Basisszenario, im Fall eines
schweren Einbruchs mit -1% um 2,9 Prozent-
punkte. Besonders stark bricht in den negati-
ven Risikoszenarien die Produktion in Griechen-
land, Irland, der Slowakei und Polen ein. Beson-
ders stabil ist die Produktion dagegen in Frank-
reich. Der weltwirtschaftliche Schock reduziert
die Produktion in Deutschland ungefähr so stark
wie im Durchschnitt der Ländergruppe, die deut-
sche Wirtschaft erholt sich dann aber besonders
rasch. Die länderspezifischen Szenarien erlau-
ben auch die Antwort auf die Frage, wie stark
die deutsche Wirtschaft von dem Wirtschaftsein-
bruch eines bestimmten Landes aus dem eu-
ropäischen Länderkreis betroffen ist. Es zeigt
sich, dass es für Deutschland nur bei einem
schweren Einbruch der Konjunktur in Großbri-
tannien, den Niederlanden und Polen zu mess-
baren Produktionsverlusten kommt.
Zuletzt wird ein Szenario betrachtet, in dem ein
mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirtschaft-
seinbruch mit einer deutlichen Erhöhung der
Zinsen einhergeht. Ein solches Szenario könnte
sich etwa aus einem Verlust an Vertrauen von
Unternehmen und Haushalten in die Stabi-
litätsorientierung der Geldpolitik entwickeln. In
einem solchen Fall können die Zentralbanken
gezwungen sein, ihre Reputation durch eine
Hochzinspolitik wieder herzustellen auch unter
Inkaufnahme einer längeren Phase gesamtwirt-
schaftlicher Unterauslastung.
Inhaltsverzeichnis

1   Einleitung                                                                                             1

2   Die Lage der Weltwirtschaft im Herbst 2018                                                             2

3   Zur Methodik                                                                                           6
    3.1   Der Wachstumskern des makroökonometrischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . .            6
    3.2   Die konjunkturelle Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       7
    3.3   Die Modellierung der Zinsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      9
    3.4   Berechnung der Risikoszenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       9

4   Konjunkturprognose im Basisszenario                                                                   10

5   Risikoszenarien                                                                                       11
    5.1   Mittelschweres und schweres Negativszenario und das Positivszenario . . . . . . . . . .         11
    5.2   Länderspezifische Stressszenarien für das Jahr 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   12
    5.3   Szenario eines langjährigen weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit Zinserhöhungen ein-
          hergeht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   13

A Tabellen                                                                                                16

B Dokumentation der Weiterentwicklungen am Modell                                                         22
Internationale Konjunkturprognose und konjunkturelle
      Stressszenarien für die Jahre 2018 bis 2023

1   Einleitung                                           nes zweiten Teils der Studie. Dort geht es
                                                         um Szenarien einer ungünstigen und einer au-
In der vorliegenden Studie werden zunächst die          ßerordentlich ungünstigen konjunkturellen Ent-
weltweiten konjunkturellen Aussichten für das           wicklung in jeder der einzelnen Volkswirt-
Ende des Jahres 2018 und für die Jahre 2019             schaften aus dem oben genannten europäischen
bis 2023 dargestellt. In einem ersten Schritt wird       Länderkreis. Schließlich wird das Szenario einer
die wahrscheinlichste wirtschaftliche Entwick-           besonders lange dauernden ungünstigen welt-
lung hergeleitet und beschrieben. Davon ausge-           wirtschaftlichen Entwicklung dargestellt.
hend werden Konjunkturbilder für die Fälle ge-         Weil die Prognosen der Studie aus einem ma-
zeichnet, dass die konjunkturelle Entwicklung in         kroökonometrischen Modell für die interna-
einem Teil der prognostizierten Volkswirtschaf-          tionale Konjunktur gewonnen werden, kann
ten eine ungünstige (mittelschweres Negativsze-         präzise definiert werden, was unter günstig“
                                                                                               ”
nario), eine sehr ungünstige Wendung (schwe-            und ungünstig“ zu verstehen ist: Der erste Fall
                                                              ”
res Negativszenario), oder eine günstige Wen-           bedeutet, dass nur mit einer Wahrscheinlichkeit
dung nimmt (Positivszenario). Diese Teilmen-             von 10% gemäß der im verwendeten Modell ge-
ge besteht aus folgenden Mitgliedsstaaten der            nerierten Wahrscheinlichkeitsverteilung die ge-
Europäischen Union: Deutschland, Frankreich,            samtwirtschaftliche Produktion in der genann-
Griechenland, Großbritannien, Irland, Italien,           ten europäischen Ländergruppe im Jahr 2019
Niederlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowa-           noch geringer ausfällt, der zweite Fall wird
kei, Spanien und Tschechien. Dabei geht es nicht         so gewählt, dass mit einer Wahrscheinlichkeit
darum, das Risiko eines auf diese Länder be-            von nur 1% sich eine noch geringere Produk-
schränkten Schocks abzubilden. Wie das Basiss-          tion realisieren dürfte. Schließlich bedeutet das
zenario der wahrscheinlichsten konjunkturellen           Positivszenario, dass die gesamtwirtschaftliche
Entwicklung in den einzelnen Ländern auf ei-            Produktion in der Ländergruppe nur mit einer
ner Prognose der gesamten Weltwirtschaft be-             Wahrscheinlichkeit von 10% noch höher aus-
ruht, so leiten sich auch die Szenarien einer be-        fallen wird. Die auf diese Weise präzise de-
sonders ungünstigen (oder besonders günstigen)         finierten Risikoszenarien eignen sich auch als
Konjunktur jeweils aus Annahmen von weltweit             makroökonomische Basis für Stressszenarien
auftretenden Schocks her. Der Kreis aller model-         von Unternehmen, deren wirtschaftliche Situa-
lierter Volkswirtschaften besteht aus Deutsch-           tion wesentlich von der Entwicklung der ge-
land, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien,         samtwirtschaftlichen Produktion des betrachte-
den Niederlanden, Belgien, Griechenland, Por-            ten Länderkreises abhängt.
tugal, Irland, Großbritannien, Schweden, Po-             Die Konjunkturbilder werden anhand der fol-
len, Tschechien, der Slowakei, Russland, den             genden volkswirtschaftlichen Kennzahlen um-
USA, Kanada, Mexiko, Brasilien, Türkei, Japan,          rissen: jährliche Veränderung des Bruttoinlands-
Südkorea, China, Indien und Australien.                 produkts und des privaten Konsums, Arbeits-
Länderspezifische Schocks sind Gegenstand ei-           losenquote, kurzfristiger Zinssatz und lang-

                                                     1
fristige Rendite von Staatsanleihen, Inflation           2       Die Lage der Weltwirtschaft im
gemessen am Verbraucherpreisindex, jährliche                    Herbst 2018
Veränderung der Industrieproduktion sowie Kfz-
Absatz. Bei der Herleitung der Szenarien wer-            Im Herbst 2018 sind die Unsicherheiten über
den die Wechselwirkungen zwischen den ver-               den Fortgang der Weltkonjunktur groß.1 Bis
schiedenen Regionen berücksichtigt. Für jedes          zum Sommer expandierte die globale Produkti-
der vier Szenarien (Basisszenario, mittelschwe-          on zwar weiterhin recht kräftig; einer Schwäche
res Negativszenario, schweres Negativszenario,           im ersten Quartal folgte ein deutlicher An-
Positivszenario) wird beschrieben, welche Ent-           stieg im zweiten. In den meisten Ländern
wicklung für die betrachteten Länder in den Jah-       schätzen aber die Unternehmen gegenwärtig ih-
ren bis 2023 zu erwarten wäre.                          re Geschäftslage deutlich weniger günstig ein als
                                                         in der ersten Jahreshälfte, und im Oktober haben
                                                         die Aktienbewertungen weltweit deutlich nach-
Schließlich wird das Szenario eines mindes-              gegeben. Auch stellen sich die finanziellen Rah-
tens dreijährigen weltweiten Konjunkturein-             menbedingungen für die Schwellenländer auf-
bruchs bei zugleich steigenden Zinsen darge-             grund eines Rückzugs von internationalen Inves-
stellt. Es zeigt sich, dass ein Anstieg der welt-        toren nunmehr schlechter dar; in der Türkei und
weiten Zinsen um etwa eineinhalb Prozentpunk-            in Argentinien nahm die Entwicklung krisenhaf-
te über drei Jahre den Zuwachs der Produktion           te Ausmaße an. Zudem überschatten Handels-
im zweiten Jahr stärker als im schweren Nega-           konflikte den Ausblick.
tivszenario drücken würde. Diese Aussage gilt          Schon seit Jahresbeginn sind die Unterschiede
allgemein für die internationale Konjunktur. Zu         in der konjunkturellen Dynamik zwischen den
den von den Zinsen überdurchschnittlich stark           Ländern größer geworden. Während der Auf-
betroffenen Ländern gehören Deutschland und            schwung in den USA auch wegen des starken
Großbritannien.                                          Impulses durch die dortigen Steuersenkungen
                                                         und staatlichen Mehrausgaben noch einmal an
                                                         Schwung gewonnen hat und die Produktion in
Der Aufbau der Studie ist wie folgt: In Abschnitt
                                                         China weiter deutlich zulegt, hat die Konjunktur
2 wird die Lage der Weltwirtschaft im Herbst
                                                         im Euroraum an Fahrt verloren. Besonders deut-
2018 dargestellt, wobei es im Abschnitt 2 um die
                                                         lich war die Verlangsamung in Frankreich und
derzeit wichtigsten Risiken für die Weltkonjunk-
                                                         in Italien und damit in Volkswirtschaften, deren
tur geht. Danach wird das makroökonometrische
                                                         Dynamik im Jahr zuvor gemessen an ihren je-
Modell skizziert (Abschnitt 3), mit dem die Pro-
                                                         weiligen Trendwachstumsraten besonders hoch
gnose, die beiden Negativszenarien und das Po-
                                                         ausgefallen war.
sitivszenario hergeleitet werden (Abschnitt 4).
                                                         Der Welthandel, der Ende vergangenen Jahres
                                                         noch kräftig gestiegen war, hat deutlich an Dy-
Darauf werden länderspezifische Risikoszenari-          namik verloren. Möglicherweise spiegelt sich
en dargestellt (Abschnitt 5.2). Schließlich stellt       darin bereits die Verschlechterung der handels-
die Studie das Szenario einer ungünstigen welt-         politischen Rahmenbedingungen wider. Im Lauf
wirtschaftlichen Entwicklung dar, die besonders              1
                                                              Der Abschnitt ist eine aktualisierte Fassung des
lange, nämlich drei Jahre über andauert, und die       Überblickskapitels zum internationalen Teil des Herbst-
mit einem starken Anstieg der Zinsen einhergeht          gutachtens der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose vom
                                                         Oktober. An dem Gutachten hat das IWH mitgewirkt (Pro-
(Abschnitt 5.3).                                         jektgruppe Gemeinschaftsdiagnose, 2018).

                                                     2
dieses Jahres ergriff die US-Regierung eine Rei-               botsrückgang würde den Markt in einer Situati-
he von protektionistischen Maßnahmen. So wur-                  on treffen, in der die Produktion bereits längere
den Zölle für eine breite Palette von Gütern ins-           Zeit hinter dem Verbrauch zurückgeblieben ist
besondere aus China erhöht oder (als Ergebnis                 und somit die Lagerbestände stark abgenommen
bilateraler Verhandlungen) Importquoten ein-                   haben. Zwar gibt es freie Förderkapazitäten,
geführt. China, wie auch die Europäische Uni-                denn einige Länder haben ihre Produktion frei-
on sowie einige andere Länder, verhängte dar-                willig beschränkt, doch sind diese nur begrenzt
aufhin Vergeltungszölle auf US-Produkte. Die                  kurzfristig mobilisierbar. Hinzu kommt ein ste-
neuen Handelshemmnisse können allerdings die                  tiger Rückgang des Ölangebots aus Venezuela
schwache Dynamik des Welthandels nicht al-                     und Mexiko. Vor diesem Hintergrund stieg der
lein erklären. Einmal schwächelt dieser bereits              Erdölpreis im Jahresverlauf stark, und obwohl er
seit dem Jahreswechsel, während die handelspo-                im Oktober zusammen mit den Weltaktienkur-
litischen Maßnahmen im Wesentlichen erst im                    sen wieder etwas gesunken ist, liegt er Ende des
Sommer in Kraft traten. Außerdem betrafen die                  Monats mit etwa 76 US-Dollar (Brent) um rund
Maßnahmen bis zur Ausweitung der Strafzölle                   33% höher als vor einem Jahr. Dass sich dar-
gegenüber China im September nur einen klei-                  in eher eine befürchtete Angebotsverknappun-
nen Kreis von Gütern, die nur einen geringen                  gen und weniger eine lebhafte Weltkonjunktur
Anteil des Welthandels ausmachen. Schließlich                  widerspiegeln, lässt sich daraus schließen, dass
haben die Währungen der von den US-Zöllen                    die Preise für Industrierohstoffe seit Jahresbe-
betroffenen Volkswirtschaften seit Beginn des                  ginn konstant blieben und im Falle von Kupfer,
Handelskonflikts meist sehr stark gegenüber                   Nickel und Blei im Sommer sogar nachgaben.
dem US-Dollar abgewertet, was dem mit der                      Die Verteuerung von Rohöl hat zur Jahresmit-
Zollanhebung verbundenen Verlust an preisli-                   te die Verbraucherpreise in den größeren fortge-
cher Wettbewerbsfähigkeit entgegenwirkt. Al-                  schrittenen Volkswirtschaften verstärkt steigen
lerdings dürften die Handelskonflikte die Kon-                lassen. Im Sommer erreichte die Inflationsra-
junktur über die unmittelbaren Wirkungen auf                  te in den USA vorübergehend fast 3%, und im
den Handel hinaus dämpfen, da die damit ver-                  Euroraum überstieg sie das von der EZB mit-
bundenen Unsicherheiten die Unternehmensin-                    telfristig angestrebte Inflationsziel von etwa 2%
vestitionen, etwa in den Auf- oder Ausbau von                  leicht. In Japan war die Inflation mit 1,2% (Sep-
Exportstrukturen, bremsen.                                     tember) allerdings immer noch gering. Die (um
Die US-Regierung hat in diesem Jahr neben                      die Energiepreiskomponente bereinigte) Kernra-
Maßnahmen zum Schutz importkonkurrieren-                       te hat sich bislang nur in den USA erhöht. So-
der heimischer Anbieter auch politisch motivier-               wohl in Japan (0,3% im September) als auch
te Sanktionen verhängt, besonders umfänglich                 im Euroraum (1,1%) blieb sie praktisch un-
gegenüber dem Iran in Verbindung mit der                      verändert. Allerdings scheinen in beiden Wirt-
Aufkündigung des Atomabkommens im               Mai.2         schaftsräumen die Löhne inzwischen schneller
Es wird vielfach damit gerechnet, dass des-                    zu steigen. Dazu passt, dass die Arbeitslosigkeit
halb künftig deutlich weniger iranisches Erdöl               im Euroraum kontinuierlich fällt und in Japan
auf den Weltmarkt         kommt.3     Dieser Ange-             inzwischen ausgesprochen niedrig ist. Setzt sich
   2
                                                               die Zunahme des Lohnanstiegs fort, dürften bald
     Außerdem haben die USA im laufenden Jahr aus ver-
schiedenen Gründen Sanktionen gegenüber Russland, Ve-        auch die Verbraucherpreise beschleunigt steigen.
nezuela und der Türkei verhängt.
   3
     So ist aus Europa die Nachfrage nach iranischem Öl       Irans ihrerseits mit Sanktionen vonseiten der USA rechnen
schon im Sommer deutlich zurückgegangen, weil Kunden          müssen. Vgl. IEA: Oil Market Report (August 2018), S.17.

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Aufgrund der anziehenden Inflation hat die                 tinien und die Türkei zu: Die türkische Lira
US-Notenbank das Tempo ihrer geldpolitischen               hat gegenüber dem US-Dollar seit Juli diesen
Straffung erhöht. Sie hat ihr Zielband für die Fe-       Jahres trotz einer leichten Erholung im Okto-
deral Funds Rate in diesem Jahr bereits drei-              ber um etwa 15% und der argentinische Peso
mal angehoben, zuletzt im September auf 2,0                um etwa 25% an Wert verloren. Darüber hin-
bis 2,25%. Sofern die konjunkturelle Expansi-              aus haben die Währungen nahezu aller Schwel-
on anhält, dürfte der Leitzins Ende 2019 bei 2,5         lenländer in den vergangenen Monaten spürbar
bis 2,75% und damit ungefähr bei einem kon-               abgewertet. Offensichtlich schätzen Finanzin-
junkturneutralen Niveau angekommen sein. Die               vestoren, wohl auch unter dem Eindruck der
Leitzinsen im Euroraum und in Japan liegen da-             Entwicklungen in Argentinien und der Türkei,
gegen unverändert bei 0%, und die Finanzie-               Anlagen in diesem Länderkreis generell riskan-
rungskosten werden hier wie dort voraussicht-              ter ein. Allerdings ging den Abwertungen ande-
lich auch im Prognosezeitraum ausgesprochen                rer Währungen zumeist eine erhebliche Aufwer-
niedrig bleiben. Allerdings führen die Noten-             tung voraus, so dass beispielsweise gegenüber
banken beider Wirtschaftsräume den Umfang ih-             dem Jahresbeginn 2016 häufig nur eine geringe
rer Wertpapierkäufe zurück. Die EZB beabsich-            Abwertung, teilweise sogar noch eine Aufwer-
tigt, die Nettokäufe Ende 2018 ganz einzustel-            tung zu verzeichnen ist. Geldpolitische Reaktio-
len, der Leitzins dürfte aber erst in der zweiten         nen blieben denn auch größtenteils aus; verein-
Jahreshälfte 2019 angehoben werden. Für Japan            zelt wurden die Leitzinsen sogar bis in den Som-
zeichnet sich noch keine Zinserhöhung ab.                 mer hinein gesenkt. Demgegenüber standen die
Die Finanzmarktteilnehmer haben ihre Erwar-                Währungen Argentiniens und der Türkei schon
tungen zur künftige Zinsentwicklung in den                länger unter Druck, und die importierte Infla-
USA aufgrund der dort kräftigen Konjunktur im             tion ist in beiden Ländern so erheblich, dass
Lauf der ersten Jahreshälfte 2018 nach oben kor-          die Notenbanken mit drastischen Zinsanhebun-
rigiert, womit auch die langfristigen Zinsen in            gen reagiert haben. Zudem hat Argentinien ei-
den USA deutlich gestiegen sind, für 10-jährige          ne Kreditlinie mit dem IWF vereinbart, wel-
Staatstitel um einen halben Prozentpunkt auf et-           che die Zahlungsfähigkeit des Landes bis Ende
wa 3,3% (Ende Oktober). Der Renditeabstand                 nächsten Jahres sicherstellt, aber Strukturrefor-
gegenüber entsprechenden deutschen oder briti-            men zur Bedingung macht. Die türkische Regie-
schen Titeln ist gegenwärtig mit 2,9 beziehungs-          rung strebt an, die Lage ohne Hilfe des Interna-
weise 1,8 Prozentpunkten ausgesprochen groß.               tionalen Währungsfonds zu meistern.
Infolge des Zinsanstiegs in den USA haben Fi-              Die Risiken für die Wirtschaft in den Schwel-
nanzanlagen in Schwellenländern an Attrakti-              lenländern sind vor diesem Hintergrund zwar
vität verloren. Ein damit verbundener signifikan-         deutlich gestiegen, ein verbreiteter Konjunktur-
ter Rückgang der Nettokapitalzuflüsse schwächt          einbruch oder gar eine Schwellenländerkrise,
in der Regel die wirtschaftliche Dynamik der               vergleichbar mit der Asienkrise 1997/98, ist
Schwellenländer und führt zu Rückgängen bei            aber nicht zu erwarten. Argentinien und die
den Vermögenspreisen, die zuvor meist als Fol-            Türkei sind deswegen besonders anfällig ge-
ge der zugeflossenen Finanzmittel kräftig gestie-         genüber Kapitalflucht, weil in beiden Ländern
gen sind. Problematisch ist, dass Kapitalabflüsse         die Verschuldung der Wirtschaft in hohem Maß
selbstverstärkende Effekte haben können, ins-            in Fremdwährungen denominiert ist, so dass es
besondere wenn länderspezifische Risiken hin-             bei Abwertung der heimischen Währung im-
zukommen. Dies trifft gegenwärtig für Argen-             mer teurer wird, die Schulden zu bedienen.

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Hinzu kommt, dass beide Länder aufgrund ho-              steuersatz im Herbst 2019 von 8 auf 10% zu
her Leistungsbilanzdefizite in großem Umfang              erhöhen, die Regierung will den restriktiven
auf Zufluss ausländischen Kapitals angewiesen            Wirkungen dieser Maßnahme aber zunächst ent-
sind. Zudem ist das Vertrauen von Anlegern in             gegen wirken, indem ein Teil der Mehreinnah-
die Stabilitätsorientierung der Wirtschaftspolitik       men für zusätzliche Staatsausgaben verwendet
gering. Die meisten übrigen Schwellenländern            wird.
sind weniger exponiert, nicht zuletzt, weil die           Angesichts eines zumindest bis in das Jahr 2019
Fremdwährungsverschuldung nach der Krise der             hinein insgesamt expansiven geld- und finanz-
Jahre 1997/98 stark reduziert wurde und der Ka-           politischen Umfelds dürfte die Binnenkonjunk-
pitalbedarf zur Finanzierung von Leistungsbi-             tur in den meisten fortgeschrittenen Volkswirt-
lanzdefiziten zumeist gering ist.                         schaften zunächst recht kräftig bleiben. Belas-
Die Aufwertung des Dollar betraf nicht nur als            tend wirken indes die protektionistischen Maß-
labil geltende Währungen, auch im Verhältnis            nahmen der US-Politik sowie die Verunsiche-
zum Euro hat er seit April um reichlich 7%                rung über die Zukunft der Welthandelsordnung.
an Wert gewonnen. Bemerkenswert ist, dass der             Zwar hat die Trump-Juncker-Absprache vom Ju-
im Allgemeinen wenig schwankende Dollarkurs               li zunächst den Konflikt zwischen den USA und
des Renminbi um etwa 10% gefallen ist. In                 der EU deeskaliert. Sie macht den Aufbau neu-
China haben wohl Sorgen um die Auswirkun-                 er transatlantischer Handelshemmnisse für die
gen des Handelskonflikts mit den USA für die             Zeit der vereinbarten Verhandlungen über ein
Exportwirtschaft eine wichtige Rolle gespielt,            neues Abkommen zwischen den USA und der
die auch zu deutlichen Kursverlusten an den               Europäischen Union etwas weniger wahrschein-
Aktienmärkten führten. Die chinesische Wirt-            lich. Auch hat die Einigung der USA, Mexi-
schaftspolitik scheint dieser Entwicklung gegen-          kos und Kanadas im September auf ein Han-
steuern zu wollen. Stand bis zum Frühjahr die            delsabkommen, das NAFTA ersetzen soll, die
Eindämmung des überbordenden Kreditwachs-               handelspolitischen Perspektiven für Nordameri-
tums im Vordergrund, wird das Finanzsystem                ka verbessert. Diese Einigung zeigt aber, dass
nun mit zusätzlicher Liquidität versorgt, und es        Lösungen für Handelskonflikte wohl nur zu er-
ist von zusätzlichen Staatsausgaben die Rede.            zielen sind, wenn höhere nichttarifäre Handels-
In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften ist            hemmnisse in Kauf genommen werden. Der
die Finanzpolitik vor allem in den USA ausge-             Konflikt zwischen den USA und China scheint
sprochen expansiv ausgerichtet. In diesem Jahr            zudem weiter zu eskalieren. Dämpfend auf
macht der fiskalische Impuls rund 1,5% des                die internationale Konjunktur in den kommen-
Bruttoinlandsprodukts aus, und auch im kom-               den Quartalen wirkt schließlich die deutliche
menden Jahr wird er erheblich sein. Expansiv,             Verschlechterung der Finanzierungskonditionen
wenngleich in deutlich geringerem Umfang, ist             nicht nur in Argentinien und in der Türkei, son-
die Finanzpolitik auch einiger Länder des Eu-            dern auch in anderen Schwellenländern wie Bra-
roraums ausgerichtet. Im Jahr 2018 sind dies vor          silien und Russland.
allem Spanien und die Niederlande, im kom-
menden Jahr ist es insbesondere Deutschland               Risiken
und wohl auch Italien. Die britische Regierung
hat ihre Sparpläne zwar gelockert, gleichwohl            Das hier gezeichnete Bild einer weiteren, wenn
bleibt die Finanzpolitik leicht restriktiv ausge-         auch schwächeren Expansion der Weltwirtschaft
richtet. In Japan ist vorgesehen, den Mehrwert-           ist allerdings mit deutlichen Risiken behaftet.

                                                      5
Zum einen droht nach wie vor eine Zuspit-                grund der hohen Staatsschuld des Landes von
zung des Handelskonflikts zwischen den USA               über 130% in Relation zum Bruttoinlandspro-
und China. Eine solche könnte dem Welthan-              dukt und eines nur geringen Potenzialwachstums
delssystem großen Schaden zufügen, schon weil           haben sich die Risikoprämien für italienische
die USA mit Abstand der weltgrößte Impor-               Staatstitel im Jahresverlauf sehr deutlich erhöht.
teur und China die größte Exportnation ist. Auf-        Die Rendite von italienischen Staatsanleihen mit
grund der inzwischen hohen Verflechtung der              10-jähriger Laufzeit ist seit Jahresbeginn von
Wertschöpfungsketten würden stärkere Handels-         2,0% auf 3,7% Ende Oktober gestiegen. Sollte
barrieren zwischen den USA und China wohl die            die Solvenz des italienischen Staates ernsthaft in
Produktionskosten überall auf der Welt steigen          Frage gestellt werden, könnte dies den Zusam-
lassen. Auch die handelspolitischen Spannun-             menhalt der Währungsunion gefährden.
gen zwischen den USA und der Europäischen
Union sind noch nicht ausgeräumt. Einen weite-          3      Zur Methodik
ren Gefahrenherd für die Weltkonjunktur stellen
die Krisen in Argentinien und in der Türkei dar.        Die Konjunkturprognose und die Risikoszenari-
Beide Länder haben für sich genommen kein              en werden mit Hilfe eines internationalen ma-
großes weltwirtschaftliches Gewicht. Das Bild            kroökonometrischen Modells erstellt. Es handelt
würde sich aber ändern, wenn die dortigen Kri-         sich dabei um ein Modell, das einen neoklas-
sen einen Vertrauensverlust gegenüber weiteren          sischen Wachstumskern besitzt und kurzfristig
Schwellenländern auslösten. Die Finanzierungs-         einen neukeynesianischen Charakter hat. In dem
bedingungen würden sich dann dort noch deut-            Modell sind die Länder Deutschland, Österreich,
lich stärker verschlechtern als hier unterstellt.       Italien, Frankreich, Spanien, Polen, Tschechi-
Ein solcher Ansteckungsprozess ist auch deshalb          en, Portugal, Belgien, die Niederlande, Irland,
denkbar, weil die Fremdwährungsverschuldung             Großbritannien, Griechenland, die Türkei, Ka-
von Unternehmen in einigen Schwellenländern             nada, Schweden, die USA, Mexiko, Brasilien,
in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist.           Russland, Japan, China, Indien, Südkorea und
Schließlich sind zwei Risiken speziell für die          Australien abgebildet. Aus diesem Länderkreis
Konjunktur in Europa zu nennen: zum einen die            stammen gut 80% der Weltproduktion an Gütern
Möglichkeit eines ungeordneten Austritts Groß-          und Dienstleistungen. Im folgenden Abschnitt
britanniens aus der EU im Frühjahr 2019, zum            3.1 wird zunächst der Wachstumskern des Mo-
anderen eine neue Schuldenkrise, falls die neue          dells beschrieben, bevor die konjunkturelle Dy-
Regierung Italiens ihre expansiven finanzpoliti-         namik in Abschnitt 3.2 und die Berechnung der
schen Vorhaben in großem Stil und umsetzt und            Risikoszenarien in Abschnitt 3.4 erläutert wer-
dabei weiter Vertrauen der Finanzmärkte in die          den.
Solvenz des italienischen Staates verspielt. Um
den Vertrauensverlust zu stoppen, ist zunächst          3.1     Der Wachstumskern des
eine Verständigung mit der Europäischen Kom-                   makroökonometrischen Modells
mission über den Haushaltsplan für das Jahr
2019 notwendig, nachdem der italienische Haus-           Bei       der     Spezifikation      des      ma-
haltsentwurf im Oktober von der Kommission               kroökonometrischen      internationalen     Kon-
mit dem Hinweis zurückgewiesen worden ist,              junkturmodells wird davon ausgegangen, dass
dass in ihm die Kommissionsempfehlungen kei-             die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in eine
ne Berücksichtigung fänden. Vor dem Hinter-            Trendkomponente und in eine zyklische Kom-

                                                     6
ponente (Konjunktur) zerlegt werden kann und                          trendmäßige Bruttoinlandsprodukt (Y , Produk-
dass die einzelnen Länder individuellen langfris-                    tionspotenzial) ergibt sich dann aus dem Pro-
tigen Wachstumstrends folgen. Diese ergeben                           dukt von trendmäßiger Arbeitsproduktivität und
sich basierend auf theoretischen Überlegungen                        trendmäßiger Anzahl der Erwerbspersonen:
aus der trendmäßigen Wachstumsrate der Ar-
beitsproduktivität (A) und der trendmäßigen                                           Y t = At × N t .
Entwicklung der Erwerbstätigenzahl (N ). Diese
wird in die Komponenten Beschäftigungsquote                          Die Trend- und Zykluskomponenten des realen
(ρ) und Erwerbspersonenzahl (P ) zerlegt:4                            effektiven Wechselkurses (Z) und der Inflations-
                                                                      rate (π) werden ebenfalls mit Hilfe von univaria-
                      Nt = ρt × Pt .                                  ten Zeitreihenmodellen und anschließender Ver-
                                                                      wendung des HP-Filters berechnet.
Zunächst wird die Beschäftigungsquote mit
einem univariaten Zeitreihenmodell bis in
                                                                      3.2    Die konjunkturelle Dynamik
das Jahr 2030 fortgeschrieben und anschlie-
ßend der H ODRICK -P RESCOTT-Filter (HP-                              Während die trendmäßigen Verläufe der ma-
Filter) angewendet, um die Trendkomponente                            kroökonomischen Variablen auf die zuvor be-
(ρ) und die zyklische Komponente (ρ̃) zu er-                          schriebene Weise unabhängig voneinander er-
mitteln.5 Die Trendkomponente der Erwerbs-                            mittelt worden sind, folgt die konjunkturelle
personenzahl (N ) wird berechnet, indem die                           Dynamik der wichtigsten makroökonomischen
trendmäßige Beschäftigungsquote mit der Er-                         Variablen aus einem multivariaten Modell für
werbspersonenzahl multipliziert wird, wobei für                      die jeweiligen Abweichungen vom Trend. Da-
die Prognose Schätzungen der Europäischen                           zu wird die Produktionslücke (ỹ) als die re-
Kommission zur natürlichen Arbeitslosenquote                         lative Abweichung vom trendmäßigen Brutto-
berücksichtigt werden und die Vorausschätzung                       inlandsprodukt und die zyklische Komponen-
der Erwerbspersonenzahl durch die Internatio-                         te der Inflationsrate (π̃) als absolute Abwei-
nal Labour Organization (ILO) zugrunde gelegt                         chung von der trendmäßigen Inflationsrate defi-
wird:6                                                                niert. Im Einklang mit der neukeynesianischen
                     N t = ρt × Pt .                                  makroökonomischen Theorie wird unterstellt,
                                                                      dass Güterpreise eine gewisse Rigidität auf-
Die Wachstumsrate der Arbeitsproduktivität
                                                                      weisen, so dass die Produktion kurzfristig von
wird ebenfalls zunächst mit Hilfe eines uni-
                                                                      der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage determi-
variaten Zeitreihenmodells (Random Walk mit
                                                                      niert wird. Die gesamtwirtschaftliche Nachfra-
Drift für die logarithmierte Arbeitsprodukti-
                                                                      ge hängt von den Einkommenserwartungen, dem
vität) bis in das Jahr 2030 fortgeschrieben,
                                                                      realen Zins, der internationalen preislichen Wett-
das heißt es wird eine konstante trendmäßige
                                                                      bewerbsfähigkeit (gemessen anhand des rea-
Wachstumsrate unterstellt. Anschließend wird
                                                                      len effektiven Wechselkurses) und der konjunk-
die Trendkomponente der Arbeitsproduktivität
                                                                      turellen Situation im Ausland (gemessen an-
(A) wiederum mit dem HP-Filter bestimmt. Das
                                                                      hand der handelsgewichteten Produktionslücke
   4
      Die Erwerbspersonenzahl ist die Summe aus Er-                   der übrigen Länder) ab.7 Auf dieser Stufe wer-
werbstätigen und arbeitsuchenden Erwerbslosen.
    5                                                                    7
      Siehe zum H ODRICK -P RESCOTT-Filter Hodrick und                    In einer vorherigen Version des Modells wurde die
Prescott (1997).                                                      konjunkturelle Dynamik eines Landes auch in direk-
    6
      Bei einer natürlichen Arbeitslosenquote ut gilt für die       ter Abhängigkeit vom langfristigen Zinssatz modelliert.
trendmäßige Beschäftigungsquote: ρt = 1 − ut .                      Zu den direkten Einflüssen langfristiger Zinsen auf die

                                                                  7
den also explizit internationale Verflechtungen                       wobei der Parameter α die Schnelligkeit der An-
berücksichtigt. Die Inflationsrate ergibt sich aus                   passung an die relative KKP bei kurzfristigen
den Inflationserwartungen, dem Auslastungs-                           Abweichungen beschreibt. Für die Währungen
grad der Volkswirtschaft (gemessen anhand der                         der Rohstoffexporteure Brasilien und Russ-
Produktionslücke) und der Veränderung des rea-                      land wird die kurzfristige Dynamik zusätzlich
len effektiven Wechselkurses, denn dieser be-                         in Abhängigkeit der Ölpreisentwicklung mo-
einflusst die Preise ausländischer Güter, die in                    delliert. Die Fehlerkorrekturgleichungen eu-
den inländischen Warenkorb eingehen. Der rea-                        ropäischer Währungen, die relativ stark an
le effektive Wechselkurs wird im Modell deter-                        die Wertentwicklung des Euro gebunden sind,
miniert, indem der nominale Wechselkurs und                           berücksichtigen zudem die kurzfristige Dyna-
die Inflationsraten im In- und Ausland mit ent-                       mik des Euro-Dollar-Wechselkurses.
sprechenden Gewichten zur Berechnung heran-                           Schließlich wird die Zinspolitik der Zentralbank
gezogen werden. Die nominalen Wechselkurse                            mit Hilfe einer geldpolitischen Reaktionsfunk-
der im Modell enthaltenen Länder gegenüber                          tion abgebildet, in die der Auslastungsgrad der
dem US-Dollar werden dabei gemäß der re-                             Volkswirtschaft und die Abweichung der Inflati-
lativen Kaufkraftparitätentheorie (KKP) model-                       onsrate von der trendmäßigen Inflationsrate ein-
liert.8    Diese unterstellt, dass die Veränderung                   geht. Den Kern des Modells für die Prognose der
des Wechselkurses zwischen zwei Währungen                            konjunkturellen Dynamik bildet also ein Sys-
der Differenz der Inflationsraten in den jeweili-                     tem mit den vier Variablen Produktionslücke,
gen Ländern bzw. Währungsräumen entspricht.                        zyklische Komponente der Inflationsrate, rea-
Für die langfristige Dynamik des nominalen                           ler effektiver Wechselkurs und Zinssatz für je-
Wechselkurses (∆st ) gilt somit:                                      des Land, wobei die kurzfristigen Zinsen in den
                                                                      Ländern der Euroraums aufgrund der gemeinsa-
                     ∆st = πt − πt∗ ,                                 men Geldpolitik identisch sind.
                                                                      Die weiteren endogenen Variablen privater
wobei πt die Inflationsrate im In- und πt∗ die In-
                                                                      Konsum, Arbeitslosenquote, Industrieprodukti-
flationsrate im Ausland bezeichnet. In der kurz-
                                                                      on und Kfz-Absatz werden mit Einzelgleichun-
en Frist ist die Entwicklung des Wechselkurses
                                                                      gen modelliert, in die die jeweilige nationa-
durch die Korrektur eventueller Abweichungen
                                                                      le wirtschaftliche Lage eingeht, insbesondere
von der relativen KKP sowie den kurzfristigen
                                                                      das Bruttoinlandsprodukt. Das Modell hat somit
Dynamiken der Inflationsraten bestimmt. Hier-
                                                                      eine blockrekursive Struktur. Zunächst werden
zu wird die folgende Fehlerkorrekturgleichung
                                                                      die zentralen makroökonomischen Variablen mit
geschätzt:9
                                                                      Hilfe des internationalen Konjunkturmodells de-
                                      ∗                               terminiert, anschließend werden die zusätzlich
          ∆(∆st ) = α(∆st−1 − πt−1 + πt−1 )
                                                                      interessierenden Variablen aus den jeweiligen
                  + γ∆(πt − πt∗ ) + t ,
                                                                      nationalen Entwicklungen abgeleitet ohne dass
                                                                      privater Konsum, Arbeitslosenquote, Industrie-
Konjunktur bzw. indirekten Wirkungen über kurzfristige
                                                                      produktion und Kfz-Absatz eine Rückwirkung
Zinssätze besteht jedoch noch weiterer Forschungsbedarf.             auf die Dynamik der anderen Variablen haben.
    8
      Siehe zur relativen Kaufkraftparitätentheorie u.a. Offi-
cer (1976), Dornbusch (1987) und Rogoff (1996).
                                                                      Hier besteht zwar Potenzial, die Methodik zu
    9
      Die Spezifikation beruht auf der Annahme rigider                verfeinern; für den in dieser Studie verfolg-
Güterpreise, wodurch sich Wechselkursänderungen mit ei-
                                                                      ten Prognosezweck ist diese Vorgehensweise je-
ner Verzögerung von mindestens einem Quartal in den je-
weiligen Inflationsraten widerspiegeln.                               doch grundsätzlich gut geeignet, weil von der

                                                                  8
Verfeinerung – wenn überhaupt – nur eine ge-                   Szenarien zu definieren, bestehen folgender
ringfügige Verringerung der Prognosefehler zu                  Alternativen:
erwarten ist.
                                                                 1. Bedingte Simulation

3.3      Die Modellierung der Zinsstruktur                             • Schätzung               des           ma-
                                                                          kroökonometrischen Modells
Die Leitzinsen werden über eine geldpoliti-
sche Reaktionsfunktion bestimmt. Diese gibt                            • Prognose aller Variablen mit dem Mo-
an, wie die Zentralbank den Kurzfristzins in                              dell
Abhängigkeit von Produktionslücke und In-                            • Ermittlung des Prognoseintervalls für
flation setzt. Ferner wird eine Verzögerung                              eine Referenzgröße (beispielsweise
der Anpassung des Zinses an sein Zielniveau                               deutsches reales Bruttoinlandspro-
berücksichtigt.                                                          dukt oder Summe der Bruttoinlands-
Sodann werden die Niveaus der Marktzinssätze                             produkte aller oder mehrerer Länder
unterschiedlicher Fristigkeit in Abhängigkeit                            im Modell)
vom Leitzins geschätzt. Die Modellierung
                                                                       • Ermittlung des 10% (1%)-Quantils
der Stützstellen der Zinsstruktur erfolgt unter
                                                                          der Referenzgröße
Berücksichtigung signifikanter Zusammenhänge
                                                                       • Simulation (bedingte Prognose) des
ihrer Dynamik und der Verläufe der kurzfristi-
                                                                          Modells basierend auf dem jeweiligen
gen Zinsen (dreimonatiger Geldmarktzins) und
                                                                          Quantil der Referenzgröße
der Renditen für zehnjährige Staatsanleihen. Für
die Dynamik der Zinsen (Z) gilt dabei:                                 • Negativ- bzw. Positivszenario spie-
                                                                          gelt Unsicherheit bezüglich der ver-
                                                                          schiedenen Schocks im Modell und
        ∆Zt = α(Zt−1 − β0 − β1 × RZt−1 )
                                                                          bezüglich der geschätzten Modellpa-
              + γ∆RZt + t .                                              rameter wider, soweit diese sich auf
                                                                          die Referenzgröße auswirken
Referenzzins (RZ) für kurzfristige Zinsen ist
der dreimonatige Geldmarktzins, während sich                    2. Impulsantwortfolge
die langfristigen Renditen an der Rendite
zehnjähriger Staatsanleihen orientieren. Letzte-                      • Schätzung               des           ma-
re sind wiederum mit dem dreimonatigen Geld-                              kroökonometrischen Modells
marktzins kointegriert.10                                              • Prognose aller Variablen mit dem Mo-
                                                                          dell
3.4      Berechnung der Risikoszenarien
                                                                       • Ermittlung der Quantile (10%/1%) ei-
                                                                          ner festzulegenden Referenzgröße
Es werden zwei Negativszenarien ermittelt,
bei denen die Wahrscheinlichkeit einer noch                            • Kalibrierung      eines        spezifischen
ungünstigeren        konjunkturellen      Entwicklung                    Schocks     (beispielsweise      geldpoli-
10% bzw. 1% beträgt. Zudem wird ein Po-                                  tischer   Schock,       Inflationsschock,
sitivszenario       betrachtet.    Hier    beträgt   die                 Nachfrageschock), der zu den ent-
Wahrscheinlichkeit einer noch günstigeren                                sprechenden      Realisierungen       der
konjunkturellen Entwicklung 10%. Um solche                                Referenzgröße führt
  10
       Vgl. Campbell und Shiller (1987).                               • Simulation des Modells

                                                            9
• Szenario verdeutlicht die Folgen eines          4   Konjunkturprognose im
          spezifischen Schocks                                Basisszenario

 3. Multivariate Verteilung                               Mit dem in Abschnitt 3 skizzierten ma-
                                                          kroökonometrischen Modell ergeben sich für
        • Schätzung             des           ma-        die Konjunktur der in dieser Studie betrachte-
          kroökonometrischen Modells                     ten Länder in den Jahren 2018 und 2019 Pro-
                                                          gnosen (Tabelle A.1), die im Allgemeinen nahe
        • Prognose aller Variablen mit dem Mo-            an denen der Projektgruppe Gemeinschaftsdia-
          dell                                            gnose vom September und auch an denen des
        • Ermittlung der multivariaten Vertei-            IWF in dessen jüngsten World Economic Out-
          lung aller endogenen Variablen                  look (Oktober 2018) liegen.11 Für die beiden
                                                          größten Volkswirtschaften, die USA und China,
        • Bestimmung des jeweiligen 10%                   werden für 2018 um 0,2 Prozentpunkte niedri-
          (1%)-Quantils anhand der multivaria-            gere Zuwachsraten vorhergesagt als in der Ge-
          ten Verteilung                                  meinschaftsdiagnose und im World Economic
        • Szenario bildet die Unsicherheit                Outlook, für den Zuwachs der wechselkursge-
          bezüglich der verschiedenen Schocks            wichteten Weltproduktion ergeben sich aber mit
          im     Modell    und    bezüglich   der        3,3% für 2018, 3,0% für 2019 und 2,9% für
          geschätzten Modellparameter wider,             2020 Raten, die denen der Gemeinschaftsdia-
          liefert aber nicht unbedingt ein                gnose (3,3% für 2018, 3,0% für 2019 und 2,9%
          konsistentes Szenario                           für 2020) und des IWF (3,2% für 2018 und 3,1%
                                                          für 2019) nahezu exakt entsprechen.
Hier wird die Alternative 1, bedingte Simulation,         Für den in dieser Studie betrachteten eu-
gewählt. Als Referenzgröße wird die Zuwachs-            ropäischen Länderkreis ergibt sich ein gesamt-
rate des über den europäischen Länderkreis             wirtschaftlicher Produktionszuwachs von je-
aggregierten Bruttoinlandsprodukts verwendet.             weils 1,9% in den Jahren 2018 und 2019.
Um mit dem Modell die entsprechenden Quan-                Für die einzelnen Länder sind die Unterschie-
tile dieser Referenzgröße zu simulieren, wird in         de zu den Prognosen der Gemeinschaftsdiagno-
den Nachfragegleichungen sämtlicher im Welt-             se und des IWF gering. Für Deutschland fällt
modell enthaltener Länder jeweils ein allgemei-          der diesjährige Produktionszuwachs im World
ner Nachfrageschock eingebaut, so dass sich in            Economic Outlook mit 1,9% zwei zehntel Pro-
der Summe unter Berücksichtigung der interna-            zentpunkte höher aus als in der vorliegenden
tionalen Verflechtungen die entsprechende Ent-            Studie und in der Gemeinschaftsdiagnose. Die
wicklung des aggregierten realen Bruttoinland-            etwas vorsichtigeren Prognosen haben durch
sprodukts für den europäischen Länderkreis er-         jüngste Indikatoren wie das ifo Konjunkturkli-
gibt. An dieser Stelle wird also nicht die Wir-           ma an Plausibilität gewonnen. Wegen der engen
kung eines auf den europäischen Länderkreis be-         Verknüpfung zur deutschen Konjunktur fällt in
schränkten Schocks abgebildet. Erst in einem             vorliegender Studie die Zuwachsrate in Tsche-
weiteren Schritt werden für jede einzelne Volks-         chien mit 2,8% etwas niedriger aus als beim
wirtschaft des europäischen Länderkreises mit-          IWF (3,1%). Die große Differenz zwischen den
tels länderspezifischer Nachfrageschocks beide             11
                                                               Siehe Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2018)
Negativszenarien simuliert.                               und IMF: World Economic Outlook (2018).

                                                     10
BIP-Prognosen bezüglich Irlands (für das Jahr                   Die Rendite für deutsche Staatspapiere mit 10-
2018 hier 6,9%, bei der Gemeinschaftsdiagno-                      jähriger Laufzeit steigt nach vorliegender Pro-
se 7%, beim IWF nur 4,7%) erklärt sich aus                       gnose von durchschnittlich 0,5% in diesem Jahr
der hohen Volatilität der irischen Volkswirt-                    auf 1% im Jahr 2019, für entsprechende Papie-
schaftlichen Gesamtrechnung. So nahmen die                        re Italiens von 2,7% auf 3,8%. Dabei ist zu be-
Exporte des Landes im vierten Quartal 2017                        achten, dass die italienischen Renditen schon im
um 7% zu, gingen Anfang 2018 um 5,5%                              Laufe von 2018 auf 3,6% (Ende Oktober) gestie-
zurück, und stiegen im zweiten Quartal wieder                    gen sind.
um 6% an. Hintergrund sind Bilanzierungsstra-
tegien multinationaler Firmen, die ihren in Ir-
                                                                  5     Risikoszenarien
land ansässigen Töchtern von Zeit zu Zeit hohe
Wertschöpfungsgewinne zufließen lassen.                          5.1    Mittelschweres und schweres
Die vorliegende Studie gibt zusätzlich einen                            Negativszenario und das Positivszenario
Ausblick auf die weiteren weltwirtschaftlichen
Perspektiven bis zum Jahr 2023. Der Produkti-                     Im Folgenden wird auf Grundlage des ma-
onszuwachs in der Welt liegt demnach in fünf                     kroökonometrischen Modells gezeigt, mit wel-
Jahren bei 2,7% und damit deutlich niedriger als                  cher gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zu
im Jahr 2018 (3,3%).12      Der Produktionszuwachs                rechnen ist, wenn sie im Jahr 2018 eine
in den USA schwächt sich danach sehr deutlich                    mittelschwere beziehungsweise schwere Krise
auf 1,4% ab, der Chinas auf 5,6%. Das globa-                      trifft. Im ersten Szenario ist eine schwere Kri-
le Wirtschaftswachstum wird dadurch gestützt,                    se dadurch definiert, dass für die europäische
dass auf die im Schnitt besonders schnell wach-                   Ländergruppe Deutschland, Frankreich, Grie-
senden Schwellenländer ein immer größerer An-                   chenland, Großbritannien, Irland, Italien, Nie-
teil an der Weltproduktion entfällt.                             derlande, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei
Die kurz- und langfristigen Zinsen sind im                        und Tschechien mit einer noch schwächeren
verwendeten Weltmodell endogen. Im Modell                         Entwicklung nur mit einer Wahrscheinlichkeit
steigen diese im betrachteten Länderkreis im                     von 10% zu rechnen ist. Für das zweite Risi-
Prognosezeitraum langsam an, denn die ge-                         koszenario einer sehr schweren Wirtschaftskri-
genwärtig fast überall leicht überausgelasteten                se gilt, dass die Wahrscheinlichkeit einer noch
Kapazitäten legen Erhöhungen der Leitzinsen                     schwächeren Entwicklung für die oben bezeich-
nahe. Die Finanzmärkte erwarten, dass die EZB                    nete Ländergruppe 1% beträgt. Für das Positivs-
erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 damit be-                  zenario gilt, dass mit einer noch günstigeren Ent-
ginnt, ihre Leitzinsen vorsichtig anzuheben, und                  wicklung nur mit einer Wahrscheinlichkeit von
dass der Tagesgeldsatz im nächsten Jahr nur                      10% zu rechnen ist. Maßstab ist die Jahreszu-
langsam über -0,3% steigen wird. Der im Mo-                      wachsrate des über die Ländergruppe aggregier-
dell für den Euroraum prognostizierte Kurzfrist-                 ten Bruttoinlandsprodukts.
zins von durchschnittlich 0,1% für das Jahr 2019                 Im Fall eines mittelschweren Einbruchs bleibt
liegt deshalb ein Stück weit über den Markter-                  die Zuwachsrate der europäischen Ländergruppe
wartungen. aber nicht so deutlich, dass sich dar-                 im Jahr 2019 mit 0,3% um 1,6 Prozentpunk-
aus ein anderes Konjunkturbild ableiten ließe.                    te unter der Rate im Basisszenario, im Fall ei-
                                                                  nes schweren Einbruchs mit -1% um 2,9 Pro-
  12
    Die Projektionen des IWF im World Economic Out-
                                                                  zentpunkte. Das sind keine außerordentlich ho-
look ergeben für das Jahr 2023 mit 2,8% fast den gleichen
Wert.                                                             hen Rückgänge, bedenkt man, dass das Brutto-

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inlandsprodukt in der Europäischen Union im              duziert die Produktion in Deutschland ungefähr
Krisenjahr 2009 um 4,3% zurückging. Dieser               so stark wie im Durchschnitt der Ländergruppe,
Einbruch ist ein historischer Ausnahmefall ge-            die deutsche Wirtschaft erholt sich dann aber
blieben, dem nur die Große Depression ab 1929             besonders rasch. Diese Ergebnisse spiegeln nur
zur Seite gestellt werden kann. Denkbar ist al-           noch teilweise die Effekte von Finanzkrise
lerdings, dass für die Weltproduktion ähnliches         und Großer Rezession auf die einzelnen eu-
gilt wie für etliche Größen, welche die Entwick-        ropäischen Volkswirtschaften wider. So war Po-
lung auf den Finanzmärkten kennzeichnen: Ex-             len damals eines der wenigen Länder, in denen
treme Ausreißer könnten häufiger anfallen, als          es zu keiner Rezession kam. Mittlerweile ist der
makroökonometrische Modelle dies nahelegen.              Offenheitsgrad der polnischen Wirtschaft aber
Die Zuwachsraten sind noch im Jahr 2020 deut-             deutlich gestiegen, und dementsprechend dürfte
lich niedriger als im Basisszenario. Das ist aber         sie auch stärker von einem globalen Konjunktur-
vor allem eine Folge der schwachen Zuwachsra-             einbruch betroffen sein.
ten in der zweiten Hälfte des Jahres 2019, wel-          Das Positivszenario ist nahezu symmetrisch zum
che auch noch das Produktionsniveau des Ge-               Szenario eines mittelschweren Einbruchs.
samtjahres 2020 relativ zum Vorjahr drücken.
Im Jahr 2021 und in schwächerem Maß in den               5.2   Länderspezifische Stressszenarien für
folgenden Jahren ist die Dynamik dann etwas                     das Jahr 2018
höher, denn die freien Produktionskapazitäten
werden nach und nach wieder ausgeschöpft. We-            Die Analyse der Risikoszenarien in Abschnitt
niger rasch würde sich die Weltwirtschaft er-            5.1 hat gezeigt, wie sehr die einzelnen Länder
holen, wenn der Konjunktureinbruch strukturel-            von einem weltwirtschaftlichen Konjunkturein-
le Ursachen hätte, welche nicht rasch zu be-             bruch betroffen wären. So liegt das deutsche
heben sind. Das zeigt der Gang der Weltwirt-              Bruttoinlandsprodukt im Fall einer mittelschwe-
schaft nach der Großen Rezession: Zwar er-                ren weltwirtschaftlichen Krise im Jahr 2019 1,5
holte sich die Weltkonjunktur seit Mitte 2009             Prozentpunkte unter dem Niveau im Basissze-
überraschend schnell; die in der Finanzkrise auf-        nario. Von Interesse ist aber auch, wie tief eine
getretenen Probleme auf den Finanz- und Immo-             typische länderspezifische Krise in den einzel-
bilienmärkten sowie die Krisen der öffentlichen         nen Volkswirtschaften ausfällt. Zur Beantwor-
Finanzen haben die Wirtschaft in vielen fortge-           tung dieser Frage werden für jedes Land jeweils
schrittenen Volkswirtschaften aber noch lange             zwei Szenarien betrachtet. Das Szenario einer
belastet. So hat sich die Erholung im Euroraum            mittelschweren Krise ist dadurch gekennzeich-
erst im Jahr 2015 zu einem Aufschwung entwi-              net, dass mit einer noch schwächeren Entwick-
ckelt.                                                    lung in dem betreffenden Land nur mit einer
Es ist damit zu rechnen, dass sich die Produk-            Wahrscheinlichkeit von 10% zu rechnen ist. Für
tionsverluste eines weltweiten Konjunkturein-             das zweite Risikoszenario einer schweren Wirt-
bruchs nicht gleichmäßig über die europäischen         schaftskrise gilt, dass die Wahrscheinlichkeit ei-
Volkswirtschaften verteilen (vgl. Tabellen A.1,           ner noch schwächeren Entwicklung 1% beträgt.
A.2 und A.3). Besonders stark bricht in den ne-           Maßstab ist die Jahreszuwachsrate des Brutto-
gativen Risikoszenarien die Produktion in Grie-           inlandsprodukts in dem betreffenden Land. Um
chenland, Irland, der Slowakei und Polen ein.             abzuschätzen, wie sich Industrieproduktion, Ar-
Besonders stabil ist die Produktion dagegen in            beitslosenquote, privater Konsum und Inflation
Frankreich. Der weltwirtschaftliche Schock re-            in dem jeweiligen Szenario entwickeln, werden

                                                     12
für jedes Land jeweils zwei spezifische Simu-            Länderkreis betroffen ist. Es zeigt sich, dass es
lationen des Weltmodells vorgenommen. Dabei               für Deutschland nur bei einem schweren Ein-
wird in die Nachfragegleichung des Landes ein             bruch der Konjunktur in Großbritannien, den
allgemeiner Nachfrageschock eingebaut, so dass            Niederlanden und Polen zu messbaren Produk-
unter Berücksichtigung der internationalen Ver-          tionsverlusten kommt. Über die Jahre zwischen
flechtungen das reale Bruttoinlandsprodukt des            2019 und 2010 betragen sie 0,1 und im Fall
Landes auf dem 10%- bzw. 1%-Konfidenzband                 Großbritanniens 0,2 Prozentpunkte.
zu liegen kommt.
Die Ergebnisse der länderspezifischen Simula-
                                                          5.3   Szenario eines langjährigen
tionen finden sich in den Tabellen A.5 und
                                                                weltwirtschaftlichen Einbruchs, der mit
A.6. Vergleicht man die Produktionszuwächse
                                                                Zinserhöhungen einhergeht
mit denen in den globalen Risikoszenarien, ist
zunächst festzustellen, dass sie sich im Jahr des        Zuletzt     sollen     die    Auswirkungen         von
Schocks 2019 wenig voneinander unterschei-                Veränderungen        der     Zinsen       auf     ma-
den; in Deutschland nimmt etwa die Produkti-              kroökonomische Variablen genauer erforscht
on in beiden Fällen im mittelschweren Szenario           werden. Es wird ein Szenario betrachtet, in
um 0,4% zu. Im folgenden Jahr kommt es aber               dem ein mehrjähriger weltwirtschaftlicher Wirt-
im globalen Risikoszenario zumeist zu erheb-              schaftseinbruch mit einer deutlichen Erhöhung
lich höheren Produktionsverlusten, als im Fall           der Zinsen einhergeht. Die kurzfristigen Zinsen
länderspezifischer Schocks zu beobachten ist.            werden ab dem Jahr 2019 für die einzelnen
Hier schlägt sich offenbar nieder, dass im Fall          Ländern so hoch gesetzt, wie sie sich endogen
länderspezifischer Schocks eine stabile Kon-             in einem besonders positiven globalen Risiko-
junktur im Ausland hilft, die heimische Kon-              szenario ergeben würden.13 Der Anstieg der
junktur wieder zu stabilisieren.                          Zinsen über alle Laufzeiten zusammen löst
Vergleicht man die Werte für die Veränderung            den weltwirtschaftlichen Abschwung aus. Das
des Bruttoinlandsprodukts mit denen des Ba-               ist eine ungewöhnliche Kombination, denn in
sisszenarios für die einzelnen Länder, ist wie          Abschwungsphasen sind Zinsen tendenziell
schon für die globalen Risikoszenarien festzu-           niedrig und in Aufschwungsphasen hoch. Zum
stellen, dass schwere und mittelschwere Kon-              einen wirkt die niedrige Güternachfrage in
junktureinbrüche in Irland, Griechenland, der            Abschwungsphasen inflationsdämpfend, und
Slowakei und Polen mit besonders hohen Pro-               deshalb geben sich Finanzinvestoren mit einer
duktionsverlusten einhergehen. Bemerkenswert              niedrigeren Nominalverzinsung zufrieden, wenn
kräftig ist im Jahr 2020 die Erholung in der Slo-        sie eine bestimmte reale Rendite anstreben. Zum
wakei. Frankreich zeichnet sich durch eine recht          anderen ist der markträumende Realzinssatz in
hohe Stabilität aus. Deutschland ist, mit einem          Aufschwungsphasen höher als in Abschwungs-
Produktionsverlust in Relation zum Basisszena-            phasen, denn ein hoher Realzins macht es
rio von 1,5 Prozentpunkten im mittelschweren              attraktiv, Ausgaben in die Zukunft zu verschie-
Szenario, stabiler als der Durchschnitt des eu-           ben, und trägt so im Aufschwung dazu bei, die
ropäischen Länderkreises.
                                                             13
                                                                Das Positivszenario ist dadurch definiert, dass es
Die länderspezifischen Szenarien erlauben auch
                                                          nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1% zu einer noch
die Antwort auf die Frage, wie stark die deut-            größeren Ausweitung der Weltwirtschaft kommt. In einem
                                                          solchen Szenario sind die kurzfristigen Zinsen aufgrund
sche Wirtschaft von dem Wirtschaftseinbruch ei-
                                                          der geldpolitischen Reaktionsfunktionen der Zentralban-
nes bestimmten Landes aus dem europäischen               ken hoch.

                                                     13
hohe Güternachfrage mit dem Güterangebot                in Kauf genommen. Ein ähnliches Szenario ist
und das niedrige Kapitalangebot mit der hohen             prinzipiell auch für die Zukunft denkbar. Aller-
Nachfrage nach Kapital in Deckung zu bringen.             dings drohen Inflationserwartungen gegenwärtig
Marktkräfte treiben in der Regel die Zinsen in           kaum über die Zielraten der Zentralbanken zu
Richtung Gleichgewichtswerte, in einer moder-             steigen. Andererseits könnten diese Erwartun-
nen Geldwirtschaft bemühen sich aber vor allem           gen, einmal verselbständigt, in nicht allzu fer-
die Zentralbanken darum, ihre Leitzinsen auf              ner Zukunft auch schnell über die Zielraten hin-
das jeweils markträumende Niveau zu bringen,             ausschießen. Dafür gibt es aus monetaristischer
denn eine deutliche und anhaltende Unter-                 Sicht ernst zu nehmende Argumente, denn die
oder Überauslastung der Wirtschaft würde die            großen Zentralbanken haben die Geldbasis in
Preisniveaustabilität und damit das Ziel (oder           den vergangenen Jahren sehr stark ausgewei-
ein Hauptziel) der Zentralbanken gefährden.              tet. Wenn (etwa aufgrund politischer Ereignis-
Eine längere Phase gesamtwirtschaftlicher Un-            se) in wichtigen Volkswirtschaften das Vertrauen
terauslastung geht deshalb, anders als in dem             von Unternehmen und Haushalten in die Stabi-
in diesem Abschnitt betrachteten Szenario, sel-           litätsorientierung der Geldpolitik verloren ginge,
ten mit hohen oder steigenden Zinsen ein-                 wäre es zumindest denkbar, dass sich die Geld-
her. Zwar ist denkbar, dass die Wirtschafts-              politik gezwungen sähe, ihre Reputation durch
subjekte im Abschwung die Aussicht auf den                eine Hochzinspolitik wieder herzustellen auch
Rückfluss verliehenen Kapitals als besonders             unter Inkaufnahme einer längeren Phase gesamt-
gering einschätzen und deshalb hohe Risi-                wirtschaftlicher Unterauslastung. Das hier dar-
koprämien fordern. Das war etwa der Fall                 gestellte Szenario kann aber auch als verkürzte
während der Schulden- und Vertrauenskrise in             Darstellung eines Anstiegs von Risikoaversion
den südlichen Mitgliedsländern des Euroraums.           gegenüber Finanzinstrumenten der Privatwirt-
Es gibt aber in einem solchen Fall in der Re-             schaft verstanden werden. In einem solchen Fall
gel sichere (oder weniger unsichere) Schuldner,           läge eine Störung des Transmissionsprozesses
die sich dann sogar besonders günstig finanzie-          zwischen Geldpolitik und Realwirtschaft vor.
ren können (flight to safety). In der Schulden-          Tabelle A.7 zeigt die Effekte des weltweiten
und Vertrauenskrise war das etwa der deutsche             Zinsschocks, mit Zinsen, die in den Euroraum-
Staat.                                                                               1
                                                          Ländern in der Spitze 3   2   Prozentpunkte höher
Eine längere Phase verbreitet großer Unteraus-           liegen als im Basisszenario, in dem das Zinsni-
lastung bei weltweit hohen Zinsen gab es al-              veau für den Euroraum ja besonders niedrig ist.
lerdings in den Jahren 1979 bis 1982. Das da-             Der Zuwachs der Produktion im europäischen
malige Zinshoch ging vor allem auf die Geld-              Länderkreis würde jeweils etwa 2 Prozentpunkte
politik der US-Notenbank zurück. Sie verfolgte,          in den Jahren 2019 und 2020 niedriger ausfallen.
letztlich erfolgreich, das Ziel, die Inflation auf        Wie schon in den anderen Risikoszenarien so ist
ein gegenüber der vergangenen Dekade deutlich            auch hier der Einbruch in Griechenland, Irland,
niedrigeres Niveau zu bringen. Dazu war es er-            der Slowakei und Polen besonders groß.
forderlich, die Unternehmen und Haushalte da-
zu zu bewegen, ihre aufgrund ihrer Erfahrungen
verfestigt hohen Inflationserwartungen nach un-           Literaturverzeichnis
ten zu revidieren. Die jahrelange Unterauslas-
tung der US-Wirtschaft (und anderer Volkswirt-            Campbell, John Y., Shiller, Robert J. (1987),
schaften) wurde dabei zu einem gewissen Grad                Cointegration and Tests of Present Va-

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