KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Weltwirtschaft im Winter 2021 - Kiel Institute for the World ...
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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) KIELER KONJUNKTUR- BERICHTE Weltwirtschaft im Winter 2021 Abgeschlossen am 15. Dezember 2021 © Birgit Wolfrath – IfW Kiel Nr. 85 (2021|Q4) Klaus-Jürgen Gern, Stefan Kooths, Jan Reents und Ulrich Stolzenburg Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum 1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) EXPANSION VORÜBERGEHEND GEDÄMPFT Klaus-Jürgen Gern, Jan Reents, Stefan Kooths und Ulrich Stolzenburg Die Erholung der Weltwirtschaft hat nach der Die Erholung der Weltwirtschaft vom Jahresmitte an Fahrt verloren. In vielen Teilen coronabedingten Einbruch ist inzwischen der Welt bremsten erneut zunehmende Corona- stockend und ungleichmäßig. Die Weltpro- Infektionen die wirtschaftliche Aktivität, Lie- duktion stieg im Verlauf des Jahres 2021 zwar ferengpässe behinderten den Aufschwung der weiter deutlich, doch war die Dynamik insgesamt Industrieproduktion, und die chinesische Wirt- nur noch moderat. Die auf der Basis von Kauf- schaft scheint aus dem Tritt geraten zu sein. Die kraftparitäten berechnete Weltproduktion stieg Unsicherheit über die Auswirkungen der neuen insgesamt im dritten Quartal sogar recht kräftig Omikron-Variante des Coronavirus auf die Kon- (Abbildung 1), weil sich die wirtschaftliche Aktivi- junktur sind groß. Wir rechnen damit, dass die tät in Indien von den Auswirkungen eines massi- wirtschaftliche Aktivität in den nächsten Monaten ven Lockdowns erholte, der im Frühjahr ange- merklich gedämpft wird, im weiteren Verlauf des sichts einer dramatischen Covid-19-Welle ver- Jahres 2022 die weltwirtschaftliche Erholung hängt worden war. In der übrigen Welt sich aber wieder durchsetzt. Für das kommende schwächte sich die Konjunktur hingegen nach Jahr erwarten wir einen Zuwachs der Weltpro- der Jahresmitte spürbar ab. Diese Tendenz zeigt duktion (gemessen auf Basis von Kaufkraftpari- sich deutlich anhand des IfW-Indikators für die täten) um 4,5 Prozent, nach einem Zuwachs um weltwirtschaftliche Aktivität, der auf der Basis 5,7 Prozent in diesem Jahr. Damit haben wir un- von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern be- sere Septemberprognose um 0,5 (2022) bzw. rechnet wird. 0,2 Prozentpunkte (2021) reduziert. Für das Jahr Abbildung 1: 2023 haben wir unsere Erwartung hingegen Weltwirtschaftliche Aktivität leicht von 3,8 auf 4 Prozent angehoben. Die In- flation dürfte derzeit ihren Höhepunkt erreicht Prozent Index 9,0 102 haben und im Prognosezeitraum deutlich zu- Bruttoinlandsprodukt rückgehen, was vor allem an der Energiepreis- 7,0 komponente liegt. Der zugrundeliegende Preis- 101 auftrieb dürfte über den gesamten Prognosezeit- 5,0 raum deutlich höher bleiben als vor der Krise. 3,0 100 1,0 99 -1,0 -3,0 IfW-Indikator (rechte Skala) 98 -5,0 97 -7,0 -9,0 96 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Quartalsdaten; saisonbereinigt; Indikator be-rechnet auf Basis von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern; Bruttoinlands- produkt: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorquartal, 46 Länder, gewichtet nach Kaufkraftparität. Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen; Kasten 1: Zur Verlangsamung der Konjunktur in China Berechnungen des IfW Kiel. 2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Die Covid-19-Pandemie beeinflusst die wirt- In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften schaftliche Aktivität immer noch spürbar. Al- hat sich die Konjunktur zuletzt spürbar abge- lerdings verlaufen die Infektionswellen immer schwächt. Der Anstieg der gesamtwirtschaftli- weniger synchron (Abbildung 2). Auch sind die chen Produktion in der Gruppe der fortgeschrit- wirtschaftlichen Auswirkungen unterschiedlich; tenen Volkswirtschaften verringerte sich im drit- vor allem in den Ländern mit einer hohen Impf- ten Quartal 2021 deutlich auf 0,9 Prozent, nach quote werden inzwischen auch höhere Inziden- 1,7 Prozent im Quartal zuvor (Abbildung 3). zen toleriert, ohne dass Eindämmungsmaßnah- Dämpfend wirkte das wieder verstärkte Infekti- men ergriffen werden, die die Konjunktur stark onsgeschehen, während das zweite Quartal da- dämpfen. Im Sommer führte ein verstärktes In- von geprägt gewesen war, dass pandemiebe- fektionsgeschehen vor allem in vielen asiati- dingte Beschränkungen vor dem Hintergrund schen Ländern zu deutlichen Bremsspuren in sinkender Inzidenzen gelockert wurden und sich der Konjunktur, während die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität in den besonders be- die Produktion in den Vereinigten Staaten und in troffenen Dienstleistungsbereichen wieder er- Europa zumeist gering waren. Neben den Belas- holte. Angesichts der inzwischen verfügbaren tungen durch die Pandemie – diesbezüglich ha- Möglichkeit zur Impfung und vielerorts bereits ben sich mit dem Auftreten der neuen Virusvari- recht hoher Impfquoten wurde aber in den meis- ante Omikron in Südafrika zuletzt neue Risiken ten Ländern auf einschneidende neuerliche Ein- ergeben – haben dabei auch anhaltende Lie- dämmungsmaßnahmen zunächst verzichtet; le- ferengpässe, welche die Warenproduktion be- diglich in Japan ging das Bruttoinlandsprodukt schränken, und der erheblich verstärkte Inflati- spürbar zurück. In den Vereinigten Staaten und onsdruck den Ausblick getrübt. in Westeuropa verringerte sich die Mobilität der Menschen – ein Indikator für die Auswirkungen der Pandemie auf die wirtschaftliche Aktivität in Abbildung 2: kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen – Neuinfektionen pro Million Einwohner hingegen kaum oder sie erhöhte sich sogar wei- Europa ter (Abbildung 4). Maßgeblich für den deutlich Anzahl/Tag Nordamerika 600 Südamerika verlangsamten Produktionsanstieg in den Verei- Indien nigten Staaten – auf 0,5 Prozent von 1,6 Prozent Thailand Südafrika im Vorquartal – waren hingegen wohl das Nach- 500 lassen des fiskalischen Impulses, der insbeson- dere den privaten Konsum im ersten Halbjahr kräftig angeregt hatte, zunehmende Probleme 400 bei der Beschaffung von Vorprodukten in der In- dustrie sowie die Auswirkungen eines Hurrikans, die insbesondere die Ölförderung längere Zeit 300 stark beeinträchtigte. Im Vereinigten Königreich verringerte sich die Zuwachsrate der gesamt- wirtschaftlichen Produktion zwar ebenfalls deut- 200 lich, sie blieb aber mit 1,3 Prozent recht hoch. Im Euroraum setzte sich die Erholung von dem im Winterhalbjahr 2020/21 verzeichneten pande- 100 miebedingten Produktionsrückgang sogar fast unvermindert fort. Hier waren die Infektionszah- len allerdings zumeist erst relativ spät wieder ge- 0 stiegen. Während die Inzidenzen in den Verei- 1.3.20 1.7.20 1.11.20 1.3.21 1.7.21 1.11.21 nigten Staaten und in Asien im Herbst wieder ge- Tagesdaten. Bestätigte Neuinfektionen pro eine Million sunken sind, sind sie in Europa inzwischen auf Einwohner, täglicher Durchschnittswert im 7-Tages-Zeitraum. einem so hohen Niveau, dass in vielen Ländern Quelle: Our World in Data. neuerliche Eindämmungsmaßnahmen ergriffen worden sind und für das vierte Quartal mit deut- 3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Abbildung 3: lichen konjunkturellen Bremswirkungen zu rech- Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den G7-Län- nen ist. dern Prozent In den Schwellenländern ist das Bild differen- 12 ziert, zumeist hat sich der Produktionsan- 10 stieg im Sommer aber ebenfalls vermindert. 8 BIP Während sich die indische Wirtschaft vom im 6 Inländische Verwendung Frühjahr verzeichneten neuerlichen pandemie- 4 bedingten Einbruch erholte, erhöhten sich in vie- len anderen asiatischen Schwellenländern mit 2 Ausbreitung der Delta-Variante die Infektions- 0 zahlen stark und es kam damit verbunden zu -2 deutlichen Rückgängen der wirtschaftlichen Ak- -4 tivität. In China, wo die Regierung eine strikte -6 Null-Covid-Politik verfolgt, wurden regional zum -8 Teil empfindliche Eindämmungsmaßnahmen er- griffen, deren Auswirkungen über die internatio- -10 nalen Lieferketten zeitweise weltweit spürbar -12 2012 2014 2016 2018 2020 waren. Darüber hinaus wurde die Konjunktur in China durch Probleme in der Energieversorgung Quartalsdaten; preis- und saisonbereinigt; Veränderung gegen- über dem Vorquartal; G7: Vereinigte Staaten, Japan, Kanada, gebremst. In den vergangenen Monaten wurden Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich. immer wieder Unternehmen gezwungen, die Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des Produktion herunterzufahren, um den Stromver- brauch zu drosseln. Schließlich belasteten Zah- lungsschwierigkeiten großer Unternehmen der Abbildung 4: Immobilienwirtschaft die wirtschaftliche Stim- Mobilität in ausgewählten Ländern mung und die Aktivität im Wohnungsbau (Kas- ten 1). In Lateinamerika ist die Konjunktur ge- Prozent spalten. Während in den Andenländern Chile, Peru und Kolumbien die Wirtschaft weiter kräftig 0 expandierte, ging die Produktion in den großen Ländern Brasilien und Mexiko – und wohl auch in Argentinien – zurück, wobei dies lediglich in -20 Mexiko maßgeblich auf die Pandemie zurückzu- führen war. In Brasilien und Argentinien war hin- gegen wesentlich, dass die Agrarproduktion dür- -40 rebedingt zurückging und der private Konsum dadurch gebremst wurde, dass stark steigende Preise die Kaufkraft reduzierten. -60 Lieferengpässe bremsen Welthandel und In- Euroraum dustrieproduktion. Die globale Industriepro- UK -80 USA duktion hatte sich sehr rasch von dem tiefen Ein- Indien Lateinamerika bruch zu Beginn der Pandemie erholt. Bereits im Herbst 2020 wurde das Vorkrisenniveau wieder -100 überschritten, wozu beitrug, dass die Erspar- 1.1 1.4 1.7 1.10 1.1 1.4 1.7 1.10 1.1 nisse durch geringere Ausgaben für Dienstleis- Tagesdaten. Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen, Abweichung ggü. gleichem Wochentag im Zeitraum Januar bis tungen nun zu einem Teil für Warenkäufe ver- Februar 2020. wendet wurden. Seit Beginn dieses Jahres steigt Quelle: Google Covid-19 Mobility Report. die Industrieproduktion aber in der Tendenz weltweit nicht mehr. Während sie in den fortge- schrittenen Volkswirtschaften bis zur Mitte des Jahres noch leicht zulegte, war sie in den 4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Schwellenländern, die in der Regel eine dynami- Kapazitätsprobleme im Logistiksystem, insbe- schere Industrieproduktion aufweisen, sogar sondere im Seeverkehr. Sie äußern sich nicht rückläufig (Abbildung 5); ein ähnliches Bild zeigt nur in drastisch gestiegenen Frachtraten, son- sich für den weltweiten Warenhandel. Die dern auch darin, dass seit Beginn des Jahres der Schwäche im Verarbeitenden Gewerbe ist frei- Anteil der Fracht, die sich auf Schiffen befindet, lich nicht nachfragebedingt, sondern wohl we- die nicht in Fahrt sind, stark gestiegen ist (Abbil- sentlich auf zunehmende Lieferengpässe zu- dung 6). Vielfach sind die Produktionskapazitä- rückzuführen.1 Hierzu beigetragen haben ten aber schlicht nicht in der Lage, den hohen Bedarf zu befriedigen. So leidet insbesondere Abbildung 5: die Automobilindustrie zunehmend unter Lie- Weltweite Industrieproduktion nach Ländergruppen ferengpässen etwa bei Halbleitern, deren Her- und Regionen steller derzeit nicht in der Lage sind, alle Bestel- 140 2012=100 lungen in den üblichen Fristen zu befriedigen. Industrieländer Entwicklungs-und Schwellenländer Weltweit ist die Autoproduktion in diesem Jahr 130 Welt bis zum Herbst um rund 30 Prozent gesunken, 120 mit zum Teil erheblichen Auswirkungen auf die 110 gesamtwirtschaftliche Produktion (OECD 2021, 100 Box 1.1). 90 Abbildung 6: 80 Blockierte Schiffskapazität 2012 2014 2016 2018 2020 Prozent 120 16 Fortgeschrittene Volkswirtschaften 110 14 100 12 90 10 80 Euroraum Vereinigte Staaten 70 8 Japan 60 6 2012 2014 2016 2018 2020 4 Entwicklungs- und Schwellenländer 180 Asien 2 Mittel-und Osteuropa 160 Lateinamerika 0 China 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 140 Monatsdaten. Anteil an Waren, die sich global auf wartenden 120 Containerschiffen befinden. 100 Quelle: Berechnungen von Vincent Stamer (IfW Kiel) mit Daten Fleetmon.com. 80 60 2012 2014 2016 2018 2020 Die Inflation in den fortgeschrittenen Volks- wirtschaften hat sich stark erhöht. Die Infla- Monatsdaten; preis- und saisonbereinigt. Letzter Wert: Sept. 2021 tion hat im Verlauf des Jahres 2021 kräftig ange- Quelle: CPB, World Trade Monitor; Berechnungen des IfW Kiel. zogen und ist im Herbst in vielen Ländern so hoch wie seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr. In den G7-Ländern lag sie im Oktober bei 4,5 1 Vgl. Beckmann et al. (2021) für eine Analyse der Lie- zwischen Auftragseingängen und Produktion im Ver- ferengpässe in Deutschland, wo die Diskrepanz arbeitenden Gewerbe besonders ausgeprägt ist. 5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Prozent (Abbildung 7). Im November dürfte sie ein übliches Niveau aufzufüllen, so dass mit auf- weiter auf über 5 Prozent geklettert sein. Damit kommenden Zweifeln an der Versorgungssi- hat sie freilich ihren Höhepunkt wohl erreicht. Ab cherheit die Preise explodierten. Zuletzt kletter- Dezember wird der Beitrag der Energiekompo- ten sie nach einer kurzen Phase mit wieder rück- nente zur Inflation, der sich zuletzt auf knapp die läufigen Notierungen auf neue Höchststände. Hälfte belief, deutlich zurückgehen, zum einen, Die hohen Gaspreise strahlten auch auf den Öl- weil die Ölnotierungen zuletzt etwas gesunken preis aus, der im November auf rund 85 Dollar je sind, vor allem aber, weil der Ölpreis im Ver- Barrel der Sorte Brent stieg, das höchste Niveau gleichsmonat des Vorjahres nicht mehr so nied- seit 2014 (Abbildung 8). Die Nachricht über das rig war. Allerdings ist inzwischen auch die Kern- Aufkommen der neuen Virusvariante Omikron rate der Inflation im Verlauf dieses Jahres stark ließ dann aber die Notierungen deutlich sinken, gestiegen, die ohne Berücksichtigung der Ener- weil negative Auswirkungen auf die Konjunktur gie- und der Nahrungsmittelpreise ermittelt wird und insbesondere den Luftverkehr befürchtet und die zugrundeliegende Inflationstendenz da- wurden, der gerade erst zur Erholung ansetzte. her besser widerspiegelt als die Rate mit diesen Inzwischen liegt der Ölpreis wieder bei etwa 75 volatilen Komponenten. Sie liegt inzwischen fast Dollar, ähnlich hoch wie im Sommer und nur we- überall höher als das Inflationsziel der Noten- nig höher als vor einem Jahr. Für die kommen- bank. Lediglich in Japan ist der Preisauftrieb im- den Monate rechnen wir damit, dass die Ölnach- mer noch sehr niedrig. frage pandemiebedingt gedämpft sein wird. Da- nach dürfte die weltweite Ölförderung voraus- Abbildung 7: Verbraucherpreise in den fortgeschrittenen Volks- sichtlich wieder hinter dem Verbrauch zurück- wirtschaften bleiben, so dass die Preise tendenziell anziehen 5 Prozent Verbraucherpreise insgesamt werden, bevor die Aufgabe der Förderreduzie- Kernindex rung in der OPEC+, die für den August 2022 vor- 4 gesehen ist, sowie eine anziehende Förder- menge außerhalb des Kartells für eine wieder 3 reichliche Ölversorgung und voraussichtlich et- was nachgebende Preise sorgen werden. Für 2 die Gaspreise zeichnet sich derzeit zwar noch 1 Abbildung 8: Rohstoffpreise 0 2015=100 US-Dollar 240 150 Rohstoffpreise ohne Energie -1 Ölpreis (rechte Skala) 2012 2014 2016 2018 2020 200 125 Monatsdaten; Veränderung gegenüber dem Vorjahr der Ver- braucherpreise in den Vereinigten Staaten, im Euroraum, in Japan und im Vereinigten Königreich, gewichtet mit dem Brutto- 160 100 inlandsprodukt zu Preisen und Wechselkursen von 2020; Kern- index: Verbraucherpreise ohne Energie und Nahrungsmittel. 120 75 Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel. 80 50 Die Energiepreise haben kräftig zugelegt und 40 25 dürften im Prognosezeitraum nur langsam sinken. In den vergangenen Monaten war das 0 0 2012 2014 2016 2018 2020 2022 Geschehen an den Energiemärkten von einem drastischen Anstieg des Gaspreises gekenn- Monatsdaten; Rohstoffpreise: HWWI-Index auf US-Dollarbasis; Ölpreis: Spotpreis Sorte Brent. Grau schattiert: Prognose des zeichnet, der in Europa besonders ausgeprägt IfW Kiel. war. Hier waren die Lieferungen aus Russland Quelle: International Petroleum Exchange via Refinitiv im Sommer nicht ausreichend gewesen, um die Datastream; HWWI, Rohstoffpreisindex. Lagerbestände vor der Heizsaison wieder auf 6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) keine Entspannung ab; die Preise an den Ter- sind, wird nun der Schwerpunkt auf öffentliche minmärkten lassen aber erwarten, dass das ge- Investitionen und Programme gelegt, die das genwärtige Niveau nicht dauerhaft sein wird. Ziel haben, strukturellen Herausforderungen wie dem Klimawandel oder der demografischen Al- Die Geldpolitik wird allmählich gestrafft. Die terung zu begegnen. Insgesamt sind so die fis- großen Notenbanken in den fortgeschrittenen kalischen Bremseffekte, die vom Auslaufen der Volkswirtschaften haben auf den starken An- im Zusammenhang mit der Pandemie geschlos- stieg der Inflation bisher zwar noch nicht mit senen Stützungsprogramme ausgehen, mode- Maßnahmen reagiert. Die US-Fed und die Bank rat, und die Politik dürfte bei möglichen Konsoli- von England haben die Märkte aber darauf ein- dierungsschritten vorsichtig agieren, um die wirt- gestellt, dass sie ihre Politik früher straffen könn- schaftliche Erholung nicht zu gefährden. Im Eu- ten, als bisher beabsichtigt. Mit ersten Zinserhö- roraum trägt dazu bei, dass die Fiskalregeln hungen ist für das erste Halbjahr 2022 zu rech- auch im Jahr 2022 ausgesetzt bleiben. Allge- nen, sofern die Wirtschaft nicht durch den Pan- mein hilft zudem, dass die Finanzierungsbedin- demieverlauf erneut destabilisiert wird. In den gungen weiterhin sehr günstig sind. Vereinigten Staaten wird zunächst das Volumen der Anleihekäufe deutlich reduziert werden; die Bank von England hat angekündigt, die Reinves- Abbildung 9: tition von auslaufenden Staatsanleihen bei ei- Geldpolitik in Schwellenländern nem Leitzinsniveau von 0,5 Prozent (derzeit 0,1 Prozent) einzustellen. Im Euroraum ist eine Leit- 15 Diffusionsindex zinsanhebung hingegen noch nicht in Sicht. Zu- Gleitender Durchschnitt (3 Monate) nächst soll mit dem Auslaufen des Pandemie- 10 Sonderprogramms zum Kauf von Anleihen im Restriktivere Geldpolitik März die Liquiditätszufuhr verringert werden. In 5 Japan, wo die Inflation allerdings auch noch niedrig ist, zeichnet sich noch kein Ende der ext- 0 rem lockeren Geldpolitik ab. Kleinere Notenban- ken – etwa in Australien, Neuseeland, Korea und Osteuropa (Polen, Tschechien, Ungarn) – haben -5 auf die wirtschaftliche Erholung und die höhere Inflation hingegen schon reagiert und ihre Zin- -10 sen zum Teil sogar bereits mehrfach angeho- Expansivere Geldpolitik ben. Vor allem in den Schwellenländern ist be- -15 reits seit Mitte des Jahres ein Zinserhöhungszyk- 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 lus in Gang gekommen, um einem Abwärtsdruck Monatsdaten. Der Diffusionsindex entspricht der Anzahl der auf die Wechselkurse zu begegnen und die In- Zentralbanken, die in einem gegebenen Monat die Zinsen erhöhten minus der Anzahl der Zentralbanken, die in einem flationsdynamik zu bremsen. (Abbildung 9). gegebenen Monat die Zinsen senkten. Enthaltene Schwellenländer: Argentinien, Brasilien, Chile, China, Die Finanzpolitik stützt die Konjunktur vor- Indonesien, Indien, Kolumbien, Mexiko, Malaysia, Peru, Philippinen, Russland, Südafrika, Thailand, Türkei. erst weiter. In den fortgeschrittenen Volkswirt- Quelle: Bank of International Settlements (BIS); Berechnungen schaften – und in geringerem Umfang auch in des IfW Kiel. vielen Schwellenländern – wurden im vergange- nen Jahr umfangreiche Mehrausgaben und Steuerstundungen beschlossen, um die wirt- schaftlichen Folgen der Pandemie und der zu ih- rer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen zu mil- dern. Angesichts immer neuer Infektionswellen wurden auch im laufenden Jahr fiskalische Stüt- zungsprogramme wirksam. Während die Auf- wendungen zur Finanzierung pandemiebeding- ter Lasten mit fortschreitender Normalisierung der wirtschaftlichen Aktivität deutlich rückläufig 7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Ausblick: Erholung der Weltkonjunktur gangenen Monaten als immer stärkerer Brems- vorübergehend gedämpft faktor erwiesen, sie dürften aber im Verlauf des kommenden Jahres mit zunehmender Anpas- Pandemie und Lieferengpässe werden die sung der Produktionskapazitäten und der Wert- Konjunktur auch im kommenden Jahr dämp- schöpfungsketten allmählich überwunden wer- fen, aber an Einfluss verlieren. Die Dynamik den. Alles in allem erwarten wir für das kom- der weltweiten Konjunkturerholung hat sich im mende Jahr einen Zuwachs der Weltproduktion Jahr 2021 als Folge von neuen Covid-19-Schü- (gemessen auf Basis von Kaufkraftparitäten) um ben und Problemen in den Lieferketten deutlich 4,5 Prozent, nach einem Zuwachs um 5,7 Pro- verlangsamt. Wir rechnen damit, dass es auch in zent in diesem Jahr (Tabelle 1). Im Vergleich zu den kommenden Monaten zu neuen Infektions- unserer Septemberprognose haben wir damit wellen kommen wird, zumal eine neue, noch- unsere Erwartung für 2022 um 0,5 Prozent- mals deutlich ansteckendere Variante aufgetre- punkte und für 2021 um 0,2 Prozentpunkte redu- ten ist. Die konjunkturellen Auswirkungen dürf- ziert. Für das Jahr 2023 haben wir hingegen ten aber mit der Zeit immer geringer werden, weil leicht von 3,8 auf 4 Prozent nach oben revidiert. entweder die Impfquoten hoch sind oder ein ho- Auf der Basis von Marktwechselkursen ergeben her Anteil der Bevölkerung bereits in Kontakt mit sich Veränderungsraten der globalen Produktion dem Virus gekommen ist und die gesundheitli- von 5,6 Prozent in diesem und 4,4 bzw. 3,7 Pro- chen Folgen dadurch begrenzt sind. So dürfte zent in den nächsten beiden Jahren. Für den die Annäherung an ein Normalniveau der Ge- weltweiten Warenhandel rechnen wir trotz der schäftstätigkeit in den Bereichen, die in der bis- nur schwachen Zunahme im Verlauf für dieses herigen gesamtwirtschaftlichen Erholung noch Jahr mit einem Zuwachs um mehr als 9 Prozent. zurückhängen, wie Tourismus, Reiseverkehr Im kommenden Jahr dürfte sich der Anstieg aber und Unterhaltungsgewerbe, im Prognosezeit- auf lediglich 2,2 Prozent belaufen, für das Jahr raum weiter fortschreiten, wenngleich vermutlich 2023 rechnen wir mit einer Zunahme um 3,5 Pro- langsamer und weniger stetig als bislang erwar- zent. tet. Die Lieferengpässe haben sich in den ver- Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise 2020 2021 2022 2023 2020 2021 2022 2023 Weltwirtschaft 100 -3,1 5,7 4,5 4,0 3,2 4,5 5,0 3,8 darunter Fortgeschrittene Länder 44,5 -4,7 5,0 3,8 2,9 0,8 3,1 3,6 2,1 China 18,7 2,3 7,8 4,1 4,9 2,5 1,0 2,3 2,3 Lateinamerika 6,5 -6,8 6,6 3,3 3,1 8,1 11,3 11,0 7,8 Indien 7,7 -7,0 7,6 11,7 7,9 6,6 5,2 4,9 4,2 Ostasiatische Schwellenländer 5,0 -4,5 2,9 6,1 6,4 1,1 2,1 2,9 2,4 Russland 3,1 -2,4 3,7 3,1 2,5 2,6 5,9 4,9 4,7 Afrika 2,9 -0,9 3,4 3,3 4,0 0,0 7,9 9,8 9,2 Nachrichtlich: Welthandelsvolumen (Waren) 9,4 9,4 2,2 3,5 Weltwirtschaft (gewichtet gemäß Brut- toinlandsprodukt im Jahr 2020 in US- -3,8 5,6 4,4 3,7 2,4 4,0 4,4 3,2 Dollar) Prozent. Gewicht: gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 nach Kaufkraftparität. — Bruttoinlandsprodukt, Verbraucher- preise: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr; Ostasiatische Schwellenländer: Thailand, Malaysia, Indonesien und Philippi- nen; Fortgeschrittene Länder: Die Werte stimmen nicht notwendigerweise mit denen in Tabelle 3 überein, da der Länderkreis hier breiter gefasst ist und ein anderes Konzept bei der Gewichtung verwandt wird. Quelle: IMF, International Financial Statistics; OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel 8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) In den Vereinigten Staaten bleiben die Kon- anvisierte Volumen ist mit 2.200 Mrd. US-Dollar junktur kräftig und die Inflation über dem No- deutlich größer. In welchem Umfang und in wel- tenbankziel. Die Verlangsamung des gesamt- cher Form dieses Programm letztlich beschlos- wirtschaftlichen Produktionsanstiegs auf ledig- sen wird, ist aber unsicher. Angesichts einer lich 0,5 Prozent im dritten Quartal war offenbar Teuerungsrate, die im November mit 6,8 Prozent wesentlich temporären Faktoren geschuldet. Für auf den höchsten Wert seit 30 Jahren gestiegen das vierte Quartal zeichnet sich eine deutlich ist, hat die Notenbank signalisiert, ihr Anleihe- stärkere Expansion ab. Sowohl der private Kon- kaufprogramm schneller zurückzufahren als bis- sum als auch der Außenhandel legten im Okto- lang vorgesehen. Sie wird aber wohl trotzdem ber kräftig zu, die Sparquote fiel im November noch bis weit in das kommende Jahr hinein zu- mit 7,3 Prozent erstmals wieder auf das Vorkri- sätzliche Anleihen auf ihre Bilanz nehmen und senniveau, was auf einen abermals kräftigen pri- voraussichtlich nicht vor Mitte des nächsten Jah- vaten Konsum schließen lässt, und die Einkaufs- res damit beginnen, den Leitzins allmählich an- managerindizes deuten sowohl für das Verarbei- zuheben. Damit wirkt die Geldpolitik auch im tende Gewerbe als auch für die Dienstleister auf Prognosezeitraum expansiv. Bei alledem rech- eine verstärkte Expansion hin. So dürfte sich der nen wir für 2022 mit einem Zuwachs des Brutto- Anstieg des Bruttoinlandsprodukts im laufenden inlandsprodukts um 4,4 Prozent, im Jahr 2023 Jahr insgesamt auf 5,6 Prozent belaufen. Die Fi- dürfte er mit 2,9 Prozent zwar deutlich kleiner, nanzpolitik bleibt expansiv ausgerichtet, obwohl aber immer noch höher liegen als die Wachs- der Anfang November im Kongress beschlos- tumsrate des Produktionspotenzials (Tabelle 2). sene „Infrastructure Investment and Jobs Act“, Die Arbeitslosigkeit dürfte weiter sinken und am mit Ausgaben in Höhe von 1.200 Milliarden US- Ende des Prognosezeitraums wieder in etwa so Dollar über einen Zehnjahreszeitraum – dies niedrig sein wie vor der Pandemie. Die steigende entspricht auf ein Jahr gerechnet etwa 0,5 Pro- gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung zent des Bruttoinlandsprodukt – gemessen an wird dazu beitragen, dass die Preissteigerung den Programmen der vergangenen beiden trotz im Prognosezeitraum fortfallender Inflati- Jahre relativ geringe Impulse setzt. Über ein wei- onsimpulse von den Energiepreisen höher bleibt teres Fiskalpaket, das „Build Back Better“-Pro- als von der Notenbank angestrebt. gramm, wird derzeit noch verhandelt. Das Tabelle 2: Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, und Arbeitslosenquote in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften 2020– 2023 Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote 2020 2021 2022 2023 2020 2021 2022 2023 2020 2021 2022 2023 Europäische Union 36,0 -6,0 5,0 3,5 3,2 0,7 2,8 3,1 2,2 7,5 7,4 6,6 6,2 Euroraum 29,2 -6,4 5,0 3,5 3,1 0,3 2,5 2,8 1,9 7,8 7,6 6,9 6,5 Schweden 1,0 -3,1 4,7 4,3 2,8 0,7 2,5 2,8 2,0 8,3 8,8 7,4 6,6 Polen 2,3 -2,5 5,3 4,2 3,8 3,6 5,1 5,7 3,9 3,2 3,5 3,0 2,8 Vereinigtes König- 5,6 -9,7 6,9 4,5 1,9 0,9 2,4 4,1 2,5 4,5 4,5 4,3 4,2 reich Schweiz 1,1 -2,5 3,6 3,1 1,7 -0,7 0,6 1,0 1,0 4,8 5,1 4,8 4,6 Norwegen 0,6 -0,8 4,0 3,7 1,6 1,3 3,0 1,8 1,8 4,4 4,9 4,6 4,4 Vereinigte Staaten 37,3 -3,4 5,6 4,4 2,9 1,2 4,7 5,0 2,4 8,1 5,4 3,8 3,5 Kanada 3,4 -5,3 4,6 3,6 2,8 0,7 3,4 3,1 2,5 9,5 7,6 6,5 6,2 Japan 9,6 -4,7 1,5 2,8 2,0 0,0 -0,2 1,0 0,4 2,8 2,8 2,5 2,4 Südkorea 4,0 -0,9 3,9 3,6 3,3 0,5 2,5 2,2 1,8 4,0 3,6 3,2 3,0 Australien 2,3 -2,4 4,2 3,4 3,1 0,9 2,8 2,7 2,3 6,5 5,1 4,7 4,3 Aufgeführte Länder 100,0 -4,9 5,1 4,0 3,0 0,9 3,3 3,8 2,2 6,7 5,8 4,9 4,6 Prozent. Gewicht gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 in US-Dollar. — Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Verände- rung gegenüber dem Vorjahr. — Verbraucherpreise: Veränderung gegenüber dem Vorjahr, Europäische Union und Norwe- gen: harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). — Arbeitslosenquote: standardisiert nach dem ILO-Konzept. Ländergrup- pen gewichtet auf der Grundlage der Erwerbspersonenzahl von 2020. Quelle: Eurostat, VGR; OECD, Main Economic Indicators; IMF World Economic Outlook Database; Statistics Canada, Cana- dian Economic Account; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. 9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Nach einem Rückschlag im Winterhalbjahr als im Euroraum, die gesamtwirtschaftliche Pro- wird die Erholung im Euroraum im Frühjahr duktion lag im dritten Quartal 2021 noch rund 2 wieder Fahrt aufnehmen. Nach zwei Quartalen Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Nach der mit kräftigen Anstiegen um jeweils über 2 Pro- Jahresmitte verlangsamte sich die zuvor kräftige zent war das Produktionsniveau im dritten Quar- wirtschaftliche Expansion deutlich, obwohl die tal nur noch 0,3 Prozent geringer als zum Jah- Eindämmungsmaßnahmen im Juli weitgehend resende 2019. Angesichts der Wucht der aktuel- aufgehoben wurden („Freedom Day“). Während len Corona-Welle in Europa sind erneut Eindäm- sich die Aktivität im Dienstleistungsbereich trotz mungsmaßnahmen beschlossen und die Kon- wieder stark gestiegenen Infektionszahlen wei- summöglichkeiten insbesondere des ungeimpf- ter erholte, ging die Produktion in der Industrie ten Bevölkerungsteils eingeschränkt worden. Mit und im Bau zurück. Über die weltweit spürbaren dem Auftauchen von Omikron hat sich die Unsi- Lieferengpässe bei Rohstoffen und Vorproduk- cherheit über die weitere wirtschaftliche Entwick- ten hinaus machte sich insbesondere ein gravie- lung zusätzlich erhöht. Vor diesem Hintergrund render Mangel an Lastwagenfahrern bemerkbar, dürfte die Erholung in den besonders belasteten der zeitweise zu erheblichen logistischen Prob- kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen ei- lemen führte und wohl auch eine Folge des nen Rückschlag erleiden. Für das vierte Quartal Brexit ist, der die Besetzung von Stellen mit Ar- 2021 und das erste Quartal 2022 erwarten wir beitsmigranten stark erschwert hat. Arbeitskräf- jeweils einen leichten Rückgang der gesamtwirt- temangel ist insgesamt zunehmend ein restrin- schaftlichen Produktion, zumal die Liefereng- gierender Faktor für die britische Wirtschaft; die pässe derzeit die industrielle Aktivität deutlich Zahl der offenen Stellen ist im Herbst auf ein Re- beeinträchtigen. Diese dürften sich im kommen- kordniveau gestiegen. Für das vierte Quartal den Jahr jedoch allmählich auflösen und kräftige zeichnet sich eine weitere Zunahme der gesamt- Wertschöpfungszuwächse im Verarbeitenden wirtschaftlichen Produktion um rund 1 Prozent Gewerbe im Jahresverlauf ermöglichen. Nach ab. In den kommenden Monaten könnte aber die einem Zuwachs um 5,0 Prozent im Jahr 2021 Pandemie wieder stärker dämpfend wirken, da wird das Bruttoinlandsprodukt im kommenden angesichts der rasch steigenden Zahl von Infek- Jahr wohl um 3,5 Prozent steigen und im Jahr tionen mit der Omikron-Variante erneut Eindäm- 2023 um 3,1 Prozent. Für das Jahr 2022 bedeu- mungsmaßnahmen beschlossen worden sind. tet dies eine Abwärtsrevision gegenüber der Gleichzeitig laufen einige fiskalische Stützungs- Prognose vom September um fast einen Pro- maßnahmen aus. Dennoch dürfte das Bruttoin- zentpunkt; die vollständige wirtschaftliche Erho- landsprodukt im Jahr 2022 mit 4,5 Prozent ge- lung verschiebt sich somit erneut zeitlich nach genüber dem Vorjahr nochmals kräftig steigen. hinten. Die Verbraucherpreise liegen derzeit vor Für 2023 erwarten wir dann nur noch eine Zu- allem aufgrund kräftig gestiegener Energie- nahme um 1,9 Prozent. Bremsend dürfte im preise um fast 5 Prozent höher als vor einem Prognosezeitraum wirken, dass sich die Wirt- Jahr. Im kommenden Jahr wird der Preisdruck schaft nach dem Ausscheiden aus dem Europä- vonseiten der Energiepreise abflauen, dafür ischen Binnenmarkt im Außenhandel neu aus- dürfte sich der Preisauftrieb bei Industriegütern richten muss. Auch dürfte die Geldpolitik spürbar verstärken. So wird die Verbraucherpreisinfla- gestrafft werden, um die Inflation zu bremsen. tion im kommenden Jahr voraussichtlich mit 2,8 Die Bank von England hat die Erwartung ge- Prozent nochmals deutlich über dem Inflations- weckt, dass in Kürze die Zinsen angehoben wer- ziel liegen. Die Erwerbslosenquote lag im Okto- den und der Bestand an Anleihen in der Zentral- ber mit 7,3 Prozent auf dem Vorkrisenniveau und bank in absehbarer Zeit reduziert wird. dürfte im Prognosezeitraum auf das geringste In den übrigen Ländern der EU steigt die Pro- Niveau seit Bestehen der Währungsunion zu- duktion trotz Pandemie und Lieferengpässen rückgehen. kräftig. In den EU-Ländern außerhalb des Eu- Die britische Wirtschaft wird weiter durch die roraums erholt sich die Konjunktur vergleichs- Pandemie und die Auswirkungen des Brexits weise stetig. In der Regel blieb der Produktions- belastet. Die wirtschaftliche Erholung ist im Ver- anstieg auch im dritten Quartal kräftig. Ausnah- einigten Königreich weniger weit fortgeschritten men sind Rumänien und Bulgarien, wo das 10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Gesundheitssystem durch Corona-Infektionen nur langsam wieder an Fahrt gewinnt. Mit 4,1 besonders beansprucht wurde, und Ungarn, wo bzw. 4,9 Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt die Industrieproduktion im Sog der Liefereng- in den kommenden beiden Jahren Zuwachsra- pässe in der Automobilindustrie besonders stark ten verzeichnen, die noch deutlich unter den im zurückging. Für das Winterhalbjahr rechnen wir längerfristigen Vergleich bereits niedrigen Wer- mit einer zwar vorübergehend gebremsten, ten liegen, die vor der Corona-Krise verzeichnet gleichwohl insgesamt weiter zunehmenden ge- wurden. Die Verbraucherpreise in China steigen samtwirtschaftlichen Expansion. Dämpfend wirkt im Prognosezeitraum nur moderat, auch weil die neben den Auswirkungen der Pandemie auch Energiepreise auf Verbraucherseite – in stärke- der Kaufkraftentzug durch die in den mittel- und rem Maße als anderswo – staatlich reguliert osteuropäischen Ländern besonders hohe Infla- sind. tion. Bei einem kräftigen Lohnwachstum wird Omikron könnte die weltwirtschaftliche Erho- sich aber der konsumgetragene Aufschwung mit lung stark bremsen. Ein großer Unsicherheits- Abklingen des energiepreisbedingten Inflations- faktor für die Prognose bleibt die Entwicklung der schubs im Verlauf des kommenden Jahres wie- Pandemie. Mit dem Auftreten der Omikron-Vari- der durchsetzen. Hinzu kommen erhebliche zu- ante, die besonders ansteckend ist und gegen sätzliche EU-Mittel, die eine Zunahme der Inves- die die verfügbaren Impfstoffe offenbar weniger titionen finanzieren helfen. So dürfte die Produk- wirksam sind, hat sich das Risiko neuerlicher tion in den kommenden beiden Jahren kräftig Konjunktureinbrüche durch Infektionsschutz- steigen (Tabelle 8.1 im Anhang). Auf den erhöh- maßnahmen und Verhaltensanpassungen deut- ten Inflationsdruck haben die Zentralbanken der lich erhöht. Auch wenn es nicht zu einer weltwei- mittel- und osteuropäischen Länder bereits mit ten Rückkehr in den Lockdown kommt, könnten Zinsanhebungen reagiert. Eine weitere Straffung Normalisierungsschritte wie die Öffnung der der Geldpolitik ist wahrscheinlich, dürfte aber an- Landesgrenzen für den Tourismus und die Wie- gesichts der weiter extrem niedrigen Zinsen im deraufnahme von Geschäftsreisen zurückge- Euroraum moderat ausfallen. nommen oder weiter in die Zukunft verschoben Die Immobilienkrise und lokale Covid-Aus- werden. Dabei besteht die Gefahr, dass die wirt- brüche drücken den Zuwachs des Bruttoin- schaftlichen Strukturen in den besonders be- landsprodukts in China unter 5 Prozent. Die troffenen Dienstleistungsbereichen im Zuge im- Konjunktur in China wird derzeit von verschiede- mer neuer Geschäftseinbrüche auch längerfris- nen Faktoren gedämpft, die wohl nur nach und tig Schaden nehmen, zumal die fiskalischen Ka- nach überwunden werden. Während die Ener- pazitäten, um wirksam gegenzusteuern, in man- giekrise durch die Mobilisierung zusätzlicher chen Ländern möglicherweise bereits ausgereizt Brennstoffmengen und verbesserte Anreize zur sind. Elektrizitätsproduktion offenbar bereits abklingt, Die Straffung der Geldpolitik in den fortge- werden Maßnahmen zur Eindämmung lokaler schrittenen Volkswirtschaften birgt Risiken Covid-19-Ausbrüche wohl noch längere Zeit im- für die Erholung in den Schwellenländern. mer wieder spürbare konjunkturelle Bremsef- Die Konjunktur in den Schwellenländern litt zu- fekte zur Folge haben. Die Konsolidierung im Im- letzt vor allem unter den Auswirkungen der Pan- mobiliensektor dürfte sogar über den gesamten demie. Die finanziellen Rahmenbedingungen Prognosezeitraum die gesamtwirtschaftliche waren indes zumeist weiter günstig. Auch hohe Produktion dämpfen. Um die Konjunktur zu stüt- Rohstoffpreise sind für viele Schwellenländer ein zen, sollen Geld- und Fiskalpolitik expansiver stimulierender Faktor. So erwarten wir für die ausgerichtet werden. So hat die Zentralbank im kommenden beiden Jahre eine recht kräftige Er- Dezember beschlossen, den Mindestreserve- holung der Konjunktur in dieser Ländergruppe satz um 50 Basispunkte zu senken. Darüber hin- (Tabelle 8.3 im Anhang). Allerdings hat die Aus- aus sollen kleine und mittelständische Unterneh- sicht auf eine anstehende Straffung der Geldpo- men unterstützt werden, etwa indem Kreditver- litik in den Vereinigten Staaten die Wechsel- gabebedingungen gelockert sowie Steuern und kurse der meisten Länder unter Druck gesetzt. Gebühren reduziert werden. Alles in allem rech- Viele Notenbanken haben inzwischen ihre Zin- nen wir damit, dass die chinesische Konjunktur sen erhöht, zum Teil deutlich, um Kapital- 11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) abflüsse zu vermeiden und den aus der Abwer- tung resultierenden Inflationsdruck zu begren- zen. Im Zuge von Zinsanhebungen der US-No- tenbank könnten sich die finanziellen Rahmen- bedingungen für die Schwellenländer weiter ver- engen und eine konjunkturell unangemessen restriktive Geldpolitik notwendig werden, um den Außenwert zu stabilisieren und eine Situation zu vermeiden, wie sie gerade in der Türkei beo- bachtet werden kann, wo sich der Außenwert der Währung im freien Fall befindet. 12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Kasten 1: Zur Verlangsamung der Konjunktur in China Die Expansion der chinesischen Wirtschaft ist im dritten Quartal 2021 fast zum Stillstand gekommen. Die Produktion legte gegenüber dem Vorquartal lediglich um 0,2 Prozent zu, im Vorjahresvergleich betrug der Zuwachs 4,9 Prozent. Dies war nicht nur erheblich weniger als in den beiden Vorquartalen, deren hohe Zuwachsraten von 18,3 Prozent bzw. 7,9 Prozent allerdings wesentlich auf den Basiseffekt des Corona- bedingten Einbruchs der Produktion im ersten Halbjahr 2020 zurückzuführen waren, sondern liegt auch unter jenem Wachstumstempo, das vor der Krise verzeichnet wurde. Maßgeblich für die Schwäche im dritten Quartal waren zum einen Faktoren, die voraussichtlich temporärer Natur sind, insbesondere eine Krise in der Energieversorgung, produktionsbeschränkende Maßnahmen im Zuge der strikten No-Covid- Politik und globale Lieferkettenprobleme. Zum anderen weisen die finanziellen Schwierigkeiten im Immo- biliensektor auf Probleme hin, die die Konjunktur in China noch längere Zeit belasten dürften. Corona-Pandemie Die chinesische Regierung verfolgt weiterhin eine No-Covid-Strategie und setzt bei Ausbrüchen auf strenge lokale Restriktionen zur Bekämpfung des Virus. Einreisen nach China sind nach wie vor nur mit Sondererlaubnis und anschließender Quarantäne möglich. Die Anzahl an internationalen Flugverbindun- gen liegt derzeit bei nur 2,2 Prozent der internationalen Verbindungen von 2019. Lokale Corona-Ausbrüche haben in der Vergangenheit immer wieder zu weitreichenden Abriegelungen und auch zu Produktionsbe- schränkungen bis hin zur Stilllegung ganzer Betriebe geführt. Eine Änderung der Strategie ist bislang nicht absehbar und Corona-Maßnahmen werden daher auch weiterhin die chinesische Wirtschaft und ihre au- ßenwirtschaftlichen Beziehungen beeinflussen. Energiekrise In China kam es seit März zu Engpässen in der Elektrizitätsversorgung. In vielen Regionen wurde Strom rationiert oder zeitweise abgeschaltet, wovon nicht zuletzt das Produzierende Gewerbe betroffen war. Die Probleme rührten daher, dass die Energienachfrage infolge der wirtschaftlichen Erholung zunahm, wäh- rend gleichzeitig die Stromproduktion reduziert wurde – eine Folge von Mangel an Kohle und Chinas zent- ral gesteuerter Energiepolitik. Kohle ist der wichtigste Energieträger in der chinesischen Stromversorgung; 2020 wurden daraus knapp zwei Drittel der Elektrizität gewonnen. Die Gründe für den Mangel an verfügbarer Kohle im laufenden Jahr sind vielfältig. Die heimische Produktion wurde durch Überschwemmungen in wichtigen Abbauregionen und Stilllegungen von Minen aufgrund schlechter Umwelt- und Arbeitsbedingungen beeinträchtigt. Interna- tionale Importe wurden durch ein von der Regierung verordnetes Importverbot australischer Kohle behin- dert. Hinter den Problemen in der Energieversorgung stehen aber auch strukturelle Ursachen. Die Strom- preise in China sind staatlich gedeckelt. Der aufgrund des knappen Angebots stark gestiegene Preis für Abbildung K1-1 Kohle (Abbildung K1-1) konnte daher nicht an die Preisentwicklung für Kohle in China Verbraucher weitergegeben werden, so dass Betrei- ber von Kohlekraftwerken vielerorts nur mit Verlust Yuan / t produzieren konnten und die Produktion entspre- 2500 chend reduzierten. Gleichzeitig stellte der gedeckelte Strompreis für Abnehmer auch keinen Anreiz dar, 2000 den Verbrauch zu reduzieren und die Versorgungssi- tuation nachfrageseitig zu entlasten 1500 Hinzu kommt, dass China anstrebt, die CO2-Emis- sionen langfristig zu reduzieren. Dies hat dazu beige- tragen, dass die Kohleabbaukapazitäten in der jün- 1000 geren Vergangenheit weniger rasch gestiegen sind als zuvor. Darüber hinaus haben die einzelnen Pro- 500 vinzen von der Zentralregierung Emissionsvorgaben erhalten, die dazu führten, dass die Produktion in be- sonders energieintensiven Betrieben in einigen Regi- 0 2017 2018 2019 2020 2021 onen zeitweise eingeschränkt oder ausgesetzt wurde, um Emissionen zu reduzieren und die Vorga- Tagesdaten. Letzter Wert: 13. Dez. 2021. ben einzuhalten. Betroffen waren etwa die Stahl-, Quelle: National Bureau of Statistics of China via Refinitiv. Aluminium-, Glas- oder Zementindustrien. 13
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Reform des Strommarktes Mitte Oktober kündigte die chinesische National Development and Reform Commission (NDRC), das oberste Wirtschaftsplanungs-Gremium des Landes, umfassende Maßnahmen zur Behebung der Energie- krise an. Auf kurze Sicht bietet die Reform Anreize für Kohlekraftwerksbetreiber, die Produktion zu erhö- hen, während langfristig die Abhängigkeit von Kohle reduziert werden soll. Kurzfristig soll die Versorgungssituation dadurch verbessert werden, dass sowohl die Kohleförderung im Inland als auch die Einfuhren ausgeweitet werden. Gleichzeitig werden die Anreize zur Stromproduktion durch eine Flexibilisierung des Strommarktes verbessert. Abnehmer müssen den Strom zukünftig am Strommarkt zu Marktpreisen einkaufen, die in Abhängigkeit von Angebot und Nachfrage steigen und fallen können. Der Strompreis für gewerbliche und industrielle Abnehmer wird zwar auch weiterhin zentral be- stimmt, kann zukünftig aber um bis zu 20 Prozent statt bisher 10 Prozent vom vorgegebenen Preis abwei- chen. Für besonders energieintensive gewerbliche und industrielle Abnehmer entfällt die Preisvorgabe vollständig. Hierdurch wird den Kraftwerksbetreibern die Möglichkeit gegeben, höhere Produktionskosten an die Abnehmer weiterzureichen und somit ein Anreiz geschaffen, die Auslastung der Kohlekraftwerke wieder zu erhöhen. Private Haushalte und landwirtschaftliche Betriebe sind von dieser Regelung ausge- nommen und können unverändert Elektrizität zu einem regulierten Preis beziehen (Lantau Group 2021). Um die Kohleförderung kurzfristig auszuweiten, wurden Genehmigungen zur Inbetriebnahme von 153 stillgelegten Minen mit einer Kapazität von jährlich 220 Millionen Tonnen erteilt (reichlich 5 Prozent der Produktion im Jahr 2020). Darüber hinaus wurden beschleunigte Genehmigungsverfahren für die Erweite- rung von 38 bestehenden Minen beschlossen (China Daily, 2021). Diese Maßnahmen zeigen bereits deut- lich Wirkung: Im Oktober wurde die Kohleproduktion in China erheblich ausgeweitet und stieg im Vergleich zum September um knapp 7 Prozent auf 357 Millionen Tonnen. Kohleimporte, die allerdings nur einen Bruchteil der inländischen Produktion ausmachen, zeigten zuletzt ebenfalls einen deutlichen Aufwärts- trend. Darüber hinaus deckelte die NDRC den einheimischen Kohlpreis bei 1200 Yuan pro Tonne (Reuters, 2021). An den Terminbörsen ging der Kohlepreis inzwischen stark zurück, und auch die Weltmarktnotie- rungen gaben im Vergleich zu den Mitte Oktober erreichten Höchstständen deutlich nach. Der Preis der am Zhengzhou Commodity Exchange gehandelten Kohle-Futures lag zuletzt mit 989 Yuan (137 Euro, Stand: 10.12.2021) je Tonne 57 Prozent unter dem Rekordpreis vom 19 Oktober 2021 (2301 Yuan, 310 Euro). Für 2022 wird die NDRC für die heimische Kohle voraussichtlich einen Referenzpreis von 700 Yuan vorgegeben, mit einer erlaubten Preisspanne von 550 bis 850 Yuan. Gleichzeitig werden nationale Kohle- produzenten dazu angehalten, langfristige Liefervereinbarungen mit Kraftwerksbetreibern abzuschließen, die wiederum ihren Kohlebedarf weitgehend durch diese langfristigen Lieferkontrakte abdecken sollen. Kohleimporte sind von dieser Verpflichtung ausgenommen (Reuters, 2021a). Abbildung K1-2 Kohleproduktion und Kohleimport in China Mio. t Mio. t 360 50 340 40 320 30 300 20 280 10 260 0 2017 2018 2019 2020 2021 2017 2018 2019 2020 2021 Nationale Kohleproduktion: Monatsdaten. Letzer Wert: Kohleimporte: Monatsdaten, Volumen. Letzter Wert: Oktober 2021. Offizielle Statistik enthällt keine Aufteilung Novemeber 2021. zwischen Daten für Januar und Februar (Neujahrsfest). Quelle: National Bureau of Statistics of China, CEIC Data. Quelle: National Bureau of Statistics of China, CEIC data. Auf längere Sicht ist es zudem bedeutsam, dass Kohlekraftwerke zukünftig nicht mehr über garantierte Stromabnahmemengen verfügen und dazu verpflichtet werden, ihre Produktion auf dem Strommarkt an- zubieten. Kohlekraftwerke verlieren hierdurch ihre Einspeiseprivilegien und müssen fortan in den Wettbe- werb mit anderen Energielieferanten treten. Die Anreize, die in der Vergangenheit zu einem rapiden Aus- bau an Kohlekraftwerkskapazitäten geführt haben, werden hierdurch reduziert und insbesondere ältere, 14
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) weniger effiziente Kohlekraftwerke könnten durch diese Veränderung vom Markt verdrängt werden, wenn ausreichend erneuerbare Energie zur Verfügung steht. Das Risiko von Versorgungsengpässen bleibt jedoch vorerst bestehen, insbesondere wenn der Winter ungewöhnlich kalt werden sollte, wie derzeit prognostiziert wird. Die Versorgung von Haushalten mit Strom und Fernwärme wird auch weiter priorisiert werden, so dass Energieengpässe die Produktion von indust- riellen und gewerblichen Abnehmern auch in den kommenden Monaten beeinträchtigen könnten. Insbe- sondere die Versorgung der energieintensiven Industrien kann noch nicht als gesichert gelten. Immobiliensektor Auch zunehmende Nervosität am Immobilienmarkt trägt zu der konjunkturellen Verlangsamung in China bei. Evergrande, ein mit 300 Mrd. US-Dollar verschuldeter Immobilienentwickler, ist mit einer akuten Liqui- ditätsschwäche konfrontiert. Seit September konnte das Unternehmen mehrere Zinszahlungsfristen für seine in US-Dollar denominierten Anleihen nicht einhalten. Ein Zahlungsausfall wurde zunächst durch die Begleichung der Außenstände innerhalb der gesetzlichen Nachfristen abgewendet, aber Mitte Dezember geriet das Unternehmen erneut mit Zinszahlungen in Höhe von 82,5 Million US-Dollar in Verzug und wurde daraufhin von der Ratingagentur Fitch auf „restricted default“ herabgestuft. Dabei ist Evergrande kein Ein- zelfall, auch andere chinesische Immobilienkonzerne, wie beispielsweise Kaisa Group oder Fantasia Hol- ding, hatten Probleme, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Der Immobiliensektor repräsentiert gut ein Viertel des chinesischen Bruttoinlandsprodukts und war in der Vergangenheit der wichtigste Wachstumstreiber für die chinesische Wirtschaft (Rogoff und Yang, 2021, Euler Hermes, 2021). Das rapide Wachstum des Immobiliensektors und die hohen Verschuldungsgrade der Immobilienkonzerne haben die chinesische Regierung dazu bewegt, im August 2020 Maßnahmen in Form der so genannten „three red lines“ – Schwellenwerte für drei Finanzkennzahlen (Verschuldung zu Bilanzsumme, Nettoverschuldung zu Eigenkapital und Barbestand zu kurzfristigen Verbindlichkeiten) – einzuführen, um den Verschuldungsgrad der Unternehmen zu begrenzen. Darüber hinaus wurde Anfang 2021 eine Obergrenze für Immobilienkredite für Kreditinstitute eingeführt, welche die Finanzierungsmög- lichkeiten für Immobilienkonzerne weiter einschränkte. Die Änderungen in der Regulierung und die durch die Evergrande-Krise verursachten Unsicherheiten haben sich bereits erkennbar auf den Immobilienmarkt ausgewirkt. Verkäufe neuer Immobilien lagen im Oktober 23 Prozent unter dem Vorjahreswert, Bauaufträge gingen im Vergleich zum Vorjahr um 13,5 Pro- zent zurück, und neue Aufträge für Wohnprojekte fielen im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 33 Pro- zent (Reuters, 2021b). Auch der Ankauf von Grundstücken durch Immobilienkonzerne ist stark gesunken und Grundstücke wurden vermehrt von staatlichen Unternehmen angekauft. Die Immobilienpreise gehen zum ersten Mal seit 2015 zurück. Einfluss auf die Konjunktur Die genannten Belastungsfaktoren haben die chinesische Wirtschaft im Jahr 2021 deutlich gebremst. Während die Probleme in der Energieversorgung und die resultierenden Einschränkungen der Produktion zunächst einmal überwunden zu sein scheinen, werden Corona-Maßnahmen und die Konsolidierung des Immobiliensektors auch über 2021 hinaus die wirtschaftliche Aktivität in Chinas belasten. Ein Festhalten an der No-Covid-Politik könnte angesichts der deutlich ansteckenderen Omikron-Variante – eine erste In- fektion mit diesem Virus-Typ wurde bereits gemeldet – sogar zu deutlich schärferen Einschränkungen füh- ren als im vergangenen Jahr. Für die Prognose haben wir unterstellt, dass der konjunkturelle Einfluss der Pandemie ab 2023 nachlässt, weil es gelingt, die gesundheitlichen Folgen einer Ausbreitung des Virus durch Impfprogramme soweit zu reduzieren, dass die restriktive Corona-Politik gelockert werden kann. Die Korrektur im Immobiliensektor dürfte hingegen über den gesamten Prognosezeitraum bremsen und trägt maßgeblich dazu bei, dass die vor der Krise erreichte Expansionsrate der chinesischen Wirtschaft auch 2023 nicht wieder erreicht wird. Ein Einbruch am Immobilienmarkt bildet ein Risiko für die Prognose und würde wohl auch die Konjunktur in der übrigen Welt spürbar dämpfen (Deutsche Bundesbank 2021). 15
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) Datenanhang INHALT 1. Weltkonjunktur.............................................................................................. 17 2. Vereinigte Staaten ......................................................................................... 18 3. Japan .............................................................................................................. 19 4. Euroraum ....................................................................................................... 20 5. Vereinigtes Königreich ................................................................................... 21 6. China .............................................................................................................. 22 7. Übrige Schwellenländer................................................................................. 23 8. Tabellenanhang ............................................................................................. 24 Literatur ............................................................................................................... 26 16
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 85 (2021|Q4) 1. Weltkonjunktur Abbildung 1.1: Abbildung 1.2: Weltwirtschaftliche Aktivität Weltweite Industrieproduktion nach Ländergruppen und Regionen Prozent Index 9,0 102 2012=100 Bruttoinlandsprodukt 140 Industrieländer 7,0 Entwicklungs-und Schwellenländer 101 130 Welt 5,0 120 3,0 100 110 1,0 99 100 -1,0 90 -3,0 IfW-Indikator (rechte Skala) 98 80 -5,0 2012 2014 2016 2018 2020 97 -7,0 120 Fortgeschrittene Volkswirtschaften -9,0 96 110 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Quartalsdaten; saisonbereinigt; Indikator be-rechnet auf Basis 100 von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern; Bruttoinlands- produkt: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorquartal, 46 Länder, gewichtet nach Kaufkraftparität. 90 Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen; Berechnungen des IfW Kiel. 80 Euroraum Vereinigte Staaten 70 Japan Abbildung 1.3: 60 Welthandel 2012 2014 2016 2018 2020 2012=100 140 Welthandel insgesamt Entwicklungs- und Schwellenländer Industrieländer Entwicklungs-und Schwellenländer 180 Asien 120 Mittel-und Osteuropa 160 Lateinamerika China 140 100 120 100 80 80 60 60 2012 2014 2016 2018 2020 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Monatsdaten; preis- und saisonbereinigt. Monatsdaten; preis- und saisonbereinigt. Letzter Wert: Sept. 2021. Quelle: CPB, World Trade Monitor; Berechnungen des IfW Kiel. Quelle: CPB, World Trade Monitor; Berechnungen des IfW Kiel. 17
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