Antike Sudan - InterLINK-Project
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Heft 31 • 2020 Der Der Antike Sudan Antike Sudan Colour fig. 5: Faience plaque, Faras, Western Palace (after Sackho-Autissier 2018, fig. 4, © photo A. Sackho-Autissier.). Farbabb. 7: Beispiele bemalter Keramik mit Anch-Motiv (Fotos: Angelika Lohwasser). Heft 31 • 2020 Colour fig. 6: Relief of a Besoid on the limestone stela GMII I, 1a 5622 (© The Farbabb. 8: Bemalte Keramik mit Mattenab- Pushkin State Museum of Fine Arts, Moscow). druckdekor (Foto: Angelika Lohwasser). Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin e.V.
Titelbild: Blick vom Jebel Haraza ins Wadi Showar/Nord-Kordofan. Colour fig. 1: Different types of jars and decoration variations (Photo Nassr 2015). Colour fig. 3: Scans of the two thins sections from Profile ELG 13/15-2. Colour fig. 4: Micrograph: a) upper occupation deposit: decomposed fine organic matter with clay of the ground mass (PPL); b) the same in XPL see also clay coatings around quartz grain (white arrow); c) former surface: burnt bone fragment (PPL); d) former surface: reddened sediment (PPL); e) upper occupation deposit: clay fragment embedded in humic ground mass Colour fig. 2: Topographical setting and cemetery distribution of el-Dan area, excavated southern group as pink triangles. (PPL); f) coarse layer with clayey ground mass (PPL).
Impressum MittSAG 31 Herausgeber: Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. c/o Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Archäologie Archäologie und Kulturgeschichte Nordostafrikas Unter den Linden 6 | 10099 Berlin Verantwortlich für die Herausgabe: Angelika Lohwasser, Münster Wissenschaftlicher Beirat: Julia Budka, München | David Edwards, Leicester Jochen Hallof, Würzburg | Friederike Jesse, Köln Layout und Satz: Frank Joachim, Berlin Erscheinungsort: Berlin Internetpräsenz: www.sag-online.de Bankverbindung der SAG: Deutsche Bank AG BIC DEUTDEDBBER IBAN DE36 1007 0024 0055 5508 00 Die Zeitschrift Der Antike Sudan (MittSAG) erscheint einmal im Jahr. Die in den Beiträgen geäußerten Ansichten geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Die „Richtlinien für Autoren“ finden Sie unter www.sag-online.de, wir senden sie auf Anfrage auch gerne zu. © 2020 Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Gesellschaft. Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. Angesichts der Tatsache, dass die globalen wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Probleme auch zu einer Gefährdung der kulturellen Hinterlassenschaften in aller Welt führen, ist es dringend geboten, gemein- same Anstrengungen zu unternehmen, das der gesamten Menschheit gehörende Kulturerbe für künftige Generationen zu bewahren. Eine wesentliche Rolle bei dieser Aufgabe kommt der Archäologie zu. Ihre vornehmste Verpflichtung muss sie in der heutigen Zeit neben der Forschung darin sehen, bedrohte Kultur- denkmäler zu pflegen und für ihre Erhaltung zu wirken sowie ihr Wissen mit der Öffentlichkeit zu teilen. Die Sudanarchäologische Gesellschaft zu Berlin e.V. setzt sich für den Kulturerhalt im Sudan ein, indem sie konservatorische Arbeiten fördert, archäologische Ausgrabungen unterstützt sowie die Dokumentation, Publikation und Präsentation von archäologischen Orten und Objekten ermöglicht. Wenn die Arbeit der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin Ihr Interesse geweckt hat und Sie bei uns mitarbeiten möchten, werden Sie Mitglied! Wir sind aber auch für jede andere Unterstützung dankbar. Wir freuen uns über Ihr Interesse! Mitgliedsbeiträge jährlich: Vollmitglied: € 65.- | Ermäßigt: € 35.- | Studierende: € 25.- | Fördermitglied: mind. € 250.- ISSN 0945-9502 Der antike Sudan. Mitteilungen der Sudanarchäologischen Gesellschaft zu Berlin e.V. Kurzcode: MittSAG Heft 31 | 2020
2020 Inhaltsverzeichnis Übersichtskarte .................................................................................................................................................. 4 Editorial .............................................................................................................................................................. 5 Fritz-Hintze-Vorlesung Tim Karberg The Old Stonemasons‘ Rightful Habit. Mason’s marks and their semiotics at the Great Enclosure of Musawwarat es Sufra ................................. 7 Aus der Archäologie Friederike Jesse, Jan Kuper, Hassan Mustafa Alkhidir, with contributions by Nadine Nolde and Astrid Röpke Prehistoric settlement south of the 5th Nile Cataract – Some results of recent archaeological work of the El Gol Project ............................................................... 25 Tim Karberg, Angelika Lohwasser & Laura Haupt Das Projekt „El Rum Oasis“ im Wadi Abu Dom. Vorbericht über die 1. Feldkampagne im Frühjahr 2020 ............................................................................. 49 Abdelrahman Saaid & Mohamed Bashir The archaeology of Wadi el-Dan North of ancient Meroe: Excavations of some unusual Tumulus Graves ............................................................................................ 63 Ahmed Hamid Nassr, Yahia Fadl Tahir and Howida Mohammed Adam El-Ḥamra: a Medieval Urban Settlement in the Western Desert of the Sudan Nile – El-Ga‘ab Depression Excavation 2015 ......................................................................................................... 75 Jana Eger & Tim Karberg Nord-Kordofan im Satellitenbild. Vorbericht über die Forschungen des InterLINK-Projektes 2020 .............................................................. 87 Varia Mattias Karlsson Gender and Kushite State Ideology: The Failed Masculinity of Nimlot, Ruler of Hermopolis ............................................................................. 99 Josefine Kuckertz Thoughts on Amesemi .................................................................................................................................. 109 Alexey K. Vinogradov A Besoid Rock Carving in the High Atlas Mountains, Morocco .............................................................. 131 Angelika Lohwasser Teje, Kaschta und ein Honeymoon in Luxor .............................................................................................. 141 Nachruf Jacques Reinold (1944 – 2020) ..................................................................................................................... 145 Nachruf László Török (1941 – 2020) .......................................................................................................................... 147
2020 Aus der Archäologie Jana Eger & Tim Karberg Nord-Kordofan im Satellitenbild Vorbericht über die Forschungen des InterLINK-Projektes 2020 1. Einleitung 1.1 Fernerkundungsmethodik Nachdem das Forschungsprojekt „Interregional Bei der Fernerkundung werden unterschiedlichste Linkage Investigations in Northern Kordofan“1 Daten genutzt, die von verschiedenen Satelliten- der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Plattformen stammen. Je nach Datensatz und Aus- bereits zwei Feldkampagnen im Gelände durch- wertungsmethodik können dabei verschiedene Fra- führen konnte,2 war für das Frühjahr 2020 die gen beantwortet werden. dritte Feldkampagne in Nord-Kordofan geplant Ein wichtiges Element sind dabei Daten, die (siehe Titelbild). über Online-Dienste wie Microsoft Bingmaps oder Während im März 2020 der größte Teil der Sur- Google Earth bereitgestellt werden. Grundlage hier- vey-Mannschaft bereits vor Ort im Sudan war und für sind häufig Aufnahmen der Satellitensysteme die Vorbereitungen für die Reise nach Kordofan Quickbird 2 und Worldview 2, die beide von dem anliefen, erreichte uns die dringende Nachricht, dass US-Amerikanischen Privatunternehmen Digital die Schließung der sudanesischen Grenzen aufgrund Globe betrieben werden.3 Diese in der kommerzi- der weltweiten COVID-19-Pandemie unmittelbar ellen Anschaffung recht teuren Fernerkundungspro- bevor stünde, und eine Ausreise vor dem Inkraft- dukte können über die genannten Online-Dienste treten weltweiter Reisebeschränkungen empfoh- kostenneutral eingesehen werden. Trotz einiger Vor- len wurde. Aufgrund dessen entschlossen wir uns teile ist diese Art der Dateneinsicht aber auch mit schweren Herzens, die geplante Feldkampagne auf Problemen behaftet. Vorteil der Bilder ist in erster einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Linie die Auflösung: mit bis zu 50 cm/px eine der Dies bedeutet jedoch nicht, dass in diesem Jahr genauesten, die im zivilen Bereich zur Verfügung ste- keine Forschungen stattfanden. Wie viele andere in hen. Dies ermöglicht die Identifikation zahlreicher Wissenschaft und Forschung tauschten die Ange- archäologischer Befundkategorien, teilweise bis hin hörigen des InterLINK-Projektes die Arbeit im zu einzelnen box graves, die sich bei einer Breite von Gelände mit dem heimischen Schreibtisch. Fern- meist 50 – 60 cm im auflösungstechnischen Grenzbe- erkundung mit Hilfe von Satellitendaten, von Be- reich befinden. Ein Nachteil ist jedoch die Tatsache, ginn an ein wichtiger Bestandteil des Projektes, dass Aufnahmen dieser Auflösung lediglich pan- wurde für die östlichen Abschnitte des Konzessi- chromatisch zur Verfügung stehen, das heißt, dass onsgebietes zeitlich vorgezogen. Einen Einblick in alle zur Verfügung stehenden Farbinformationen in die ersten Ergebnisse dieser Arbeiten soll dieser einem einzelnen Bild zusammengeführt sind, und Artikel geben. eine Differenzierung nach unterschiedlichen (opti- schen und infraroten) Spektralkanälen nicht mög- lich ist. Ein weiteres Problem, das sich vor allem 1 Die Autoren danken Prof. Angelika Lohwasser für die durch die kostenneutrale Informationsbeschaffung Anbindung des Projektes an die Forschungsstelle „Alter über Online-Dienste stellt, ist die Tatsache, dass Sudan“ am Institut für Ägyptologie und Koptologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, sowie Prof. in der Regel keine zusätzlichen Daten zu den Auf- Huweida Mohammed (Universität Khartom), Dr. Mariusz nahmen ausgewertet werden können, also lediglich Drzewiecki (Universität Warschau), Dr. Jörg Linstätter geschätzt werden kann, zu welcher Tageszeit die (Deutsches Archäologisches Institut) sowie den Teams des Aufnahmen gemacht wurden bzw. welche Bahnpa- SPP „Entangled Africa“ und seiner Teilprojekte für die kol- legiale Zusammenarbeit, und ganz besonders Prof. Baldur rameter (Neigung der Aufnahmeachse) des Satelliten Gabriel für seine Unterstützung mit Rat und Tat. 2 Eger und Karberg 2019 3 Ray 2013 87
Aus der Archäologie MittSAG 31 Abb. 1: Übersichtskarte des Arbeitsgebietes der Fernerkundungen im Jahr 2020 (Karte: Jana Eger; Hintergrundkarte: Opentopomap). zum Aufnahmezeitpunkt vorlagen. Der Monat der ten Auflösungen dieser Daten, die wesentlich gröber Aufnahme (und damit die Einordnung der Vegetati- sind als die vergleichbarer panchromatischer Auf- onsperiode) kann bei einigen Diensten (z.B. Google nahmen, erlaubten nur in seltenen Fällen die sichere Earth) zwar festgestellt werden, eine Auswahl der Identifikation einzelner archäologischer Befunde. Aufnahmen nach durch den Auswerter festgelegten Die Vorteile dieser Satellitendaten liegen eher in der Kriterien, z.B. Niederschlagsperioden, ist jedoch starken Differenzierbarkeit hinsichtlich Aufnah- nicht möglich. mezeitpunkt, Bahnparametern und Spektralbän- Weitere Satellitenaufnahmen stehen im Rahmen dern (bzw. bei den Radardaten Polarisierungen), so wissenschaftlicher Rohdaten-Sammlungen ebenfalls dass hier verschiedene Oberflächenstrukturen und kostenneutral zur Verfügung. Die derzeit wichtig- Zusammensetzungen oft deutlich voneinander zu ste dieser Sammlungen stellt die online zugängliche unterscheiden sind. Diese landschaftlichen Befun- Datenbank des Copernicus-Erdbeobachtungspro- de sind oft erst durch die Kontextualisierung mit gramms der ESA dar.4 Hier werden Daten verschie- in hoch aufgelösten panchromatischen Aufnahmen dener Satelliten-Plattformen der Sentinel-Reihe zum identifizierten archäologischen Befunden auch in Download zur Verfügung gestellt. Für die (land- kulturhistorischer Hinsicht interpretierbar. schafts-)archäologische Forschung sind hierbei Die dritte im Rahmen der Fernerkundungsarbei- insbesondere die Daten der Satelliten Sentinel 2 A ten verwendete Datenkategorie besteht aus verschie- und B (multispektrale Aufnahmen im optischen und denen digitalen Geländemodellen. Diese werden mit infraroten Spektrum mit einer maximalen Auflösung Hilfe von georeferenzierten Rasterdaten, bei denen von 10 x 10 m) sowie Sentinel 1 A und B (Radardaten jedem Pixel ein Elevationswert zugewiesen ist, mit- verschiedener Polarisierungen mit einer maximalen tels GIS verarbeitet. Für solche Zwecke wurde in Auflösung von 5 x 5 m) von Bedeutung.5 Die genann- der Vergangenheit (so auch bei den Forschungen der WWU Münster im Wadi Abu Dom) oft das SRTM- 4 Copernicus Science Hub (URL [abgerufen am 12.06.2020]: Geländemodell verwendet. Heute stellt das frei https://scihub.copernicus.eu/dhus/#/home) verfügbare ALOS-Geländemodell der japanischen 5 Schreier 2020, 7-9 Raumfahrtagentur JAXA, das eine (absolute) hori- 88
2020 Aus der Archäologie zontale Genauigkeit von 30m sowie eine (relative) vertikale Genauigkeit von 2,5 – 5 m auf- weist, das genaueste weltweite, offen und kostenneutral zur Verfügung stehende Gelände- modell dar. Wesentlich genauer ist mit einer relativen vertikalen Genauigkeit von 2 m und einer horizontalen Auflösung von 12 m/px das deutsche TanDEM- X-Geländemodell.6 Dieses ist zwar im Gegensatz zu den japanischen Daten nicht frei nutzbar, steht dem InterLINK- Projekt jedoch im Rahmen einer Kooperation mit dem Fernerkundungsdatenzentrum des Deutschen Zentrums für Abb. 2: Umgebung der Paläoseen und Siedlungskammer am nördlichen Jebel Nagaschusch Luft- und Raumfahrt für einen (Karte: Jana Eger; Hintergrundkarte: Opentopomap). großen Teil des Arbeitsgebietes zur Verfügung. die Fernerkundung bereits jetzt auf diese östlichen Auch im Bereich der digitalen Geländemodelle Gebiete ausgedehnt (s. Abb. 1). ist, selbst bei den am besten aufgelösten Model- len, die Identifikation einzelner archäologischer Befunde im Bodenrelief in der Regel nicht möglich. 2. Ausgewählte Befunde Auch hier ist also eine Kontextualisierung der (vor allem landschaftsarchäologisch relevanten) Daten Im Folgenden werden einige besonders bemerkens- mit panchromatischen und/oder multisprektralen werte archäologische und landschaftshistorische Satellitenbildern sowie Radar-Rohdaten essentiell. Befundbereiche vorgestellt, die im Rahmen der Die Frage ist also nicht, welche Fernerkundungs- Fernerkundung dokumentiert werden konnten. Es daten für die archäologische Forschung am besten handelt sich hierbei um reine Fernerkundungser- geeignet sind, sondern, wie aus einer Verschränkung gebnisse, eine Begehung am Boden (Ground-Truth) der Vielzahl unterschiedlicher Daten mit jeweils fand aus den oben genannten Gründen hier noch spezifischen Vor- und Nachteilen ein Maximum an nicht statt. Insbesondere in chronologischer Hin- Information extrahiert werden kann. sicht können diese Ergebnisse daher nur vorläufi- gen Charakter besitzen. In vielen Fällen liegen zwar bestimmte Indizien zur chronologischen Einord- 1.2 Arbeitsgebiet nung vor, diese leiten sich jedoch deduktiv aus bereits vorhandenen Modellen (z.B. zur großräumlichen Im ursprünglichen Projektkonzept war geplant, in Paläoklimatologie) ab, und können daher umgekehrt der ersten Hälfte der Laufzeit des DFG-Schwer- nicht zur Modellbildung bzw. -prüfung herangezo- punktprogramms (SPP) „Entangled Africa“ (2018- gen werden, ohne Tautologien zu bilden. 2021) die Arbeiten auf den Süden und Westen des Konzessionsgebietes mit dem Jebel al-Ain zu kon- zentrieren. Dabei sollte Fernerkundung und Gelän- 2.1 Siedlungskammer und Paläo-Seen am zentralen dearbeit eng miteinander verzahnt werden. In der Jebel Nagaschusch zweiten Hälfte der geplanten Laufzeit des SPP sollte eine Fortsetzung der Arbeiten im Osten des Kon- Hinsichtlich des Zusammenwirkens der Identifika- zessionsgebietes entlang der Jebel Nagaschusch und tion archäologischer Einzelbefunde im Satellitenbild Awadun beantragt werden. Im Zuge der Umpla- (Fernerkundungs-Survey) mit landschaftsarchäolo- nungen aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde gischen Beobachtungen ist ein Gebiet am süd-öst- lichen Pediment des Jebel Nagaschusch besonders 6 Wessel 2018, 15-19 interessant (Abb. 2). 89
Aus der Archäologie MittSAG 31 in Richtung zweiter Paläo-Seen entwässern, offenbar vermieden worden ist. Diese beiden Paläosee-Flä- chen liegen in direkter Nachbar- schaft der Siedlungskammer und spielten für die dortige allgemei- ne Gunstraumsituation offenbar eine Rolle, jedoch wurden die direkten Seeufer nicht als Sied- lungsbereich genutzt. Dies stellt ein weiteres Indiz für die chro- nologische Einordung der Sied- lungskammer in eine Pluvialzeit dar, da der unmittelbare Seeufer- bereich für Siedlungsaktivtäten zu feucht gewesen sein könnte. Abb. 3: Umgebung der Siedlungskammer am nördlichen Jebel Nagaschusch im Die Paläo-Seen selbst sind ALOS-Geländemodell, reduziert auf 295 m – 375 m ü.d.M. (Karte: Jana Eger; Hinter- durch verschiedene Fernerkun- grundkarte: © JAXA). dungsdaten recht genau definier- bar und bieten ein gutes Beispiel Im hoch aufgelösten panchromatischen Satelli- dafür, dass die querschnittliche Betrachtung unter- tenbild sind hier eine Reihe von Siedlungsrelikten schiedlicher Daten in der Zusammenschau eine recht (ganz überwiegend Rundhütten-Grundrisse) aus- genaue Rekonstruktion historischer Landschaftsele- zumachen, die sich in diesem Bereich signifikant mente ermöglicht. konzentrieren. Es liegt also eine deutlich von der So sind die beiden ehemaligen Seeflächen bereits Umgebung abgrenzbare Siedlungskammer vor. Die im panchromatischen Satellitenbild als helle Berei- Einordnung der Siedlungskammer vor dem Hinter- che auszumachen. Die mangelnde spektrale Diffe- grund eines digitalen Geländemodells zeigt bereits renzierung würde jedoch hier noch unterschiedliche landschaftliche Elemente, die mit der Konzentration Interpretationen dieser hellen Flächen erlauben. Die von Siedlungsspuren in diesem Bereich in Zusam- Betrachtung mit Hilfe multispektraler Satellitenauf- menhang stehen können. Benutzt wurde hierzu das nahmen jedoch ergibt vor allem in den folgenden ALOS-Geländemodell. GIS-basierte Visualisierung Spektralbändern eine bemerkenswerte Differenzie- unterschiedlicher Höhenprofile kann sowohl die rung: Im mittleren (grün-gelben) optischen Spektral- Lage der Siedlungsrelikte im Geländerelief als auch bereich (560 nm) sind die Flächen klar aufzufassen nahe gelegene besiedlungsrelevante Landschaftsele- (Abb. 4a), im Infrarotbereich (2200 nm) ist ihre mente sichtbar machen. Bei einer Geländerelief-Auf- Reflektionsfähigkeit jedoch deutlich herabgesetzt lösung zwischen 295 und 375 m ü.d.M. wird deut- (Abb. 4b). Dies ähnelt der spektroskopischen Signa- lich, dass die Siedlungskammer in einer Hanglage tur von Carbonaten (hierbei insbesondere dem für liegt, jedoch außerhalb größerer Spülrinnen (Abb. 3). Seekreiden typischen Calciumcarbonat CaCO3).8 Dass die Hanglage, an sich eine siedlungshemmende Damit liegt die Identifikation der im Satellitenbild Geländesituation, gewählt wurde, spricht dafür, dass aufzufassenden hellen Oberfläche als Seekreide nahe. die ebenere Fläche unterhalb des Hangpediments Ein weiteres Argument für die Rekonstruktion zu diesem Zeitpunkt für Siedlungsaktivität weniger der Flächen als Paläo-Seen bildet die Radarsignatur geeignet war, z.B. infolge von Bodenfeuchtigkeit.7 in vertikal-horizontaler (vh-)Polarisation (Abb. 4c). Für eine Datierung der Siedlungskammer in eine Die klare Umgrenzung der westlichen der bei- Pluvialzeit spricht auch die Tatsache, dass die unmit- den Flächen im Radarbefund kann (auch minimal telbare Umgebung der ab etwa 700 m östlich gele- bedeckte) ehemalige Uferwälle andeuten, wie sie genen Khors, die vom Gipfelplateau hangabwärts weiter nördlich z.B. bereits für den so genannten „Ptolemais-Seenarchipel“ im Radarbefund nachge- wiesen sind.9 Eine Betrachtung der so festgestellten 7 Ähnliches wurde bereits für andere Regionen während des neolithischen Subpluvials und damit einhergehender hypothetischer Sumpfbildung in Niederungen angenom- 8 Bishop 2020, 82-84 men (Dittrich, Gessner und Gabriel 2007, 44ff.). 9 Pachur und Altmann 2006, 222-223 90
2020 Aus der Archäologie Abb. 4: Paläoseen und Siedlungskammer am nördlichen Jebel Nagaschusch vor dem Hintergrund verschiedener Fernerkund- ungsdaten – 4a: Sentinel 2 MSI, grün-gelber Farbkanal; 4b: Sentinel 2 multispektral, Infrarot-Farbkanal; 4c: Sentinel 1 SAR, Polarisation vh; 4d: ALOS-Geländemodell, reduziert auf 295 m – 308 m ü.d.M. (Karten: Jana Eger; Hintergrundkarten 4a-c: © ESA Copernicus Program; Hintergrundkarte 4d: © JAXA) 91
Aus der Archäologie MittSAG 31 ehemaligen Seeufer im digitalen Geländemodell zeigt befindet sich ein im hoch aufgelösten panchroma- die noch heute vorhandenen Senken, in denen sich tischen Satellitenbild gut erkennbarer Hafir (Abb. 5). Abflusswasser vom Plateau des Jebel Nagaschusch In seiner unmittelbaren Umgebung fehlen jegliche gesammelt haben dürfte (Abb. 4d).10 Spuren menschlicher Tätigkeit, so dass sich die Frage Wie für Fernerkundungsergebnisse generell ty- nach den Urhebern dieses Monumentalwerkes stellt. pisch, stellt die Datierung der Befunde eine Schwie- Eine Parallel-Situation ist aus der Bayuda in Form rigkeit dar. Eventuell korrelieren die Fernerkun- des Hafirs von Bir Bayuda bekannt, wo ein Hafir mit dungsbefunde mit bereits durch Pachur und Alt- einem Durchmesser von fast 100 m unsere Aufmerk- mann unterhalb des Jebel Nagaschusch aufgefassten samkeit erregt hatte, in dessen Nähe sich zwar einige Seekreiden (und durch diese rekonstruierten Paläo- Hüttengrundrisse, aber keine größeren Ansiedlun- Seen);11 jedoch geben beide Autoren für ihre Beob- gen finden ließen. Die nächstliegenden archäologis- achtungen keine genauen Lageangaben, und eine chen Befunde zu dem hier vorgestellten Hafir liegen Abbildung der Seekreiden legt nahe, dass sich diese in mittlerer Entfernung von zwei größeren Befund- Befunde weiter vom Jebel-Pediment entfernt befan- clustern. Ca. 7 km südwestlich liegt die Siedlung den.12 Ungeachtet dessen könnte eine Datierung von Bir al-Ain,16 während knapp 15 km nordöstlich der im Fernerkundungsbefund aufgefassten Paläo- ein dichter Cluster aus Rundhüttensiedlungsplätzen Seen und damit – mittelbar – auch der benachbarten und Tumuli aufgefasst werden konnte. Eine Kor- Siedlungskammer mit anderen, im weiteren Umkreis relation des Hafirs mit beiden Fundplätzen bleibt geologisch erforschten Paläo-Seen korrelieren. So ist derzeit noch unklar. z.B. in etwa auf gleicher geographischer Breite ca. Bei der Betrachtung des Bodenreliefs im Tan- 250 km weiter westlich in der Nähe des Jebel Tajeru DEM-X-Geländemodell (s. Abb. 6) wird deutlich, bei Gureinat ein mindestens bis ca. 5000 v.Chr. was- dass sich der Hafir am Oberlauf der mächtigsten serführender Paläo-See nachgewiesen;13 diese geo- Abflusszone der weiteren Umgebung befindet. Eine logische Datierung stellt allerdings lediglich einen Aufnahme des Sentinel 2 B-Satelliten im Infrarot- terminus post quem für die Austrocknung dar, weil bereich (Abb. 7) zeigt die Einbindung des Hafirs in die obersten, stratigraphisch jüngsten anzunehmen- die dendritischen Paläo-Drainagesysteme an diesem den Seekreide-Ablagerungen der Erosion unterwor- Oberlauf. Auch wenn dies im heutigen Gelände- fen waren. Archäologische Funde in der Umgebung bild nur noch schwer auszumachen ist (Abb. 8), legen vielmehr nahe, dass hier noch weit länger, zeigt die Zusammenschau aus Infrarotaufnahme und bis ca. 2000 v.Chr., Feuchtbedingungen geherrscht Geländemodell, dass sich hier in Perioden stärke- haben könnten.14 ren Regenfalls eine signifikante Konzentration von Ähnliche Umstände könnten auch für die hier Oberflächenwasser, das von dem Gipfelplateau in vorgestellten Paläoseen am Jebel Nagaschusch ange- Richtung Wadi Melek entwässerte, befunden haben nommen werden. muss. Die Anlage des Hafirs an genau dieser Position erscheint daher als eine wohl durchdachte Planung. Die Funktion dieses und anderer wasserbauli- 2.2 Hafir östlich des Bir al-Ain cher Anlagen an der Südost-Flanke des Jebel al- Ain und Jebel Nagaschusch kann nach wie vor nur Im Fernerkundungs- und Bodensurveybefund durch Indizien erschlossen werden. Eine Funktion waren bereits 2017 westlich des Jebel al-Ain mehrere als Etappenpunkt für den Verkehr entlang des Wadi vermutlich antike Hafire festgestellt worden.15 Melek in Richtung Kordofan oder als Versorgungs- Nach Ausweitung der Fernerkundung auf weitere speicher für umherziehende Viehhirten erscheint auf Teile des Erkundungsgebietes konnten weitere was- den ersten Blick denkbar. Da man jedoch davon aus- serbauliche Anlagen festgestellt werden. Darunter gehen kann, dass am Fuße der Schichtstufe nur 2,5 km weiter nordwestlich durch Quellaustritte oder 10 Hierfür wurde ebenfalls das ALOS-Modell verwendet, über Gueltas Wasser ohne vergleichbare Bauleistun- allerdings mittels GIS auf eine feinere, dem unmittelbar gen zu beschaffen war, erscheint diese Erklärung umliegenden Geländerelief angepasste Höhendarstellung (295-308 m ü.d.M.) eingestellt, die die rezente Gelände- etwas zweifelhaft. Mehr Sinn ergäbe die zumindest oberkante oberhalb der Senken als Null-Referenzwert teilweise Nutzung der Hafire im Rahmen von saiso- ansetzt. nalem Ackerbau: Wasserrückhalteinstallationen in 11 Pachur und Altmann 2006, 252-253 anderen Gebieten des Sudan erlauben bis heute auf 12 Pachur und Altmann 2006, 253 Abb. 2.5.50 13 Hoelzmann, et al. 2010, 245-247 der in der Regenzeit durchfeuchteten Grundfläche 14 Hoelzmann, et al. 2010, 247 15 Eger und Karberg 2019, 134-135 16 Eger und Karberg 2019, 135-136 92
2020 Aus der Archäologie Abb. 5: Grundriss des Hafirs östlich Bir al-Ain (Karte: Jana Abb. 6: Hafir östlich Bir al-Ain vor dem Hintergrund des Eger; Hintergrundkarte: © Google; © Maxar Technologies TanDEM-X-basierten Geländemodells (Karte: Jana Eger; (2020)). Hintergrundkarte: © DLR TerraSAR/TanDEM-X Program). Abb. 7: Weitere Umgebung des Hafirs vor dem Hintergrund Abb. 8: Nähere Umgebung des Hafirs vor dem Hintergrund einer Aufnahme des Satelliten Sentinel 2 MSI, Infrarot-Farb- einer Aufnahme des Satelliten Sentinel 2 MSI, Infrarot-Farb- kanal (Karte: Jana Eger; Hintergrundkarte: © ESA Coperni- kanal (Karte: Jana Eger; Hintergrundkarte: © ESA Coperni- cus Program). cus Program) 93
Aus der Archäologie MittSAG 31 Über eine Datierung bzw. weiter gehende kulturelle und/oder sozioökonomische Einordnung dieser Bauten kann im Augenblick nur spe- kuliert werden. Es erscheint jedoch bemerkenswert, dass auch dieser Hafir (wie auch die im Westen des Jebel al-Ain gelegenen)20 in ihrer Bauwei- se und Lage im Gelände eine signifikante Ähnlichkeit zu vergleichbaren Anlagen auf- weisen, die in der Keraba bzw. Butana für gewöhnlich in die meroitische Zeit datiert21 und wiederholt mit einer gelenkten Planung durch eine zentrale Abb. 9: Einfriedung am Jebel Awadun (Karte: Jana Eger; Hintergrundkarte: © Google; Administration in Verbindung © Maxar Technologies (2020)). gebracht werden.22 Andere bis- lang in Kordofan (jedoch in der die kurzzeitige Anlage von Gemüsefeldern.17 Aus Regel weiter südlich) archäologisch dokumentierten diesem Grund ist ein saisonaler, eng mit der Vieh- Hafire weisen eine deutlich abweichende Bauweise wirtschaft verzahnter Ackerbau als weiterer mögli- auf.23 Diese Auffassung wurde auch durch die Doku- cher Verwendungszweck der Hafire denkbar.18 Die mentation kleinerer Hafire mit vollständig anderer Geröll- und Schuttflächen direkt am Jebel al-Ain, Bauweise und abweichender Zu- und Abflusskon- wo Oberflächenwasser bei Regenperioden kon- zeption im Bereich des oberen Wadi Melek (südlich zentriert genutzt werden konnte, wären von ihrer des Untersuchungsgebietes) bestätigt.24 Bodenbeschaffenheit her nur wenig für eine acker- bauliche Nutzung geeignet. Die Schwemmflächen im Bereich der Abflusszone boten dafür zwar auch 2.3 Ringmauern am Jebel Awadun nicht ideale, aber für die Verhältnisse eines Wüsten- raumes sehr viel eher geeignete Bedingungen. Eine Südöstlich der Schichtstufe von Jebel al-Ain und Wasserspeicherung in unmittelbarer Nähe zu diesen Jebel Nagaschusch liegt der Jebel Awadun, ein weit- Böden hätte daher den Aufwand zur Errichtung der läufiger Zeugenberg. Hier sind ebenfalls zahlreiche Hafire eher gerechtfertigt. Es erscheint bemerkens- archäologische Befunde im Satellitenbild auszuma- wert, dass alle bislang im Bereich des Jebel al-Ain chen. Bemerkenswert sind dabei mehrere größere, dokumentierten Hafire zwei unterschiedliche Ein- teilweise geschlossene, teilweise halb offene Ring- und Auslauföffnungen, eine jeweils ähnliche Lage mauern (Abb. 9). Was diese Mauern einfrieden, ist bezüglich des Oberflächenwassers, sowie insbeson- derzeit noch unklar: Zwar finden sich im weiteren dere eine relativ einheitliche Größe aufweisen, was Umfeld um diese Strukturen herum diverse weitere zumindest auf ein gewisses Maß zentraler Planung archäologische Befunde (Rundhüttengrundrisse und dieser Anlagen schließen lässt.19 bei individueller Planung schwer zu erklärenden ähnli- 17 So z.B. noch heute in der Nähe des Bir Merwa im Wadi chen Abmessungen, lässt nach dem derzeitigen Stand der Abu Dom. Forschungen eher auf eine zentrale Planung schließen. 18 Karberg 2017 Hier besteht allerdings noch weiterer Forschungsbedarf. 19 Die Frage, ob Hafirbauten Zeugnisse zentraler Admin- 20 Eger und Karberg 2019 istration darstellen oder aber durch lokale Gruppen als 21 Hinkel 2015, 115-117 Reaktion auf spezifische örtliche Bedürfnisse autonom 22 Hinkel, 1991, p. 47; Weschenfelder 2014 geplant und errichtet wurden, wird derzeit kontrovers 23 Hinkel 2015; interessanterweise sind sowohl die hier diskutiert. Dabei vertritt z.B. Petra Weschenfelder ten- genannten Hafire rund um den Jebel al-Ain als auch der denziell etatistische (Weschenfelder, 2014), Thomas zu Vergleichszwecken oben genannte Hafir in der Nähe Scheibner hingegen kommunitaristische Ansätze (Scheib- des Bir Bayuda Marion Hinkel in ihrem Standardwerk ner, 2014). Das relativ einheitliche Design der hier vorges- unbekannt geblieben. tellten Hafire im nördlichen Kordofan, insbesondere die 24 Elmirghani und Drzewiecki 2011 94
2020 Aus der Archäologie Abb. 10: Weitere Umgebung der Einfriedung an der Südspitze des Jebel Awadun mit diversen archäologischen Befunden – 10a: vor dem Hintergrund einer Aufnahme des Satelliten Sentinel 2 MSI, gelb-grüner Farbkanal; 10b: vor dem Hintergrund des ALOS- Geländemodells (Karten: Jana Eger; Hintergrundkarte 10a: © ESA Copernicus Program; Hintergrundkarte 10b: © JAXA). Tumuli), jedoch bislang nicht innerhalb der umfrie- und einer Infrarotaufnahme (2200 nm), wie auch deten Bereiche. Sowohl Datierung als auch Funktion bereits bei den Paläoseen am Jebel Nagaschusch, auf der Ringmauern bleiben daher beim gegenwärtigen das Vorhandensein von Seekreide-Ablagerungen an Stand der Forschungen noch ungeklärt. Eine gewis- der Geländeoberfläche hin (Abb. 10a). Der Vergleich sen Ähnlichkeit der Ringstrukturen (und ihrer Lage mit dem ALOS-Geländemodell zeigt hier, von den im Gelände in Hanglagen auf steinigen, leptosolen bisherigen Beispielen abweichend, eine deutlich grö- Böden) mit den Ringmauern von Zankor25 ist zwar ßere Senke an (Abb. 10b), was mit der Einordnung gegeben, kann aber auch auf Zufällen beruhen und der dortigen Bodenbildung als „Eutric Fluvisol“ weist nicht notwendigerweise auf einen strukturel- im Soil Atlas of Africa korrespondiert.26 Die lim- len Zusammenhang hin. Eine Erkundung, ob sich nischen Ablagerungen in diesem Bereich dürften auch bei den Ringmauern am Jebel Awadun (wie in also während der für die Formation der heutigen Zankor) innerhalb der Einfriedungen Siedlungsspu- Geländeoberkante verantwortlichen Pluvialperiode ren finden lassen, die im Satellitenbild nicht aufzufas- deutlich ausgedehnter gewesen sein als etwas weiter sen sind, erscheint daher vielversprechend. nördlich am Jebel Nagaschusch. Hinsichtlich der vorliegenden Fernerkundungs- Die Vergesellschaftung der archäologischen Be- daten erscheint eher die Einbindung in die umge- funde mit den Landschaftsmerkmalen weist jedoch bende Landschaft bemerkenswert. Westlich des Jebel zu den beiden anderen, zuvor vorgestellten Fall- Awadun scheint auf den ersten Blick ein Gunstraum beispielen in eine gänzlich andere Richtung. Die zu liegen. Ähnlich wie oben (Abschnitt 2.1) für den Orientierung der meisten archäologischen Befunde nördlichen Abhang des Jebel Nagaschusch gezeigt, in diesem Bereich, insbesondere der weitgreifenden sind hier einige Paläo-Seeböden nachzuweisen. Im Ringmauerstrukturen, ist gerade nicht auf diesen multispektralen Satellitenbild weist die Differenz möglichen Gunstraum, sondern klar an der Pedi- zwischen dem grün-gelben Spektralbereich (560 nm) mentkante des Jebel Awadun sowie einer unmittel- 25 Gratien, et al. 2013, Pl. 47 26 Jones, et al. 2013, 94 95
Aus der Archäologie MittSAG 31 bar von diesem ausgehenden Fließrinne ausgerichtet, Rolle.28 Die Nutzung der durch Fernerkundung teilweise sogar in der dem Gunstraum abgewandten gewonnenen und publizierten archäologischen Hanglage angelegt. Dies lässt den Schluss zu, dass Daten als (kultur- aber auch klimageschichtliche) zum Zeitpunkt der Errichtung dieser Strukturen Proxys in weiter führende Folgestudien, die die vor- Oberflächenwasser, das unmittelbar an der Plateau- handene Literatur und öffentlich zugängliche For- kante austrat (Gueltas bzw. kleinräumige Quellen), schungsrohdaten auswerten, stellt bei aller Nütz- offenbar eine wichtigere Rolle spielte als Wasser lichkeit solcher immer beliebter werdender Studien in längeren Drainagesystemen (Khors) oder Paläo- daher ein Problem dar. Die Herleitung z.B. von seen. Ob dies auf funktionale oder chronologische Datierungen aus paläoklimatologischen Modellen Gründe (oder eine Kombination aus beiden) zurück muss daher hinreichend deutlich gemacht werden, geht, muss jedoch dahingestellt bleiben, bis die Ring- um keine Grundlage für selbstverstärkende, tauto- mauerstrukturen einer eingehenderen Erforschung logische Argumentationsketten zu liefern. unterzogen werden können. Bereits in früheren Veröffentlichungen wurde dargelegt, wie durch die strukturell bedingte gerin- ge Sichtbarkeit einzelner Befundgruppen (z.B. cleft 3. Schlussfolgerungen burials) ganze chronologische Epochen regelrecht „unsichtbar“ bleiben können, wenn in der archäo- Die Arbeiten mit Satellitenbildmaterial in Nord- logischen Datenerhebung ausschließlich auf Fern- Kordofan zeigten, dass aus der Synopse verschie- erkundungsergebnisse zurückgegriffen wird.29 dener Daten ein erhebliches Maß an Informationen Auch hier bergen Folgestudien, besonders auf Basis generiert werden kann, die über eine reine Identifika- öffentlich zugänglich gemachter Forschungsrohda- tion von Einzelbefunden aus panchromatischen Auf- ten, daher das Risiko von Fehlschlüssen hinsichtlich nahmen weit hinaus gehen. Verteilungsmuster von der Besiedlungsgeschichte einzelner Regionen. verschiedenen Befunden sowie deren Einbindung Aus diesem Grund ist im Regelfall archäologische in landschaftliche Strukturen erlauben Rückschlüsse Fernerkundung lediglich Ergänzung zu und nicht auf deren Datierung und sozio-ökonomische Ein- Ersatz für bodengebundene Surveymethoden.30 In ordnung. Dies gilt z.B. für die oben erwähnten Hafi- verschiedenen möglichen Szenarien, so z.B. infol- re, deren Position im Gelände eine agrikulturelle oder ge politischer Instabilität oder auch der derzeitigen zumindest gemischte Nutzung wahrscheinlicher weltweiten Einschränkungen in Folge der Corona- erscheinen lässt als eine reine Funktion als Tränke Pandemie, ist jedoch die Arbeit im Gelände zeitweise von Vieh im Zuge pastoraler Wirtschaft oder für Tra- nicht möglich. In solchen Fällen muss mit der Tat- getiere von Karawanen. Hinsichtlich der Datierung sache umgegangen werden, dass Datengewinnung ist zwar keine absolute Aussage möglich, jedoch und -analyse lediglich durch Fernerkundung sowie zumindest die Einschätzung, dass die derzeitigen Erschließung von Sekundärquellen möglich ist.31 klimatischen Bedingungen keine sinnvolle Nutzung Auch aus solchermaßen eingeschränkten Quellen dieser Hafire ermöglichen würden. Ihre Errichtung und Rohdaten ist durchaus die Ableitung komple- und Nutzung dürften daher in eine Zeit zu datieren xer Schlussfolgerungen möglich, solange bei der sein, in der wahrscheinlich signifikant günstigere Auswertung die strukturellen Schwierigkeiten der klimatische Bedingungen vorlagen als in rezenter Daten eingehend berücksichtigt werden. Besondere Zeit. Paläoklimatologische Untersuchungen in der Vorsicht ist in diesem Fall geboten, wenn die Daten regionalen Umgebung legen solche Verhältnisse in nicht nur durch das ursprüngliche Forschungs- erster Linie für die Pluvial- und Subpluvialperioden projekt ausgewertet werden, sondern prozessierte vom Neolithikum bis ins 2. Jht. v.Chr. nahe.27 Rohdaten innerhalb der Fachöffentlichkeit weiter Hier zeigt sich jedoch auch eine mögliche Pro- genutzt werden. Hierbei muss nicht nur für eine blematik der Datierung von archäologischen Befun- stabile und nachvollziehbare Datenstruktur und den aus durch Fernerkundung erschlossenen Land- -speicherung Sorge getragen werden, sondern auch schaftselementen mit Hilfe paläoklimatologischer dafür, dass wesentliche Informationen über die Erhe- Indikatoren. Für die Entwicklung paläoklimatolo- bungsmethodik (und ihren Einfluss auf die Auswahl gischer Modelle spielen nicht nur bodenkundlich und geologisch, sondern auch archäologisch (und 28 Hoelzmann, et al. 2010, 547 archäo-zoologisch) erhobene Daten eine wichtige 29 Eger 2018, 877-878 30 Albertz 2007, 157 31 Ein besonders gelungenes Beispiel hierfür stellen die Fernerkundungsarbeiten von Jutta Häser zur Siedlungs- 27 Pachur und Altmann 2006, 545ff. archäologie Darfurs dar (Häser 2000). 96
2020 Aus der Archäologie der Dateninhalte) im Archivierungsprozess nicht Nubian Archaeology in the XXIst Century. Proceedings verloren gehen. of the Thirteenth International Conference for Nubian Grundsätzlich ist es selbstverständlich sehr zu Studies, Neuchâtel, 1st-6th September 2014, edited by begrüßen, dass die Auswertung nicht nur der publi- M. Honegger, 873-878. Leuven: Peeters, 2018. zierten Forschungsmeinung, sondern auch der dieser Eger, J., and T. Karberg. „Neue Forschungen in Nord- zugrunde liegenden Forschungsrohdaten auch im Kordofan. Vorbericht über die Feldkampagnen des Rahmen von Folgestudien, die an der ursprünglichen InterLINK-Projektes der Jahre 2017 und 2018.“ Der Datenerhebung nicht beteiligt waren, einen immer antike Sudan. MittSAG 30, 2019: 131-146. breiteren Raum einnimmt.32 Die Tatsache, dass die Elmirghani, A., and M. Drzewiecki. Archaeological Survey Analyse von Rohdaten ohne hinreichende Berück- in the Sodiri Region, 2011. Preliminary Report. Sodiri: sichtigung der Umstände ihrer Gewinnung hohe unpubliziert, 2011. Risiken hinsichtlich falscher Schlussfolgerungen mit Gratien, B., R.-P. Dissaux, J. Evrard, S. Marchi, G. Nogara, sich bringen kann, erfordert allerdings eine beson- and D. Usai. Abou Sofyan et Zankor. Prospections dans ders sorgfältige und methodenkritische Dokumen- le Kordofan occidental (Soudan). Villeneuve d’Ascq: tation der Datenerhebung, wie unter anderem am Presses Universitaires du Septentrion, 2013. Beispiel archäologischer Fernerkundung mit ihren Häser, J. Siedlungsarchäologie in der Jebel-Marra-Region spezifischen Vor- und Nachteilen prägnant gezeigt (Darfur/Sudan) - Archäologischer Einsatz von Ferner- werden kann. kundungsdaten im Sahelgebiet. Internationale Archäo- logie 55. Rahden/Westf.:VML, 2000. Hinkel, M. Die Hafire im Sudan. The archaeological map Literatur of the Sudan Supplement 2. Bonn: Habelt, 2015. Hinkel, M. „Hafire im antiken Sudan”. Zeitschrift für Albertz, J. 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Berlin: Sudanarchäo- 32 Zumal die öffentliche Nutzbarmachung der im Rahmen von Forschungsprojekten erhobenen Rohdaten mittler- logische Gesellschaft zu Berlin e.V., 2014. weile auch durch Förderinstitutionen wie z.B. der DFG Schreier, G. „Opportunities by the Copernicus Program als Geldgeber des SPP „Entangled Africa“ gefordert und for Archaeological Research and World Heritage Site gefördert, und zu diesem Zweck der Aufbau von ein- Conservation.“ In Remote Sensing for Archaeology and heitlichen Forschungsdateninfrastrukturen vorangetrie- Cultural Landscapes. Best Practices and Perspectives ben wird (s. die im Jahre 2015 durch die DFG beschloss- enen und veröffentlichten „Leitlinien zum Umgang mit Across Europe and the Middle East, edited by D. G. Forschungsdaten“). Hadjimitsis, et al., 3-18. Berlin: Springer, 2020. 97
Aus der Archäologie MittSAG 31 Weschenfelder, P. „Who gets the lion’s share? Thoughts sensing activities were extended beyond the previ- on Meroitic water management and its role in royal ously planned area. It included the eastern part of legitimization.“ In Ein Forscherleben zwischen den the Jebel Nagashush as well as the Jebel Awadoun. Welten. Zum 80. Geburtstag von Steffen Wenig. Der Some examples of the remote sensing results are: antike Sudan. MittSAG - Sonderheft 1, edited by A. First, a settlement cluster at the pediment of the Jebel Lohwasser and P. Wolf, 335-350. Berlin, 2014. Nagashush, closely connected to two palaeo-lakes, Wessel, B. „TanDEM-X Ground Segment DEM Products which indicate some connection of the settlement Specification Document.“ Vol. 3. no. 2. Oberpfaffen- cluster to a pluvial period. Second, east of Bir al-Ain, hofen, 2018. remains of an hafir were discovered, indicating rain- water harvesting for – most probably – agricultural purposes, and at least some amount of centralized Abstract planning and therefore administration above the local level. Third, around the Jebel Awadoun, some Due to the difficulties and limitations induced by large walled enclosures, maybe in some way con- the COVID-19 pandemic, no fieldwork was con- nected to the massive walled settlements of Zankor ducted in the spring 2020 season. Instead, remote and Abu Sufyan. 98
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