ARBEITSZEITEN IM FOKUS - DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE - Jörg Flecker im Interview - FORBA

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ARBEITSZEITEN IM FOKUS - DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE - Jörg Flecker im Interview - FORBA
ARBEITSZEITEN IM FOKUS
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

ARBEITSZEITVERKÜRZUNG             UNGLEICHE VERTEILUNG              BETRIEBSBEISPIELE
Jörg Flecker                      Arbeitszeiten                     Innovative
im Interview           SEITE 6   von Eltern            SEITE 12   Arbeitszeitmodelle SEITE 15
ARBEITSZEITEN IM FOKUS - DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE - Jörg Flecker im Interview - FORBA
ARBEITSZEITEN IM FOKUS

Arbeitszeiten von unselbständig
Beschäftigten in Zahlen

     1.723 Stunden                                                    47,1 Prozent                                    2,4 Stunden
                                                                      aller erwerbstätigen Frauen waren               würden teilzeitbeschäf-
     betrug die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in Öster-         2019 in Österreich teilzeitbeschäftigt.         tigte Frauen in Österreich
     reich im Jahr 2018, berechnet auf Basis der kollektivver-        Im EU-Durchschnitt waren es 27,4 Pro-           mit Kindern unter 15 Jah-
     traglichen Normalarbeitszeiten, der Jahresurlaubsansprü-         zent, in Dänemark 33,9, in Frankreich           ren 2015 im Durchschnitt
     che und der gesetzlichen Feiertage. In Frankreich lag der        28, in Deutschland 46,7 und in den              gerne mehr pro Woche
     Wert bei 1.602 Stunden, in Deutschland bei 1.666 Stunden.        Niederlanden 75,2 Prozent.                      arbeiten.

     39 Prozent
     der vollzeitbeschäftigten Männer und 47 Prozent
                                                                      41,1 Stunden
                                                                      betrug 2019 die durchschnittliche,
                                                                      normalerweise geleistete Wochen-
                                                                                                                      2 bis 3 Stunden
                                                                                                                      würden vollzeitbeschäf-
                                                                                                                      tigte Frauen und Män-
     der vollzeitbeschäftigten Frauen arbeiteten 2019 in              arbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten           ner 2015 in Österreich
     Österreich normalerweise 40 Stunden pro Woche.                   in Österreich. In Deutschland lag der           im Durchschnitt gerne
     In Ungarn waren es 93 Prozent der Männer und 95                  Wert bei 40,2 Stunden, in Dänemark              weniger pro Woche
     Prozent der Frauen.                                              bei 37,6 Stunden.                               arbeiten.

                                                                     23 Prozent
 7,1 Über- bzw. Mehrstunden                                          der Vollzeit-
                                                                                               9,5 Prozent
 wurden 2019 im Durchschnitt pro Woche und Person (mit                                         aller erwerbstätigen Männer waren 2019 in
                                                                     beschäftigten
 mindestens einer Überstunde) in Österreich geleistet.                                         Österreich teilzeitbeschäftigt. Im EU-Durch-
                                                                     wünschten sich
 18,8 Prozent aller unselbständig Erwerbstätigen leisteten                                     schnitt waren es 8,4 Prozent, in Dänemark
                                                                     2019 in Öster-
 in ihrer Haupttätigkeit Überstunden. 196.200 Personen                                         15,3, in Frankreich 7,5, in Deutschland 9,9 und
                                                                     reich kürzere
 erbrachten zehn oder mehr Überstunden.                                                        in den Niederlanden 27,9 Prozent.
                                                                     Arbeitszeiten.

 14 ¼ Stunden pro Tag arbeiteten im Durch-                           3,7 Prozent               74,3 PROZENT                 aller erwerbstä-
 schnitt erwerbstätige Mütter in Paarhaushalten während des          machte der                tigen Frauen im Alter zwischen 25 und 49
 ersten Lockdowns 2020, 9½ Stunden davon entfielen auf un-           Rückgang der              Jahren mit Kindern unter 15 Jahren waren
 bezahlte Kinderbetreuung und Hausarbeit. Väter kamen auf            geleisteten Ar-           2019 in Österreich teilzeitbeschäftigt, aber nur
 knapp 13¾ Stunden, sieben davon waren unbezahlte Arbeit.            beitsstunden aller        5,6 Prozent der erwerbstätigen Männer dieser
                                                                     Beschäftigten im          Altersgruppe mit Kindern unter 15 Jahren.
                                                                     ersten Quartal

 84 Prozent              der Mütter mit Kindern bis ein
                                                                     2020 in der
                                                                     Eurozone aus, ver-        16 Prozent der Väter einjähriger Kinder
 Jahr waren 2015 in Österreich nicht erwerbstätig, bei                                         arbeiteten 2015 in Österreich 46 und mehr Stunden
                                                                     glichen mit dem
 Müttern mit Kindern bis zwei Jahre waren es 69 Prozent.                                       pro Woche, 2005 waren es noch 26 Prozent.
                                                                     Vorjahresquartal.

  39,3          der knapp 261 Millionen Mehr- und Überstunden blieben 2019 in Österreich unvergütet. Diese wurden weder in
  Zeit, noch in Geld abgegolten. Bei Frauen blieb jede sechste, bei Männern jede siebte Mehrleistungsstunde unvergütet. Das entspricht einem
  Einkommensentfall von rund 900 Millionen Euro pro Jahr bzw. der Arbeitsleistung von rund 23.000 Vollzeitbeschäftigten.

Quellen: Eurofound 2019, Eurostat 2019, Stadler/Mairhuber 2017, Astleithner 2021, Statistik Austria 2020, Eurofound 2020, WU 2020

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ARBEITSZEITEN IM FOKUS - DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE - Jörg Flecker im Interview - FORBA
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

                        Inhalt

Infografik
Arbeitszeiten von unselbständig Beschäftigten in Zahlen …						                        SEITE02

Große Unterschiede bei Arbeitszeiten in Europa
Österreich weist im EU-Vergleich lange Arbeitszeiten auf … 						SEITE04

„Allgemeine Arbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde“
Interview mit Jörg Flecker, Professor für Soziologie … 						                          SEITE06

Solidaritätsprämienmodell in der Praxis
Die voestalpine und der Verein VertretungsNetz verwenden das
Modell seit vielen Jahren erfolgreich… 						                                          SEITE09

Arbeitszeiten zwischen Autonomie und Fremdbestimmung
Selbstgesteuerte Arbeitszeiten ohne Zeitaufzeichnung sind häufig
mit langen Arbeitszeiten verbunden … 						SEITE                10

Bezahlte und unbezahlte Arbeitszeiten von Eltern
Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen den
Geschlechtern führt dazu, dass Frauen weniger Zeit für Erwerbsarbeit haben … 			       SEITE12

Unternehmensbeispiele zur Arbeitszeitverkürzung
Ein Logistikbetrieb ermöglicht die Umwandlung von Zulagen in Zeitguthaben,
MAKAvA setzt auf eine 30-Stunden-Woche … 						                                        SEITE15

Arbeitszeitverkürzung in österreichischen Kollektivverträgen
In einigen Kollektivverträgen wurden Vereinbarungen getroffen, die direkt
oder indirekt die Arbeitszeiten verkürzen … 						                                     SEITE16

Vollzeit als Norm? Arbeitszeitverteilung in Europa
Fast ein Viertel der Vollzeitbeschäftigten in Österreich wünscht
sich kürzere Arbeitszeiten … 						                                                    SEITE18

Download: www.forba.at/publikationen/broschueren/

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ARBEITSZEITEN IM FOKUS - DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE - Jörg Flecker im Interview - FORBA
ARBEITSZEITEN IM FOKUS

          Große Unterschiede
          bei Arbeitszeiten in Europa

          Alle zwei Jahre veröffentlicht Eurofound Daten zur Entwicklung der Arbeitszeiten in den
          EU-Ländern. Der letzte verfügbare Bericht1 mit Zahlen aus den Jahren 2017 und 2018 zeigt,
          dass Österreich im EU-Vergleich sehr lange Arbeitszeiten aufweist.       Bernadette Allinger

          Der Großteil der EU-Staaten hat eine gesetzliche                35,6 Stunden und Dänemark mit 37 Stunden am unteren
          40-Stunden-Woche, nur Frankreich und Belgien haben              Ende zu finden, in nur drei EU-Mitgliedstaaten (Malta, Grie-
GEFASST

          eine kürzere. Bei den maximal erlaubten Wochenstun-             chenland, Kroatien) liegen sie bei 40 Stunden. Österreich ist
KURZ

          den (inklusive Überstunden) findet sich Österreich mit 60       mit 38,8 Stunden im oberen Mittelfeld und über dem EU-28-
          Stunden am oberen Ende. Auch bei der Arbeitszeit Voll-          Durchschnitt3 von 38 Stunden angesiedelt.
          zeitbeschäftigter ist Österreich mit 41,1 Wochenstunden
          im EU-Vergleich weit vorne zu finden – Dänemark hat mit         Arbeitszeiten in der EU
          37,6 Wochenstunden die kürzesten Arbeitszeiten. Bei der         Gesetzliche oder kollektivvertragliche Arbeitszeitstandards
          kollektivvertraglich ermittelten Jahresarbeitszeit liegt        bilden die regulative Ebene, aber um zu erfahren, wie viele
          Österreich mit 1.723 Arbeitsstunden etwas über dem              Stunden tatsächlich gearbeitet werden, ist der Blick auf em-
          Durchschnitt der EU-28 und stark über dem der EU-15.            pirische Daten nötig. Die Arbeitskräfteerhebung von Eurostat3
                                                                          erhebt jährlich die durchschnittlich geleisteten Wochenar-
                                                                          beitsstunden von Beschäftigten. Diese Daten berücksichtigen
          Gesetzliche und kollektivvertragliche                           auch Faktoren wie Überstunden und Abwesenheiten (Urlaube
          Arbeitszeitregelungen in der EU                                 o.ä.). Betrachtet man Vollzeitbeschäftigte in der EU, so zeigt
          Bei den gesetzlichen Normalarbeitszeiten gibt es keine          sich, dass Österreich unter den Ländern mit den höchsten
          großen Unterschiede in der EU: Im Großteil der Mitglied-        durchschnittlich normalerweise gearbeiteten wöchentlichen
          staaten (20) liegen diese bei 40 Stunden (wie in Österreich),   Arbeitsstunden ist (siehe Grafik S. 5 oben). Mit 41,1 Stunden
          darunter liegen nur Frankreich mit der 35-Stunden-Woche         liegt es 2019 nur hinter Malta (41,3 Stunden) und Zypern (41,2
          sowie Belgien mit 38 Stunden. Vier Länder erlauben eine         Stunden), gefolgt von Portugal und Polen (je 40,8 Stunden).
          maximale Normalarbeitszeit von 48 Stunden (Dänemark,            Am unteren Ende sind Dänemark (37,6 Stunden), die Nieder-
          Deutschland, Irland, Niederlande). Bei den maximal erlaub-      lande (38,9 Stunden), Italien (39 Stunden) sowie Belgien und
          ten Arbeitszeiten inklusive Überstunden zeigt sich ein an-      Frankreich (je 39,1 Stunden) zu finden. Im Durchschnitt aller
          deres Bild: Hier liegt Österreich gemeinsam mit Deutsch-        EU-27-Staaten3 liegen die Arbeitszeiten von Vollzeitbeschäf-
          land und den Niederlanden mit 60 Wochenstunden an der           tigten bei 39,9 Stunden. Auffällig ist, dass die neueren Mit-
          Spitze; der Großteil der EU-Staaten (20) erlaubt 48 Stun-       gliedstaaten (EU-Mitglieder seit 2004) im Durchschnitt länge-
          den, in zwei Ländern (Belgien, Kroatien) sind 50 Stunden        re Arbeitszeiten aufweisen als die älteren. Der Unterschied
          möglich.                                                        zwischen den Ländern mit den kürzesten (Dänemark) und
                  Die kollektivvertragliche Ebene spielt bei der Fest-    längsten Arbeitszeiten (Malta) liegt bei 3,7 Wochenstunden.
          legung von Arbeitszeitstandards ebenfalls eine bedeutende
          Rolle, die Sozialpartner wirken in vielen EU-Staaten (außer     Jahresurlaub
          den meisten osteuropäischen) dabei mit.2 Blickt man auf         Die europäische Arbeitszeitrichtlinie gibt einen Mindestur-
          die durchschnittlichen kollektivvertraglich vereinbarten        laub von vier Wochen im Jahr vor, der nicht finanziell abge-
          wöchentlichen Normalarbeitszeiten, so sind Frankreich mit       golten werden kann. In 20 EU-Staaten liegt der gesetzliche

           4
Malta, Zypern, Österreich, Slowenien, Slowakei, Ungarn,
                                                                                        Deutschland, Schweden, EU-27, Frankreich, Belgien,
                                                                                        Italien, Niederlande, Dänemark
                                                                                                                                    DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

                    Urlaubsanspruch bei 20 Tagen im Jahr (d.h. vier Wochen).                  Durchschnittliche, normalerweise gearbeitete
                    Einen höheren gesetzlichen Anspruch gibt es in Portugal                   Wochenstunden von Vollzeitbeschäftigten im
                    und Spanien (je 22 Tage), Malta (24 Tage) sowie Schwe-                                   Hauptjob, 2019
                    den, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und Österreich (je                                Quelle: Eurostat, EU-Arbeitskräfteerhebung 20194
                    25 Arbeitstage bzw. fünf Wochen). In vielen Ländern kön-
                                                                                                 Malta                                                                                  41,3        Fra
                    nen Kollektivverträge den gesetzlichen Urlaubsanspruch
                                                                                                Zypern                                                                                 41,2         Dä
                    auch erhöhen, abhängig von den Dienstjahren bzw. von
                    den Branchen. So gibt es etwa in Zypern in vielen Kollek-               Österreich                                                                             41,1              Sc

                    tivverträgen aliquot zu den bisherigen Dienstjahren extra                Slowenien                                                                          40,7               Deut

                    Urlaubstage. In Rumänien erhöht sich der Jahresurlaub                     Slowakei                                                                      40,5                    Tsc

                    bei vielen Dienstjahren von 20 auf bis zu 30 Tage. In Tsche-               Ungarn                                                                     40,4                     Nied

                    chien, Finnland, Italien und der Slowakei gibt es in Kollek-         Deutschland                                                                     40,2                         S
                    tivverträgen im Durchschnitt etwa fünf Extra-Urlaubstage                 Schweden                                                              39,9
                    im Jahr. In den Niederlanden haben Beschäftigte, für die                     EU-27                                                             39,9                             Ös
                    ein Kollektivvertrag gilt, im Durchschnitt 25,6 Tage statt              Frankreich                                                     39,1
                    der gesetzlichen 20 Urlaubstage im Jahr, in Schweden 27,3                  Belgien                                                     39,1                                      Slo
                    Tage im Durchschnitt statt der gesetzlichen 25. In Deutsch-                  Italien                                                  39,0
 ypern, Österreich, Slowenien, Slowakei, Ungarn,
                    landFrankreich,
hland, Schweden, EU-27,     und Dänemark
                                    Belgien,     kann der Urlaubsanspruch in Kollek-
                                                                                         Niederlande                                                  38,9
Niederlande, Dänemark
                    tivverträgen auf durchschnittlich 30 Jahresurlaubstage
                                                                                            Dänemark                                   37,6
                    erhöht werden. Auch in Österreich hängt der Urlaubsan-
                    spruch von den Dienstjahren bzw. der Branche ab: Ab dem                           35,0       36,0        37,0      38,0         39,0          40,0      41,0          42,0

                    26. anrechenbaren Dienstjahr steigt der Urlaubsanspruch
                                                                                                  Frankreich, Dänemark, Schweden, Deutschland, Tschechien,
                    auf sechs Wochen oder 30 Arbeitstage, aber nur, wenn eine                     Niederlande, Slowakei, EU-28, Österreich, Belgien,
                                                                                                 Durchschnittliche kollektivvertraglich
                                                                                                  Slowenien, Ungarn, Polen, Estland
                    gewisse Anzahl an Dienstjahren bei demselben Unterneh-
                                                                                               vereinbarte Jahresarbeitszeiten in Stunden
                    men erreicht wurde.
                                                                                                                            Quelle: Eurofound 20191

  Malta      Jahresarbeitszeiten                          41,3                              Frankreich      1.602

 Zypern      Auf Basis der kollektivvertraglichen Normalarbeitszeiten,
                                                            41,2                 der        Dänemark                1.635

erreich      Jahresurlaubsansprüche und der gesetzlichen   41,1          Feiertage in       Schweden                        1.655

wenien
             den jeweiligen EU-Staaten ermittelt40,7      Eurofound durchschnitt-        Deutschland                                1.666

lowakei
             liche kollektivvertraglich vereinbarte   40,5
                                                           Jahresarbeitszeiten für          Tschechien                                1.695
             alle EU-Staaten (siehe Grafik rechts unten). Im EU-28-Durch-
Ungarn                                               40,4                                Niederlande                                  1.695
             schnitt3 liegen die so berechneten Jahresarbeitszeiten im
schland                                            40,2                                       Slowakei                                  1.708
             Jahr 2018 bei 1.714 Arbeitsstunden; am unteren Ende sind
hweden                                          39,9                                            EU-28                                         1.714
             Frankreich (1.602), Dänemark (1.635), Schweden (1.655),
 EU-27                                          39,9                                        Österreich                                            1.723
             Deutschland (1.666), Tschechien und die Niederlande (je
nkreich                                 39,1                                                   Belgien                                                             1.756
             1.695) zu finden. Österreich ist mit einer derart berechneten
Belgien                                  39,1                                               Slowenien                                                                       1.816
             Jahresarbeitszeit von 1.723       Stunden etwa im Mittelfeld, am
 Italien                               39,0                                                    Ungarn                                                                                  1.832
             oberen Ende sind Estland (1.848), Griechenland und Litau-
erlande      en (je 1.840), Ungarn und38,9 Polen (je 1.832), Bulgarien (1.824)                   Polen                                                                                 1.832

nemark       sowie Lettland,37,6Rumänien und Slowenien (je 1.816 Jahres-                       Estland                                                                                    1.848

      35,0
             arbeitsstunden)
             36,0   37,0    38,0
                                zu finden.
                                    39,0
                                            Die
                                              40,0
                                                  Diskrepanzen
                                                       41,0     42,0
                                                                     bei den Jahres-                 1.600          1.650           1.700          1.750           1.800               1.850
             arbeitsstunden sind enorm und liegen bei über sechs Arbeits-
             wochen zwischen Frankreich und Estland. Dabei ist auffällig,
             dass v.a. wirtschaftlich sehr erfolgreiche Staaten niedrige                1
                                                                                             Eurofound, 2019: Working time in 2017–2018, Dublin
             Jahresarbeitszeiten aufweisen.                                            2
                                                                                             Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass das nicht für alle
                                                                                             Branchen gleichermaßen gilt.
                                                                                        3
                                                                                             Die Hinweise auf unterschiedliche EU-Durchschnittswerte (EU-27
             Bernadette Allinger ist Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeite-            bzw. EU-28) ergeben sich aus den Jahren, in welchen die Daten erho-
             rin bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).                ben wurden (vor bzw. nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU).
                                                                                        4
             Kontakt: allinger@forba.at                                                      Eurostat, 2019: Labour Force Survey

                                                                                                                                                                                               5
ARBEITSZEITEN IM FOKUS

"Allgemeine Arbeitszeitverkürzung
ist das Gebot der Stunde"
INTERVIEW: Fragen der Arbeitszeitgestaltung sind nicht nur in Zeiten von Corona ein
zentrales Thema. Über aktuelle Arbeitszeitproblematiken und notwendige Gestaltungs-
schritte in Österreich berichtet JÖRG FLECKER, Professor für Soziologie, im Interview.

FORBA: Herr Flecker, Österreich zeichnet sich im EU-Ver-         Die Problematik, dass Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung
gleich durch eine sehr hohe Anzahl an Arbeitsstunden von         und Überbeschäftigung nebeneinander bestehen, wurde
Vollzeitbeschäftigten aus.1 Gleichzeitig sind überdurch-         also drastisch verschärft. Für diejenigen, die im Home-
schnittlich viele Frauen teilzeitbeschäftigt. Welche Aus-        Office arbeiten oder gearbeitet haben, ist dazugekommen,
wirkungen hatte vor diesem Hintergrund die Einführung            dass die Arbeitszeit noch stärker entgrenzt wurde. Nach ei-
des 12-Stunden-Tages bzw. der 60-Stunden-Woche 2018              ner Befragung, die wir an der Uni Wien im Juli 2020 durch-
auf die Arbeitszeiten von Frauen und Männern?                    geführt haben, arbeiteten deutlich mehr als die Hälfte mit
                                                                 Unterbrechungen von früh bis spät. Viele wurden auch au-
Flecker: Lange Arbeitszeiten, zeitlich flexibler Personal-       ßerhalb der vereinbarten Arbeitszeit vom Betrieb oder von
einsatz und dadurch geringe Planbarkeit sind Gift für die        KundInnen kontaktiert. Eine Polarisierung ist also nicht nur
Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In Österreich ist die       im Hinblick auf die Dauer, sondern auch auf die Entgrenzung
Arbeitszeit sowohl lange als auch hochgradig flexibel. In        der Arbeitszeit festzustellen.
Verbindung mit einer traditionellen Aufteilung der Haus-
und Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen schlägt              FORBA: Im Zuge der Corona-Krise wurde in sehr vielen
sich das in einer sehr hohen Teilzeitquote bei Frauen nie-       Betrieben staatlich geförderte Kurzarbeit eingeführt. Was
der. Die Teilzeitarbeit hat erhebliche Nachteile im Hinblick     würde eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung im Unter-
auf Einkommen, Karriere und Pensionshöhe. Wobei nicht            schied zu Kurzarbeit in Österreich bedeuten?
gesagt ist, dass Teilzeitarbeit tatsächlich das Problem der
Vereinbarkeit löst, denn gerade Teilzeitkräfte werden häufig     Flecker: Eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung kann an
flexibel eingesetzt und zu Mehrarbeit herangezogen. Die ge-      der Wochenarbeitszeit, an der Jahresarbeitszeit oder an
steigerte Flexibilität für die Betriebe in Form eines 12-Stun-   der Lebensarbeitszeit ansetzen. Beschäftigungswirkungen
den-Tags und einer 60-Stunden-Woche benachteiligt Perso-         haben alle, also auch mehr Auszeiten bzw. Karenzierungen
nen mit Familienpflichten, in der überwiegenden Mehrheit         oder zusätzlicher Urlaub. Aber nur eine Verkürzung der
Frauen, noch viel stärker.                                       Wochenarbeitszeit ändert das gesellschaftliche Arbeitszeit-
                                                                 maß. Man schließt einen Arbeitsvertrag für ein bestimmtes
FORBA: Welche Auswirkungen hatte die Corona-Krise                Ausmaß an Wochenstunden ab, man äußert Arbeitszeit-
bzw. ist es damit zu einer zusätzlichen Polarisierung der        wünsche mit Bezug auf die Woche usw. Zwar ist auch die
Arbeitszeiten gekommen?                                          Kurzarbeit eine Arbeitszeitverkürzung, die eine Verteilung
                                                                 der vorhandenen Arbeit auf mehr Personen bewirkt. Sie
Flecker: Die Corona-Krise hat die Ungleichheiten der Ar-         wird allerdings für eine Krisensituation vereinbart, während
beitszeit sicherlich verstärkt. Manche Branchen und Berufe       eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung auf Dauer angelegt
arbeiteten weniger und teils gar nicht mehr, bei anderen än-     und für den Normallauf der Wirtschaft konzipiert ist. Da-
derte sich wenig, und wiederum andere – nicht nur die Kran-      mit ist sie geeignet, nicht nur Kündigungen zu vermeiden,
kenhäuser – waren mit deutlicher Mehrarbeit konfrontiert.        sondern vor allem nach einer Übergangsphase zusätzliche

6
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

Personalaufnahmen anzuregen. Für die Beschäftigten be-           Flecker: Für die Erhaltung der Gesundheit, für die Verein-
deutet eine Arbeitszeitverkürzung in der Regel weniger           barkeit von Beruf und Familie ebenso wie für die bessere
Gesundheitsbelastung, bessere Vereinbarkeit von Beruf            Verteilung der Arbeit und den Abbau der Arbeitslosigkeit ist
und Familie und auch mehr Zeit und Energie für ehrenamt-         die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ein wichtiges Ziel. Es
liche Arbeit und Hobbys. Gerade für viele Frauen besteht die     reicht aber nicht aus, die gesetzliche oder kollektivvertrag-
Chance, dass z.B. eine 32-Stunden-Woche die bisherige Teil-      liche Arbeitszeit zu reduzieren. Genauso wichtig ist es, die
zeitarbeit zu einer Vollzeitarbeit macht.                        Einhaltung der Arbeitszeitregeln zu verbessern. Neben der
        Für die Unternehmen sind die Auswirkungen zum            Dauer der Arbeitszeit ist die Lage der Arbeitszeit ganz wich-
einen höhere Kosten, wenn bei gleichem Lohn weniger ge-          tig für die Qualität der Arbeit. Hier gehören die Abend- und
arbeitet wird, zum anderen aber besser ausgeruhte und            Nachtarbeit sowie die geteilten Dienste zu den größten Pro-
produktivere Beschäftigte. Die Kosten treffen Branchen mit       blemen. Und schließlich kann die Qualität der Arbeit verbes-
einem hohen Anteil an Lohnkosten, wie etwa das Gastge-           sert werden, wenn die Arbeitszeitflexibilität dort zurückge-
werbe, die Pflege, die Reinigung oder den Handel, deutlich       nommen wird, wo betriebliche Anweisungen die Arbeitszeit
stärker als die hochgradig automatisierte Industrie. Eine all-   bestimmen und die Planbarkeit für die Beschäftigten ein-
gemeine Arbeitszeitverkürzung auf 35 oder 32 Stunden pro         schränken. Die Rücknahme des 12-Stunden-Tags und der
Woche ist außerdem für Industriebranchen, die schon jetzt        60-Stunden-Woche sowie die Einschränkung von All-in-Ver-
eine 36-Stunden-Woche haben, ein kleiner Schritt, für Bran-      trägen sollten die ersten Schritte in diese Richtung sein.
chen mit einer 40- oder 38,5-Stunden-Woche aber ein sehr
großer. Aus beiden Gründen ist eine starke allgemeine Ver-       FORBA: Herzlichen Dank für das Interview! 
kürzung der Wochenarbeitszeit bei gleichen Löhnen nur mit
einem Ausgleich zwischen den Branchen vorstellbar. Damit
sollten arbeitsintensive Bereiche bei den Abgaben entspre-
chend entlastet werden.

                                                                                                                            © Nurith Wagner-Strauss
FORBA: Welches EU-Land könnte im Hinblick auf die
Arbeitszeitgestaltung als positives Beispiel dienen und
warum?

Flecker: Als kleines und wirtschaftlich erfolgreiches Land
kann sich Österreich zum Beispiel mit Dänemark verglei-
chen. Nur hat Dänemark sehr viel kürzere Arbeitszeiten. Die
durchschnittliche, kollektivvertraglich vereinbarte Wochen-
arbeitszeit liegt bei 37 Stunden, während sie in Österreich
38,8 Stunden beträgt.2 Noch deutlicher ist der Unterschied
bei den normalerweise geleisteten Arbeitsstunden: So ar-
beiten dänische Beschäftigte im Durchschnitt 37,6 Stunden                               Zur Person:
pro Woche und damit am kürzesten in der EU, während die                                 Jörg Flecker ist Professor für
Arbeitenden in Österreich mit 41,1 Wochenstunden mit Malta                              Allgemeine Soziologie am Institut für
und Zypern an der Spitze der EU liegen.1 Zwar ist auch in                               Soziologie der Universität Wien.
                                                                                        Zu seinen Forschungsschwerpunk-
Dänemark die Arbeitszeit flexibel und die Tagesarbeitszeit
                                                                                        ten zählen u.a. neue Technologien
kann bis zu 13 Stunden betragen, jedoch ist die maximale                                und Arbeit, Arbeitszeit, Qualität von
Wochenarbeitszeit auf 48 Stunden begrenzt – gegenüber                                   Arbeit und Beschäftigung sowie
60 Stunden in Österreich. Auch die Jahresarbeitszeit liegt                              Rechtspopulismus und Rechts-
in Dänemark weit unter dem EU-Schnitt. Das bedeutet aber                                extremismus.
nicht, dass in Dänemark insgesamt so viel weniger Arbeits-                              Kontakt:
stunden geleistet werden, denn die Erwerbsbeteiligung der                               joerg.flecker@univie.ac.at
Frauen ist höher und die Teilzeitquote niedriger.

FORBA: Welche langfristigen Ziele der Arbeitszeitgestal-
tung sind für Österreich notwendig und welche konkreten          1
                                                                     Eurostat, 2019: Labour Force Survey
Schritte sollten hier gesetzt werden?                            2
                                                                     Eurofound, 2019: Working time in 2017–2018, Dublin

                                                                                                                                    7
8
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

Solidaritätsprämienmodell
in der Praxis
Einerseits weisen Vollzeitbeschäftigte in Österreich im EU-Ver-     Dass dieses Modell aber nicht nur im Industrie- bzw.
gleich eine der längsten Arbeitszeiten auf1, andererseits hat die   Schichtbetrieb funktioniert, sondern auch im Dienstleis-
Arbeitslosigkeit im letzten Jahr sehr stark zugenommen. Im          tungsbereich, mit hoch qualifiziertem Personal, zeigt das
Zuge der Coronakrise forderte die Gewerkschaft GPA die Mög-         Beispiel des Vereins VertretungsNetz in der Sozialbranche.
lichkeit einer freiwilligen Arbeitszeitverkürzung nach dem „90               VertretungsNetz ist in acht Bundesländern tätig und
für 80“-Modell. Dieses ermöglicht jeweils vier MitarbeiterInnen     vertritt Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektu-
eine Reduktion ihrer Arbeitszeit auf 80 Prozent, während das        eller Beeinträchtigung. Bereits bei der Einführung des staatli-
Entgelt nur auf 90 Prozent reduziert wird. Dafür kann eine Ar-      chen Solidaritätsprämienmodells vor 20 Jahren hat der Verein
beitskraft neu eingestellt werden. Das Vorbild für dieses Modell    eine Betriebsvereinbarung darüber abgeschlossen, dass die-
ist das Solidaritätsprämienmodell, das bereits seit 20 Jahren       ses Modell auf freiwilliger Basis mit dem Dienstgeber verein-
angewandt werden kann. Dabei reduzieren Beschäftigte ihre           bart werden kann. Seitdem
Arbeitszeit bei teilweisem Lohnausgleich um bis zu 50 Pro-          wurde das Modell von min- „Das Modell erlaubt ein
zent, gleichzeitig wird eine beim AMS vorgemerkte Person als        destens zehn Teams und in Gegensteuern gegen hohe Ar-
Ersatzarbeitskraft neu eingestellt. Das AMS ersetzt zwei Jahre      Summe etwa 30 Mitarbeite- beitslosigkeit und eine gerech-
lang bis zu 50 Prozent der Lohn- bzw. Gehaltsreduktion und den      rInnen in Anspruch genom- tere Verteilung von Arbeit und
zusätzlichen Aufwand für Sozialversicherungsbeiträge, die auf       men. Ein typisches Modell ist ein Erfolgsmodell auf drei
der Basis der ursprünglichen Arbeitszeit weiterbezahlt werden.      sieht etwa so aus, dass drei Ebenen: Erstens erhält eine
Ist die Ersatzarbeitskraft langzeitarbeitslos und über 45 Jahre     Teammitglieder ihre Ar- vormals arbeitslose Person
alt oder behindert, ersetzt das AMS für drei Jahre diese Kosten.    beitszeit temporär um zehn ein Beschäftigungsverhältnis,
Wir haben uns zwei Praxisbeispiele näher angesehen:                 Wochenstunden von 40 auf zweitens haben diejenigen, die
          Die voestalpine, einer der größten Industriebetriebe      30 Stunden reduzieren, und ihre Arbeitszeit reduzieren,
Österreichs, praktiziert das Solidaritätsprämienmodell bereits      eine beim AMS als arbeitslos nun mehr Zeit für Hobbies
seit 2005 sehr erfolgreich. Die Arbeitszeitverkürzung im Aus-       gemeldete       Ersatzarbeits- oder andere Lebensberei-
maß von 38,5 auf 34,4 Stunden wurde in einem Pilotprojekt           kraft wird im Ausmaß von che bei einem nur geringen
bei der Umstellung des Schichtbetriebs erstmals eingeführt          30 Wochenstunden vorerst Gehaltsverlust, und drittens
und erfreute sich sofort sehr großer Beliebtheit. Heute haben       temporär (also für zwei profitiert das Unternehmen,
etwa 2.500 voest-Beschäftigte ihre Arbeitszeit um etwas mehr        bzw. drei Jahre) eingestellt. da die MitarbeiterInnen sehr
als zehn Prozent reduziert, der Großteil davon Schichtarbeite-      Nach Auslaufen der Prämie zufrieden sind und weiterhin
rInnen, aber auch Angestellte. Somit konnten 250 vormals ar-        wird versucht, die bestens ihre Erfahrung und ihr Wissen
beitslose Personen neu eingestellt werden, die üblicherweise        eingeschulte und eingear- einbringen können und hohes
auch nach Auslaufen des geförderten Solidaritätsprämienmo-          beitete Ersatzarbeitskraft zu Engagement aufweisen.“
dells von der voest gehalten werden. Die Einkommensverlus-          behalten, durch natürliche (Günther Haberl, Betriebsratsvor-
te sind gering, da kollektivvertragliche Lohnerhöhungen über        Fluktuation (Pensionierung sitzender VertretungsNetz)
einige Jahre in Freizeit umgewandelt wurden. Per Betriebs-          anderer Angestellter oder
vereinbarung wurde außerdem festgelegt, dass die Löhne und          Antreten einer Altersteilzeit), als Vertretung bei einer Eltern-
Gehälter mittels innerbetrieblicher Zulagen nur auf etwa 97         oder Bildungskarenz bzw. eines Sabbaticals oder durch zu-
Prozent sinken. Die voest-MitarbeiterInnen sind außerordent-        sätzlich bereitgestellte Personalkosten. In den meisten Fällen
lich zufrieden mit den reduzierten Arbeitszeiten und der Um-        gelingt es so, ein nachhaltiges Beschäftigungsverhältnis für die
stellung des Schichtbetriebs (kürzere Arbeitsblöcke, längere        sogenannten Ersatzarbeitskräfte zu ermöglichen.
Freizeitblöcke), wie betriebsinterne Umfragen gezeigt haben.
Insbesondere positive Auswirkungen auf die Gesundheit und
Work-Life Balance werden sehr geschätzt, es bleibt mehr Zeit
für Erholung und Familie; gleichzeitig sind die Krankenstände       1
                                                                        Siehe Artikel S. 4–5 bzw. Interview mit Jörg Flecker in diesem Heft
gesunken und die Produktivität ist gestiegen – bei Kostenneu-       Interviews mit Karl Kastenhofer (voest) und Günther Haberl
tralität für das Unternehmen.                                       (VertretungsNetz)

                                                                                                                                          9
ARBEITSZEITEN IM FOKUS

          Arbeitszeiten zwischen Autonomie
          und Fremdbestimmung
          Flexible und hochgradig selbstgesteuerte Arbeitszeiten ohne Zeitaufzeichnung sind in vielen
          Fällen mit langen Arbeitszeiten verbunden. Das Risiko für unbezahlte Überstunden steigt
          stark an, wie eine FORBA-Studie1 zeigt.                      Bettina Stadler, Franz Astleithner

          Die Mehrzahl der ArbeitnehmerInnen in Österreich ar-              Arbeitszeiten oder von ArbeitskraftunternehmerInnen als
          beitet nach wie vor mit fix vorgegebenen Arbeitszeiten.           Leitfiguren der modernen Arbeitswelt zu relativieren.
GEFASST

          Selbstgesteuerte und flexible Arbeitszeiten haben vor
KURZ

          allem Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen. Mit               Arbeitszeitautonomie hängt auch von der Bildung ab
          selbstgesteuerten und flexiblen Arbeitszeiten werden im           Die österreichische Arbeitszeitlandschaft zeichnet sich durch
          Durchschnitt mehr Arbeitsstunden geleistet als mit fix            große Heterogenität aus. Dies zeigt sich in besonderem Maße
          vorgegebenen. Auch eine Aufzeichnung der Arbeitszei-              auch bei der Ungleichverteilung von Arbeitszeitautonomie.
          ten wirkt hier dämpfend. Hoch flexible ArbeitnehmerIn-            So haben PflichtschulabsolventInnen etwa zu 85 Prozent fix
          nen mit pauschal abgegoltenen Überstunden und ohne                vorgegebene Arbeitszeiten, wohingegen 70 Prozent der Uni-
          Arbeitszeitaufzeichnung erbringen über die bezahlten              bzw. FH-AbsolventInnen ihre Arbeitszeiten zumindest teil-
          Arbeitsstunden hinaus noch viele unbezahlte, d.h. nicht           weise selbst bestimmen können. Selbststeuerung betrifft vor
          mit den Pauschalen abgegoltene, Überstunden.                      allem höhere berufliche und ausbildungsbezogene Qualifika-
                                                                            tionen. Rund 70 Prozent der vollzeitbeschäftigten Uni- bzw.
          Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) hat       FH-AbsolventInnen haben teilweise oder vollkommen selbst-
          im Jahr 2018, basierend auf Daten der Statistik Austria, unter-   bestimmte Arbeitszeiten. Im Modell der fixen Arbeitszeiten
          schiedlich flexible bzw. selbstgesteuerte Arbeitszeitarrange-     und automatischen Zeiterfassung sind vor allem niedriger
          ments, ihre Formen und ihre tatsächliche Verbreitung am Ar-       qualifizierte Personen und Hilfsarbeitskräfte tätig. So haben
          beitsmarkt untersucht.1 Die zugrunde liegenden, umfassenden       vollzeitbeschäftigte PflichtschulabsolventInnen zu beinahe
          Daten wurden in einem Mikrozensus-Modul 2015 zum Thema            85 Prozent fix vorgegebene Arbeitszeiten.
          Arbeitszeitorganisation und Arbeitszeitgestaltung erhoben.2
                                                                            Typologie flexibler und selbstgesteuerter
          Fix vorgegebene Arbeitszeiten am weitesten                        Arbeitszeiten
          verbreitet                                                        Für die Analyse wurde eine Typologie unterschiedlicher Ar-
          Entgegen der weit verbreiteten Meinung sind nach wie vor          beitszeitarrangements gebildet. Dafür wurden folgende In-
          starre Arbeitszeitregime weit verbreitet. So arbeiten unter       formationen herangezogen:
          den unselbständig Vollzeitbeschäftigten 22 Prozent mit fix         der „Grad der Selbstbestimmung der Arbeitszeit“: Fixe Arbeits-

          vorgegebenen Arbeitszeiten, einer automatisierten Zeiter-           zeiten (FIX), teilweise selbstbestimmte Arbeitszeiten (TEILS)
          fassung und ohne Überstunden- oder All-in-Vereinbarung.             und vollständig selbstbestimmte Arbeitszeiten (SELBST)
          Insgesamt haben 58 Prozent der Vollzeitbeschäftigten kei-          die „pauschale Abgeltung von Überstunden“: All-in- oder

          ne Autonomie in der Arbeitszeitgestaltung, bei den Frau-            Überstundenvereinbarung vorhanden (ÜSR)
          en in Vollzeit sind es sogar 62 Prozent. Über vollkomme-           die „Erfassung der Arbeitszeit“: automatische, nicht auto-

          ne Selbstbestimmung ihrer Arbeitszeit verfügen hingegen             matische oder keine Erfassung der Arbeitszeit
          nur 13 Prozent der Vollzeitbeschäftigten. Vor diesem Hin-         Diese drei Dimensionen beeinflussen und formen die Ar-
          tergrund sind Diagnosen von absoluter Entgrenzung der             beitszeitorganisation wesentlich. Auf Basis ihrer empirischen

          10
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

Verbreitung wurden insgesamt zehn Typen mehr oder we-                                 Unbezahlte Überstunden
niger flexibler Arbeitszeitformen gebildet. Diese reichen von                         Eine weitere wichtige Frage der Analyse bezieht sich darauf,
„fixe Arbeitszeiten, keine Überstundenregelung, automati-                             ob bei selbstgesteuerter Arbeitszeit unbezahlte Überstunden
sche Zeiterfassung“ über „teilweise selbstbestimmte Arbeits-                          üblicher sind als bei fixen Arbeitszeiten. Dabei werden drei
zeiten, keine Überstundensonderregelung, automatische                                 Aspekte ganz klar ersichtlich:
Zeiterfassung“, d.h. Gleitzeit bis hin zu „vollständig selbstbe-                      - Bei automatischer Zeiterfassung ist das Ausmaß der unbe-
stimmte Arbeitszeiten, Überstundensonderregelung, keine                                  zahlten Überstunden vergleichsweise gering, unabhängig
Zeiterfassung“.3 Die folgende Grafik zeigt die normalen Wo-                              vom Grad der Selbststeuerung.
chenstunden bzw. unbezahlte Überstunden nach Typ:                                     - Tendenziell ist die Anzahl der unbezahlten Überstunden bei
                                                                                         einer Überstundensonderregelung höher.
Normale Wochenarbeitsstunden und unbezahlte                                           - Die Zahl der unbezahlten Überstunden nimmt mit dem Grad
Überstunden pro Woche in der Haupttätigkeit von                                          der Selbststeuerung zu.
   unselbständig Vollzeiterwerbstätigen, 2015                                         Auch hinsichtlich der Vermeidung von unbezahlten Überstun-
       Quelle: Statistik Austria Mikrozensus – Arbeitskräfteerhebung –                den zeigt also die automatische Zeiterfassung anscheinend
       Ad-hoc-Modul „Arbeitsorganisation und Arbeitszeitgestaltung“
                                                                                      nach wie vor eine zuverlässige Wirkung. Durch ihre techni-
                                                                               2,3    sche Autorität wird sie zu einer wirksamen Variante, wie auch
49,0
                                                                                      bei vollständig selbstgesteuerten Arbeitszeiten die unbezahl-
47,0
                                                                      0,9             ten Überstunden in Grenzen gehalten werden können.
45,0                                          0,5              1,3

43,0                  0,6                                                             Arbeitszeitaufzeichnung als wichtige
                                      0,4             0,3
               0,2            0,1
                                                                                      Schutzmaßnahme
41,0
       0,1                                                                            ArbeitnehmerInnen mit selbstgesteuerten Arbeitszeiten ar-
39,0                                                                                  beiten durchschnittlich länger. Auffallend ist hierbei jedoch,
37,0                                                                                  dass ein höherer Grad der Selbststeuerung zwar mit mehr
                                                                                      Arbeitsstunden einhergeht, nicht unbedingt aber mit unbe-
35,0                                  41,5
       39,7   40,5    42,0    40,5           43,5     41,1    42,5   44,6      46,7   zahlten Überstunden. Besonders viele unbezahlte Überstun-
        Fixe Arbeitszeiten   Teilw. selbstbestimmte          Selbstbestimmte          den werden von Personen geleistet, die weder über fixe Ar-
                                  Arbeitszeiten               Arbeitszeiten
                                                                                      beitszeiten noch über eine Zeiterfassung verfügen und deren
   Normale Wochenarbeitsstunden ohne unbezahlte Überstunden                           Überstunden pauschal abgegolten werden. Eine automati-
   Unbezahlte Überstunden ÜSR: Überstundensonderregelung; ZE: Zeiterfassung
                                                                                      sche Zeiterfassung geht hingegen auch bei selbstgesteuer-
                                                                                      ter Arbeitszeitorganisation mit durchschnittlich kürzeren
Selbstgesteuerte Arbeitszeit und Länge der Arbeitszeit                                Arbeitszeiten einher. Die Dokumentation von Arbeitszeiten
Eine zentrale Frage im Kontext von selbstgesteuerten Ar-                              scheint hier eine wichtige Schutzfunktion vor überbordenden
beitszeiten bezieht sich darauf, ob sie zu einer Verlängerung                         Arbeitsstunden und den spätestens mittel- und langfristig
der Arbeitszeit führen. Und tatsächlich zeigt sich in den Ana-                        drohenden negativen Folgen zu haben.
lysen, dass die Arbeitszeiten mit einem höheren Grad der
Selbststeuerung, einer Überstundensonderregelung und                                  Bettina Stadler ist Soziologin und Mitglied des Leitungsteams der
bei keiner automatischen Zeiterfassung tendenziell länger                             Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).
sind. Im Unterschied dazu arbeiten Vollzeitbeschäftigte mit                           Kontakt: stadler@forba.at
fixen Arbeitszeiten, keiner Überstundensonderregelung und                             Franz Astleithner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Lektor am
automatischer Zeiterfassung als einzige Gruppe im Durch-                              Institut für Soziologie der Universität Wien sowie wissenschaftlicher
schnitt unter 40 Stunden pro Woche. Mit zunehmendem Grad                              Mitarbeiter bei FORBA.
der Selbststeuerung nimmt die Zahl der Arbeitsstunden zu.                             Kontakt: astleithner@forba.at
Aber auch bei keiner automatischen Zeiterfassung und kei-
ner Überstundensonderregelung kann man erkennen, dass                                 1
                                                                                          Astleithner, F., B. Stadler, 2018: Flexible Arbeitszeitarrangements
die Arbeitszeiten bei steigendem Grad der Autonomie durch-                                aus der Perspektive österreichischer ArbeitnehmerInnen
wegs länger sind. Gleichzeitig zeigt sich, dass innerhalb der                         2
                                                                                          Die Befragung richtete sich an eine Stichprobe aller Erwerbstätigen in
Kategorien der Selbststeuerung Beschäftigte mit automati-                                 Österreich im Alter von 15 bis 64 Jahren. Die hier vorgestellten Analysen
scher Zeiterfassung die kürzesten Arbeitszeiten haben. Diese                              beziehen sich auf 9.357 Interviews mit unselbständig Beschäftigten.
stellt vermutlich noch immer eine wirksame Schutzinstanz                              3
                                                                                          Damit sind All-in-Vereinbarungen und pauschal abgegoltene
gegenüber unverhältnismäßiger Ausweitung der Arbeitszeit dar.                             Überstunden gemeint.

                                                                                                                                                                11
ARBEITSZEITEN IM FOKUS

          Bezahlte und unbezahlte
          Arbeitszeiten von Eltern
          Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern führt dazu,
          dass Frauen weniger Zeit für Erwerbsarbeit haben .1 Im Zuge der Corona-Krise hat sich diese
          Ungleichverteilung zu Lasten der Frauen zusätzlich verschärft.               Ingrid Mairhuber

          Bereits vor der Corona-Krise war die ungleiche Verteilung                                        unter 15 Jahren. Ausschlaggebend ist vor allem das Alter des
          der bezahlten Arbeitszeit von Eltern hoch, obwohl die Er-                                        jüngsten Kindes: Je kleiner die Kinder, desto eher kommt es
GEFASST

          werbstätigkeit von Müttern zugenommen und Überstun-                                              zu einer ungleichen Aufteilung der bezahlten Arbeitszeit.2 An
KURZ

          den von Vätern abgenommen haben. Eine Tendenz in Rich-                                           dieser Situation hat sich in den letzten Jahren wenig geändert.
          tung Teilzeit von Vätern ist nicht erkennbar. Die Umsetzung                                      Gleichzeitig hat die Anzahl erwerbstätiger Mütter mit kleinen
          der Arbeitszeitwünsche von Müttern und Vätern würde                                              Kindern zugenommen. Allerdings arbeiten diese nahezu aus-
          aber zu einer ausgeglicheneren Verteilung der Arbeitszeit                                        schließlich Teilzeit, während die überlangen Arbeitszeiten der
          führen. Der Lockdown zeigt, dass im Krisenfall die unbe-                                         Väter mit kleinen Kindern zurückgegangen sind. Vor allem Vä-
          zahlte Arbeit vor allem von Frauen übernommen wird.                                              ter von kleineren Kindern haben 2015 deutlich seltener sehr
                                                                                                           lange Arbeitszeiten als dies zehn Jahre früher der Fall war.
                                                                                                           Arbeiteten 2005 z.B. noch 26 Prozent der Väter von einjährigen
          Ungleiche Verteilung der Arbeitszeit von Eltern                                                  Kindern 46 und mehr Stunden pro Woche, waren es 2015 nur
          anhaltend hoch                                                                                   mehr unter 16 Prozent. Das dominante Modell von Vätern ist
          Die bezahlte Arbeitszeit bei Paaren ohne Kinder ist in Öster-                                    unabhängig vom Alter der Kinder ein Arbeitsausmaß von 36
          reich deutlich gleicher aufgeteilt als bei Eltern mit Kindern                                    bis 40 Stunden (siehe Grafik unten).

                          Tatsächlich geleistete, wöchentliche Arbeitsstunden nach Alter des jüngsten Kindes 2015, in %
                                                                                      Quelle: Stadler/Mairhuber 20173
                   100%                                                                                             50%

                   90%                                                                                              45%

                   80%                                                                                              40%

                   70%                                                                                              35%

                   60%                                                                                              30%
          Mütter

                                                                                                            Väter

                   50%                                                                                              25%

                   40%                                                                                              20%

                   30%                                                                                              15%

                   20%                                                                                              10%

                   10%                                                                                              5%

                     0%                                                                                             0%

                          0 J.     1 J.   2 J.   3 J.   4 J.   5 J.   6 J.   7 J.   8 J.   9 J. 10 J.                     0 J.    1 J.   2 J.      3 J.   4 J.     5 J.   6 J.     7 J.   8 J.     9 J. 10 J.

                    Keine Arbeit             0-15 Std/Woche             16-30 Std/Woche           31-35 Std/Woche                36-40 Std/Woche                 41-45 Std/Woche                 46 + Std/Woche

            12
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

Ausmaß der Teilzeitstunden von Müttern steigt                     Corona-Krise verstärkt die ungleiche Verteilung
leicht an                                                         der Sorgearbeit
Obwohl Mütter nach der Geburt eines Kindes zunehmend frü-         Eine aktuelle Erhebung während des ersten Lockdowns 20205
her in die Erwerbstätigkeit zurückkehren, sind auch 2015 84       zeigt, dass Frauen vom Anstieg der unbezahlten Arbeit beson-
Prozent der Mütter mit Kindern bis ein Jahr nicht erwerbs-        ders stark betroffen sind. In Paarhaushalten arbeiten Mütter
tätig, bei Müttern mit Kindern bis zwei Jahre sind es 69 Pro-     insgesamt 14¼ Stunden pro Tag, 9½ Stunden davon entfallen
zent. Erwerbstätige Mütter mit Kindern bis zum Alter von drei     auf unbezahlte Kinderbetreuung und Hausarbeit. Väter kom-
Jahren gehen 2015 am häufigsten einer Teilzeitbeschäftigung       men auf knapp 13¾ Stunden, sieben davon sind unbezahlte Ar-
unter 16 Stunden pro Woche nach. Danach dominiert ein Ar-         beit. Alleinerzieherinnen leisten mit knapp 15 Stunden die meis-
beitszeitausmaß von 16 bis 30 Stunden. Hier ist es in den letz-   te Arbeit, wobei neun Stunden davon unbezahlte Arbeit sind.
ten Jahren zu einem Anstieg gekommen: Arbeiteten 2005 25
Prozent der Mütter zwischen 16 und 30 Stunden, so waren es        … vor allem, wenn die Kinder noch sehr klein sind6
2015 31 Prozent (siehe Grafik S. 12).                             Mütter von Kindern bis zwei Jahren kommen mit knappen 11
                                                                  Stunden auf die meisten täglichen Stunden an unbezahlter
Rechtsanspruch auf Elternteilzeit wird von Vätern                 Arbeit. Davon verwenden sie etwas mehr als sieben Stunden
kaum genutzt                                                      für die Kinderbetreuung, den Rest für Hausarbeit. Zusätzlich
Obwohl die Arbeitszeiten von Vätern in den letzten Jahren         leisten sie durchschnittlich rund drei Stunden bezahlte Arbeit.
etwas rückläufig sind, ist kein Trend zur Teilzeitarbeit bzw.     Väter von kleinen Kindern übernehmen knappe sechs Stun-
zur Elternteilzeit festzustellen, auch wenn Väter viel eher die   den unbezahlte Arbeit, hiervon vier Stunden Kinderbetreu-
Möglichkeit dazu hätten.4 Etwa die Hälfte aller vollzeitbe-       ung, sieben Stunden arbeiten sie bezahlt. Je älter das jüngste
schäftigten Väter mit Kindern zwischen zwei und drei und          Kind in einem Haushalt ist, umso geringer wird nicht nur
mehr als die Hälfte der Väter mit Kindern zwischen vier und       die Zeit der Kinderbetreuung, sondern auch der Unterschied
sechs Jahren erfüllen 2017 die Voraussetzungen für einen          zwischen Müttern und Vätern. Ist das jüngste Kind zwischen
Rechtsanspruch auf Elternteilzeit. Dieser wird aber nur in        drei und fünf Jahre alt, übernehmen Mütter pro Tag etwas
sehr wenigen Fällen genutzt. Dagegen haben nur 28 Pro-            über zwei Stunden mehr Kinderbetreuung als Väter.
zent der teilzeitbeschäftigten Frauen mit Kindern von zwei
bis drei Jahren einen Rechtsanspruch; zusätzlich erfüllen         … und bei vormals relativ gleicher Aufteilung
noch vier Prozent der vollzeitbeschäftigten Frauen die Vo-        Selbst in Haushalten mit einer relativ gleichen Aufteilung der un-
raussetzungen. Bei den teilzeitbeschäftigten Frauen mit           bezahlten Arbeit vor Corona trifft dies während des Lockdowns
Kindern zwischen vier und sechs Jahren haben 30 Prozent           nur mehr auf 60 Prozent zu.5 Vor allem bei der Kinderbetreuung
einen Rechtsanspruch und weitere fünf Prozent der vollzeit-       kam es zu einer Re-Traditionalisierung. Bei Paaren, in denen die
beschäftigten Frauen haben diesen, nützen ihn aber nicht.         Betreuung vor den Beschränkungen in etwa gleich aufgeteilt
                                                                  wurde, erfolgt dies nur mehr in knapp jeder zweiten Familie. So-
Arbeitszeitwünsche gehen in Richtung Ausgleich                    wohl bezogen auf die Hausarbeit als auch die Kinderbetreuung
Wird nach den Arbeitszeitwünschen2 gefragt, zeigt sich,           fällt die Einschätzung bezüglich einer fairen Verteilung bei Frau-
dass sich Teilzeitbeschäftigte 2015 vermehrt ein höheres,         en noch pessimistischer aus als bei Männern.
Vollzeitbeschäftigte häufiger ein geringeres Stundenaus-
maß pro Woche wünschen. Teilzeitbeschäftigte Männer mit           Ingrid Mairhuber ist Politikwissenschaftlerin und Senior Resear-
Kindern unter 15 Jahren würden im Durchschnitt gerne              cher bei der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA).
7,7 Stunden mehr arbeiten. Aber auch teilzeitbeschäftigte         Kontakt: mairhuber@forba.at
Frauen mit Kindern wünschen sich eine um 2,4 Stunden
höhere Arbeitszeit. Im Gegensatz dazu würden alle Voll-           1
                                                                      Siehe dazu auch: EIGE, 2020: Gender equalities in care and conse-
zeitbeschäftigten – mit und ohne Kinder – im Durchschnitt             quences on the labour market, Vilnius
eine um zwei bis drei Stunden niedrigere Arbeitszeit be-          2
                                                                      Stadler, B., I. Mairhuber, 2017: Arbeitszeiten von Paaren. Aktuelle Ver-
vorzugen. Bei Paaren mit Kindern unter 15 Jahren würde                teilungen und Arbeitszeitwünsche. FORBA-Forschungsbericht, Wien
sich durch die Umsetzung der gewünschten Arbeitszeit die          3
                                                                      Eigene Berechnungen aus der MZ-Arbeitskräfteerhebung
Aufteilung in Richtung einer ausgeglicheneren Verteilung          4
                                                                      Stadler, B., 2019: Elternteilzeit in Österreich. Entwicklungen und
verschieben. Bei Eltern mit Kindern unter 15 Jahren ist               Beschäftigungseffekte. FORBA-Forschungsbericht, Wien
eine Gesamtarbeitszeit von beiden Eltern zwischen 61 und          5
                                                                      #1 Blog: Zeitverwendung von Paarhaushalten während COVID-19
70 Stunden am beliebtesten. Eine solche Arbeitszeit wün-          6
                                                                      #5 Blog: Blog: Welchen Unterschied macht das Alter des jüngsten
schen sich 30 Prozent der Paare.                                      Kindes bei der Zeitverwendung seiner Eltern?

                                                                                                                                           13
14
DATEN I GESTALTUNG I BEDARFE

Unternehmensbeispiele zur
Arbeitszeitverkürzung
In Österreich gibt es eine große Polarisierung der Arbeitszei-      30-Stunden-Woche bei MAKAvA delighted
ten: Es gibt einen hohen Anteil von Vollzeitbeschäftigten mit       Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeits- und Le-
(über)langen Arbeitszeiten und einen hohen Anteil von Teil-         benszeit ist der Geschäftsführung von MAKAvA delighted
zeitbeschäftigten mit geringem Stundenausmaß (vorwiegend            ein persönliches Anliegen. Deshalb wurde eine Arbeits-
Frauen). Durch den Abbau von Mehr- und Überstunden können           zeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich bei dem 2004
neue Jobs geschaffen bzw. kurze Teilzeit aufgewertet werden.        gegründeten Eisteeproduzenten bereits vor sechs Jahren
Um Arbeitszeitverkürzung für Beschäftigte attraktiv zu ma-          umgesetzt. Das Grazer Unternehmen, das zehn Mitarbei-
chen, dürfen Einkommensverluste aber nicht zu hoch ausfallen.       terInnen beschäftigt, hat 2015 eine 30-Stunden-Woche bei
                                                                    vollem Lohnausgleich ein-
Kürzere Arbeitszeiten statt Zulage                                  geführt (der Handelskol- "Es gibt eine große Vertrauens-
Bei einem großen Wiener Unternehmen im Logistikbereich              lektivvertrag, der für das basis bei uns im Unternehmen.
gibt es die Möglichkeit, die Dienstalterszulage (die ab 17 Jah-     Unternehmen gilt, sieht Der größte Vorteil unseres
ren im Unternehmen gebührt) in Zeitguthaben umzuwandeln.            38,5 Wochenstunden vor). Arbeitszeitmodells ist, dass
Dies funktioniert folgendermaßen: Nach einem ununterbro-            Es gibt ein sehr flexibles wir uns unsere Arbeitszeiten
chenen Dienstverhältnis von 17 Jahren erhalten Arbeitneh-           Gleitzeitmodell mit frei ge- außerhalb der Kernarbeitszeit
merInnen eine Zulage, die 14-mal jährlich ausbezahlt wird           wählten Arbeitszeiten und von 10:30 bis 13:30 Uhr selbst-
und 3,5 Prozent des jeweils gültigen Kollektivvertragslohns         – um den unterschiedli- ständig einteilen können."
                                    bzw. -gehalts beträgt. Diese    chen Tätigkeitsbereichen (Agnes Fogt, Leitung Marketing
  "Diese Vereinbarung ist groß- Zulage kann in 85 Stunden           im Unternehmen entgegen- & PR, MAKAvA delighted)
    artig und wer es sich leisten Freizeit pro Jahr umge-           zukommen – eine tägliche
   kann und will, hat sie genom- wandelt werden; nach 20            Kernarbeitszeit von 10:30 bis 13:30 Uhr. So fallen etwa Be-
      men. Diejenigen, die dem- Jahren beträgt die Zulage           stellungen eher in der ersten Tageshälfte an – die Mitarbei-
  nächst das Dienstalter für die 5,5 Prozent oder 135 Stun-         terInnen, die damit beschäftigt sind, beginnen somit früher
    Zulage erhalten, freuen sich den, und nach 25 Jahren            zu arbeiten. MitarbeiterInnen im Vertrieb, der sich in erster
    auf die zusätzliche Freizeit." beträgt sie 6,5 Prozent oder     Linie an Gastronomiebetriebe richtet und eher nachmittags
                     (Betriebsrat) 160 Stunden. Nach jedem          stattfindet, wählen einen späteren Arbeitsbeginn. Um saiso-
                                    Sprung in die jeweils nächs-    nale Schwankungen auszugleichen, beträgt der Durchrech-
te Stufe der Dienstalterszulage besteht die Wahlmöglichkeit         nungszeitraum bei dem Gleitzeitmodell ein Jahr. Darüber
zwischen Zeitguthaben oder monetärer Vergütung erneut so-           hinaus haben die MAKAvA-MitarbeiterInnen von Anfang an
wie unmittelbar vor dem Antritt einer Altersteilzeit oder im        einen höheren als den gesetzlichen Urlaubsanspruch, näm-
Einvernehmen mit dem Dienstgeber. Das Zeitguthaben kann             lich sechs Wochen pro Jahr. Diese zusätzliche Woche kann
in verschiedenen Varianten in Anspruch genommen werden,             flexibel, auch im Rahmen eines längeren Jahresurlaubes,
von ganztägigem Zeitausgleich über die Verkürzung der Ta-           konsumiert werden. Bei kürzeren Arbeitszeiten wird das Ge-
ges- bzw. Wochenarbeitszeit, und sie muss bis Ende des je-          halt aliquot auf eine 30-Stunden-Vollzeitbeschäftigung be-
weiligen Kalenderjahres verbraucht werden.                          rechnet. Darüber hinaus gibt es im internen Gehaltsschema
         Die Möglichkeit, zusätzliche Freizeit anstelle der mone-   eine Staffelung nach bestimmten Verantwortungsstufen,
tären Zulage in Anspruch zu nehmen, erfreut sich bei der Be-        nach Dauer der Unternehmenszugehörigkeit bzw. Zuschüs-
legschaft großer Beliebtheit. Etwa 60 Prozent der Beschäftigten     se, wenn MitarbeiterInnen Kinder haben.
haben das Angebot angenommen, darunter sowohl ArbeiterIn-                   Die Vorteile der kurzen Arbeitszeiten für das Unter-
nen als auch Angestellte. Großteils werden einzelne freie Tage      nehmen überwiegen: Die Produktivität ist hoch, wenn sechs
in Anspruch genommen, und die zusätzlich gewonnene Freizeit         Stunden lang konzentriert gearbeitet wird und es gibt kei-
wird auch in fast allen Fällen innerhalb eines Kalenderjahres       ne "Totzeiten", in denen Arbeitszeit abgesessen wird. Fal-
verbraucht. Als nächsten Schritt plant das Unternehmen, mit         len doch einmal Mehrstunden an, können diese flexibel mit
dieser Maßnahme auch zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.         Zeitausgleich wieder abgebaut werden.

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ARBEITSZEITEN IM FOKUS

          Arbeitszeitverkürzung in
          österreichischen Kollektivverträgen
          In einer aktuellen FORBA-Studie1 werden österreichische Kollektivverträge auf Verein-
          barungen zur Arbeitszeitverkürzung untersucht. Maßnahmen, die dort festgelegt sind,
          könnten nach der Corona-Krise als Muster für andere Branchen dienen.         Bettina Stadler

          Immer mehr Erwerbstätigen ist die Vereinbarkeit von Arbeit      Kollektivverträge als wichtige Verhandlungsebene
          und Leben sehr wichtig. Vor allem für jüngere Menschen ha-      für Arbeitszeitverkürzung
GEFASST

          ben private Wünsche, Bedürfnisse oder Neigungen mindes-         Kollektivverträge sind eine zentrale Verhandlungsebene der
KURZ

          tens einen ebenso hohen Stellenwert wie Erwerbsarbeit.          Interessen von ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen,
          Viele, vor allem auch jüngere ArbeitnehmerInnen, wünschen       angesiedelt zwischen gesetzlichen Regelungen und innerbe-
          sich daher kürzere Arbeitszeiten oder arbeiten bereits in       trieblichen oder auch individuellen Vereinbarungen. Gerade
          Teilzeit. In einigen Kollektivverträgen wurden in den letzten   die Anforderungen an die Arbeitszeiten sind von Branche zu
          Jahren innovative Vereinbarungen getroffen, die direkt oder     Branche sehr unterschiedlich. Kollektivverträge bieten hier
          indirekt zu kürzeren Arbeitszeiten führen. Der folgende Bei-    den Spielraum, um Maßnahmen an bestimmte Branchenspe-
          trag zeigt, welche wichtigen Ansatzpunkte für Arbeitszeit-      zifika und -erfordernisse anzupassen. Zugleich bieten sie
          verkürzungen in Kollektivverträgen zu finden sind.              mehr Verbindlichkeit und Transparenz als Betriebsvereinba-
                                                                          rungen oder gar individuelle Vereinbarungen.
                                                                                   In Kollektivverträgen wurden und werden wichtige
                                                                          Vereinbarungen getroffen, die direkt oder indirekt in Richtung
                                                                          einer Verkürzung der Arbeitszeit wirken – dies zeigt eine 2020
          Kürzere statt flexiblere Arbeitszeiten                          abgeschlossene Analyse der Forschungs- und Beratungsstel-
          Lange Zeit haben in Österreich Fragen der Flexibilisierung      le Arbeitswelt (FORBA).1 Gerade während einer Stabilisierung
          die Arbeitszeit-Debatten dominiert. Von flexibleren Ar-         nach überstandener Corona-Krise sollte die Chance bestehen,
          beitszeiten haben sich nicht nur ArbeitgeberInnen (Stich-       hier weitere wichtige Schritte zu setzen. Maßnahmen zur Ar-
          wort Bandbreite), sondern auch viele ArbeitnehmerInnen          beitszeitverkürzung, die sich in einzelnen Branchen bewährt
          (Wunsch nach Gleitzeit) Vorteile versprochen. Flexiblere        haben, könnten auch für andere Branchen sinnvoll sein.
          Arbeitszeiten sollten dazu führen, dass ArbeitnehmerIn-
          nen ihre Arbeit besser mit ihrem Leben vereinbaren und          Freizeitoption
          Betreuungsaufgaben besser nachkommen können. Auch               Mit der Freizeitoption ist es möglich, die jährlich in den Kol-
          für Freizeitaktivitäten sollte mehr Zeit bleiben. Die meisten   lektivvertragsverhandlungen vereinbarten Lohnerhöhungen
          dieser Versprechen sind nicht umgesetzt worden. Für vie-        nicht in Geld, sondern in zusätzlicher Freizeit zu erhalten.
          le Beschäftigte bedeuten flexible Arbeitszeiten vor allem       Erstmals vereinbart wurde die Freizeitoption im Frühjahr
          auch lange und entgrenzte Arbeitszeiten. Überstunden, die       2013 im Kollektivvertrag der Elektro- und Elektronikindus-
          bei Gleitzeitmodellen anfallen, sind häufig nur schwer aus-     trie. In den Folgejahren wurde die Freizeitoption in etlichen
          zugleichen und werden im schlimmsten Fall am Ende des           anderen Branchen eingeführt, so etwa in der Bergwerk- und
          Durchrechnungszeitraums gestrichen.                             Stahlindustrie (Herbst 2013), der Fahrzeugindustrie (2014)
                  Im Rahmen von Kollektivvertragsverhandlungen            sowie in anderen Sparten der Metallindustrie und der Pa-
          wurden bereits Spielräume für verschiedene Formen der           pierindustrie (2015). In den Jahren 2016 und 2017 sind noch
          Arbeitszeitverkürzung geschaffen.                               einige weitere Branchen hinzugekommen. Mit Ausnahme der

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