Antwort der Bundesregierung - Deutscher Bundestag

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Deutscher Bundestag                                                                      Drucksache   19/8879
19. Wahlperiode                                                                                          02.04.2019

Antwort
der Bundesregierung

auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Sven Lehmann, Dr. Julia Verlinden,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 19/8383 –

Ausmaß und Auswirkungen der Energiearmut

         Vorbemerkung der Fragesteller
         Energiearmut ist nach Ansicht der Fragesteller ein zunehmendes Problem in
         Deutschland. Dies zeigt sich exemplarisch an der Anzahl der Strom- und Gas­
         sperren in deutschen Haushalten. Im Jahr 2017 haben sich die Stromsperren auf
         insgesamt 330 242 erhöht (Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche
         Frage 93 des Abgeordneten Sven Lehmann auf Bundestagsdrucksa­
         che 19/6511). Die Anzahl der Gassperren lag im selben Jahr bei knapp 38 000.
         Ein Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
         zur Analyse der Stromsperren (Analyse der Unterbrechungen der Stromver-
         sorgung nach § 19 Absatz 2 StromGVV) kommt zu dem Ergebnis, dass rund
         die Hälfte der Personen, die von Stromsperren betroffen sind, Grundsicherung
         beziehen (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Pressemitteilungen/2016/20161128-
         bundeswirtschaftsministerium-legt-studie-zu-stromsperren-vor.html). Dies
         zeigt, dass insbesondere Personen mit geringen Einkommen oder/und im Bezug
         von Grundsicherungsleistungen von Energiearmut betroffen sind. Bei Personen
         im Grundsicherungsbezug haben jüngste Studien gezeigt, dass die im Regelsatz
         vorgesehenen Kosten die tatsächlichen Aufwendungen für Haushaltsenergie
         nicht decken (www.verbraucherzentrale.nrw/sites/default/files/2018-06/VZ-
         NRW_Strompauschale-HartzIV_FINAL.pdf). Die Verbraucherzentrale
         Nordrhein-Westfalen hat berechnet, dass Alleinerziehenden mit Kind bei einem
         durchschnittlichen Strompreis und -verbrauch 22,40 Euro pro Monat fehlen, um
         die Stromrechnung bezahlen zu können. Bei Personen in der Grundversorgung
         steigt die Unterdeckung sogar noch weiter. Auch in Haushalten, die ihr warmes
         Wasser mit einem Durchlauferhitzer erwärmen, fällt die Unterdeckung trotz des
         Zuschlages für die dezentrale Warmwasserbereitung noch größer aus. Das Ver­
         gleichsportal Verivox hat die Unterdeckung der Stromkosten im Regelsatz be­
         rechnet und kommt zu dem Ergebnis, dass die tatsächlichen Stromkosten in ei­
         nem Single-Haushalt den Kostenanteil im Regelsatz um 14 Prozent übersteigen.
         In der Grundversorgung liegt diese Lücke gar bei 24 Prozent. Dabei bestehen
         erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern. So liegt die Deckungs­

Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie
vom 28. März 2019 übermittelt.
Die Drucksache enthält zusätzlich – in kleinerer Schrifttype – den Fragetext.
Drucksache 19/8879                                     –2–                    Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

         lücke in der Grundversorgung bei Single-Haushalten zwischen 15 Prozent (Bre­
         men) und 34 Prozent (Brandenburg) (www.verivox.de/presse/hartz-iv-zu-
         wenig-geld-fuer-strom-112018/).
         Im individuellen Fall sind die Folgen, insbesondere bei Androhung und Durch­
         setzung einer Strom- oder Gassperre, eklatant. Die Betroffenen können mitunter
         nicht mehr heizen oder eine warme Mahlzeit zubereiten. Hausaufgaben müssen
         im Dunkeln erledigt und die Lebensmittel können nicht mehr im Kühlschrank
         gelagert werden. Ohne eine Versorgung mit Energie ist das Existenzminimum
         nicht mehr gesichert und die gesellschaftliche Teilhabe wird gefährdet. Zudem
         können die Betroffenen durch die anfallenden Gebühren für die Mahnung, Sper­
         rung und Entsperrung in eine Verschuldungsspirale geraten, die das Risiko, er­
         neut mit einer Energiesperre belegt zu werden, weiter erhöht. Auch in der Wis­
         senschaft werden die negativen Folgen der Energiearmut auf die physische und
         psychische Gesundheit der Betroffenen zunehmend diskutiert (Reibling/Jutz
         2017: Energiearmut und Gesundheit).
         Dabei ist der beste Schutz gegen hohe Strom- und Heizkostenrechnungen ein
         geringer Energieverbrauch. Gerade für Menschen mit niedrigen Einkommen ist
         es jedoch oftmals eine Herausforderung, ihren Energieverbrauch zu reduzieren.
         Die Anschaffung energiesparender Geräte ist aus finanziellen Gründen häufig
         nicht möglich. Außerdem fällt die Stromrechnung oft unnötig hoch aus, wenn
         Menschen mit niedrigem Haushaltseinkommen Strom zu den teuren Grundver­
         sorgungstarifen beziehen. Und auch die Heizkosten sind für Menschen mit nied­
         rigem Einkommen oft hoch, weil sie überdurchschnittlich häufig in schlecht sa­
         nierten Mietwohnungen leben.

       1.   Wie definiert die Bundesregierung Energiearmut, und welche Maßnahmen
            hat die Bundesregierung eingeleitet, um die Energiearmut in Deutschland zu
            verringern?

       2.   Wie viele Personen sind demnach nach Kenntnis der Bundesregierung in
            Deutschland von Energiearmut betroffen?
            a) Wie viele Personen befinden sich hiervon im Leistungsbezug des Zweiten
               und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII)?
            b) Bestehen regionale Unterschiede bei der Anzahl der Betroffenen (bitte
               differenzieren nach Bundesländern)?

       3.   Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu den individuellen, gesund­
            heitlichen und sozialen Folgen von Energiearmut?
            Welche Maßnahmen leitet sie hieraus ab?

       4.   Kann die Bundesregierung den Bericht von „SPIEGEL ONLINE“ bestäti­
            gen, in dem berichtet wird, dass sich die Bundesregierung weigert, den Um­
            fang und die Folgen von Energiearmut genauer zu erforschen (www.spiegel.
            de/wirtschaft/soziales/strom-deutschland-blockiert-messung-von-energiearmut-
            in-eu-energieunion-a-1209705.html), und mit welcher Begründung lehnte
            die Bundesregierung einen entsprechenden Vorschlag zur Messung des Aus­
            maßes von Energiearmut ab?
Die Fragen 1 bis 4 werden gemeinsam beantwortet.
Für den Begriff „Energiearmut“ gibt es keine allgemein gültige Definition. Die
Bundesregierung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz der Armutserfassung und
entsprechend der Bekämpfung von Armut, der sich nicht auf einzelne Bedarfsele­
mente konzentriert. In Deutschland garantieren die zeitlich unbefristeten Leistun­
gen der Mindestsicherungssysteme nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozi-
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                  –3–                                Drucksache 19/8879

algesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende – SGB II – und Sozialhilfe –
SGB XII) das menschenwürdige Existenzminimum, in dem auch der Energiebe­
darf berücksichtigt wird.
Zudem ist es Ziel und Aufgabe der Bundesregierung, bezahlbare Energiepreise
für alle Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Die Energiekosten können au­
ßerdem durch energiesparendes Verhalten, Energieeffizienzmaßnahmen sowie
Lieferantenwechsel auch individuell beeinflusst werden.

        5.   Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittlichen
             Strompreise für Haushaltskunden seit 2008 in Deutschland entwickelt (bitte
             nach Jahr und Bundesland differenzieren)?
Der über alle Vertragskategorien mengengewichtete Elektrizitätspreis für Haus­
haltskunden für das Abnahmeband zwischen 2.500 und 5.000 kWh im Jahr stellt
sich ausweislich der Angaben des Monitoringberichts 2018 der Bundesnetzagen­
tur und des Bundeskartellamts (S. 279) seit 2008 wie folgt dar:
 Jahr        2008      2009      2010      2011      2012      2013      2014     2015    2016    2017    2018
 ct/kWh      21,39     22,75     23,42     25,45     26,06     29,24     29,53    29,11   29,80   29,86   29,88

Eine Differenzierung nach Bundesländern erfolgt über das Monitoring der Bun­
desnetzagentur nicht.

        6.   Wie hat sich seit 2008 der Anteil der Stromkosten im Regelsatz der Grund­
             sicherungsleistungen nach SGB II und SGB XII entwickelt (bitte nach Jah­
             ren differenzieren)?
Die Leistung zur Deckung des Regelbedarfs steht den Leistungsempfängern als
monatliches pauschales Budget zur Verfügung.
Im Rahmen der Ermittlung der Höhe dieses pauschalen Budgets werden auf Basis
von Sonderauswertungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) re­
gelbedarfsrelevante Ausgaben für einzelne Güter und Dienste erhoben, die an­
schließend zu einer Gesamtsumme der regelbedarfsrelevanten Ausgaben addiert
und mit dem Mischindex (siehe Antwort zu Frage 7) auf das aktuelle Niveau der
Regelbedarfsstufen fortgeschrieben werden. Eine Fortschreibung einzelner regel­
bedarfsrelevanter Ausgabenpositionen erfolgt dagegen nicht.
Im ersten Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (Bundestagsdrucksache 17/3404) wur-
de für die Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte auf Basis der EVS 2008 für
Strom ein regelbedarfsrelevanter Betrag von 28,12 Euro ermittelt (a. a. O., S. 55).
Der Anteil an den gesamten regelbedarfsrelevanten Ausgaben von 361,81 Euro
(a. a. O., S. 5) aus der EVS 2008 beträgt damit 7,8 Prozent.
Im zweiten Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (Bundestagsdrucksache 18/9984)
wurde für die Referenzgruppe der Einpersonenhaushalte auf Basis der EVS 2013
für Strom ein regelbedarfsrelevanter Betrag von 33,31 Euro ermittelt (a. a. O.,
S. 38). Der Anteil an den gesamten regelbedarfsrelevanten Ausgaben von
394,84 Euro (a. a. O., S. 9) aus der EVS 2013 beträgt damit 8,4 Prozent.
Drucksache 19/8879                                     –4–                    Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

       7.   Wie beurteilt die Bundesregierung die Studien des Vergleichsportals Veri­
            vox (www.verivox.de/presse/hartz-iv-zu-wenig-geld-fuer-strom-112018/)
            und der Verbraucherzentrale NRW (www.verbraucherzentrale.nrw/sites/
            default/files/2018-06/VZ-NRW_Strompauschale-HartzIV_FINAL.pdf), die
            von einer deutlichen und steigenden Unterdeckung bei den Haushaltsener­
            giekosten bei der Berechnung des Regelsatzes der Grundsicherungsleistun­
            gen im SGB II und SGB XII im Gegensatz zu den tatsächlichen Haushalts­
            energiekosten ausgehen?
Aufwendungen für Haushaltsenergie sind – anders als solche für Heizenergie und
Warmwasserzubereitung – Teil des pauschalierten Regelbedarfs, der auf den kon­
kreten Verbrauchsausgaben von Haushalten der unteren Einkommensgruppen der
EVS basiert (siehe Antwort zu Frage 6). In den Jahren zwischen zwei Regelbe­
darfsermittlungen erfolgt jährlich eine Fortschreibung des Gesamtbudgets anhand
eines Mischindex (Veränderungsrate der Preisentwicklung aller regelbedarfsrele­
vanten Güter und Dienstleistungen mit einem Anteil von 70 Prozent sowie Ver­
änderungsrate der Nettolöhne und -gehälter mit einem Anteil von 30 Prozent,
siehe auch Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung 2019 – RBSFV 2019,
Bundesratsdrucksache 471/18). Damit werden die dem Regelbedarf zugrundelie­
genden regelbedarfsrelevanten Ausgaben für Strom jährlich im Rahmen des
Mischindex fortgeschrieben. Dieses Verfahren ist vom Bundesverfassungsgericht
in seinem Beschluss vom 23. Juli 2014 (1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR
1691/13) gebilligt worden.

       8.   Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, eine bedarfsgerechte
            Pauschale für Haushaltsenergie auf Grundlage des durchschnittlichen Strom­
            preises für Haushaltskunden aus dem gemeinsamen Monitoringbericht der
            Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes zu bestimmen?
Eine gesonderte „Haushaltsenergiepauschale“ stände mit der Regelbedarfssyste­
matik nicht in Einklang (vgl. die Antworten zu den Fragen 6 und 7).

       9.   Berücksichtigt die Berechnung der Regelbedarfe den Umstand, dass Grund­
            sicherungsempfängerinnen und Grundsicherungsempfänger einen höheren
            Stromverbrauch haben als Haushalte mit niedrigem Einkommen, da sie
            mangels oder wegen eingeschränkter Erwerbstätigkeit mitunter mehr Zeit
            zuhause verbringen und darüber hinaus die Anschaffung energiesparender
            Geräte finanziell nicht bewerkstelligen können (vgl. Studie des Deutschen
            Caritasverbandes – DCV –, des Zentrums für Europäische Wirtschaftsfor­
            schung – ZEW – und des Stromspar-Check PLUS zum Stromkonsum von
            Haushalten in Grundsicherung: Eine empirische Analyse für Deutschland;
            www.caritas.de/fuerprofis/fachthemen/sozialpolitik/energiearmut/stromsperren
            sindtabu)?
            Wenn nein, warum nicht?
Aus den monatlichen Leistungen für den Regelbedarf sind auch die anfallenden
Stromkosten zu decken. Aufwendungen für Heizstrom und Strom zur Warmwas­
sererzeugung werden gesondert gewährt. Beim Regelbedarf handelt es sich um
ein monatliches Budget. Er wird als Pauschalbetrag zur Deckung der individuel­
len Bedarfe zur Verfügung gestellt. Deshalb müssen die Haushalte von Leistungs­
beziehern – ebenso wie andere Haushalte mit geringem Einkommen – ihr monat­
liches Budget nach den bestehenden Notwendigkeiten und Präferenzen einteilen.
Folglich kann die Bedarfsdeckung durch die Leistungen für den Regelbedarf nur
im Rahmen einer Gesamtbetrachtung beurteilt werden. Im Übrigen wird auf die
Antworten zu den Fragen 6 und 7 verwiesen.
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        10.   Wie hoch lag nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Stromsper­
              ren seit 2008 (bitte nach Jahren und Bundesländern differenzieren)?
                   2008      2009      2010      2011       2012      2013      2014      2015      2016      2017
 Jahr
 Durchgeführte     k. A.     k. A.     k. A.     312.059    321.539   344.798   351.802   331.272   330.254   343.865
 Stromsperren

Die Zahlen stammen aus dem jährlichen Monitoring der Bundesnetzagentur und
des Bundeskartellamtes. Zahlen dazu vor 2011 liegen der Bundesnetzagentur
nicht vor. Seit 2015 werden auch Sperrungen im Auftrag von Lieferanten abge­
fragt, die nicht örtlicher Grundversorger sind. Diese sind in den oben aufgeführ­
ten Gesamtzahlen enthalten.
Nachstehende Übersicht enthält die Anzahl der vom Netzbetreiber im Auftrag des
örtlichen Grundversorgers durchgeführten Stromsperren je Land im Jahr 2017 auf
Basis des Monitoringberichts 2018 der Bundesnetzagentur und des Bundeskar­
tellamts. Die Abfrage nach Ländern erfolgte erstmalig 2018 für das Jahr 2017.

 Bundesland                                       Anzahl der Sperrungen von Letztverbraucherinnen und
                                                  Letztverbrauchern
 Bremen                                           4.609
 Hessen                                           34.351
 Nordrhein-Westfalen                              98.177
 Hamburg                                          9.581
 Sachsen-Anhalt                                   12.050
 Schleswig-Holstein                               12.424
 Berlin                                           15.806
 Sachsen                                          17.691
 Mecklenburg-Vorpommern                           6.078
 Saarland                                         3.576
 Niedersachsen                                    25.680
 Thüringen                                        7.412
 Rheinland-Pfalz                                  13.208
 Brandenburg                                      7.908
 Bayern                                           35.057
 Baden-Württemberg                                22.624

        11.   Wie hoch lag nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl der Gassperren
              seit 2008 (bitte nach Jahren und Bundesländern differenzieren)?
 Jahr              2008      2009      2010      2011       2012      2013      2014      2015      2016      2017
 Durchgeführte     k. A.     k. A.     k. A.     33.595     39.320    45.890    46.488    43.626    39.836    40.048
 Gassperren

Diese Angaben sind dem Monitoringbericht 2018 der Bundesnetzagentur und des
Bundeskartellamtes entnommen. Eine Differenzierung nach Ländern erfolgte bis­
lang – anders als im Strombereich – über das Monitoring der Bundesnetzagentur
nicht. Zahlen dazu vor 2011 liegen der Bundesnetzagentur nicht vor. Seit 2015
Drucksache 19/8879                                   –6–                   Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

werden auch Sperrungen im Auftrag von Lieferanten abgefragt, die nicht örtlicher
Grundversorger sind. Diese sind in den oben aufgeführten Gesamtzahlen enthal­
ten.

      12.   Wie erklärt sich die Bundesregierung die Anzahl von Stromsperren und Gas­
            sperren?
Um die Ursachen von Stromsperren bei privaten Haushalten methodisch fundiert
zu erfassen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie u. a. das
Gutachten „Analyse der Unterbrechungen der Stromversorgung nach § 19 Ab­
satz 2 StromGVV“ (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/A/analyse-der-
unterbrechungen-der-stromversorgung-nach-19-abs-2-stromGVV.html) in Auf­
trag gegeben. Die Gutachter kommen zu dem Schluss, dass Ursachen und Auf­
treten von Stromsperren nicht allein eine Frage des Einkommens sind. Häufig
kommen verschiedene Ursachen zusammen, wie zum Beispiel plötzliche und ein­
schneidende Veränderungen im persönlichen Lebensumfeld. Der Bundesregie­
rung liegen keine Erkenntnisse vor, wie sich die Anzahl von Gassperren erklärt,
es ist jedoch davon auszugehen, dass vergleichbare Gesichtspunkte wie bei
Stromsperren zum Tragen kommen.
Insgesamt belegen die von der Bundesnetzagentur im Rahmen des jährlichen Mo­
nitorings erhobenen Angaben der Verteilernetzbetreiber mittelfristig gesehen je­
denfalls nicht, dass es eine entsprechend steigende Anzahl von Versorgungsun­
terbrechungen wegen Nichtzahlung gibt. Die Zahl der Stromsperren im Jahr 2017
lag danach leicht unter der Zahl des Jahres 2014, die Zahl der Gassperren im Jahr
2017 verhältnismäßig deutlich unter den Zahlen der Jahre 2013 bis 2015.

      13.   Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Anzahl von Kindern
            und Jugendlichen, die in Haushalten leben, die von Stromsperren oder Gas­
            sperren betroffen waren (bitte nach Bundesländern differenzieren)?
Hierzu liegen keine Erkenntnisse auf Basis der Grundsicherungsstatistik des
SGB II und der Sozialhilfestatistik des SGB XII vor. Auch eine Erhebung solcher
Daten über das Monitoring der Bundesnetzagentur erfolgt nicht.

      14.   Was will die Bundesregierung unternehmen, um die Anzahl der Strom-
            sperren bei Haushalten mit niedrigen Einkommen und/oder SGB-II- oder
            SGB-XII-Bezieherinnen und -Beziehern zu verringern?
Sowohl in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II als auch in
der Sozialhilfe nach dem SGB XII bestehen vielfältige Unterstützungsmöglich­
keiten, um Stromsperren zu verhindern. Soweit Zahlungsverpflichtungen für
Energiekosten nicht erfüllt werden können und die Energiezufuhr gesperrt wurde
oder dies droht, kommen Darlehen oder im Ausnahmefall auch Zuschüsse in Be­
tracht (vgl. §§ 24 Absatz 1, 22 Absatz 8 SGB II; §§ 37 Absatz 1, 36 Absatz 1
SGB XII). Eine Unterstützung nach § 36 Absatz 1 SGB XII ist auch möglich bei
Personen, die ansonsten keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen nach
dem SGB II oder dem SGB XII haben (vgl. § 21 Satz 2 SGB XII). Zudem können
sowohl Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende als auch der Sozial­
hilfe unmittelbar an den Energieversorger erbracht werden, um die Gefahr einer
Stromsperre bereits im Vorfeld zu vermeiden (vgl. § 24 Absatz 2, § 22 Absatz 7
SGB II; § 35 Absatz 1 SGB XII).
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                  –7–                                Drucksache 19/8879

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass bereits heute Versorgungsunterbrechun­
gen auf Grund von Zahlungsrückständen des Kunden grundsätzlich nur unter en­
gen Voraussetzungen möglich sind. Auf die Voraussetzungen des § 19 Absatz 2
der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) wird verwiesen. Die Rege­
lung sieht im Übrigen auch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor. In diesem
Rahmen können besondere Umstände, auch unabhängig von der Jahreszeit, Be­
rücksichtigung finden.

      15.   Sind Haushalte mit einer dezentralen Warmwasserbereitung nach Kenntnis
            der Bundesregierung häufiger von Stromsperren betroffen als andere?
Hierzu liegen keine Erkenntnisse auf Basis der Grundsicherungsstatistik des
SGB II und der Sozialhilfestatistik des SGB XII vor. Auch eine Erhebung solcher
Daten über das Monitoring der Bundesnetzagentur erfolgt nicht.

      16.   Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil der Haushalte,
            die auf SGB-II-Leistungen angewiesen sind und wie hoch ist der Anteil der
            Haushalte die auf SGB-XII-Leistungen angewiesen sind, am Gesamtvolu­
            men der Haushalte, die seit 2008 von einer Stromsperre oder einer Gassperre
            betroffen waren (bitte nach Jahren und Bundesländern differenzieren)?
Ein Ergebnis des in der Antwort zu Frage 12 genannten Gutachtens „Analyse der
Unterbrechungen der Stromversorgung nach § 19 Absatz 2 StromGVV“ (www.
bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/A/analyse-der-unterbrechungen-der-
stromversorgung-nach-19-abs-2-stromGVV.html) ist, dass etwa die Hälfte aller
von Stromsperren betroffenen Haushalte Leistungen der Mindestsicherungssys­
teme (SGB II oder SGB XII) beziehen. Darüber hinaus liegen der Bundesregie­
rung keine weiteren Erkenntnisse vor.

      17.   Wie hoch sind nach Kenntnisstand der Bundesregierung die durchschnittli­
            chen Folgekosten der Strom- und Gassperren?
Laut Monitoringbericht 2018 der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes
berechneten die Netzbetreiber den Stromlieferanten in 2017 durchschnittlich
47 Euro (exklusive Umsatzsteuer) für eine Stromversorgungsunterbrechung, wo­
bei die Spanne zwischen 13 und 180 Euro lag. Für die Versorgungswiederherstel­
lung lagen die Kosten bei durchschnittlich 50 Euro, die Spanne lag zwischen 15
und 150 Euro.
Für eine Gassperrung haben die Verteilernetzbetreiber den Gaslieferanten durch­
schnittlich ca. 56 Euro (exklusive Umsatzsteuer) in Rechnung gestellt, wobei die
Spanne der tatsächlich berechneten Kosten zwischen 12 und 216 Euro (exklusive
Umsatzsteuer) lag. Für die Wiederherstellung des Anschlusses wurden durch die
Verteilernetzbetreiber den Gaslieferanten durchschnittlich ca. 65 Euro (exklusive
Umsatzsteuer) berechnet, wobei die Spanne zwischen 14 und 263 Euro (exklusive
Umsatzsteuer) lag.
Drucksache 19/8879                                     –8–                   Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

             a) Wie hoch sind die durchschnittlichen Kosten für die Betroffenen, die
                durch Mahnungen der Stromanbieter aufgrund von ausbleibenden Zah­
                lungen sowie die Gebühren für die Sperrung und Entsperrung entstanden
                sind?
             b) Wie groß ist die regionale und anbieterbezogene Spannweite der Höhe der
                Folgekosten einer Stromsperre und den vorausgegangenen Mahngebüh­
                ren?
Die Fragen 17a und 17b werden gemeinsam beantwortet.

Strombereich
Die dem Stromkundinnen und Stromkunden entstehenden Kosten für eine Mah­
nung bei Zahlungsverzug betrugen im Jahr 2017 ausweislich des Monitoringbe­
richts 2018 durchschnittlich 3,61 Euro. Die anbieterbezogene Spannweite bei den
in Rechnung gestellten Mahngebühren lag zwischen 0,56 Euro und 44 Euro. An­
gaben zur regionalen Spannweite liegen nicht vor.
Lieferanten können neben den Kosten des mit der Sperrung bzw. Wiederherstel­
lung beauftragten Netzbetreibers (siehe oben) darüber hinaus und zusätzlich zu
den Mahngebühren eigene Kosten berechnen. Im Jahr 2017 haben dies rund
26 Prozent der Stromlieferanten genutzt.
Unter Anwendung einer pauschalen Berechnung nach § 19 Absatz 4 StromGVV
haben die Lieferanten ihren Kundinnen und Kunden zusätzlich im Durchschnitt
ca. 39 Euro (exklusive Umsatzsteuer) berechnet, wobei die Spanne zwischen
2 Euro und 199 Euro lag. Lieferanten, die keine pauschale Berechnung durchge­
führt haben, haben ihren Kundinnen und Kunden im Durchschnitt 33 Euro (ex­
klusive Umsatzsteuer) in Rechnung gestellt, wobei die Spanne zwischen 4 und
140 Euro lag.
Für die Wiederherstellung des Anschlusses berechneten die Stromlieferanten ih­
ren Kundinnen und Kunden unter Anwendung der pauschalen Berechnung im
Durchschnitt ca. 41 Euro (exklusive Umsatzsteuer), wobei die Spanne von 2 Euro
bis 135 Euro reichte und ohne Anwendung der pauschalen Berechnung im Durch­
schnitt 31 Euro (exklusive Umsatzsteuer) mit einer Spanne von ca. 3 bis 135 Euro
betrug. Angaben zur regionalen Spannweite liegen für die Kosten der Sperrung
und Wiederherstellung des Anschlusses nicht vor.

Gasbereich
Den Gaskundinnen und Gaskunden wurden 2017 ausweislich des Monitoringbe­
richts 2018 im Durchschnitt 3,60 Euro Mahngebühren von den Gaslieferanten in
Rechnung gestellt. Die anbieterbezogene Spannweite bei den in Rechnung ge­
stellten Mahngebühren lag zwischen 0,50 Euro und 30 Euro. Angaben zur regio­
nalen Spannweite liegen nicht vor.
Auch Gaslieferanten können neben den Kosten des mit der Sperrung bzw. Wie­
derherstellung beauftragten Netzbetreibers (siehe oben) darüber hinaus und zu­
sätzlich zu den Mahngebühren eigene Kosten berechnen. Im Gasbereich haben
ca. 22 Prozent der Gaslieferanten ihren Kundinnen und Kunden für die Durch­
führung einer Sperrung zusätzliche eigene Kosten berechnet. Diese lagen im
Durchschnitt bei ca. 46 Euro (exklusive Umsatzsteuer). Die anbieterbezogene
Spannweite der von den Gaslieferanten ihren Gaskundinnen und Gaskunden in
Rechnung gestellten Kosten für die Sperrung lag zwischen 2 und 210 Euro (ex­
klusive Umsatzsteuer). Für die Wiederherstellung des Anschlusses berechneten
die Gaslieferanten ihren Kunden im Durchschnitt ca. 56 Euro (exklusive Umsatz­
Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode                  –9–                                Drucksache 19/8879

steuer). Bei den Kosten für die Wiederherstellung des Anschlusses lag die anbie­
terbezogene Spanne ebenfalls zwischen 2 und 210 Euro (exklusive Umsatz­
steuer). Angaben zur regionalen Spannweite liegen für die Kosten der Sperrung
und Wiederherstellung des Anschlusses nicht vor.

      18.   Wie beurteilt die Bundesregierung erfolgreiche Ansätze, wie jene der Stadt
            Bielefeld, höhere Kaltmieten zu akzeptieren, wenn hiermit ein niedrigerer
            Energieverbrauch einhergeht (www.uni-siegen.de/fokos/forschungsprojekte/
            energiearmut/2015-08-31_hbs_studie_energiearmut_als_neues_soziales_
            risiko.pdf)?
Die Bundesregierung befürwortet erfolgreiche Ansätze zur Anerkennung von Un­
terkunfts- und Heizbedarfen, die zu einem niedrigeren Energieverbrauch führen
und die gesetzlichen Vorschriften zur Anerkennung von Unterkunfts- und Heiz­
bedarfen beachten. Eine Anerkennung solcher Bedarfe ist nach § 22 Absatz 10
SGB II möglich. Das Bielefelder Modell ist der Bundesregierung nicht im Detail
bekannt.

      19.   Wird die Bundesregierung ein Klimawohngeld einführen, um es einkom­
            mensarmen Haushalten zu ermöglichen, in energetisch hochwertigem
            Wohnraum mit höheren Kaltmieten, aber niedrigeren Energiekosten zu le­
            ben, wie es bereits 2015 seitens der Bundesregierung diskutiert wurde (vgl.
            www.sueddeutsche.de/geld/umweltpolitik-regierung-prueft-klimawohngeld-
            1.2793620), und wenn nein, warum nicht?
Entsprechend dem Koalitionsvertrag wurde die Einführung einer Klimakompo­
nente im Wohngeld untersucht. Das hiermit beauftragte Forschungsinstitut
konnte jedoch trotz Einbeziehung externer Energieexpertinnen und Energieex­
perten sowie Ländervertreterinnen und Ländervertreter noch kein im Wohngeld­
verfahren praktikables Verfahren für den Nachweis des Energiestandards entwi­
ckeln. Die vorgeschlagenen Nachweisverfahren würden die Wohngeldbehörden
und die Mieterinnen und Mieter/Vermieter bzw. Eigentümer überfordern, weil sie
für die Beurteilung des energetischen Zustandes des Gebäudes fachspezifische
Kenntnisse voraussetzen. Energieausweise enthalten nicht alle für die Wohngeld­
behörden erforderlichen Angaben und liegen auch nicht flächendeckend vor. Im
Rahmen der Wohngeldreform 2020 kann eine Klimakomponente deshalb noch
nicht berücksichtigt werden. Für weitere Untersuchungen, bei denen ein im
Wohngeldverfahren praktikables Nachweisverfahren im Vordergrund steht,
wurde Anfang 2019 ein Folgeprojekt in Auftrag gegeben, welches voraussichtlich
im Frühjahr 2020 abgeschlossen sein wird.

      20.   Welche Programme zur Energiesparberatung sind der Bundesregierung be­
            kannt, und wie bewertet sie deren Wirksamkeit speziell in Bezug auf finanz­
            schwache Haushalte?
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit fördert
das Projekt Stromspar-Check Kommunal (Laufzeit: 1. April 2016 bis 31. März
2019) und beabsichtigt die Förderung eines beantragten Nachfolge-Projekts
(Stromspar-Check Aktiv) im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative. Das
Projekt wird durchgeführt vom Deutschen Caritasverband und dem Verband der
Energie- und Klimaschutzagenturen Deutschlands. Ehemals langzeitarbeitslose
Menschen werden zu Stromsparhelferinnen und Stromsparhelfern qualifiziert
und beraten einkommensschwache Haushalte. Teilnehmende Haushalte erhalten
kostenlos Energiesparartikel, mit denen sie ihren Strombedarf senken und einen
Beitrag zum Klimaschutz leisten. Insgesamt wurden seit dem Jahr 2008 mehr als
Drucksache 19/8879                               – 10 –               Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

320 000 Haushalte durch Stromsparhelferinnen und Stromsparhelfer beraten und
für Klimaschutz sensibilisiert. Langfristige Einsparungen (über die Lebensdauer
der Energiesparartikel gerechnet) in Höhe von mehr als 300 Mio. Euro Energie­
kosten und über einer halbe Million Tonnen CO2 wurden erreicht.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie fördert die Energieberatung
für private Haushalte wie Mieterinnen und Mieter sowie Wohnungseigentüme­
rinnen und Wohnungseigentümer, Kommunen, Unternehmen und gemeinnützige
Organisationen. Im Wohngebäudebereich sind dies sowohl Energieberatungen
der Verbraucherzentralen als auch umfassende Beratungen über die „Energiebe­
ratung für Wohngebäude (Vor-Ort-Beratung, individuelle Sanierungsfahrpläne)“
beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
Die Energieberatung der Verbraucherzentralen wird in etwa 800 Beratungsstellen
angeboten. Energie-Checks zu Hause sind bundesweit verfügbar. Für einkom­
mensschwache Haushalte sind alle Angebote kostenlos. Im Jahr 2018 wurden
rund 120 000 Beratungen bei den Verbraucherzentralen durchgeführt.
Eine Befragung der Beratenen im Zuge der Evaluierung der Energieberatung der
Verbraucherzentralen im Jahr 2017 (www.bafa.de/SharedDocs/Downloads/DE/
Bundesamt/evaluation_energiesparberatung_energiechecks.pdf?__blob=publication
File&v=2) hat ergeben, dass nach einer Energieberatung im Untersuchungszeit­
raum 2012 bis 2015 Mieterinnen und Mieter im Median 150 Euro Energiekosten
einsparen und Eigentümerinnen und Eigentümer 300 Euro. Jährlich wurden
durchschnittlich rund 100 000 unabhängige Energieberatungen durchgeführt, wo­
raus sich Endenergieeinsparungen – die direkt auf die Beratung zurückzuführen
sind – in Höhe von rund 3 150 GWh und Reduzierung der CO2-Emissionen in
Höhe von rund 1,2 Millionen Tonnen über die Lebensdauer der Maßnahmen er­
geben.
Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
                               Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
                                                               ISSN 0722-8333
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