ARCHE NOA - DAS ENDE VOM SCHLUSS - Theater Chemnitz

 
WEITER LESEN
ARCHE NOA –
DAS ENDE VOM SCHLUSS
ARCHE NOA –
    DAS ENDE VOM SCHLUSS
    Farce von Sören Hornung
    Chemnitzer Theaterpreis für junge Dramatik 2020 | URAUFFÜHRUNG

    THEODORE MÜLLER SCHULZ
    – Theodore Müller Schulz 		                       Lauretta van de Merwe

    DIETMAR DER ANWALT
    – ein Transmann 		                                Martin Esser

    SIMONE DIE AUSHILFE
    – eine Frau mittleren Alters wie man so sagt      Katka Kurze

    EINE TOTE MUTTER
    – eine Frau älter als die Frau mittleren Alters
    GOTT
    – Gott halt 		                                    Christine Gabsch

    BUNDESWEHR-SOLDAT KARL SCHMIDT
    – ein Soldat		                                    Alexander Ganz-Kuhl

2
REGIE                                        Matthias Huber
BÜHNE UND KOSTÜM                             Cleo Niemeyer
DRAMATURGIE                                  Stefanie Esser
REGIEASSISTENZ                               Luzie Thomalla
INSPIZIENZ                                   Burkhard Reitz
SOUFFLAGE                                    Uta Seidel
PRODUKTIONSHOSPITANZ                         Hannah Wörner / Clara Ipsen

TECHNISCHE DIREKTION Raj Ullrich | TECHNISCHE LEITUNG SCHAUSPIELHAUS Jörg Lenk |
TECHNISCHE EINRICHTUNG Sven Uhlig | BELEUCHTUNGSEINRICHTUNG Ingo Friede | MASKE Anja
Nickel | REQUISITE Thomas Seipold | RÜSTMEISTER Klaus-Dieter Beyer

Kostüme und Dekorationen wurden hergestellt in den Werkstätten der Städtischen Theater Chemnitz.
LEITUNG DER WERKSTÄTTEN Norbert Richter | PRODUKTIONSLEITUNG Norbert Richter | TISCHLEREI/
SCHLOSSEREI Mike Langensiepen | MALSAAL/ PLASTIK Katja Byhan-Weber | DEKORATIONSABTEILUNG
Gert Wilhelm | KOSTÜMABTEILUNG Mallika Manuwald

PREMIERE digitale Uraufführung 15. Mai 2021 |
Aufgezeichnet zur Generalprobe am 20. November 2020, Schauspielhaus, Große Bühne
SPIELDAUER 1 Stunde 35 Minuten (ohne Pause)
AUFFÜHRUNGSRECHTE henschel SCHAUSPIEL Theaterverlag Berlin
JURY DES CHEMNITZER THEATERPREISES 2020 Andrea Czesienski (henschel SCHAUSPIEL
Theaterverlag), Lisanne Hirzel (Schauspielerin DIE THEATER CHEMNITZ), Matthias Huber
(Regie), René Schmidt (Dramaturgie DIE THEATER CHEMNITZ), Johannes Schulze (Vor-
sitzender des Fördervereins der städtischen Theater Chemnitz e. V.).

                                                                                                   3
ZUM STÜCK
    Willkommen in der Zukunft! Draußen breitet sich ein grausamer Nebel aus, der alles und
    jeden tötet – doch Dietmar der Anwalt hat Glück, er kann in den Supersupermarkt flüchten.
    Dank gut gefülltem Portemonnaie lässt ihn Simone die Aushilfe eintreten. Aber nur solange
    er konsumiert. Schließlich muss Simone den Laden am Laufen halten. Im SuperSupermarkt
    herrschen eigene Gesetze, das versteht Dietmar schnell. Bizarre Gestalten sind vor dem
    Nebel hierher geflüchtet. Eine tote Mutter erzählt kryptische Horrorgeschichten, schließlich
    sind es doch Geschichte, die dem Ganzen Sinn geben. Mit Hilfe der NOA Verkaufstechnik
    hält Simone die Stimmung hoch. Bundeswehrsoldat Karl Schmidt weiß das zu schätzen.
    Dankbar lauscht er Simones Weissagungen aus dem Groschenroman Der grausame Nebel
    des Grauens der alles und jeden tötet, und prophetisch bestätigt sich, was Simone schon lange
    weiß: Gedanken gestalten die Welt da draußen. Früher verkaufte Karl Schmidt 3-D-Drucker,
    bis ein terroristischer Angriff seine Karriere beendete. Seither ist er Drohnenpilot, zuständig
    für entfremdetes Töten. Unverstanden, falsch ausgerüstet für die Welt, bleibt ihm nur die
    Gewissheit, dass die Wahrheit allein demjenigen gehört, der sie beansprucht – und er legt
    sich mit Dietmar an, dem die Verrücktheit langsam zu viel wird. Als die Lüftung ClimateChange
    2030 ausfällt, passiert es schließlich: das Eis schmilz, der Wasserpegel steigt, die Apokalypse
    ist da und jede*r kämpft ums Überleben. Dietmar angelt mutierte Fischen, Simone baut
    an einer Arche und Gott betritt die Bühne, aber nur kurz – denn eigentlich handelt es sich
    hier um eine andere Geschichte. Es geht um die Geschichte von Theodore Müller Schulz –
    und sie ist es auch die entscheidet, wer im Nebel des kapitalistischen Daseins umherirrend,
    erzählen darf und wer zuhören muss.
    ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss von Sören Hornung ist das Gewinnerstück des
    Chemnitzer Theaterpreises 2020.

    Stefanie Esser

4
Es ist Mitternacht Die Geisterstunde Für eine letzte
Geschichte haben wir aber noch Zeit Eine letzte
Geschichte Macht es euch bequem meine Kinder
Öffnet eure Ohren und schenkt mir eure Herzen
Und wenn ihr Angst habt dann behaltet sie für euch
Denn Angst ist das Einzige was sich verdoppelt
wenn man es teilt

EINE TOTE MUTTER
aus Sören Hornung ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss

                                                       7
ARCHE NOAH
    Und der HERR sprach zu Noah: Geh in die Arche, du und dein ganzes Haus; denn dich
    habe ich für gerecht befunden vor mir zu dieser Zeit. Und er ging in die Arche mit seinen
    Söhnen, seiner Frau und den Frauen seiner Söhne vor den Wassern der Sintflut. Und sie
    gingen zu ihm in die Arche paarweise, je ein Männchen und Weibchen, wie ihm Gott
    geboten hatte. Und die Sintflut war vierzig Tage auf Erden, und die Wasser wuchsen und
    hoben die Arche auf und trugen sie empor über die Erde. Und die Wasser nahmen über-
    hand und wuchsen sehr und die Arche fuhr auf den Wassern. So vertilgte er alles, was auf
    dem Erdboden war, vom Menschen an bis hin zum Vieh und zum Gewürm und zu den
    Vögeln unter dem Himmel. Sie wurden von der Erde vertilgt. Allein Noah blieb übrig und
    was mit ihm in der Arche war. Da gedachte Gott an Noah und an alles wilde Getier und
    an alles Vieh, das mit ihm in der Arche war; und Gott ließ Wind auf Erden kommen, und
    die Wasser fielen. Am siebzehnten Tag des siebenten Monats setzte die Arche auf dem
    Gebirge Ararat auf. Nach vierzig Tagen tat Noah an der Arche das Fenster auf, das er
    gemacht hatte. Da aber die Taube nichts fand, wo ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder
    zu ihm in die Arche; denn noch war Wasser auf dem ganzen Erdboden. Da tat er die
    Hand heraus und nahm sie zu sich in die Arche. Da harrte er noch weitere sieben Tage
    und ließ abermals die Taube fliegen aus der Arche. Im sechshundertundersten Jahr Noahs
    am ersten Tage des ersten Monats waren die Wasser vertrocknet auf Erden. Da tat Noah
    das Dach von der Arche und sah, dass der Erdboden trocken war. Durch den Glauben
    hat Noah Gott geehrt und die Arche gebaut zur Rettung seines Hauses, als er ein gött­
    liches Wort empfing über das, was man noch nicht sah; durch den Glauben sprach er der
    Welt das Urteil und hat ererbt die Gerechtigkeit, die durch den Glauben kommt.

    Die Bibel

8
DIE NOA VERKAUFSTECHNIK

Willst du NUR dieses Düngemittel damit
deine Pflanze ein langes Leben haben
wird ODER willst du AUCH dieses Anti­
BorkenkäferSpray Niemand will sich etwas
andrehen lassen Wir wollen ja alle die
freie Entscheidung haben Damals hat man
noch verkauft aber heute Heute kauft man
Mit der NOA Technik frage ich dich nach
dem ersten Ding welches ich dir ver­kaufen
will und frage dich dann ob du auch noch
irgendeinen vollkommen unbrauchbaren
Mist dazu haben willst Dann sagst du
natürlich So ein Scheiss Das brauche ich
nun wirklich nicht und denkst dass du dir
nichts hast andrehen lassen Dabei wollte
ich dir nie den Mist verkaufen den ich dir
als Zusatz gesagt habe Was ich dir verkaufen
wollte war das erste das teurere Produkt
Und das schöne bei der NOA Technik ist
dass wir uns beide gut fühlen Du freust dich
weil du denkst dass du dich nicht hast übern
Tisch ziehen lassen Ja und ich freue mich
weil ich dich übern Tisch gezogen habe.

SIMONE DIE AUSHILFE aus Sören
Hornung ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss

                                               9
WER WIR WAREN
     Wir kamen aus einer Zeit mit einer hohen Meinung von etwas, das wir „Privatsphäre“
     nannten, scheu vor der Beobachtung, schüchtern vor dem Ausbreiten unserer intimen,
     familiären, persönlichen Momente. Wir gaben sie auf. Das Ich war nicht länger schützbar.
     Es war die Zeit, in der der Außenraum feindlich wurde. Horror vacui. Wir atmeten durch,
     wenn wir unsere Häuser verließen, von Kameras beobachtet, von unseren Geräten
     belauscht. Der Außenraum wurde zu einer Zone, die überwunden werden musste, ehe
     Zerstreuung und Einkehr in den Shopping Malls übernahmen, die Kontemplation über
     dem Schuh. Und der Schuh übernahm. Kein Grund, ihn nicht persönlich zu nehmen und
     ihn als Teil unseres Ichs der Welt zu zeigen. Wir gaben uns preis, entdeckten den Fort-
     setzungsroman unseres Lebens und spiegelten ihn nach außen: Ich habe gegessen, ich
     war krank, ich reiste, der Blick aus dem Hotelzimmer war dieser: ein Haus, ein Hund, ein
     Schuh, ein Wetter.
     Damit etwas in die Öffentlichkeit trete, brauchten wir kein Epos mehr und keine Idee,
     keine Legitimität und keine Relevanz, keine Vermittler mehr, keine Journalisten oder Bio-
     graphen. Wir waren uns selbst genug. Eine riesige autobiographische Welt entstand, ein
     Konfettiregen der Bilder, Daten, Affekte. Wir wurden ja nicht allein von außen durch-
     sichtig, wir machten uns auch selbst transparent. Keine Zeit hat je eine Öffentlichkeit so
     mikroskopisch genau zerlegt und detailvergrößern können wie diese. Damit wandelt sich
     auch die Idee des Adressaten literarischer Botschaften, des Empfängers pathetischer Auf-
     klärungsideen. Unsere Geschichten vervielfältigen sich ins Maßlose, unsere Empathie
     aber war nicht gleich stark entwickelt. Wer sollte, wer wollte noch teilhaben? Am Ende
     waren Sprecher, Aussendende, Bedeutung Beanspruchende überall.

     Roger Willemsen

10
HALT DIE KLAPPE Es ist nicht immer leicht das Leben Manchmal da ist es einfach schwer
Da denkt man Wie soll ich das denn schaffen Wie komme ich aus dieser Scheiße nur raus
Aber man kommt da raus Die Lösung ist meist viel näher als man denkt JA SCHAU MICH
AN Bevor der Nebel kam da hatte ich auch eine richtig schwere Zeit JA MIR GING ES
BESCHISSEN OK Aber habe ich aufgegeben NEIN Ich habe mir gesagt DAS WIRD
SCHON WIEDER SIMONE DU MUSST JETZT GUT ZU DIR SEIN DIR ETWAS GUTES
TUN Also bin ich in diese Shopping Mall Ich bin also zu meinem Lieblingsladen und ich
war total gut drauf ja und weißt du was Der Laden hatte zu GESCHLOSSEN Der hatte
einfach zu gemacht ohne dass ich das Na Ich hab das nicht bemerkt Da war nichts Nicht
mal nen Schild Einfach nichts Ja Ich drückte da mein Gesicht gegen das Schaufenster und
in mir und vor mir war NICHTS ALLES LEER KEINE SNEAKERS KEINE SHIRTS NUR ICH
UND DIE LEERE Und dann dann wurde ich so richtig also ich wurde richtig sauer ja Das
kann doch nicht sein dass die den Laden dicht machen und ich bekomme nichts davon
mit In meiner linken Hand die Visakarte und ich kann nichts mit der machen weil dieser
verkackte Laden zugemacht hat Ich stand da rum und hab gebrüllt SCHEISSE SCHEISSE
WAS SOLL DENN DER SCHEISS IMMER WIEDER GANZ LAUT RUFE ICH SCHEISSE ICH
HAB MICH AUS MEINER VERSCHISSENEN WOHNUNG RAUSGEQUÄLT BIN IN DIE
KRASS ÜBERFÜLLTE BAHN GESTIEGEN UM MIR NUR EIN BISSCHEN EIN KLEINES
BISSCHEN GLÜCK UND DANN HAT DIESER VERKACKTE LADEN ZU ICH WILL
SOFORT MEINEN LADEN ZURÜCK WENN NICHT SOFORT DIESER LADEN WIEDER
AUFMACHT DANN BRINGE ICH MICH UM und ich schaue mich um und auf der ande-
ren Seite des Centers und da war der Laden Viel größer als vorher Umgezogen Und plötzlich
überkommt mich so ein Gefühl Das hatte ich vorher noch nie Ich fühlte mich gut Im
Leben gibt es manchmal Situationen da steht man so dicht vorm Fenster und drückt sich
daran die Nase platt und denkt Scheiße dabei müsste man sich nur einmal umdrehen

SIMONE DIE AUSHILFE aus Sören Hornung ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss

                                                                                            11
Du brauchst bloß in eine Zeitung
hineinzusehen. Sie ist von einer
unermesslichen Undurchsichtig-
keit erfüllt. Da ist die Rede von so
vielen Dingen, dass es das Denk­
vermögen eines Leibniz über-
schritte. Aber man merkt es nicht
einmal; man ist anders geworden.
Es steht nicht mehr ein ganzer
Mensch einer ganzen Welt gegen-
über, sondern ein menschliches
Etwas bewegt sich in einer all­
gemeinen Nährflüssigkeit.

ROBERT MUSIL,
Der Mann ohne Eigenschaften

                                   13
EINE WEITERE
     GESCHICHTE …
     PLASTIK In Europa werden Jahr für Jahr
     Millionen Tonnen Plastik nach einmaligem
     Gebrauch weggeworfen. Der meiste Abfall
     wird vom Land über Flüsse und den Wind
     ins Meer getragen. Geschätzte 380 Tonnen
     Kunststoff schwemmt der Rhein jedes Jahr
     in die Nordsee. Allein am Grund der Nord­
     see liegen vermutlich mehr als 600 000
     Kubikmeter Müll, das entspricht 1,5 Mal
     dem Kölner Dom. Dieses Plastik gelangt
     nicht nur über die Nahrungskette auf unsere
     Teller, die Giftstoffe darin können gravie-
     rende Folgen haben, von Entwicklungs­
     störungen bis zu Unfruchtbarkeit und Brust-
     oder Prostatakrebs.

     KREUZFAHRT Ein Kreuzfahrtschiff stößt
     pro Tag so viel CO2 aus wie ca. 84 000
     Autos, so viel Feinstaub wie ca. 1 Million
     Autos und so viel Schwefeldioxid wie gut
     376 Autos. Kreuzfahrtschiffe liegen zu 40
     Prozent in Häfen. In dieser Zeit verbrauchen
     sie die Energie einer Kleinstadt.

14
STROHHALMVERBOT Die Europäische Union hat das Verbot von Einweg-Plastikprodukten
endgültig beschlossen, da diese mehr als 70 Prozent des im Meer schwimmenden Kunst-
stoffmülls ausmachen. Mit dem Plastikstrohhalm im Cocktail ist also bald ebenso Schluss
wie mit dem Plastikbesteck beim Picknick. Die vereinbarte Richtlinie soll ab 2021 in der
gesamten EU umgesetzt werden und sieht dabei auch neue Auflagen für Verpackungen
und Getränkeflaschen vor.

3D-DRUCK Es ist längst nicht mehr nur die NASA, die Essen drucken möchte. Volker
Lammers vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) erforscht seit 2018 den
3D-Druck von protein- und stärkebasierten Lebensmitteln. Lammers kooperiert dafür
mit der Technischen Universität München. Das Team möchte herausfinden, wie man
Rohstoffe mechanisch oder thermisch verarbeiten muss, um sie druckbar zu machen. So
könnte in Zukunft auch veganes Fleisch aus dem 3D-Drucker kommen.

KOBALT Das Metall Kobalt wird größtenteils für die Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus
in beispielsweise Handys oder Elektroautos benötigt. Der weltweite Bedarf ist hoch und
steigt stetig, bis 2026 werden es bis zu 225 000 Tonnen jährlich sein, welche zu mehr als
60 Prozent in der Demokratischen Republik Kongo gefördert werden. Hier schürfen
Menschen – Erwachsene wie Kinder – mit einfachsten Werkzeug das Erz. Die Folge sind
Belastungen für die Umwelt und die Gesundheit. Auch Hinweise auf Schäden am Erbgut
bei Kindern liegen vor, so Forscher der belgischen Universität Löwen.

KINDERARBEIT FÜR SMARTPHONES In kleinen Kobaltminen im Süden des Kongos
schürfen Minderjährige unter prekären Bedingungen und ohne Sicherheitsausrüstung.
Die Kinder, die das Kobalt abbauen, werden nicht nur gezwungen für einen Lohn von ein
bis zwei Dollar pro Tag Vollarbeit zu leisten, die extrem gefährlichen Bergbaujobs kosten
sie ihre Ausbildung und Zukunft. Sie werden regelmäßig durch Tunneleinbrüche und
andere Gefahren im Kobaltbergbau verstümmelt und getötet.

                                                                                            15
DER NEBEL DES GRAUENS ist ein US-amerikanischer Horrorfilm (The Fog – Nebel des
Grauens) von Regisseur John Carpenter. Der Film stammt aus dem Jahre 1980 und zählt
zu den Klassikern des Genres. „In fünf Minuten ist es zwölf Uhr. Für eine Geschichte bleibt
uns gerade noch Zeit“, damit beginnt der Film, der davon erzählt, wie sich zum 100-jährigen
Gründungsfest eines kleinen Fischerdorfs die ahnungslosen Bewohner versammeln, um
das Jubiläum zu begehen. Niemand der Anwesenden weiß, dass mit der Gründung des
Dorfes eine schreckliche Grausamkeit einherging. Die ersten Siedler sendeten damals
falsche Signale vom Leuchtturm, es galt die Ankunft von Leprakranken zu verhindern.
Das Schiff der Kranken zerschellte an den Klippen. 100 Jahre später steigt ein dichter Nebel
vom Meer auf. Die Geister der ertrunkenen Männer kehren zurück, um sich zu rächen.

KARL MARX UND DIE ENTFREMDUNG „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert“,
schreibt Marx, „tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige
Macht gegenüber.“ Doch das sei nur eine von vier Formen der Entfremdung im arbeits-
teiligen Kapitalismus: Bereits „im Akt der Produktion“ fühlten sich Fabrikarbeiter ent-
fremdet, etwa durch eintönige Tätigkeiten, wie Charlie Chaplin sie später in seinem Film
Moderne Zeiten so unnachahmlich vorführt. Je mehr Körper und Geist zu Werkzeugen
der Daseinssicherung würden, desto mehr entfremde sich der Mensch auch seinem
„eignen Leib“. Zuletzt nennt Marx „die Entfremdung des Menschen von dem Menschen“
infolge von Vereinzelung und Konkurrenz. Kontrollverlust im Teufelskreis: Seele wandert
in Sachen, Sachen erzeugen Zwänge, Zwänge verformen Seele, bis wir uns und einander
fremd geworden sind. Den Kapitalismus schert das alles nicht. Kapitalistische Produktion
geschieht nach Marx allein um ihrer selbst willen: um Märkte mit fabrikmäßig hergestellten
Massenwaren zu versorgen. Äußerst modern stellt er fest, dass auch die Nachfrage erzeugt
werde: „Jeder Mensch spekuliert darauf, dem andern ein neues Bedürfnis zu schaffen, um
ihn in eine neue Abhängigkeit zu versetzen.“
Jürgen Neffe

                                                                                               17
Menschen machen sich immer wieder ihre eigenen Erzählungen,
     um komplizierte, schmerzvolle Erlebnisse und Zusammenhänge
     ertragbar zu machen. Wenn sich viele damit identifizieren,
     gewinnt so eine Erzählung an Macht und verdrängt andere
     Erzählungen. Diese Erzählungen schwelen so lange, bis sie
     auserzählt worden sind, bis kein Auftrag, keine Hoffnung mehr
     in ihnen steckt.

     SÖREN HORNUNG

18
AUTOR SÖREN HORNUNG
Sören Hornung (*1989 in Berlin) ist Regisseur, Autor und Performer. 2012 gründet er mit
Paula Thielecke das KOLLEKTIV EINS, welches gängige Narrative aufbrechen und ihnen
neue oder bisher unerhörte Erzählungen entgegenstellen will. 2014 ist Hornung an der
Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg Mitbegründer und Festivalkoordi-
nator des ManieFest. Seine Inszenierung von Ibsens Ein Volksfeind wird 2015 zum Körber
Studio junge Regie eingeladen. 2016 absolviert er sein Regiestudium an der Akademie für
Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Hornungs Stück Sieben Geister wird für den
Osnabrücker Dramatikerpreis (2017) nominiert und erhält den Chemnitzer Theaterpreis
für junge Dramatik (2018). Das KOLLEKTIV EINS ist bei dem SPIELTRIEBE 7 Festival am
Theater Osnabrück vertreten. Sieben Geister wird zum Heidelberger Stückemarkt einge-
laden und am Schauspiel Chemnitz (R.: Laura Linnenbaum) erfolgreich uraufgeführt.
Torben Ibs nominiert Sieben Geister in der Kritiker*innen Umfrage von Theater heute
zum Stück des Jahres. Hornungs Stücke Enter Germania (Volkstheater Rostock) und Die
Legende von Sorge und Elend (Theaternatur Festival) werden uraufgeführt. Die Legende von
Sorge und Elend ist in Form einer szenischen Lesung als Beitrag zum 30 JAHRE FRIEDLICHE
REVOLUTION – MAUERFALL Festival zu erleben. Die Kulturstiftung des Bundes fördert
das KOLLEKTIV EINS im Fonds Doppelpass und im Zuge dessen bespielt das KOLLEKTIV
EINS den öffentlichen Raum in Chemnitz und Wien mit der Dauer­performance Ein Zimmer
für sich allein (nach dem Essay von V. Woolf). 2019 wird ARCHE NOA – Das Ende vom
Schluss für den Osnabrücker Theaterpreis nominiert. Ein Jahr später folgt die Nominie-
rung für den Heidelberger Stückemarkt und der Chemnitzer Theaterpreis für junge Dra-
matik sowie die Platzierung auf der Stückemarkt Shortlist des Berliner Theatertreffens.

                                                                                           19
Ich auch Ja Ich denke ich lebe
     Ich bin in letzter Zeit ein wenig
     Der Nebel Da Na der Nebel der
     Irgendwie bin ich Ich bin irgend-
     wie Ich weiß nicht Ich weiß
     nichts mehr Ich wusste mal was
     Aber jetzt Ich Wer Was Wo bin
     ich denn

     DIETMAR DER ANWALT
     aus Sören Hornung ARCHE NOA –
     Das Ende vom Schluss

20
WER WIR WAREN
Wir waren die, die verschwanden. Wir lebten als der Mensch, der sich in der Tür umdreht,
noch etwas sagen will, aber nichts mehr zu sagen hat. Wir agierten auf der Schwelle – von
der Macht des Einzelmenschen zur Macht der Verhältnisse. Von der Macht der Verhältnisse
in die Entmündigung durch Dinge, denen wir Namen gaben wie „System“, „Ordnung“,
„Marktsituation“, „Wettbewerbsfähigkeit“. Ihnen zu genügen, nannten wir „Realismus“
oder „politische Vernunft“. Auf unserem Überleben bestanden wir nicht. Denn unser
Kapitulieren war auch ein „Mit-der-Zeit-Gehen“. So bewegten wir uns in die Zukunft des
Futurums II: Ich werde gewesen sein. Da aber die meisten Menschen kein moralisches
Verhältnis zur Zukunft haben, sondern ein pragmatisches, und da die großen Zukunfts-
träume ausgeräumt oder wahr geworden sind, stellen sich die Menschen die Zukunft oft
nur noch unscharf vor. Nur Zeiten, die vieles zu wünschen übriglassen, sind auch stark im
Visionären. Diese unsrige Zeit ist es nicht, deshalb befindet sich die Zukunft auch eher im
Stillstand und wird einstweilen weniger imaginiert als vielmehr organisiert und kontrolliert.
Die letzte Epoche der Utopie hat begonnen, und wie alle Ressourcen wird auch die
Zukunft knapp. Am Ende aller Berechnungen ist sie eben keine gänzlich Unbekannte
mehr. Was kommt, kommt dann nicht als Utopie, sondern als Spekulationsobjekt der
Realpolitik, und da die wahren Paradiese ohnehin jene sind, die wir verloren haben,
stellen sich viele die ideale Zukunft schon vor als die Wiederkehr des Vergangenen oder
schlicht als Erlösung. So gesehen hat die alte Zukunft keine Zukunft.

Wir waren jene, die wussten, aber nicht verstanden, die begriffen, aber sich nicht ver­
gegen­wärtigen konnten, voller Information, aber ohne Erkenntnis, randvoll mit Wissen,
aber mager an Erfahrung. So gingen wir, nicht aufgehalten von uns selbst.

Roger Willemsen

                                                                                                21
INSZENIE-
     RUNGSTEAM
     MATTHIAS HUBER (REGIE) Nach dem Stu-
     dium der Dramaturgie war Matthias Huber
     zunächst Regieassistent am Schauspiel
     Leipzig, assistierte u. a. Karin Henkel und
     Michael Thalheimer. Mit seiner Inszenierung
     Kochen mit Elvis am Schauspiel Leipzig
     wurde er 2005 in Theater heute als bester
     Nachwuchsregisseur nominiert.
     Von 2008 bis 2013 arbeitete er als Regisseur
     und Dramaturg am Schauspiel Chemnitz.
     Hier inszenierte er u. a. Die Grönholm-
     Methode, goldfischen, 8 Väter und Tinten-
     herz, leitete die Sparte Junges Schauspiel
     und das Late-Night-Format NACHTSCHICHT.
     Von 2013 bis 2018 war Matthias Huber
     Dramaturg am Schauspiel Leipzig, Leiter
     des Schauspielstudios der HMT Leipzig
     (mit dessen Studierenden er 2014 Der
     Zwerg Nase inszenierte) und der inklusiven
     Projekte Simultanübersetzung und Audio-
     deskription. Er arbeitete mit Regisseur*­
     innen wie Eva Lange, Stephan Beer oder
     Georg Schmiedleitner zusammen – und

22
immer wieder mit Claudia Bauer (Einladungen zu mehreren Festivals, u. a. mit der
Romanadaption von 89/90 zum Berliner Theatertreffen 2017). Seit Herbst 2018 arbeitet
Matthias Huber als freischaffender Regisseur, Dramaturg sowie als Autor für Audio­
deskriptionen in Kino, Fernsehen und Theater. Zuletzt inszenierte er die Uraufführung
von Ich bin dann mal weg nach Hape Kerkeling am Hessischen Landestheater Marburg,
wofür Cleo Niemeyer die Ausstattung entwarf. Zusammen zeichnen sie verantwortlich
für die Uraufführung des Chemnitzer Theaterpreises für junge Dramatik 2020.

CLEO NIEMEYER (BÜHNE UND KOSTÜM) studierte an der Hochschule für Bildende
Künste Dresden Bühnen- und Kostümbild. Nach ihrem Diplom 2011 machte sie 2013
ihren Abschluss als Meisterschülerin von Barbara Ehnes. Während des Studiums zeichnete
Cleo Niemeyer als Bühnen- und Kostümbildnerin für verschiedene Schauspiel-, Opern-
und Tanzproduktionen u. a. am Festspielhaus Hellerau, am Kleinen Haus des Staats-
schauspiels Dresden und am Schau­spiel Chemnitz verantwortlich. 2013 arbeitete sie an
der Ausstattung für das Schauspielhaus Wien im Rahmen der Wiener Festwochen mit.
Von 2013 bis 2015 war sie am Maxim Gorki Theater Berlin als Bühnenbildassistentin
engagiert. In dieser Zeit realisierte sie dort auch eigene Arbeiten. Seit 2015 ist Cleo
Niemeyer als freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin tätig. Ihre Arbeit führte sie u.
a. ans Staatstheater Cottbus, Schauspiel Leipzig, Theater Bielefeld, Konzerttheater Bern,
Maxim Gorki Theater Berlin, E.T.A. Hoffman Theater Bamberg, und ans Ballhaus Naunyn­
strasse Berlin. Dabei arbeitet sie mit Regisseur*innen wie Mizgin Bilmen, Matthias Huber,
Branko Janack und Sasha Marianna Salzmann.

                                                                                            23
IMPRESSUM
Städtische Theater Chemnitz gGmbH
theater-chemnitz.de | facebook.com/DieTheaterChemnitz | instagram.com/DieTheaterChemnitz

Spielzeit 2020/2021
Generalintendant Dr. Christoph Dittrich
Schauspieldirektor Carsten Knödler

REDAKTION Stefanie Esser | LAYOUT PUNKT 191 Marketing & Design | DRUCK Die Theater Chemnitz |
INSZENIERUNGSFOTOS Nasser Hashemi (am 17.11.2020 zur KP2)

TEXTNACHWEISE S. 5: Originalbeitrag Stefanie Esser; S. 6: Originalbeitrag aus dem Textbuch Sören Hornung: ARCHE NOA –
Das Ende vom Schluss; S. 8: Die Bibel. https://www.bibleserver.com/search/LUT/Arche (am 18.11.2020); S. 9: Originalbeitrag
aus dem Textbuch Sören Hornung: ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss; S. 10: Willemsen, Roger: Wer wir waren. Zukunfts-
rede. Fischer (Frankfurt am Main) 2016; S. 11: Originalbeitrag aus dem Textbuch Sören Hornung: ARCHE NOA – Das Ende
vom Schluss; S. 13: Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften. Rowohlt (Reinbek) 1980; S. 14/15/17: Textbeiträge /
Materialsammlung: Hannah Wörner. Quellen:*(siehe rechts); S. 18: Das Stückporträt: Sören Hornung – ARCHE NOA von
Georg Kasch https://georgkasch.de/2020/04/24/portraet-gott-ist-muede/ (am 18.11.2020); S. 19: Text Stefanie Esser. Quellen:
https://www.soerenhornung.com/ & https://henschel-schauspiel.de/de/person/2139 (am 18.11.2020); S. 20: Willemsen,
Roger: Wer wir waren. Zukunftsrede. Fischer (Frankfurt am Main) 2016; S. 24: Originalbeitrag aus dem Textbuch Sören
Hornung: ARCHE NOA – Das Ende vom Schluss. Texte wurden redaktionell bearbeitet (gekürzt, z. T. umgestellt und an die neue
Rechtschreibung angeglichen). Die zitierten Textstellen aus ARCHE NOA – das Ende vom Schluss folgen (in Orthografie und
Interpunktion) dem Originaltext. Urheber die nicht erreicht werden konnten, bitten wir um nachträgliche Kontaktaufnahme.

BILDUNTERSCHRIFTEN Titel: Martin Esser; S. 5: Lauretta van de Merwe; S. 6: Christine Gabsch; S. 9: Christine
Gabsch, Martin Esser; S. 12/13: Katka Kurze; S. 14: Katka Kurze; S. 16: Alexander Ganz-Kuhl; S. 20: Martin Esser, Christine
Gabsch; S. 22: Lauretta van de Merwe

        Diese Einrichtung wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage
        des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtags beschlossenen Haushaltes.
* TEXTBEITRÄGE / MATERIALSAMMLUNG S. 14/15/17: Hannah Wörner. Quellen: PLASTIK Detloff, Kim (2016): Müllkippe
Meer. Plastik und seine tödlichen Folgen. https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/meeresschutz/19-05-­
mu__llkippe_meer-5-2019-final.pdf (am 18.11.2020) & https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/meere/muellkippe-
meer/muellkippemeer.html (am 23.11.2020) & Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Bund (2019): Plastikatlas.
Daten und Fakten über eine Welt voller Kunststoff https://www.boell.de/de/2019/05/14/plastikatlas?dimension1=ds_plastikatlas
(am 22.11.2020); KREUZFAHRT Schaff, Victoria (2015): 11 Dinge, die jede*r über Kreuzfahrten wissen sollte. https://utopia.
de/ratgeber/­kreuzfahrten-kreuzfahrtschiffe/ (am 18.11.2020); STROHHALMVERBOT Kerl, Christian (2018): EU beschließt
Plastikverbot – Was bald alles verboten ist. https://www.morgenpost.de/politik/article216047361/Plastikverbot-Strohhalm-
und-Co-Ab-2021-sind-diese-Produkte-in-der-EU-verboten.html (am 18.11.2020); 3D-DRUCK Muth, Max u. Lindemann,
Christoph (2016): Kommt unser Essen bald aus dem 3D-Drucker? https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/veganes-fleisch-­
lebensmittel-aus-dem-3d-drucker-was-geht-und-was-noch-nicht-geht/25591118.html (am 18.11.2020); KOBALT Nestler,
Ralf (2019): Konfliktsoff Kobalt – Das heikle Metall im Handy-Akku. https://www.tagesspiegel.de/wissen/konfliktstoff-kobalt-
das-heikle-metall-im-handy-akku/24517052.html (am 14.11.2020); KINDERARBEIT FÜR SMARTPHONES Spiegel, sop
(2019): Vorwürfe gegen Microsoft, Google und Tesla – Familien von Minenarbeitern klagen gegen Tech-Konzerne.
https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/kobaltabbau-in-der-dr-kongo-minenarbeiter-familien-klagen-gegen-tech-konzerne­-
-a-1301623.html (14.11.2020); DER NEBEL DES GRAUENS (Film) www.moviepilot.de (am 18.11.2020); KARL MARX UND
DIE ENTFREMDUNG Jürgen Neffe: Kontrollverlust. Aus: Die Zeit vom 25.04.2018. https://www.zeit.de/2018/18/karl-marx-
200-jahre-­analyse-kapitalismus/komplettansicht (am 18.11.2020).
Sie können auch lesen