Arroganz und Diskriminierung - warum viele Menschen andere abwerten - SWR
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Bei SWR2 Glauben Arroganz und Diskriminierung – warum viele Menschen andere abwerten von Dieter Jandt Sendung: 09.01.2022, 12.05 Uhr Redaktion: Nela Fichtner Produktion: SWR 2021 Ständig werden Mitmenschen heruntergemacht. Übergewichtige werden belächelt, Homosexuelle attackiert, Musliminnen und Muslime diskriminiert. Es gibt vielfältige Gründe dafür, mit Andersdenkenden und anders aussehenden Menschen nicht auf Augenhöhe zu kommunizieren. Über Abwertung und Vorurteile versuchen viele, von ihrer eigenen Schwäche abzulenken, sich selbst zu erhöhen oder nicht selbst zum Opfer zu werden - in der Politik, bei der Arbeit, im Alltag. SWR2 Glauben können Sie auch im SWR2 Webradio unter www.SWR2.de und auf Mobilgeräten in der SWR2 App hören – oder als Podcast nachhören: https://www.swr.de/swr2/programm/podcast-swr2-glauben-100.html Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Die SWR2 App für Android und iOS Hören Sie das SWR2 Programm, wann und wo Sie wollen. Jederzeit live oder zeitversetzt, online oder offline. Alle Sendung stehen mindestens sieben Tage lang zum Nachhören bereit. Kostenlos herunterladen: www.swr2.de/app
Musik: „Here I am“ – Scorpions 1. O-Ton: Adipöse Du Fette, nehm doch mal endlich ab. Du stopf nit so viel rein, beweg dich mal mehr – 2. O-Ton: Psychologin Narzissten haben ein schwaches Selbstwertgefühl, und das ist der Grund, warum sie andere abwerten müssen. 3. O-Ton: Politiker Ich kenn ganz viele Homosexuelle, die auch in der Kirche sind, und die sich das einfach wünschen, dass sie sich aufgenommen und angenommen fühlen – 4. O-Ton: Muslima Damit haben natürlich auch liberale Muslime und Musliminnen zu kämpfen, dass sie sich den Vorwurf gefallen müssen, sich vom Glauben zu entfernen 5. O-Ton: Adipöse Manchmal reichen dann schon Blicke, wenn man angeschaut wird. Sprecher: Arroganz und Diskriminierung – warum viele Menschen abwerten. Eine Sendung von Dieter Jandt. O-Ton Trump 1: Donald Trump: She has to go to jail (Jubel) Sprecherin: Sendungstitel, Autoren-Nennung Sprecher:
Mitmenschen werden heruntergemacht, in einem fort. Übergewichtige werden belächelt, Homosexuelle attackiert, Musliminnen diskriminiert. Abwerter finden immer einen Grund, auf Andersdenkende und anders aussehende Menschen einzuprügeln und sie zu diffamieren. Dabei versuchen sie oft, mit ihrer Arroganz und Vorurteilen, von der eigenen Schwäche abzulenken, sich selbst zu erhöhen oder nicht selbst zum Opfer zu werden. Da werten sie lieber ab. Atmo 1: CSD-Teilnehmer im Schlossgarten, Stimmen, Musik 6. O-Ton: junge Frau Es kommt auf die Situation an, also wenn`s jetzt nur auf der Straße ist, wenn mir jemand hinterherschreit, dann laufe ich meistens weiter, ich ignoriere es einfach – Sprecher: Eine junge Frau am Christopher Street Day in Stuttgart. Sie sitzt in einer kleinen Gruppe auf dem weiten Rasen des Schlossplatzes. Ein paar Pavillons säumen die Wege. Die gesamte Wiese bis zum Schloss hin ist gefüllt mit meist jungen Demonstrierenden, für die der Spaßfaktor im Vordergrund steht. Es wird viel gelacht, man ruft sich gegenseitig etwas zu und wartet auf den Festzug. Die junge Frau hat ihre halblangen Haare rot gefärbt und streng nach hinten pomadisiert. Sie trägt Stecker über den Augenwimpern und an der Lippe. 7. O-Ton: junge Frau Wenn`s jetzt in der Klasse ist irgendwo auf dem Schulhof, dann gehe ich in Diskussionen ein, weil das meiste kann man mit einfachen Argumenten leicht auseinandernehmen und werten. Es ist teilweise sehr anstrengend, man kann natürlich nicht die Welt an sich für jemanden in fünf Minuten verändern, aber man kann sich verteidigen. Und ich find`s wichtig, das nicht einfach zu ignorieren, sondern zu sagen: Ich bin auch nur ein Mensch, ich bin genau so wie du, du kannst jetzt eigentlich nicht nur aufgrund meiner Sexualität mich so abwerten. Musik: „Mork `n mindy“ – Sleaford mods 2. Sprecher: Sehe das noch wie heute. Der saß da in der Umkleidekabine, schaute hinter seiner dicken Hornbrille zu Boden, mit eingezogenen Schultern in weißer Unterwäsche, und wir standen um ihn herum: Schwuli! Einfach so, obwohl wir überhaupt noch nicht wirklich wussten, was das ist: schwul sein. Wir waren erst 14, brauchten nach dem Schulsport 3
ein Opfer, und da hatten wir es. Saß da und wehrte sich nicht, und wir weiter auf ihn, wie Hyänen. Schwuli! Atmo: CSD-Teilnehmer im Schlossgarten, Stimmen, Musik 8. O-Ton: junger Mann Was ich auch noch wichtig finde, dass man vielleicht die Menschen auch verstehen muss, dass sie vielleicht ne schwierige Kindheit hinter sich hatten, oder einfach das noch nie mitbekommen haben – Sprecher: Ein junger Mann mit regenbogenbuntem Schal schraubt sich aus dem Schneidersitz hoch. 4
9. O-Ton: junger Mann Und natürlich, wenn man dann halt extreme Sachen gegenüber uns oder halt gegenüber LGBT-Leuten macht, dann sollte man das natürlich nicht tolerieren, aber wenn`s jetzt vielleicht nur ein komisches Anschauen ist, vielleicht lieber mit denen reden als halt die so zu verurteilen, weil vielleicht wissen sie es nicht besser oder vielleicht gab`s einfach noch keine Aufklärung damals, und dann alle direkt zu verteufeln ist auch nicht immer super. Musik: „Mork `n mindy“ – Sleaford mods 2. Sprecher: Dabei hatte er nur beim Turnen unglücklich ausgesehen, ungelenk, ausgerechnet am Bock. War mit dem Schoß hängengeblieben und lag mit dem Oberkörper auf dem braunen Polster wie ein nasser Sack, während wir in der Grätsche locker darüber setzten, zumindest die meisten. Hinzu kam, dass er ohnehin komisch war, linkisch, ein Sonderling, der sich immer versuchte anzubiedern, eben weil er wusste, dass er einer war, ein Sonderling. Also Schwuli, so einfach war die Welt. Sprecher: Warum können viele Menschen nicht auf Augenhöhe kommunizieren, sondern greifen zum Mittel der Abwertung? Zeigen auf andere, lachen und fühlen sich gemeinsam mit wieder anderen, und werden darüber gemein. 5
10. O-Ton: Ursula Offenberger Um sich populär zu machen, und um Grenzziehungen vorzunehmen, wir und die anderen, und das ist ja eines der grundlegendsten Mittel, wie Menschen und Gemeinschaften soziale Ordnung herstellen. Sprecher: Ursula Offenberger, Soziologin an der Universität in Tübingen. Sie steht auf den Stufen des Schlosses und schaut interessiert dem Treiben im Park zu. 11. O-Ton: Ursula Offenberger, Soziologin Wenn Sie zum Beispiel auch sich die Frage stellen, woher dieses Bedürfnis kommt, andere abzuwerten, dann würde ich als Soziologin darauf antworten, dass es natürlich ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ist, Ordnung zu stiften, und dafür greifen sie auf Klassifikationsschemata zurück und sortieren Menschen zum Beispiel nach Geschlecht, nach Ethnizität, nach Alter und so weiter, und in diese Grenzziehungen, in diese Klassifikationen und Kategorisierungen sind Hierachisierungen eingelagert, das heißt, wir haben Angehörige einer Klassifikation oder Mitglieder einer Zugehörigkeitskategorie, denen ein höherer Status innerhalb dieser Kategorie zugeschrieben wird. Sprecher: Ursula Offenberger arbeitet an einem Forschungsprojekt, wo es genau um diese Dinge geht: erfahrene Abwertungen in Bezug auf soziale Zugehörigkeit, speziell in Geschlechter- und in Glaubensfragen, und um die Reaktion der Herabgewerteten. 12. O-Ton: Ursula Offenberger, Soziologin Wenn wir jetzt uns die Queer-Community, also die LGBT-Community angucken, die historisch traditionell erst mal von den verfassten Religionen sehr unterdrückt, unter Druck gesetzt worden ist. Dann muss man natürlich erst mal fragen: Warum interessieren die sich dann überhaupt für Religion, und wenden ihr nicht komplett den Rücken zu? Das ist natürlich erst mal ein interessanter Befund, dass auf zum Beispiel Christopher-Street-Day- Paraden inzwischen auch Religionsgemeinschaften sehr präsent sind. Die Kirchen, Islam in Form des Liberal-Islamischen Bundes, jüdische Vereine, und da würde ich sagen: Religion ist eben mehr als nur unterdückend, für Leute, die abweichen, sondern Religion 6
ist offenbar immer auch eine Ressource für viele Menschen für Selbstermächtigung, für sinnstiftende Lebensführung und auch für politisches Handeln. Atmo: CSD-Teilnehmer im Schlossgarten, Stimmen, Musik 13. O-Ton: Stefan Kaufmann, CDU-Politiker Wir hatten also beide den Wunsch, unsere Partnerschaft auch kirchlich segnen zu lassen, sind dann zugegangen auf einen befreundeten Pfarrer, der dann in Rottenburg mal angefragt hatte, ob man sich einen Segnungsgottesdienst grundsätzlich vorstellen kann, das wurde dann aus Rottenburg negativ beschieden – Sprecher: Stefan Kaufmann, CDU-Politiker. Er hat bei der letzten Bundestagswahl sein Mandat in Berlin verloren. Er sitzt auf einer schmalen Bank vor einem Infostand homosexueller Christen. 14. O-Ton: Stefan Kaufmann, CDU-Politiker Dann sind wir auf unseren Gemeindepfarrer zugegangen und haben ihm unser Anliegen geschildert, und er hatte dann die Idee gehabt, sozusagen einen Segensgottesdienst light zu machen, an dessen Ende er dann uns als Paar in den Segen einbezogen hätte. Wir haben dann dementsprechend daraufhin eingeladen, zu diesem Dankgottesdienst mit Segnung, das wurde dann öffentlich, irgendjemand hat einen Brief geschrieben nach Rottenburg, hat mtgeteilt, was wir vorhaben, und daraufhin hat der Bischof von Rottenburg-Stuttgart Gebhart Fürst dem Gemeindepfarrer diesen Gottesdienst untersagt. Und auch jeden anderen vergleichbaren Gottesdienst in irgendeiner Gemeinde des Bistums. Sprecher: Stefan Kaufmann wandte sich schließlich mit seinem Partner an eine Altkatholische Gemeinde in Stuttgart, um die Ehe segnen zu lassen. 15. O-Ton: Stefan Kaufmann, CDU-Politiker Das war harter Tobak, muss ich wirklich sagen, ja. Und natürlich auch der Zweifel jetzt an der katholischen Kirche, ich bin fest davon überzeugt, dass die katholische Kirche homosexuellen Menschen und Paaren eben ein Angebot machen muss, ich sehe 7
natürlich die Schwierigkeiten jetzt mit Rom und Vatikan und Weltkirche, aber wie es dann gelaufen ist, auch dass in der Tat der Bischof ein Gespräch verweigert hat über diese Untersagung, das hat uns schon auch schwer getroffen. Und ich kenne ganz viele Homosexuelle, die auch in der Kirche sind, und die sich das einfach wünschen, dass sie sich aufgenommen und angenommen fühlen, und wenn Kirche das nicht schafft, trotz einer Weltkirche natürlich, die im Vatikan immer versucht, alle Kulturen und Regionen dieser Welt aufzunehmen, hier ein Angebot zu machen – Sprecher: Stefan Kaufmann winkt ab und schaut auf den Pavillon der homosexuellen Christen. Später in der Nacht werden zwei Infostände zerstört. Die Täter sind unbekannt. Musik: „Mork `n mindy“ – Sleaford mods 2. Sprecher: Noch im Unterhemd beschwerte er sich beim Lehrer, und wir zuckten mit den Schultern. Er beschwerte sich bei seiner Mutter und die bei mir, als sie mich mal auf der Straße sah. Ich zuckte mit den Schultern und ließ sie stehen. Wovor hatte ich eigentlich Angst, im tiefen Grunde? Dass mir ein Zacken aus der Krone fällt? Atmo: ein Rapper lästert: „Vergleich dich niemals mit mir, mein Schwanz ist zehn Meter mal vier“ 16. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Narzissten haben ein schwaches Selbstwertgefühl, und das ist der Grund, warum sie andere abwerten müssen. 8
Sprecher: Urusla Nuber, Diplompsychologin und lange Jahre Chefredakteurin der Zeitschrift „Psychologie heute“. Narzissmus war lange Zeit einer ihrer Schwerpunkte, und Narzismuss ohne Abwertung geht eigentlich gar nicht. Er muss ja gefüttert werden. 17. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Sie müssen ständig immer wieder sich bestätigen, dass sie stark sind, dass sie groß sind, dass sie grandios sind, dass sie erfolgreich sind, ich bin besser als -, ich bin besser als mein Kollege, oder als mein Chef, das ist en Dauerdruck, und das ist auch ein Leid, weil – klar es ist ja, man darf eigentlich nicht locker lassen, man kann sich nicht zurücklehnen und sagen: „Alles gut. Ich bin zufrieden mit mir“, aber dieses Leid spüren Narzissten nicht, Sie haben keinen Leidensdruck. Den Leidensdruck haben eher die anderen. Eben die, die abgewertet werden. Atmo: Bahnhofsgeräusche 18. O-Ton: Marion Rung-Friebe, Adipositas-Verband Bei mir war es jetzt so, dass ich als Kind eben schon dick geworde bin, und das war schon mit 7 Jahren, und die Krankheit Adipositas ist natürlich sichtbar. Sprecher: Marion Rung-Friebe, Co-Vorsitzende des Adipositasverbandes Deutschland e.V. Die Frau ist auf dem Weg zu einem Kongress. Sie hat es eilig, also sitzen wir im Treppenaufgang vor der VIP-Lounge des Mannheimer Hauptbahnhofes. 19. O-Ton: Marion Rung-Friebe, Adipositas-Verband Du Fette, nehm doch mal endlich ab. Du stopf nit so viel rein, beweg dich mal mehr, also das sind verbal noch wesentlich schlimmere Sachen, die da auf einen zukommen. Und wenn das schon von Kindheit passiert, passiert eben auch diese Stigmatisierung, dass man tatsächlich denkt, man ist schuld an dieser Krankheit. Man ist schuld, und man kann nix dagegen tun. Man ist blöd, man hat keine, // man kommt einfach nimner weiter, man bleibt alleine, man versteckt sich zu Hause, man will eigentlich gar nimmer so rausgehen. Musik: „Dicke“ - Marius Müller-Westernhagen 9
20. O-Ton: Marion Rung-Friebe, Adipositas-Verband Im Beruf ist natürlich genauso schlimm. Andere steigen im Betrieb viel schneller auf, auch hier werden Adipöse benachteiligt, immer wieder auf des: „Ihr könnt euch nicht bewegen, die anderen sind schneller“, was meistens überhaupt nit stimmt, bei mir war`s bei der Berufswahl so, dass ich da auch wirklich viel Schlimmes erlebt habe, wie dass ein Chef gesagt hat: „Ja ich wollt Sie nur mal sehen, ich will mal so en dicken Mensch sehen, wie der aussieht, aber einstellen würde ich Sie nie. Sie könne sich nit bewegen, und wer schon so dick ist, der hat ja keinen Willen irgendwas zu machen, der kriegt ja noch nit mal das Dicksein in den Griff, also kann er hier auch nit.“ O-Ton Trump 2: Donald Trump lästert: „ … has done a bad job“ Sprecher: Donald Trump galt in den letzten Jahren als das klassische Beispiel für jemanden, der rücksichtslos und scheinbar ohne Not gegen andere austeilte. 21. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Ja natürlich, und er hat ja auch die Diagnose von führenden amerikanischen Psychiatern auch immer wieder bekommen, und natürlich ist er ein Paradebeispiel für den Narzissten und natürlich für den extremen Narzissten. Ich würde sagen: Er hat eine narzisstische Störung, das muss man ja unterscheiden. Also narzisstische Persönlichkeitsstörung ist sehr massiv, und diese Menschen sind in der Regel nicht zu erreichen. Sprecher: Und so leidet das „Möchte-gern-Alphatier“ unter dem ständigen Druck, Alphatier sein zu müssen. 22. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Das Drama des Narzisten beginnt mit dem Drama der Eltern. Also entweder waren die selbst Narzissten, konnten das Kind nicht fördern, und seine Bedürfnisse nicht beachten, haben es vielleicht auch ignoriert, vernachlässigt und so weiter, also die Wurzeln sind sehr früh, und die Bindungsunfähigkeit hat da ihre Ursache. Dieses schwache Selbstwertgefühl ist ja nicht etwas, mit dem sie zur Welt kommen oder kein Mensch kommt auch als bösartiger Narzisst zur Welt, sondern macht bestimmte 10
Erfahrungen in seiner frühen Kindheit, die ihn dazu zwingen sozusagen, sich einen so starken Schutzmantel umzulegen, damit er oder sie nur ja nicht verletzt wird. Und das ist nichts, mit dem man leicht durchs Leben kommt. Und deswegen ist es schon richtig: Eigentlich müsste man Narzissten bemitleiden. Aber weil sie uns so quälen, also weil sie die Nicht-Narzissten so quälen, haben wir natürlich wenig Mitgefühl für sie und können auch nicht verstehen, warum sie so handeln. 23. O-Ton: Marion Rung-Friebe, Adipositas-Verband Und dann werden eben die beim Sport auch schon die adipösen Kinder gar nit aufgerufen, gar nit mitgenommen, und sie bekommen gar nit das Gefühl vermittelt, dass sie sich bewegen können, und sie machen dann auch ja eigentlich auch freiwillig nit mehr mit und wollen auch gar nicht mehr mitmachen, weil sie nur verarscht werden oder gehänselt werden und doch sitzenbleiben, sodass die den Spaß an der Bewegung und am Draußensein einfach verlieren. Und die Gefahr besteht dann bei den adipösen Kindern, dass die in ne Depression abrutschen. Das schon im Kindesalter. Musik: „Mork `n mindy“ – Sleaford mods 2. Sprecher: Manchmal spürten wir, jeder für sich, Mitleid, aber auszuscheren, wagte keiner von uns, da in der Umkleidekabine, wir alle in weißer Unterwäsche, im Halbkreis um ihn herum, als wir ihn in der Mangel hatten. Da hätte nämlich passieren können, dass wir genauso als Schwuli angesehen worden wären. Wer will das schon? 24. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Ja, weil es ist halt so schwer auszuhalten, auch unter Kindern ist das wirklich häufig zu beobachten, dass sie es nicht aushalten, sich außerhalb einer Gruppe zu fühlen und zu stellen. Man muss dazu erzogen werden oder man muss dann auch den Mut haben, so viel Zivilcourage zu zeigen, dass man sich gegen die Gruppe stellt und dass man sich vor jemanden stellt und dass man Abwerter auch wirklich als diese bezeichnet. Das ist sehr viel schwieriger. Man braucht dann sehr starken Willen und ein sehr starkes Ego, und starkes Rückgrat, sich dagegen zu stellen. 25. O-Ton: kleiner Junge Also in der Schule bemerke ich schon auch, dass immer ein Kind in meiner Klasse gemobbt wird, und wir beschützen das Kind, ich hab ja vorhin noch mit dem -, schütze ich 11
halt dieses Kind, aber die anderen sind viel mehr und so, und das Kind ist halt schon traurig und so. Autor: Warum wird das gemobbt? Weil es halt nicht so gut ist, in Schule und so. 26. O-Ton: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin Im Rahmen des islamischen Religionsunterrichts ist es natürlich auch wichtig, dass wir andere Religionen und Religionsgemeinschaften behandeln, das machen wir so vor allen Dingen in der Klasse drei und vier, und sieben und acht in den Jahrgangsstufen, und dann geht`s ganz stark darum, auch Bezüge der eigenen Religion zur anderen Religion herzustellen, Parallelen herauszuarbeiten, aber eben auch Unterschiede herauszuarbeiten. Sprecher: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin, muslimische Religionspädagogin und Publizistin. 12
27. O-Ton: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin Und natürlich ist es ein wesentliches Ziel eines Religionsunterrichts, junge Menschen nicht nur religionsmündig zu erziehen, sondern auch friedfertig, also das Verbindende immer als Brückenbauer im besten Sinne zu erziehen. Sprecher: Lamya Kaddor unterrichtete einige Jahre an einer Grundschule in Dinslaken im Ruhrgebiet. Später schlossen sich fünf ihrer Schüler der „Lohberger Brigade“ an und zogen für den Dschihad nach Syrien. Lamya Kaddor empfand das damals als persönliche Niederlage. Musik: „Ouad el Habib“ - Yello Man könnte das nun mit Häme abtun, man kann daran aber auch erkennen, wie schwierig es ist, Toleranz zu vermitteln und jungen Menschen zu helfen, Ängste vor dem Anderssein zu überwinden. Lamya Kaddor kann das beurteilen. Sie hat, wenn man so will, in einer denkwürdigen Dreifaltigkeit als Abgewertete Erfahrung gesammelt: Als Muslima, als Kind von Einwanderern und als Frau, die den liberal aufgestellten „Islamischen Bund“ mitgegründet hat. Aber fangen wir mit ihrer Herkunft an, und wie Menschen mit anderen umgehen, wenn sie nicht wissen, in welche Schublade die sollen, um sie einzuordnen, zu werten, möglicherweise abzuwerten. 28. O-Ton: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin Und dann sieht man häufig ne Verwunderung im Gesicht des Gegenübers, und dann kommt meistens die Frage, wow, aber du bist schon irgendwie anders oder? Also diese Feststellung des Andersseins also im Sinne von einer Exotisierung in gewisser Weise, was natürlich auch schon rassistisch ist, oder manchmal schafft`s das Gegenüber dann auch, eine bestimmte Frage nicht zurückzuhalten: Ach, aber dafür kannst du aber ziemlich gut Deutsch. Oder: Ja aber dann bist ja nicht so gläubig wie andere Muslime oder? Es gibt keinen Normalzustand. Sprecher: Bleiben wir im Bild: Ich sitze jemandem gegenüber, versuche gerade meine Schublade neu zu ordnen: eine Frau, westlich gekleidet, stammt aus Syrien, aber dennoch mit starkem Willen - wo ist der Widerspruch? -, anscheinend nicht streng religiös und dann hat sie auch noch eine eigene Meinung zu anderen Religionen. Und indem ich meine Schubladen zerwühlt sehe - immerhin krempelt da jemand meine Ordnung um - reagiere ich erstmal abwehrend und dann womöglich abwertend. Irgendetwas wird schon mit 13
meinen ersten Eindrücken stimmen. Und eine Muslima, die sich ins Christentum einmischt, geht gar nicht, oder? 29. O-Ton: Lamya Kaddor, Islamwissenschaftlerin Tatsächlich tun sich monotheistische Weltreligionen im Moment jedenfalls sehr schwer. Immer noch sehr schwer mit der gleichberechtigten Rolle von Frauen innerhalb ihrer Theologie und auch innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft, und das ist im Moment ganz stark thematisiert im Katholizismus, Maria 2.0 ist ja eben so ne Initiative, die sich sehr stark dafür macht für die Rechte von Frauen innerhalb der Kirche. Wir haben als Muslime ähnliche Bewegungen, aber vielleicht noch nicht so weitreichende Bewegungen tatsächlich, die ne Gleichberechtigung, ne Gleichbehandlung von Frauen innerhalb der islamischen Theologie auch genauso anstreben, - 14
Musik: „Mork `n mindy“ – Sleaford mods Sprecher 2: Damals hatten wir noch keine Muslime in der Klasse. Nur einen Spanier, Gastarbeiterkind, so hieß das. War eigentlich ganz nett, verstand aber nicht viel. Und wir hatten ja unseren Schwulen, von dem wir überhaupt nicht wussten, ob er einer war. Der fing später an, Adolf Hitler zu parodieren, weil er merkte, dass er damit Punkte sammeln konnte. Wir standen um ihn herum und lachten, auch der Spanier grinste. Nach seiner Show-Einlage schlugen wir ihm auf die Schultern. Schwul blieb er für uns trotzdem. Dann fing er noch an, sich beim Bloßstellen unseres anderen Opfers hervorzutun, dem Lateinlehrer. Er äffte vor ihm und allen anderen dessen Lispeln nach und musste dafür zum Direktor. Das war wie ein Ritterschlag: unser schwuler Held! Musik: „Here I am“ – Scorpions Sprecher: Das Dumme ist, beinahe im wahrsten Sinne des Wortes, dass Abwerter für stark gehalten werden, ganz einfach, weil sie es sich leisten, forsch zu sein. Sie sind Cowboys, feiste Streiter, die sich in den Wind stellen. Das zieht einen leicht an. 30. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Dass Narzissten im Grunde immer einen auch gegenüber finden, die selbst in gewisser Weise narzisstisch sind, also so jemand wie Donald Trump ist ein scheinbar unabhängiger Narzisst. Also dieses aufgeblähte Ego. Es gibt aber auch die abhängigen Narzissten, also in der Fachliteratur heißen sie Echoisten, also die Echos, die sind die Bewunderer, die dem Narzissten die Anerkennung geben, in der Hoffnung, dass ein Stück weit etwas von dem Glanz des Narzissten auf sie abfällt, und sie dadurch stärker werden. Deswegen so Leute wie Trump finden immer Anhänger – O-Ton, Archiv 3: Donald Trump: You have to show strength and you have to be strong (Jubel) Sprecher: Nicht nur das. Donald Trump fand in seiner Fangemeinde erstaunlich viele Frauen und ebenso Einwanderer, die ihm zujubelten, und nicht nur das. 31. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin 15
Wir wollen dazu gehören, wir wollen nicht ausgeschlossen sein. Und wenn wir durch Abwertung das Gefühl haben, wir gehören nicht mehr dazu, wir sind jetzt ausgeschlossen, die Gruppe hat uns irgendwie ausgestoßen, dann versuchen Menschen schon mit allen Mitteln manchmal wieder in die Gruppe zu kommen. Das Paradebeispiel ist eigentlich in Betrieben, in Firmen, wenn Kollegen, Kolleginnen einen anderen ausgrenzen, vielleicht auch Mobbing ausüben, Gerüchte verbreiten, dass dieser Mensch dann sich oft ebenso schäbig verhält, um wieder dazu zu gehören. Um nicht ganz so vereinzelt zu sein, und nicht alleine zu sein, und ja, wieder aufgenommen zu werden in die Gruppe. Sprecher: Wie soll die Welt gesunden, wenn Hochnäsigkeit und Abwertung sich verbreiten wie Viren? Wenn sich schwach Fühlende aufblähen und angeblich Starken nacheifern, Mitmenschen mobben, um sich zumindest kurzzeitig zu erhöhen und zu glänzen im eigenen engen Kreis, aus dem dann wieder und wieder und so weiter … Musik: „Here I am“ – Scorpions Dabei ist es gar nicht schwer, Diffamierer, Ausgrenzer, die Möchte-gern-Alphatiere zu demaskieren, aber da sie partout nicht aufhören wollen: Wie geht man denn nun am besten mit ihnen um? Geht das überhaupt? Wie können wir diese Menschen, die uns entwürdigen, von ihrem blinden Wüten herunterbringen? 32. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Man kann wirklich sagen: Menschen, die andere so runtermachen müssen, weil sie kritisiert werden, weil sie sich vielleicht getroffen fühlen, weil sie das Gefühl haben, sie verlieren den Boden unter den Füßen, denen geht es elend schlecht. Sie haben wirklich Angst, ihren Halt zu verlieren. Und dann werden sie, je nachdem wie schwerwiegend die Verletzung ist, werden sie bösartig, hauen um sich, beschimpfen, was immer auch ihnen dazu hilft, das Ganze von sich wegzuschieben. Wenn wir das erleben, dass uns jemand so runtermacht oder auf das Heftigste runtermacht, sollten wir immer mal überlegen, worunter leidet er im Moment? Bevor man zu sehr verletzt wird dann durch ne Abwertung, hilft es oft zu sagen: „Meine Güte, was ist mit dir denn los, dass du so um dich schlagen musst?“ Sprecher: Die Kraft bringe erst mal jemand auf, denjenigen zu helfen, die einen heruntermachen. In einer Partnerschaft: Sie verletzt ihn bei einer Party und er bleibt cool? Oder nimmt sie in den Arm, weil er ihre eigene Schwäche erkannt hat? 16
33. O-Ton: Ursula Nuber, Psychologin Wenn man Abwertung erlebt oder Abwertung beobachtet, sollte man`s immer benennen, was dadurch ausgelöst wird. Also sagen: „Was du da jetzt tust, das verletzt mich zutiefst.“ Wichtig wäre immer, dass man über die eigenen Emotionen redet, die eigenen Gefühle, in der Literatur sagt man: „Man könnte dem Narzissten auf diese Weise Empathie möglicherweise ein bisschen beibringen.“ Also man spricht da von Empathie- Einflüsterungen. 34. O-Ton: Marion Rung-Friebe, Adipositas-Verband Selbst bei mir, als ich angefangen hab mit diesem Thema, und ich hab mich ja dann adipositas-chirurgische Maßnahme, also ner Operation unterzogen, dass ich abnehme, und dann habe ich festgestellt, „Oh wie ist das denn in meinem Kopf verankert?“ Wenn ich dann adipöse Menschen auf der Straße gesehen hab, habe ich gedacht: „Och, da wär vielleicht ne Operation auch nit schlecht.“ Bis ich gemerkt hab, „Mein Gott, Marion, das ist eine Abwertung! Du diskriminierst die Leute, du kennst ihr Leben nit, du läufst nit in ihren Schuhen“, und hab`s tatsächlich gemacht. Sprecher: Zurück bleiben zwei Opfer: Mobber und Gemobbte. Wenn aber alle auf Augenhöhe miteinander kommunizieren würden, ohne Arroganz und Diskriminierung, gäbe es kein Opfer. Musik auf Schluss 17
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