Aufgeschobener Kosten- und Prämienanstieg? - 3 | 2021 - Santésuisse

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Aufgeschobener Kosten- und Prämienanstieg? - 3 | 2021 - Santésuisse
3 | 2021

Aufgeschobener Kosten- und
Prämienanstieg?
Coronapandemie erschwert Kostenprognosen

                                                    Die Leistungskosten in der obligatorischen            Kostendämpfende Massnahmen
                                                    Krankenpflegeversicherung (OKP) ziehen                weiterhin wichtig
                                                    wieder an. Allerdings ist derzeit nicht mit           Lange Jahre hat sich der Anstieg der Leistungskos-
                                                    einer Prämienexplosion zu rechnen.                    ten in einem Band von 2,5 bis 3,5 Prozent bewegt.
                                                    Trotzdem, oder gerade deswegen, müssen                santésuisse hat noch vor dem Ausbruch der
                                                    kostendämpfende Massnahmen weiterhin                  Pandemie mit Blick auf die allgemeine Entwicklung
                                                    mit Nachdruck umgesetzt werden.                       der Gesundheitskosten darauf hingewiesen, dass ein
                                                                                                          Kostenwachstum nur im Rahmen der Teuerung und
                                                    Die Pandemie hat die obligatorische Krankenpflege-    der Effekte der demografischen Alterung vertretbar
Jetzt sparen für die Zukunft                        versicherung (OKP) bisher mit Kosten von über 700     ist. Ein darüber hinaus gehender Kostenanstieg
                                                    Millionen Franken belastet. Dieser Betrag war weder   deutet auf überhöhte Vergütungen hin, die nicht dem
Die gute Nachricht vorweg: Der Prämienanstieg für   in die Prämienberechnungen für 2020 noch für 2021     Wirtschaftlichkeitsgebot des Krankenversicherungs-
2022 wird moderat ausfallen – vor allem dank den    einbezogen. Es ist deshalb richtig und im Sinne der   gesetzes (KVG) entsprechen. Seite 2
Krankenversicherern. Mit ihren soliden Reserven     Prämienzahlerinnen und –zahler, dass die unvorher-
sind sie in der Lage, die Corona-Mehrkosten von     gesehenen Pandemiekosten über die Reserven der
über 700 Millionen Franken abzufedern. Trotzdem     Krankenversicherer gedeckt werden.
braucht es dringend Sparmassnahmen: Im ersten       Aus den Kostendaten des ersten Halbjahres 2021           Gemeinsam den Tarif der
Halbjahr 2021 sind die Kosten erneut um 4 Prozent   lässt sich zum heutigen Zeitpunkt keine auf uns          Zukunft gestalten
gestiegen, dies nach einem moderaten Kosten-        zukommende Prämienexplosion herauslesen. Der             Um sicherzustellen, dass gleiche Leistungen gleich
wachstum im Coronajahr 2020. Parlament und          Vergleich der Halbjahreszahlen von 2021 mit den          vergütet werden, hat die Tariforganisation
Kantone sind jetzt gefragt, wieder mehr Kostenbe-   Vorjahren zeigt vor allem Verschiebungen bei             «solutions tarifaires suisses» bereits über 200
wusstsein walten zu lassen, sonst werden die        Leistungen, die wegen der Pandemie zurückgefahren        Pauschalen ausgearbeitet. Diese beruhen auf
Prämienrunden in den nächsten Jahren weit           beziehungsweise ausgebaut werden mussten. Der            reellen Kosten- und Leistungsdaten, sind dadurch
schmerzhafter ausfallen!                            Anstieg der Kosten von rund 4 Prozent im ersten          für alle Beteiligten nachvollziehbar und tragen zur
                                                    Halbjahr 2021 gegenüber dem Vorjahr stellt               Dämpfung des Kostenwachstums bei. Jetzt sind die
Heinz Brand, Präsident santésuisse                  angesichts der Unsicherheiten über die weiteren          Tarifpartner gefragt, gemeinsam auch Lösungen für
                                                    Kosten aus der Pandemiebewältigung eine                  diejenigen Leistungen zu suchen, die sich nicht
                                                    Momentaufnahme dar.                                      pauschalieren lassen. Seite 3
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2   BRENNPUNKT _ santésuisse

Keine Prämienexplosion
wegen Coronavirus
Unsicherheit über künftige Pandemiekosten bleibt bestehen

Bis Ende Juni 2021 hat das Coronavirus Kosten           Franken. Ganz anders das Bild im ersten Halbjahr     gegenüber 2019 noch um über 7 Prozent. Anders
von über 700 Millionen Franken zulasten der             2021: Nicht unerwartet wurde mindestens ein          dagegen im laufenden Jahr, wo die Kosten ge-
obligatorischen Krankenpflegeversicherung               Teil der 2020 nicht durchgeführten Behandlungen      genüber 2020 um über 3 Prozent zurückgegangen
(OKP) verursacht. Eine Prämienexplosion ist             nachgeholt. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt   sind. Dafür hinterlassen die Spitex-Leistungen
trotzdem nicht zu befürchten. Allerdings stei-          bei den Arztbehandlungen feststellbar, wo die        deutliche Spuren. Während im ersten Semester
gen die Gesundheitskosten im laufenden Jahr             Kosten pro versicherte Person um fast 7 Prozent      2020 ein Plus von 3 Prozent zu 2019 resultierte,
erneut an – bis jetzt um satte 4 Prozent.               gestiegen sind. Prozentual am stärksten zeigt sich   haben die Kosten im ersten Halbjahr 2021 um
                                                        der Anstieg bei den Physiotherapieleistungen.        5 Prozent gegenüber 2020 zugenommen. Aus
Kosten von mehr als 700 Millionen Franken hat die       Nach einem Rückgang im letzten Jahr um fast 9        diesen Zahlen lässt sich ein Verlagerungsef-
Corona-Pandemie bis Ende Juni 2021 verursacht.          Prozent, beträgt der Anstieg im ersten Semester      fekt herauslesen, wonach in der Pandemie in
Diese zusätzliche Belastung für die obligatorische      2021 satte 21 Prozent.                               erhöhtem Mass die Pflege zu Hause derjenigen
Krankenpflegeversicherung (OKP) führte aus zwei                                                              im Pflegeheim vorgezogen wurde.
Gründen nicht zu einem Prämienschub: Erstens
haben die Leistungserbringer in einigen Bereichen                                                            Aussichten: Kosten steigen weiter
weniger Behandlungen durchgeführt. Aufgrund             Die Krankenversicherer kön-                          Alles in allem haben die Krankenversicherer im
der Massnahmen des Bundesrates wurden viele                                                                  ersten Halbjahr 2021 Mehrkosten von rund 4
stationäre Eingriffe verschoben und ambulante
                                                        nen die unvorhergesehenen                            Prozent gegenüber dem Vorjahr registriert. Die
Behandlungen weitgehend auf Notfälle beschränkt.        pandemiebedingten Leistungs-                         Kostenentwicklung ist einerseits von Nachho-
Zweitens konnten die Krankenversicherer die                                                                  leffekten geprägt, andererseits kommen neue
                                                        kosten vollumfänglich mit
unvorhergesehenen pandemiebedingten Kosten                                                                   Pandemiekosten hinzu. Die Zahl der Hospitalisie-
vollumfänglich mit ihren Reserven decken.               ihren Reserven decken.                               rungen von Covid-Patientinnen und -patienten ist
                                                                                                             in den letzten Wochen erneut gestiegen und die
Nachholeffekte im 2021                                                                                       höheren Fallkosten hinterlassen deutliche Spuren
Der Vergleich der Kosten im ersten Halbjahr 2021        Verlagerungseffekte bei der Langzeitpflege           in den Kassen der Versicherer.
mit jenen der Vorjahre zeigt die Auswirkungen           Andere Effekte spielen bei der Kostenent-
der Pandemie deutlich. Im ersten Halbjahr 2020          wicklung in der Langzeitpflege eine Rolle. So
sanken die Bruttoleistungen pro versicherte             stiegen die Kosten pro versicherte Person für
Person gegenüber 2019 von 1995 Franken auf 1992         Pflegeheim-Leistungen im ersten Semester 2020

Arzt- und Spitalbehandlungen                                                      Langzeitpflege
Kosten pro versicherte Person: Entwicklung 2019 – Juni 2021                       Kosten pro versicherte Person: Entwicklung 2019 – Juni 2021
480 CHF                                                                            130 CHF
460                                                                                120
                                                                                   110
440
                                                                                   100
420                                                                                 90
400                                                                                 80
                                                                                    70
380
                                                                                    60
360                                                                                 50
340                                                                                 40
                2019                   2020                      2021                              2019                   2020                  2021
CHF                                                                                CHF
          Arztbehandlungen           Spital stationär           Spital ambulant              Pflegeheime         Spitex
      Quelle: SASIS AG                                                                   Quelle: SASIS AG
Aufgeschobener Kosten- und Prämienanstieg? - 3 | 2021 - Santésuisse
santésuisse _ BRENNPUNKT   3

Kompetenzen
bündeln für den
Tarif der Zukunft
Keine unterschiedlichen Vergütungen mehr
dank ambulanten Pauschalen

Mit der Gründung der gemeinsamen Tariforga-         Schätzungen, die die Kostenrealität in der Praxis    Ist jede Leistung pauschalierbar?
nisation «solutions tarifaires suisses» im Juni     nicht abbildeten, zudem wurde der Vorschlag          Natürlich findet sich nicht für jede Leistung ein
2021 haben die Tarifpartner santésuisse, H+         vom Bundesrat als viel zu kompliziert taxiert. Die   Pauschalpreis. Eine Sitzung beim Arzt, die Bespre-
und FMCH die gemeinsame Basis geschaffen            Befürworter des neuen Tarifs konnten ausserdem       chung der Ergebnisse und die Vorbereitung der
für ein transparentes und nachvollziehbares         nicht aufzeigen, wie die grosse Gefahr einer Kos-    Patienten auf eine Behandlung können unterschied-
Tarifwerk, das das hohe Niveau des schwei-          ten- und damit Prämiensteigerung abgewendet          lich viel Zeit in Anspruch nehmen, doch Bildge-
zerischen Gesundheitswesens langfristig si-         werden könnte.                                       bungsverfahren oder der eigentliche Eingriff sind
chert. Im Herbst reichen sie nun den Arzttarif                                                           durchaus pauschalierbar. Darum ist ein Zusammen-
der Zukunft beim Bundesrat ein.                     Heute kostet ein Spitaleingriff unterschiedlich,     spiel aus Einzelleistungs- oder Zeittarifen sowie
                                                    abhängig davon, in welchem Kanton oder in wel-       Pauschaltarifen nötig, um eine faire, einfache und
Im Sommer 2021 präzisierte das Parlament den        chem Spital dieser erfolgt. Um sicherzustellen,      transparente Vergütung zu gewährleisten. Jetzt
gesetzgeberischen Willen zum Arzttarif der          dass gleiche Leistungen gleich vergütet werden,      sind die Tarifpartner gefragt, gemeinsam auch
Zukunft und definierte ambulante Pauschalen ab      hat die Tariforganisation bereits über 200 Pau-      Lösungen für diejenigen Leistungen zu suchen, die
sofort als Kernelement der Leistungsvergütung.      schalen auf der Grundlage von mehreren hundert-      sich nicht pauschalieren lassen.
Diesem Ziel kommen die Tarifpartner santésu-        tausend Fällen ausgearbeitet. Diese beruhen auf
isse, H+ und FMCH nach, indem sie ein auf am-       reellen und transparent erhobenen Kosten- und
bulanten Pauschalen basierendes umfassendes         Leistungsdaten, sind dadurch für alle Beteiligten
Tarifwerk erarbeiten und dem Bundesrat bis Ende     nachvollziehbar und tragen zur Dämpfung des          Bereits wurden über 200
2021 vorlegen.                                      Kostenwachstums bei.
                                                                                                         Pauschalen auf der
Veraltet und intransparent                          Im stationären Spitalbereich bewähren sich           Grundlage von mehreren
Der heutige Einzelleistungstarif Tarmed ist         Pauschalen seit rund 10 Jahren. Die Kostenstei-
                                                                                                         hunderttausend Fällen
veraltet, wenig transparent und die Rech-           gerung ist hier mit rund einem Prozent pro Jahr
nungsstellung für Patientinnen und Patienten        deutlich geringer als in anderen Bereichen. Die      ausgearbeitet.
kaum nachvollziehbar. Mit seinen zahlreichen        von der SwissDRG AG entwickelten Pauschalen
Elementen ist er unübersichtlich, generiert einen   garantieren, dass gleiche Operationen, gleiche
hohen administrativen Aufwand und ist damit         medizinische Abklärungen und gleiche Interventi-
sowohl für Leistungserbringer als auch Patienten    onen pauschal und damit gleich vergütet werden.
unbefriedigend. Im Juni fällte der Bundesrat        Sie verringern den administrativen Aufwand bei
einen ersten Richtungsentscheid, indem er die       der Abrechnung von Leistungen und sorgen für
Einführung eines neuen Einzelleistungstarifes       Planungssicherheit und Transparenz.
zurückwies. Dieser Vorschlag stütze sich auf
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      In Kürze

      Kein Systemwechsel durch die Hintertür                                                                          Pflegeinitiative löst die
                                                                                                                      Probleme nicht
      Der Ständerat muss in der Herbstsession über           Neuenburg würde das heutige System als Ganzes in
      eine Standesinitiative (20.315) des Kantons            Gefahr bringen und den Zielen der letzten KVG-Re-        Aufgrund der demografischen Entwicklung gerät
      Neuenburg befinden, die ein gefährliches Ziel          visionen widersprechen, welche ein einheitliches,        die Pflege zusehends unter Druck. Deshalb soll
      verfolgt. Sie fordert faktisch eine Einheits-          wettbewerbliches System auf Bundesebene an-              sie gezielt gefördert und langfristig gesichert
      kasse.                                                 streben. Eine kantonale Einheitskasse würde auch         werden. Allerdings gehen die Forderungen der
                                                             die Mehrfachrolle der Kantone als Leistungsbestel-       Pflegeinitiative materiell wie auch finanziell viel
      In insgesamt vier Volksabstimmungen hat die            ler, Eigner und Finanzierer weiter zementieren und       zu weit. Am 28. November stimmt die Schweiz
      Schweizer Bevölkerung sich klar für den regulierten    damit zu mehr Ineffizienz führen. Zudem bestünde         über die Pflegeinitiative ab, mit welchen die Ver-
      Wettbewerb in der obligatorischen Krankenpflege-       bei Annahme der Initiative die Gefahr, dass die Tarif-   fassung ergänzt werden soll: Die Nennung und
      versicherung (OKP) ausgesprochen. Das schafft          partnerschaft zwischen Leistungserbringern und           Förderung eines einzelnen Berufszweiges in der
      Anreize für kostendämpfende und prämienwirksame        Krankenversicherern aufgebrochen und die Wahlfrei-       Verfassung sind aber der falsche Ansatz.
      Massnahmen. Die Standesinitiative des Kantons          heit der Versicherten eingeschränkt wird.
                                                                                                                      Die eidgenössischen Räte haben der Pflegeinitia-
                                                                                                                      tive einen indirekten Gegenvorschlag gegen-
                                                                                                                      übergestellt. Dabei ist man den Initianten in zwei
                                                                                                                      wesentlichen Punkten stark entgegenkommen:
      Provisionsverbot schränkt Beratungsangebot ein                                                                  Kantone und Bund sollen angehenden Pflege-
      Mit einer Standesinitiative (18.305) will der Kanton   Beratungen durch qualifizierte Vermittlerinnen           fachkräften Beiträge an Lebenshaltungskosten
      St. Gallen Vermittlerprovisionen in der Grundver-      und Vermittler sind eine nützliche Dienstleistung,       leisten. Weiter können Pflegefachpersonen, Spi-
      sicherung ganz verbieten. Mit seiner Initiative        die von den Versicherten geschätzt wird. Mit             tex-Organisationen und Pflegeheime bestimmte
      negiert er die derzeitigen grossen Bemühungen          einem Verbot von Provisionen für Abschlüsse in           Leistungen ohne ärztliche Anordnung abrechnen.
      der Krankenversicherer und des Parlamentes,            der Grundversicherung würde dieses Angebot               Bei einer Annahme der Pflegeinitiative würde der
      gegen unseriöse Berater endlich effektiv vorgehen      eingeschränkt und der Wettbewerb zwischen den            Gegenvorschlag beerdigt – eine bessere Lösung
      zu können. Für santésuisse ist klar: Kompetente        Anbietern behindert.                                     wäre allerdings kaum zu erwarten.

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