Aufmerksam und neugierig sein - Das Spiel der Kinder als Anlass zur Selbstreflexion - Annette Drüner
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ANNETTE DRÜNER Aufmerksam und neugierig sein Das Spiel der Kinder als Anlass zur Selbstreflexion Eine wunderbare Aufgabe kann es sein, freies Spiel von Kindern zu wenn es Herausforderungen an beobachten. Was lässt sich hier nicht alles entdecken! Die Stärkung nehmen darf, ihrer Persönlichkeitsentwicklung nehmen die Kinder dabei wie von wenn es Verständnis und Trost bei Erlebnissen der Überforde selbst in die Hand. Schauen und hören Erwachsene genau hin, wer- rung oder durch gesetzte Grenzen den sie für die Themen und Lernanlässe der Kinder sensibilisiert. bekommt. D er Artikel benennt einige wichti ge Aspekte des kindlichen Spiels und stellt den begleitenden Erziehe gereicht bekommt, hat es die Mo tivation bald allein zu essen. Obwohl ein Kind mit einer Puppe Andernfalls verliert ein Kind schnell die Motivation etwas zu tun, es gibt eher auf, traut sich weniger Neues zu, rinnen Fragen. Sie dienen der Selbst spielen kann, will es irgendwann lernt schlechter, weil es mit vorrangi reflexion. So kann das aus meiner mit anderen Menschen Rollen gen Bedürfnissen und Gefühlen, wie Sicht wichtigste pädagogische Mittel spiele entwickeln. zum Beispiel Verlustängsten, beschäf überhaupt erarbeitet werden: Die ei Obwohl ein Kleinkind schon gut tigt ist. gene bewusste Haltung! Und gleich zu krabbeln kann, übt es (mühsam) Als gute Entwicklungsbegleiterin Beginn: Natürlich braucht es für vie laufen. hat die Erzieherin hier eine besonde les, was dargestellt wird, bessere per Obwohl ein Kind Schutz bei re Aufgabe: Sie gestaltet bewusst die sonelle und räumliche Bedingungen, Erwachsenen findet, will es selbst Balance zwischen Zuwendung und dafür ist weiter zu kämpfen! Konflikte lösen. Freiraum. Damit dies gelingt, kann Obwohl ein Kind schon sprechen sie sich selbst fragen: Fühle ich mich kann, will es lesen und schreiben in meinem Leben selbst so sicher und Spielen und Entwicklung lernen. frei, dass ich mich Kindern liebevoll All dies und sehr viel mehr tun Kin und interessiert zuwenden kann? Sor „Alle Wesen besitzen inhärente der, ohne dass wir es ihnen „beibrin ge ich gut für mich, auch während der Tendenz zur Entfaltung aller ihrer gen“ müssen! Arbeit? Kräfte. Sie bewirkt Reife, Wachstum Sie schafft damit gute Vorausset und Bereicherung des Lebens.“ zungen, um Kinder im Wechselspiel Carl Rogers Bedürfnisse, Bindung und von Versorgtsein und Spielen ihre ei Beziehung genen Ideen und Fähigkeiten entfal Das Kind entfaltet und entwickelt ten lassen zu können. sich, indem es spielt. Wenn es spielt, Das Kind spielt, übt und lernt dann macht es seine Arbeit: Von der Nah intensiv und ausdauernd, rungsaufnahme bis zu den ersten wenn es die Sicherheit guter Bin Kinder, die „nicht gut Schritten, vom Sprechen bis zum An dung und Beziehung zu Erwachse spielen können“ ziehen ist alles Spiel! Das gelingt am nen erleben kann, besten in einer emotionalen Atmo wenn es sich geliebt und ange Die gute Qualität des Spiels ist durch sphäre, in der ausreichend Raum, viel nommen fühlt und sich sicher verschiedene Phasen und wechselnde Zeit und angemessenes Material vor sein kann, willkommen zu sein Aufmerksamkeiten (Pikler et al.) ge handen sind. Das Kind erlebt die ei und einen eigenen Platz bean kennzeichnet. Einmal orientiert ein genen sensorischen und motorischen spruchen zu können, Kind sich nach „innen“, scheint sich Möglichkeiten, erkundet sich und die wenn physische Grundbedürfnisse zu fragen, „Was interessiert mich ge Welt. Es folgt den in ihm liegenden nach Nahrung, Schlaf und Pflege rade?“ Dann wieder schaut es nach Impulsen und schreitet selbsttätig regelmäßig und liebevoll befrie „außen“ und scheint sich zu fragen, in seiner Entwicklung voran. Ist das digt werden, „Was oder wer ist reizvoll und passt Kind in einer Fähigkeit zu Sicherheit wenn jemand schnell und an gerade zu mir?“ Wenn es sich im Spiel gekommen, gibt es diese Sicherheit gemessen auf seine Interessen befindet, variiert seine Konzentrati immer wieder auf und wagt das Neue: reagiert und es sich beantwortet onstiefe, indem es Bekanntes übt und Obwohl ein Kind genug Nahrung fühlt, festigt. Oder es probiert Neues aus, 20 TPS 1 | 2015
Spiel WERKSTATT Seit Tagen spielen die Kinder Katze - ge- füllte Milchschälchen gehören dazu um Grenzen zu erweitern und Fähig keiten hinzu zu gewinnen. Und: Es ruht sich immer wieder aus, scheint etwas zu verdauen, zu verarbeiten und zu verinnerlichen. Dieses natürliche Wechselspiel ist nicht selbstverständlich, scheint vor allem den Kindern schwer zu fallen, die im Kindergartenalltag aufgrund ihres herausfordernden Verhaltens von uns besonders intensiv erlebt werden. Die Aufforderung an die Er- wachsenen Ein Zitat aus einer Fallbesprechung: „Der will ja nur Zuwendung, deshalb ist er so aggressiv, er ist so unkonzen triert und nervt die anderen.“ Das ist es – der Junge braucht Zuwendung und nur, wenn er sie bekommt, wird sein Verhalten sich verändern kön nen! Nur dann kann er etwas lernen und sich in die Gruppe einordnen. Es geht um das Grundbedürfnis von Zugehörigkeit und Beziehung. Es wird insbesondere von jenen Kindern ein gefordert, die dies im eigenen familiä ren Rahmen in geringem Maße erfah ren. Hier ist die Rolle der Erzieherin eindeutig: Nur wenn sie bereit ist, dem Kind die fehlende Zuwendung zu geben, wird dieses in die Lage ver setzt, sich auf Spielprozesse und die Gemeinschaft der Kinder einzulassen. Oft ist es schon außerordentlich hilf reich, wenn sich eine Erzieherin zehn Minuten dem „schwierigen“ Kind zu wendet und etwas mit ihm tut, was für beide positiv besetzt ist. Dies sollte täglich und unabhängig von seinem Fotos: Andrea Schreiber Verhalten geschehen. Damit kann die Erzieherin dem Kind selbst und allen anderen ein neues Bild vom Kind und seinen Möglichkeiten verschaffen. Sie kann sich selbst fragen: Welches Bild TPS 1 | 2015 21
Was Fachkräfte aus Praxis und Lehre sagen Andrea Schreiber, Leiterin der St. Nicolai Kita Coppenbrügge erzählt: „Ein lebendiges, aufregendes und lustvolles Spiel geht seit Tagen durch den Kindergarten. Ich habe beobachtet, wie Kinder unter- schiedlichen Alters Katze spielen und deren Verhalten imitieren. Gern möchten sie auch ausprobie- ren, so wie Katzen zu trinken. Der Impuls ihnen Schalen mit Milch hinzustellen reicht aus, um das Spiel der Kinder weiter lebendig zu halten. Ich bin dabei, um Erfolge und Freude zu spiegeln und um bei Fragen und Unsicherheiten zur Seite zu stehen. Ich beobachte ein zweijähriges Krippenkind, das in das Katzenspiel der Kindergartenkinder involviert ist. Es geht zurzeit nur zum Mittagessen, weil es dort „Katzenfutter“ gibt und nur zum Wickeln, weil es sich dabei um ein „Katzenklo“ handelt. Ja, wenn die Kinder spielen, dann mit ganzem Herzen.“ Arjeta Govori, Erzieherin in der Wiegenstube des Waldorfkindergarten in Osnabrück: „Als ich verstanden hatte, was ein neuer Weg in der Begleitung von kindlichem Spiel sein kann, wurde mir klar, dass es mehr Arbeit ist! Ich habe früher oft mit einer kleinen Gruppe ein Angebot gemacht und war dadurch entlastet ständig zu beobachten, ansprechbar zu sein und mir Gedanken zu machen, was die Kinder brauchen. … Aber, es ist jetzt viel schöner: Ich habe Zeit für einzelne Kinder, weil die meisten ja gut spielen. Ich freue mich daran, dass die Kinder genau wissen, was sie tun wollen, sie haben tolle Ideen, sie zeigen gern, was sie tun, wir sprechen darüber, teilen unser Denken. Mitspie- len brauche ich da nicht, ich stehe nicht im Mittelpunkt, wie bei einem Angebot, das ich mir ausge- dacht habe und anleite. Das macht aber nichts, ich sehe, wie glücklich die Kinder sind, wie stolz, und dann mache ich mir klar, dass ich es mitgestalte. Erst war ich ja sehr skeptisch, aber jetzt bin ich stolz und kompetenter.“ Antje Steffens, Dozentin der Hephata Akademie für soziale Berufe in Schwalmstadt: „Ja, Kinder in ihrem Spiel begleiten, das so ernst ist, weil es um ihre eigenen Fragen geht, mit der sie die Welt entdecken und doch so frei ist, weil ihre Neugier sie trägt.“ habe ich von mir? Welches Bild von Kontakt mit meiner eigenen Neugier? diese Frage hin untersucht wird, kom diesem Kind? Bin ich bereit ein positi Habe ich Freude daran, mit den Kin men oft erschreckend wenige Zeiträu ves Bild anzunehmen und mein altes dern in Beziehung zu sein? Will ich me zusammen, in denen Kinder nicht Bild von mir selbst und dem Kind zu herausbekommen, was sie denken verplant und zeitlich eingegrenzt revidieren? Damit schafft sie auch für und was sie brauchen, um ihren mo sind. Eltern werden oft für dieses Ver Kinder mit schwierigen Lebenslagen mentanen Interessen nachzugehen? halten kritisiert, aber auch in der Kita neue Entwicklungschancen. Habe ich Lust, Räume zu gestalten? ist es nicht oder nur bedingt anders. Oder habe ich eine Kollegin, die das Die Kita wird immer mehr zum Le gern tut? Wie komme ich an Material bensort für Kinder. Sie ist nicht mehr Räume und Materialien, die oder wie organisiere ich, dass ande die Institution, die Kinder nur für den einladen und herausfordern re etwas mitbringen, schenken oder Vormittag besuchen. Somit sind ganz sammeln? andere Konzepte gefragt! Eine Innen- und Außenraumgestal Es wirkt die innere Einstellung der Kinder, die allein oder gemein tung, die die Neugier befriedigt, in der Erzieherin. Das Kind erkennt schnell, sam ins Spiel vertieft sind, die an ei es etwas zu entdecken gibt, die sich ob sie es ernst meint mit der Unter ner Sache „dranbleiben“, die etwas verändert und sich gestalten lässt, stützung seiner Neugier auf die Welt. über mehrere Tage weiterentwickeln, stellt eine wunderbare Spielumgebung wären ein schönes Ziel. Kinder, die für Kinder dar. Zu wissen, wo Spiele sich zwischendurch ziellos bewegen, liegen, und wann man sich in welches Zeit, Ruhe und Langeweile herumsitzen, sich ausruhen oder Angebot einwählen kann, wirkt dage schlafen dürfen und eine schöpferi gen manchmal recht eintönig. Wie viel Zeit haben die Kinder zum sche Pause einlegen können, wären Die Erzieherin kann sich hier selbstbestimmten Spiel? Wenn der ein gutes Zeichen. Respekt vor dem zu weiterführend fragen: Bin ich im Tagesablauf einmal mit der Uhr auf eigenen Tempo des Kindes zu haben, 22 TPS 1 | 2015
Spiel WERKSTATT darin liegt viel Sinn in unserer hek die vielfältige Nutzung von Mate Spiel brauchen? Erkenne ich, ob ein tischen Zeit. Eckmann schreibt: „ ... rial, Möbeln und Räumen zuzulas Kind sich über längere Zeit nicht be lange verweilen können, das klingt sen, schäftigen kann, weil ihm Anregun nach Zwanglosigkeit, Stressfreiheit, mit Gelassenheit entstehender gen, Material oder Zuwendung feh friedlichem Dahindödeln [...]. Lange- Unordnung zu begegnen, len? Weile enthält in sich Tiefe der Stille eine innere Überzeugung zu So schafft sie Bedingungen für Ler und ihre unaufdringliche Wirkung, gewinnen, den Werken der Kinder nerlebnisse und kann darüber leicht aus der heraus die Ideen und Träu respektvoll zu begegnen, eine Geschichte schreiben. ■ me wachsen, die Wirklichkeiten der genügend Aufbewahrungsmög Dichter, Intuitionen und Visionen.“ lichkeiten zur Verfügung zu stel Langeweile ist eine Zeitlücke, in der len, bis ein Spielprozess zu Ende neue Spielideen entstehen. Nach so ei ist, Quellen ner Pause kann das Kind zum Interes so wenig Regeln und Strukturen Eckmann, Theo (2005): Sozialästhetik – Lernen se zurückkehren und Neues umsetzen. wie nötig zu installieren, im Begegnungsfeld vom Nähe und Freiheit. Schriftenreihe Beiträge zur Sozialästhetik, Ist das in der eigenen Kita möglich volles Zutrauen in Lösungswege Band 5. Bochum: Projekt Verlag oder erklingt ein Aufräumglöckchen? der Kinder zu haben, Loriot in youtube: „Herrmann“ In einem wundervollen Sketch von die eigene Zurückhaltung und das Loriot sagt seine Figur Herrmann: „Ich Innehalten als wichtige pädagogi möchte einfach nur hier sitzen.“ Kin sche Haltung einzuüben, der möchten manchmal einfach nur individuelle Wege der Kinder herumgehen, liegen, laufen, durch anzuerkennen, Freude an deren die Gegend radeln, aus dem Fenster Werken zu zeigen, Interesse zu schauen – sie haben dabei kein Ziel, es haben, im Dialog über ihr Tun zu geht um die Sache selbst, das „Einfach- sein, statt das Universallob „su nur-Dasein“. Offenbar sind diese Zei per“ über alle auszuschütten, ten notwendig, um innere Verarbei anzuregen, hinzuführen, versteck tungsprozesse ablaufen zu lassen und te Absichten der Kinder in Fragen um neue Ideen zu bekommen. zu kleiden … Wie ergeht es der Erzieherin da mit? Nimmt sie sich selbst Zeit zum Heißt mehr beobachten weniger tun? Anzeige „Chillen“, zum Verdauen und zum So sieht es vielleicht von außen aus, Besinnen von Erlebtem? Wann hat sie da das sichtbare Handeln der Erziehe das letzte Mal nichts getan? rin weniger wird. Die innere gedank Mit dieser Haltung gibt die Erzie liche Arbeit zeigt sich in ruhigem herin den Kindern Raum für kreative Handeln ihrerseits. Wenn sie sich auf Einfälle und für ein angemessenes Le grund ihrer Beobachtungen zum Bei benstempo. spiel dafür entscheidet, gute Impulse mit kleinen Anregungen für Kinder zu setzen, oder wenn sie „nur“ als Da sein oder Beobachten aufmerksame Begleitung einfach da sein möchte. Portfolios dienen dann Eigenaktives Tun von Kindern ergibt nicht allein der Elternarbeit und pu Sinn, es hat Tiefe, wird besser veran ren Dokumentation, sondern ermög kert und ist auch in übertragbaren lichen Kindern, sich selbst als aktiv Situationen anwendbar. Das Lernen handelnde Menschen mit einer eige findet wie selbstverständlich statt, im nen Geschichte zu erleben. Die Freu Tun und im Austausch, im Spontanen de daran, was es selbst, allein oder mit und im Vorbereiteten. Für dieses Ler anderen erschaffen hat und darüber nen gute Bedingungen zu schaffen zu sprechen, bildet das Selbst- und und es angemessen zu begleiten, for Zeitbewusstsein des Kindes. dert dazu auf in der Kita Die Erzieherin kann sich fragen: die eigenen Beobachtungsgaben Kann ich Kinder in ihrem Tun lassen, einzusetzen, auch wenn sie scheinbar mit nicht kreative Wege der Materialan sichtbar Zielführendem beschäftigt schaffung zu finden, sind? Beschäftige ich mich mit Fra räumliche Übersicht zu schaffen, gen wie und wodurch erkenne ich die um freien Zugang zu Material für Interessen der Kinder, und wie finde die Kinder zu ermöglichen, ich heraus, was Kinder zum kreativen TPS 1 | 2015 23
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