Musik - eine Universalie ?

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Hans Günther Bastian
                                Kinder optimal fördern - mit Musik

Meine Damen und Herren,

gestatten Sie mir zur Introduktion zwei Eröffnungsakkorde con affetto et appassionata,
bevor ich zur Exposition und Durchführung meines Generalthemas komme.

Akkord I: Musik – eine Universalie?
Kaum zu glauben – aber wahr? Nichts hat uns Forscher mehr überrascht als die
öffentlich-mediale Wirkung unserer Wirkungsstudie mit dem verheißungsvollen Titel:
Zum Einfluss von Musik(erziehung) auf die Entwicklung von Kindern und
Jugendlichen (Mainz 2000). In markigen Schlagzeilen versprechen und prophezeien:
PP

     Musik – eine Universalie ?
                                             • Berliner Kurier:
   DIE&ZEIT                                   Professor beweist: Musik macht Schüler netter und
                                              schlauer
   Musik macht klug!
 • SÜDDEUTSCHE ZEITUNG                       • Frankfurter Neue Presse
                                              Schöner Klang fördert die Intelligenz
   Wer singt, prügelt nicht !
   DER SPIEGEL                               • Spektrum: Geist&Gehirn
   Mozart oder Molotow ?                      Geistiges Krafttraining nach Noten

Doch geht mit Musik HB-Männchen-gleich wirklich alles wie von selbst? Wirkt sie etwa
wie ein Kochrezept: Man nehme 2 Stunden Beethoven, 1 Stunde Mozart … und schon
haben wir den klugen, sozialen, konzentrierten, leistungsmotivierten Menschen? Musik
als Universalie mit Totalwirkung? Hier die Musik – dort in banaler Monokausalität der
allseits geformte und gesittete Mensch? Musik als Musikament gegen Depressionen,
Trauer, Ängste, Aberglauben , gegen den Zappelphilip und auch Fußpilz?

Sicher nicht! So einfach lassen sich Wirkkräfte der Musik nicht bestimmen oder gar
generalisieren, wie es mittlerweile sogar musikalische Hausapotheken suggerieren. Und
doch muss was dran sein an der Musik, dass von Hellas bis heute, von A dorno bis Z
acher immer wieder "Wirkkräfte" von Musik und Musizieren für die Erziehung des
Menschen in zahllosen Aphorismen beschworen werden - von Philosophen, (Musik-)
Pädagogen, Künstlern, Politikern u.a.m.. Vom alten Sokrates hören wir selbstbewusst:

PP
Publikat/gehirn&geist

„So ist also die Erziehung durch Musik darum die vorzüglichste, weil Rhythmus und
Harmonie am tiefsten ins innere der Seele dringen und ihr Anmut und Anstand
verleihen“.

Tatsächlich: Ob im Idealismus, Pessimismus oder Nihilismus philosophischen Denkens,
der Musik und ihrer Wirkung kamen stets eine erziehungsförderliche, eine
menschenveredelnde und eine daseinserleichternde Sonderstellung zu. Diese
verbreitete Lebensweisheit vom "Nutzen der Musik", von Musik als "Mittel der
Erziehung" war bis zu unserer Studie mit wenigen Ausnahmen ohne wissenschaftliches
Fundament geblieben.

Die Studie
Daher führte ein Forscherteam von 1992 bis 1998 an sieben Berliner Grundschulen (5
Modellklassen mit Musikbetonung und 2 Kontrollklassen ohne Musikschwerpunkt) eine
sechsjährige Langzeitstudie "Zum Einfluss von erweiterter Musikerziehung auf die allgemeine und
individuelle Entwicklung von Kindern" durch. Erweiterte Musikerziehung heißt an Berliner
Grundschulen mit Musikbetonung: wöchentlich zweistündiger Musikunterricht, das Erlernen
eines Instrumentes in der Schule und das Musizieren in einem oder mehreren Ensembles, mit
anderen Worten: Musik totaliter in diesen Schulen!
Dem vor allem bildungs- und fachpolitisch relevanten Forschungsprojekt lag u.a. im Sinne der
Thorndike’schen Transfertheorie 1 die These zugrunde, dass Instrumentlernen, Musizieren im
Ensemble und Musikunterricht die kognitiven (intellektuellen), kreativen, ästhetischen,
musikalischen, sozialen und psychomotorischen Fähigkeiten (Begabungen) von Kindern
vorteilhaft beeinflussen und fördern können, daneben auch motivationale und emotionale
Dispositionen wie Lern- und Leistungsbereitschaft, Konzentration, Empathie, Selbständigkeit,
Belastbarkeit und Ausdauer, Fremd- und Selbstkritik u.a.m.

ERGEBNISSE (Auswahl)2
1. Musizieren fördert die soziale Kompetenz der Kinder
Seit Beginn des Instrumentlernens und des gemeinsamen Musizierens ist der Anteil der Kinder,
die im Klassenverband eine oder mehr Positivwahlen erhalten (Soziogramm: Den Schüler mag
ich gerne) in der Modelgruppe mit Musik (MG) über alle Grundschuljahre hinweg
kontinuierlich und deutlich höher als in der Kontrollgruppe (KG). Zu allen Schuljahrsenden
liegt die Sympathie-Quote über 90 %. Dies bedeutet, dass es in musizierenden
Grundschulklassen weniger häufig ausgegrenzte Schüler gibt.
Sensationell sind die Ergebnisse im Ablehnungsbereich: Der Anteil der Kinder, die keine
einzige (!) Ablehnung erhalten (Soziogramm: Den Schüler mag ich nicht), ist in der MG über alle
Messzeitpunkte bedeutsam höher als in der KG und zwar im allgemeinen doppelt so hoch (z.B.
nach dem 4. Schuljahr erhalten 62% der Kinder in der MG keine einzige Ablehnung vs. 34% in

1 Thorndike E.L./Woodworth, R.S.: The influence of improvement in one mental function upon the efficiency of other
functions, in: Psychological Review, 8/1901, 247-261, 384-395, 553-564. Transfer findet nur dort statt, wo mehrere
Situationen und Aufgabenstellungen identische Elemente (identity of substance und identity of procedure) enthalten.
2 Wir geben einige Ergebnisse in Auswahl wieder, eine gut lesbare Zusammenfassung der ca. 700seitigen Studie
findet sich im Taschenbuch: Kinder optimal fördern – mit Musik.

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der KG). Umgekehrt formuliert: Die Quote der einfach und mehrfach geäußerten Antipathien
ist in nicht-musizierenden Grundschulklassen kontinuierlich nahezu doppelt so hoch wie in
Musikklassen.
Daraus folgt: Musik kann das sozialste Medium überhaupt sein. Wir möchten jedoch energisch
dem Missverständnis eines naiven ethisch-moralischen Wirkmechanismus’: „Hier die Musik,
dort der gute Mensch“ widersprechen. Vor pauschalen Generalisierungen sei ausdrücklich
gewarnt. Dass man sich getrost niederlassen kann, wo man singt, ist ein folgenschwerer Irrtum,
denn die bösesten Menschen singen am lautesten ihre Lieder.

2. Musizieren fördert die Intelligenzentwicklung
Bereits für 6-7jährige Kinder stellen wir einen Zusammenhang zwischen musikalischer
Begabung und Intelligenz fest. Mit höherem Musikalitätswert steigt auch der IQ-Wert. Damit
bestätigen sich für eine frühe Altersstufe solche Forschungsergebnisse, die einen
Zusammenhang von Musikalität und Intelligenz in den Randbereichen der Streuung des
Intelligenzniveaus konstatieren.
Beide Schülergruppen (mit und ohne Musik) entwickeln sich – bezogen auf ihre IQ-Mittelwerte
nach einem kulturunabhängigen Intelligenztest – in den ersten Jahren ihrer Grundschulzeit
zunächst nicht sehr unterschiedlich. Nach 4 Jahren „erweiterter“ Musikerziehung kommt es
jedoch zu einem signifikanten IQ-Zugewinn bei Kindern aus musikbetonten Grundschulen (IQ-
Mittelwert MG 111 vs. KG 105).
Auch die Kinder aus der MG, die bereits zu Projektbeginn überdurchschnittliche IQ-Werte
erreicht haben, steigern diesen kognitiven Begabungsvorteil nochmals signifikant deutlicher als
Kinder aus der KG.
Besonders wichtig ist uns der folgende Befund: Sozial benachteiligte und in ihrer kognitiven
Entwicklung weniger geförderte Kinder (mit unterdurchschnittlichem IQ) profitieren von einer
„erweiterten“ Musikerziehung in besonderer Weise. Sie legen über die Jahre hinweg in der
Tendenz kontinuierlich zu, was für unterdurchschnittlich kognitiv begabte Kinder ohne dieses
Treatment nicht so bilanziert werden kann. Dies ist das sozialpolitisch relevanteste Ergebnis
aller IQ-Befunde.
Und die Konsequenzen? Wenn insbesondere sozial benachteiligte und in ihrer kognitiven
Entwicklung wenig geförderte Kinder von einer "erweiterten" Musikerziehung profitieren,
dann folgt daraus: Bildungspolitik mit Musik ist zugleich die beste Sozialpolitik.
Wie kann man den IQ-Zugewinn erklären? Vom-Blatt-spielen erfordert die schnelle und
gleichzeitige Verarbeitung von Informationen in extremer Dichte und Fülle. Die Kinder müssen
auf Noten, Takt, Tempo, Lautstärke und andere Parameter achten. Abstraktes und komplexes
Denken sind beansprucht. Bei keiner anderen Tätigkeit muss ein Kind so viele Entscheidungen
gleichzeitig treffen, sind so viele Gehirnbereiche angesprochen. Ein Instrument zu spielen ist
also eine der komplexesten und kompliziertesten menschlichen Tätigkeiten. Dies bleibt nicht
ohne Folge, wie auch die neuen Befunde der Hirnforschung eindeutig belegen: Musiker haben
andere Gehirne als Nicht-Musiker.3

3. Musizieren fördert die Konzentrationsfähigkeit
Dass das Musizieren die Konzentration fördert, ist mehr als plausibel. Musiker müssen auf den
Einsatz und den Abschlag der Musik achten, das Spielen des Pultnachbarn mithören, auf die
3 vgl. etwa: Lutz Jäncke: Was ist so Besonderes an den Gehirnen von professionellen Musikern? In: Zeitschrift für
Medizinische Psychologie, 3/2001, S:107-114

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Pausen und den neuerlichen Beginn der eigenen Stimme achten, will sagen: Konzentration
wird mit jeder neuen Note gefordert. Diese konstante und kontinuierliche Anforderung muss
Folgen haben für die Konzentrationsleistungen musizierender Kinder.
Überraschen an unseren Ergebnissen mag, dass die guten und besseren Leistungen in einem
Konzentrationstest in beiden Vergleichsgruppen (MG + MG) gleich verteilt waren. Hier zeigt
also das Musikmachen keine bedeutsamen Effekte, Kinder, die sich gut konzentrieren können,
leisten dies auch ohne den Einflussfaktor Musik. Eine Erklärung liegt womöglich darin, dass
Konzentration nicht mit „Aufmerksamkeit“ gleichzusetzen ist. Vielleicht sind musizierende
Kinder aufmerksamer ohne deswegen zugleich konzentrationsfähiger zu sein.
Einen deutlichen Effekt des Musizierens können wir jedoch für die schwachen und sehr
schwachen Konzentrationsleistungen bilanzieren. Kinder mit diesen Ergebnissen finden sich
bedeutsam häufiger in den nicht-musizierenden Klassen. Dies heißt, dass „erweiterte“ Musik
(erziehung) Schülern mit hohen Konzentrationsdefiziten interventiv und kompensativ helfen
kann. Dies bedeutet schulisch gesehen, dass wir mit dem Musizieren im Fach Musik anderen
Fachlehrern konzentrationsfähiger Schüler „produzieren“. Das sollte Grund genug sein, der
Musik in den allgemein bildenden Schulen einen neuen Stellenwert zuzumessen, zumal doch
alle Lehrer über zunehmend unkonzentriertere Schüler ein Klagelied anstimmen. Auch das
konnten wir nämlich nachweisen: Für die Gesamtstichprobe lässt sich bilanzieren, dass die
Fähigkeit zur konzentrierten Wahrnehmung von der 1. bis zur 6. Klasse im Trend eher
nachlässt, was sicher auch auf zunehmende Umwelt- und insbesondere Medieneinflüsse
zurückgeführt werden kann.

4. Musizieren fördert die musikalische Begabung und Leistung
Kinder der musikbetonten Grundschulen schneiden in allen musikalischen Begabungs-,
Leistungs- und Kreativitätstests über die Zeit hinweg besser ab als Kinder aus der
Kontrollgrupe. Erwartungsgemäß wirken sich Transfereffekte der Musikbetonung zunächst
einmal auf Fähigkeiten und Fertigkeiten im eigenen Fach aus, auf musikalische
Grundkompetenzen. Die Bilanz, dass Kinder der musikbetonten Grundschulen ihren
Vorsprung im Merkmal „musikalische Begabung/Leistung/Kreativität“ im Verlauf ihrer
Grundschule im Vergleich zu Kindern der KG signifikant steigern können, bedeutet, dass diese
„Musikalisierung“ in ein und demselben Lernprozess zugleich all jene Persönlichkeitsvorteile
fördert, die diese Studie als überzufällige Transfereffekte nachweisen kann. Somit liegt ein
positiver, sich selbst verstärkender Zirkel vor.

5. Musikmachen reduziert Angst und emotionale Labilität
Die meisten Kinder können, und dies unabhängig von ihrer Gruppenzugehörigkeit,
überdurchschnittliche Angstwerte im Verlaufe ihrer Grundschulzeit erfreulicherweise deutlich
abbauen. Nicht-musizierende Schüler glauben jedoch von sich selbst (Selbsteinschätzung) ,
über die Zeit hinweg eher ängstlicher geworden zu sein, während Musik-Kinder meinen,
allgemeine Ängste besser reduzieren zu können. Musik kann demnach zu einem emotionalen
Refugium werden, gerade und insbesondere in der Phase der beginnenden Pubertät mit all
ihren Identifikationsproblemen. Welch hohe sozialtherapeutische Funktion der Musik
zukommt, wissen wir aus nahezu allen Jugendkulturen. Jugend und Musik sind in ihnen eine
Lebenseinheit, Musik als Sprache der Gefühle wird zum Lebensexistential.
Positiv zu interpretieren ist, dass Instrumentlernen und Musizieren die Kinder trotz Übens,
trotz (musikalischer) Leistungserwartung und öffentlichem Musizieren nicht auffällig oder

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bedeutsam „neurotisiert“. Sie leiden nicht unter stärkeren Angstsymptomen oder ausgeprägter
emotionaler Labilität („Neurotizismus“), die in Untersuchungen mit Berufsmusikern immer
wieder bestätigt wurden.

6. Musizieren führt nicht zu einer Vernachlässigung der Leistungen in den Hauptfächern
Musikbetonung bedeutet an Berliner Grundschulen für alle Schüler eine erhebliche zusätzliche
Zeitinvestition bis in die Nachmittagsstunden, so im Erlernen eines Instrumentes, im Üben, im
Ensemblespiel oder in der Vorbereitung von Aufführungen. Ein geradezu sensationelles und
für Eltern/Erziehungsberechtigte wichtiges Ergebnis: Der erhebliche Zeitaufwand geht ganz
eindeutig nicht zu Lasten der allgemeinen schulischen Leistungen. Zu keinem
Erhebungszeitpunkt sind die Leistungen der Kinder aus der MG in den sogenannten
„Hauptfächern“ schlechter als die der Kinder aus der KG. Der prozentuale Anteil der Kinder
mit überdurchschnittlich guten Leistungen ist in der MG oftmals höher als in der KG. Dies gilt
für die Fächer Mathematik, Deutsch und Englisch. Hier bestätigen wir Ergebnisse, wie sie auch
in der so genannten Schweizer Studie vorliegen.4
Daraus folgt:
Unsere Ergebnisse und Erkenntnisse verlangen eine Kultur-, Bildungs- und Schulpolitik, die in
unseren allgemein bildenden Schulen das Fach Musik vom Rand in die Mitte rückt. In allen
Bundesländern sollten unsere Grundschüler die Chance erhalten, neben einem mindestens
zweistündigen Musikunterricht in der Schule ein Instrument zu erlernen und in einem
Ensemble zu musizieren.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Musik und Musizieren fordern und fördern die so genannten
Schlüsselqualifikationen, die die Arbeits- und Wirtschaftswelt so vehement als
Persönlichkeitsqualifikationen verlangt: Kreativität im improvisatorischen Spiel mit Tönen und
Klängen, Konzentration in der Genauigkeit des musikalischen Spiels, Teamfähigkeit im
Ensemblespiel, Extraversion im ausdrucksstarken Musizieren, emotionale Stabilität im
Podiumsstress, Intelligenz in der kongenialen Interpretation eines musikalischen Werkes,
allesamt Merkmale, die in einem einzigen Lern- und Erfahrungsprozess beansprucht sind.
Keine zweite Kulturerfahrung kann hier in dieser Breiten- und Tiefenwirkung mithalten und
eine Ich-auch-Mentalität beanspruchen.
Um Missverständnisse zu vermeiden sei abschließend klar gestellt: Musikmachen soll zu
allererst die Freude der Kinder an der Musik fördern, als der Freude am Schönen, am Spiel, am
kreativen Selbsterleben eben in den Spiel-Räumen der Musik. Wir machen Musik nicht, um den
IQ zu puschen, die Konzentration zu fördern oder den sozial verträglichen Menschen zu
produzieren. Alles das sind Nebenwirkungen des Musizierens, nicht intendiert eher funktional
sich von selbst einstellend. Wir sprechen gerne vom Mehrwert des Musizierens.
Als Musikerzieher haben wir unsere Kinder zur individuellen Freude an der Musik zu
„begaben“. Der Grund für die Beschäftigung mit Musik ist primär und immer die Musik selbst
und sonst nichts! Diese hat ihr eigenes Sachziel. Oscar Wilde hat einmal treffend gesagt: Alle
Kunst ist zwecklos. Das macht sie so wertvoll. Oder mit den Worten Yehudi Menuhins:
               Die Musik steht ganz für sich selbst, wir müssen ihr nur eine Chance geben.

Worauf warten unsere KultusministerInnen eigentlich noch? Im Stile einer amerikanischen
Fernsehserie: Frau Wolff, übernehmen Sie!

4            Weber, E. W./Patry, J.-L./Spychiger, M.: Musik macht Schule, Essen 1993

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Publikat/gehirn&geist

CODA
1. Kinder brauchen Musik, weil die Wirkpotentiale der Musik als ratio (Verstand), emotio
(Gefühl) und motio (Bewegung) unverzichtbar sind für eine                                ganzheitliche
Persönlichkeitsentfaltung, ja zur Menschwerdung, zum Menschsein, zur Menschlichkeit.
Hector Berlioz: Die Musik allein wirkt gleichzeitig auf die Phantasie, auf das Gemüt, auf das Herz und
die Sinne.
2. Kinder brauchen Musik in den allgemein bildenden Schulen, insbesondere in den
Grundschulen, weil wir Kinder zur Freude an der Musik begaben wollen als eine Freude am
Schönen, am Kreativsein, als Freude am Singen und Musizieren, am Improvisieren und
Inszenieren, letztlich als Freude am Leben mit mehr Lebensqualität. Setzen wir gegen das
verbreitete Consumo, ergo sum ein creo, ergo sum, oder als Zielmetapher formuliert: Jedes Kind
kann sein eigener Walkman sein.
Altbundespräsident Roman Herzog: Wenn wir einschlafen lassen, was da ( im Musikunterricht in
den allgemein bildenden Schulen) an Potenzialen vorhanden ist, dann sägen wir an dem Kreativitäts-
Ast, auf dem wir alle sitzen.
3. Kinder brauchen Schulen mit Musik und Musikschulen, weil Musik und Musizieren zur
Befriedung einer zunehmend verhärteten Gesellschaft beitragen kann. Setzen wir also gegen
die physische Gewalt in unserer Gesellschaft die psychische Macht der Musik. Denn, so der
Schweizer Theologe Leonhard Ragaz: Der Geist der Gewalt ist so stark geworden, weil die Gewalt
des Geistes so schwach geworden ist.
Bundesinnenminister Otto Schily: Wer Musikschulen schließt, schadet der inneren Sicherheit.
4. Kinder brauchen Musik als kommunikative Kraft, die über der Sprache steht. Musik ist in
allen Kulturen eine Weltsprache, die nicht übersetzt zu werden braucht.
Victor Hugo: Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann, worüber zu schweigen
aber unmöglich ist.

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