Global Warming - Klima, Energie und Politik
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Global Warming – Klima, Energie und Politik Egon Bahr und Sigmar Gabriel im Gespräch Ist Klimapolitik die Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts? Egon Bahr, geb. 1922, Bundesminister a.D., gilt als einer der wichtigsten und einfluss- reichsten Berater von Willy Brandt als Wegbereiter der Entspannungspolitik. Sigmar Gabriel, geb. 1959, ist seit 2005 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sicherheit. Anfang Juli debattierten sie im Berliner Umweltforum. Das Gespräch führ- te Thomas Meyer. Peter Himsel 22 NG|FH 9|2OO7
Das Thema Thomas Meyer: Willy Brandt hat in den lichkeiten haben. Man kann nicht mehr 70er Jahren häufig gesagt, es gäbe drei bestreiten, dass sich das Klima mit atem- große, überwölbende Menschheitsproble- beraubendem Tempo verändert. Aber ich me, bei deren Lösung alle Akteure, trotz glaube, dass wir die Dimension dieses The- unterschiedlicher Interessen, zusammen- mas noch gar nicht abschätzen können, arbeiten müssen: erstens die Wahrung des denn das würde eine vollständige Bewusst- Friedens, zweitens die Sicherung der na- seinsveränderung in der Bevölkerung be- türlichen Lebensgrundlagen, und drittens deuten, weltweit. Wissen wir eigentlich, die Bekämpfung der Armut. Egon Bahr, dass wir nur eine geringe Chance haben zu kann man heute noch aus der Sicher- verhindern, dass die Welt für das zivilisier- heitspolitik der Vergangenheit lernen? te Leben unbewohnbar wird? Egon Bahr: Die drei Punkte gelten im Es genügt nicht, über das Thema Um- Prinzip immer noch. Ich bin sehr vorsich- welt zu reden, sondern es ist notwendig, tig gegenüber der Versuchung, praktische über die Bewahrung zivilisierten Lebens Antworten zu geben. Wenn wir beispiels- zu sprechen. Wenn also alle Fachleute un- weise im Jahr 1907 versucht hätten, die widerlegbar sagen, dass wir in den nächs- großen Probleme des neuen Jahrhunderts ten acht bis zehn Jahren dafür sorgen zu formulieren, dann hätten wir die bei- müssen, dass der Anstieg der Temperatur den Weltkriege, die Sowjetunion und den gestoppt wird, dann sage ich: Das ist ja Kalten Krieg, das Ende des Kolonialzeit- schon morgen! alters, den Menschen auf dem Mond und Das bedeutet: Sicherheitspolitik im die Entdeckung des Atoms für Krieg und klassischen Sinne wird man nicht mehr Frieden wohl nicht vorhergesehen. Eben- machen können, denn alle Fragen, die da- so etwa die Entwicklung des Fernsehens mit zusammenhängen, sind nicht mehr und des Handys. Ich frage mich, ob wir im durch den Einsatz von Waffen zu lösen. Jahre 2007 sehr viel klüger sind. Jedenfalls Was können wir also aus der Sicherheits- bin ich fest davon überzeugt, dass die Ge- politik der Vergangenheit lernen? Erstens: schwindigkeit, in der naturwissenschaft- Wir sind damals zu dem Ergebnis gekom- liche und technologische Fortschritte er- men, dass es im Zeitalter der Atomwaffen zielt werden, nicht geringer sein wird als nur eine gemeinsame Sicherheit gibt. im vergangenen Jahrhundert. Zweitens: Man kann alle damit zusam- Unter dieser Prämisse sehe ich in die- menhängenden Fragen nur durch Koope- sem Jahrhundert drei große Gefahren: ers- ration lösen. Alte Rivalitäten müssen ver- tens die Klimakatastrophe, zweitens die schwinden. Obwohl ich die Wege und Ant- Verbreitung von Atomwaffen, und drittens worten im Einzelnen noch nicht kenne, die Gefahr des Zusammenpralls von Chris- bin ich davon überzeugt, dass der Neo- tentum und Islam. liberalismus nicht funktionieren wird. Wir Die Diskussion um die Klimakatastro- werden international verpflichtende Re- phe hat in den letzten Jahrzehnten zuge- geln festlegen, und die sogenannte freie nommen. Ich habe Anfang der 70er Jahre Marktwirtschaft wird zurücktreten müs- in Amerika einen klugen Philosophen ent- sen, denn auf Dauer funktioniert es nicht, deckt: Hans Jonas. Er hat mit dem Prinzip die Gewinnmaximierung an die erste Stel- Verantwortung im Gegensatz zum Prinzip le zu setzen. Hoffnung eine neue Ethik für die Techni- Sigmar Gabriel: Das ist alles richtig. Zum sierung der Zivilisation entwickelt: Wir ersten Mal erkennen wir, dass es bei der können und dürfen gemäß diesem Prinzip Umweltpolitik um ganz klassische Fragen nur so handeln, dass die nachfolgenden der Sozialdemokratie geht, nämlich, wie Generationen noch Entscheidungsmög- man Stabilität und Frieden bewahrt. Bis 9|2OO7 NG|FH 23
Das Thema wir noch gar nicht abschätzen. Das, was sich im Moment an den Grenzen Europas abspielt, gibt uns nur den Hauch einer Ahnung. Und das ist der Grund, warum sich der UN-Sicherheitsrat mit dem Klima befasst hat, und zwar nicht als ökologi- sches Problem, sondern als zentrale Stabi- litäts- und Friedensherausforderung für die nächsten Jahrzehnte. Das Problem bei der Suche nach Lösungen liegt nicht da- rin, dass wir nicht wüssten, welche Mittel wir verwenden sollten. Das Problem ist, dass dahinter massive wirtschaftliche Interessen stecken. Und deshalb ist die Antwort Egon Bahrs die einzig richtige: Sicherheit bekommen wir nur durch Inte- ressensausgleich. Peter Himsel Europa alleine kann das nicht stem- Sigmar Gabriel: »Umweltpolitik ist zur men. Aber die Länder anderer Regionen klassischen Frage der Sozialdemokratie werden wir nur dann mit ins Boot bekom- geworden.« men, wenn wir ihnen preiswert klima- schonende Technologien bieten. Deswe- zur Mitte des Jahrhunderts werden auf gen ist das Konzept der Sicherheitspolitik der Erde neun Milliarden Menschen le- der 60er und 70er Jahre mit Interessens- ben, davon über vier Milliarden Men- ausgleich und Sicherheitspartnerschaft schen in den Industrieregionen. Mit der präzise das, welches wir jetzt brauchen. industriellen Massenproduktion werden Bahr: Mit einem großen Unterschied: Wir die Güter billiger, und infolgedessen kön- hatten es damals mit dem einen Faktor nen sich mehr Menschen mehr Güter leis- Sowjetunion zu tun, das heißt mit einem ten. Die Vorstellung, dass »Grenzen des Land, in dem rational gedacht und ver- Wachstums« die Lösung für das Klima- antwortungsbewusst entschieden wurde. problem seien, wird in Ländern, von de- Jetzt haben wir es mit einer Welt zu tun, ren Bevölkerung mehrere hundert Millio- von der ich nicht weiß, wie sie reagiert. nen nicht mal Schuhe zum Anziehen ha- Eine größere, lebenswichtigere und ben, nicht besonders gut zu vermitteln schwierigere Aufgabe im Vergleich zu da- sein. Sie wollen ein Wirtschaftswachstum mals. Ich frage mich, ob man nicht nur erleben. Industrielle Massengüterproduk- international, sondern auch national, gar tion bei neun Milliarden Menschen be- regional arbeiten muss. Wir brauchen ei- deutet aber auch eine gigantische Steige- ne Aufklärungsarbeit für die eigene Be- rung der Nachfrage nach Rohstoffen. völkerung, also regionale Zusammenar- Es gibt gar nicht genügend Rohstoffe, beit und die Übertragung dieser Zusam- um neun Milliarden Menschen zu versor- menarbeit auf die internationale Ebene. gen. Wenn der Temperaturanstieg so wei- Gabriel: Ein bisschen versuchen wir es mit tergeht, schmelzen die Gletscher des Hi- dem Ansatz des common but different malaja ab, und damit haben wir 40 % der approach, also gemeinsame, aber nach Trinkwasserversorgung Asiens zerstört. Land, Region und Bevölkerung differen- Was allein das für Wanderungsbewegun- zierte Ansätze zum Klimaschutz. Wir müs- gen und Konflikte bedeuten kann, können sen bereit sein, ärmeren Ländern unsere 24 NG|FH 9|2OO7
Das Thema wissenschaftlichen Kapazitäten zur Verfü- gung zu stellen. Eine Idee ist, den Entwicklungsländern CO 2 -Grenzen zu setzen. Wenn diese über- schritten werden, soll das zwar keine Fol- gen haben, aber wenn ein Land sie unter- schreitet, so wird es mit erheblichen Fi- nanzierungsbeiträgen beteiligt. Das ist ei- ne Strategie, bei der es keine Verlierer gibt. Damit die Menschen und die Regie- rungen dieser Länder bereit sind mitzu- machen, wird es am Ende immer wieder um dieselbe Frage gehen: Schaffen wir den Interessensausgleich zwischen ganz unterschiedlichen Regionen der Welt, zwi- schen ganz unterschiedlichen Entwick- lungsstadien? Wie schaffen wir es, dass Peter Himsel Entwicklungszusammenarbeit und wirt- Egon Bahr: »Ich bin sehr vorsichtig gegen- schaftliche Zusammenarbeit mit Klima- über der Versuchung, praktische Antworten schutz einhergehen? zu geben.« Viele Länder können die Anpassung an den Klimawandel nicht alleine bewälti- gen. Also ist die zweite Aufgabe, die An- politik« oder der »Friedenspolitik« ange- passung dort mitzufinanzieren. Dabei hen. Auf jeden Fall sollte von Anfang an geht es um sehr hohe Finanzbeträge, und klar sein, dass es um mehr geht als um einen Teil dieser Beträge werden wir aus Umweltpolitik. Der erste Schritt zu einer der Versteigerung der Rechte für den gemeinsamen Klimapolitik ist die Veran- Emissionshandel bekommen. kerung der Idee, dass Klimapolitik vor al- Meyer: Egon Bahr, was waren die ent- lem gemeinsame Sicherheitspolitik ist. Da- scheidenden Instrumente für die Einsicht, her war auch G8 in Heiligendamm so wich- dass Sicherheit nur gemeinsam zu errei- tig, denn dort wurde die Klimaproblema- chen ist? Und kann man daraus irgendet- tik von den Umweltministerien ins Zent- was für die heutige Zeit wieder aufgreifen? rum der internationalen Politik verlagert. Bahr: Wie schon gesagt, früher war es Zweitens ist es hilfreich, dass der Gene- einfacher. Im atomaren Zeitalter war das ralsekretär der Vereinten Nation die Kli- Neue, dass man nicht mehr vor dem maproblematik zu seinem Hauptthema er- Feind sicher sein konnte, sondern nur mit klärt hat. Er wird verstärkt versuchen, Kli- dem Feind. Diese Einsicht hat bis heute mapolitik zu einem zentralen Punkt in den die Beziehungen geprägt. Das Konzept internationalen Beziehungen zu machen. auf die globale Ebene in Bezug auf die Als Nächstes muss gezeigt werden, dass Klimaproblematik zu übertragen ist un- man bereit ist, die Entwicklungsländer in gleich schwieriger. jeder Hinsicht zu beteiligen. Außerdem Meyer: Welche Rolle, welches Gewicht soll muss es noch ein wirtschaftliches Instru- dieses Thema im sozialdemokratischen ment geben, so dass sich klimafreundli- Grundsatzprogramm, das in den nächsten ches Verhalten auszahlt und das Gegen- Monaten verabschiedet wird, spielen? teil bestraft wird. Gabriel: Die Sozialdemokraten sollten das Bahr: Ich bin froh, dass ihr schon über Thema unter dem Titel der »Sicherheits- die Methoden nachdenkt. Das ist nicht 9|2OO7 NG|FH 25
Das Thema mehr der erste Schritt, sondern schon Gabriel: Auf diese Idee kann man nur der zweite, um dieses Problem auf dem kommen, wenn man nicht genau nach- Müllhaufen der Geschichte zu deponie- rechnet. Man darf ja nicht nur vom ren. Staatsbudget ausgehen. Wir geben zum Teilnehmer: Herr Bahr hat davon gespro- Beispiel jährlich drei Milliarden für er- chen, dass diese Welt nur noch verteidigt neuerbare Energien und 1,4 Milliarden für werden kann, wenn man sich auch ideo- die Sanierung von alten Gebäuden aus, logisch trifft. In den USA gilt schon seit eh und beteiligen uns an den Direktinvesti- und je der Grundsatz business first. Wenn tionen der großen Energieversorger in wir die USA dazu bringen wollen, einen Offshore-Windenergieanlagen. Da ist man Wandel zu bewirken, dann müssen wir schnell in der Nähe der 22 Milliarden. auch im Wirtschaftssektor etwas tun. Teilnehmer: Herr Gabriel, ist es nicht pa- Gabriel: Das stimmt. Die Amerikaner wer- radox, von Umweltschutz und der Ret- den nur dann mitmachen, wenn man mit tung unserer Erde zu reden, und gleichzei- Klimaschutz Geld verdienen kann. Des- tig neue Kohlekraftwerke zu planen? halb müssen die Europäer einen Emis- Gabriel: Diese neuen Kohlekraftwerke sionshandel aufbauen, der funktioniert, haben einen Energieeffizienzgrad von fast denn ohne marktwirtschaftliche Anreize 90 %, durch Energie-Wärme-Kopplung wird sich da nichts tun. zum Beispiel. Das bringt eine Ersparnis Teilnehmer: Seit dem Ende des Zweiten von 40 Mio. t CO 2 -Ausstoß. Bauen wir die- Weltkriegs hatten wir auf der Welt insge- se nicht, müssen wir die alten Kohle- samt nur 28 Tage Frieden, gleichzeitig ha- kraftwerke in Betrieb halten, denn ganz ben die Verteidigungsausgaben weltweit können wir darauf nicht verzichten. Alter- Hunderte Milliarden EURO verschlungen. native Energien sind immer noch teuer, Wo ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis? Ist genauso wie der komplette Umstieg auf es nicht an der Zeit, einen Paradigmen- Gas. Wir wollen daher bis 2012 neun neue wechsel vorzunehmen, und zwar so, dass Kohlekraftwerke bauen, und dafür alte es dem Menschen mehr nutzt? stilllegen. Bahr: Ich habe ernsthaft Sorge, ob wir mit Nach 2012 wird der Emissionshandel der notwendigen Geschwindigkeit die die Emissionsberechtigungen, die ein wirkliche Veränderung des Denkens schaf- Land vergeben darf, für jedes Jahr sen- fen. Kosten und Nutzen gegeneinander ab- ken. Europa wird ca. 20 % des Ausstoßes zuwägen bedeutet die Fortsetzung des einsparen, global ist es unser Ziel, auf alten politischen Denkens. Sie sprechen 30 % zu kommen. Ab 2012 wird nie- von einem Paradigmenwechsel. Da kann mand mehr ernsthaft ein Kohlekraftwerk ich nur sagen: Ja! Aber dann bitte ich Sie in Planung nehmen, bevor nicht die EU hinzuzufügen, wie das durchgesetzt wer- eine klar definierte Emissionsgrenze vor- den soll, denn das weiß ich nicht. gibt. Teilnehmer: Es gab einen Bericht, demzu- Den Großteil der hierzulande ver- folge jedes Land pro Jahr ca. 1 % seines brauchten Energie erzeugen wir heute Bruttoinlandproduktes zur Verhinderung mit Kernenergie und mit Kohle. Wenn des Klimawandels aufbringen müsste. In man die Absicht hat, bis 2020 aus der Deutschland haben wir ein Bruttoin- Kernenergie und aus der Kohle auszu- landsprodukt von ca. 2,2 Billionen EURO. steigen, wie manche Umweltorganisatio- Ein Prozent davon sind 22 Milliarden. nen fordern, wird das Ergebnis eine Lauf- Aber wenn man in den Haushalt guckt, zeitverlängerung für alte Kohlekraftwer- stehen doch nur eine Milliarde EURO zur ke sein und damit verbunden eine ver- Verfügung. gleichsweise höhere CO2-Belastung. 26 NG|FH 9|2OO7
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