Aus der Ferne in Kontakt bleiben: Telehealth-Interventionen und ihre Bedeutung für die Suchthilfe während der Corona-Pandemie

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Aus der Ferne in Kontakt bleiben:
Telehealth-Interventionen und ihre Bedeutung
für die Suchthilfe während der Corona-
Pandemie

Julian Strizek, Angelina Brotherhood & Alexandra Puhm

Zusammenfassung
    Abstandsgebote während der Corona-Pandemie haben zu einem rasanten Anstieg des Einsatzes von Inter-
ventionen geführt, die eine Aufrechterhaltung des Kontakts ohne direktes Zusammentreffen von Patient/-in
und Personen aus Unterstützungsangeboten garantieren. Allerdings sind derartige Angebote nicht für alle Pa-
tientengruppen gleichermaßen nutzbar und gewährleisten nicht dieselbe Behandlungsqualität wie herkömmli-
che Angebote. Zudem sind für ihren dauerhaften Einsatz noch wichtige Rahmenbedingungen zu klären.

Schlüsselwörter: Telehealth, Corona, Suchthilfe, Selbsthilfe

Summary
    Confinement measures during the coronal pandemic have led to a widespread adaption of addiction ser-
vices that help to maintain the contact with the patients without a direct encounter between the patient and peo-
ple from treatment facilities. However, such interventions are not equally accessible and suitable to all patient
groups and the quality of treatment may not be the same as in traditional services. In addition, the conditions
and the framework of such interventions need to be clarified for their permanent use.

Keywords: telehealth, corona, treatment services, self-help

Hintergrund                                                   und E-Health‐Interventionen2, der zum einen
                                                              durch die Krise erzwungen wurde, zum ande-
Die Corona-Pandemie hat zu einer der größ-                    ren eine Verbesserung der Versorgung mit sich
ten Gesundheitskrisen der letzten Jahrzehnte                  bringen könnte.
geführt und Einschränkungen sowie Verände-                        Vor diesem Hintergrund arbeitet das Kom-
rungen in unterschiedlichen Lebensbereichen                   petenzzentrum Sucht der Gesundheit Öster-
in einem lange nicht mehr dagewesenen Aus-                    reich GmbH seit Oktober 2020 im Auftrag der
maß mit sich gebracht. Dabei wird der Pande-                  Stiftung Anton-Proksch-Institut am Projekt
mie einerseits eine destruktive Kraft zugespro-               Sucht(behandlung) in der Krise (Strizek et al.,
chen, die Organisationen und Individuen mit                   2020), in dessen Rahmen kurz- und mittelfris-
neuen Herausforderungen konfrontiert. Anderer-                tige Auswirkungen der Corona-Pandemie auf
seits wird der Pandemie gleichzeitig eine positi-             die Versorgung von Menschen mit Suchter-
ve Veränderungskraft attestiert, indem Reaktio-               krankungen sowie auf das Suchthilfesystem
nen auf diese Herausforderungen als möglicher                 in Österreich analysiert werden. Dabei geht
Motor für Veränderungen betrachtet werden. Im
Bereich der Suchthilfe zeigt sich diese Ambiva-                   dem Corona zu massiven Umsatzeinbrüchen geführt hat und
lenz1 im gesteigerten Einsatz von Telemedizin                     gleichzeitig die Hoffnung besteht, dass dies auch qualitative
                                                                  Veränderungen (z. B. ökologischere Formen von Tourismus)
1
    Ähnliche ambivalente Betrachtungsweisen existieren aber       mit sich bringt.
    auch in anderen Bereichen wie etwa dem Tourismus, bei     2
                                                                  Für die begriffliche Abgrenzung vgl. den nächsten Abschnitt.

rausch, 10. Jahrgang, 3-2021, 5–12
6                                                                                           J. Strizek, A. Brotherhood & A. Puhm

    es um das Zusammenfassen während der Co-                            mobiler Endgeräte (z. B. via Apps auf Mobil-
    rona-Pandemie gemachter Erfahrungen aus                             telefonen4) in gesundheitsbezogenen Berei-
    unterschiedlichen Versorgungsbereichen und                          chen gekennzeichnet ist, und
    die Identifikation von Lernerfahrungen bzw.                     • Digital Health als Überbegriff, der neben
    Verbesserungsmöglichkeiten zur weiteren Si-                         eHealth und mHealth auch datengetriebene
    cherstellung einer optimalen Versorgung von                         Ansätze („Big Data“, Einsatz künstlicher In-
    Menschen mit Suchterkrankungen. Dazu wur-                           telligenz) umfasst.
    den Interviews mit Vertreterinnen und Ver-                      Digital Health umfasst teilweise auch Kommu-
    tretern der neun Sucht- und Drogenkoordina-                     nikationsabläufe, in die nicht Patientinnen/
    tionen in Österreich, mit 20 Personen aus der                   Patienten direkt, sondern primär Professionis-
    professionellen Suchthilfe sowie drei zusätzli-                 tinnen/Professionisten involviert sind. Dies
    che Interviews mit Mitgliedern der Anonymen                     schließt aktuell z. B. veränderte Abläufe bei der
    Alkoholiker (AA) geführt. Telemedizinische In-                  Bewilligung notwendiger Medikamente in der
    terventionen stellen einen Themenbereich die-                   Substitutionsbehandlung ein oder die Möglich-
    ses Projekts dar, der im Folgenden im Kontext                   keit der E-Konsultation von Fachärztinnen/
    von Erkenntnissen aus der Literatur diskutiert                  Fachärzten anderer Einrichtungen bei Suchtfra-
    wird.                                                           gen, die beide in der Literatur als Möglichkeit
                                                                    zur Verbesserung der Behandlungspraxis dis-
                                                                    kutiert werden (Hughto et al., 2020; Sahu et al.,
    „Fern“, „digital“, „mobil“ oder                                 2020).
    „elektronisch“? Begriffsdefinition und                              Ergänzend wurde für den Bereich der psy-
    Abgrenzung im Gesundheitsbereich                                chischen Erkrankungen der Begriff e-mental
    stattfindender Interventionen abseits                           health eingeführt (Riper et al., 2010). Entspre-
    eines direkten Kontakts                                         chend dem oben skizzierten breiten Anwen-
                                                                    dungsspektrum umfasst der Bereich e-mental
    Jeglicher Austausch oder jedwede Übermitt-                      health Interventionen, die eine Behandlung bzw.
    lung von Gesundheitsinformationen abseits                       Beratung über simultane Video- oder Telefon-
    eines Face-to-Face-Kontakts kann prinzipiell                    kommunikation anbieten sowie Interventionen
    unter dem Begriff Telemedizin oder Telehealth                   in Form textbasierter kurzer Informationen (via
    subsumiert werden. Lange Zeit galten telefo-                    SMS, Chat oder andere Messengerdienste) oder
    nische Unterstützungsangebote in der (Nach-)                    Möglichkeiten zur elektronischen Dokumenta-
    Betreuung von Suchtklientinnen und Suchtkli-                    tion und (Selbst-)Überwachung gesundheitsre-
    enten als die wichtigste telemedizinische Inter-                levanter Verhaltensweisen.
    ventionsart, die zunehmend durch unterschied-                       Für die im gegenständlichen Artikel be-
    liche digitale Angebote ergänzt wurde. Im Jahr                  schriebenen Reaktionen der Suchthilfe wäh-
    2020 wurde aufgrund der Notwendigkeit, Bera-                    rend der Corona-Pandemie erweisen sich die-
    tungs-, Betreuungs- und Behandlungsangebo-                      se Begriffe allesamt als zu spezifisch: eHealth
    te auch in Pandemiezeiten aufrechtzuerhalten,                   impliziert Kommunikationswege5, die über
    der Einsatz digitaler Informations- und Kom-                    herkömmliche telefonische Interventionen hin-
    munikationstechnologien in vielen Einrichtun-                   ausgehen, Video- oder Textnachrichten einset-
    gen der Suchthilfe deutlich erhöht.                             zen und ein hohes Potenzial für automatisierte
        Ständig neue technologische Entwicklun-                     Prozesse in sich tragen. In vielen Einrichtungen
    gen führen dazu, dass derartige Interventionen                  kam es hingegen zu der Erfahrung, dass für die
    unter wechselnden – und teilweise einander                      Aufrechterhaltung des Kontakts zu manchen
    überlappenden – Begriffsdefinitionen subsu-                     Klientinnen/Klienten derartige Kommunika-
    miert werden. Die WHO (2019) unterscheidet                      tionswege zu hochschwellig waren und her-
    etwa zwischen                                                   kömmliche Telefonie sich besser bewährte. Eine
    • eHealth, definiert als der Einsatz von Infor-                Einschränkung auf mobile Endgeräte (mHealth)
        mations- und Kommunikationstechnologie                      erscheint ebenso keine inhaltlich sinnvolle Ein-
        in gesundheitsbezogenen Bereichen (häufig                   grenzung. Digital health legt einen Fokus auf
        auch auf automatisierten Prozessen wie z. B.
        Chatbots beruhend3),                                        4
                                                                        Durch die zunehmende Angleichung der Möglichkeiten auf
    • mHealth (mobile Health) als Teilbereich von                      unterschiedlichen Endgeräten ist eine Unterscheidung zwi-
                                                                        schen Mobiltelefonen und nichtmobilen Endgeräten zuneh-
        eHealth, der spezifisch durch den Einsatz                       mend obsolet.
                                                                    5
                                                                        Obwohl Smartphones als elektronische Geräte auch aus-
    3
     	Chatbots sind digitale Anwendungen, die via Chat einen            schließlich zum Telefonieren genutzt werden können, liegt
      automatisierten Austausch mit einem technischen System            das Wesen eines Smartphones darin, dass es mehr technische
      ermöglichen. Chatbots gelten als einfach zu bedienen und          Anwendungen erlaubt, als ausschließlich zu telefonieren.
      benötigen wenige Ressourcen, ermöglichen aber im weiteren         Hier wird sichtbar, dass das wesentliche Kriterium zur Unter-
      Verlauf einer Beratung auch die Kommunikation mit einer re-       scheidung nicht im benutzen Gerät begründet liegt, sondern
      alen Beratungsperson über das gleiche Medium (Haug, 2019).        in dem benutzten Kommunikationsweg.

                                                                                                       rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
Aus der Ferne in Kontakt bleiben                                                                                                      7

datengetriebene und automatisierte Analyse-                       Einrichtung erleben könnten) reduziert werden
methoden, die zumindest für die Suchtbehand-                      können8 (Molfenter et al., 2015).
lung nicht im Zentrum aktueller Entwicklun-                           Der systematische Review von Lin und Kol-
gen im Rahmen der Corona-Pandemie stehen.                         legen (2019) verweist darauf, dass im Vergleich
Der Begriff Telemedizin wiederum könnte na-                       zum Telehealth-Einsatz bei anderen psychischen
helegen, dass ausschließlich ärztliche Interven-                  Erkrankungen für jenen im Rahmen der Be-
tionen gemeint sind, wodurch therapeutische                       handlung suchterkrankter Personen nur ver-
und sozialarbeiterische Interventionen, die                       hältnismäßig wenige wissenschaftliche Publi-
während der aktuellen Pandemie auch über                          kationen vorliegen. Dies liegt zum Teil daran,
diese Kanäle angeboten wurden, ausgeschlos-                       dass eine enge und verlässliche Arzt-Patient-
sen wären6. Da somit die Absenz eines direkten                    Beziehung für Personen mit Suchterkrankun-
Kontakts sowie die Zielsetzung einer (im weite-                   gen als besonders wichtig empfunden wird
ren Sinne) gesundheitsfördernden Intervention                     und Kontakte teilweise mit Auflagen verbun-
den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellen,                      den sind (z. B. Urinprobe) bzw. direkte Kontakte
wird im weiteren Verlauf der Begriff Telehealth                   erforderlich sind (z. B. Spritzentausch), die eine
verwendet7.                                                       virtuelle Abwicklung unmöglich machen (Lin
                                                                  et al., 2019).
                                                                      Zu unterscheiden ist, ob Telehealth-Inter-
Merkmale und Erwartungen                                          ventionen als fallweise Ergänzung zu direkten
in Bezug auf Telehealth‐Interventionen                            Kontakten oder als völliger Ersatz für persön-
im Suchtbereich                                                   liche Beratungs-, Betreuungs- oder Therapie-
                                                                  angebote zum Einsatz kommen; also dort, wo
Telehealth-Interventionen sind per Definition                     Personen noch gar keine Angebote in Anspruch
unabhängig von geografischen Distanzen und                        genommen haben oder auch nicht in Erwägung
daher eine potenzielle Alternative für Personen                   zögen, solche in Anspruch zu nehmen. In letz-
in ländlichen Regionen, die über einen einge-                     teren Fällen könnte der Einsatz von Telehealth
schränkten Zugang zu Behandlungsangeboten                         die Inanspruchnahme von Unterstützungsan-
verfügen bzw. diese nur über lange Anfahrts-                      geboten steigern (Mellor & Ritter, 2020). Diesen
wege erreichen können (Lin et al., 2019). Der                     Überlegungen liegt letztendlich die Hoffnung
erleichterte Zugang kann prinzipiell dazu bei-                    zugrunde, durch neue Telehealth-Angebote
tragen, die Kontaktfrequenz zu erhöhen und                        dem sogenannten „treatment gap“9 sowie dem
Betroffene engmaschiger zu betreuen, und                          „treatment lag“10 entgegenwirken zu können.
dadurch eine längerfristige Aufrechterhaltung
des Betreuungskontakts begünstigen. Dieses
Potenzial ist insbesondere aufgrund des chro-                     Zu welchen Umstellungen kam es
nischen Charakters von Suchterkrankungen                          während der Corona-Pandemie?
von großer Bedeutung. Telehealth‐Angebote
bieten zudem den Vorteil, zeitlich flexibel zu                    Bereits in einem sehr frühen Stadium der Coro-
sein, sodass in akuten Krisen schneller Hilfe                     na-Pandemie wurde die Aufrechterhaltung des
angeboten werden kann. Zudem können digi-                         Kontakts zu Klientinnen und Klienten durch
tale Angebote – im Gegensatz zu telefonischen                     telefonische und videotelefonische Kontakte
Angeboten – sowohl auf synchroner (z. B. per                      bei gleichzeitiger Reduktion direkter Kontakte
Videotelefonie) als auch auf asynchroner Kom-                     zum Schutz vor COVID-19-Übertragungen zu
munikation (z. B. per Mail oder Chatnachrich-
ten) basieren, was zusätzlich zur Erweiterung
                                                                  8
                                                                     	Eine höhere Anonymität im Rahmen der Inanspruchnahme
                                                                      von Betreuungsangeboten führt allerdings noch nicht zu
der Kommunikationsmöglichkeiten entspre-                              einem Abbau von Stigma, sondern macht es für Betroffene
chend den Präferenzen von Klientinnen/                                leichter, Hilfe trotz Stigmas in Anspruch zu nehmen.
                                                                   9
                                                                      Mit „treatment gap“ wird das Verhältnis zwischen der Anzahl
Klienten beiträgt. Zuletzt bieten Telehealth-In-                      der Personen, die eine Behandlung benötigen, und dem An-
terventionen größere Anonymität als persön-                           teil jener, die eine solche auch tatsächlich in Anspruch neh-
                                                                      men, bezeichnet. Der verwandte Begriff „unmet demand“
liche Kontakte in einer Suchthilfeeinrichtung,                        trägt dem Umstand Rechnung, dass nicht jede unbehandelte
wodurch Zugangsbarrieren durch potenzielle                            Person auch behandelt werden will. Nicht zuletzt lösen viele
                                                                      Personen Suchtprobleme auch ohne Behandlung („untrea-
Stigmatisierungserfahrungen (welche die Kli-                          ted remission“), was alles zusammen dazu führt, dass Schät-
entinnen/Klienten z. B. beim Warten vor einer                         zungen zum Ausmaß des „treatment gap“ (aus dem sich ein
                                                                      Auftrag für die Suchthilfe ableitet) zu stark divergierenden
                                                                      Ergebnissen kommen (Schaub, 2020).
                                                                  10
                                                                      „Treatment lag“ bezeichnet die Zeitspanne, die zwischen
6
    Auch der Bereich der Selbsthilfe war auf diese neuen Kanäle       dem Auftreten problematischer Symptome und dem Beginn
    verstärkt angewiesen.                                             der Behandlung liegt. Ähnlich wie beim „treatment gap“ ist
7
    Auch die WHO (2021) verwendet diesen – etwas aus der Mode         auch hier ein fehlender Konsens in Bezug auf die Definition
    gekommenen – Begriff in Zusammenhang mit der Implemen-            der grundlegenden Parameter ausschlaggebend dafür, dass
    tierung von Maßnahmen während der Pandemie synonym                sehr unterschiedliche Ergebnisse zur durchschnittlichen Aus-
    mit „Telemedizin“.                                                prägung des „treatment lag“ vorliegen (Schaub, 2020).

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    einer der zentralen Empfehlungen internatio-                       (z. B. wenn Eltern über Suchtprobleme ihrer
    naler Suchtexpertinnen/-experten (Farhoudian                       Kinder reden wollen) werden digitale Grup-
    et al., 2020). Diese Empfehlung war auch hand-                     penangebote als anonymer wahrgenommen
    lungsleitend für den Bereich der ambulanten                        und oft besser angenommen als Gruppentref-
    Suchthilfeeinrichtungen11 in Österreich. Diese                     fen im Präsenzmodus. Diese Erfahrung wurde
    Bedeutung der Aufrechterhaltung des Kon-                           laut Experteninterviews auch im Bereich der
    takts trotz physischer Distanzgebote verlief pa-                   Suchtprävention gemacht, wo aufgrund von
    rallel zu der im Laufe der Pandemie gereiften                      Schulschließungen Veranstaltungen teilweise
    Erkenntnis, dass die korrekte Aufforderung                         online abgehalten wurden12.
    „physical distancing“ und nicht „social distanc­                        Der Großteil der befragten österreichi-
    ing“ lauten solle (Sørensen et al., 2021). In der                  schen Suchthilfeexpertinnen und -experten
    Versorgungspraxis der Suchthilfeeinrichtun-                        befürwortet einen zukünftigen Ausbau von
    gen hat dies zu einer grundlegenden Verän-                         Telehealth-Interventionen, die aber keinen voll-
    derung der Behandlungsmodalitäten und zu                           wertigen Ersatz für persönliche Kontakte dar-
    einem enormen Ausbau des Einsatzes von Te-                         stellen können, da diesem Behandlungszugang
    lefonberatung und Online-Angeboten geführt.                        gewisse Grenzen gesetzt sind und dieser daher
    Etablierte Angebote wurden teilweise durch                         nicht bei allen Klientinnen/Klienten gleicherma-
    neue Formen des Kontakthaltens erweitert                           ßen anwendbar ist (siehe nächster Abschnitt).
    wie etwa gemeinsame Spaziergänge im Freien
    oder „nachgehendes Telefonieren“. Ambulante                        Für welche Klientinnen/Klienten
    gruppentherapeutische Angebote wurden in                           sind Telehealth-Maßnahmen (nicht)
    vielen Einrichtungen hingegen deutlich redu-                       geeignet?
    ziert bzw. weitgehend ausgesetzt.
        Aus Sicht der im Gesundheitsbereich Be-                        Die Möglichkeit des Einsatzes von Telehealth-
    schäftigten kann (zumindest) in Pandemie-                          Maßnahmen in der Suchthilfe ist erwartungs-
    zeiten der Einsatz von Telehealth-Maßnahmen                        gemäß stark von Charakteristika der Klientinnen/
    nicht nur als Herausforderung, sondern auch                        Klienten wie etwa dem Krankheitsbild und ko-
    als Privileg verstanden werden. Nicht alle Auf-                    morbiden Erkrankungen abhängig. So können
    gaben der Suchthilfe können durch Telehealth-                      Videotelefonie oder telefonische therapeutische
    Maßnahmen ersetzt werden, was bei diesen                           Betreuungen bei Menschen mit Sozialphobie
    Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – z. B. Pfle-                    ein gut geeigneter Zugang sein, während bei
    gepersonal – zu besonderem Stress geführt                          Menschen mit schweren Traumata ein direk-
    hat. Searby und Burr (2021) führen dies auf                        ter Kontakt für die Therapie unumgänglich
    zusätzliche Strapazen infolge zusätzlicher                         scheint.
    Hygienemaßnahmen, auf die Angst vor einer                              Prinzipiell setzen Telehealth-Maßnahmen
    Ansteckung sowie auf die Unsicherheit, auf                         auch grundlegende technische und ökonomi-
    andere, „wichtigere“ (pandemierelevante) Sta-                      sche Ressourcen (Zugang zu den benötigten
    tionen versetzt zu werden, zurück. Dies erhöht                     Medien, Hardware oder Telefonguthaben,
    in Kombination mit der allgemein geringeren                        Rückzugsmöglichkeiten im privaten Raum13)
    Anerkennung der pflegerischen Arbeit sowie                         sowie gewisse technische Fähigkeiten („com-
    der spezifischen Kompetenzen, die Pflegekräfte                     puter literacy“) voraus. Nicht bei allen
    bei der Versorgung Suchtkranker einbringen,                        Suchtklientinnen/-klienten sind diese Anfor-
    das Risiko eines Fachkräftemangels in diesem                       derungen auch erfüllt. Da der Zugang zu Inter-
    Bereich.                                                           net und Smartphones negativ mit sozialer und
        Dort, wo eine Umstellung auf Telehealth-                       ökonomischer Benachteiligung korreliert, sollte
    Maßnahmen möglich war, führte dies in vielen                       verhindert werden, dass sozioökonomisch be-
    Aspekten zu positiven Erfahrungen: Zusätzli-                       nachteiligte Klientengruppen mit zusätzlichen
    che Kommunikationsmöglichkeiten erleichtern                        Hürden beim Zugang zu Suchthilfeangeboten
    zumindest für bestimmte Klientinnen/Klien-                         konfrontiert werden. Speziell bei Klientinnen/
    ten die Erreichbarkeit der Angebote deutlich,                      Klienten niederschwelliger oder schadensmi-
    fördern die Termintreue und tragen – zusam-                        nimierender Angebote sind digitale Unterstüt-
    men mit größerer zeitlicher Flexibilität – das Po-
    tenzial in sich, Behandlungserfolge zu erhöhen.                    12
                                                                            Digitale Kommunikationskanäle sind aber nicht nur ein neuer
                                                                            Modus Operandi suchtpräventiver Angebote, sondern ste-
    Im Kontext stark schambesetzer Themenbereiche                           hen gleichzeitig auch inhaltlich im Fokus: die Nutzung digi-
                                                                            taler Spiele und neuer Medien seitens Jugendlicher während
    11
         Aufgrund der Möglichkeit, Infektionen im stationären Ver-          der Pandemie war ein zentrales Interesse in diesen Formaten.
         sorgungsbereich mittels Testung und Quarantäne bei der        13
                                                                            Die Nutzung von Telehealth-Angeboten erfordert die Wah-
         Aufnahme ausschließen zu können, haben Telehealth-Inter-           rung der Privatsphäre, die etwa durch die Anwesenheit von
         ventionen dort nicht dieselbe Bedeutung wie im ambulanten          Familienangehörigen eingeschränkt sein kann. Speziell Vi-
         Bereich, der durch eine höhere Fluktuation der persönlichen        deotelefonie kann für alle Beteiligten teilweise ungewollte
         Kontakte charakterisiert ist.                                      Einblicke in private Bereiche bieten.

                                                                                                           rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
Aus der Ferne in Kontakt bleiben                                                                          9

zungsmaßnahmen kaum anwendbar, weil die             ten illegaler Substanzen äußern Datenschutz-
genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.       bedenken, wenn über digitale Medien illegale
Die Umstellung auf Telehealth-Angebote erfor-       Verhaltensweisen thematisiert werden. Der
dert auch eine entsprechende Bereitschaft, sich     Einsatz unterschiedlicher Programme zur On-
mit einer neuen Technik auseinanderzusetzen,        linekommunikation – aus deren Fülle eine gro-
was für Menschen mit starken Vorbehalten ge-        ße Auswahl an diesbezüglichen Möglichkeiten
genüber digitaler Technologie oder einem ge-        resultiert – ist zudem infolge der zeitaufwän-
nerellen Widerstand gegenüber Veränderung           digen Abklärung von Datenschutzaspekten
eine größere Herausforderung darstellt als für      erschwert. Auch in Bezug auf die Gewährleis-
andere.                                             tung der Barrierefreiheit (z. B. für Gehörlose oder
    Sowohl in der Literatur als auch in Suchthil-   Personen mit anderen Funktionseinschrän-
feeinrichtungen bzw. Selbsthilfegruppen zeigte      kungen) bestehen bei Telehealth-Interventionen
sich, dass die Akzeptanz von Online-Angebo-         noch viele offene Fragen. Zudem fehlt es derzeit
ten unter jüngeren Klientinnen/Klienten höher       noch an Leitlinien und Empfehlungen, welche
war als bei Älteren. Auch werden bei älteren        Plattformen und Applikationen die höchste Be-
Personen mit Suchterkrankungen geringer aus-        nutzerfreundlichkeit und Datenschutzsicher-
geprägte technische Kompetenzen und damit           heit aufweisen.
spezifische Hürden angenommen (Rosen, 2021).            Bezüglich der Behandlungsqualität formu-
    Die weitgehend einhellige Rückmeldung           lierten die im Zuge der vorliegenden Studie
von Expertinnen/Experten in Österreich lautet,      Befragten unterschiedliche Bedenken, etwa
dass für Klientinnen und Klienten, die bereits      dass therapeutische Angebote via Telefon oder
länger in Therapie waren, die Umstellung auf        Videotelefonie mitunter oberflächlicher ausfallen
neue Kommunikationsformen ein geringeres            als persönliche Gespräche und eine geringere
Problem darstellte, da auf der bereits vorhan-      Verbindlichkeit aufweisen. Das Fehlen nonver-
denen Beziehung zu den Therapeutinnen und           baler Informationen zur Kontextualisierung
Therapeuten aufgebaut werden konnte. Bei neu        von Aussagen erschwert die Einschätzung der
beginnenden Therapien stellt das Fehlen eines di-   Gesamtsituation – vor allem bei Klientinnen und
rekten persönlichen Kontakts eine enorme He-        Klienten, die man noch nicht gut kennt. Um die
rausforderung dar, um eine dauerhafte Bezie-        Behandlungsqualität trotz dieser Einschrän-
hung zu etablieren. Analog den Erfahrungen          kungen zu gewährleisten, gestalten sich Tel-
im Bereich der professionellen Suchthilfe stellte   ehealth-Angebote für Behandler/-innen teilweise
auch im Bereich der Selbsthilfe die Umstellung      zeitintensiver als herkömmliche Angebote: Eine
auf Online- bzw. Telefonkontakte für Personen,      telematische Anamnese erfordert etwa deutlich
die neu dabei waren, ein größeres Problem dar       mehr Zeitaufwand als eine Anamnese in direk-
als für etablierte Mitglieder. Ebenso hat für in-   tem persönlichem Kontakt. Zudem bedarf es
stabile Klientinnen und Klienten, Personen mit      oft mehrerer Versuche, um eine Klientin/einen
einem riskanten Konsumverhalten sowie Perso-        Klienten zu erreichen, was administrative Zu-
nen mit psychiatrischen Begleiterkrankungen         satzaufgaben zur Folge hat.
ein direkter, persönlicher Kontakt mit Betreu-          Der Besuch einer Therapieeinrichtung hat
ungspersonen deutlich mehr Bedeutung.               für manche Klientinnen/Klienten eine tage-
                                                    strukturierende Funktion, die bei telefonischen
Grenzen des Einsatzes                               oder videotelefonischen Angeboten nicht in
von Telehealth-Angeboten                            demselben Ausmaß gegeben ist. Auch im Be-
                                                    reich der Selbsthilfe wird auf diesen Umstand
Grenzen bei der Anwendung von Telehealth-           verwiesen, der längerfristig zu einem wesent-
Angeboten in der Suchtbehandlung sind laut          lichen Unterschied zwischen einem persönli-
Auskunft der Interviewpartner/-innen zu-            chen und einem virtuellen Meeting führt.
nächst im technisch-regulatorischen Kontext             Vor allem längerfristige Erfahrungen mit
zu lokalisieren: So können etwa nicht alle Be-      Telefonkontakten zeigen zudem, dass diese nur
handlungskomponenten wie z. B. Harntests auf        für eine begrenzte Zeit eine gute Alternative zu
digitale Wege umgestellt werden. In manchen         persönlichen Kontakten darstellen und selbst
Einrichtungen der Suchthilfe fehlt es darüber       bei technikaffinen Personen bei Anwendung
hinaus an der technischen Infrastruktur für         über einen längeren Zeitraum „die Luft drau-
digitale Beratungsangebote. Ebenso im tech-         ßen ist“ und der Bedarf an persönlichen Termi-
nischen Kontext verankert sind Bedenken hin-        nen steigt. Auch bei akuten Krisen werden die
sichtlich des Datenschutzes bei Online-Angebo-      Grenzen telefonischer Kontakte deutlich. Das
ten, die sowohl von Klientinnen/Klienten als        Aufrechterhalten des Kontakts mit Klientin-
auch von Suchthilfeeinrichtungen thematisiert       nen/Klienten in Form einer „nachgehenden/
werden. Speziell Konsumentinnen/Konsumen-           nachtelefonierenden Arbeit“ hat sich in der Kri-

rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
10                                                                                          J. Strizek, A. Brotherhood & A. Puhm

     se zwar bewährt, kann sich aber sehr ressour-                  Eckpunkt der AA, und durch das System der
     cenintensiv gestalten.                                         Sponsorinnen/Sponsoren15 hat jedes Mitglied
         Die von den befragten österreichischen                     mindestens eine andere Person, die in Kri-
     Praktikerinnen/Praktikern genannten Ein-                       sensituationen telefonisch kontaktiert werden
     schränkungen decken sich weitestgehend mit                     kann. Darüber hinaus gab es auch bereits vor-
     Argumenten, die in der Literatur (Lin et al.,                  her unterschiedliche Kanäle (z. B. verschiede-
     2019; Uscher-Pines et al., 2020) als Schwachstel-              ne WhatsApp-Gruppen, die von einer „reinen
     len von Telehealth-Interventionen im Suchtbe-                  Plaudergruppe“ bis hin zur inhaltlichen Aus-
     reich beschrieben werden.                                      einandersetzung mit dem „Blauen Buch“ rei-
                                                                    chen16), deren gemeinsames Ziel die Aufrecht-
     Gemeinsam durch die Krise –                                    erhaltung des Kontakts, die Wahrung eines
     Selbsthilfe während Corona                                     Gefühls des Zusammenhalts und das Verhin-
                                                                    dern von Vereinsamung ist.
     Im Zuge der Corona-Pandemie wurde noch                             Durch den überregionalen Charakter der
     deutlicher, dass Peer-Support und Selbsthilfe-                 Gemeinschaft der AA bieten Onlinemeetings
     angebote eine zentrale Rolle in der Versorgung                 für alle Interessierten die Möglichkeit, an Mee-
     suchterkrankter Menschen einnehmen können,                     tings teilzunehmen, die sonst aufgrund der
     gerade wenn durch eine außergewöhnliche Si-                    geografischen Distanz nicht infrage kämen
     tuation etablierte professionelle Angebote nicht               (Gruppen in anderen Regionen in Österreich,
     im gewohnten Umfang zur Verfügung stehen                       aber auch internationale Gruppen). Onlinemee-
     (Wisse et al., 2021). Selbsthilfe und professio-               tings haben somit die Angebotspalette berei-
     nelle Hilfe standen während der Pandemie im                    chert und werden speziell von Mitgliedern im
     Wesentlichen vor derselben Herausforderung:                    ländlichen Raum als großer Gewinn eingestuft.
     Auch für Selbsthilfegruppen war lange Zeit14                   Speziell für jüngere Personen stellte der Besuch
     der Umstieg auf Online-Angebote erforderlich,                  eines Onlinemeetings eine niedrigere Hemm-
     um den Kontakt auch ohne persönliche Kom-                      schwelle dar als ein persönliches Treffen. Die
     ponente aufrechterhalten zu können. Parallel                   Corona-Pandemie führte dazu, dass sich ein
     zu Erfahrungen im Bereich der professionellen                  zusätzliches, zeitgemäßes Standbein beschleunigt
     Suchthilfe werden Onlinetreffen von den be-                    etablieren konnte.
     fragten Mitgliedern der Anonymen Alkoholi-                         Erwähnt wurde zudem, dass Onlinemee-
     ker (AA) nicht als vollwertiger Ersatz für direkte             tings Übergänge zwischen professioneller Hilfe
     persönliche Treffen erachtet, weil im persönlichen             und Selbsthilfe erleichtern können, wenn z. B.
     Austausch das Offenlegen von Erfahrungen                       die Teilnahme an Meetings auch während eines
     leichter fällt und weil neue Mitglieder dadurch                stationären Aufenthalts in einer Behandlungs-
     schneller in der Gruppe Anschluss finden. Die                  einrichtung möglich ist.
     direkte persönliche Interaktion ermöglicht                         Ein weiteres spezifisches Problem bei
     zudem die Übernahme von administrativen                        Selbsthilfeangeboten liegt darin, dass freiwilli-
     Aufgaben (z. B. Schlüsselverwaltung), die das                  ge Spenden bei direkten, persönlich abgehalte-
     Selbstwertgefühl fördern kann.                                 nen Meetings eine relevante Einnahmequelle zur
         In anderen Punkten wurden spezifische                      Deckung laufender Betriebskosten wie Miete
     Aspekte genannt, durch die sich Selbsthilfeein-                oder Strom darstellen und durch die Umstel-
     richtungen in Hinblick auf Ausgangsbedingun-                   lung auf Onlinetreffen entfallen sind.
     gen und Reaktionen auf die Corona-Pandemie                         Diese überwiegend positive Beurteilung
     von professionellen Suchthilfeeinrichtungen                    von Online-Angeboten seitens der Interview-
     unterscheiden.                                                 partner/-innen wird eingeschränkt durch Hin-
         Zunächst haben Selbsthilfeeinrichtungen                    weise aus der Literatur, wonach Interaktionen
     wie die AA im Gegensatz zu professionellen                     in digitalen Räumen mehr kognitive und emo-
     Einrichtungen keine hierarchische Struktur                     tionale Ressourcen erfordern als persönliche
     und benötigten daher keine zentralisierte Ent-                 Interaktion, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen
     scheidung für den Umstieg auf Telehealth-Ange-                 (Bergman & Kelly, 2021). Ohne diesen Mehrauf-
     bote. Dies wird auch als Grund dafür geäußert,                 wand können digitale Selbsthilfeangebote zu
     warum diese Umstellungen sehr schnell und                      geringerer emotionaler Bindung bzw. verrin-
     teilweise „über Nacht“ erfolgen konnten.
         Intensive Kommunikation als gemeinschafts-                 15
                                                                         Sponsorinnen/Sponsoren sind etablierte Mitglieder der Ge-
     förderndes Element zwischen den Mitgliedern                         meinschaft, die bereits seit längerer Zeit nüchtern sind und
                                                                         die Grundsätze des AA-Programms auf ihr eigenes Leben an-
     war bereits vor der Pandemie ein wesentlicher                       gewandt haben. Sie sind Mentorinnen/Mentoren für andere
                                                                         Mitglieder, geben Rat und Unterstützung und helfen ihnen,
     14
          Ab Februar 2021 wurden laut der 4. COVID-19-Schutzmaß-         die zwölf Schritte zu vollenden (Chappel, 1994).
          nahmenverordnung Kontaktbeschränkungen für Selbsthilfe-   16
                                                                         Das „Blaue Buch“ ist der Grundlagentext der AA und beinhal-
          gruppen aufgehoben.                                            tet u. a. die „Zwölf Schritte“ und die „Zwölf Traditionen“.

                                                                                                        rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
Aus der Ferne in Kontakt bleiben                                                                                         11

gerter Gruppenidentifikation führen und bie-                         Molfenter und Kollegen (2021) berichten
ten infolgedessen weniger Möglichkeiten, Res-                    auf Basis einer Befragung US-amerikanischer
sourcen aus diesen Treffen zu generieren17. Ob                   Suchthilfeeinrichtungen von einer sehr hohen
Online-Angebote im Selbsthilfebereich ähnli-                     Bereitschaft, auch nach der COVID-19-Pande-
che positive Effekte wie reale Kontakte erzie-                   mie Telehealth-Angebote beizubehalten. Die
len können, hängt nicht zuletzt davon ab, ob es                  Vielzahl der praktischen Vorteile lässt auch
ausschließlich bei Online-Interaktionen bleibt                   in Österreich einen weiteren Einsatz von Tele­
oder ob auch persönliche Kontakte stattfinden,                   health-Interventionen nach COVID-19 wahr-
bei denen soziale Beziehungen an Stärke und                      scheinlich erscheinen, auch wenn klar ist, dass
Verbindlichkeit gewinnen (a.a.O.).                               diese direkte persönliche Kontakte in vielen
                                                                 Fällen nicht ersetzen können. Hier sind Krite-
Ausblick                                                         rien nötig, unter welchen Bedingungen Tele­
                                                                 health-Angebote zweckmäßig sind und wann
Die globale Corona-Pandemie hat dazu geführt,                    herkömmliche Angebote zu bevorzugen sind,
dass Suchthilfeeinrichtungen weltweit mit Ein-                   um die Qualität der Angebotspalette zu ge-
schränkungen des persönlichen Kontakts kon-                      währleisten.
frontiert waren, wodurch es zu einem sprung-
haften Ausbau von Telehealth-Interventionen
kam. In vielerlei Hinsicht sind daraus resultie-                 Literatur
rende Herausforderungen und Erfahrungen in
unterschiedlichen geografischen Regionen sehr                    Bergman, B. G. & Kelly, J. F. (2021). Online digital
ähnlich verlaufen (vgl. Oesterle et al., 2020, für                   recovery support services: An overview of the
die USA) und haben somit auch zu einer „Glo-                         science and their potential to help individuals
balisierung“ der aktuell zentralen Herausforde-                      with substance use disorder during COVID-19
rung in der Suchthilfe geführt.                                      and beyond. Journal of Substance Abuse Treat-
    Für den Einsatz im Regelbetrieb sind Fra-                        ment, 120, 108152.
gen zu den administrativen Rahmenbedingun-                       Chappel, J. N. (1994). Working a program of recov-
gen ungeklärt (z. B. Wahrung der Privatsphäre,                       ery in Alcoholics Anonymous. Journal of Sub-
Datenschutz, Barrierefreiheit, längerfristige                        stance Abuse Treatment, 11(2), 104–199.
Kostenerstattung). Für eine längerfristige Bei-                  Coughlin, L. N., Bonar, E. E. & Bickel, W. K. (2021).
behaltung des verstärkten Einsatzes von Tele­                        Considerations for remote delivery of behav-
health-Angeboten bedarf es daher Leitlinien                          ioral economic interventions for substance use
und Empfehlungen, z. B. in Hinblick darauf,                          disorder during COVID-19 and beyond. Jour-
welche Anwendungen, Plattformen und Ap-                              nal of Substance Abuse Treatment, 120, 1–4.
plikationen für welche Zielgruppen am besten                     Haug, S. (2019). Chatbots zur Frühintervention
geeignet sind.                                                       und Behandlungsbegleitung bei Alkoholpro-
    Zum aktuellen Zeitpunkt ist offen, inwie-                        blemen. SuchtMagazin, 45(2), 22–24.
weit die pandemiebedingte Umstellung von                         Hughto, J. M. W., Peterson, L., Perry, N. S., Donoy-
bewährten (persönlichen) Unterstützungsan-                           an, A., Mimiaga, M. J., Nelson, K. M. et al.
geboten auf Telefon bzw. Internet dazu führen                        (2020). The provision of counseling to patients
wird, dass sich nicht nur das Medium der the-                        receiving medications for opioid use disorder:
rapeutischen Interventionen ändert, sondern                          Telehealth innovations and challenges in the
dass auch Inhalte über diese neuen Modalitäten                       age of COVID-19. Journal of Substance Abuse
adaptiert werden, die etwa eine engmaschige                          Treatment, 120, 1–3.
Dokumentation des eigenen Konsumverhaltens                       Lin, L. A., Casteel, D., Shigekawa, E., Weyrich, M.
auf elektronischen Geräten erlauben und damit                        S., Roby, D. H. & McMenamin, S. B. (2019). Tele-
den Ausbau von Angeboten wie Kontingenz-                             medicine-delivered treatment interventions
management mit kurzen, aber häufigen Inter-                          for substance use disorders: A systematic re-
ventionen begünstigen (Coughlin et al., 2021).                       view. Journal of Substance Abuse Treatment, 101,
Zu vermeiden sind jedenfalls unbeabsichtigte                         38–49.
Folgen für Klientinnen/Klienten durch die Im-                    Mellor, R. & Ritter, A. (2020). Redressing responses
plementierung von Telehealth-Angeboten, etwa                         to the treatment gap for people with alcohol
indem bestimmte Zugänge gewählt werden,                              problems: The overlooked role of untreated
obwohl andere Behandlungsmodalitäten bes-                            remission from alcohol problems. Sucht, 66(1),
ser geeignet wären (Warfield et al., 2021).                          21–30.
                                                                 Molfenter, T., Boyle, M., Holloway, D. & Zwick, J.
17
     Zum Beispiel wird angenommen, dass über digitale Selbst-        (2015). Trends in telemedicine use in addiction
     hilfeformate zwar Informationen vermittelt werden können,
     aber zusätzliche Lernmechanismen (z. B. stellvertretendes
                                                                     treatment. Addiction Science & Clinical Practice,
     Lernen nach Bandura) nur begrenzt wirksam sind.                 10(1), 1–9.

rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
12                                                                              J. Strizek, A. Brotherhood & A. Puhm

     Oesterle, T. S., Kolla, B., Risma, C. J., Breitinger, S.    drugs; seizing opportunity in times of chaos.
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         health promotion vocabulary to enhance clear           Mag. Angelina Brotherhood
         communication during a pandemic. Global                Soziologin. Seit 2007 in der Suchtforschung
         Health Promotion, 28(1), 5–14.                         tätig, Health Expert am Kompetenzzentrum
     Strizek, J., Busch, M., Priebe, B., Puhm, A. & Uhl,        Sucht der Gesundheit Österreich GmbH
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     Uscher-Pines, L., Sousa, J., Raja, P., Mehrotra, A.,       Qualitätssicherung, Evidenzbasierung.
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         digital interventions for health system strengthen-
         ing. Geneva.                                           Mag. Dr. Alexandra Puhm, M.Sc.
     WHO. (2021, May 7). Implementing telemedicine ser-         Erziehungswissenschafterin und Psycho-
         vices during COVID-19: guiding principles and          therapeutin. Seit 1992 im Suchtbereich tätig,
         considerations for a stepwise approach. Repub-         arbeitet am Kompetenzzentrum Sucht an der
         lished without changes. Geneva.                        Gesundheit Österreich GmbH und als Psycho-
     Wisse, E., Burke-Shyne, N., Chang, J. & South-             therapeutin in freier Praxis.
         well, M. (2021). COVID-19 and people who use           alexandra.puhm@goeg.at

                                                                                            rausch, 10. Jahrgang, 3-2021
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