Aus der Rille Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton: Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts

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Aus der Rille
Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton:
Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts
Ein Beitrag von Ernst Müller

Interpretationsvergleich: Beat Wyss und Ernst Müller. Die             Man kann nicht behaupten, dass die Schweiz ihrem
Fotos und Autographen (mit Ausnahme der Plattenhüllen)           Landsmann Schoeck (1886–1957) besondere Aufmerksam-
stammen aus der Sammlung von Roland Kupper, Basel                keit zukommen lässt. Zwar gibt es eine Othmar Schoeck-Ge-
                                                                 sellschaft mit Sitz in Zürich (www.othmar-schoeck.ch), die
    Nach einem ausführlichen Beitrag über drei gern gehör-       sich seit langer Zeit für die Verbreitung des Werkes dieses
te und bekannte Violinkonzerte in der letzten Ausgabe möch-      wesentlichen Schweizer Komponisten des 20. Jahrhunderts
te ich für dieses Mal meine Aufmerksamkeit weniger Be-           einsetzt, doch sind Schoecks Werke im Konzertleben unse-
kanntem widmen. Vier Violinkonzerte, die zwischen 1911           res Landes nur selten anzutreffen. Das mag daran liegen,
und 1939 komponiert worden sind und somit an oder auf            dass Schoeck primär als Liedkomponist gilt – er hat einige
der Schwelle zur Moderne stehen, seien hier kurz vorgestellt.    hundert Klavierlieder hinterlassen. In Plattenveröffentlichungen
Die kleine Reise beginnt in der Schweiz mit dem Romantiker       haben sich Sänger wie Dietrich Fischer-Dieskau (auf DGG
Othmar Schoeck, führt uns mit Karol Szymanowski über Po-         und Claves), Ernst Haefliger (auf Jecklin), Arthur Loosli (EMI)
len und mit Paul Hindemith (Deutschland) schliesslich mit Wil-   oder Kurt Widmer (PAN) für Schoecks Liedschaffen einge-
liam Walton nach England. Auf die eine oder andere der da-       setzt. Schoeck hat aber auch Bühnenwerke geschrieben – im-
bei besprochenen Aufnahmen kann man vielleicht beim Stö-         merhin ist seine Kleist-Oper «Penthesilea» in den letzten Jah-
bern auf dem Occasionsplattenmarkt stossen. Wie schon fast       ren wieder vereinzelt auf Spielplänen von Opernhäusern auf-
als Ritual üblich haben Beat Wyss und der Verfasser die ver-     getaucht – und Orchestermusik komponiert – hie und da ist
schiedenen Aufnahmen an langen Hörabenden einem kriti-           das Streicherwerk «Sommernacht» op. 58 zu hören. Lohnend
schen Vergleich unterzogen.                                      ist vor allem auch Schoecks Kammermusik, die auf LPs immer
                                                                 wieder als Occasion zu finden ist. Empfehlenswert sind die
                                                                 beiden Streichquartette, welche das «Neue Zürcher Streich-
                                                                 quartett» 1981 eingespielt hat (PAN 130 048) sowie die
Othmar Schoeck:                                                  beiden Violinsonaten, die der Geiger Ulrich Lehmann mit
Violinkonzert B-Dur op. 21                                       dem Pianisten Charles Dobler 1986 auf Ex Libris (LP EL
                                                                 16990, digital) vorgelegt hat.

                                                                 «Die chaibe Stefi»

                                                                     Obwohl Schoeck selbst Pianist war, gibt es relativ wenig
                                                                 reine Klavierkompositionen aus seiner Feder. Vor allem in jun-
                                                                 gen Jahren galt seine Vorliebe der Violine. Das dürfte unter
                                                                 anderem einen Grund darin haben, dass der Komponist von
                                                                 der ungarischen Geigerin Stefi Geyer (1888–1956) sehr an-
                                                                 getan war, die er erstmals 1907 in Leipzig gehört und zu der
                                                                 er eine intensivere Beziehung gesucht hatte. Nachdem
                                                                 Schoeck die zwanzigjährige Geigerin 1908 persönlich ken-
                                                                 nen gelernt hatte, widmete er ihr zunächst ein «Albumblatt für
                                                                 Violine und Klavier», dann die erste Violinsonate (1908/09)
                                                                 und drei Jahre später das hier zur Diskussion stehende Vio-
                                                                 linkonzert (1911/12). Nicht nur für Schoeck, auch für Bela
                                                                 Bartok ist Stefi Geyer eine unnahbare Schönheit geblieben.
                                                                 Beide Komponisten scheinen sich in den Jahren 1907 und
                                                                 1908 in sie verliebt zu haben und machten sie zur Wid-
                                                                 mungsträgerin von Geigenwerken. Wenig Glück hatte Bar-
                                                                 tok, denn sein in dieser Zeit entstandenes erstes Violinkonzert
                                                                 hat die Widmungsträgerin nie aufgeführt, es in der Schubla-
                                                                 de aufbewahrt und erst kurz vor ihrem Tode Paul Sacher über-
                                                                 reicht mit der Bitte, es mit dem damals jungen Schweizer Gei-
                                                                 ger Hans-Heinz Schneeberger (der übrigens heute mit 84 im-
                                                                 mer noch ausgezeichnet Violine spielt) zur Uraufführung zu
Othmar Schoeck 1937                                              bringen. So ist Bartoks erstes Violinkonzert, das heute durch-

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                                                                  Nur gerade drei Einspielungen

                                                                      Die Einspielung von Ulrich Lehmann (geb. 1928) mit
                                                                  dem Zürcher Kammerorchester unter Edmond de Stoutz ver-
                                                                  mag von Beginn an zu überzeugen. Da ist zunächst der wun-
                                                                  dervoll lyrische Ton des Solisten zu erwähnen. Lehmann geht
                                                                  mit einem bewusst fragilen Ton an das Werk. Die Violine ist
                                                                  aufnahmetechnisch zwar im Vordergrund, steht jedoch in ei-
                                                                  nem guten Zusammenspiel mit dem Orchester. Uns lagen ei-
                                                                  ne gute Pressung von Ex Libris und eine Monopressung von
                                                                  Amadeo vor. Die Ex-Libris-Platte ist klar vorzuziehen. Die Gei-
                                                                  ge steht hier weniger im Vordergrund und man hört deutlich
                                                                  mehr im Orchester.

      Stefi Geyer: ihr widmet Schoeck sein Violinkonzert

aus zum Standardrepertoire für Geiger gehört, erst im Mai
1959, zwei Jahrzehnte nach dem Ableben Bartoks also, in
Basel erstaufgeführt worden.

    Da hatte Schoeck schon mehr Glück. Stefi Geyer, die
Schoeck in jungen Jahren desillusioniert «die chaibe Stefi»       Foto mit Autograph des Geigers Ulrich Lehmann. Seine Aufnahme
nannte, hat seine Werke im Repertoire gehabt, sie in früher       des Violinkonzerts von Schoeck war auf LP lange Zeit die einzige.
Zeit gemeinsam mit dem Komponisten am Klavier bei
Tourneen durch die Innerschweiz aufgeführt, das Violinkon-            Die Aufnahme der Widmungsträgerin Stefi Geyer
zert hat sie in der Schellackzeit sogar eingespielt. Zur Ur-      (1888–1956) mit dem Tonhalle Orchester Zürich unter der
aufführung des Konzerts hatte sie sich allerdings nicht ent-      Leitung von Volkmar Andreae aus dem Jahre 1947 wirkt zu-
schliessen können. Diese erfolgte im März 1912 in Bern            mindest im 1. Satz langsamer. Ob das noch ein Allegretto
durch Willem de Boer, Konzertmeister des Tonhalle Orches-         ist? Klare Bögen weist das Spiel der Solistin im 2. Satz auf.
ters, unter der Leitung von Fritz Brun.                           Als Ganzes vermag die Interpretation Stefi Geyers sehr zu
                                                                  überzeugen. Der Klang allerdings lässt Zweifel aufkommen.
Ein «romantisches» Violinkonzert                                  Leider haben wir uns bloss eine CD des Labels Jecklin an-
                                                                  hören können, das originale 78er-Album stand uns nicht zur
    Der in Brunnen geborene Schoeck hat sich übrigens nach        Verfügung. Wir zweifeln daran, dass Walter Legge, der als
Studien in Zürich und in Leipzig bei Max Reger in Zürich nie-     Produzent für diese Columbia-Aufnahme verantwortlich zeigt,
dergelassen und hat dort bis zu seinem Tode 1957 gewohnt.         1947 einen derart mulmigen Klang eingefangen hat. Eine
Schoecks Kompositionsstil ist in der Romantik verankert. Sei-     Neuauflage dieser Einspielung, auf welchem Medium auch
ne Romantik hat indessen nichts Überschwengliches. Viel-          immer, wäre sehr wichtig.
leicht ist es kein Zufall, dass der Geiger keine Solokadenz er-
hält. Das Konzert, das Schoeck «quasi una fantasia» nennt,           Als drittes lag die Aufnahme von Ulf Hoelscher (geb.
hat rhapsodischen Charakter. Sehnsuchtsvoll und lyrisch sind      1942) mit dem English Chamber Orchestra unter Howard
die Themen des ersten Satzes; klagend aber nicht mutlos           Griffiths vom September 1990 auf dem Plattenteller. Das La-
wirkt der zweite Satz, bei dem sich die Sologeige immer           bel Novalis hat noch sehr lange Aufnahmen parallel auf CD
wieder leidenschaftlich zu Wort meldet. Tanzenden und be-         und LP herausgebracht. Hoelschers Spiel zeichnet sich durch
freiend wirkenden Charakter hat der Schlusssatz, in den sich      Präzision und Klarheit aus. Diese digitale Aufnahme hat
immer wieder Wehmut mischt.                                       klanglich natürliche Höhen.

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   Nach Anhören der drei Aufnahmen, sind Beat Wyss und          Es existieren übrigens zwei leider nie erschienene Radio-
der Schreibende zum Schluss gelangt, dass es nicht ent-      aufnahmen von Schoecks Violinkonzert mit Aida Stucki (geb.
scheidend ist, welche Aufnahme man hört. Sicher aber ist,    1921), sie ist Schülerin von Stefi Geyer und einzige Lehrerin
dass dieses zu Unrecht kaum gespielte schöne Violinkonzert   von Anne-Sophie Mutter. Beide Aufnahmen sind mit dem Ra-
unbedingt in eine Sammlung von Violinliebhabern gehört!      dioorchester Zürich, die eine unter Alexander Kranhals, die
                                                             andere unter Erich Schmid.

                                                             Diskographie:

                                                             • Ulrich Lehmann, Violine; Zürcher Kammerorchester unter
                                                               Edmond de Stoutz, A: 1964; (gekoppelt mit dem Horn-
                                                               konzert mit Jozef Brejza) Ex Libris EL 16541; auch auf
                                                               Amadeo AVRS 5042 (Mono) und Mace
                                                             • Stefi Geyer, Violine, Tonhalle Orchester Zürich, Leitung:
                                                               Volkmar Andreae, Columbia LZX 242 (78er Set!). Als CD:
                                                               Jecklin Edition JD 715-2
                                                             • Ulf Hoelscher, English Chamber Orchestra, Dirigent: Ho-
                                                               ward Griffith, A: Sept. 1990, Digital, Novalis 150 070-1

                                                             Da das Werk nur selten auf LP greifbar ist, erlaube ich mir
                                                             hier den Hinweis auf zwei CDs:
                                                             • Hans-Heinz Schneeberger, Violine; Sinfonietta Wetzikon,
                                                                Dirigent: Christoph Müller (A: 2004, Digital); PAN, SP
                                                                51.704
                                                             • die zweite ist 1991 aufgenommen: Bettina Boller (Violine),
                                                                Schweizer Jugendsinfonieorchester unter Andreas Delfs;
Othmar Schoeck um 1945                                          Claves Digital CD 50-9201

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Karol Szymanowski:
Violinkonzert Nr. 1 op. 35 (1916)
    Karol Szymanowski (1882–1937) kommt eine bedeu-
tende Stellung in der polnischen Musikgeschichte zu. Seit
Chopin gab es in Polen keine Komponisten von internatio-
nalem Format mehr. Eine Ausnahme mag Stanislaw Moni-
uszko (1819–1872) sein, der als Begründer der polnischen
Nationaloper gilt, jedoch nie internationale Geltung erlangt
hat. Szymanowski war wohl der einzige Pole, der zwischen
Chopin und den bedeutenden Vertretern der Nachkriegs-
moderne, Penderecki und Lutoslawski, im übrigen Europa
wahrgenommen wurde. Allerdings verhinderte dies nicht,
dass der aus reicher Familie stammende Szymanowski in
ärmlichen Verhältnissen starb, denn letztlich war seine Ton-
sprache für das in kulturellen Traditionen erstarrte Polen zu un-
angepasst und zu progressiv. Erst nach seinem Tod wuchs
sein Ansehen im eigenen Land. Ganz allein stand der Kom-
ponist aber nicht: Gemeinsam mit dem heute völlig verges-
senen Stansilas Barcewicz (1858–1929), dem früh tödlich
verunfallten Mieczyslaw Karlowicz (1876–1909), der übri-            Ein Porträt des Komponisten Szymanowski, wie es auf dem EMI-Al-
gens ein empfehlenswertes Violinkonzert komponiert hat, und         bum mit Orchesterwerken erscheint
zwei weiteren Tonschöpfern bildete Szymanowiski die Grup-           (SLS 5242 oder 1C 165-43 210/12).
pe, die man als «Das junge Polen» bezeichnete.

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Aus der Rille Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton: Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts
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Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton: Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts

    Seinen musikalischen Horizont muss-     lodien von gesanglich-lyrischem Cha-        ner Tonsprache der ersten Jahrzehnte
te der Komponist im Ausland erweitern:      rakter als Gegenpart hörbar. Orchester      des letzten Jahrhunderts liegen. Vermut-
Seine anfängliche Wagner- und Strauss-      und Soloinstrument führen einen drama-      lich bedarf dies höherer technischer
begeisterung führte ihn nach Berlin, in     tischen Dialog in höchster Anspannung,      Fähigkeiten als ein Ausspielen romanti-
Leipzig kam er in Kontakt mit Regers        wie ein Gespräch mit der Natur könnte       scher Elemente. Und Wilkomirska wird
Kontrapunkt. Eine entscheidende Inspi-      man sagen – schliesslich liegt dem          den Ansprüchen des Werks vollauf ge-
ration holte er sich in der Folge indes-    Werk das pantheistische Gedicht             recht. Das Temperament und die enor-
sen beim französischen Impressionis-        «Mainacht» von Tadeusz Micinski zu-         me Genauigkeit des Geigentons faszi-
mus, also bei Debussy und Ravel. Aber       grunde, ein Dichter, der sich in mysti-     nieren. Die Interpretation ist höchst
auch die neue Wiener Schule um              schen Themen bewegte. Der optimisti-        spannend und hat jederzeit Transpa-
Schönberg, Berg und Webern fas-             sche Gesang der Geige behält am En-         renz, was zu einem guten Teil auch der
zinierte ihn. Wie Bartok hatte auch         de gegen das rüde aufspielende Or-          hervorragenden Begleitung durch Wi-
Szymanowski musikethnologische Inter-       chester die Oberhand und löst sich          told Rowicki mit den Warschauer Phil-
essen und suchte in der Hohen Tatra die     schliesslich selbst in zunehmender Stille   harmonikern zu verdanken ist. Das in
Begegnung mit der Musik der Bergbe-         auf.                                        diesem Werk wichtige Zusammenspiel
wohner und somit mit der polnischen                                                     von Solist und Orchester ist ideal und
Folklore. Im oft Exstatischen der Ton-                                                  macht die Klangstruktur des Werks
sprache hat Szymanowksi zudem deut-                                                     transparent. Ganz sicher ist das eine
liche Parallelen zu Skrjabin.                                                           der ganz grossen Geigeneinspielungen
                                                                                        und die Referenz für dieses Werk.
    Szymanowski schrieb 4 Sinfonien
(die dritte mit Singstimme und die vierte                                                   Dies zeigt mit aller Deutlichkeit der
mit Klavier), Klavierstücke (vor allem                                                  Vergleich mit der Aufnahme des polni-
Mazurken und Sonaten), zwei Streich-                                                    schen Geigers Konstanty Kulka
quartette, eine Oper (König Roger), ein                                                 (geb. 1947) mit dem Polnischen Ra-
Ballet (Harnaise), sowie einige Werke                                                   dioorchester unter Jerzy Maksymiuk.
für die Violine.                                                                        Diese Interpretation ist weniger kontu-
                                                                                        riert und weniger dynamisch. Kulka
    Die meisten Werke für Violine sind                                                  neigt zum Romantisieren, um nicht zu
für und in Zusammenarbeit mit dem                                                       sagen zum Verzärteln des Werks. Das
Geiger Pawel Kochanski (1887–1934)          Die Plattenhülle der polnischen Aufnahme    Orchester ist nicht kontrastreich. Im Ver-
entstanden, so auch die beiden Violin-      beider Violinkonzerte Szymanowskis mit      gleich zu Wilkomirska ist das alles zu
konzerte aus den Jahren 1916 und            Wanda Wilkomirska                           harmlos; auch die Werkstruktur wird
1933. Das hier genauer besprochene                                                      weniger klar, obwohl die Aufnahme-
erste Violinkonzert op. 35 ist in den                                                   technik durchaus transparent ist.
Sommer- und Herbstmonaten 1916              Drei Einspielungen auf LP
komponiert worden. Es ist einsätzig (vi-
vace assai) und dauert etwa 25 Minu-             Die polnische Geigerin Wanda
ten.                                        Wilkomirska (geb. 1929) ist bei
                                            uns kaum bekannt. Zu unrecht, wie ich
     Das Werk klingt modern und es ist      meine. Sie stammt wie Henryk Szeryng
erstaunlich, dass es bloss 5 Jahre nach     aus Warschau und hat bei diesem in
dem Konzert von Schoeck komponiert          Paris studiert. In den 50er und 60er Jah-
ist. Der Aufbau ist komplex und hält sich   ren hat sie jährlich über hundert Kon-
nicht an das klassische Formschema.         zerte gegeben. Sie hat sich stets für die
Da ist kein erstes und zweites Thema        Musik des 20. Jahrhunderts eingesetzt,
auszumachen; nach Durchführung oder         spielt eindrücklich die Konzerte von
Coda sucht man vergeblich. Im An-           Berg und Prokofiev und hat auch Vio-
schluss an eine eher düstere, vehemen-      linwerke zeitgenössischer Komponisten
te kurze Orchestereinleitung übernimmt      wie z. B. von Krzysztof Penderecki oder
die Solovioline das Szepter. Das Werk       Tadeusz Baird uraufgeführt. Entspre-
erweist sich als grossangelegte Rhap-       chend betont sie in ihrer Einspielung
sodie. Orchester und Soloinstrument         des Szymanowski-Konzerts auch nicht
sind Dialogpartner: Über dem oft heftig     den durchaus vorhandenen romanti-
klingenden, manchmal fast chaotisch         schen Unterbau des Werks. Und sie
wirkenden Orchester bleibt als höchste      macht damit klar, dass die Hauptqua-
Stimme meist die Violine mit ihren Me-      litäten des Violinkonzerts im Ansatz ei-

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    Auch die Einspielung von David Oistrach vermag                 Paul Hindemith:
nicht an jene Wilkomirskas heranzukommen. Zwar ist Ois-
trachs Expressivität eindrücklich, sein Spiel brillant, doch ist   Violinkonzert op. 14 (1939)
das Orchester unter Kurt Sanderling in dieser Aufnahme von
1959 blosser Begleiter. Dieses Konzert bedarf aber eines mit           Auch der nächste Komponist, der deutsche Paul Hinde-
dem Solisten gleichwertig dialogisierenden Orchesters. Die         mith (1895–1963) dürfte in den Plattenregalen unserer Mit-
Aufnahme ist übrigens in Mono, obwohl bei der uns vorlie-          glieder nur dürftig, wenn überhaupt, vorhanden sein; dies
genden Ariola-Pressung Stereo vermerkt ist.                        obwohl seine Werke nicht zu den schwer zugänglichen
                                                                   gehören. Hindemith hat in Frankfurt Violine und Komposition
    Die beiden Einspielungen von Wilkomirska und Kulka ver-        studiert und den ersten Teil seiner Karriere als ausübender
einigen übrigens beide Violinkonzerte Szymanowskis auf ei-         Künstler verbracht: 1915 bis 1923 war er Konzertmeister am
ner Platte. Bei Wilkomirska erstaunt, dass die Aufnahme des        Frankfurter Opernhaus, in den Zwanzigerjahren dann Brat-
2. Konzerts mit demselben Dirigenten und Orchester erst            schist im bedeutenden Amar-Quartett. Später trat er als So-
1980, also 19 Jahre später, entstanden ist.                        lobratschist und schliesslich als Dirigent eigener und fremder
                                                                   Werke auf. Ab 1927 war er zudem Professor an der Berli-
Diskographische Hinweise:                                          ner Hochschule, verlagerte jedoch nach der Machtergrei-
                                                                   fung durch die Nazis seine Aktivitäten zunehmend ins Aus-
• Konstanty Kulka, Polnisches Radioorchester, Dirigent: Jerzy      land; es war weniger die Musik als die Gesinnung Hinde-
  Maksymiuk A: Nov. 1978; EMI 2C069-03597                          miths, die auf die Ablehnung der Nazis stiess, welche seine
                                                                   Musik ab 1934 mit einem Sendeverbot für den Rundfunk be-
• Wanda Wilkomirska, National Philharmonic Orchestra               legten. Hindemith zog 1938 zunächst in die Schweiz und
  Warschau, Dirigent: Witold Rowicki, A: 1961, Polskie             1940 schliesslich in die USA, unterrichtete in Yale (1940-
  Nagranie SX 2351                                                 1953), und wurde 1946 amerikanischer Staatsbürger. Ab
                                                                   1953 lebte er wieder in der Schweiz (im wadtländischen
• David Oistrach, Leningrader Philharmoniker, Dirigent: Kurt       Blonay).
  Sanderling; A: 1959; Melodija D 05180 (oder in 3 LP-
  Album Ariola 89 515 XGK)                                            Hindemiths Musik hatte in der Zwischenkriegszeit in
                                                                   Deutschland polarisiert. Er galt zunächst als «bad boy», des-
                                                                   sen Kompositionen die Nazis als «Entartete Kunst» einstuften.

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Als indessen Furtwängler 1932 Hindemiths «Philharmoni-
sches Konzert» uraufführte und zwei Jahre später die Sym-
phonie zu «Mathis der Maler» entstand, nahmen die Nazis
im Grunde vor allem noch Anstoss an seiner Gesinnung;
dafür aber wandten sich nun die Vertreter der «Neuen Sach-
lichkeit», allen voran ihr Wortführer Theodor W. Adorno, von
ihrem einstigen Weggefährten Hindemith ab, weil ihnen sei-
ne Tonsprache nun restaurativ erschien.

                                                                 Autograph von Hindemith aus dem Jahre 1932

                                                                      Das Werk ist dreisätzig. Im ersten Satz entwickelt die So-
                                                                 logeige das erste Thema in hohen Tönen aus den Streicher-
                                                                 klängen heraus. Ein Pendant dazu tragen dann die Holz-
                                                                 bläser bei. Später folgt ein zweites, längeres Thema. Im Zen-
                                                                 trum des zweiten Satzes steht nach einer Holzbläsereinlei-
                                                                 tung eine ausdrucksvolle Cantilena. Der Satz enthält aber
                                                                 auch militärischere Töne (ob es zu weit geht zu sagen, hier
                                                                 bringe Hindemith deutsches Kriegsgeschrei ein?), die Geige
                                                                 antwortet mit humanen Tönen. Im dritten Satz stehen spöt-
                                                                 tisch, heroische und ironische Töne im Orchester einer Gei-
                                                                 ge gegenüber, die unterschiedliche Gefühle von Mensch-
                                                                 lichkeit oder brillanter Fröhlichkeit ausdrückt. Eine ausführli-
                                                                 che Kadenz führt zu einem intensiven Schluss. Vor allem der
                                                                 dritte Satz ist interpretatorisch sehr anspruchsvoll, verlangt er
                                                                 doch vom Solisten und vom Dirigenten grosse Präsenz, um
                                                                 den Dialog beider und die in der Partitur angelegte Ironie um-
Paul Hindemith                                                   zusetzen. Ob der hohe Anspruch ein Grund ist, dass das
                                                                 Werk nicht häufig aufgeführt wird?

                                                                     Mehr in Klammer ist vielleicht noch zu ergänzen, dass
    Kompositorisch lassen sich tendenziell Phasen festhalten:    das beschriebene Violinkonzert nicht das erste konzertante
In den Jahren 1917 bis 1923 ist sehr viel Kammermusik ent-       Werk für die Geige ist; denn bereits in den 20er-Jahren hat-
standen, in den 30er-Jahren wich das Schaffen für Kammer-        te er in den sogenannten «Kammermusiken» – das sind sie-
ensembles jenem für Sinfonieorchester. In den späten 30er-       ben Konzerte für unterschiedliche Soloinstrumente – als Num-
und in den 40er-Jahren sind die Solokonzerte entstanden, zu-     mer vier ein Konzert für Solovioline und grosses Kammeror-
dem hat er die meisten Instrumente mit einer Sonate mit Kla-     chester komponiert.
vierbegleitung bedacht. Zu sagen ist, dass Hindemith die
meisten Instrumente, für die er Konzerte schrieb, selbst spie-   Fünf, zum Teil sehr hörenswerte Einspielungen
len konnte! In den letzten Lebensjahren widmete er sich ne-
ben dem Komponieren vermehrt dem Dirigieren und ging auf              Dieses Konzert ist jedenfalls nur sehr selten im Konzert-
Tourneen in die USA und nach Asien.                              saal zu hören. Etwas besser steht es mit Aufnahmen. Zu-
                                                                 nächst zu zwei Aufnahmen mit dem grossen David Ois-
    Hindemiths Violinkonzert ist 1939 entstanden und am 19.      trach (1908–1974), beide aus dem Jahre 1962. Da ist
April 1940 vom Boston Symphony Orchestra unter Serge             zunächst eine russische mit dem «Staatlichen Sinfonieorches-
Koussevitzky mit dem Solisten Richard Burgin uraufgeführt        ter der UdSSR» unter Gennadij Roshdeswenskij. Im 1. Satz
worden. Die Orchestrierung weist neben den Streichern 2          ist durchaus ein Wechselspiel von Solist und Orchester zu er-
Flöten, Piccolo, 2 Oboen, 2 Klarinetten, Bassklarinette, 2 Fa-   kennen, im zweiten Satz wirkt der Dirigent indessen zu sehr
gotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Kessel-          als blosser Begleiter. Oistrach hat den gewohnt klaren und
pauken, grosse Trommel, kleine Trommel, Zymbal, Triangel,        präzisen Ton und wirkt sehr inspiriert. Die zweite Auf-
Tamburin und Gong auf. Zu hören sind also viel Schlagwerk        nahme Oistrachs ist bloss ein halbes Jahr später mit dem
und Bläser.                                                      «London Symphony Orchestra» unter der Leitung des Kom-
                                                                 ponisten entstanden. Diese Decca SXL-Platte gilt als Referenz.
                                                                 Tatsächlich ist sie klanglich wesentlich gelungener. Eindrück-

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lich ist das von Hindemith vehement ge-       gegangen und hat das Konzert mit               1964, Columbia Masterworks MS
leitete Orchester. Beim ersten Hinhören       Leonard Bernstein und dem «New York            6713
scheint es so, als habe Oistrach hier zu      Philharmonic Orchestra» für Columbia
Beginn weniger Verve als in der russi-        aufgenommen. Ein sehr gutes Zusam-           • André Gertler, Tschechische Philhar-
schen Einspielung. Doch zeigt sich            menspiel von Solist und Orchester, ein         monie, Dirigent: Karel Ancerl, A: Ja-
rasch, dass ein präzises Konzept vor-         ideenreicher Stern, der einen kantablen        nuar 1968, Supraphon Stereo
liegt. Ausgezeichnet, wie zu Beginn           Ton pflegt und dabei etwas mehr Vi-            1100508
des 2. Satzes der Dirigent Hindemith          brato verwendet als Oistrach, prägen
mit einer kammermusikalischen Auffas-         diese Einspielung, die dank Bernstein        • Joseph Fuchs, London Symphony Or-
sung bereits in der Orchestereinleitung       auch vom Orchester her sehr abwechs-           chestra, Eugene Goossens (world
den Bogen der später einsetzenden             lungsreich wirkt. Besonders schön sind         premiere recording); A: 1959, Ever-
Violine vorwegnimmt. Treffend wie Ois-        auch die lyrischen Passagen. Von Bern-         est SDBR-3040
trach genau und angemessen nüchtern           stein ist man als Hörer oft Über-
abnimmt und entwickelt. Jede Phrase           schwengliches gewohnt. Deshalb er-
des Orchesters ist genau gesetzt, nichts      staunt es, wie Bernstein im zweiten Satz     William Walton:
klingt nebenbei. Das Orchester kommt
klanglich bestens zum Zuge. Hervorra-
                                              von Beginn an den sachlichen Ton der
                                              Partitur trifft. Sterns zurückhaltende Ge-
                                                                                           Violinkonzert h-Moll
gend ist Hindemith auch mit seiner dras-      staltung dieses Satzes erscheint genau       (1939)
tischen Begleitung im letzten Satz. Das       richtig. Im Teil mit «militärischen» Tönen
ist eine rundum überzeugende Interpre-        erinnert Bernsteins Lesart an Schostako-         Die Musik des englischen Komponis-
tation, die klanglich bestens ist!            witsch. Fulminant nehmen Solist und Di-      ten William Walton (1902–1983)
                                              rigent den 3. Satz.                          wird hierzulande kaum je gespielt. In
                                                                                           den wohl über tausend Klassikkonzer-
                                                  Wesentlich zurückhaltender ist die       ten, die ich in meinem bisherigen Leben
                                              Aufnahme von 1968 des belgisch-un-           gehört habe, war gerade einmal,
                                              garischen Geigers André Gertler              2002, ein kurzes Orchesterstück in ei-
                                              (1907–1998), der sich vor allem als          nem Gastspiel des «BBC Philharmonic
                                              Bartok-Interpret einen grossen Namen         Orchestra Manchester» als Zugabe zu
                                              gemacht hat. Zwar begleitet Karel An-        hören. Meine einzige grosse Begeg-
                                              cerl mit der Tschechischen Philharmonie      nung mit Waltons Musik ausserhalb der
                                              schön, doch hat die Einspielung wenig        Schweiz war allerdings eine gewichti-
                                              klare Konturen, wirkt weniger dem            ge und unvergessene: 1976 in London
                                              Werk angemessen radikal, ist in den          mit dem «London Symphony Orchestra»
                                              Ecksätzen zu «zurückgenommen».               unter André Previn. Zu hören war das
                                                                                           einstündige Werk «Belshazzar’s Feast»
                                                 Referenz bleibt letztlich zunächst        aus den Jahre 1931, eines der gross-
                                              Oistrach, und zwar aus Gründen der           artigsten Werke für Chor und Orchester
                                              «authentischen» Begleitung und des gu-       des 20. Jahrhunderts (es hat eine an-
                                              ten Klangs seine Aufnahme mit dem            spruchsvolle Bariton-Partie), der Kom-
                                              Komponisten auf Decca. Aber auch             ponist war anwesend und nahm den
David Oistrach                                Isaac Sterns Einspielung kann gleicher-      riesigen Applaus würdig entgegen.
                                              massen Freude bereiten.
   Wenig überzeugend ist demge-
genüber die drei Jahre früher entstan-        Diskographische Hinweise:
dene Ersteinspielung des Werks durch          • David Oistrach, Staatliches SO. der
Joseph Fuchs (1899–1997) und                    UdSSR, Dirigent: Gennadij Roshdes-
dem gleichen «London Symphony                   twenskij, A: Februar 1962; Melodija
Orchestra» unter Eugene Goossens.               D 010977 (oder Album Ariola 89
Dies nicht nur weil die Everest-Platte          515)
klanglich grell ist. Am natürlichsten wirkt
die Geige, doch «schleift» der Klang          • David Oistrach, London Symphony
dieser Aufnahme und interpretatorisch           Orchestra, Dirigent: Paul Hindemith,
spielt das Orchester zu ungebremst und          A: September 1962; Decca SXL
wenig inspiriert dahin.                         6035

   1964, zwei Jahre nach Oistrach, ist        • Isaac Stern, New York Philharmonic,        Sir William Walton mit Sir Yehudi Menuhin
Isaac Stern (1920–2001) ins Studio              Dirigent: Leonard Bernstein, A: April      (um 1970)

AAA-Bulletin Ausgabe Winter 2009
Aus der Rille Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton: Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts
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    Im angelsächsischen Sprachraum erfreut sich Walton ei-                                 fast fertige Konzert zu besprechen, soll sich Heifetz, so be-
niger Beliebtheit. Ein interessantes Phänomen ist, dass Wal-                               richtet Lady Walton, mehr für das Anpflanzen in seinem Gar-
ton in den meisten Gattungen oder für die meisten Instrumente                              ten als für das Besprechen des Werks interessiert haben, er
«bloss» ein Werk geschrieben hat: je ein Konzert für die Vio-                              soll es nicht einmal durchgespielt haben. Dennoch arbeiteten
line, die Bratsche, das Cello und eines mit obligatem Klavier,                             Walton und Heifetz in den kommenden Wochen intensiv am
ein Streichquartett, ein Klavierquartett, eine Violinsonate, ei-                           Werk, vor allem am dritten Satz. Es dürfte allerdings typisch
ne grosse Oper, eine Kammeroper. Eine Ausnahme bilden                                      britischer Humor sein, wenn Walton nach Fertigstellung sei-
da die beiden Sinfonien. Walton hat übrigens zahlreiche                                    nes Werks allen feinfühligen Komponisten empfohlen hat, mit
Filmmusiken geschrieben.                                                                   37 zu sterben, da er soeben seine erste Eiszeit durchlebt ha-
                                                                                           be und reif sei für (Kritiker-) Verdammung. Die Uraufführung
   Bekannt geworden ist Walton 1923 durch das Werk                                         des Werks am 7. Dezember 1939 in Cleveland mit Heifetz
«Façade» (nach 21 Gedichten von Edith Sitwell). Mit diesem                                 und dem «Cleveland Orchestra» unter der Leitung von Artur
Werk galt der Komponist zunächst als «enfant terrible». Doch                               Rodzinski ist jedoch durchaus ein Erfolg geworden. Knapp
ab Ende der 20er Jahre, das zeigt beispielsweise schon das                                 zwei Jahre später, im November 1941 hat der Komponist
von Hindemith als Bratscher 1929 uraufgeführte Violakon-                                   selbst dann die britische Erstaufführung in London dirigiert.
zert, hat Waltons Tonsprache neoromantische Züge.                                          1943 hat Walton indessen substantielle Änderungen in der
                                                                                           Orchesterpartitur vorgenommen. Die revidierte Fassung wur-
    Das Werkverzeichnis Waltons ist ansehnlich aber nicht                                  de im Januar 1944 in England erstaufgeführt.
riesig. Das liegt daran, dass Walton kein rascher Schreiber
war. Die Geschichte seines hier besprochenen Violinkonzerts                                    Das etwa halbstündige Konzert ist herkömmlich dreisät-
aus den Jahren 1938/39 belegt dies: Es ist ein Auftrags-                                   zig. Der erste Satz, ein «Andante tranquillo» beginnt mit ei-
werk des Geigers Jascha Heifetz, der sich mit einer gross-                                 nem langen gemächlichen Solothema der Violine, da hat es
zügigen Entlöhnung von 300 Pfund die alleinigen Auf-                                       viel bittersüsse Melancholie; das Ganze mündet in ein zwei-
führungsrechte für die ersten zwei Jahre ausbedungen hatte.                                tes, vom Orchester eingeleitetes, lebhafteres Thema und
Walton empfand den Auftrag als grosse Ehre, hatte indes-                                   schnellere und virtuosere Passagen, bei denen das Orchester
sen, wie so oft, Mühe mit der kompositorischen Umsetzung,                                  das Sagen hat. Der Satz endet mit der Rückführung zum ly-
weil er fürchtete, den Violinpart nicht elaboriert genug und so-                           rischen Ausdruck der Sologeige des Beginns. Der zweite
mit des Geigers nicht würdig gestalten zu können. Dass sei-                                Satz, ein «Presto capriccioso à la napolitana» hat drei Cha-
ne Komposition einen eher intimen Ton aufwies, machte ihn                                  rakteristiken: einen aufflammend hastigen Beginn, ein nea-
besorgt, weil er glaubte, ein Konzert für Heifetz müsse im                                 politanisches Walzermotiv (Sologeige) und das Thema des
Violinpart spritziger und glanzvoller sein.                                                Trios, das vom Horn eingeführt wird. Das Finale (Vivace) be-
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   Als Walton zu Heifetz in die USA reiste, um mit ihm das                                 eingängige und ausführlich entwickelte Melodien vor. Das

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Aus der Rille Schoeck, Szymanowski, Hindemith, Walton: Vier nicht alltägliche Violinkonzerte des 20. Jahrhunderts
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Ganze führt durchaus zum ersten Thema des ersten Satzes           zert in Erinnerung, erstaunt sofort, wie viel kompetenter sein
zurück und bietet dem Solisten Möglichkeiten für ein ganzes       Dirigat hier ausfällt. Heifetz ist sofort an seinem unglaublich
Feuerwerk.                                                        präzisen und brillanten Ton, der aber nie etwas Äusserliches
                                                                  an sich hat, zu erkennen. Diese Aufnahme von 1941 ist
    Waltons Violinkonzert ist übrigens zeitgleich mit jenen von   klanglich befriedigend, die Interpretation überzeugt.
Samuel Barber, Benjamin Britten, Paul Hindemith, Walter Pis-
ton und Karl Amadeus Hartmann entstanden. Die Violinkon-              Die Einspielung von Heifetz mit dem Komponisten Wil-
zerte von Berg und Schönberg, das zweite von Bartok und           liam Walton am Pult aus dem Jahre 1950 besticht durch ei-
das zweite von Prokofiev gehen ihm nur um ein bis drei Jah-       ne im positiven Sinne rationale Planung des Gesamtkon-
re voraus.                                                        zepts. Da ist ein grosse Brillanz des Geigenspiels zu be-
                                                                  wundern, dosiert im Lyrischen, stets präzise und perfekt in
Fünf spannende Einspielungen                                      den bewegten Teilen. Im letzten Satz scheint Heifetz alle
                                                                  Möglichkeiten des Geigenspiels voll auszuschöpfen. Die Mo-
   Bei dieser Besprechung gehen wir chronologisch nach            noaufnahme klingt dem Aufnahmejahr angemessen gut.
Aufnahmedaten vor.

    Der Auftraggeber und Widmungsträger Jascha Hei-
fetz (1901–1987) hat das Werk zweimal eingespielt: im Ja-
nuar 1941, also ein gutes Jahr nach der Uraufführung, mit
dem «Cincinnati Symphony Orchestra» unter der Leitung von
Eugen Goossens (in der Originalversion) und nochmals im Ju-
li 1950, anlässlich einer Europatournee, nunmehr mit Wal-
ton selbst und Dirigentenpult und dem «Philharmonia Orches-
tra» (revidierte Fassung). Beide Aufnahmen sind in Mono.

                                                                  Zino Francescatti (Foto mit Autograph)

                                                                      Zino Francescatti (1902–1991) nimmt 1959 das
                                                                  Werk romantischer und spielt mit seinem unverkennbaren
                                                                  schnellen Vibratoton. Das Ganze tönt spannend und
                                                                  packend. Auffallend ist, wie der Geiger das zweite Thema
                                                                  des Mittelsatzes ganz anders ausspielt: Francescatti scheint
                                                                  sich im Ton zu wiegen. Die lyrischen und die metrischen Ele-
                                                                  mente dieses Satzes werden deutlicher gegenübergestellt,
                                                                  die Orchesterbegleitung ist gut. Auch der dritte Satz hat ei-
                                                                  nen durchgehenden Zug.

                                                                      Yehudi Menuhin (1916–1999) wird in seiner Auf-
                                                                  nahme aus dem Jahre 1970 ebenfalls vom Komponisten be-
                                                                  gleitet. Der erste Satz wird langsamer genommen als in den
                                                                  Vergleichseinspielungen. Der Geigenton ist zwar weniger
                                                                  klar fokussiert als bei Francescatti und vor allem bei Heifetz,
Jascha Heifetz                                                    doch sind Ausdruck und Bögen des Geigenspiels schön, fast
                                                                  möchte man sagen: erstaunlich gut für Menuhin im Jahre
    Als erstes lag die erste Einspielung von Heifetz mit          1970. Im zweiten Satz wirkt Menuhin in den schnellen Pas-
Goossens auf dem Plattenteller. Rasch wird klar, dass die-        sagen doch schwerfälliger als die bisher gehörten Geiger.
ses Violinkonzert keine britische Zurückhaltung aufweist. Fast    Menuhin ist auch hier langsamer, wirkt in den schnellen Tei-
ist man verführt in die Klischeekiste zu greifen und dem Kon-     len eher hektisch als schnell. Soll man bemängeln, Menuhin
zert einen amerikanischen Charakter nachzusagen. Hat man          wiege sich zu sehr im zweiten Thema? Walton begleitet hier
Goossens lustlose Begleitung von Fuchs im Hindemith-Kon-          weniger lebendig und überzeugend als 20 Jahre zuvor.

AAA-Bulletin Ausgabe Winter 2009
Der junge Yehudi Menuhin

    1977 hat Ida Haendel (geb. 1923 – oder 1928?) mit
Paavo Berglund und dem «Bournemouth Symphony Orches-
tra» (wie bereits Menuhin auf EMI) eine gepflegte romanti-
sche Einspielung vorgelegt. Vor allem der Beginn erinnert
daran, dass Studioeinspielungen aus dieser Zeit nicht selten
auf Wohlklang aus sind und interpretatorisch keine allzu gros-
sen Risiken eingehen. Vom zweiten Thema an kommt mehr
Leben in das Ganze. Wohlverstanden: das ist keine Inter-
pretation, die man nicht empfehlen möchte. Gerade im zwei-
ten Satz zeigt sich Ida Haendel den technischen Anforde-
rungen des Werks gänzlich gewachsen, dennoch hat ihr Ton
nicht die musikalische Souveränität eines Heifetz.
24

    Wenn wir unsere ganz persönliche Reihenfolge der In-           • Jascha Heifetz, Cincinnati Symphony Orchestra, Dirigent:
terpretation auflisten sollten, steht klar die Aufnahme mit Hei-     Eugene Goossens; A: 18. 2. 1941 (Originalversion),
fetz und Walton an oberster Stelle, gefolgt von jener Fran-          RCA ARM 4-0945 (Vol. 4 der Heifetz Collection, 4 LPs)
cescattis. An dritter Stelle würden die frühere Heifetz Auf-         mit anderen Aufnahmen (1937-41) von Violinkonzert
nahme mit Goossens empfehlen, dann Ida Haendel und erst
als letztes Menuhin mit Walton. Damit ist aber auch klar, dass     • Yehudi Menuhin, London Symphony Orchestra, Dirigent:
wir nicht audiophilen Kriterien folgen, sind doch die beiden         Sir William Walton; A: 1970, EMI ASD 2542 (mit Wal-
EMI Aufnahmen mit Haendel und Menuhin die wohlklingen-               tons Violakonzert)
den.
                                                                   • Zino Francescatti, Philadelphia Orchestra, Dirigent: Eu-
Diskographische Hinweise:                                            gene Ormandy; A: 1959 CBS 61584 (mit Waltons Vio-
                                                                     lakonzert)
• Ida Haendel, Bournemouth Symphony Orchestra, Diri-
  gent: Paavo Berglund; A: Juni 1977; EMI ASD 3483 (mit
  Brittens Violinkonzert)

• Jascha Heifetz, Philharmonia Orchestra, Dirigent: Sir Wil-
  liam Walton; A: Juli 1950; RCA LM 2740 oder LSB
  4102 (mit dem Violinkonzert Nr. 2 von Castelnuovo-Te-
  desco)

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analogen Musikwiedergabe verschrieben.
Exklusiv vertreten wir in der Schweiz:

• MUSICAL LIFE, traumhaft schöne und sündhaft gute Plattendreher und Tonarme, die in der
Kombination Schiefer, Holz, Kunststoff einmalig in jeder Hinsicht sind. www.musicallife.de
• THESIS AUDIO, Laufwerke aus Granit verführen die Sinne nicht nur mit ihrem einmaligen Design,
sondern auch durch ihre exzellente, natürliche Musik-Reproduktion. www.thesisaudio.it
• ORIGIN LIVE, Drehtonarme aus England, die von Fachleuten als die besten der Welt angesehen
werden. www.originlive.com

Einen ersten Überblick verschafft Ihnen auch unsere eigene Homepage: www.rhapsody-hifi.ch

                         Unser Wohnraumstudio befindet sich in Arlesheim (BL).
 Wenn Sie einen persönlichen Termin vereinbaren, können wir uns Ihnen individuell und mit viel Zeit widmen.

                                     Auch Händler-Anfragen sind gerne erwünscht.

                        RHAPSODY highend & music, Peter Krueger, +41 (0)61 599 59 89
                                                      keep on swingin'

AAA-Bulletin Ausgabe Winter 2009
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