AUS POLITIK UND ZEITGESCHICHTE - Schule - Universität Potsdam

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70. Jahrgang, 51/2020, 14. Dezember 2020

    AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
       Schule
      Claudia Lohrenscheit                       Wilfried Schubarth
  DAS RECHT AUF BILDUNG                  SCHULE ALS SOZIALEN ORT
     IM PERMANENTEN                        (WIEDER)ENTDECKEN
      KRISENZUSTAND
                                            Lisa Pagel · Laura Schmitz ·
        Katharina Werner              C. Katharina Spieß · Ludovica Gambaro
      WAS KOSTET ES,                        ZUR SCHULSITUATION
     NICHT IN BILDUNG                       GEFLÜCHTETER KINDER
      ZU INVESTIEREN?                        UND JUGENDLICHER

   Kai Maaz · Martina Diedrich          Michael Wrase · Jutta Allmendinger
     SCHULE UNTER                          DAS RECHT AUF BILDUNG
 PANDEMIEBEDINGUNGEN                           VERWIRKLICHEN

        Stefan Immerfall
 SCHULE IN DER PANDEMIE:
   ERFAHRUNGEN AUS
    OSTWÜRTTEMBERG

                   ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE
                        FÜR POLITISCHE BILDUNG
               Beilage zur Wochenzeitung
Schule
                                       APuZ 51/2020
CLAUDIA LOHRENSCHEIT                                WILFRIED SCHUBARTH
DAS RECHT AUF BILDUNG                               SCHULE ALS SOZIALEN ORT
IM PERMANENTEN KRISENZUSTAND                        (WIEDER)ENTDECKEN
Das Recht auf Bildung ist nicht erst seit der       Kinder und Jugendliche sind von der Corona-
Corona-Pandemie ständig herausgefordert.            Krise besonders betroffen. In der Krise haben sie
„Bildung für alle“ lautet seit vielen Jahren das    die Schule als sozialen Ort, als Ort der Begeg-
Versprechen der internationalen Staatengemein-      nung mit Freunden und Lehrkräften vermisst.
schaft: Jedes Kind soll an jedem Ort der Welt zur   Dies belegt die Relevanz der sozialen Dimension
Schule gehen können.                                von Schule, die es künftig auszubauen gilt.
Seite 04–08                                         Seite 28–33

KATHARINA WERNER                                    LISA PAGEL · LAURA SCHMITZ ·
WAS KOSTET ES, NICHT IN BILDUNG                     C. KATHARINA SPIEẞ · LUDOVICA GAMBARO
ZU INVESTIEREN?                                     ZUR SCHULSITUATION GEFLÜCHTETER
Eine gute Bildung hat für den Einzelnen und         KINDER UND JUGENDLICHER
die Gesellschaft einen großen Nutzen, etwa          Schule ist zentral für die Integration geflüchteter
höhere Arbeitseinkommen und ein vermindertes        Kinder und Jugendlicher. Minderjährige mit
Risiko, arbeitslos zu werden. Mehrmonatige          Fluchthintergrund fühlen sich an ihrer Schule
Schulschließungen sind mit individuellen wie        wohl und besuchen diese oft ganztägig. Die
volkswirtschaftlichen Kosten verbunden.             Schulschließungen während der Corona-Krise
Seite 09–14                                         dürften sie besonders hart getroffen haben.
                                                    Seite 34–40
KAI MAAZ · MARTINA DIEDRICH
SCHULE UNTER PANDEMIEBEDINGUNGEN                    MICHAEL WRASE · JUTTA ALLMENDINGER
Seit März 2020 hat die Schule in Deutschland in     DAS RECHT AUF BILDUNG VERWIRKLICHEN
einer ungewöhnlichen Geschwindigkeit unter-         Benachteiligungen im deutschen Bildungssystem
schiedlichste Transformationen durchlaufen.         wegen Herkunft, Hintergrund oder Behinde-
Nach den Schulschließungen ging es in verschie-     rung stehen dem Menschenrecht auf Bildung
dene hybride Modelle über und dann in den           für alle entgegen. Bund und Länder müssen sich
„Normalbetrieb“ unter Pandemiebedingungen.          beim Abbau von Barrieren und Diskriminierung
Seite 15–21                                         gemeinsam anstrengen.
                                                    Seite 41–45
STEFAN IMMERFALL
SCHULE IN DER PANDEMIE:
ERFAHRUNGEN AUS OSTWÜRTTEMBERG
Schulen und Lehrkräfte sind trotz Defiziten
ihrer (Eigen-)Verantwortung in Zeiten der
Schulschließungen gerecht geworden. Aus
Elternsicht erwies es sich als besondere Heraus-
forderung, die Lernmotivation ihrer Kinder
hochzuhalten, wie eine eigene Studie zeigt.
Seite 22–27
APuZ 51/2020

     „WIR WOLLEN WIEDER IN DIE SCHULE“
                Schule als sozialen Ort (wieder)entdecken
                                        Wilfried Schubarth

Als Bundeskanzlerin Angela Merkel auf ihrer           Familien durch „E-Schooling“, was zu enormen
traditionellen Sommerpressekonferenz Ende Au-         Spannungen oder gar zu Gewalt führen könne.
gust 2020 ihre Ziele für die nächste Zeit verkün-     „E-Schooling“ könne die Lehrkraft nicht erset-
dete, stand die Aussage, „alles zu tun, dass unsere   zen. Die Bedürfnisse von Kindern seien bisher
Kinder nicht Verlierer der Pandemie sind“ ganz        nicht berücksichtigt worden – so ein erstes Fa-
oben – noch vor dem Wirtschaftsleben und dem          zit. Eine „Generation Corona“ sei zu erwarten,
gesellschaftlichen Zusammenhalt.01 Damit zeigte       äußerte die Sozialpsychologin Barbara Krahé im
die Bundesregierung eine steile Lernkurve, waren      „Tagesspiegel“.03
doch Kinder und Jugendliche während der Coro-             Die in der Folgezeit präsentierten Studien
na-Pandemie lange Zeit nicht im Fokus gewesen.        schienen die Befürchtungen der Expert*­innen
Seitdem lernen wir täglich mehr über die Pande-       zu bestätigen. Als erstes machten die JuCo-
mie und das Leben mit ihr. Dazu gehört, die Er-       und KiCo-Studien der Universitäten Frank-
fahrungen der Corona-Krise für die Zukunft kri-       furt am Main und Hildesheim auf die Probleme
tisch aufzuarbeiten, auch im Bereich von Schule       von Kindern und Jugendlichen aufmerksam. So
und Bildung.                                          zeigte die JuCo-Studie, eine Online-Befragung
    In diesem Beitrag gehe ich den Fragen nach,       unter etwa 6000 Jugendlichen im Zeitraum April
was aus der Corona-Krise über Schule als sozia-       2020, dass Jugendliche und junge Erwachsene
len Ort gelernt werden kann und was das für die       nicht den Eindruck hatten, dass ihre Interes-
Zukunft von Schule und Bildung bedeuten könn-         sen in der derzeitigen Krise zählten. Ihre Sorgen
te. Dabei wird zunächst anhand aktueller Studien      würden nicht gehört, und in die Gestaltungs-
gezeigt, inwieweit Kinder und Jugendliche eine        prozesse wären sie nicht eingebunden. Einsam-
vernachlässigte Gruppe in der Corona-Krise wa-        keitsgefühle und Verunsicherung seien verbrei-
ren. Daran anschließend werden theoretische und       tet. Problematisch sei, dass sie nicht als junge
empirische Perspektiven auf Schule als sozial-        Menschen, sondern ausschließlich als Schü­ler*­
kommunikativer Lern- und Erfahrungsraum ent-          innen gesehen werden, die im System funktio-
wickelt und abschließend Folgerungen für Schule       nieren sollen. Das Autorenteam schlussfolgerte,
und Bildung abgeleitet.                               dass das Recht junger Menschen auf Beteili-
                                                      gung und Schutz kein „Schönwetterrecht“ sei,
         KINDER UND JUGENDLICHE                       sondern krisenfest sein müsse, denn schließlich
          ALS VERLIERER DER KRISE?                    seien die Rechte der jungen Menschen Grund-
                                                      rechte, deren Einschränkung begründet werden
Bereits Ende April, sechs Wochen nach dem             müsse. 04
„Lockdown“, fragte die Deutsche Presse-Agen-              Die parallel vorgenommene KiCo-Studie un-
tur: „Sind Kinder die Verlierer der Corona-Kri-       ter etwa 25 000 Eltern machte auf die Belastun-
se?“,02 und verwies auf gesperrte Spielplätze,        gen in den Familien aufmerksam, die mit dem
Kontaktverbote zu Peers und Großeltern sowie          Wegbrechen der Infrastruktur für Kinder und
die weitgehende Schließung von Kitas und Schu-        Jugendliche und die prekäre Situation in den Be-
len. Expert*­innen wurden zitiert, die auf mög-       treuungs-, Freizeit- und Bildungsangeboten ent-
liche negative Folgen für die Entwicklung von         standen waren. Familien seien eine Art Seismo-
Kindern und Jugendlichen hinwiesen, so auf psy-       graph für gesellschaftliche Probleme, wobei sich
chosoziale Schäden durch Eingesperrtsein und          soziale Folgen besonders dort zeigen würden,
Kontaktverbote sowie auf die Überforderung der        wo bereits vorher strukturelle Benachteiligung

28
Schule APuZ

und mehrfache Belastungen vorlagen – ein Be-                               che „Spätfolgen“, da Kinder für ihre Entwick-
fund, der in den nachfolgenden Studien immer                               lung andere Kinder, Bewegungsfreiheit und
wieder bestätigt wurde. Gegenüber dem „Home-                               Erfahrungsräume bräuchten.07
schooling“ zeigten sich die Eltern eher neutral,                               Einen ersten Eindruck über das Ausmaß
die Unterstützung durch Lehrkräfte sowie die                               häuslicher Gewalt im „Lockdown“ vermittelte
Information seitens der Schulen wurde dagegen                              Anfang Juni eine Studie der Technischen Univer-
mehrheitlich kritisiert.05                                                 sität München auf Grundlage einer repräsenta-
    Die Herausforderungen für Familien, aber                               tiven Online-Befragung unter rund 3800 Frau-
auch die Gefährdungen für das Kindeswohl ver-                              en zwischen 18 und 65 Jahren. Danach wurden
deutlichen zwei Studien des Deutschen Jugend-                              in 6,5 Prozent aller Haushalte Kinder gewalttätig
instituts: „Die Ergebnisse zur Betreuung und                               bestraft. Etwa 3 Prozent der Frauen wurden Op-
dem Kontakt zu Lehrkräften und Erzieher/in-                                fer körperlicher Gewalt. 3,6 Prozent wurden von
nen legen nahe, dass es bisher im Zweifelsfall den                         ihrem Partner vergewaltigt. Bei Frauen in Qua-
Eltern überlassen bleibt, die Situation zu meis-                           rantäne und bei Familien mit finanziellen Pro-
tern – und wenn dies nicht gelingt, sind Kin-                              blemen lagen die Zahlen deutlich höher. Nur ein
der die Leidtragenden (…). Da sich noch kein                               sehr kleiner Teil der Betroffenen nutzte Hilfsan-
Ende der Corona-Krise abzeichnet und es in ei-                             gebote, weshalb die Werbung für solche Angebo-
ner globalisierten Gesellschaft jederzeit wieder                           te ausgebaut werden sollte.08
zu einer solchen Krise kommen kann, sollte al-                                 Am 10. Juli 2020 wurde die COPSY-Studie
les darangesetzt werden, Konzepte zu erstellen,                            des Universitätsklinikums Hamburg-Eppen-
die Familien in solchen Situationen noch stär-                             dorf vorgestellt, eine bundesweite Online-Be-
ker entlasten und das Wohl der Kinder in den                               fragung von über 1000 Kindern und Jugendli-
Mittelpunkt stellen.“06 Eine bundesweite Be-                               chen zwischen 11 und 17 Jahren sowie mehr als
fragung von Jugendämtern konnte die Annah-                                 1500 Eltern zu Auswirkungen der Corona-Pan-
me eines Anstieges von Kindeswohlgefährdung                                demie auf die psychische Gesundheit. Demnach
zwar nicht belegen, verwies jedoch auf ein grö-                            habe sich die Lebensqualität der Kinder und Ju-
ßer werdendes Dunkelfeld, da Fälle von Miss-                               gendlichen während der Corona-Pandemie ver-
brauch, Gewalt und Vernachlässigung junger                                 schlechtert. Zwei Drittel gaben eine verminder-
Menschen aufgrund unterbrochener Kommuni-                                  te Lebensqualität und ein geringeres psychisches
kationswege nicht ausreichend erkannt würden.                              Wohlbefinden an (im Vergleich: vor der Corona-
Zudem könnten zusätzliche Unterstützungsbe-                                Pandemie nur ein Drittel). Das Risiko für psy-
darfe entstehen. Zu bedenken seien auch mögli-                             chische Auffälligkeiten sei von 18 auf 31 Prozent
                                                                           angestiegen. Hyperaktivität (24 Prozent), emoti-
                                                                           onale Probleme (21 Prozent) und Verhaltenspro-
01 Vgl. Angela Merkel „Mit ein bisschen Vernunft und Be­schrän­
kung können wir gut durch diese Zeit kommen“, 28. 8. 2020,
                                                                           bleme (19 Prozent) traten vermehrt auf, ebenso
www.sueddeutsche.de/1.5013224.                                             psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit
02 Deutsche Presse-Agentur, Sind Kinder die Verlierer der                  (54 Prozent), Einschlafprobleme (44 Prozent)
Corona-Krise?, 27. 4. 2020, www.sueddeutsche.de/​leben/​familie-​          sowie Kopf- und Bauchschmerzen (40 bzw.
sind-​kinder-​die-​verlierer-​der-​corona-​krise-​dpa.​urn-​newsml-dpa-​
                                                                           31 Prozent). Lernen sei für zwei Drittel anstren-
com-​20090101-​200427-​99-​850075.
03 „Eine Generation Corona ist zu erwarten“, Interview mit
                                                                           gender geworden. Der Schulalltag wurde teilwei-
Barbara Krahé, in: Der Tagespiegel, 9. 10. 2020, S. 21.                    se als extrem belastend empfunden. Auch in den
04 Vgl. Sabine Andresen et al., Erfahrungen und Perspektiven               Familien habe sich die Stimmung verschlech-
von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste                    tert: 27 Prozent der Kinder und Jugendlichen
Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo, 2020, www.dksb.de/
fileadmin/​user_​upload/​J uCo_​StudieJugendliche.pdf.
05 Vgl. Sabine Andresen et al., Kinder, Eltern und ihre Erfah-             07 Vgl. Andreas Mairhofer et al., Kinder-und Jugendhilfe in
rungen während der Corona-Pandemie. Erste Ergebnisse der                   Zeiten der Corona-Pandemie. DJI-Jugendhilfebarometer bei
bundesweiten Studie KiCo, 2020, https://hildok.bsz-bw.de/files/​           Jugendämtern, Deutsches Jugendinstitut, Juni 2020, www.dji.de/​
1081/​KiCo_​FamilienCorona.pdf.                                            fileadmin/​user_upload/bibs2020/​1234_DJI-​J ugend­hilfe­ba­ro­
06 Alexandra Langmeyer et al., Kindsein in Zeiten von Corona.              meter_​Corona.pdf.
Erste Ergebnisse zum veränderten Alltag und zum Wohlbefin-                 08 Vgl. Technische Universität München, Erste große Studie zu
den von Kindern, Deutsches Jugendinstitut, 9. 5. 2020, S. 25 f.,           Erfahrungen von Frauen und Kindern in Deutschland: Häusliche
www.dji.de/fileadmin/user_upload/​dasdji/​themen/​Familie/​DJI_​           Gewalt während der Corona-Pandemie, 2. 6. 2020, www.tum.de/​
Kindsein_​Corona_Erste_Ergebnisse.pdf.                                     nc/​die-​tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/​36053.

                                                                                                                                      29
APuZ 51/2020

und 37 Prozent der Eltern berichteten, dass sie                    takt mit den Mitschülern zu bleiben.“12 Ähnlich
sich häufiger streiten als vor der Corona-Krise.                   David Simovski aus Dagersheim, Jahrgangsstu-
Vor allem Kinder, deren Eltern einen niedrigen                     fe 1 des Technischen Gymnasiums, der vor allem
Bildungsabschluss oder einen Migrationshinter-                     seine Freunde vermisste: „Das Gemeinschafts-
grund haben, erlebten die Veränderungen als äu-                    gefühl in der Klasse fehlt mir. Auch den meis-
ßerst schwierig. Finanzielle Probleme, beengter                    ten meiner Freunde geht es so.“ Das beobachte-
Wohnraum und eine fehlende Tagestruktur sei-                       te auch Herbert Waldschmidt, leitender Lehrer
en Risikofaktoren, weshalb Unterstützungskon-                      an der Gottlieb-Daimler-Schule in Sindelfingen:
zepte für Familien eingefordert werden.09 Zu                       „Viele Schüler sagen: ‚Wir wollen wieder in die
ähnlichen Befunden gelangte eine Befragung von                     Schule.‘“13 Und als die Schulen langsam wieder
150 Kinderärzten, die vor allem vor den Spätfol-                   öffnen konnten, erkannte Lutz Feudel, Schullei-
gen und möglichen Entwicklungsverzögerungen                        ter am Gymnasium Landsberg: „Man lernt Din-
warnten.10                                                         ge erst zu schätzen, wenn man sie plötzlich nicht
    Als erstes Zwischenfazit ist festzuhalten, dass                mehr hat. Deswegen sind die Schülerinnen und
Kinder und Jugendliche unter der Corona-Pan-                       Schüler froh, dass sie wiederkommen dürfen. Die
demie besonders zu leiden hatten und dass ihre                     Krise bringt auch positive Erfahrungen mit sich“.
Interessen und Bedürfnisse vernachlässigt wur-                     Aber auch negative, so Andreas Slowig, Leiter
den. Ihr Grundrecht auf Beteiligung sollte auch in                 des Christian-Woll-Gymnasiums in Halle an der
Krisenzeiten gegeben sein. Das heißt auch, sie als                 Saale: „Die Schere zwischen starken und schwä-
junge Menschen zu respektieren und ihnen nicht                     cheren Schülerinnen und Schülern ist noch wei-
nur die Rolle der Schülerin beziehungsweise des                    ter auseinandergegangen.“ Bei der Rückkehr ins
Schülers zuzuschreiben.                                            Schulhaus überwog jedoch die Freude: „Sieben
                                                                   Wochen Schule zu Hause hinterlassen Spuren.
               „WIR WOLLEN WIEDER                                  Die Schüler sind strahlend wiedergekommen.
                  IN DIE SCHULE“                                   So etwas habe ich in 20 Jahren als Lehrer noch
                                                                   nicht erlebt. Aber klar, zuhause herrscht auf Dau-
Wie haben nun die Kinder und Jugendlichen den                      er auch eine bedrückende Lernatmosphäre.“14
Fernunterricht11 in der Corona-Krise erlebt? Wer                   Dass Kinder und Jugendliche besonders stark un-
oder was wurde vermisst? Und was sagen die                         ter der Kontaktbeschränkung litten, wurde durch
schulbezogenen Corona-Studien dazu?                                die Studie der TUI Stiftung belegt,15 womit frü-
    Schon wenige Wochen nach der Schulschlie-                      here Befunde bestätigt wurden: Auf die Frage,
ßung häuften sich Berichte, dass Schü­ler*­innen                   was sie an der Schule besonders mögen, nannten
die Schule vermissten, eine bis dahin kaum be-                     zwei Drittel der 10- bis 18-Jährigen Treffen mit
kannte Erfahrung. Celine Jeschkeit (14), Binz:                     Freunden und nur 23 Prozent, dass sie dort etwas
„Es ist für mich eine neue Erfahrung, digital un-                  lernen können.16
terrichtet zu werden, was ich persönlich nicht so
gut finde. Im Klassenzimmer ist es jederzeit mög-
lich, miteinander zu sprechen, Fragen zu stellen                   12 Zit. nach Klaus Amberger, Schüler aus MV in der Corona-
                                                                   Krise: Viele vermissen Freunde und Schule, 2. 4. 2020, www.ostsee-​
und ein Feedback zu bekommen. Da das im Mo-
                                                                   zeitung.de/​Mehr/​Meinung/​Kommentar/​Schueler-​aus-​MV-​in-​der-​
ment nicht möglich ist, ist es wichtig, in Kon-                    Corona-​Krise-​Viele-​vermissen-​Freunde-​und-​Schule.
                                                                   13 Zit. nach Gerlinde Wicke-Naber, Homeschooling in der
                                                                   Corona-Krise. Die Schüler vermissen die Schule, 30. 3. 2020,
09 Vgl. Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Psychische         www.stuttgarter-​zeitung.de/inhalt.homeschooling-​in-​der-​corona-​
Gesundheit von Kindern hat sich während der Corona-Pande-          krise-​die-​schueler-​vermissen-​die-​schule.e658f3ca-​ef52-​42b9-​
mie verschlechtert, 10. 7. 2020, www.uke.de/​allgemein/​presse/​   9bce-​690e8ad9c4fa.html.
pressemitteilungen/​detailseite_​96962.html.                       14 Zit. nach Oliver Leiste, Lernen während der Coronak-
10 Vgl. Anna Quasdorf, 150 Mediziner warnen vor Folgen.            rise: Wie Schüler die Schulen vermissen – und umgekehrt,
Erschreckende Studie veröffentlicht: Corona-Krise macht Kinder     14. 5. 2020, www.mdr.de/sachsen-​anhalt/wie-​schueler-​die-​
krank, 22. 8. 2020, www.ruhr24.de/-​13864278.html.                 schulen-​vermissen-​100.html.
11 Zu den Begrifflichkeiten „Homeschooling“, „Fernunterricht“,     15 Vgl. Marcus Spittler, Corona – Eine Generationenfrage?, 2020,
„Distanzlernen“ und weiteren siehe Detlef Fickermann/Benjamin      www.tui-stiftung.de/wp-content/uploads/​2020/​10/​2020_​10-​
Edelstein, „Langsam vermisse ich die Schule …“ Schule während      Corona-Eine-Generationenfrage-Beitrag-Marcus-Spittler-WZB.pdf.
und nach der Corona-Pandemie, in: Die Deutsche Schule Beiheft      16 Vgl. Jürgen Zinnecker et al., null zoff & voll busy. Die erste
16/2020, S. 9–33.                                                  Jugendgeneration des neuen Jahrhunderts, Opladen 2004.

30
Schule APuZ

    Während die Erfahrungsberichte typische                           Lernenden wünschten sich für künftigen Fernun-
Stimm­ungen im „Lockdown“ wiedergeben, kon-                           terricht häufigeres Feedback, mehr Videokonfe-
zentrierten sich die schulbezogenen Studien vor al-                   renzen und Erklärvideos sowie eine bessere Or-
lem auf das Lernen im Fernunterricht. Danach habe                     ganisation.21 Expert*­ innen gaben Hinweise für
die Krise bestehende Bildungsungleichheiten ver-                      eine Verbesserung des häuslichen Lernens für
schärft. Schereneffekte werden vor allem auf fehlen-                  Lehrkräfte, Eltern und Bildungsadministration.22
de Kompetenzen zum selbstgesteuerten Lernen und                           Als zweites Zwischenfazit ist festzustellen,
zur Selbstorganisation des Tagesablaufes zurückge-                    dass Schü­ler*­innen ihre Freunde, ihre Klasse und
führt, was wiederum mit fehlenden Entwicklungs-                       Lehrkräfte vermisst haben. In den Schulstudi-
möglichkeiten in benachteiligten Familien zusam-                      en kommt das jedoch kaum vor. Diese konzen-
menhängt.17 Besonders große Herausforderungen                         trieren sich auf mangelnden Wissenszuwachs und
werden für Schulen in „sozialen Brennpunkten“                         auf sich verschärfende Ungleichheiten, während
und bei Schü­ler*­innen mit sonderpädagogischem                       mögliche Verluste an sozialem Lernen sowie die
Förderbedarf diagnostiziert.                                          sozialkommunikativen Bedürfnisse der Schü­ler*­
    Die Lernzeit habe sich, Elternbefragungen                         innen meist außen vor bleiben. Schule erscheint
zufolge, von 7,4 auf 3,6 Stunden halbiert; umge-                      als reine Unterrichtsanstalt, die Wissen zu ver-
kehrt sei die Zeit mit Computer, Fernsehen und                        mitteln habe. Angesichts scheinbar zunehmen-
Handy von 4 auf 5,1 Stunden angestiegen. Neben                        der Probleme infolge der Corona-Krise stellt
Wissenslücken wurde auch eine Vertrauenslücke                         sich die Frage nach Defiziten im sozialen Um-
konstatiert, da die Hälfte der Kinder nie Online-                     gang und entsprechenden Konsequenzen umso
Unterricht und nie ein persönliches Gespräch mit                      ­dringender.23
einer Lehrkraft in dieser Zeit gehabt hätte.18 Auch
wurden die Folgen der verminderten Lernzeit für                                   WOZU IST DIE SCHULE DA?
das Erwerbseinkommen und den künftigen Ar-
beitsmarkterfolg berechnet.19 Im Unterschied zu                       Dieser Kontrast von im „Lockdown“ erlebter
den Eltern schätzen die Lehrkräfte den Fernun-                        Bedeutung von Schule als sozialkommunika-
terricht so ein: Etwa ein Drittel hätten zu sämt-                     tiver Ort einerseits und der Fokussierung auf
lichen Schü­ler*­innen Kontakt gehalten, die Hälf-                    Schulleistungen andererseits führt zur Frage,
te hätte einen Großteil erreicht, nur drei Prozent                    welche Leitbilder von Schule in der Gesellschaft
hätten keinen Kontakt gehabt. Die Mehrheit be-                        existieren und wozu Schule eigentlich da ist –
fürchtet, dass der Einfluss des Elternhauses auf                      eine Frage, die seit Längerem diskutiert wird. In
die schulischen Leistungen zugenommen habe.                           der Schultheorie ist Konsens, dass Schule ver-
Zwei Drittel der Schulen hatten für den Fernun-                       schiedene gesellschaftliche Funktionen zu er-
terricht kein Gesamtkonzept, bei digital gestütz-                     füllen hat, die ein Spannungsfeld bilden:24 die
tem Lernen bestehe großer Nachholbedarf.20 Die                        Enkulturationsfunktion, die in die Kultur und
                                                                      Sinnsysteme einführt; die Qualifikationsfunkti-
17 Vgl. Stefan Huber/Christoph Helm, Lernen in Zeiten der             on, die auf berufsrelevante Fähigkeiten zielt; die
Corona-Pandemie. Die Rolle familiärer Merkmale für das Lernen         Allokationsfunktion, die über Prüfungen unter-
von Schü­ler*­innen: Befunde vom Schul-Barometer in Deutsch-
                                                                      schiedliche Berufslaufbahnen zuweist; und die
land, Österreich und der Schweiz, in: Die Deutsche Schule
Beiheft 16/2020, S. 37–60.
                                                                      Integrationsfunktion, die über die Vermittlung
18 Vgl. Ludger Wößmann et al., Bildung in der Coronakrise:
Wie haben die Schulkinder die Zeit der Schulschließungen ver-         21 Vgl. Albrecht Wacker/Valentin Unger/Thomas Rey, „Sind
bracht, und welche Bildungsmaßnahmen befürworten die Deut-            doch Corona-Ferien, oder nicht?“ Befunde einer Schü­ler*­innen­
schen? Ifo Institut, Ifo Schnelldienst 9/2020, www.ifo.de/​DocDL/​    be­fra­gung zum „Fernunterricht“, in: Die Deutsche Schule Beiheft
sd-​2020-​09-​woessmann-​etal-​bildungsbarometer-​corona.pdf.         16/2020, S. 79–94.
19 Vgl. Ludger Wößmann, Folgekosten ausbleibenden Lernens:            22 Vgl. beispielsweise Olaf Köller et al., Pädagogische und
Was wir über die Corona-bedingten Schulschließungen aus der For-      didaktische Anforderungen an die häusliche Aufgabenbearbei-
schung lernen können, Ifo Schnelldienst 6/2020, www.ifo.de/​DocDL/​   tung, in: Die Deutsche Schule Beiheft 16/2020, S. 163–174.
sd-​2020-​06-​vorab-​woessmann-​corona-​schul­schlies­sungen.pdf      23 Vgl. Alexander Kissler, Rektorin einer Berliner Grundschule
20 Vgl. Birgit Eickelmann/Kerstin Drossel, Schule auf Distanz.        schlägt Alarm: Die Bedingungen nach den Corona-Schließun-
Perspektiven und Empfehlungen für den neuen Schulalltag. Eine         gen seien „absolut furchtbar“, 13. 10. 2020, www.nzz.ch/ld.​
repräsentative Befragung von Lehrkräften in Deutschland, Mai          1581404.
2020, www.vodafone-​stiftung.de/wp-​content/uploads/​2020/​05/        24 Vgl. Helmut Fend, Neue Theorie der Schule, Wiesbaden
Vodafone-​Stiftung-​Deutschland_Studie_Schule_auf_Distanz.pdf.        2006, S. 49 ff.

                                                                                                                                     31
APuZ 51/2020

von Werten und Normen die gesellschaftspoli-                  Leistung, Selbstwertgefühl und soziale Empa-
tische Ordnung stabilisieren und zur Demokra-                 thie umfasst.27
tisierung der Gesellschaft beitragen soll. Mit-                   Die Berichte über vermisste Rückmeldungen
unter wird noch die Funktion als Treffpunkt                   und mangelnde Lernmotivation verdeutlichen,
für die Peergroup hinzugezählt. Gerade letz-                  dass Lernen vor allem ein sozialer Prozess ist, der
tere wurde von den Schü­ler*­innen im „Lock-                  von der unmittelbaren Interaktion lebt. Gerade
 down“ als besonders bedeutsam erlebt, wurden                 der junge Mensch braucht für seine Entwicklung
 doch vor allem die Peers vermisst. Insofern ist              das Gegenüber und die Gruppe als Spiegelung
Schule der beste Platz, sich mit Freund*­innen                und Anreiz. Digitalisierung und Fernunterricht
zu treffen.                                                   können die direkte Begegnung nicht ersetzen. Die
     Vor dem Hintergrund der skizierten Befund-               Bedeutung der Schule und Schulklasse als soziales
lage wird die These vertreten, dass sich durch die            System, der Lehrer-Schüler-Beziehung sowie der
Corona-Krise die Spannung zwischen den Funk-                  Peerkultur für das Gelingen des Bildungs- und
tionen von Schule weiter verschärft hat: Die Dis-             Erziehungsauftrages ist belegt.28 Auch in der Ge-
kussionen um die Abschlussprüfungen sowie um                  walt- sowie der Gesundheitsforschung erweisen
verminderte schulische Leistungen zeigen, dass                sich das Schul- beziehungsweise Klassenklima als
der Fokus auf der Allokations- und die Qualifi-               wichtige Faktoren.29
kationsfunktionen liegt, während die Legitima-                    In den vergangenen Jahren wurden immer
tionsfunktion, insbesondere die Werte- und De-                wieder Visionen von Schulen entwickelt: vom
mokratiebildung, außen vor blieb. Somit wurden                „Gemeinsamen Haus des Lernens“ (1995) über
die in den Bildungs- und Erziehungszielen for-                „Bildung neu denken“ (2003) bis zum „New
mulierten personalen und sozialen Kompeten-                   Learning“ (2020). Der Bildungsforscher Hans
zen nur sehr eingeschränkt gefördert. Ausdruck                Brügelmann hat ein Bild von Schule als Ort der
dieser Schieflage ist die Wahrnehmung der Kin-                Begegnung von Generationen und von Kulturen
der und Jugendlichen vornehmlich als Leis­tungs­              entworfen, die die Aufgabe hat, gemeinsame Ori-
träger*­ innen und die weitgehende Negierung                  entierungen zu entwickeln, die trotz aller Ver-
ihrer sozialkommunikativen sowie Partizipati-                 schiedenheit tragfähig sind. Im Unterschied zur
onsbedürfnisse. Auch unsere Studien belegen                   PISA-Debatte, die den Blick verengt hätte, setzt
diese Schieflage. So nehmen Lehrkräfte Mob-                   er auf Selbst- und Mitbestimmung, Partizipation
bingfälle vor allem durch ihre „Leistungsbril-                und die Vorbereitung der Schü­ler*­innen auf ihre
le“ wahr, was eine konstruktive Konfliktlösung                Rolle als Bürger*­innen in der Demokratie.30 An-
­erschwert.25                                                 gesichts der Polarisierung in der Gesellschaft und
     Das Auseinanderfallen zwischen dem funkti-               der Anfälligkeit auch Jugendlicher für Rechtspo-
 onalen und dem sozialen System von Schule führt              pulismus und Verschwörungsmythen ist die Dis-
 nach dem Sozialpädagogen Lothar Böhnisch zu
 einem „Anomieproblem“, dessen Kennzeichen                    27 Vgl. Helmut Fend, Der Umgang mit Schule in der Adoleszenz.
 die Trennung von Schü­ler*­innenrol­le und Schü­             Entwicklungspsychologie der Adoleszenz in der Moderne, Bd. IV,
 ler*­innen­sein sei.26 Während bei Letzterem der             Bern 1997.
                                                              28 Vgl. z. B. Walter Herzog, Schule und Schulklasse als soziale
junge Mensch als Ganzes gesehen wird, wird er
                                                              Systeme, in: Rolf Becker (Hrsg.), Lehrbuch der Bildungssoziologie,
 bei der Schü­ler*­innenrolle auf das Funktionie-             Wiesbaden 2009, S. 155–194; Birte Knierim/Diane Raufelder/​
 ren im System Schule reduziert. Auch der Pä-                 Alexander Wettstein, Die Lehrer-Schüler-Beziehung im Span-
 dagoge Helmut Fend unterscheidet verschiede-                 nungsfeld verschiedener Theorieansätze, in: Psychologie in
 ne Systeme von Schule – das Funktionssystem                  Erziehung und Unterricht 1/2017, S. 35–48.
                                                              29 Vgl. Wolfgang Melzer et al., Gewaltprävention und
 der Leistungserbringung, der sozialen Akzep-
                                                              Schulentwicklung, Bad Heilbrunn 20112; Bilz et al. (Anm. 25);
 tanz und das Selbstsystem – und plädiert für eine            Sebastian Wachs et al., Mobbing an Schulen, Stuttgart 2016;
 „ganzheitliche“ Persönlichkeitsentwicklung, die              Wilfried Schubarth, Gewalt und Mobbing an Schulen, Stuttgart
                                                              20204; Nancy John/Ludwig Bilz, Kinder- und Jugendgesundheit
                                                              in Brandenburg. Ergebnisse der HBSC-Gesundheitsstudie 2018
25 Vgl. Ludwig Bilz et al., Gewalt und Mobbing an Schulen,    im Auftrag der WHO, Lengerich 2020.
Bad Heilbrunn 2017.                                           30 Vgl. Hans Brügelmann, Die Schule als Sozialisationsinstanz
26 Vgl. Lothar Böhnisch, Schule als anomische Struktur, in:   oder: Was lernen junge Menschen in der Schule und was au-
Wilfried Schubarth/Wolfgang Melzer (Hrsg.), Schule, Gewalt    ßerhalb?, in: Imbke Behnken/Jane Mikota (Hrsg.), Sozialisation,
und Rechtsextremismus, Opladen 1993, S. 147–158.              Biografie und Lebenslauf, Weinheim–München 2009, S. 90–109.

32
Schule APuZ

kussion um Partizipation, Werte- und Demokra-                            nikativen Bedürfnisse zu fördern und An-
tiebildung längst überfällig.31                                          sätze des sozialen und Demokratie-Lernens
    Die Corona-Krise, so das dritte Zwischenfa-                          auszubauen. Die Facetten des Sozialen sind
zit, hat die soziale Schieflage des Systems Schule                       vielfältig und reichen von der Beziehungs-
offengelegt, einschließlich der Vernachlässigung                         und Schulkultur bis zur Architektur. Der
des sozialen Systems von Schule. Eine Verbes-                            Beitrag der Digitalisierung hingegen ist hier
serung der sozialen Qualität von Schule könnte                           begrenzt.
auch die Bildungsungleichheiten vermindern hel-
fen. Reformorientierte Schulen und Schulpreis-                        3. Die schulbezogenen Corona-Studien fokus-
träger-Schulen zeigen, wie das gelingen kann.32                          sieren auf den Fernunterricht. Wichtig wäre
                                                                         aber auch, die Entwicklung sozialer und de-
            SCHULE ALS SOZIALEN                                          mokratierelevanter Kompetenzen zu unter-
          UND DEMOKRATISCHEN ORT                                         suchen und zu fördern und außerschulische
                 GESTALTEN                                               Lernorte und Akteur*­innen einzubeziehen.

Aus dem Dargelegten lassen sich fünf Punkte re-                       4. Für eine praxistaugliche Lehrkräftebildung
sümieren beziehungsweise ableiten:                                       heißt das, die sozialen Interaktionen zu
                                                                         professionalisieren und der Werte- und De-
  1. Kinder und Jugendliche sind von der Co-                             mokratiebildung mehr Bedeutung beizu-
     rona-Krise in mehrfacher Hinsicht betrof-                           messen, einschließlich der Prävention von
     fen: Ihre Freiräume, Entwicklungsmög-                               Gewalt, Mobbing, Extremismus und Hate
     lichkeiten und sozialen Beziehungen sind                            Speech.33
     eingeengt, hinzu kommen psychische Be-
     lastungen und Gefährdungen des Kindes-                           5. Die Politik sollte erkennen, dass Schulen
     wohls. Eine „Generation Corona“ könnte                              systemrelevant sind, nicht nur für den Wirt-
     die Folge sein. Dies steht im Kontrast zur                          schaftsstandort, sondern auch langfristig für
     öffentlichen Debatte, bei der sie oft nur als                       den Erhalt der Demokratie und das Überle-
     Lei­stungs­trä­ger*­innen oder exzessive Par­ty­                    ben der Menschheit. Eine Krise ist bekannt-
     gänger*­innen vorkommen.                                            lich auch eine Chance für Selbstreflexion
                                                                         und Neuanfang.
  2. Kinder und Jugendliche haben in der Co-
     rona-Krise die Schule als sozialen Ort, als
     Ort der Begegnung mit ihren Freunden und
     Lehrkräften vermisst. In Entscheidungs-
     prozesse an ihren Schulen wurden sie nicht
     einbezogen. Grund genug, die auch durch
     den PISA-Boom vernachlässigten sozialen
     Dimensionen von Schule (wieder) zu entde-
     cken, die Partizipations- und sozialkommu-

31 Vgl. Wilfried Schubarth, Mehr Demokratie wagen? Demo-
kratiebildung in der (Corona)Krise, in: Schulmanagement, Juni
2020, S. 8–11, ders./Christina Gruhne/Birgitta Zylla, Werte ma-
chen Schule. Lernen für eine offene Gesellschaft, Stuttgart 2017.
32 Siehe z. B. die Initiativen BeziehungsWeise der Breuninger-
Stiftung und die Reckahner Reflexionen zur Ethik pädagogischer
                                                                    Für Anregungen und Recherchen danke ich
Beziehungen.                                                        Alexander Wettstein, Sophia Bock und Luise Rosinski.
33 Vgl. das Modellprojekt des Deutschen Forums Kriminalprä-
vention (DFK) „Prävention und Intervention bei Mobbing“ (PRIMO),    WILFRIED SCHUBARTH
ein Basiscurriculum für Lehramtsstudierende. Vgl. auch Wilfried
                                                                    ist Professor für Erziehungs- und Sozialisationsthe-
Schubarth, Lehrerbildung in Deutschland – sieben Thesen zur
Diskussion, in: ders./Sylvi Mauermeister/Andreas Seidel (Hrsg.),
                                                                    orie am Department Erziehungswissenschaften der
Studium nach Bologna. Befunde und Positionen, Potsdam 2017,         Universität Potsdam.
S. 127–136.                                                         wilschub@uni-​potsdam.de

                                                                                                                      33
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