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dza aktuell deutscher alterssurvey Heft 06/2021 Herausgeber: Deutsches Zentrum für Altersfragen Altersdiskriminierung in der Pandemie ist nicht die Regel – Jede zwanzigste Person in der zweiten Lebenshälfte berichtet erfahrene Benachteiligung wegen ihres Alters Markus Wettstein & Sonja Nowossadeck
Altersdiskriminierung in der Pandemie ist nicht die Regel – Jede zwanzigste Person in der zweiten Lebenshälfte berichtet erfahrene Benachteiligung wegen ihres Alters Markus Wettstein & Sonja Nowossadeck Inhalt Kernaussagen ....................................................................................................................... 4 Einleitung .............................................................................................................................. 6 Daten und Methodik .............................................................................................................. 9 Ergebnisse ...........................................................................................................................11 Fazit ..................................................................................................................................15 Literatur ................................................................................................................................20
4 Altersdiskriminierung in der Pandemie Kernaussagen Im Juni und Juli 2020 wurde im Rahmen des Deutschen Alterssurveys (DEAS) eine Kurzbefragung zu den Auswirkungen der Corona-Krise durchgeführt. Im Mittelpunkt der Befragung standen Veränderungen in verschiedenen Lebensbereichen, die durch die Pandemie bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte aufgetreten sind. Unter anderem gaben die Befragten Auskunft darüber, ob sie wegen ihres Alters benachteiligt oder schlechter gestellt wurden. Zudem ist neben der Frage, ob Menschen in der zweiten Lebenshälfte seit Beginn der Pandemie generell über erfahrene Altersdiskriminierung berichten, auch von Bedeutung, in welchen Lebensbereichen sie diese Benachteiligung erlebt haben. Gefragt wurde deshalb nach erfahrener Altersdiskriminierung in der medizinischen Versorgung sowie im Alltag (z.B. beim Einkaufen): Erfahrene Altersdiskriminierung: • Erlebte Altersdiskriminierung tritt häufiger bei Personen auf, die ihre • Im Sommer 2020 geben 5,4 Prozent eigene Gesundheit als weniger gut der Menschen in der zweiten einschätzen. Erlebte Lebenshälfte an, seit Beginn der Altersdiskriminierung berichten fast Corona-Krise aufgrund des eigenen doppelt so viele Personen mit Alters benachteiligt worden zu sein. beeinträchtigter subjektiver Gesundheit Dagegen geben die allermeisten (7,3 Prozent) wie Personen mit sehr Personen (94,6 Prozent) an, keine guter bis guter subjektiver Gesundheit Altersdiskriminierung seit Beginn der (3,9 Prozent). Pandemie erfahren zu haben. Bereiche erlebter Altersdiskriminierung: • Erlebte Altersdiskriminierung kommt in allen Altersgruppen in der zweiten • Mit zunehmendem Alter steigt der Lebenshälfte, bei Frauen und Anteil derjenigen Personen an, die Männern sowie in verschiedenen angeben, in der medizinischen Bildungsgruppen ähnlich häufig vor. Versorgung und im Alltag wegen Vergleicht man Personen ihres Alters benachteiligt worden zu unterschiedlichen Alters (50 bis 59 sein. Erlebte Altersdiskriminierung in der Jahre, 60 bis 69 Jahre, 70 bis 79 Jahre, medizinischen Versorgung wird am 80 bis 90 Jahre), so unterscheiden sich häufigsten von den ältesten Personen die Altersgruppen nicht signifikant darin, (80 bis 90 Jahre) berichtet (3,7 Prozent), wie häufig erlebte Altersdiskriminierung während von den 50- bis 59-Jährigen berichtet wird: Der Anteil liegt in allen weniger als ein Prozent diesen Bereich Gruppen zwischen ca. 3 und 6 Prozent. nennen. Die ältesten Personen geben Auch bei Frauen und Männern sind mit 2,4 Prozent ebenfalls zu höheren diese Anteile sehr ähnlich. Was den Anteilen an, im Alltag wegen ihres Alters Bildungsstand betrifft, zeichnet sich eine diskriminiert worden zu sein, als jüngere Tendenz ab, dass Niedriggebildete Altersgruppen (z. B. nur 1,1 Prozent der häufiger (8,1 Prozent) angeben, wegen 50- bis 59-Jährigen). ihres Alters benachteiligt oder schlechter gestellt worden zu sein, im Vergleich zu • Mehr Frauen als Männer berichten Mittel- (4,1 Prozent) und Hochgebildeten erlebte Altersdiskriminierung im (6,4 Prozent), aber auch dieser Alltag. Der Anteil bei den Frauen beträgt Unterschied ist statistisch nicht 2,0 Prozent, bei den Männern 1,2 signifikant. Prozent. Dagegen gibt es bei der erlebten Altersdiskriminierung im Bereich der medizinischen Versorgung kaum
Altersdiskriminierung in der Pandemie 5 Unterschiede zwischen Frauen und Altersdiskriminierung in der Männern. medizinischen Versorgung. Dagegen zeigt sich ein klarer Unterschied für die • Personen mit beeinträchtigter Altersdiskriminierung im Alltag: 3,1 subjektiver Gesundheit geben zu Prozent der Personen mit höheren Anteilen an, im Alltag wegen beeinträchtigter subjektiver Gesundheit ihres Alters diskriminiert worden zu geben an, diese erfahren zu haben. Das sein, als Personen mit guter sind mehr als fünfmal so viele wie bei subjektiver Gesundheit. Personen mit den Personen, die ihre Gesundheit als guter vs. eingeschränkter subjektiver gut oder sehr gut bewerten (0,6 Gesundheit unterscheiden nicht Prozent). signifikant hinsichtlich erlebter
6 Altersdiskriminierung in der Pandemie Einleitung Seit Beginn der Corona-Krise in wahrgenommen werden und ihnen Deutschland, also etwa seit Mitte März 2020, gegenüber eine verächtliche Einstellung finden sich in den Medien, aber auch im eingenommen wird. politischen Diskurs, immer wieder einseitige Darstellungen, die die Verletzlichkeit älterer Einige Studien deuten darauf hin, dass im Menschen, pauschal als „Risikogruppe“ Zuge der Corona-Pandemie teilweise ein dargestellt, überbetonen (Kessler & Bowen, negativer öffentlicher Diskurs über ältere 2020). Solche pauschalen Zuschreibungen Menschen zu beobachten ist. So machte älterer Menschen als verletzliche etwa in den sozialen Medien der Ausdruck Risikogruppe vernachlässigen die großen „Boomer Remover“ (also „Beseitiger der Unterschiede innerhalb der Gruppe älterer Baby-Boomer-Geburtsjahrgänge“) die Personen (Gerstorf, Smith, & Baltes, 2006; Runde, den manche zur Umschreibung der Nelson & Dannefer, 1992; Smith & Gerstorf, Pandemie verwendeten (Lichtenstein, 2020; 2004), die gerade auch im Bereich der Meisner, 2020). Eine Auswertung von Gesundheit und ihrer Veränderung im hohen Tweets, die im März zum Thema COVID-19 und sehr hohen Alter bestehen (Wettstein, und ältere Menschen veröffentlicht wurden, Schilling, & Wahl, 2016; Wolf, Freedman, ergab, dass fast ein Viertel dieser Beiträge Ondrich, Seplaki, & Spillman, 2015). diskriminierend, abwertend oder beleidigend gegenüber älteren Menschen waren Diese Art der medialen Berichterstattung (Jimenez-Sotomayor, Gomez-Moreno, & und die politische Debatte in der Corona- Soto-Perez-de-Celis, 2020). Auch in der Krise haben die Sichtweise auf das Alter medizinischen Versorgung könnten erlebte womöglich verändert und stärker negativ Benachteiligungen aufgrund des Alters gefärbt. Dies wiederum könnte zur Folge häufiger geworden sein, etwa als Folge der haben, dass gerade Personen höheren der Debatte, ob das Lebensalter von Alters, die in den öffentlichen Diskussionen Patienten (Nicht-)Behandlungs- während der Corona-Krise offenbar „selbst entscheidungen rechtfertigen darf, wenn kaum zu Wort kommen“ (Pelizäus & Heinz, aufgrund erschöpfter medizinischer 2020), nun häufiger wahrnehmen, dass sie Ressourcen nicht mehr allen die optimale aufgrund ihres Alters diskriminiert1 werden medizinische Versorgung zukommen darf. (Ayalon, 2020; Ayalon et al., 2020; Ehni & Es gibt entsprechende Empfehlungen von Wahl, 2020). Diese Diskriminierung kann Expertengruppen sowie Triage-Richtlinien verschiedene Formen annehmen. Sie kann verschiedener Länder, die eine Altersgrenze „wohlwollend“ sein („benevolent ageism“; in solchen Notfallsituationen befürworten Apriceno, Lytle, Monahan, Macdonald, & oder zumindest in Erwägung ziehen (Ehni, Levy, 2020) und dazu führen, dass ältere Wiesing, & Ranisch, 2020). Auch wurden in Menschen als besonders schutzbedürftig Ländern, in denen es zu dramatischen wahrgenommen werden und ihnen Überlastungen von Krankenhäusern kam, gegenüber eine paternalistische und derartige medizinische Entscheidungen und überfürsorgliche Haltung eingenommen wird. Nichtbehandlungen von bestimmten Altersdiskriminierung kann jedoch auch Altersgruppen berichtet (Ayalon et al., 2020). feindseliger Natur sein („hostile ageism“; Apriceno et al., 2020) und sich darin äußern, Aufgrund der öffentlichen und politischen, dass ältere Menschen als Last häufig negativ gefärbten, Thematisierung 1 Altersdiskriminierung kann auf unterschiedliche Weise Person, dass sie wegen ihres Alters diskriminiert werde. In erfasst werden und in unterschiedlichen Formen auftreten: diesem Beitrag wird die letztgenannte Form von im gesellschaftlichen Diskurs (z. B. verallgemeinernde Altersdiskriminierung erfasst, also Altersdiskriminierung als gutmeinende oder bösartige Aussagen über „die alten erlebte Benachteiligung/Schlechterstellung aufgrund des Menschen“), objektiv messbar als aktive eigenen Alters. Sie kann unterschiedliche Altersgruppen Diskriminierungshandlung (etwa in der medizinischen betreffen, und sie hängt eng zusammen mit den weiteren Versorgung), oder als subjektive Wahrnehmung einer genannten Formen der Altersdiskriminierung.
Altersdiskriminierung in der Pandemie 7 älterer Menschen, könnte man annehmen, Karagiannidis et al., 2020; Nachtigall et al., dass die Häufigkeit von Diskriminierungs- 2020). Diese Tatsache ist unstrittig, könnte erfahrungen zugenommen hat, jedoch auch dazu beitragen, dass Personen möglicherweise nicht nur bei älteren über 60 Jahren häufiger für Maßnahmen wie Menschen, denn wahrgenommene den Lockdown oder Kontaktbeschränkungen Altersdiskriminierung tritt auch bereits bei verantwortlich gemacht und womöglich Personen im mittleren Erwachsenenalter auf teilweise auch angefeindet oder diskriminiert (Beyer, Wurm, & Wolff, 2017). Andererseits werden als Personen im mittleren ist angesichts der beschriebenen großen Erwachsenenalter. Auch Bevormundung Unterschiede zwischen älteren Menschen durch andere in Bezug auf das Verhalten im jedoch keineswegs zu erwarten, dass alle Alltag und zu treffende Vorsichts- Menschen in der zweiten Lebenshälfte maßnahmen könnte diese Altersgruppe Altersdiskriminierung seit Beginn der häufiger treffen. Jedoch profitiert Corona-Pandemie erlebt haben. Auch ist andererseits in den Zeiten der Corona- nicht sicher, ob erlebte Altersdiskriminierung Pandemie die Gruppe älterer Menschen in der zweiten Lebenshälfte tatsächlich vielleicht auch mehr von bestimmten infolge der Pandemie zugenommen hat. solidarischen, dezidiert anti- Denkbar ist in einigen Fällen auch, dass die diskriminierenden Haltungen und Aktionen Pandemie Gelegenheit zu Unterstützungs- (Barrett, Michael, & Padavic, 2020; Sipocz, leistungen zwischen Generationen und Freeman, & Elton, 2020) sowie von sozialer Familienmitgliedern geboten und so auch Unterstützung (Gilligan et al., 2020), so dass intergenerationelle Solidarität befördert hat einige ältere Personen möglicherweise die (Gilligan, Suitor, Rurka, & Silverstein, 2020), Erfahrung machen, seit Beginn der so dass es in diesen Fällen sogar zu einer Pandemie seltener Gegenstand von „corona-bedingten“ Verringerung im Erleben Altersdiskriminierung zu sein. von Altersdiskriminierung gekommen sein mag. Tatsächlich spiegeln die Befunde einer Auch die Rolle des Geschlechts für das Befragung von Personen in Deutschland ab Erleben von Altersdiskriminierung wird in 50 Jahren diese Heterogenität wider: In diesem Beitrag untersucht. In der dieser Befragung fand die Aussage, dass Befragungswelle 2014 des Deutschen Ältere im Zuge der Corona-Pandemie Alterssurveys gaben Frauen häufiger als diskriminiert würden, weder mehrheitliche Männer an, Altersdiskriminierung erfahren Zustimmung, noch mehrheitliche Ablehnung, zu haben, auch wenn es bei separater vielmehr wurden sehr unterschiedliche Betrachtung verschiedener Ausmaße an individueller Zustimmung und Diskriminierungsbereiche keine Ablehnung angegeben (Wahl, Wurm, Geschlechterunterschiede gab (Beyer, Schlomann, & Ehni, 2020). Wurm, & Wolff, 2017). Einen Geschlechterunterschied hinsichtlich Altersdiskriminierung wird möglicherweise Altersdiskriminierung zu Ungunsten der von unterschiedlichen gesellschaftlichen Frauen haben auch andere Studien – und Gruppen in unterschiedlichem Ausmaß gerade auch solche, die nach Beginn der erlebt. In diesem Beitrag wird die Rolle von Pandemie mit der Erhebung starteten – Lebensalter, Geschlecht, Bildung und berichtet (Reiner, Lehmann, Ruf, Misoch, & Gesundheitszustand untersucht. Braunwalder, 2020). Andererseits haben Männer offenbar ein höheres Risiko, bei Das Lebensalter könnte eine Rolle für die einer COVID-19-Erkrankung im erlebte Altersdiskriminierung seit Beginn der Krankenhaus behandelt zu werden und gar Corona-Krise spielen: Einerseits berichten zu sterben (Atkins et al., 2020; Robert-Koch- wissenschaftliche Quellen wie das Robert- Institut, 2020), so dass sie in doppelter Koch-Institut (2020) von einem „stetig Weise, nämlich aufgrund ihres Geschlechts steigendem Risiko für einen schweren und ihrer Altersgruppenzugehörigkeit, Verlauf ab etwa 50–60 Jahren“ (siehe auch
8 Altersdiskriminierung in der Pandemie „Risikogruppe“ sind und deswegen Forschungsfragen womöglich in der Corona-Pandemie häufiger Bevormundung erfahren. In diesem Beitrag wird untersucht, wie hoch der Anteil der Personen in der zweiten Bildung könnte ebenso relevant sein für Lebenshälfte ist, die im Sommer 2020 erlebte Altersdiskriminierung: Personen mit berichten, seit Beginn der Corona-Pandemie niedriger Bildung geben – unabhängig von wegen ihres Alters benachteiligt oder der Corona-Pandemie - häufiger an, von schlechter gestellt worden zu sein. Neben Altersdiskriminierung, etwa in der der Frage, ob Menschen in der zweiten medizinischen Versorgung, betroffen zu Lebenshälfte seit Beginn der Pandemie sein, als Menschen mit höherer Bildung Altersdiskriminierung erlebt haben, ist von (Beyer et al., 2017). Dieser Unterschied hat Bedeutung, in welchen Lebensbereichen sich in der Corona-Krise möglicherweise diese aufgetreten ist. Dies wird anhand der noch verschärft. Andererseits hat in Bereiche medizinische Versorgung und bestimmten Bereichen nach Beginn der Alltag untersucht. Corona-Pandemie eine Annäherung zwischen Bildungsgruppen stattgefunden, In diesem Beitrag werden folgende etwa hinsichtlich ihrer Lebenszufriedenheit Forschungsfragen untersucht: (Entringer et al., 2020), und eine derartige 1. Wie hoch ist der Anteil an Personen in Annäherung könnte es grundsätzlich auch im Bereich der Altersdiskriminierung der zweiten Lebenshälfte, die im gegeben haben. Juni/Juli 2020 angeben, seit Beginn der Corona-Krise (Mitte März 2020) Von Altersdiskriminierung könnten zudem aufgrund ihres Alters schlechter gestellt diejenigen stärker betroffen sein, die ihre oder benachteiligt worden zu sein? Gesundheit weniger gut bewerten. Diese negativeren Gesundheitseinschätzungen 2. Unterscheiden sich bestimmte gehen vermutlich auf bestimmte Bevölkerungsgruppen (Altersgruppen, Erkrankungen zurück, die ihrerseits wieder Frauen und Männer, Bildungsgruppen ein Risikofaktor für schwere oder gar und Personen mit unterschiedlichem tödliche COVID-19-Krankheitsverläufe sind Gesundheitsstatus) darin, zu welchen (Atkins et al., 2020; Karagiannidis et al., 2020; Nachtigall et al., 2020; Robert-Koch- Anteilen sie von erlebter Institut, 2020). Daher tragen auch ältere Altersdiskriminierung betroffen sind? Personen mit schlechterer subjektiver Gesundheit das Label „Risikogruppe“ 3. Unterscheiden sich diese zweifach, aufgrund ihres Lebensalters und Bevölkerungsgruppen zudem darin, in aufgrund ihres Gesundheitszustands, und welchen Bereichen (im Alltag oder in der sie könnten abwertende Bezeichnungen, wie medizinischen Versorgung) diese sie etwa in sozialen Medien kursieren Diskriminierungserfahrungen aufgetreten aufgrund ihrer tatsächlichen Gefährdung sind? stärker als altersdiskriminierend erleben im Vergleich zu Personen, die ihre Gesundheit besser einschätzen.
Altersdiskriminierung in der Pandemie 9 Daten und Methodik Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) ist eine repräsentative Quer- und Längsschnittbefragung von Personen in der zweiten Lebenshälfte. Im Rahmen der Studie werden seit mehr als zwei Jahrzehnten Frauen und Männer auf ihrem Weg ins höhere und hohe Alter regelmäßig befragt (1996, 2002, 2008, 2011, 2014, 2017, 2020). Dieser lange Beobachtungszeitraum von mehr als zwei Jahrzehnten erlaubt einen umfassenden Einblick in das Älterwerden und die Lebenssituationen von Menschen in der zweiten Lebenshälfte. Zudem kann durch das kohortensequenzielle Design der Studie Älterwerden im sozialen Wandel untersucht werden. Der Deutsche Alterssurvey ist daher eine zentrale Studie zu Alter und Altern in Deutschland. Mehr als 20.000 Personen haben bislang an der Studie teilgenommen. Befragt werden Personen, die zum Zeitpunkt der ersten Teilnahme 40 Jahre und älter sind. Die Teilnehmenden werden auf Basis einer nach Alter, Geschlecht und Region geschichteten Einwohnermeldeamtsstichprobe ausgewählt. Die Daten des Deutschen Alterssurveys sind daher repräsentativ für die in Privathaushalten lebende Wohnbevölkerung Deutschlands in der zweiten Lebenshälfte. Durch den Deutschen Alterssurvey können auch die Lebenssituationen in Krisenzeiten – wie wir sie aktuell aufgrund der Corona-Pandemie erleben – näher beleuchtet und besser verstanden werden. Die jüngste Befragung fand im Zeitraum vom 8. Juni bis zum 22. Juli 2020 statt. Im Zentrum dieser Befragung standen Fragen zur aktuellen Lebenssituation sowie zu erlebten Veränderungen während der Corona-Pandemie in verschiedenen Lebensbereichen, etwa in sozialen Beziehungen, im Wohlbefinden und in der Erwerbsarbeit. Es haben 4.823 Personen ab einem Alter von 46 Jahren an der Befragung teilgenommen. Aufgrund der Corona- Pandemie wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Deutschen Alterssurveys, die bereits zuvor mindestens einmal an der Studie teilgenommen hatten, mit einem schriftlichen Fragebogen (anstatt wie bisher im persönlichen Interview) befragt. Diese jüngste schriftlich- postalische Kurzbefragung stellt den ersten Teil der siebten Welle des Deutschen Alterssurveys dar. Im zweiten Teil werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Deutschen Alterssurveys telefonisch interviewt – von November 2020 bis April 2021. Der Deutsche Alterssurvey (DEAS) wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert. Weitere Informationen zum Deutschen Alterssurvey (DEAS) finden sich unter www.deutscher-alterssurvey.de.
10 Altersdiskriminierung in der Pandemie Die Ergebnisse dieses Berichts basieren auf − Zur Messung der selbstberichteten Auswertungen der siebten Welle des Gesundheit wurde die Frage gestellt Deutschen Alterssurveys (DEAS; Vogel, „Wie bewerten Sie Ihren derzeitigen Klaus, Wettstein, Simonson, & Tesch- Gesundheitszustand?“. Diese Frage Römer, 2020). Für die vorliegenden wurde auf einer Skala von 1 (sehr gut) Auswertungen wurden die Angaben von bis 5 (sehr schlecht) beantwortet. In den 4.510 Personen im Alter zwischen 50 und 90 folgenden Analysen werden die Werte 1 Jahren berücksichtigt. und 2 als „gute subjektive Gesundheit“ und Werte von 3 bis 5 als „mittlere bis Für die Analysen wurden die folgenden (sehr) schlechte“ bzw. als beeinträchtigte Maße verwendet: subjektive Gesundheit interpretiert. − Die wahrgenommene Benachteiligung Alter, Geschlecht sowie Bildungsstatus aufgrund des eigenen Alters (im basierten auf Selbstauskünften und waren Folgenden: erlebte aufgrund vorheriger Teilnahmen der Altersdiskriminierung) wurde mit der Personen am Deutschen Alterssurvey Frage erfasst: „Haben Sie seit Mitte bereits bekannt. Vier Altersgruppen wurden März erlebt, dass Sie wegen Ihres Alters unterschieden: 50- bis 59-Jährige (n = 768; durch andere benachteiligt oder 17,0 Prozent), 60- bis 69-Jährige (n = 1.434, gegenüber anderen Menschen 31,8 Prozent), 70- bis 79-Jährige (n = 1.421, schlechter gestellt wurden?“. Diese 31,5 Prozent) sowie Personen im Alter von Frage konnte mit „ja“ oder „nein“ 80 bis 90 Jahren (n = 887, 19,7 Prozent). beantwortet werden. Außerdem wurden Frauen (n = 2.293, 50,8 Prozent) und Männer (n = 2.217, − Nur diejenigen Personen, die die Frage 49,2 Prozent) miteinander verglichen. zur erlebten Altersdiskriminierung Bildung wurde in drei Gruppen unterteilt: bejahten (n = 200), wurden darüber Personen mit niedrigem Bildungsabschluss hinaus gefragt: „Können Sie uns sagen, (n = 187; 4,2 Prozent), mittlerem in welchen Bereichen des Lebens dies Bildungsabschluss (n = 2.120; 47,0 Prozent) geschehen ist?“. In den vorliegenden und hohem Bildungsabschluss (n = 2.202; Analysen wurden die folgenden 48,8 Prozent). Für Vergleiche der vorgegebenen Bereiche ausgewertet2: Bildungsgruppen nach Bereichen, in denen Altersdiskriminierung auftrat, wurden, da nur • bei der medizinischen Versorgung 17 Niedriggebildete insgesamt (z. B. bei der ärztlichen Diagnose, Diskriminierungserfahrung berichteten, bei Behandlungen oder Niedrig- und Mittelgebildete zu einer Gruppe Verordnung von Medikamenten) zusammengefasst. Zudem wurde die • im Alltag (z. B. beim Einkaufen, Altersdiskriminierung „in einem anderen bei Veranstaltungen oder in Bereich“ nur von sehr wenigen Personen persönlichen Beziehungen) (< 1 Prozent der Gesamtstichprobe) genannt, so dass für diesen Bereich keine • in einem anderen Bereich (dieser weiterführenden gruppenspezifischen konnte von den Befragten in Auswertungen möglich waren. einem Freifeldtext näher spezifiziert werden) 2 Abgefragt wurde auch der Bereich „bei der Arbeit oder Arbeitsverhältnis)“; dieser wird jedoch in den folgenden Arbeitssuche (z. B. bei der Vergabe von Stellen, am Analysen nicht berücksichtigt. Arbeitsplatz selbst oder bei der Entlassung aus einem
Altersdiskriminierung in der Pandemie 11 Ergebnisse Von den Menschen in der zweiten aufzutreten (3,4 Prozent) als in allen Lebenshälfte berichtet jede/r Zwanzigste anderen Altersgruppen, deren Anteile erlebte Altersdiskriminierung seit Beginn zwischen 5,0 und 6,3 Prozent liegen, dieser der Corona-Krise Unterschied ist jedoch statistisch nicht signifikant. Erlebte Altersdiskriminierung Wie Abbildung 1 zeigt, gibt im Sommer 2020 variiert also offenbar nicht in Abhängigkeit die große Mehrheit der Personen in der des Alters, zumindest nicht innerhalb der zweiten Lebenshälfte an (94,6 Prozent), zweiten Lebenshälfte. keine Altersdiskriminierung seit Mitte März 2020 erfahren zu haben. 5,4 Prozent Ebenso sind diese Anteile bei Frauen und dagegen berichten, seit Mitte März wegen Männern sehr ähnlich. Was die Rolle von ihres Alters benachteiligt oder schlechter Bildung betrifft, zeichnet sich ein Trend ab, gestellt worden zu sein. dass Niedriggebildete häufiger erlebte Altersdiskriminierung berichten (8,1 Prozent) Somit sieht sich die große Mehrheit der als Mittel- und Hochgebildete (4,1 und 6,4 Menschen in der zweiten Lebenshälfte Prozent), jedoch ist dieser Unterschied nicht offenbar keiner Altersdiskriminierung statistisch signifikant. Die Gruppe ausgesetzt. Im Jahr 2017 lag der Anteil Niedriggebildeter unter den Befragten ist derer, die angaben, wegen ihres Alters insgesamt klein, und in absoluten Zahlen diskriminiert worden zu sein, bei 8,5 Prozent betrachtet sind es nur 17 Personen (Spuling et al., 2020). Dieser Anteil ist innerhalb dieser Gruppe, die angeben, größer als 2020, jedoch auch auf einen wegen ihres Alters diskriminiert worden zu längeren zurückliegenden Zeitraum (12 sein. Monate in der Befragung 2017 vs. 3-4 Monate in der Befragung 2020) bezogen Aus diesen Ergebnissen lässt sich (siehe Abschnitt Forschungsfragen). Daher schlussfolgern, dass das Erleben von ist keine direkte Vergleichbarkeit gegeben. Altersdiskriminierung in der zweiten Lebenshälfte offenbar keine Frage des Verschiedene Altersgruppen, Frauen und Alters ist und keine nennenswerten Männer sowie Personen mit Unterschiede zwischen Erwachsenen im unterschiedlichem Bildungsstand sind zu mittleren und hohen Alter auftreten. Ebenso ähnlichen Anteilen von berichten ähnlich viele Frauen und Männer Altersdiskriminierung betroffen von erfahrener Altersdiskriminierung. Bei Bildung zeichnet sich ein kleiner, jedoch Wie in Abbildung 1 dargestellt, sind die nicht signifikanter Unterschied ab zu Lasten Anteile derer, die erfahrene der Niedriggebildeten, die etwas öfter als Altersdiskriminierung seit Beginn der Personen mit mittlerer oder hoher Bildung Corona-Krise berichten, in allen angeben, aufgrund ihres Alters diskriminiert Altersgruppen ähnlich. Zwar scheint die worden zu sein. erlebte Altersdiskriminierung in der Gruppe der 70- bis 79-Jährigen etwas seltener
12 Altersdiskriminierung in der Pandemie Abbildung 1: Anteil der Personen (in Prozent), die angeben, dass sie seit Mitte März 2020 wegen ihres Alters durch andere benachteiligt oder gegenüber anderen Menschen schlechter gestellt wurden, gesamt sowie nach Alter, Geschlecht, Bildung und subjektivem Gesundheitszustand Gesamt 5,4 94,6 50-59 Jahre 6,3 93,7 60-69 Jahre 5,8 94,2 70-79 Jahre 3,4 96,6 80-90 Jahre 5,0 95,0 Frauen 5,1 94,9 Männer 5,7 94,3 Niedrige Bildung 8,1 91,9 Mittlere Bildung 4,1 95,9 Hohe Bildung 6,4 93,6 Beeinträchtigte subjektive Gesundheit 7,3 92,7 Gute subjektive Gesundheit 3,9 96,1 Ja, wurde wegen meines Alters benachteiligt Nein, wurde nicht benachteiligt Quelle: DEAS Kurzbefragung 2020 (n = 4.510), gewichtet, gerundete Angaben; die Unterschiede nach Alter, Geschlecht und Bildung sind statistisch nicht signifikant. Dagegen ist der Unterschied in Abhängigkeit der subjektiven Gesundheit statistisch signifikant. Personen, die ihre Gesundheit weniger Bereiche erlebter Altersdiskriminierung: positiv einschätzen, geben häufiger an, Mit zunehmendem Alter wird der Anteil wegen ihres Alters diskriminiert worden derer größer, die Altersdiskriminierung in zu sein der medizinischen Versorgung und im Alltag erfahren Dagegen gibt es einen merklichen Unterschied in erlebter Altersdiskriminierung Wie Abbildung 2 zeigt, geben 2,2 Prozent in Abhängigkeit der selbsteingeschätzten an, in der medizinischen Versorgung wegen Gesundheit: Betrachtet man die Anteile an ihres Alters benachteiligt oder schlechter Personen mit guter subjektiver Gesundheit gestellt worden zu sein. Erlebte und mit beeinträchtigter subjektiver Altersdiskriminierung im Alltag berichten 1,6 Gesundheit, die angeben, wegen ihres Prozent. Erfahrene Diskriminierung in einem Alters benachteiligt oder schlechter gestellt sonstigen Bereich wird von weniger als worden zu sein (Abbildung 1), so sind dies in einem Prozent genannt (ohne Abbildung). der Gruppe derjenigen mit beeinträchtigter subjektiver Gesundheit fast doppelt so viele Innerhalb dieses „anderen Bereichs“ wurden (7,3 Prozent) wie in der Gruppe derer, die durchaus – wenn auch nur sehr vereinzelt – ihre Gesundheit als gut bewerten (3,9 Angaben gemacht mit direktem Bezug zur Prozent). Pandemie, aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln (z. B. „Als Risikogruppe stellt es
Altersdiskriminierung in der Pandemie 13 die Politik so dar als seien wir allein betrachteten Gruppe der 50- bis 59-Jährigen verantwortlich für das was kommt!“; „Es wird (erfahrene Altersdiskriminierung in der nicht ernst genommen, dass Corona in medizinischen Versorgung: 0,9 Prozent; im meinem Alter durchaus gefährlich sein Alltag: 1,1 Prozent). Erlebte könnte“; „Wurde der Risikogruppe Altersdiskriminierung in der medizinischen zugeordnet“; „Isolierung im Heim aufgrund Versorgung scheint also (mit Ausnahme der Corona“). 70- bis 79-Jährigen, die seltener diese Art an erfahrener Diskriminierung angeben als die Die Bereiche, in denen Menschen in der 60- bis 69-Jährigen) mit steigendem Alter zweiten Lebenshälfte erfahrene zuzunehmen, ebenso wie erfahrene Altersdiskriminierung berichten, Altersdiskriminierung im Alltag. unterscheiden sich deutlich nach dem Lebensalter. Dagegen unterscheiden sich Frauen und Männer unterscheiden sich nicht nur einzelne Bereiche nach Geschlecht, darin, zu welchen Anteilen sie angeben, von während keine signifikanten Unterschiede erlebter Altersdiskriminierung in der zwischen Personen unterschiedlicher medizinischen Versorgung betroffen zu sein. Bildung auftreten. Jedoch geben gibt bei den Frauen ein größerer Anteil (2,0 Prozent) als bei den Der Anteil in der ältesten Gruppe, die Männern (1,2 Prozent) an, sie seien wegen erfahrene Altersdiskriminierung in der ihres Alters im Alltag benachteiligt oder medizinischen Versorgung (3,7 Prozent) schlechter gestellt worden. Für Personen sowie im Alltag (2,4 Prozent) angeben, ist unterschiedlicher Bildung zeigt sich dagegen größer als in den anderen Altersgruppen, für keinen der beiden besonders im Vergleich zu der jüngsten Diskriminierungsbereiche ein Unterschied.
14 Altersdiskriminierung in der Pandemie Abbildung 2: Anteil der Personen (in Prozent), die angeben, dass sie seit Mitte März 2020 wegen ihres Alters durch andere in der medizinischen Versorgung oder im Alltag benachteiligt oder gegenüber anderen Menschen schlechter gestellt wurden, gesamt sowie nach Alter, Geschlecht, Bildung und subjektivem Gesundheitszustand Gesamt 1,6 2,2 50-59 Jahre 1,1 0,9 60-69 Jahre 1,6 3,1 70-79 Jahre 2,0 1,8 80-90 Jahre 2,4 3,7 Frauen 2,0 2,4 Männer 1,2 1,9 Niedrige/Mittlere Bildung 1,7 2,3 Hohe Bildung 1,5 2,0 Beeinträchtigte subjektive Gesundheit 3,1 3,1 Gute subjektive Gesundheit 0,6 1,5 Alltag Medizinische Versorgung Quelle: DEAS Kurzbefragung 2020 (n = 4.510), gewichtet, gerundete Angaben; die Unterschiede zwischen den Altersgruppen sind für beide Bereiche (Alltag und medizinische Versorgung) signifikant; der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist nur für den Bereich Alltag signifikant; die Unterschiede nach Bildung sind für beide Bereiche (Alltag und medizinische Versorgung) nicht signifikant; nur der Unterschied im Bereich Alltag ist signifikant verschieden zwischen Personen mit guter vs. beeinträchtigter subjektiver Gesundheit. Personen, die ihre Gesundheit als Gesundheit (0,6 Prozent). Dagegen fällt beeinträchtigt einschätzen, geben interessanterweise der Unterschied häufiger an, im Alltag wegen ihres Alters zwischen beiden Gruppen im diskriminiert worden zu sein Diskriminierungsbereich der medizinischen Versorgung zwar zu Ungunsten der Gruppe Viel deutlicher als der Unterschied zwischen mit beeinträchtigter subjektiver Gesundheit den Altersgruppen oder zwischen Frauen aus (3,1 Prozent; bei den Personen mit guter und Männern hinsichtlich der berichteten selbsteingeschätzter Gesundheit: Altersdiskriminierung im Alltag ist der 1,5 Prozent), jedoch ist dieser Unterschied Unterschied in Abhängigkeit davon, wie statistisch nicht signifikant. Menschen ihre eigene Gesundheit einstufen: Dieser Diskriminierungsform sehen sich 3,1 Zusammengefasst zeigen diese Ergebnisse: Prozent der Personen mit beeinträchtigter Gegenüber den Personen mit guter subjektiver Gesundheit ausgesetzt, und subjektiver Gesundheit geben diejenigen mit dieser Anteil ist mehr als fünfmal so groß wie beeinträchtigter subjektiver Gesundheit zu bei den Personen mit guter subjektiver deutlich größeren Anteilen an, im Alltag
Altersdiskriminierung in der Pandemie 15 wegen ihres Alters diskriminiert worden zu Lebensbereich – sehen sich mehr Personen sein. In der medizinischen Versorgung mit beeinträchtigter Gesundheit benachteiligt dagegen – vermutlich für diejenigen mit als Personen mit guter Gesundheit, jedoch negativer Bewertung ihrer eigenen fällt der Unterschied gering und statistisch Gesundheit ein ganz zentraler nicht signifikant aus. Fazit Die Corona-Krise hat womöglich eher klein (Reiner et al., 2020; Wahl et al., Altersdiskriminierung befördert, da sie – 2020). bisweilen sehr einseitige – Diskussionen um Verletzlichkeit, Schutzbedürftigkeit und Andererseits zeigen die Ergebnisse der Risikostatus älterer Personen (Kessler & vorliegenden Studie, dass immerhin jede Bowen, 2020) sowie um die Rolle des zwanzigste Person angibt, Lebensalters bei etwaigen medizinischen Altersdiskriminierung erlebt zu haben. Versorgungsengpässen (Ehni et al., 2020) Andere Studien, die etwa hervorgebracht hat. Zudem war die altersdiskriminierende Tendenzen in Darstellung älterer Menschen und ihrer sozialen Medien untersucht haben (Jimenez- Situation in der Pandemie, insbesondere Sotomayor et al., 2020), schätzen die auch in sozialen Medien, mitunter von Verbreitung von Altersdiskriminierung altersdiskriminierenden Beiträgen und weitaus größer und problematischer ein. Tendenzen geprägt (Jimenez-Sotomayor et Möglicherweise macht es einen Unterschied, al., 2020; Lichtenstein, 2020; Meisner, 2020; welche Form von Altersdiskriminierung Sipocz et al., 2020). untersucht wird, also etwa ob persönliche und subjektive Altersdiskriminierung erfragt Jede/r Zwanzigste berichtet, seit Beginn wird oder objektiv messbare der Corona-Krise aufgrund des eigenen Altersdiskriminierung, die sich ganz Alters diskriminiert worden zu sein. pauschal gegen die Gruppe älterer Menschen richtet. Gemessen daran, wie Ein zentraler Befund der Befragung ist, dass schwerwiegend die Konsequenzen von im Sommer 2020 5,4 Prozent der Befragten erlebter Altersdiskriminierung für angaben, seit Beginn der Corona-Krise (also Wohlbefinden, Gesundheit und Langlebigkeit seit Mitte März 2020) wegen ihres Alters sind (Chang et al., 2020; Levy, Slade, diskriminiert worden zu sein. Die Chang, Kannoth, & Wang, 2020), ist jede überwältigende Mehrheit dagegen, mehr als einzelne Person, die von 94 Prozent, hat nach eigener Auskunft keine Altersdiskriminierung betroffen ist, eine Altersdiskriminierung erfahren. Person zu viel. Daher sollten ungeachtet der vermeintlich geringen Prävalenz von erlebter Dieses Ergebnis kann man einerseits als Altersdiskriminierung die Bemühungen in „Entwarnung“ deuten, denn offenbar hat es, Politik, Medien und Wissenschaft intensiviert zumindest in der frühen Phase der werden, einem einseitigen und Pandemie und in der Wahrnehmung der verlustorientiertem Altersbild Menschen in der zweiten Lebenshälfte, entgegenzutreten. Zudem sollten die keine massenhafte Altersdiskriminierung Potenziale, Stärken sowie die Anpassungs- gegeben. Andere Studien haben ähnliche und Widerstandsfähigkeit älterer Menschen Ergebnisse berichtet, gemäß derer zwar öffentlich thematisiert werden, zumal sich teilweise Menschen Altersdiskriminierung im diese gerade auch in Zeiten der Corona- Zuge der Corona-Krise befürchten oder auch Krise manifestieren (Entringer & Kröger, selbst erlebt haben, gleichzeitig ist der Anteil 2020; Eurofound, 2020; Gilan et al., 2020; dieser Personen an der Bevölkerung oder Lind et al., 2020; Röhr, Reininghaus, & der Gesamtgruppe älterer Menschen aber
16 Altersdiskriminierung in der Pandemie Riedel-Heller, 2020). Negative der Krise wegen ihres Alters diskriminiert Altersstereotype und Altersdiskriminierung worden zu sein. Eine Ausnahme sind die 70- können ihre Ursache auch in bis 79-Jährigen, deren Anteil etwas niedriger unzureichendem Wissen über die (3,4 Prozent), jedoch nicht signifikant Lebensphasen mittleres und höheres verschieden von den anderen Altersgruppen Erwachsenenalter haben. Daher ist es ist. Auch andere Studien berichten, dass die wichtig, ausgewogen und umfassend über Wahrnehmung, ob ältere Menschen im Zuge diese Lebensphase und auch über die der Pandemie diskriminiert würden, Vielfalt des Alter(n)s zu informieren: Längst weitgehend unabhängig vom Alter der nicht alle älteren Menschen sind befragten Personen ist (Wahl et al., 2020). gesundheitlich eingeschränkt und Ebenso sind es bei den Frauen wie bei den hochverletzlich, innerhalb der Altersgruppe Männern um die 5 bis 6 Prozent, die älterer Menschen gibt es – wie in allen angeben, wegen ihres Alters diskriminiert anderen Altersgruppen auch – erhebliche worden zu sein. Was Bildung betrifft, scheint individuelle Unterschiede. Initiativen zur es dagegen so zu sein, dass Vermittlung realistischer und ausgewogener Niedriggebildete etwas häufiger erlebte Altersbilder (z. B. des BMFSFJ, Initiative Altersdiskriminierung berichten als Personen „Neue Bilder vom Alter“; oder das mit mittlerer oder hoher Bildung. Dieser Themenjahr 2012 „Im besten Alter. Immer.“ Unterschied zwischen den Bildungsgruppen gegen Altersdiskriminierung der ist jedoch, ähnlich wie in anderen Studien Antidiskriminierungsstelle des Bundes) (Reiner et al., 2020), statistisch nicht sollten daher fortgesetzt und ausgebaut signifikant. werden. Diese Ergebnisse legen nahe, dass sich Ganz offensichtlich ist Altersdiskriminierung zumindest bislang keine soziodemografische ein Problem, das auch schon vor der „Risikogruppe“ abzeichnet, die während der Corona-Pandemie bestand (Beyer et al., Corona-Krise besonders gefährdet ist für 2017; Spuling et al., 2020), ablehnende oder Altersdiskriminierung. Erlebte feindselige Haltungen gegenüber älteren Altersdiskriminierung kann Personen Menschen sowie negative Altersstereotype unterschiedlichen Alters treffen, und daher gab es auch schon zuvor. Bemühungen und müssen Maßnahmen zum Schutz vor Kampagnen zur Bekämpfung von Diskriminierung auch alle Altersgruppen Altersdiskriminierung werden daher während innerhalb der zweiten Lebenshälfte der noch anhaltenden Pandemie ebenso berücksichtigen. Zudem gibt es auch nötig sein wie nach ihrem Abklingen. Appelle, dass eine Stigmatisierung von Menschen in der „ersten Lebenshälfte“, also Altersdiskriminierung während der etwa von Kindern, Jugendlichen oder jungen Corona-Krise trifft verschiedene Erwachsenen, die keineswegs Altersgruppen, Frauen und Männer sowie rücksichtslose „Superspreader“ während der Personen unterschiedlicher Bildung Pandemie sind (Life with Corona Network, gleichermaßen. 2020), zwingend zu vermeiden ist (Doblhammer & Trappe,im Druck; Pelizäus Ist die Corona-Krise der große & Heinz, 2020). Pauschalen „Gleichmacher“, unter dem verschiedene Schuldzuweisungen für die Pandemie und Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu ihren Konsequenzen, ob sie nun an jüngere leiden haben? Zumindest in Bezug auf oder ältere Menschen gerichtet sind, erlebte Altersdiskriminierung scheint dies in müssen Politik und Medien entschieden er frühen Phase der Pandemie der Fall zu entgegentreten. Diese Schuldzuweisungen sein, denn von Personen im mittleren sind grundsätzlich falsch und bringen die Erwachsenenalter bis hin zu alten und sehr Gefahr von Generationenkonflikten mit sich. alten Erwachsenen sind es jeweils zwischen Zudem sollte die Forschung unbedingt 5 und 6 Prozent, die angeben, seit Beginn
Altersdiskriminierung in der Pandemie 17 beobachten, ob sich dieses Muster nicht Altersbilder und deren Konsequenzen bestehender Alters- und sensibilisiert werden. Dies erfordert eine Geschlechterunterschiede mit umfassende und fortlaufende Aufklärung fortschreitender Dauer der Pandemie und Weiterbildung der im Gesundheitswesen weiterhin zeigt oder ob es sich verändert, Beschäftigten. etwa im Zuge der Debatte um Impfpriorisierung. Was weitere Gruppendifferenzierungen betrifft, geben von Altersdiskriminierung Altersdiskriminierung während der Corona- betroffene Frauen häufiger als Männer an, Krise scheint verschiedene Altersgruppen im Bereich Alltag diskriminiert worden zu innerhalb der zweiten Lebenshälfte in einer sein. Dieser Geschlechterunterschied ist vor ähnlichen Häufigkeit zu treffen. Allerdings der Pandemie noch nicht aufgetreten (Beyer könnte für bestimmte hochaltrige Personen et al., 2017) und könnte daher durch diese mit besonderer Vulnerabilität, etwa mitbedingt sein. Möglicherweise fühlen sich Pflegeheimbewohner*innen, die in dieser Frauen stärker als Männer seit Auftreten der Studie nicht ausreichend repräsentiert sind, Pandemie im Alltag wegen ihres Alters erlebte Benachteiligung, etwa aufgrund diskriminiert (Reiner et al., 2020). Dagegen zeitweiliger Besuchsverbote (Rothgang et gibt es zwischen Gruppen unterschiedlicher al., 2020) mit ihren negativen Konsequenzen Bildung keine deutlichen Unterschiede für Stimmung und Befinden (Benzinger et hinsichtlich erlebter Diskriminierung in der al., 2021; Sporket, im Druck), häufiger medizinischen Versorgung oder im Alltag. auftreten und problematischer sein. Gruppen wie diese sollten in künftigen empirischen Personen, die ihre eigene Gesundheit Studien mehr Berücksichtigung finden. schlechter einschätzen, geben häufiger an, wegen ihres Alters – vor allem im Mit steigendem Alter geben mehr Alltag – diskriminiert worden zu sein. Menschen an, in der medizinischen Versorgung und im Alltag wegen ihres Deutlicher als die Unterschiede nach Alter, Alters diskriminiert worden zu sein. Geschlecht oder Bildung fällt der Unterschied in erfahrener Die Bereiche, in denen sich Personen in der Altersdiskriminierung in Abhängigkeit der zweiten Lebenshälfte mit erlebter selbsteingeschätzten Gesundheit aus: Der Diskriminierung als benachteiligt oder Anteil der Personen eingeschränkter schlechter gestellt erleben, variieren mit dem subjektiver Gesundheit, die berichten, Alter: Die jüngste betrachtete Altersgruppe wegen ihres Alters diskriminiert worden zu der 50- bis 59-Jährigen nennt die Bereiche sein, liegt bei 7,3 Prozent. Dieser Anteil ist medizinische Versorgung und Alltag seltener deutlich größer als bei denjenigen mit guter als alle anderen Altersgruppen. Dagegen ist oder sehr guter subjektiver Gesundheit (3,9 der Anteil der Personen mit erfahrener Prozent). Personen mit beeinträchtigter Diskriminierung in diesen Bereichen in der subjektiver Gesundheit könnten sich auch ältesten Gruppe der 80- bis 90-Jährigen deswegen in einem stärkeren Ausmaß größer als in den anderen Gruppen. wegen ihres Alters als diskriminiert erleben, da sie die womöglich als Stigma Insbesondere bei älteren und sehr alten wahrgenommene Zugehörigkeit zur Menschen sind also die medizinische „Risikogruppe“ (Robert-Koch-Institut, 2020) Versorgung sowie der Alltag zentrale doppelt trifft: aufgrund ihres Alters sowie Diskriminierungsbereiche. Ärzte und aufgrund ihres gesundheitlichen Zustands. Pflegepersonal, aber auch Öffentlichkeit Möglicherweise erleben diese Menschen (Jimenez-Sotomayor et al., 2020) und zudem mehr Bevormundung und Medien (Lichtenstein, 2020; Reiner et al., übervorsichtiges Verhalten durch 2020) sollten für Aspekte der Angehörige und andere Personen als Altersdiskriminierung sowie für negative diejenigen, die ihren Gesundheitszustand als
18 Altersdiskriminierung in der Pandemie besser einschätzen und damit auch weniger Zusammenfassung gefährdet sind für schwere COVID-19- Krankheitsverläufe. Dies könnte auch Erlebte Benachteiligung aufgrund des erklären, warum unter denjenigen mit eigenen Alters tritt während der Corona- erlebter Altersdiskriminierung die Personen Krise gemäß der vorliegenden Befunde bei mit weniger guter subjektiver Gesundheit einer Minderheit der Menschen in der mehr als fünfmal häufiger den zweiten Lebenshälfte auf, nämlich bei Diskriminierungsbereich „Alltag“ nennen als ungefähr 5,4 Prozent. Auch wenn dies nach Personen, die ihre eigene Gesundheit erstem Anschein nicht viele sind, ist für die besser bewerten. Lebensqualität und die Gesundheit der betroffenen Personen jede Form von Personen mit beeinträchtigter Gesundheit Altersdiskriminierung erheblich schädlich sind somit in vielerlei Hinsicht die (Chang et al., 2020; Levy et al., 2020). Leidtragenden der Pandemie: Sie sind Daher ist durchaus Handlungsbedarf aufgrund von Vorerkrankungen gefährdeter geboten. In der Pandemie sollte nicht das für schwere oder gar tödliche einseitige Bild älterer Menschen als Krankheitsverläufe bei Ansteckung mit dem hochverletzliche Bevölkerungsgruppe Corona-Virus (Atkins et al., 2020; gezeichnet werden, während die Karagiannidis et al., 2020; Nachtigall et al., Widerstandsfähigkeit und 2020; Robert-Koch-Institut, 2020). Sie Anpassungsfähigkeit, die Potenziale und nehmen zudem – berechtigterweise – die Stärken dieser Bevölkerungsgruppe häufig Pandemie als bedrohlicher wahr (Jungmann unerwähnt bleiben. Denn solche einseitigen, & Witthöft, 2020; Traunmüller, Stefitz, negativen Altersbilder leisten der Gaisbachgrabner, & Schwerdtfeger, 2020; Altersdiskriminierung Vorschub, da sie Wettstein, Vogel, Nowossadeck, Spuling, & manche dazu verleiten, sich entweder Tesch-Römer, 2020) und berichten deutlich älteren Menschen gegenüber paternalistisch häufiger als Personen mit besserer und überprotektiv zu verhalten oder ihnen subjektiver Gesundheit, von gar die Schuld an Maßnahmen wie dem Altersdiskriminierung betroffen zu sein. Lockdown oder verhängter Daher brauchen diese Personen Kontaktbeschränkungen zu geben. Unterstützung durch Politik und Gesellschaft. Zum einen muss sichergestellt Deutlich häufiger sind offenbar Personen werden, dass sie – etwa dank optimaler von Altersdiskriminierung betroffen, die ihre gesundheitlicher Versorgung (z.B. eigene Gesundheit schlechter einschätzen, Behandlung von Vorerkrankungen, im Vergleich zu Personen mit besserer präventive und therapeutische Maßnahmen), selbstberichteter Gesundheit. Diese auch und gerade während der Pandemie, Personen sollten in besonderer Weise und mit Hilfe im Alltag durch andere – mit politisch und gesellschaftlich unterstützt und einer geringeren objektiven wie auch vor Diskriminierung, Bevormundung sowie subjektiven Bedrohung durch die Stigmatisierung geschützt werden. Pandemiezeit kommen. Zum anderen muss Möglicherweise hat die Corona-Krise auch verhindert werden, dass diese hochbelastete das Potenzial, intergenerationelle Solidarität Gruppe zur Zielscheibe von und Unterstützung hervorzubringen (Barrett Altersdiskriminierung wird. Gesundheitlich et al., 2020; Gilligan et al., 2020; Sipocz et eingeschränkte Personen sollten weder für al., 2020) und erlebte Altersdiskriminierung Maßnahmen wie Lockdown und zu verringern. Dieses Potenzial darf nicht Kontaktbeschränkungen in der Pandemie ungenutzt bleiben, und diese Formen von verantwortlich gemacht werden, noch sollte Solidarität und Unterstützung sollten explizit man sie bevormunden und eine gewürdigt und gefördert werden, damit sie überprotektive Haltung einnehmen. auch über das Ende der Pandemie hinaus Bestand haben. Denn eines ist unstrittig:
Altersdiskriminierung in der Pandemie 19 Altersdiskriminierung gab es auch schon vor von Altersdiskriminierung Ausdauer, und der Pandemie, und sie lässt sich keineswegs müssen, wenn sie nachhaltig erfolgreich sein nur auf die Corona-Krise zurückführen. sollen, bis weit nach dem Ende der Daher benötigen politische und Pandemie fortgesetzt werden. gesellschaftliche Initiativen zur Bekämpfung
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