Ausgewählte Fragen des Lauterkeitsrechts der zahnärztlichen Tätigkeiten
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DIPLOMARBEIT zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Rechtswissenschaften an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz Ausgewählte Fragen des Lauterkeitsrechts der zahnärztlichen Tätigkeiten Vorgelegt von: Laura Magdalena NAGY 01510101 Begutachterin: Univ.-Prof.in Dr.in iur. Brigitta Lurger, LL.M. (Harvard) Graz, im Juni 2021
Ehrenwörtliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benutzt und die den Quellen wörtlich und inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die Arbeit wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen inländischen oder ausländischen Prüfungsbehörde vorgelegt und auch noch nicht veröffentlicht. Die vorliegende Fassung entspricht der eingereichten elektronischen Version. Graz, am: Unterschrift: II
Erklärung zum generischen Maskulinum Aus Gründen der Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit darauf verzichtet, geschlechtsspezifische Formulierungen zu verwenden. Ich möchte jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich die vorkommenden personenbezogenen Begriffe im Sinne der Gleichbehandlung gleichermaßen auf beide Geschlechter beziehen. III
DANKSAGUNG Meinen lieben Eltern Ilse und Erich sowie meiner Schwester Gudrun möchte ich größten Dank aussprechen. Sie haben mich beim Erreichen meiner Ziele stets mit all ihren Kräften unterstützt. Widmen möchte ich diese Diplomarbeit meinem Freund Jan, der mich durch interessante Gespräche auf das Thema und die Forschungsfragen dieser Diplomarbeit gebracht hat. IV
Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS ..................................................................................................................... V ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS UND ZITIERWEISE............................................................................... VII 1. EINLEITUNG ............................................................................................................................. 1 1.1 PROBLEMSTELLUNG .................................................................................................................... 1 1.2 ZIELE UND FORSCHUNGSFRAGEN.................................................................................................... 2 1.3 AUFBAU DER ARBEIT ................................................................................................................... 3 2. RECHTSGRUNDLAGEN DES ZAHNÄRZTLICHEN LAUTERKEITSRECHTS ......................................... 4 2.1 DIE UGP-RICHTLINIE .................................................................................................................. 5 2.1.1 REGELUNGSGEGENSTAND ................................................................................................................. 5 2.1.2 LEGALDEFINITIONEN ........................................................................................................................ 6 2.1.3 VERHÄLTNIS ZUM NATIONALEN RECHT................................................................................................ 8 2.2 DAS UWG ................................................................................................................................ 8 2.2.1 DIE SYSTEMATIK DES UWG .............................................................................................................. 9 2.2.2 ANWENDUNGSVORAUSSETZUNGEN DES UWG................................................................................... 11 2.2.3 DIE GENERALKLAUSEL DES § 1 UWG ............................................................................................... 14 2.2.4 RECHTSFOLGEN EINES LAUTERKEITSRECHTLICHEN VERSTOßES IM ZAHNÄRZTLICHEN WETTBEWERB .............. 20 2.3 DAS ZAHNÄRZTLICHE STANDESRECHT ............................................................................................ 32 2.3.1 DAS ZAHNÄRZTEGESETZ (ZÄG) ....................................................................................................... 32 2.3.2 DAS ZAHNÄRZTEKAMMERGESETZ (ZÄKG) ......................................................................................... 36 2.3.3 DAS STANDESRECHT DER ZAHNÄRZTE ALS VERBINDLICHE RECHTSQUELLE ISD UWG ................................. 38 2.4 EXKURS: ANWENDBARKEIT DER ÖSTERREICHISCHEN STANDESREGELN AUF ZAHNÄRZTE MIT SITZ IM AUSLAND .. ............................................................................................................................................ 39 2.4.1 GRUNDSÄTZE UND RECHTSQUELLEN DES INTERNATIONALEN WETTBEWERBSRECHTS................................. 39 2.4.2 DIE OGH-RECHTSPRECHUNG.......................................................................................................... 41 3. RECHTSPRECHUNG UND FALLGRUPPEN DES ZAHNÄRZTLICHEN LAUTERKEITSRECHTS ............ 44 3.1 DER ZAHNÄRZTEVORBEHALT ....................................................................................................... 44 3.1.1 RECHTSGRUNDLAGEN .................................................................................................................... 44 3.1.2 ZAHNTECHNIKER ........................................................................................................................... 45 3.1.3 BLEACHING DURCH KOSMETIKER ..................................................................................................... 47 3.1.4 BEWERBEN DES BLEACHINGS .......................................................................................................... 50 3.1.5 ERGEBNIS UND BEWERTUNG........................................................................................................... 52 3.2 ZAHNÄRZTLICHE WERBEBESCHRÄNKUNGEN ................................................................................... 55 3.2.1 RECHTSGRUNDLAGEN .................................................................................................................... 55 3.2.2 DIE RECHTSPRECHUNG DES EUGH ................................................................................................... 57 3.2.3 DIE RECHTSPRECHUNG DES OGH .................................................................................................... 58 3.2.4 ERGEBNIS UND BEWERTUNG........................................................................................................... 68 3.3 FÜHRUNG VON BERUFSBEZEICHNUNGEN ....................................................................................... 71 3.3.1 RECHTSGRUNDLAGEN .................................................................................................................... 71 3.3.2 RECHTSPRECHUNG DES OGH .......................................................................................................... 72 3.3.3 ERGEBNIS UND BEWERTUNG........................................................................................................... 73 V
4 BEWERTUNG UND RESÜMEE ................................................................................................... 75 LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................................................. XI JUDIKATURVERZEICHNIS .............................................................................................................. XIII VI
Abkürzungsverzeichnis und Zitierweise Die Abkürzungen entsprechen den „Abkürzungs- und Zitierregeln der österreichischen Rechtssprache und europarechtlicher Rechtsquellen – AZR“, herausgegeben von Peter Dax und Gerhard Hopf im Auftrag des Österreichischen Juristentages, begründet von Gerhard Friedl und Herbert Loebenstein, 8. Auflage (2019). In der folgenden Diplomarbeit orientiert sich die Zitierweise in weiten Teilen an den oberhalb genannten Abkürzungs- und Zitierregeln. Folgende Abkürzungen werden in der nachstehenden Diplomarbeit verwendet: aA anderer Ansicht ABl Amtsblatt der Europäischen Union Abs Absatz AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union aF alte Fassung ÄrzteG Ärztegesetz ABGB Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch JGS 1811/946 BGBl Bundesgesetzblatt Bsp Beispiel bspw beispielsweise bzw beziehungsweise B2C Business-to-Consumer C2C Consumer-to-Consumer dh das heißt E Entscheidung etc et cetera EBRV Erläuternde Bemerkungen zur Regierungsvorlage EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof EMRK Europäische Menschenrechtskonvention BGBl 1958/210 EWR Europäischer Wirtschaftsraum f folgende VII
ff fortfolgende gem gemäß idF in der Fassung idgF in der geltenden Fassung Insbes Insbesondere iSd im Sinne des iSv im Sinne von iVm in Verbindung mit iwS im weiteren Sinn i.d.R. in der Regel JBl Juristische Blätter Lit litera (Buchstabe) mwN mit weiteren Nachweisen m.M. meiner Meinung o.Ä. oder Ähnliche/s ÖBl Österreichisches Biographisches Lexikon OLG Oberlandesgericht OGH Oberster Gerichtshof SchO Schilderordnung der Österreichischen Zahnärztekammer RIS Rechtsinformationssystem RL Richtlinie Rs Rechtssache Rsp Rechtsprechung Rz Randzahl Slg Sammlung sog sogenannt/e/r/n stRspr ständige Rechtsprechung ua unter anderem UGP-RL Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern UWG Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb VKI Verein für Konsumenteninformation WR-ÖZÄK Werberichtlinien der Österreichischen Zahnärztekammer VIII
ZÄKG Zahnärztekammergesetz ZÄG Zahnärztegesetz zB zum Beispiel IX
1. Einleitung 1.1 Problemstellung Im Zusammenhang mit zahnärztlichen Tätigkeiten sind in letzter Zeit immer mehr Wettbewerbsverstöße festzustellen. Diese ergeben sich insbesondere dann, wenn Kosmetikstudios oder Zahntechniker entweder zahnärztliche Dienstleistungen anbieten, durch unangemessene Werbung den Markt der zahnärztlichen Tätigkeiten ungebührend beeinflussen, oder sich ungerechtfertigterweise selbst den Titel eines Zahnarztes verleihen. Ein prominentes Beispiel ist hier das sogenannte „Bleaching“1. Hier hatte der OGH zuletzt mehrere Entscheidungen zum Zahnärztevorbehalt zu treffen. Bleaching dürfe dementsprechend nach der Auffassung des OGH nur noch bei einem Zahnarzt vorgenommen werden.2 Da aber viele (auch bekannte) Kosmetikstudios verschiedenste Zahnbleachings anbieten und es auch einige Anbieter speziell nur für das Aufhellen der Zähne gibt (wie zum Beispiel sogenannte Bleachingbars wie „pure smilebar“ oder „smile secret“), die eben gerade keine Zahnärzte sind, sind hier umfangreiche wirtschaftliche Interessen betroffen. Insofern entstehen in Bezug auf die Voraussetzungen und Bedingungen für Wettbewerbsverstöße hier komplexe Rechtsfragen. Das Lauterkeitsrecht der Zahnärzte ist komplex und ist durch vielfältige Rechtsgrundlagen determiniert. Es wird nicht alleine durch das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und das Unionsrecht geprägt, sondern auch durch das Ärztegesetz, das Zahnärztegesetz, das Standesrecht der Ärzteschaft allgemein und das Standesrecht der Zahnärzte sowie die zahlreichen auf Basis des Standesrechts der Ärzte- und Zahnärzteschaft erlassenen Verordnungen und Richtlinien der Ärzte- und Zahnärztekammern. Da stets so viele Rechtsquellen beachtet und in Kontext gesetzt werden müssen und zudem das UWG in den einschlägigen Normen lediglich sehr allgemein formuliert ist, muss zwingend ein Blick auf die Rechtsprechung vorgenommen werden, um klarere Schlüsse aus den teilweise eher allgemein formulierten Gesetzestexten ziehen zu können. 1 Methode, um menschliche Zähne aus kosmetischen oder ästhetischen Gründen aufzuhellen. 2 OGH 26.03.2019, 4Ob211/18k. 1
1.2 Ziele und Forschungsfragen Die zentralen Forschungsfragen der vorliegenden Diplomarbeit lauten daher: a. Welche Werbebeschränkungen existieren für Zahnärzte im österreichischen Recht und inwieweit gelten diese auch für im Ausland niedergelassene Zahnärzte? b. Dürfen auch Zahntechniker und Kosmetikstudios zahnärztliche Dienstleistungen anbieten, und wenn ja, in welchem Umfang? i. Inwieweit gelten inländische Vorschriften auch für im Ausland niedergelassene Anbieter? c. Welche Werbebeschränkungen gelten für Zahntechniker und Kosmetikstudios? i. Inwieweit gelten inländische Vorschriften auch für im Ausland niedergelassene Anbieter? d. Unter welchen Voraussetzungen liegt eine wettbewerbswidrige Führung von falschen Titelbezeichnungen durch Zahnärzte vor? i. Inwieweit gelten inländische Vorschriften auch für im Ausland niedergelassene Anbieter? Damit liegen vier verschiedene Rechtsprobleme vor, die jeweils für sich gefasst anhand von Rechtsgrundlagen sowie der bestehenden Rechtsprechung erläutert werden. Da generell das Lauterkeitsrecht im Allgemeinen seine Bedeutung sehr stark durch die Rechtsprechung erhalten hat, und viele der Rechtsgrundlagen nur vage und unklar sind, soll diese Diplomarbeit in besonders diskutierten und intransparenten Bereichen des Lauterkeitsrechts der zahnärztlichen Tätigkeiten durch gezielte Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung einen besseren Blick auf die geltende Rechtslage ermöglichen. Das vorrangige Ziel der Arbeit ist es, eine generelle Bewertung der vorhandenen Rechtsgrundlagen in Verbindung mit der einschlägigen Rechtsprechung vorzunehmen. 2
1.3 Aufbau der Arbeit Die vorliegende Diplomarbeit erläutert zunächst die unionsrechtlichen und nationalen Rechtsgrundlagen und den Rechtsrahmen des Lauterkeitsrechts der zahnärztlichen Tätigkeiten. Hier soll zunächst ein Grundsatzverständnis für die einschlägigen Normen des UWG in diesem Bereich erreicht werden. Anschließend wird das gemäß den Forschungsfragen einschlägige zahnärztliche Standesrecht besprochen und in den lauterkeitsrechtlichen Kontext gesetzt sowie kürzer auf die Funktion der Zahnärztekammer in Verbindung mit dem Lauterkeitsrecht der zahnärztlichen Tätigkeiten eingegangen. In einem zweiten Schritt werden die verschiedenen möglichen Rechtsfolgen eines lauterkeitsrechtlichen Verstoßes in diesem Bereich dargestellt. Da es in der Vergangenheit des Öfteren auch vorgekommen ist, dass sich im Ausland ansässige Zahnärzte unlauterer Werbemethoden im Inland bedient haben, wird auch auf den Aspekt der Anwendbarkeit des nationalen Lauterkeitsrechts auf im Ausland ansässige Zahnärzte in einem eigenen Kapitel eingegangen. In der Folge liegt der Fokus auf der Betrachtung der einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung zu speziell ausgewählten Bereichen des Wettbewerbsrechts der zahnärztlichen Tätigkeiten gemäß den weiter oben genannten Forschungsfragen. Zuerst wird daher auf den Zahnärztevorbehalt in Verbindung mit Bleaching in Kosmetikstudios eingegangen. Danach wird erläutert, unter welchen Bedingungen ein wettbewerbswidriges Tätigwerden eines Zahntechnikers im ärztlichen Vorbehaltsbereich des Zahnarztes vorliegt. Anschließend werden die zahnärztlichen Werbebeschränkungen und ihre wettbewerbsrechtlichen Folgen beleuchtet. Auch die Frage, ob eine gemeinsame Werbung eines Zahnarztes mit einem Kosmetikinstitut eine sachgerechte und damit nicht wettbewerbswidrige Werbung darstellt, wird diskutiert. All diese Bereiche stehen insbesondere mit der richterlichen Rechtsfortbildung im Zusammenhang, weswegen diese im Vordergrund der Betrachtung der genannten Forschungsfragen steht. 3
2. Rechtsgrundlagen des zahnärztlichen Lauterkeitsrechts Der freie Wettbewerb bildet das Fundament der Marktwirtschaft. Dieser bedarf aber eines Schutzes durch die Rechtsordnung, damit er nicht ausufert oder unfair betrieben wird. Sowohl das Kartellrecht als auch das Lauterkeitsrecht schützen dabei jeweils auf eine spezifische Art und Weise die Wettbewerbsordnung. Der Begriff des Wettbewerbsrechts wird daher vielfach als Oberbegriff für die genannten Begriffe herangezogen. Das Kartellrecht schützt vor dem Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung Mitbewerber.3 Gem § 5 des Kartellgesetzes4 ist dies explizit verboten. Der Missbrauch kann beispielweise in einer einschränkenden Erzeugung (§ 5 Abs 1 Z 2) oder auch in wettbewerbswidrigen Preisabsprachen oder Geschäftsbedingungen (Z 1) bestehen. Die Marktstellung wird auch dann missbraucht, wenn „eine Benachteiligung von Vertragspartnern im Wettbewerb durch Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen“ (Z 3) stattfindet. Beim Lauterkeitsrecht geht es um den Schutz des Wettbewerbes vor dessen (unfairen) Auswüchsen. Der Zweck des Lauterkeitsrechts ist daher, einen schrankenlosen Konkurrenzkampf zu verhindern, der Mitbewerber, Konsumenten und die Allgemeinheit schädigt.5 In diesem Kapitel werden die Rechtsgrundlagen des zahnärztlichen Lauterkeitsrechts überblicksmäßig dargestellt. Dazu werden zunächst die unionsrechtlichen Grundlagen, wie insbesondere die „Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ (UGP-RL)6 präsentiert. In einem zweiten Schritt werden das „Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb“ (UWG)7 und seine Systematik überblicksmäßig dargestellt. Ein lauterkeitsrechtsrelevanter Rechtsbruch liegt nur bei einem Verstoß gegen generelle, verbindliche Normen vor. Solche Normen sind zweifellos das nationale Recht und das 3 Kriwanek, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung – Preismissbrauch, RdW 2015, 26. 4 Kartellgesetz 2005, BGBl I 2005/61 idF BGBl I 2019/109. 5 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht4 (2018) 303. 6 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) vom 11.06.2005, ABl L 149/22. 7 BGBl 1984/448. 4
Unionsrecht. Rechtsgrundlagen dieser Art können hierbei also das Ärztegesetz8 sowie das Zahnärztegesetz9 und das Zahnärztekammergesetz10 sein. Aber auch sozialversicherungsrechtliche Gesamtverträge sowie das Standesrecht der Zahnärzte gelten als Gesetze im materiellen Sinn und stellen daher taugliche verbindliche Normen dar, die bei einer Übertretung zu einem lauterkeitsrelevanten Rechtsbruch führen können.11 2.1 Die UGP-Richtlinie 2.1.1 Regelungsgegenstand Die „Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern“ (UGP-RL) zielt auf eine Vereinheitlichung des Wettbewerbsrechts der Mitgliedstaaten ab. Zum einen stehen hier die Verbraucherinteressen, zum anderen aber auch der freie Wettbewerb im Vordergrund. Die Grundsätze der Richtlinie sind von den Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen. Die Richtlinie ist nicht unmittelbar anwendbar. Das bedeutet, dass bei der Umsetzung der Richtlinie (Transformation des sekundären Unionsrechts in nationales Recht) die Mitgliedstaaten das von der Richtlinie vorgegebene Schutzniveau weder unter- noch überschreiten dürfen.12 Sie müssen genau jenes Schutzniveau sicherstellen, das von der Richtlinie vorgegeben wird.13 Der Regelungsgegenstand der UGP-RL umfasst ausschließlich den B2C-Bereich (=Business- to-Consumer-Bereich).14 Da die Richtlinie eine Vollharmonisierung anstrebt, dürfen die Mitgliedstaaten keine strengeren als in der UGP-RL vorgesehenen Maßnahmen erlassen.15 Auch dürfen die Mitgliedstaaten kein höheres Verbraucherschutzniveau sicherstellen. 8 Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 – ÄrzteG 1998), BGBl 1998/169. 9 Bundesgesetz über die Ausübung des zahnärztlichen Berufs und des Dentistenberufs (Zahnärztegesetz – ZÄG), BGBl 2005/126. 10 Bundesgesetz über die Standesvertretung der Angehörigen des zahnärztlichen Berufs und des Dentistenberufs (Zahnärztekammergesetz – ZÄKG), BGBl 2005/154. 11 OGH 13.7.2010, 4 Ob 121/10p, Kassentarif. 12 EuGH 23.4.2009, C-261/07 und C-299/07, Total. 13 Zur Kritik daran siehe insbes Seidelberger, Vorschläge für eine europäische Harmonisierung des Lauterkeitsrechts, ÖBl 2002/57 (58). 14 Vgl dazu Hofmarcher, Zum Begriff des Unternehmers iSd UGP-RL, ecolex 2014/33 (37); Noha/Anderl, RL- UGP schützt nur wirtschaftliche Verbraucherinteressen, ÖBl 2009/23 (23). 15 EuGH 23.4.2009, C-261/07 und C-299/07, Total. 5
Von der UGP-RL nicht umfasst sind Regelungen, welche sich lediglich auf das Verhältnis von Mitbewerbern beziehen. Im Vordergrund der Richtlinie steht laut den Erläuterungen der Schutz der Verbraucher, wobei hier die rechtlichen Standards in den Mitgliedstaaten vereinheitlicht werden sollen. 2.1.2 Legaldefinitionen Es ist ein generelles Ziel der EU-Richtlinien, dass ihre Vorschriften innerhalb der Europäischen Union möglichst einheitlich von den Mitgliedstaaten angewendet werden.16 Die Regelungen der UGP-RL sind nur auf sogenannte „Geschäftspraktiken“ anwendbar. Was eine Geschäftspraktik ist, definiert Art 2 lit d der UGP-RL. Der Begriff der Geschäftspraktik soll jenen der „Wettbewerbshandlung“ ersetzen, denn dieser ist enger gefasst, weil ein unmittelbarer Bezug zur Absatzförderung vorausgesetzt wird. Nicht unter den Begriff der unlauteren Geschäftspraktik im Sinne der UGP-Richtlinie fallen direkte unlautere Angriffe gegen den Mitbewerber, weil sich diese eben nur mittelbar auf die eigene Wettbewerbsposition und den eigenen Absatz auswirken. Die UGP-RL gilt zudem lediglich für Handlungen, die der Absatzförderung dienen (= Geschäftspraktik). Geschäftspraktiken werden durch Unternehmer durchgeführt. Auch Unternehmer können aber privat auftreten – in diesem Fall ist die Richtlinie nicht anzuwenden. Ebenso können Handlungen von Behördenvertretern „sonstige unlautere Handlungen“ darstellen. Der Erwägungsgrund 7 der UGP-RL verlangt für ihre Anwendbarkeit einen unmittelbaren Zusammenhang der jeweiligen Geschäftspraktik mit der wirtschaftlichen Absatzförderung. Ziel der Geschäftspraktik muss daher zumindest die objektive Eignung zur Förderung des eigenen oder des fremden Absatzes sein. Daraus lässt sich schließen, dass ein wirtschaftliches Interesse des Handelnden im Vordergrund stehen muss. Nur rein mittelbare Absatzförderungen sind nicht tatbildlich. Eine generelle Ausnahme bilden allgemeine Informationen über ein Unternehmen, die vorrangig anderen Zielen dienen, wie beispielsweise Geschäftsberichte, Aktionärsbriefe oder Unternehmensprospekte. Diese fallen aus dem Anwendungsbereich grundsätzlich heraus. 16 Enzinger, Lauterkeitsrecht (2012) Rz 117. 6
Produktbezogene Werbeprospekte jedoch, zum Beispiel auch Angaben über bestimmte Eigenschaften eines Produkts, fallen in den Anwendungsbereich der Richtlinie.17 Die Richtlinie legt überdies fest, dass die Regeln zur Verhinderung unlauterer Geschäftspraktiken lediglich dann anwendbar sein sollen, wenn ein sogenannter „reglementierter Beruf“ im Sinne des Art 2 lit 1 UGP-RL vorliegt. Nach dem Erwägungsgrund 7 der UGP-RL „bezieht sich die UGP-RL ausdrücklich nicht auf Geschäftspraktiken, die vorrangig anderen Zielen als der Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung von Verbrauchern dienen“.18 Daher fällt beispielsweise ein nationales Verbot, dass ein Geschäft nicht an allen Wochentagen geöffnet haben darf, nicht in den Anwendungsbereich der UGP-RL, da von dieser Regelung nur Unternehmer betroffen sind und eben keine Verbraucherschutzinteressen.19 Unlautere Geschäftspraktiken, die sich ausschließlich gegen Unternehmer richten, sind daher nicht vom Regelungsgegenstand der UGP-RL erfasst. Im Erwägungsgrund 8 der UGP-RL wird jedoch hervorgehoben, dass durch den Schutz der Verbraucher(-Interessen) vor wettbewerbswidrigem Verhalten auch mittelbar Unternehmer geschützt werden sollen, die sich an die Vorgaben der UGP-RL halten. Andere als wirtschaftliche Verbraucherinteressen, wie zum Beispiel Sicherheits- und Gesundheitsinteressen sind nicht vom Regelungsgegenstand der UGP-RL umfasst.20 Die UGP-RL berührt gemäß Art 3 Abs 3 auch keine nationalen Vorschriften über Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten. Sie lässt gemäß ihrem Art 3 Abs 8 auch die spezifischen nationalen Vorschriften für reglementierte Berufe, unter die sich auch Zahnärzte subsumieren lassen, da diese gemäß der Definition des reglementierten Berufes im Art 2 lit l UGP-RL: „eine berufliche Tätigkeit [ist], die direkt oder indirekt an das Vorhandensein bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist“, nicht in ihren Anwendungsbereich fallen. Das bedeutet, dass das Standesrecht der Zahnärzte sowie das Zahnärztegesetz nicht vom Anwendungsbereich der UGP-RL erfasst sind. 17 Enzinger, Lauterkeitsrecht Rz 81 mwN. 18 Hetmank, Im Korsett der UGP-Richtlinie, GRUR 2015, 323. 19 EuGH 4.12.2012, C-559/11 – Pelckmans Turnhout. 20 OGH 18.11.2008, 4 Ob 186/08v, Online Fernsehen. 7
2.1.3 Verhältnis zum nationalen Recht Das Verhältnis der Richtlinie zu nationalen lauterkeitsrechtlichen Regelungen war bereits Gegenstand der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache Luc Vanderborght.21 Demnach steht die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach Zahnärzten jegliche Werbung für ihre zahnärztliche Tätigkeit verboten wird. Der Gerichtshof verwies dabei auf Art 3 Abs 3 UGP-RL. Denn dieser nehme reglementierte Berufe aus Gesundheitsaspekten von seinem Anwendungsbereich aus.22 Werbung für zahnärztliche Tätigkeiten (insoweit sie medizinisch indiziert sind) gelten nach der Rechtsprechung des EuGH als Geschäftspraxis iSd Art 2 lit d UGP-RL. Jedoch besteht bei einem absoluten und allgemeinen Werbeverbot für zahnärztliche Leistungen ein Verstoß gegen andere Normen des Unionsrechts23, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit gem Art 56 AEUV. 2.2 Das UWG Die nationalen Rechtsgrundlagen für das Lauterkeitsrecht der zahnärztlichen Tätigkeiten finden sich vor allem im Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG)24. Die wesentlichen Grundlagen und die Systematik dieses Gesetzes werden in der Folge überblicksmäßig dargestellt. Das UWG hat zum Ziel, zu verhindern, dass sich Unternehmer ungerechtfertigt Wettbewerbsvorteile verschaffen, da dies aus moralischen und ethischen Überlegungen sowie im Sinne einer funktionierenden Marktwirtschaft keinen wünschenswerten Vorgang darstellt. Es geht somit um die Durchsetzung gleicher rechtlicher Rahmenbedingungen aller Konkurrenten für ein (faires) Handeln im Wettbewerb.25 21 EuGH, 04.05.2017, C-339/15, Luc Vanderborght. 22 EuGH, 04.05.2017, C-339/15, Luc Vanderborght Rn 27 f. 23 Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht (1997) 143. 24 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 – UWG, BGBl 1984/448 idF BGBl I 2019/104. 25 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 341. 8
2.2.1 Die Systematik des UWG Auf nationaler Ebene ist das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)26 die zentrale Rechtsquelle des Lauterkeitsrechts. Vor Einführung des UWG im Jahr 1924 konnte gegen unlauteres Wettbewerbsverhalten nur mithilfe der handels- und gewerberechtlichen Normen über den Schutz von Firma, Wappen und Etablissementbezeichnung, gewerberechtlicher Preiskennzeichnungspflichten, markenrechtlicher Vorschriften sowie der allgemeinen Schadenersatzvorschriften (§ 1295 ABGB sowie in bestimmten Fällen auch § 1330 ABGB – Verletzung der Ehre) vorgegangen werden. Seit dem Inkrafttreten des UWG im Jahr 1923, welches sich an das deutsche UWG 1909 anlehnte, wurde das UWG mehrere Male novelliert. Schließlich wurde das UWG im Jahr 2007 zuletzt umfassend novelliert, um die bereits erwähnte UGP-Richtlinie ins nationale Recht umzusetzen.27 Durch diese Novelle wurde unter anderem auch die Systematik der „großen Generalklausel“ des § 1 UWG neu geregelt, die im speziellen für das Lauterkeitsrecht der zahnärztlichen Tätigkeiten von einer besonderen Relevanz ist. Ursprünglich wurde das UWG nur als reines Schutzgesetz für und gegen Mitbewerber konzipiert. Der entscheidende Wandel in der Gesetzgebung vollzog sich schließlich mit der Schaffung eines eigenen Klagerechts des Österreichischen Arbeiterkammertages (nunmehr: Bundesarbeiterkammer) mit der UWG-Novelle 1971, die mit der Wahrung von wichtigen Konsumenteninteressen begründet wurde.28 Unlautere Geschäftspraktiken sind nach der sogenannten „Schutzzwecktrias“ zu beurteilen. Danach misst sich ein Verhalten an den Interessen der Wettbewerber, der Abnehmer, sprich der Verbraucher und der Allgemeinheit. Wird durch ein bestimmtes Wettbewerbsverhalten der Leistungswettbewerb verfälscht oder verhindert, ist eine Unlauterkeit anzunehmen. Dieser Aspekt wird auch durch den Erwägungsgrund 8 der UGP-RL betont, wo festgehalten wird, dass die Richtlinie ebenso auch mittelbar den rechtstreuen Mitbewerber schützen soll.29 26 Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 – UWG, BGBl 1984/448. 27 Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb 1984 geändert wird, BGBl I 2007/79; Fehringer /Freund, Die Umsetzung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in das UWG. Was bringt die UWG-Novelle 2007 Neues? MR 2007, 115 (117); Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 304. 28 Enzinger, Lauterkeitsrecht Rz 117. 29 Heidinger in Wiebe/Kodek, Kommentar zum UWG2 (2020) § 1 Rz 5. 9
Weiters manifestiert sich der Schutz aller Marktteilnehmer auch in der Aktivlegitimation (das ist das aktive und selbstständige Klagerecht) der Verbraucherschutzverbände (zum Beispiel des Vereins für Konsumenteninformation – VKI), der Amtsparteien sowie auf der anderen Seite auch durch das Klagerecht der selbständigen Interessensvertretungen der freien Berufe. Für Zahnärzte ist diese die Österreichische Zahnärztekammer (ÖZÄK). Ihr kommt auch ein selbstständiges Klagerecht bei Wettbewerbsverstößen zu. Das UWG ist in drei Abschnitte gegliedert: der erste Abschnitt (§§ 1–26) enthält zivilrechtliche und strafrechtliche Bestimmungen. Im zweiten Abschnitt (§§ 26–37) finden sich verwaltungsrechtliche Bestimmungen und im dritten Abschnitt (§§ 38–43) sind gemeinsame und Schlussbestimmungen enthalten. Diese grundsätzliche Aufteilung wird an manchen Stellen durchbrochen und wird auch nicht sehr streng durchgehalten. Der Anhang des UWG enthält eine Liste von irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken, die jedenfalls als unlauter gelten. Dieser Anhang wird daher auch als sog „Schwarze Liste“ bezeichnet. § 1 UWG enthält in der – zweigeteilten – Generalklausel ein umfassendes Verbot unlauterer Handlungen. In den „kleinen Generalklauseln“ ist das Verbot aggressiver (§ 1a UWG) und irreführender (§ 2 UWG) Geschäftspraktiken normiert. Weiters sind im UWG auch etliche Sondertatbestände enthalten, die an dieser Stelle keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Die Systematik des UWG bedingt, dass bei der Fallprüfung in einer bestimmten, sinnvollen Reihenfolge wie folgt vorzugehen ist:30 • Zunächst kann es sein, dass gewisse Sondertatbestände des UWG erfüllt sind. Diese sind daher vorab zu prüfen. In Frage kommen hier beispielsweise § 7 UWG (Herabsetzung eines Mitbewerbers) oder § 9 UWG (Missbrauch eines Kennzeichens).31 Diese Sondertatbestände seien deshalb immer als erstes zu prüfen, da sie als leges speciales zur Generalklausel aufzufassen sind. Eine Alternative ist, die Fallprüfung mit der „Schwarzen Liste“ zu beginnen, und sodann auf die Sondertatbestände einzugehen.32 30 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 304 ff. 31 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 304. 32 Gamerith, Zum Verhältnis der „Schwarzen Liste“ zum sonstigen unlauteren Verhalten iSd § 1 Abs 1 Z 1 Fall 2 UWG, ÖBl 2009/21. 10
• Treffen die oben genannten Sondertatbestände auf den Sachverhalt nicht zu, sind die Bestimmungen des Anhangs des UWG bzw der UGP-RL („Schwarze Liste“) zu prüfen. Die Tatbestände gelten per se als irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken und sind taxativ aufgelistet. Eine weitere und eingehende Prüfung dieser angeführten Geschäftspraktiken ist daher für den jeweiligen Rechtsanwender nicht erforderlich, da das Verhalten an sich schon einen Wettbewerbsverstoß darstellt. Die Erheblichkeit der Wettbewerbsverletzung muss hier im Einzelfall dann nicht mehr geprüft werden. • Unterfällt der zu beurteilende Sachverhalt auch keiner Geschäftspraktik der schwarzen Liste, so ist das Vorliegen von Unlauterkeit nach den „kleinen Generalklauseln“ zu prüfen. Gemäß § 1 Abs 3 UWG gilt nämlich eine Geschäftspraktik insbesondere dann als unlauter, wenn diese gemäß § 1a UWG aggressiv, oder gemäß § 2 UWG irreführend ist. • Sind weder die §§ 1a und noch der 2 UWG anwendbar, ist die Lauterkeit einer Geschäftspraktik anhand von § 1 Abs 1 UWG zu prüfen. Der Großteil der bisherigen ergangenen lauterkeitsrechtlichen Rechtsprechung der zahnärztlichen Tätigkeiten wurde anhand von § 1 Abs 1 UWG geprüft. Die eben dargestellte Prüfungsreihenfolge gilt allerdings nicht für die „sonstigen unlauteren Handlungen“ gem § 1 Abs 1 Z 1 UWG, da sowohl § 1a UWG als auch § 2 UWG – sowie die darauf basierenden Bestimmungen des Anhangs – eine Geschäftspraktik im Sinne des § 1 Abs. 4 Z 2 UWG voraussetzen. Die Unlauterkeit einer sonstigen Handlung kann sich daher immer nur aus der Generalklausel, und zwar aus § 1 Abs 1 Z 1 UWG ergeben.33 2.2.2 Anwendungsvoraussetzungen des UWG Da das UWG nur den wirtschaftlichen Wettbewerb regelt, unterfallen private Handlungen und rein politische Auseinandersetzungen keiner wettbewerbsrechtlichen Beurteilung. Nahezu alle Tatbestände des UWG setzen daher ein Handeln „im geschäftlichen Verkehr“ voraus. Wer rein privat oder amtlich handelt, handelt daher nicht im geschäftlichen Verkehr im Sinne des UWG. 33 Burgstaller/Frauenberger/Handig/Heidinger/Wiebe in Wiebe/Kodek, UWG2 § 1 UWG Rz 17. 11
Eine Gewinnabsicht bei der Handlung „im geschäftlichen Verkehr“ ist nicht erforderlich, weshalb auch gemeinnützige Vereine und Organisationen einer Beurteilung durch das Wettbewerbsrecht des UWG unterliegen. In welchem Bereich die wirtschaftliche Tätigkeit erfolgt, ist ebenfalls nicht ausschlaggebend. Neben Gewerbetreibenden fallen auch die Angehörigen der freien Berufe (zu welchen auch Zahnärzte zu zählen sind), freiberufliche Künstler sowie auch Landwirte in den Anwendungsbereich des UWG. Ebenso im geschäftlichen Verkehr steht – völlig ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichen Stellung – auch eine Sozialversicherungsanstalt, die ein Zahnambulatorium betreibt.34 Zusammenfassend kann zum Erörterten jedenfalls festgehalten werden, dass zum geschäftlichen Verkehr somit jede wirtschaftliche Betätigung im weiteren Sinne zählt.35 Das Kriterium des Handelns im geschäftlichen Verkehr entspricht daher im Wesentlichen dem – ebenfalls weit gefassten – Unternehmensbegriff des § 1 KSchG36 und dem des § 1 Abs. 2 UGB.37 Handlungen, die sich rein unternehmensintern abspielen und keine Außenwirkung haben, sind mangels eines Marktbezuges, also Einwirkung auf das Wettbewerbsgeschehen, allerdings keine Handlungen im geschäftlichen Verkehr. Auch die Förderung von fremdem Wettbewerb erfolgt folglich im geschäftlichen Verkehr. Ein eigener Geschäftsbetrieb der handelnden Person ist dazu nicht erforderlich. So kann also auch eine unselbständig tätige Person bestimmte Handlungen setzen, die das Geschäft einer anderen Person (eines Unternehmers) fördern und daher folglich einer wettbewerbsrechtlichen Beurteilung unterliegen. Beispiel: Eine Prophylaxe-Assistentin macht in einer Radiosendung rechtswidrige (standeswidrige) Werbung für eine bestimmte Zahnarztordination, nämlich dezidiert für jene ihres Arbeitgebers. Hier liegt ein Handeln im geschäftlichen Verkehr vor, §1 UWG ist daher anwendbar. Einschlägig ist hier die objektive Eignung, nicht die Handlungsabsicht.38 34 OGH 17.2.2015, 4 Ob 234/14m, Gesundheitsplattform; RIS-Justiz RS107003. 35 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 307. 36 Bundesgesetz vom 8. März 1979, mit dem Bestimmungen zum Schutz der Verbraucher getroffen werden (Konsumentenschutzgesetz – KSchG), BGBl I 140/1979. 37 Bundesgesetz über besondere zivilrechtliche Vorschriften für Unternehmen (Unternehmensgesetzbuch – UGB), BGBl I 106/1997. 38 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 307. 12
Beispiel: Wenn nur rein sachliche Informationen über eine bestimmte Behandlungsmethode erteilt werden, ohne konkrete Nennung einer bestimmten Ordination, stellt dies keine zurechenbare Werbung durch einen Nichtarzt dar.39 Ein Handeln im geschäftlichen Verkehr liegt hierbei nicht vor. Ganz generell lässt sich festhalten, dass ein Unterlassungsanspruch nach dem UWG auch bei Wettbewerbsverletzungen durch Dritte bestehen kann, wenn dem Haftenden die rechtliche Möglichkeit offenstand, für die Abstellung oder Verhinderung des Wettbewerbsverstoßes zu sorgen. Behält sich die im Beispiel oben genannte Ordinationsassistentin die Freigabe des Radiobeitrages vor und wird ihr aber eine Prüfung auf allfällige Verletzungen von standesrechtlichen Werbebeschränkungen der Zahnärzte durch den Radiosender verwehrt, kann ihr keine Verletzung einer derartigen Prüfpflicht vorgeworfen werden. Eine allfällige Absicht der Ordinationsassistentin, mit dem Radiointerview die Nachfrage nach zahnärztlichen Behandlungsmethoden auch zum Vorteil ihres Arbeitgebers zu erhöhen, ist für die Erlassung eines Unterlassungsgebots nach dem UWG unerheblich.40 39 Leitner, Radiointerview zu zahnärztlichen Hausbesuchen durch Zahnarzthelferin keine zurechenbare Werbung durch Nichtarzt, ZfG 2016, 23. 40 Leitner, Radiointerview 23. 13
2.2.3 Die Generalklausel des § 1 UWG § 1 UWG ist die grundlegendste Norm für das Lauterkeitsrecht der zahnärztlichen Tätigkeiten. Die Bestimmung verbietet einerseits unlautere Geschäftspraktiken und andererseits sonstige unlautere Handlungen. Ein derart allgemein gehaltenes Verbot ist deshalb notwendig und auch sinnvoll, da der Gesetzgeber nicht stets alle denkmöglichen Fälle eines unlauteren Handelns im Einzelnen regeln kann und auch nicht ständig auf jeden neu aufkommenden unlauteren Sachverhalt sofort und angemessen reagieren kann. § 1 UWG bestimmt, dass „derjenige auf Unterlassung und bei Verschulden auch auf Schadenersatz in Anspruch genommen werden kann, wer entweder im geschäftlichen Verkehr eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung anwendet, die geeignet ist, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen“ (Z 1), oder „eine unlautere Geschäftspraktik anwendet, die den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht und in Bezug auf das jeweilige Produkt geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet, wesentlich zu beeinflussen“ (Z 2). Die Anwendungsvoraussetzungen der Generalklausel sind einerseits das „Handeln im geschäftlichen Verkehr“, sowie die „Erheblichkeit der Wettbewerbsbeeinträchtigung“.41 Nur wenn diese Tatbestandsmerkmale ebenso erfüllt sind, fällt eine unlautere Geschäftspraktik oder sonstige unlautere Handlung in den Verbotsbereich der Generalklausel des § 1 UWG. Die zentralen Begriffe des „Verbrauchers“ beziehungsweise des „Gewerbetreibenden“ sind nach Auskunft der Gesetzesmaterialien42 „im Sinne des § 1 KSchG und des § 1 UGB auszulegen“. 2.2.3.1 Handeln im geschäftlichen Verkehr § 1 UWG erfordert eine Handlung eines Unternehmers im geschäftlichen Verkehr. Hierzu sind die Definitionen des Unternehmensgesetzbuches43 heranzuziehen. Hierzu sind alle Handlungen zu subsumieren, die den Geschäftszweck fördern und mit der der Unternehmer am Erwerbsleben teilnimmt. „Unternehmensbezogene Geschäfte“ sind alle „Geschäfte eines Unternehmers, die zum Betrieb seines Unternehmens gehören“ (vgl § 343 Abs 2 UGB). Der 41 Heidinger in Wiebe/Kodek, UWG2 § UWG 1 Rz 10. 42 Enzinger, Lauterkeitsrecht Rz 117; 144 BlgNR 13. GP, Besonderer Teil zu Z 1. 43 Unternehmensgesetzbuch (UGB), BGBl I 2005/120. 14
Begriff des geschäftlichen Verkehrs wird von den Gerichten regelmäßig weit ausgelegt.44 Eine Gewinnerzielung ist hierbei nicht erforderlich, sogar nicht einmal ein Handeln gegen (ein bestimmtes oder bestimmbares) Entgelt ist nötig, um ein unternehmensbezogenes Geschäft getätigt zu haben. In § 1 Abs 1 Z 1 UWG wird neben der unlauteren Geschäftspraktik auch auf die „sonstige unlautere Handlung“ Bezug genommen, unter der unter anderem auch direkte Angriffe gegen den Mitbewerber zu verstehen sind. Der Handlungsbegriff umfasst nicht nur ein aktives Tun, sondern auch ein Unterlassen sowie Verhaltensweisen oder Erklärungen und kommerzielle Mitteilungen, einschließlich der Werbung und des Marketings eines Unternehmens.45 2.2.3.2 Zwei Tatbestände Die Generalklausel ist in Bezug auf die Beeinträchtigung von Unternehmen einerseits und Verbrauchern andererseits alternativ formuliert. Da sich die beiden Tatbestände an unterschiedliche Adressaten richten, ist in der Literatur des Öfteren von einer „zweigeteilten Generalklausel“ zu lesen. § 1 Abs 1 Z 1 UWG schützt primär die Marktteilnehmer und daher den B2B-Bereich. § 1 Abs 1 Z 2 UWG bezieht sich hingegen auf Geschäftshandlungen gegenüber Verbrauchern. Bei der Abgrenzung zwischen dem B2B- und B2C-Bereich sind die Vorgaben der UGP-RL im Rahmen der richtlinienkonformen Interpretation stets zu berücksichtigen, da sich der Anwendungsbereich der Richtlinie lediglich auf den B2C-Bereich beschränkt. Eine „Geschäftspraktik“ wird als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Unternehmens, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts zusammenhängt“, definiert (siehe § 1 Abs 4 Z 2 UWG).46 2.2.3.3 Das Verbraucherleitbild Das Verbraucherleitbild des UWG ist ein „normatives Menschenmodell, das alle Personen umschreibt, die unter den Verbraucherbegriff fallen“.47 Ein solches Modell ist erforderlich, um 44 Siehe zB OGH 22.3.2018, 4 Ob 43/18d oder auch OGH 13.6.2019, 4 Ob 59/19h; OGH 11.8.2015, 4 Ob 247/14y. 45 Enzinger, Lauterkeitsrecht Rz 80. 46 Enzinger, Lauterkeitsrecht Rz 78. 47 Lurger/Melcher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht (2020) Rz 307. 15
Verbraucherschutzvorschriften und Bestimmungen auszulegen und anzuwenden. Die grundlegende Frage dahinter ist stets, wie wohl der Modell-Verbraucher auf eine bestimmte Geschäfts- oder Verkaufssituation reagieren würde oder wie dieser ein Verhalten oder eine Äußerung eines Unternehmers verstehen würde oder könnte und was diesen dann in weiterer Folge auch beispielsweise in die Irre führen würde. Von einer konkreten Definition des Durchschnittsverbrauchers wurde aus Überlegungen der ständigen Weiterentwicklung des Begriffs bei der Normgebung der UGP-RL abgesehen.48 Auch das UWG enthält keine entsprechende (Legal-)Definition des Verbrauchers. Eine nähere Erläuterung des Begriffs des Durchschnittsverbrauchers findet sich aber im Erwägungsgrund 18 der UGP-RL, wonach als Durchschnittsverbraucher ein Verbraucher anzusehen ist, der „unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist.“ Diese Formulierung weicht im Wortlaut leicht von der Definition des Durchschnittsverbrauchers in der Rechtsprechung des EuGH ab, der auf den „durchschnittlich informierten aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher“ abstellt. Die Abweichung im Wortlaut führt in der Praxis nicht zu einem anderen Verständnis, da der Erwägungsgrund 18 der UGP-RL ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug nimmt und zudem der englische und französische Text der Richtlinie wörtlich mit der Rechtsprechung des EuGH übereinstimmen. Der OGH bezeichnet diese konstruierte Maßfigur in seiner Rechtsprechung auch als „mündigen Konsumenten“.49 Durch das Modell des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers“ führt das EU-Verbraucherrecht einen relativ hohen normativen Schutzstandard ein. Dies führt in weiterer Folge dazu, dass weniger informierte oder verständige Verbraucher nicht so gut geschützt sind.50 Die UWG-Novelle 2007 dehnt das Leitbild des Durchschnittsverbrauchers nunmehr auf das gesamte Lauterkeitsrecht aus. Im Rahmen der Generalklausel wird der 48 Burgstaller/Frauenberger/Handig/Heidinger/Wiebe in Wiebe/Kodek, UWG2 § 1 UWG Rz 60 mwN. 49 OGH 15.02.2011, 4 Ob 228/10y, Waldbeeren Fruchtschnitte, MR 2011, 148. 50 Lurger/Melcher, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht Rz 311. 16
Durchschnittsverbraucher als konstruierte Maßfigur zur Beurteilung einer gegenüber Verbrauchern angewendeten Geschäftspraktik festgelegt. Die Definition des Verbrauchers in Art 2 lit a UGP-RL umfasst „jede natürliche Person, die im Geschäftsverkehr zu Zwecken handelt“, die nicht ihrer „gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit zugeordnet werden kann“. Unter den Begriff des Unternehmers fallen gemäß Art 2 lit b UGP-RL alle natürlichen oder juristischen Personen, die im Geschäftsverkehr im Rahmen ihrer „gewerblichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handeln, und jede Person, die im Namen oder Auftrag des Gewerbetreibenden“ handelt. Der Unternehmer- und Verbraucherbegriff deckt sich somit im Wesentlichen mit den – schon erwähnten – entsprechenden Definitionen in § 1 KSchG beziehungsweise § 1 Abs 2 UGB. Teilweise wird auch vertreten, dass jede Geschäftspraktik, die geeignet ist, die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher tatsächlich zu beeinträchtigen, in den B2C-Bereich fällt, auch wenn sich diese (nur) als indirekte Folge der Beeinträchtigung von Unternehmerinteressen darstellt.51 Aus den Bestimmungen der UGP-RL kann jedoch abgeleitet werden, dass nicht jede Werbemaßnahme, die sich nur oder auch an Verbraucher richtet, in den B2C-Bereich fällt. Die Erwägungsgründe 6 und 8 der Richtlinie weisen darauf hin, dass zwischen der Geschäftspraktik und der Kaufentscheidung des Verbrauchers in weiterer Folge ein direkter Zusammenhang bestehen muss. Ein „Umweg“ über die Beeinträchtigung der Interessen anderer Mitbewerber reicht dazu nicht aus.52 2.2.3.4 Erheblichkeitsschwelle Gegen die Generalklausel des § 1 UWG verstoßen nur solche unlauteren Handlungen, die in irgendeiner Weise auch dazu geeignet sind, den Wettbewerb oder das Verhalten der Verbraucher zu beeinflussen. Im Einzelfall können Wettbewerbsverstöße nämlich auch so unbedeutend sein (sogenannte Bagatellverstöße), dass eine Inanspruchnahme des Schädigers und der zuständigen Gerichte nicht gerechtfertigt erscheint, da an der Verfolgung von reinen Bagatellfällen generell kein nennenswert schutzwürdiges Interesse besteht. 51 Wiebe, Umsetzung der Geschäftspraktikenrichtlinie und Perspektiven für eine UWG-Reform, JBl 2007, 69 (70 f). 52 Glöckner/Henning-Bodewig, Ist die Union reif für die Kontrolle an der Quelle? WRP 2005, 1311 (1320). 17
Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die Beeinflussung der Marktverhältnisse eine gewisse (tatsächliche) Mindestintensität erreichen muss.53 Das Abstellen auf die Eignung bedeutet, dass die unlautere Wettbewerbshandlung nicht zwingend eine faktische Wettbewerbsbeeinträchtigung nach sich zieht. Im Rahmen einer Prognoseentscheidung gilt es daher zu beurteilen, in welchem Ausmaß das beanstandete Verhalten geeignet ist, eine Nachfrageverlagerung zu bewirken. Die Generalklausel sieht unterschiedliche Erheblichkeitsschwellen der Wettbewerbsverletzung im B2B- und im B2C-Bereich vor. Im Verhältnis zwischen den Mitbewerbern geht es um die Beeinflussung der Marktverhältnisse der Konkurrenten untereinander. Im Verhältnis zu den Verbrauchern geht es hingegen um die Eignung der wettbewerbseingreifenden Handlung zur de facto-Beeinflussung des Verhaltens des Durchschnittsverbrauchers.54 Fällt eine Geschäftspraktik unter eine der angeführten Praktiken der Schwarzen Liste, ist hier im Einzelfall nicht mehr zu prüfen, ob das Verhalten die Erheblichkeitsschwelle der Generalklausel überschreitet. Ebenso ist die Erheblichkeitsschwelle der Generalklausel des § 1 UWG bei den „kleinen Generalklauseln“ nicht anwendbar. Ist daher der Tatbestand des §§ 1a oder 2 UWG erfüllt, bedarf es keiner weiteren Prüfung der Auswirkungen der Geschäftspraktik auf den Markt nach § 1 Abs 1 Z 1 UWG oder § 1 Abs 1 Z 2 UWG. Im B2C-Bereich sind nicht die Auswirkungen auf die Marktverhältnisse, sondern stets der Grad der Beeinflussung des Durchschnittsverbrauchers maßgeblich. Der Durchschnittsverbraucher im Sinne der UGP-RL ist „angemessen gut unterrichtet, angemessen aufmerksam und kritisch“.55 Bei dieser Beurteilung sind jedoch auch kulturelle und soziale Faktoren mit einzubeziehen. Ein durchschnittliches Volksschulkind wird beispielsweise einer Werbung in der Regel nur „blickfangartig herausgestellte Vorteile entnehmen können“, nicht aber die damit auch verbundenen Verbindlichkeiten (Belastungen).56 § 1 Abs 1 Z 2 UWG erfordert das Überschreiten einer bestimmten „Erheblichkeitsschwelle“. Insofern muss das wirtschaftliche 53 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 316. 54 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 316. 55 EuGH 12.5.2011, C-122/10, „ab“-Preis. 56 OGH 8.7.2008, 4 Ob 57/08y, PonyClub. 18
Verhalten des jeweiligen Verbrauchers durch die Geschäftspraktik „wesentlich“ beeinflusst werden. Eine wesentliche Beeinflussung liegt insbesondere dann vor, wenn seine Entscheidungsfreiheit „spürbar beeinträchtigt wird“. An dieser Stelle ist vor allem zu prüfen, ob der Verbraucher anders entschieden hätte, wenn er gut aufgeklärt und informiert worden wäre.57 Im Unterschied zur Erheblichkeitsschwelle im B2B-Bereich kommt es beim B2C-Bereich auf das quantitative Gewicht im Sinne einer spürbaren Beeinflussung der Marktverhältnisse jedoch nicht an. Die wesentliche Beeinflussung bezieht sich ausschließlich und rein nur auf den individuellen Marktteilnehmer, nämlich auf jenen für die Handlung wesentlichen Durchschnittsverbraucher. Die Spürbarkeitsgrenze wird somit schon dann überschritten, wenn die zu beurteilende Geschäftspraktik nur gegenüber einem einzelnen (!) Verbraucher (beispielsweise in einem persönlichen Gespräch) angewandt wurde, wobei die von ihr auszugehende Beeinflussung allerdings wesentlich sein muss.58 Dies ist zum Beispiel bei Zahnarzt-Patienten-Gesprächen von einer besonderen Relevanz. 2.2.3.5 Rechtswidrige und schuldhafte Handlung Darüber hinaus ist Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch nach § 1 UWG, dass der Schädiger rechtswidrig und schuldhaft handelt. Hier sind die allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts anzuwenden. Schuldhaft handelt der Schädiger immer dann, wenn er zumindest fahrlässig handelt. Fahrlässigkeit liegt bei Außerachtlassung der notwendigen Sorgfalt vor. Leicht fahrlässig handelt, „wer mit der nicht fern liegenden Möglichkeit einer Rechtsverletzung bereits schon rechnen musste“.59 57 Wiebe et al, Wettbewerbs- und Immaterialgüterrecht 318. 58 Heidinger in Wiebe/Kodek, UWG2 § 1 Rz 145. 59 RIS-Justiz RS0107085. 19
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