BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor

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BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
BAUSTEINE
  zur Enzyklika Laudato Si’
     Über die Sorge für das gemeinsame Haus
     von Papst Franziskus

                     MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 1
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
Impressum
   2., erweiterte und leicht
   überarbeitete Auflage
   Herausgeber
   Bischöfliches
   Hilfswerk MISEREOR e.V.
   Mozartstr. 9
   52064 Aachen
   Deutschland
   www.misereor.de
   Redaktion
   Markus Büker
   Pädagogische Mitarbeit
   Anne Ulmen
   Layout
   VISUELL, Aachen
   Aachen, Dezember 2015

2 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
INHALT
1. Einführung in die Bausteine                           HERAUSFORDERUNGEN (SEHEN)
  Markus Büker, MISEREOR                                 3. Klima.Gerechtigkeit
                                                            Stefan Tuschen, MISEREOR
2. Internationale Botschaften der Kirchen
                                                         4. Ernährung
    und Religionen zum Klimawandel – mit Blick
                                                            Anja Mertineit, MISEREOR
    auf den Weltklimagipfel in Paris (COP 21),
    Dezember 2015                                        5. Lebensraum Stadt
                                                            Almuth Schauber, MISEREOR
  KATHOLISCHE STIMMEN
  1. Botschaft der katholischen Bischöfe Ozeaniens       SPIRITUALITÄT UND THEOLOGIE
     (August 2015)                                       DER SCHÖPFUNG (URTEILEN)
  2. Aufruf der Kontinentalen Bischofskonferenzen        6. Ökologische Spiritualität – nicht nur
     der fünf Kontinente (26. Oktober 2015)                 für Ordensleute
                                                            Wolfgang Schonecke,
  3. Auszug aus der Stellungnahme der Katholischen
                                                            Netzwerk Afrika-Deutschland, Berlin
     Hilfswerke (CIDSE),
     Bedeutung von Laudato Si’ für die                   7. „herrschen“ oder „hüten“–
     Weltklimakonferenz und darüber hinaus                  Gen 1,28 und 2,15 in Diskussion
     (Oktober 2015)                                         Klaus Bieberstein, Universität Bamberg
  4. Mit Laudato Si´ angesichts von Umwelt-              8. Alles, was ist, ist Schöpfung
     katastrophen und Klimawandel in Asien                  Ulrich Lüke, RWTH Aachen
     arbeiten.
                                                         PASTORALE INITIATIVEN (HANDELN)
     Oswald Kardinal Gracias, Erzbischof von
     Mumbai, Indien (30. November 2015)                  9. Ökologische Umkehr
                                                            Norbert Mette, Universität Dortmund
  STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN
                                                         10. Fastenzeit 2016
  5. Erklärung von Religions- und Glaubensvertretern         Thomas Schmidt, MISEREOR
     (22. September 2015)
  6. Auszüge aus jüdischen, islamischen,               4. Musterstunden für den Unterricht
     buddhistischen und interreligiösen Dokumenten       1. Sekundarstufe 1
     ausgewählt und kommentiert                             Kim Hasebrink, MISEREOR
     von Kathrin Schroeder, Misereor                     2. Sekundarstufe 2
                                                            Michaela Weitzenberg, MISEREOR
  AGENDA 2030
  7. 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, SDGs        5. Gottesdienst
     (Vereinte Nationen, 25. September 2015)              Petra Gaidetzka, MISEREOR

3. Impulse für Gruppen                                 6. Weiterführendes Material
  ZENTRALE AUSSAGEN
  1. Gerechtigkeits- und Umweltenzyklika
     Markus Büker, MISEREOR
  2. Dialog mit allen – zum Verstehen
     und Handeln angesichts der planetaren Krise
     Christoph Bals, Germanwatch
                                                       Alle Bausteine stehen gebündelt und einzeln auf
                                                       www.misereor.de/laudato-si
                                                       zum Download bereit.

                                                       MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 3
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
1
          EINFÜHRUNG IN DIE
          BAUSTEINE
          Markus Büker, MISEREOR

          W
                       ir von MISEREOR halten die Enzyklika     an politische Verantwortungsträger gewandt. Ihre zehn
                       Laudato Si’ von Papst Franziskus für     Forderungen an den Gipfel in Paris untermauern sie in
                       zentral. Er formuliert darin wesentli-   Berufung auf Laudato Si’.
   che Einsichten, wie heute in globalen Zusammenhängen            Papst Franziskus wendet sich mit seiner Enzyklika an
   gutes Leben, Gerechtigkeit, Respekt vor den natürlichen      jeden Menschen, der auf der Erde wohnt (LS 3). Er tritt
   Grenzen, Fortschritt möglich sind. Mit ihrem ethisch-theo-   damit auch in Dialog mit der internationalen Staaten-
   logischen Fundament wird sie die notwendigen Verände-        gemeinschaft, die sich im September 2015 in New York
   rungen, um das Leben auf unserem Planeten für alle zu        angesichts der weltweiten Nöte auf die Agenda 2030
   ermöglichen, in den kommenden Jahren mitprägen. Wir          geeinigt hat. Diese Agenda beschreibt 17 weltweite Ent-
   fühlen uns bei MISEREOR dazu aufgefordert, Laudato           wicklungsziele (SDG), die in den kommenden 15 Jahren
   Si’ stark zu machen, weil viele unserer Partner in Afrika,   erreicht werden sollen. Armut, Hunger, Unterdrückung
   Asien und Lateinamerika genau die Nöte, Sackgassen           und vermeidbare Krankheiten sollen überwunden wer-
   und Hoffnungen schildern, von denen Papst Franziskus         den, Bildung, Beteiligung und Sicherheit in einer intakten
   in Laudato Si’ spricht. Wir haben mit den Partnern und in    Natur für alle gegeben sein. Der Clou: dieses Mal werden
   vielen Bündnissen in Deutschland bzw. Europa gelernt,        Ziele für alle Länder formuliert. Nicht nur arme Länder und
   wie Verbesserung von konkreten Lebensbedingungen             Schwellenländer, sondern auch wir, die industrialisierten
   Hand in Hand mit der Veränderung von politischen und         Länder, müssen uns „entwickeln“. Die 17 Ziele zielen auf
   wirtschaftlichen Strukturen gehen müssen. Fragen zu          eine „Transformation“, einen Wandel, der alle betrifft. Die
   Lebensstilen und Fragen zu machtvollen Strukturen kön-       Frage liegt auf der Hand: Welche spezifischen Beiträge
   nen wir nicht trennen. Die vorliegenden Bausteine wollen     leisten wir in unseren verschiedenen Rollen in Kirche und
   dazu beitragen, in der Bildungsarbeit mit Jugendlichen       Gesellschaft zur Umsetzung der Ziele?
   und Erwachsenen, in Schulen und Gruppen die Enzyklika           Die Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge und Migran-
   zu erschließen. Sie enthalten zudem einen Vorschlag, um      ten in Deutschland und in Österreich zeigt in eindrucks-
   im Gottesdienst die Schöpfung, das gemeinsame Haus           voller Weise, wie unser Leben hier in Mitteleuropa mit
   aller, zu feiern.                                            den politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen
       Laudato Si’ (= LS) wirkt innerhalb wie außerhalb der     wie religiösen Verhältnissen weltweit verbunden ist.
   Kirche. Wir dokumentieren in Kapitel 2 internationale        Flüchtlinge und Migrantinnen unter uns lehren uns, dass
   Botschaften zum Klimawandel aus der katholischen             die Trennung zwischen „armem Süden“ und „reichem
   Kirche sowie aus anderen Kirchen und Religionen. Letz-       Norden“ als geographische Beschreibung immer mehr an
   tere nehmen teils ausdrücklich Bezug auf Laudato Si’.        Bedeutung verliert. „Süd“ und „Nord“ werden zu sozialen
   Angesichts der Weltklimaverhandlungen im Dezember            Begriffen. Der „arme Süden“ existiert in Köln, Wien und
   2015 in Paris haben sich Ende August 2015 die Bischöfe       Luzern, wenn auch noch mit sozialen Mindeststandards
   Ozeaniens an die Teilnehmenden des Gipfels gewandt.          abgefedert, doch vergleichbar der Situation in Johannes-
   Ihr Impuls wurde von den Bischofskonferenzen aller           burg, Jakarta und San Salvador. In all diesen Städten
   Kontinente aufgenommen. Erstmals in der Geschichte           leben wohlhabende Ober- und Mittelschichten, die mit
   der katholischen Kirche haben sich die Bischofskonfe-        ihrem ressourcenintensiven Lebensstil das gemeinsame
   renzen aller Kontinente in einer gemeinsamen Erklärung       Haus aller Menschen in den nächsten Jahrzehnten zer-

4 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
Foto: Schwarzbach / MISEREOR
stören werden, wenn ihnen nicht Einhalt geboten wird          die Erfahrungen, die sie dabei machen. Schreiben Sie
oder sie selber ihre Gewohnheiten ändern.                     an: markus.bueker@MISEREOR.de.
   Es ist uns bewusst, dass viele Zeitgenossen Vorbehalte
gegenüber päpstlichen Verlautbarungen haben. Das gilt             Alle Bausteine stehen gebündelt und
kaum weniger für Katholikinnen und Katholiken, aus                einzeln auf www.misereor.de/laudato-si
deren Tradition heraus Papst Franziskus formuliert. Aber          zum Download bereit.
Laudato Si’ steht nicht für sich allein. Vielmehr steht die
Enzyklika in Bezug zu wesentlichen naturwissenschaft-         Wir bei MISEREOR werden von unseren Schwerpunkten
lichen, politischen und ethisch-theologischen Diskus-         (Ernährung, Klima, Energie, Rohstoffe, Flucht, Stadtent-
sionen der heute drängenden Fragen. Die zahlreichen           wicklung, Menschenrechte, Gesundheit,…) an den glo-
Kommentare aus den Wissenschaften, Umweltorganisa-            balen Herausforderungen dran bleiben. Die Enzyklika
tionen, Politik und Religionen belegen das. Wir nehmen        fordert aber auch uns heraus: Gehen unsere Fragen tief
wesentliche Aspekte daraus für diese Bausteine auf: So        genug? Kommen wir an die Wurzel der Probleme? Haben
besonders Baustein 3 ein erster Versuch, sowohl einzel-       wir stichhaltige Argumente für unsere Hoffnung, dass
nen als auch Gruppen Elemente in die Hand zu geben, um        alle Menschen, die von heute und die in der Zukunft, in
sich die Enzyklika zu erschließen. Das kann von verschie-     einer intakten Natur werden leben können? – Die Latte,
denen Seiten her geschehen: zu Beginn von Baustein 3          die Papst Franziskus legt, ist hoch: „Erkennen wir, dass
stehen zwei Texte, die zentrale Aussagen von Laudato Si’      dieses System die Logik des Gewinns um jeden Preis
herausarbeiten (3.1 und 3.2). Diese sind wiederum in ei-      durchgesetzt hat, ohne an die soziale Ausschließung oder
ner separat aufzurufenden Power-Point https://www.mi-         die Zerstörung der Natur zu denken? Wenn es so ist, dann
sereor.de/fileadmin/publikationen/praesentation-ein-          beharre ich darauf – sagen wir es unerschrocken – : Wir
fuehrung-enzyklika-laudato-si.pdf zusammen gefasst.           wollen eine Veränderung, eine wirkliche Veränderung,
Sie umfasst 46 Folien und steht zum Heruntergeladen           eine Veränderung der Strukturen. Dieses System ist nicht
bereit. Nach dem Dreischritt Sehen – Urteilen – Handeln       mehr hinzunehmen; die Campesinos ertragen es nicht,
kann man sich ein spezifisches Problem heraussuchen           die Arbeiter ertragen es nicht, die Gemeinschaften ertra-
(3.3 Klimawandel, 3.4 Ernährung, 3.5 Stadt), man kann         gen es nicht, die Völker ertragen es nicht … Und ebenso
die zentrale Grundlegung in der Schöpfungstheologie           wenig erträgt es die Erde, »unsere Schwester, Mutter
aus spiritueller (3.6) und fundamentaltheologischer (3.7)     Erde«, wie der heilige Franziskus sagte.1“
Sicht diskutieren, eigene Beiträge zu Lösungen entwi-
ckeln, die mit einer „integralen Ökologie“ erreicht werden    1 Papst Franziskus, Ansprache beim Welttreffen der Volksbewe-
                                                                gungen, Santa Cruz de la Sierra, Bolivien, 9. Juli 2015, zitiert
(3.8). Die jährliche Fastenzeit ist im Kirchenjahr der Ort,
                                                                nach Papst Franziskus, Für eine Wirtschaft, die nicht tötet.
um Prozesse der Veränderung in der Pfarrei oder Gruppe          Wir brauchen und wir wollen eine Veränderung.
besonders bewusst anzugehen (3.9). Uns interessieren            Stuttgart, 2015, 37.

                                                                      MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 5
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
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          INTERNATIONALE BOTSCHAFTEN
          DER KIRCHEN UND RELIGIONEN
          ZUM KLIMAWANDEL – MIT BLICK
          AUF DEN WELTKLIMAGIPFEL IN PARIS
          (COP 21), DEZEMBER 2015

          2.1 BOTSCHAFT DER KATHOLISCHEN BISCHÖFE OZEANIENS
              (August 2015)

          D
                   as Exekutivkomitee der Föderation der           Es macht uns Mut, dass auch international die Sorge
                   Katholischen Bischofskonferenzen Oze-       angesichts von Klimawandel und Erderwärmung wächst.
                   aniens trifft sich gegenwärtig in Nouméa,   Aufgeweckt vom vereinten Ruf der Bürger, reagieren
   Neukaledonien. Als Vertreter der Katholischen Bischofs-     Regierungen und internationale Organisationen mit der
   konferenzen von Australien, des Pazifiks (CEPAC), von       Umsetzung und Überwachung ergebnisorientierter po-
   Neuseeland, Papua-Neuguinea und den Salomonen               litischer Strategien zur Bekämpfung von Praktiken und
   kommen wir aus einer Vielzahl an Inselstaaten, die sich     Entscheidungen, die sich auf die Umwelt und unsere
   über den Pazifik verteilen.                                 Völker schädlich auswirken.

6 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
KATHOLISCHE STIMMEN · STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN · AGENDA

                          Besondere Sorge bereiten uns der steigende Meeres-            Gesehen und unterzeichnet von folgenden Mitgliedern:
                          spiegel, die Ozeanversauerung und ungewöhnliche
                          Niederschlagsmuster. Sie schaden vielen unserer Ge-           –– Erzbischof John Ribat MSC: Vorsitzender des Exeku-
                          meinwesen. In manchen Fällen sind ganze Regionen und             tivkomitees der Föderation der Katholischen Bischofs-
                          Staaten durch die unbestreitbare Tatsache des steigen-           konferenzen Ozeaniens (FCBCO) und Erzbischof von
                          den Meeresspiegels bedroht. Beispiele aus diesem Teil            Port Moresby, Papua-Neuguinea; Vertreter der Katho-
                          der Welt sind die Carteret-Inseln, Fead-Inseln, Kiribati,        lischen Bischofskonferenz von Papua-Neuguinea und
                          Marshallinseln, Mortlock Islands, Nukumanu-Inseln,               der Salomonen (CBC-PNG/SI)
                          Tokelau und Tuvalu. Die Bemühungen um den Deichbau            –– Bischof Robert McGuckin: Stellvertretender Vorsit-
                          sind angesichts der immer höheren Fluten weitgehend              zender des Exekutivkomitees der FCBCO; Bischof der
Foto: Ressel / MISEREOR

                          wirkungslos und es wird in rascher Folge immer mehr              Diözese Toowoomba und Vertreter der Australischen
                          des ohnehin knappen fruchtbaren Bodens und der An-               Katholischen Bischofskonferenz (ACBC).
                          baufläche zerstört. Die Umsiedlungsangebote an sich           –– Bischof John Bosco Baremes SM: Bischof von Port
                          sind großzügig. Dennoch ist es immer eine schwierige             Villa, Vanuatu, und als Vertreter der CEPAC (Bischofs-
                          „Lösung“ – und nicht selten ein Zeichen der Missachtung          konferenz des Pazifiks) im Exekutivkomitee der FCBCO.
                          kultureller Identität und Traditionen – ein Volk und seine    –– Erzbischof Michel Calvet SM: Erzbischof von Nouméa,
                          Menschen an einem Ort zu entwurzeln und anderswo                 Neukaledonien, und als Vertreter der CEPAC (Bischofs-
                          neu anzusiedeln.                                                 konferenz des Pazifiks) im Exekutivkomitee der FCBCO.
                             In seiner jüngsten Enzyklika Laudato Si’ (über die         –– Bischof Colin Campbell: Bischof von Dune-
                          Sorge für das gemeinsame Haus) hat Papst Franziskus die          din, Neuseeland, und als Vertreter der Neusee-
                          gesamte Menschheitsfamilie eingeladen – ja gedrängt –,           ländischen Katholischen Bischofskonferenz
                          unseren Planeten und seine Völker als unser gemeinsa-            (NZCBC) Mitglied im Exekutivkomitee der FCBCO.
                          mes Haus zu begreifen. Ein Haus braucht Pflege und sollte     –– Bischof Charles Drennan: Bischof von Palmerston
                          ein sicherer Hafen sein, in dem die nächste Generation           North, Neuseeland, und als Vertreter der Neusee-
                          heranwachsen kann. Was einzelnen – besonders auch                ländischen Katholischen Bischofskonferenz (NZCBC)
                          wirtschaftlich armen – Familien gut tut, dient auch der          Mitglied im Exekutivkomitee der FCBCO.
                          weltweiten Familie, und was für die weltweite Mensch-         –– Bischof Vincent Long OFMConv: Weihbischof von
                          heitsfamilie gut ist, sollte auch für die verwundbarsten         Melbourne und als Vertreter der Australischen Ka-
                          einzelnen Familien in der Welt gut sein.                         tholischen Bischofskonferenz (ACBC) Mitglied im
                             Der Schutz der Atmosphäre und der Ozeane sind                 Exekutivkomitee der FCBCO.
                          eindrucksvolle Beispiele dafür, dass die politischen
                          Vertreter und Anführer der Nationen Verantwortung für                 Ansprechpartner: Pater Victor Roche, SVD:
                          das Wohlergehen von Menschen über ihre eigenen Küsten                 Generalsekretär, FCBCO,
                          oder Grenzen hinweg übernehmen müssen. Das erfordert                  P. O. Box 398, Wigani, NCD,
                          eine mutige, selbstlose und weitsichtige Regierungsfüh-               Port Moresby,
                          rung, basierend auf den Prinzipien von Gerechtigkeit und              Papua-Neuguinea.
                          Fairness, die das Beste im Menschen widerspiegeln und                 Telefon: +675-7220-2828;
                          gleichzeitig schützen.                                                E-Mail: cbcgensec@catholic.org.pg
                             Wir verpflichten uns, unsere eigenen Völker – einge-
                          schlossen jene, die zivile Verantwortung tragen –, dazu
                          anzuhalten, ihren Anteil zur Förderung einer nachhaltigen
                          und gerechten Entwicklungs- und Wirtschaftspolitik in
                          unserer Region zu leisten. Und wir bitten die in Paris Ver-
                          sammelten inständig, beharrlich an einer verbindlichen
                          Übereinkunft zu arbeiten, die die Pflege und den Schutz
                          unseres Planeten – verstanden als das Haus der Bürger
                          und Bürgerinnen dieser Welt – stärkt.
                                                          Nouméa, im August 2015

                                                                                               MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 7
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
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          2.2 AUFRUF DER KONTINENTALEN BISCHOFSKONFERENZEN
              AN DIE VERHANDLUNGSPARTEIEN DER COP 21

      Den folgenden Aufruf veröffentlichen Kardinäle, Pa-       sich an die Verhandlungsparteien der COP 21 in Paris
      triarchen und Bischöfe aus der ganzen Welt, die die       und fordert sie auf, sich aktiv für das Zustandekom-
      kontinentalen Zusammenschlüsse der nationalen ka-         men eines gerechten, verbindlichen und wahrlich
      tholischen Bischofskonferenzen vertreten. Er richtet      transformativen Klimaabkommens einzusetzen.

          W
                      ir, Kardinäle, Patriarchen und Bischö-    Schäden an Klima und Natur ziehen dramatische Wirkun-
                      fe, die die katholische Kirche auf den    gen nach sich. Die gravierenden Auswirkungen, welche
                      fünf Kontinenten vertreten, möchten       die drastische Beschleunigung des Klimawandels mit
   gemeinsam, in unserem eigenen Namen und im Interesse         sich bringt, betreffen den gesamten Globus. Sie fordern
   der Menschen, deren Wohlergehen unser Anliegen ist, die      uns heraus, unsere Vorstellung von Wachstum und Fort-
   große Hoffnung vieler ausdrücken, dass die Verhandlun-       schritt neu zu bestimmen. Sie stellen unseren Lebensstil
   gen im Rahmen der COP 21 in Paris zu einem gerechten         in Frage.
   und verbindlichen Klimaabkommen führen.                         Es ist unumgänglich, dass wir eine einvernehmli-
      Wir schlagen einen Zehn-Punkte-Maßnahmenplan vor,         che Lösung finden,, denn der Umfang und das globa-
   der auf den konkreten Erfahrungen von Menschen aller         le Ausmaß von Klimafolgen bedürfen einer weltum-
   Kontinente beruht und zwischen dem Klimawandel, der          spannende, inter- und intragenerationellen Solidarität
   sozialen Ungerechtigkeit und der sozialen Ausgrenzung        (LS 13, 14, 162).
   der Ärmsten und Gefährdetsten unserer Mitmenschen               Der Papst bezeichnet unsere Erde als „unser ge-
   einen Zusammenhang herstellt.                                meinsames Haus“. Demnach müssen wir, um unserer
                                                                Verpflichtung als Verwalter gerecht zu werden, auch den
   KLIMAWANDEL: HERAUSFORDERUNGEN                               möglichen menschlichen und sozialen Verfall im Auge
   UND CHANCEN                                                  behalten, der die Folge einer zerstörten Umwelt ist.
                                                                Wir fordern einen ganzheitlichen ökologischen Ansatz;
   In seiner Enzyklika „Lautato Si“ (LS), die sich an „jeden    wir rufen dazu auf, soziale Gerechtigkeit in den Mittel-
   Menschen, der auf diesem Planeten wohnt’ (LS 3) richtet,     punkt zu stellen, um „die Klage der Armen ebenso zu
   erinnert Papst Franziskus daran, dass der Klimawandel        hören wie die Klage der Erde“ (LS 49).
   „eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die
   Menschheit“ darstellt (LS 25). „Das Klima ist ein gemein-    NACHHALTIGE ENTWICKLUNG MUSS DIE ARMEN
   schaftliches Gut von allen und für alle“ (LS 23). Auch die   MIT EINBEZIEHEN
   „Umwelt ist ein kollektives Gut, ein Erbe der gesamten
   Menschheit und eine Verantwortung für alle“ (LS 95).         Während die Kirche die enormen Auswirkungen eines
      Ob Gläubige oder Nicht-Gläubige – wir sind uns heute      rapiden Klimawandels auf den Meeresspiegel, auf ex-
   im Wesentlichen darin einig, dass die Erde ein gemein-       treme Wetterereignisse sowie auf die Verschlechterung
   sames Erbe ist, von deren Erträgen alle gleichermaßen        der Ökosysteme und den Verlust an Biodiversität be-
   Nutzen ziehen sollen. Für Gläubige ist dies eine Frage       dauert, sieht die Kirche auch, wie sich der Klimawandel
   der Treue gegenüber ihrem Schöpfer, da Gott die Erde         höchst nachteilig auf verwundbare Gemeinschaften und
   für alle, die auf ihr leben, erschaffen hat. Infolgedessen   Einzelpersonen auswirkt. Papst Franziskus lenkt unsere
   muss jeder ökologische Ansatz auch eine soziale Dimen-       Aufmerksamkeit auf die irreparablen Folgen, die ein
   sion beinhalten, in der die Grundrechte der Armen und        ungebremster Klimawandel für viele Entwicklungsländer
   Benachteiligten berücksichtigt werden (LS 93).               dieser Erde, verursacht. In seiner Ansprache vor den

8 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
BAUSTEINE zur Enzyklika Laudato Si' - Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus - Misereor
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Vereinten Nationen betonte der Papst darüber hinaus,           UNSERE ZEHN APPELLE:
dass mit dem Missbrauch und der Zerstörung unserer
Umwelt ein Prozess einer erbarmungslosen Ausgrenzung           1. nicht nur die technische, sondern besonders auch die
einhergeht. 1                                                     ethische und moralische Dimension des Klimawandels
                                                                  zu berücksichtigen, wie es auch der Artikel 3 der United
MUTIGE FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEITEN                                   Nations Framework Convention on Climate Change
UND IHR STREBEN NACH UMSETZBAREN                                  (UNFCCC) vorsieht.
VEREINBARUNGEN                                                 2. zu akzeptieren, dass das Klima und die Atmosphäre
                                                                  globale Gemeingüter sind, die allen gemeinsam ge-
Der Bau und die Instandhaltung eines gemeinsamen,                 hören und auch für alle geschaffen sind.
nachhaltigen Hauses braucht eine mutige und ideenrei-          3. ein gerechtes, transformierendes und verbindliches
che politische Führung. Es bedarf rechtlicher Regelun-            globales Abkommen zu verabschieden, welches auf
gen, die klare Grenzen setzen und den Schutz unseres              unserer Vorstellung einer Welt basiert, die die Notwen-
Ökosystems sicherstellen (LS 53).                                 digkeit erkennt, im Einklang mit der Natur zu leben
   Verlässliche wissenschaftliche Belege machen deut-             und die Durchsetzung der Menschenrechte für alle zu
lich, dass der beschleunigte Klimawandel vor allem die            garantieren, einschließlich derer der indigenen Völker,
Folge ungebremster menschlicher Aktivität ist, die nach           Frauen, Jugendlichen und Arbeiter.
dem bekannten Fortschritts- und Entwicklungsmodell             4. die Erderwärmung nachhaltig einzugrenzen und das
vorgeht und ein übermäßiges Vertrauen in fossile Brenn-           Ziel einer kompletten Entkarbonisierung bis zur Mitte
stoffe setzt. Der Papst und die katholischen Bischöfe von         des Jahrhunderts zu fixieren, um höchst klimasensible
fünf Kontinenten, berührt von dem bereits entstandenen            Völker, wie die auf den pazifischen Inseln und in Küs-
Schaden, rufen nachdrücklich zu einer deutlichen Reduk-           tenregionen zu schützen.
tion des Ausstoßes von Treibhausgasen und anderen                 –– sicherzustellen, dass die Temperaturschwelle in ei-
schädlichen Gasen auf.                                                nem gesetzlich verbindlichen Abkommen verankert
   Wir schließen uns dem Heiligen Vater an in seinem in-              ist, welches darüber hinaus bestimmte ambitionier-
ständigen Bemühen um einen bedeutenden Durchbruch                     te Mitigationsbestrebungen und -verpflichtungen
in Paris, mit dem Ziel eines umfassenden und transfor-                aller Länder festhält, unter Anerkennung der ge-
mierenden Abkommens, welches von allen Beteiligten                    meinsamen aber unterschiedlichen Verantwortung
unterstützt wird und auf den Prinzipien der Solidarität,              und den jeweiligen Leistungsfähigkeiten (CBDRRC)
der Gerechtigkeit und der Teilhabe gründet 2. Dieses Ab-              als auch des Prinzips der Billigkeit, der historischen
kommen muss das Gemeinwohl vor nationale Interessen                   Verantwortung und des Rechts auf nachhaltige
stellen. Ebenso ist es wichtig, dass die Verhandlungen zu             Entwicklung.
einem durchsetzbaren Übereinkommen führen, das unser              –– zu gewährleisten, dass das Emissionsverhalten
gemeinsames Haus und all seine Bewohner schützt.                      mit dem Ziel der Entkarbonisierung in Überein-
   Wir, Kardinäle, Patriarchen und Bischöfe veröffentli-              stimmung steht; mit einer verpflichtenden regel-
chen einen allgemeinen Aufruf und legen zehn konkrete                 mäßigen Überprüfung der Verpflichtungen und
Vorschläge an die Politik vor. Wir appellieren an die COP             der Vorhaben auf der Grundlage von Wissenschaft
21 ein internationales Abkommen zu erarbeiten, um die                 und Billigkeit.
globale Erderwärmung innerhalb jener Größenordnung zu          5. neue Entwicklungs- und Lebensstilmodelle zu ent-
halten, mit der laut der internationalen Wissenschaftsge-         wickeln, die klimafreundlich sind, Ungerechtigkeit
meinschaft katastrophale Klimafolgen vermieden werden             überwinden können und es schaffen, Menschen vor
können, welche wiederum besonders die Ärmsten und                 Armut zu bewahren. Das Bedeutendste an diesem
am meisten gefährdeten Gemeinschaften treffen würden.             Punkt ist jedoch die Notwendigkeit, das fossile Zeit-
Wir stimmen darin überein, dass es eine gemeinsame                alter zu beenden. Dies beinhaltet, den Ausstoß an
aber gleichzeitig unterschiedliche Verantwortlichkeit             fossilen Brennstoffen inkl. dem durch Militär, Flug-
aller Nationen gibt, da Länder unterschiedliche Enwick-           und Schiffsverkehr sukzessive abzubauen und den
lungsniveaus aufweisen. Die Notwendigkeit, in diesem              Zugriff auf erschwingliche, verlässliche und sichere
gemeinsamen Unterfangen zusammenzuarbeiten, ist                   erneuerbare Energiequellen für alle zu ermöglichen.
unerlässlich.                                                  6. den Zugang der Menschen zu Wasser und Land zu
                                                                  sichern, um klima-widerstandsfähige, nachhaltige
1 Ansprache von Papst Franziskus vor den Vereinten Nationen,
  25. September 2015
                                                                  Nahrungssysteme aufzubauen, die solche Lösungen
2 Ansprache von Papst Franziskus an die Umweltminister der        bevorzugen, die sich an den Menschen statt an Pro-
  Europäischen Union, 16. September 2015                          fiten orientieren.

                                                                      MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 9
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KATHOLISCHE STIMMEN · STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN · AGENDA

    7. die Einbeziehung und Teilhabe der Ärmsten, Ge-          Die Unterschriften der Bischöfe dieser Erklärung:
       fährdetsten und Betroffensten auf allen Ebenen des
       Entscheidungsprozesses sicherzustellen.                 –– Seine Eminenz Oswald Kardinal Gracias,
    8. sicherzustellen, dass das Abkommen von 2015 ei-            Erzbischof von Bombay, Indien,
       nen Anpassungsansatz beinhaltet, der angemessen            Präsident der FABC (Asien)
       auf die akuten Bedürfnisse der gefährdetsten Völker     –– Seine Eminenz Peter Kardinal Erdo,
       reagiert und auf lokalen Alternativen aufbauen kann.       Erzbischof von Esztergom, Budapest,
    9. ins Bewusstsein zu rufen, dass die Anpassungsnot-          Präsident der CCEE (Europa)
       wendigkeiten von der Effektivität der unternomme-       –– Seine Eminenz Reinhard Kardinal Marx,
       nen Mitigationsbestrebungen abhängig sind. Die             Erzbischof von München, Deutschland,
       Hauptverantwortlichen für den Klimawandel haben            Präsident der COMECE (Europa)
       die Verpflichtung, die Gefährdeteren bei ihren An-      –– Seine Eminenz Ruben Kardinal Salazar Gomez,
       passungsstrategien und dem Umgang mit Verlust und          Erzbischof von Bogota, Kolumbien,
       Schaden zu unterstützen sowie ihnen die benötigte          Präsident des CELAM (Latein Amerika)
       Technik zur Verfügung zu stellen und mit ihnen das      –– Seine Exzellenz Erzbischof Gabriel Mbilingi,
       entsprechende Know-How zu teilen.                          Erzbischof von Lubango, Angola,
    10. einen klaren Fahrplan zu entwickeln, der zeigt, wie       Präsident des SECAM (Afrika)
       die Länder vorhersehbaren und gleichbleibenden,         –– Seine Exzellenz Erzbischof Joseph Kurtz,
       wie auch zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen         Erzbischof von Louisville,
       nachkommen werden, durch die eine ausgewogene              Präsident der USCCB (USA)
       Finanzierung von Mitigationsbemühungen und Adap-        –– Seine Exzellenz Erzbischof John Ribat,
       tionsbedürfnissen abgesichert ist.                         Erzbischof von Port Moresby, PNG,
                                                                  Präsident der FCBCO (Ozeanien)
    All diese Punkte erfordern ein aufrichtiges ökologisches   –– Seine Exzellenz Bischof David Douglas Crosby omi,
    Bewusstsein und eine ihm entsprechende Umweltbildung          Bischof von Hamilton, Kanada,
    (LS 202-215).                                                 Präsident der CCCB-CECC (Kanada)
                                                               –– Seine Seligkeit Bechara Boutros Kardinal Rai,
                                                                  Patriarch von Antiochien (Maronitische Kirche),
                                                                  Präsident des CCPO (Council of Catholic Patriarchs
                                                                  of the Orient)

    GEBET FÜR UNSERE ERDE                                      Entstanden in Zusammenarbeit mit den katholischen
                                                               Netzwerken CIDSE und Caritas Internationalis und ge-
       Gott der Liebe, lehre uns auf diese Welt, unser         fördert durch den Päpstlichen Rat „Justitia et Pax“.
       gemeinsames Haus, Acht zu geben. Schenke den
       Regierenden bei ihrem Zusammenkommen in Paris
       ein offenes Ohr für die Klage unserer Erde und die
       Klage der Armen; vereint im Herzen und im Geiste
       soll tapfer das gemeinsame Wohl gesucht und
       der bezaubernde irdische Garten geschützt wer-
       den, den du für uns erschaffen hast, für uns und
       all unsere Schwestern und Brüder und für all die
       nachfolgenden Generationen. Amen.

10 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
KATHOLISCHE STIMMEN · STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN · AGENDA

       2.3 AUSZUG AUS DER STELLUNGNAHME DER KATHOLISCHEN HILFSWERKE (CIDSE),
           BEDEUTUNG VON LAUDATO SI’ FÜR DIE WELTKLIMAKONFERENZ UND DARÜBER HINAUS
           (OKTOBER 2015)

       D
                 ie nachfolgenden Texte sind Auszüge aus        wir eine Vision für die Weltklimakonferenz der Vereinten
                 einem Dokument, das im Oktober 2015            Nationen in Paris, von der wir eine erste Einigung auf
                 auf Initiative der CIDSE-Arbeitsgruppe         durchgreifende weltweite Maßnahmen erwarten. Die
„Armut und Klimagerechtigkeit“ entstand. Es wurde               aufgestellten Forderungen basieren auf den Berichten
verfasst von Meera Ghani, Giulia Bondi, Rob Eslworth,           unserer Partner, die erleben, wie sich der Klimawandel
Sarah Wykes, Maureen Jorand, Jerry Mac Evilly, Geneviève        in den armen Ländern auswirkt. Sie basieren auf einem
Talbot, Stefan Tuschen und Joanne O’Neill, mit Beiträgen        ethischen Ansatz, der an
von Anne Laure Sablé und François Delvaux.                      die Enzyklika Laudato Si’
   In der Arbeitsgruppe sind die folgenden Organisa-            von Papst Franziskus Über
tionen vertreten: Broederlijk Delen (Belgien), CAFOD            die Sorge für das gemein-
(England und Wales), CCFD-Terre Solidaire (Frankreich),         same Haus2 angelehnt ist.         Paris, für die
Cordaid (Niederlande), Development & Peace (Kanada),            Der Papst fordert die Regie-      Menschen und für
KOO/DKA (Österreich), MISEREOR (Deutschland), SCIAF             rungen auf, bei ihren po-         den Planeten
                                                                                                     Was die Enzyklika Laudato Si’

(Schottland) und Trócaire (Irland).                             litischen Entscheidungen            für die Weltklimakonferenz
                                                                                                    und darüber hinaus bedeutet

                                                                die moralischen Aspekte
Inspiriert durch die Enzyklika Laudato Si’ von Papst            stärker zu berücksichtigen
Franziskus Über die Sorge für das gemeinsame Haus               und die Ärmsten, die am
wird in diesem Dokument für die Weltklimakonferenz der          stärksten unter den Folgen
Vereinten Nationen (COP 21), die vom 30. November bis           des Klimawandels leiden,
zum 11. Dezember 2015 in Paris stattfindet, und darüber         in den Mittelpunkt der De-
hinaus eine Vision formuliert. Die Regierungen werden           batte zu stellen. In dem
darin aufgerufen, bei ihren politischen Entscheidungen          vorliegenden Dokument
die moralischen Aspekte stärker zu berücksichtigen              umreißt die CIDSE, was die
und die Ärmsten, die am stärksten unter den Folgen              Enzyklika nach ihren Vor-
des Klimawandels leiden, in den Mittelpunkt zu stellen.         stellungen für die Verein-
Die Verfasser richten grundlegende Forderungen an die           barung von Paris bedeutet.
internationale Gemeinschaft und nehmen auch Bezug                   In Kopenhagen einigten sich die Vertragsstaaten 2009
auf die Kampagne „Change for the Planet – Care for the          darauf, die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad im
People“, die am 1. Juli 2015 von CIDSE gestartet wurde          Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen.3
und auf drei Jahre angelegt ist. Mit ihr soll darauf aufmerk-   Ein aktuelles Gutachten4 kommt aber zu dem Schluss,
sam gemacht werden, dass gerade Initiativen, die von            dass für einige Regionen und empfindliche Ökosysteme
den Menschen ausgehen, einen grundlegenden Wandel               bereits bei einer Erwärmung von mehr als 1,5 Grad hohe
hin zu einer gerechten, nachhaltigen Welt herbeiführen          Risiken bestehen.5 Die Welt muss sich zur Bewältigung
können. Weitere Informationen sind auf der Website zur          der Klimakrise daher ehrgeizigere Ziele setzen.
Kampagne1 zu finden.                                                Reichere Länder, die schon seit längerer Zeit industria-
   Das vollständige Dokument ist in deutscher, eng-             lisiert sind und die aktuelle Klimakrise verursacht haben,
lischer, französischer und spanischer Sprache auf               sollten als Erste handeln. Sie stehen in der vorrangigen
www.cidse.org/resources erhältlich. Die deutsche Über-          historischen Verantwortung, die Gefahren des Klimawan-
setzung wurde durch Elke Wertz angefertigt.                     dels abzuwenden. Sie sollten die ärmeren Länder bei
                                                                der Anpassung an den Klimawandel und der Umsetzung
ZUSAMMENFASSUNG UND HAUPTFORDERUNGEN
                                                                2 http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/
Herausgeberin des vorliegenden Dokuments ist CIDSE,               documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-
                                                                  si.html
eine internationale Vereinigung von 17 katholischen Ent-
                                                                3 http://unfccc.int/resource/docs/2009/cop15/eng/l07.pdf
wicklungsorganisationen. In diesem Papier formulieren
                                                                4 http://unfccc.int/documentation/documents/advanced_
                                                                  search/items/6911.php?priref=600008454
1 www.cidse.org/rethinking-development/change-for-the-pla-      5 Structured Expert Dialogue of the 2013-2015 Review (SEDR).
  net-care-for-the-people.html                                    Siehe:

                                                                       MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 11
KATHOLISCHE STIMMEN · STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN · AGENDA

    alternativer, umweltfreundlicherer Entwicklungsmodelle         Land und Wasser) im Einklang steht und Menschen-
    unterstützen. Daher müssen die Industrieländer ihre            rechtsverletzungen ausschließt.
    Treibhausgasemissionen drastisch reduzieren, um die
    „ökologische Schuld“ gegenüber den ärmeren Ländern              Klimafinanzierung:
    zu begleichen, und eine angemessene, kalkulierbare           –– Die Industrieländer müssen Maßnahmen- und Zeitplä-
    und zeitnahe Klimafinanzierung in den ärmeren Länder            ne vorlegen, aus denen hervorgeht, wie sie die Entwick-
    sicherstellen.                                                  lungsländer unterstützen und das 100-Mrd.-Dollar-Ziel
       Die Verhandlungen in Paris sollten noch eine Reihe           erreichen wollen. Sie sollten die Finanzierung aus
    weiterer Themen einschließen, wie den Zusammenhang              öffentlichen Mitteln erhöhen (insbesondere für Anpas-
    zwischen Klimawandel und Hunger beziehungsweise                 sungsmaßnahmen bis 2020 und darüber hinaus) und
    Ernährungssicherheit, die Notwendigkeit, Milliarden von         die Klimafinanzierung alle fünf Jahre überprüfen, um
    Menschen, die noch nicht an ein Stromnetz angeschlos-           eine doppelte Anrechnung bestehender Verpflichtun-
    sen sind, mit Elektrizität zu versorgen, sowie die Hinter-      gen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit zu
    fragung des wachstumsorientierten Wirtschaftsmodells            verhindern. Die Ausgaben für den Klimaschutz und für
    und der ausschließlichen Konzentration auf marktbasierte        die Anpassung an den Klimawandel müssen in einem
    Lösungen.                                                       ausgewogeneren Verhältnis erfolgen und für beides
       An der Umweltkrise zeigen sich die systemischen              sind getrennte Ziele festzulegen;
    Mängel einer politischen und ökonomischen Ordnung, die       –– Einstellung der Subventionierung der umweltschädli-
    durch einflussreiche Interessengruppen geprägt wird, und        chen fossilen Energieträger. Anhand robuster, trans-
    einer ausschließlichen Konzentration auf marktbasierte          parenter Regeln zur Rechenschaftspflicht ist zu ge-
    Lösungen, die nicht das Gemeinwohl in den Mittelpunkt           währleisten, dass Klimafinanzierung keinen Schaden
    des wirtschaftlichen Handelns stellen. Das geltende             anrichtet, sozial ausgewogen und genderorientiert ist.
    Wachstums- und Entwicklungsparadigma beruht auf
    ungerechten Wirtschafts-, Sozial- und Politiksystemen           Klima und Landwirtschaft:
    und auf der ungleichen Verteilung von und Zugang zu          –– Einen ausdrücklichen Verweis auf die Folgen des Kli-
    Ressourcen wie Wasser und Land, die Menschenrechts-             mawandels für die Ernährungssicherheit im operativen
    verletzungen, Umweltschäden, soziale Missstände und             Teil des Paris-Abkommens; und die Gewährleistung,
    Konflikte nach sich zieht. Diese Themen müssen auch über        dass die Ernährungssicherheit durch Klimaschutzmaß-
    die Verhandlungen in Paris hinaus angegangen werden.            nahmen nicht beeinträchtigt wird;
       Schließlich ist die Umweltkrise auch eine moralische      –– Die Senkung von Emissionen im Bereich Landnutzung,
    Krise. Im Geiste der katholischen Soziallehre hat die           einschließlich der Landwirtschaft, darf nicht zu einer
    CIDSE Fragen wie den Klimawandel schon immer aus der            Aufweichung der Ziele in anderen Bereichen führen;
    Perspektive der gesamten Menschheit betrachtet, um           –– Unterstützung und Förderung agrarökologischer Me-
    einen moralischen Kompass zu bieten und Menschen                thoden (unter anderem durch öffentliche Mittel) und
    allerorts zu motivieren, darüber nachzudenken, wie sich         nachhaltiger, klimaresilienter Ernährungssysteme.
    ihre Entscheidungen auf die Ärmsten und Schwächsten             Festlegung von Rahmenbedingungen für die Unter-
    auswirken.                                                      stützung von Kleinerzeugern;
       Aus diesem Grund richtet die CIDSE im Hinblick auf die    –– Stärkung der land- und ressourcenbezogenen Gewohn-
    Weltklimakonferenz in Paris die folgenden grundlegenden         heitsrechte zum Schutz indigener Gruppen;
    Forderungen an die internationale Gemeinschaft:              –– Keine Anerkennung der Global Alliance for Climate
    –– Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger und          Smart Agriculture als Lösung für den Klimawandel.
       eine möglichst rasche Umstellung auf 100 % erneu-
       erbare Energien einschließlich der Anbindung aller an        Zugang zu Energie:
       eine nachhaltige Energieversorgung (bis spätestens        –– Die Verpflichtung zum Ausstieg aus der Nutzung fossi-
       2050);                                                       ler Brennstoffe und zur Umstellung auf 100 % erneu-
    –– Verankerung der Obergrenze von 1,5 Grad in einem             erbare Energien bis spätestens 2050 sollte auch die
       rechtsverbindlichen globalen Abkommen;                       Anbindung aller an eine nachhaltige Energieversorgung
    –– Vereinbarung eines Ziels zur vollständigen Dekarbo-          umfassen, inklusive einer konsistenten politischen und
       nisierung bis 2050;                                          finanziellen Unterstützung durch die Industrieländer;
    –– Einrichtung einer fünfjährlichen Überprüfung der Zu-      –– Rasche Umsetzung des neuen Nachhaltigkeitsziels
       sagen und deren Zielvorgaben;                                (SDG) Nr. 7 ab 2016 zur Gewährleistung einer be-
    –– Gewährleistung einer an Rechten orientierten Vorge-          zahlbaren, zuverlässigen, sicheren und nachhaltigen
       hensweise, die mit allen relevanten internationalen          Energieversorgung für alle.
       Konventionen (vor allem mit dem Recht auf Ernährung,

12 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
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   Menschenrechte:                                                 der weiteren Zivilgesellschaft aktiv die Verhandlungen
–– Ausdrückliche Anerkennung der Tatsache, dass die                und hat zentrale Themenkomplexe identifiziert, die in
   Folgen des Klimawandels die Menschenrechte be-                  Paris unbedingt geklärt werden müssen. Dabei geht es
   drohen können;                                                  um Fragen der langfristigen Zielsetzung, der Klimafinan-
–– Einrichtung eines Sicherungssystems für alle Klima-             zierung, der Landwirtschaft, der Menschenrechte und
   schutzmaßnahmen zur Vermeidung von sozialen                     der Energiewende.
   Nachteilen und Umweltschäden, einschließlich eines                 Der Papst ruft in seiner Enzyklika die Regierungen auf,
   Beschwerde- und Monitoringystems für betroffene                 bei allen politischen Entscheidungen die moralischen und
   Gemeinschaften oder Einzelpersonen. Die Formulie-               ethischen Aspekte zu berücksichtigen und die Ärmsten,
   rungen zum Schutz und zur Durchsetzung der Men-                 die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels
   schenrechte müssen rechtsverbindlich sein;                      leiden, in den Mittelpunkt zu stellen. Die CIDSE fordert zu
–– Gewährleistung der Geschlechtergleichstellung und               einer angemessenen, gerechten und nachhaltigen Nut-
   einer umfassenden, wirksamen und genderorien-                   zung und Verteilung der weltweiten Ressourcen auf. Die
   tierten Beteiligung, der Ernährungssicherheit, der              übermäßige Ausbeutung der begrenzten Naturressourcen
   Widerstandsfähigkeit natürlicher Ökosysteme und                 muss durch eine Beschränkung des Gesamtverbrauchs
   einer gerechten Transformation, die menschenwürdige,            gestoppt werden. Wirtschaftliche Paradigmen müssen
   hochwertige Arbeitsplätze schafft;                              überdacht werden, um die menschliche Schaffenskraft,
–– Maßnahmen zur Ermöglichung einer radikalen Ände-                soziale Beteiligung, Geschlechtergleichstellung und eine
   rung der Lebensweise, die einfacher ist und sich durch          demokratisch-politische Kultur zu erhalten. Neue Entwick-
   einen geringen Gesamtenergieverbrauch und die Aus-              lungsmodelle würden den Zugang zu Energie, Wasser und
   richtung auf umweltfreundliche Produkte auszeichnet.            Nahrungsmitteln, die sauber und sicher sind, sowie zu
                                                                   Gesundheit und Bildung sicherstellen.
EINFÜHRUNG                                                            Wir sind eine Menschheitsfamilie, Teil der gesamten
                                                                   Schöpfung, mit der wir in ständiger Wechselbeziehung
„Das Klima ist ein gemeinschaftliches Gut von allen                stehen. Papst Franziskus schreibt: „Es gibt nicht zwei
und für alle. Es ist auf globaler Ebene ein kompliziertes          Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Ge-
System, das mit vielen wesentlichen Bedingungen für                sellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-öko-
das menschliche Leben verbunden ist. Es besteht eine               logische Krise. Die Wege zur Lösung erfordern einen
sehr starke wissenschaftliche Übereinstimmung darüber,             ganzheitlichen Zugang, um die Armut zu bekämpfen, den
dass wir uns in einer besorgniserregenden Erwärmung                Ausgeschlossenen ihre Würde zurückzugeben und sich
des Klimasystems befinden [...] Die Menschheit ist auf-            zugleich um die Natur zu kümmern.“ (139)
gerufen, sich der Notwendigkeit bewusst zu werden,                    Wir müssen uns gemeinsam an die Politik wenden
Änderungen im Leben, in der Produktion und im Konsum               und bei uns selbst mit dem Wandel anfangen. Dieser
vorzunehmen, um diese Erwärmung oder zumindest die                 Aufruf zu einem Paradigmenwechsel findet Gestalt in
menschlichen Ursachen, die sie hervorrufen und ver-                der CIDSE-Kampagne Care for the Planet – Change for
schärfen, zu bekämpfen.“                                           the People. Ziel der Initiative ist es, bei den Menschen
                            Papst Franziskus, Laudato Si’,         ein Umdenken auszulösen, so dass sie ihr Leben radikal
          Über die Sorge für das gemeinsame Haus (23)              auf eine einfachere Lebensweise mit geringerem Gesam-
                                                                   tenergieverbrauch und umweltbewusstem Lebensmittel-
Herausgeberin des vorliegenden Dokuments ist CIDSE,                konsum umstellen. Weltweit entstehen Initiativen, die
eine internationale Allianz von 17 katholischen Entwick-           von den Menschen selbst ausgehen. Sie zeigen, dass die
lungsorganisationen. Sie formuliert in diesem Papier               Menschen längst zu Veränderungen bereit sind, an die
eine Vision für die Weltklimakonferenz der Vereinten               sich die Politiker immer noch nicht herantrauen7.
Nationen in Paris6 und darüber hinaus und nimmt Bezug              Der Klimawandel, die anschwellende Umweltkrise, Armut
auf die Enzyklika Laudato Si’ von Papst Franziskus Über            und Ungleichheit sind zentrale Herausforderungen unse-
die Sorge für das gemeinsame Haus. Sechs Jahre nach                rer Zeit. Es besteht ein klarer Zusammenhang zwischen
dem Weltklimagipfel in Kopenhagen – der weithin als                sozialer und ökologischer Gerechtigkeit. An der Umweltkri-
gescheitert gilt – haben die Staats- und Regierungschefs           se zeigen sich die systemischen Mängel einer politischen
erneut die historische Chance, konkrete, ehrgeizige und            und ökonomischen Ordnung, die durch einflussreiche
gerechte Lösungen zur Bewältigung der Herausforderun-              Interessengruppen geprägt wird, und einer ausschließli-
gen zu vereinbaren. Die CIDSE verfolgt gemeinsam mit
                                                                   7 Die CIDSE unterstützt die Aktion People’s Test on Climate, mit
6    Vom 30. November bis zum 11. Dezember 2015 findet die           der gemeinsame Erwartungen an die Verhandlungen in Paris
    21. Vertragsstaatenkonferenz (COP 21) der Klimarahmenkon-        formuliert werden: sofortige und drastische Reduzierung der
    vention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Paris statt. Sie      Treibhausgasemissionen; angemessene Unterstützung für
    bildet den Abschluss einer einjährigen Verhandlungsrunde,        einen gesellschaftlichen Wandel; Gerechtigkeit für die vom
    in der die Länder aufgefordert waren, Vereinbarungen zu ver-     Klimawandel Betroffenen; Fokus auf Maßnahmen, die den
    schiedenen Aspekten des Klimawandels zu treffen.                 Wandel fördern.

                                                                           MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 13
KATHOLISCHE STIMMEN · STIMMEN AUS KIRCHEN UND RELIGIONEN · AGENDA

    chen Konzentration auf marktbasierte, gewinnorientierte          nicht nur auf den Schultern derjenigen liegen, die schon
    Lösungen, die nicht den Menschen und das Gemeinwohl              immer mittellos waren.
    in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns stel-              Es bleibt keine Zeit zu verlieren. Es geht nicht um
    len. Wir müssen von dem geltenden Wachstums- und                 „mehr“, sondern um bessere, gerechtere und fairere
    Entwicklungsparadigma abkehren, das auf ungerechten              Bedingungen für alle. Es geht um Gerechtigkeit!
    Wirtschafts-, Sozial- und Politiksystemen und auf der
    ungleichen Verteilung von und Zugang zu Ressourcen wie           FAZIT
    Wasser und Land beruht und Menschenrechtsverletzun-
    gen, Umweltschäden, soziale Missstände und Konflikte             Schon oft in der Geschichte hat die internationale Gemein-
    nach sie zieht.                                                  schaft gezeigt, dass sie in der Lage ist, in einer gemein-
        Geleitet von den Grundgedanken der päpstlichen Enzy-         samen Anstrengung Differenzen zu überwinden, großen
    klika hegen wir die Hoffnung, dass die UN-Klimakonferenz         Bedrohungen zu begegnen und den Weg des Friedens,
    in Paris zur Einleitung eines Prozesses beitragen wird, um:      der Umwelt- und Klimagerechtigkeit, der ökonomischen
    –– grundlegende, systemische Änderungen herbeizufüh-             und sozialen Gerechtigkeit und der Gleichstellung der
        ren und die Ursachen der sozialen und ökologischen           Geschlechter einzuschlagen. Jetzt ist wieder ein solcher
        Krise unserer Zeit zu bekämpfen. Das schließt eine           Augenblick gekommen.8 In den vergangenen vier Jahren
        Abkehr von fossilen Energieträgern und extraktiven           haben wir bei der Erarbeitung der weltweiten Nachhaltig-
        Entwicklungsmodellen ein und die Begrenzung der Er-          keitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) ein nie
        derwärmung auf unter 1,5 Grad, die das Überleben des         dagewesenes Ausmaß an Diskussionen, Beratungen und
        Planeten und der Menschheit sicherstellt. Wir brauchen       Engagement erlebt. Sie geben eine weltweite Agenda für
        Entwicklungsmodelle, die Gleichheit und Gerechtigkeit        die Bekämpfung der Armut und des Klimawandels vor.
        fördern und die Teilhabe derjenigen sicherstellen, die          Doch in der Vereinbarung von Paris drohen diese Dis-
        am schwersten betroffen sind;                                kussionen nur lückenhaft und in widersprüchlicher Weise
    –– andere und uns selbst zu einer radikalen Änderung             Niederschlag zu finden. Zum Beispiel die Fortsetzung des
        unserer Lebensweisen und Werte und zu einem ökolo-           Wettbewerbs um die begrenzten Naturressourcen, der
        gischen Umdenken zu bewegen und so den Gesamte-              zu einem weiteren Anstieg der Treibhausgasemissionen
        nergieverbrauch zu senken; das schließt die Förderung        führen kann, ohne dass die damit verbundene Armut
        der Nutzung erneuerbarer Energiequellen und eines            und Ungleichheit bekämpft wird. Die aktuell vereinbarten
        umweltbewussten Lebensmittelkonsums ein, der den             Nachhaltigkeitsziele beziehen sich nicht auf Fragen der
        Erzeugern ein angemessenes Auskommen sichert;                ungerechten weltweiten Finanz-, Steuer-, Handels- und In-
    –– bereits existierende und bewährte Konzepte zu unter-          vestmentvorschriften, deren strukturelle Reformierung für
        stützen: Kleinerzeuger, die ökologische Landwirtschaft       die Bekämpfung der Ursachen von Armut und Ungleichheit
        betreiben und ihre Ernährungssouveränität sichern;           unabdingbar ist. Die Klimaschutzvereinbarung von Paris
        die dezentrale Energiegewinnung aus erneuerbaren             läuft außerdem Gefahr, durch zahlreiche Unzulänglich-
        Energiequellen, die einen fairen Zugang zu sauberer          keiten und Widersprüche in Bezug auf Klimafinanzierung,
        Energie sicherstellt; lokale Projekte, die eine Kultur der   Menschenrechte und das Recht auf Ernährung verwässert
        Achtsamkeit und globalen Solidarität fördern;                zu werden.
    –– eine faire, ehrgeizige, verbindliche und transforma-             Wenn es an die weltweite Umsetzung der Nachhaltig-
        tive Vereinbarung zu treffen, die sich gründlich mit         keitsziele und der Vereinbarung von Paris geht, müssen
        der ökologischen Schuld gegenüber den heutigen               die grundlegenden Widersprüche, die diese Prozesse
        und nachfolgenden Generationen befasst; die eine             bergen, noch ausgeräumt werden. Die Vorschläge der
        deutliche Reduzierung des CO2-Ausstoßes in unseren           CIDSE, die auf der wegweisenden Enzyklika von Papst
        Gesellschaften herbeiführt, um sichere, faire und sau-       Franziskus beruhen, können hoffentlich einen zweckdien-
        bere Lebensbedingungen für die Zukunft zu schaffen;          lichen Fahrplan für ein grundlegendes Umdenken bei den
        die Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpas-             Verhandlungen in Paris und in der Zeit danach bieten.
        sung an den Klimawandel vorgibt; die die Achtung
        der Menschenrechte über Partikularinteressen stellt.            Das gesamte Dokumente können Sie hier herunterladen.
        Wir brauchen verbindliche Zusagen, die soziale und
        ökologische Gerechtigkeit für alle gewährleisten und
        dem Planeten und den Menschen, die auf ihm leben,            8 Öffentlicher Aufruf an die Staats- und Regierungschefs
        Vorrang geben.                                                 anlässlich des UN-Gipfels für nachhaltige Entwicklung,
                                                                       September 2015, www.cidse.org/sectors/rethinking-develop-
    Wir können die eklatanten historisch bedingten Ungleich-
                                                                       ment/public-call-to-world-leaders-on-the-occasion-of-the-
    heiten nicht ignorieren und müssen dem Ungleichgewicht             united-nations-summit-on-sustainable-development-
    zwischen Nord und Süd entgegensteuern. Die Last darf               september-2015.html

14 MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “
2.4 MIT LAUDATO SI´ ANGESICHTS VON UMWELTKATASTROPHEN
           UND KLIMAWANDEL IN ASIEN ARBEITEN
             Oswald Kardinal Gracias, Erzbischof von Mumbai, Indien

       D
                ie Umweltproblematik ist in den letzten     In dieser Situation heißen wir die Enzyklika Laudato Si’
                Jahren durch Naturkatastrophen in ver-      sehr willkommen, die am 24. Mai, dem Hochfest Pfingsten
                schiedenen Teilen Asien verstärkt auf die   im Jahr 2015, dem dritten Jahr des Pontifikats von Papst
Weltbühne gekommen. Ins Bewusstsein kam sie insbe-          Franziskus, veröffentlicht wurde.
sondere durch die in Japan am 11. März 2011 verursachte
gigantische Umweltkatastrophe: ein starkes Erdbeben         LAUDATO SI’ LEBEN
löste einen Tsunami aus und in dessen Folge kam es
zum Super-GAU mehrerer Blöcke eines Atomkraftwerks          In der Enzyklika heißt es: „Diese Schwester schreit auf
in Fukushima.                                               wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unver-
   Zuvor bestand die Herausforderung für die Bewahrung      antwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter
der Schöpfung mehr im schnellen, unterschiedslosen und      zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat. Wir sind in dem
unverantwortlichen Abholzen von Wäldern. Denn diese         Gedanken aufgewachsen, dass wir ihre Eigentümer und
führte zu Überschwemmungen, Dürreperioden, Bode-            Herrscher seien, berechtigt, sie auszuplündern. Die Ge-
nerosion und dem Verlust lebenserhaltender Systeme.         walt des von der Sünde verletzten menschlichen Herzens
Heute hängt die ökologische Frage mit einem noch drin-      wird auch in den Krankheitssymptomen deutlich, die wir
genderen und in höherem Maß zerstörerischen Problem         im Boden, im Wasser, in der Luft und in den Lebewesen
zusammen: der Erderwärmung und dem Klimawandel.             bemerken.“ (LS 2)
   Die ganze Welt erlebt bereits heute die katastrophalen      Die Enzyklika hat auch jenseits der Mauern des Vati-
Auswirkungen des Klimawandels. Unsere Erde erwärmt          kans Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie wurde nicht
sich durch die unkontrollierte Abgabe von Kohlendio-        nur von Katholiken positiv aufgenommen, sondern auch
xid in die Atmosphäre aufgrund des Einsatzes fossiler       von Menschen anderer Glaubensrichtungen und Wel-
Brennstoffe, und zwar besonders in den Industrieländern.    tanschauungen, Umweltaktivisten, Wissenschaftlern,
Dadurch entsteht ein Treibhauseffekt, der Meerestem-        Atheisten und anderen mit weitem Herzen, wozu Papst
peraturen und Wasserspiegel steigen lässt, Gletscher        Franziskus ermutigt hat. Laudato Si’ ist ein zeitgemäßes
aufbricht und das Polareis zum Schmelzen bringt. Er führt   Dokument, das „einen neuen Dialog … über die Art und
zu außergewöhnlich starken Regenfällen, Überschwem-         Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten“
mungen sowie extremen Wetteränderungen und sogar            (LS 14) eröffnet und ihn unterstreicht, in diesem Sinne
zum Aussterben von Tier- und Pflanzenarten. Schon           genauso wertvoll wie alles andere Informationsmaterial
heute gibt es tausende ökologischer Flüchtlinge, die        und jeder wissenschaftliche Artikel über die Klimakrise.
einen sichereren Ort abseits von Überschwemmungen              In seiner Enzyklika spricht Papst Franziskus aus sei-
und steigenden Meeresspiegeln suchen. Der Klima-            nem Herzen in einer Sprache, die den Menschen an den
wandel zerstört ihre landwirtschaftliche Produktion und     Rändern der Gesellschaft nahe ist. „Otto Normalver-
Einkommensquellen.                                          braucher“ genauso wie eine Wissenschaftlerin können
   Hier in Asien werden wir uns der Umweltproblematik       sie lesen wie einen Roman, ein Handbuch oder klare
und ihrer ethischen Folgen immer mehr bewusst und           Handlungsanweisungen. Es sind einfache Worte der
sind zunehmend besorgt. Die Kirchen vor Ort arbeiten        Weisheit von einem Menschen, der mit beiden Beinen
mit der Zivilgesellschaft zusammen für die Bewahrung        auf dem Boden steht, ein Pastoralbrief, der hinweisen
der Schöpfung. Die lokale Sorge um die Verschmutzung        will auf „die enge Beziehung zwischen den Armen und
der Atmosphäre, unverantwortlichen Bergbau und Hol-         der Anfälligkeit des Planeten; die Überzeugung, dass in
zeinschlag, zerstörerische Fischereipraktiken, unter-       der Welt alles miteinander verbunden ist; die Kritik am
schiedslosen Einsatz von Pestiziden, das Wegwerfen          neuen Machtmodell und den Formen der Macht, die aus
von Elektroschrott usw. in der Natur, erweitert sich auf    der Technik abgeleitet sind; die Einladung nach einem
das riesengroße Problem der globalen Erwärmung und          anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu su-
des Klimawandels sowie die Notwendigkeit, Gerechtig-        chen; der Eigenwert eines jeden Geschöpfes, der mensch-
keit zwischen den Generationen herzustellen. Bewusst-       liche Sinn der Ökologie; die Notwendigkeit aufrichtiger
sein, Sorge und Handeln in Bezug auf die ökologische        und ehrlicher Debatten; die schwere Verantwortung der
Herausforderung sind so längst auf Ebene der Basis          internationalen und lokalen Politik; die Wegwerfkultur
angekommen.                                                 und der Vorschlag eines neuen Lebensstils.“ (LS 16).

                                                                   MISEREOR – Bausteine zur Enzyklika „Laudato Si‘ “ 15
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