GRUNDLAGEN & PRAXISTIPPS - zur Fastenaktion 2019 - Misereor
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Fastenaktion 2019 Inhalt & GRUNDLAGEN PRAXISTIPPS 3 Vorwort 4 MISEREOR stellt sich vor: Eine andere Welt ist möglich! 6 Fastenaktion 2019: Mach was draus: Sei Zukunft! 7 Zentrale Aktion zur Fastenaktion: Zukunfts-Zeitung gestalten 8 El Salvador: EL SALVADOR Zahlen & Fakten 9 Länderporträt: Der gewalttätige Däumling 13 MISEREOR-Partner Caritas San Salvador: Selbstbewusst in eine bessere Zukunft 15 MISEREOR-Partner FUNDASAL: Gemeinsam bauen verbindet 18 Jugend: Steh auf! 21 Heiliger Oscar Romero: Prophet einer Kirche der Armen 25 Einladung: Fasten für das Leben 26 Materialien und Termine zur Fastenaktion 2019 Kontakt 28 Impressum E OD MET H Hinweis: Dieses Symbol wird Ihnen auf den folgenden Seiten immer wieder begegnen. Hier finden Sie methodische Anregungen zur praktischen Umsetzung der Inhalte in Gemeinde, Schule und Gruppen. 2
Vorwort Pirmin Spiegel Hauptgeschäftsführer von MISEREOR Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Gemeinden, Gruppen, Netzwerken und Verbänden, liebe Freundinnen und Freunde von MISEREOR! I m Vorfeld der Jugendsynode 2018 ermutigte „Mach was draus: Sei Zukunft!“ – mit diesem Leit- Papst Franziskus die Jugendlichen: „Eine bes- wort laden wir Sie ein, damit Sie, Ihre Gemeinden, sere Welt wird auch dank euch, dank eures Gemeinschaften, Schulen, Einrichtungen und Ver- Willens zur Veränderung und dank eurer Groß- bände selbst zu Handelnden werden und sich in zügigkeit aufgebaut. […] Auch die Kirche möchte Netzwerken engagieren. Dazu gibt Ihnen dieses auf eure Stimme hören, auf eure Sensibilität, Grundlagenheft sowohl Hintergrundinformationen auf euren Glauben, ja auch auf eure Zweifel und Einblicke in die Arbeit der MISEREOR-Pro- und eure Kritik.“1 Bereits 2007 forderte die Ge- jektpartner wie auch praktische Anregungen zur neralversammlung der lateinamerikanischen Umsetzung der Fastenaktion bei Ihnen vor Ort. Bischofskonferenz in Aparecida mit der „Option für die Jugend“ eine kirchliche Haltung, die sich „Mach was draus: Sei Zukunft!“ Lesen Sie vom der jungen Menschen annimmt und zum Handeln Mut und von den Herausforderungen unserer Part- aufruft. ner und der Jugendlichen, nehmen Sie deren und Ihre eigenen Potentiale wahr und unterstützen Sie So freue ich mich, dass Sie unsere Grundlagen zur MISEREOR im Engagement an der Seite von Men- diesjährigen Fastenaktion in den Händen halten. schen wie Ana, Juan, Carmen, Marcela und vielen anderen. Mit der Fastenaktion 2019 laden wir Sie ein zur Begegnung mit Jugendlichen in El Salvador. Ler- Für Ihren Einsatz, Ihre Solidarität und Unterstüt- nen Sie Menschen wie die 22-jährige Ana Colocho zung danke ich Ihnen von Herzen. kennen, die auf dem Aktionsplakat zu sehen ist und die sich für eine gerechtere Gesellschaft und für ein friedliches Zusammenleben einsetzt. Sie und andere Jugendliche stehen im Fokus der Fas- Pirmin Spiegel tenaktion. Sie stellen in El Salvador die Mehrheit MISEREOR-Hauptgeschäftsführer der Bevölkerung und zugleich sind sie beson- ders gefährdet. Sie stehen oft im Abseits, werden marginalisiert, haben keine Perspektiven für ihr Leben. Sie sind wie Weggeworfene der Gesell- schaft. Dabei sind sie Gegenwart und Zukunft! Ihre Potenziale sind für eine friedlichere und menschlichere Gesellschaft bedeutend! Das gilt in El Salvador, das gilt in Deutschland. 1 Papst Franziskus: Brief an die Jugendlichen anlässlich der Vorstellung des Vorbereitungsdokumentes der XV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, Vatikan, 13. Januar 2017. 3
MISEREOR stellt sich vor: Eine andere Welt ist möglich! M ISEREOR ist das Werk für Ent- Wegweisende Aktionen wicklungszusammenarbeit der MISEREOR hat in den vergangenen Jahrzehnten viele wichtige Akzente gesetzt: Das Werk gehörte katholischen Kirche in Deutsch- in den 1970er Jahren zu den Mitbegründern des land. 1958 auf Initiative des damaligen Fairen Handels. Gegen den Widerstand von Tei- Kölner Kardinals Joseph Frings und einer len der deutschen Politik setzte sich MISEREOR starken Verbandsarbeit gegründet, steht 1983 gegen die Apartheid-Politik der Regierung MISEREOR aus christlicher Solidarität Südafrikas ein. Nicht minder umstritten war die an der Seite der Armen – unabhängig von von MISEREOR 1996 mit herausgegebene Studie Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht und „Zukunftsfähiges Deutschland“, in der die Orga- nisation einen Kurswechsel hin zu einer global Religion. nachhaltigen Umwelt- , Agrar- und Wirtschaftspo- litik forderte. Von Mensch zu Mensch Heute für morgen Aktuell fördert MISEREOR knapp 3.000 Projek- Mit der Enzyklika Laudato Si‘ (2015) spricht te in mehr als 90 Ländern Asiens, Afrikas sowie Papst Franziskus genau die Nöte und Hoffnungen Lateinamerikas und arbeitet mit lokalen Partner- an, die viele Partnerorganisationen schildern. organisationen zusammen, denn sie kennen die Die Kernaussage, dass der Kampf gegen welt- Probleme vor Ort am besten und genießen das weite Armut und Umweltzerstörung untrennbar Vertrauen der Betroffenen. MISEREOR fördert z.B. zusammengehören, ist für MISEREOR zentral. So Kleinbauernfamilien, unterstützt Nothilfezentren unterstützt MISEREOR die Umsetzung der globa- für Flüchtlinge und hilft Menschen dabei, ihre len Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, Lebensweise an die Folgen des Klimawandels die alle Länder für die Entwicklung der Welt in anzupassen. MISEREOR unterstützt die Menschen die Pflicht nehmen: Niemand soll zurückgelas- dabei, auf eigene Kräfte zu vertrauen, individuelle sen werden. Aktuell fordert MISEREOR mit dem Ideen und Fähigkeiten zu nutzen und – wenn mög- Kohleausstieg eine globale Energiewende. Zur lich – rasch von externer Förderung unabhängig zu Bekämpfung von Hunger und Armut braucht es werden. Diese wertschätzende Partnerschaft auf Vielfalt vom Acker bis auf den Teller. Dafür setzt Augenhöhe ist für MISEREOR Hilfe zur Selbsthilfe. sich MISEREOR ein. Den Mächtigen ins Gewissen reden Mit Blick auf die Zukunft fordert MISEREOR-Haupt- Schon Kardinal Frings legte fest, dass MISEREOR geschäftsführer Pirmin Spiegel: „Wir leben in „den Mächtigen der Erde, den Reichen und Regie- herausfordernden Zeiten; viele sagen, inmitten renden vom Evangelium her ins Gewissen reden“ eines Epochenwechsels. Wir benötigen einen Fastenaktion 2019 solle. Dies ist die Grundlage für die entwicklungs- grundlegenden sozialen und ökologischen Wan- & politische Bildungs- und Lobbyarbeit MISEREORs. del, sonst setzt die Menschheit ihre eigenen GRUNDLAGEN Als politische Lobby der Benachteiligten hinter- Lebensgrundlagen aufs Spiel. Eine andere Welt fragt MISEREOR die Politik auf ihre Folgen für die ist möglich! Lassen Sie uns dafür mit Mut und Zu- PRAXISTIPPS Armen und prangert ungerechte Gesellschafts- versicht, mit Zorn und Zärtlichkeit an der Seite der strukturen an. Aufgabe ist dabei auch, Zusam- Armgemachten dieser Erde eintreten.“ menhänge und Auswirkungen von Lebensstilen weltweit ins Bewusstsein zu rücken. In der jährli- chen Fastenaktion ruft MISEREOR zu Umkehr und Veränderung auf. 4
Die MISEREOR- Aktionsplakate aus den Jahren 2017, 2010, 1983 und 1959 E OD M ET H Methodische Anregung Erzählen Sie von der Arbeit und den Anliegen MISEREORs. Nutzen Sie dafür Hintergründe und Bilder von Aktionsplakate der Fastenaktionen diesen vier Plakaten finden Sie und geben Sie so Einblick in die Arbeit im Grundlagenvortrag unter und Geschichte des Hilfswerks. www.fastenaktion.de/projekte 94,1 % Spenden kommen an – Weiterführende Informationen das bestätigt uns auch das • Mehr Infos zur Geschichte MISEREORs finden Deutsche Zentralinstitut für soziale Sie unter www.misereor.de/ueber-uns Fragen (DZI), das MISEREOR einen und www.misereor.de/60jahre sorgfältigen und wirtschaftlichen • Dossiers zu den MISEREOR-Themen- Umgang mit den anvertrauten schwerpunkten finden Sie hier: Mitteln bescheinigt. www.misereor.de/informieren Von jedem gespendeten Euro an MISEREOR dienen • Alle MISEREOR-Materialien zur Enzyklika • 94,1 % der Projektarbeit Laudato Si´ von Papst Franziskus: • 5,9% der notwendigen Verwal- www.misereor.de/laudato-si tung und Werbung. • MISEREOR-Positionspapier: Globale Nachhal- tigkeitsziele: Auch Deutschland ist gefordert!, Siehe auch den aktuellen Aachen, 2015. MISEREOR-Jahresbericht 2017 www.misereor.de/ueber-uns/ • Schulmaterial: Leseposter „Kennst du jahresbericht schon MISEREOR?“ für 3. - 6. Klasse, 2012. Bestellbar unter www.misereor-medien.de 5,9 % 5
Fastenaktion 2019: „Mach was draus: Sei Zukunft!“ J unge Menschen in El Salvador stehen mit ihren Ideen, Hoffnungen und Plänen für die Zukunft im Mittelpunkt der Fastenaktion. Ausgehend von ihren eigenen Stärken und Fähigkeiten gestal- ist: Dies zeigen uns junge Menschen in El Salvador. „Wir wollen den Mechanismus durchbrechen, dass man hier um weiterzukommen, Bandenmitglied, Mörder oder Drogenhändler werden muss. Es ist ten sie ihr Leben und ihr soziales Umfeld so, dass so wichtig, hier mit Empathie und Hingabe zu le- sich ihre Lebenssituation verbessert. ben“, erklärt der 27-jährige Juan Carlos Ramos, der sich bei der MISEREOR-Partnerorganisation Und dies in einem Land, von dem die Nachrichten FUNDASAL in einer Jugendgruppe engagiert. Die ein erschreckendes Bild zeichnen: Armut, Gewalt jungen Menschen machen sich stark für ihr Umfeld und Kriminalität schränken das öffentliche Leben und ein friedliches soziales Miteinander. Sie bau- stark ein. Jugendbanden erpressen Schutzgeld, en sich gemeinsam ein Zuhause auf; einen Ort, rauben und morden. an dem sie bleiben können. So auch Carmen Lina- Der Staat reagiert oft res: „In unserer Gesellschaft, in der Gewalt so sehr mit Repression und vorherrscht, wollen wir einen Wandel und sichere Gegengewalt. Ein Teu- Orte schaffen. Diese Arbeit gibt uns persönlich viel felskreis, weil viele und hat mich selber auch verändert.“ Jugendliche keine Aus- bildung, keine Arbeit Zu vertrauen, zuzuhören, etwas zu wagen – all und keine Perspektive das haben viele der Jugendlichen in ihren Fami- haben. Jugend wird mit lien nie gelernt. „Durch das Programm lernen die Gewalt gleichgesetzt. Jugendlichen, wieder zu träumen. Es ermöglicht Gewalt ist im Alltag zur ihnen kleine Erfolge, wo sonst nur Verzweiflung Normalität geworden. herrscht“, erklärt Daysi Rodríguez, Leiterin des Angst und Unsicherheit Programms „Mein Lebensplan“ der Caritas San sind ständige Beglei- Salvador, das von MISEREOR unterstützt wird. Die ter. Misstrauen zerstört jungen Menschen erarbeiten ausgehend von ihren die soziale und ge- Kompetenzen und Interessen persönliche Lebens- Jugendliche in El Salvador setzen ein sellschaftliche Brücke pläne. Oftmals erfahren sie zum ersten Mal in Zeichen gegen Gewalt. zwischen den Gene- ihrem Leben das Gefühl, dass sie etwas wert sind. rationen. Die jungen „Mein Leben hat sich verändert. Im Kurs fühlte ich Menschen fühlen sich stigmatisiert, vertrieben und zum ersten Mal, dass auch ich Würde habe“, sagt entwurzelt. Viele verlassen das Land auf der Suche Margarita Hernández. nach einer besseren Zukunft in Richtung USA. Die Jugendlichen in El Salvador zeigen uns, dass Hoffnung, Träume und Leben - wie ist das in einem Leben möglich ist. Sie sprechen von ihren Träu- solchen Kontext möglich? Wie Perspektiven für men und setzen sich mit ihren Ideen für eine sein Leben sehen und schaffen? Und mehr noch: friedlichere Gesellschaft ein. Sie sind Hoffnungs- Wie können eine menschlichere Gesellschaft und trägerinnen und Hoffnungsträger für eine bessere Fastenaktion 2019 Frieden gelingen? Zukunft in Würde und Sicherheit. & GRUNDLAGEN „Mach was draus: Sei Zukunft!“ lautet das Motto Mit der prophetischen Botschaft der Jugendlichen der Fastenaktion. Es ist Aufforderung und Zu- lädt die Fastenaktion dazu ein, Zukunft zu gestal- PRAXISTIPPS spruch zugleich. Zuspruch für mehr Hoffnung als ten und Zeichen von Veränderung zu setzen – hier Resignation, mehr Zuneigung als Kälte, mehr Zu- bei uns, in El Salvador und weltweit. Zukunft be- versicht als Angst. Aufforderung, etwas zu riskie- ginnt im Jetzt und Hier. Wir alle sind gefragt. ren und für seine Überzeugungen und Träume einzustehen. Mutig aufzustehen für eine fried- Annika Sophie Duhn lichere und menschlichere Welt. Beeindruckend MISEREOR 6
Zentrale Aktion zur Fastenaktion: Zukunfts-Zeitung gestalten Zielgruppe Schulen, Gemeinden, Gruppen und Verbände. Es Der 1980 ermordete Erzbischof Oscar Romero analysierte ist eine Aktion für Groß und Klein, gleich welchen in seinen Predigten, die im Radio übertragen wurden, die Alters. Mit unseren Potenzialen gestalten wir eine Situation des Landes und kritisierte deutlich die herrschende lebenswerte Zukunft. Das ist der Leitgedanke der Unterdrückung. Mit der Botschaft des Evangeliums zeigte er Aktion. Lassen Sie sich von jungen Menschen in alternative Wege auf und verbreitete Hoffnung. El Salvador inspirieren, die mit ihren Stärken und Ideen ihre eigene und die Zukunft ihres Landes in die Hand nehmen. Die Collage zeigt: Wir erkennen die Probleme, aber auch unsere Potenziale. Es liegt in unserer Hand, Anleitung die Zukunft so zu gestalten, dass sie für alle Men- Mit welchen Schwierigkeiten und Herausforderun- schen lebenswert ist! gen haben (junge) Menschen zu kämpfen? Welche In El Salvador ist Wandmalerei eine ver- Probleme gibt es in der Gesellschaft? Wo besteht breitete Form, um Botschaften zu trans- Veränderungsbedarf? Dies wird alltäglich in Schlag- portieren. Gestalten Sie mit den Collagen zeilen und Artikeln unserer Zeitungen deutlich. kleine und große Wände und machen Sie Ihre Botschaften so sichtbar und öffentlich. Sammeln Sie Ausschnitte mit Schlagzeilen zu Themen, die die Gegenwart widerspiegeln und die Wir freuen uns, wenn Sie uns Fotos Ihrer Zu- einer Veränderung bedürfen – regional, national kunfts-Zeitung für unsere Online-Galerie an oder international. fastenaktion@misereor.de schicken. Anregungen Was können wir tun? Was können wir einbringen, finden Sie unter www.fastenaktion.de/aktionen um Gegenwart und Gesellschaft zu verändern? Hinweis: Bei einer Veröffentlichung achten Sie Nehmen Sie bunte Farbe (Finger- oder Wasser- bitte darauf, dass keine Namen, Logos oder ande- farbe) und platzieren Sie Ihre Hände auf die re typische Layoutmerkmale der Zeitungen sowie Zeitungsauschnitte. Schreiben Sie nun Ihre Ideen Fotos erkennbar sind, um das Urheberrecht zu und Fähigkeiten in die Handabdrucke. schützen. Auf bunten Papierstreifen formulieren Sie dann Ihre Schlagzeilen, die von der Zukunft berichten, Tipp: In den Liturgischen Bausteinen finden Sie die wir mit unseren Potenzialen gestalten. Eröff- zum 5. Fastensonntag einen Gottesdienstvorschlag, nen Sie Möglichkeiten zur Veränderung. der die zentrale Aktion aufnimmt. 7
NORDAMERIKA El Salvador: Zahlen & Fakten Ländername: Republik El Salvador Landesfläche: 21.040 km2 (entspricht etwa der SÜDAMERIKA Fläche Hessens); es ist das kleinste und dicht besiedelste Land Zentralamerikas und wird im Volksmund „Däumling“ genannt. Bevölkerung: 6,4 Mio., darüber hinaus leben mehr als 3 Mio. Salvadorianer und Salvadorianerinnen im Ausland, vor allem in den USA, Mexiko und zen- tralamerikanischen Staaten MEXIKO BELIZE Hauptstadt: San Salvador Einwohnerzahl: ca. 1,1 Mio. GUATEMALA HONDURAS Regierungsform: Parlamentarische Demokratie, Präsidialsystem Fastenaktion 2019 EL SALVADOR Präsident: Salvador Sánchez Cerén, Amtszeit bis NICARAGUA & 31.05.2019; Wiederwahl ist verfassungsrechtlich GRUNDLAGEN nicht möglich Sprachen: Spanisch, Nawat (indigene Sprache der PRAXISTIPPS COSTA RICA Pipil, die vom Aussterben bedroht sind) El Salvador, der „Däumling“ in Mittelamerika. Religionen: 50 % römisch-katholisch, 36 % protes- tantisch, 12 % ohne Religionszugehörigkeit, 2 % andere Jung ist die Bevölkerung in El Salvador. Beinahe jeder zweite Salvadorianer ist jünger als 25 Jahre. 8
GUATEMALA HONDURAS Santa Ana MISEREOR- Projekt Tacachico Sonsonate San Salvador Teotepeque Cojutepeque MISEREOR- Projekt San Miguel Usulután EL SALVADOR 20 km Pazifischer Ozean Altersstruktur: allem in die USA. Die Finanztransfers der Migran- 0-14 Jahre: 25,92 % ten (Rücküberweisungen) machen rund 16 % des 15-24 Jahre: 20,23 % Bruttoinlandsprodukts (BIP) El Salvadors aus. 25-54 Jahre: 39,23 % Rund ein Drittel aller Haushalte erhält Zahlungen 55-64 Jahre: 7,14 % von Migranten im Ausland. 65 Jahre und mehr: 7,48 % Quellen: Auswärtiges Amt, Stand 2018; CIA The World Fact- book, Stand 2017; DIGESTYC, Statistisches Amt El Salvador 2017; Arbeitslosigkeit von 15 - 24-Jährigen: 26,6 % Zentralbank El Salvador 2018; Forschungsinstitut der Sozialwissen- schaften, Universität Costa Rica: Studie “Centroamerica desgarrada. Migration: 76 % der jungen Menschen unter Demandas y expectativas de jóvenes residentes en comunidades 24 Jahren wünschen sich, das Land zu verlassen. empobrecidas”, 2017; Ombudsstelle für Menschenrechte El Sal- Rund 100.000 Menschen emigrieren jährlich, vor vador 2013. Länderporträt: Der gewalttätige „Däumling“ E l Salvador ist eines der gewalttätigsten hohen Mauern und Stacheldraht, beschützt von Länder der Welt mit jährlich 64 Morden privaten Wachdiensten. auf 100.000 Einwohner.2 Ganze Stadtviertel und Regionen sind unter Kontrolle verbrecherischer Teufelskreis der Gewalt Jugendbanden, den sogenannten Maras, die die Die Jugend der Armenviertel steht besonders unter Bevölkerung ihrem Diktat unterwerfen, Schutz- Druck. Zusätzlich zu den sehr prekären Wohnbedin- geld kassieren, mit Drogen und Waffen handeln gungen, nicht vorhandenen Spiel- und Sportplätzen und vermeintlichen Verrat mit Kugeln ahnden. Die und zur minderen Qualität staatlicher Schulen Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt. muss sie um ihr Leben fürchten. Jungen und Mäd- chen werden von den Maras zwangsrekrutiert, die Sowohl die privaten Kleinbus-Linien werden Jungen als Killer, die Mädchen als Geliebte. von den Jugendbanden kontrolliert als auch die Zufahrtsstraßen zu den Stadtvierteln. Dort kon- Die Politik setzt auf eine harte Hand und zieht trollieren Wachposten die Passanten und lassen das Militär zur Wahrung der inneren Sicherheit aus Furcht vor Infiltration nur diejenigen durch, heran, was zu einer Eskalation der Gewalt führt. die ihnen bekannt sind oder deren Wohnadres- Jugendliche stehen bei Polizei und Militär unter se in diesem oder einem von derselben Bande kontrollierten Viertel liegt. Einzig die salvadoria- 2 Laut Aussagen der Nationalpolizei El Salvadors 2018. Zum Ver- nische Oberschicht lebt verbarrikadiert hinter gleich: In Deutschland sind es laut Statista 2,9. 9
Bürgerkrieg 1980 - 1992 E ine extrem ungerechte Landverteilung und die Ausbeutung der Kleinbauern durch Großgrundbesitzer sowie ein permanenter Wahlbetrug führten 1980 zum Bürgerkrieg in El Salvador. Die linksgerichtete, von Kuba inspirierte und unterstützte Guerrilla FMLN kämpfte für soziale Gerechtigkeit und Demokratie. Für die USA, die Mittelamerika als ihren Hinterhof betrachteten, war dies im Kontext des Kalten Krieges ein in- akzeptabler Versuch einer kommunistischen Übernahme. Die US-Regierung unterstützte deshalb die Machthaber und das Militär finan- ziell, politisch und mit Ausrüstung. Polizei und Militär sind in der Haupt- stadt San Salvador omnipräsent. Nachdem sich die eher konservativ aus- gerichtete Kirche angesichts der brutalen Generalverdacht. Menschenrechtsorganisationen Kriegsführung zunehmend kritisch gegenüber beklagen ungerechtfertigte und willkürliche Fest- der Elite zeigte, wurde auch sie zur Zielscheibe nahmen, Schikanen, Folter und außergerichtliche der von den USA ausgebildeten paramilitä- Hinrichtungen. Es ist eine Spirale von Gewalt und rischen Todesschwadronen. Das Zerwürfnis Gegengewalt. Ein Kernproblem ist die Straffreiheit: gipfelte in den Morden an Erzbischof Oscar Nur ein Bruchteil der Straftaten wird geahndet.3 Romero (1980) und an der Leitungsebene der Politiker und Teile der Polizei sind mit der Drogen- Zentralamerikanischen Jesuitenuniversität und Waffenmafia verfilzt und paktieren mit den (1989), die sich zuvor für eine Verhandlungslö- Maras. sung stark gemacht hatte. Gewalt ist in der salvadorianischen Gesellschaft Unter Vermittlung der Nachbarländer und omnipräsent. Jeder kennt jemanden, der Mitglied der UNO schlossen die Kriegsparteien 1992 der Maras oder Opfer von Willkür, Rache und Ver- Frieden. Die Mittel der Auseinandersetzung geltung geworden ist. Niemand traut niemandem. wurden nun demokratisch, die Polarisierung Rund 100.000 Salvadorianer und Salvadorianer- blieb, ebenso wie die Akteure: Die FMLN wurde innen, vor allem junge Menschen, flüchten daher zur Partei und konfrontierte fortan die rechte jedes Jahr vor Gewalt und fehlenden Perspektiven Arena-Partei. Deren Gründer Roberto D’Aubui- vor allem in die USA;4 drei Millionen Salvadoria- sson hatte als Chef der Todesschwadronen ner leben im Ausland.5 Ihre Rücküberweisungen zahlreiche Massaker und vermutlich den Mord aus dem Ausland halten die Wirtschaft am Laufen an Romero auf dem Gewissen. und sichern vielen Familien ein Einkommen. Perspektivlosigkeit und Armut Die Gewalt ist auch ein Erbe des Bürgerkriegs Fastenaktion 2019 von 1980 bis 1992. Dabei kamen rund 75.000 kriegszeit fuhren einen harten neoliberalen Kurs Menschen ums Leben, viele Überlebende sind und investierten kaum in Soziales. Die Armut & bis heute traumatisiert. Entschädigungen gab es bleibt mit 33 Prozent hoch.6 Es gibt bis heute GRUNDLAGEN keine. Bis heute gibt es keine Erinnerungs- und weder genügend Studienplätze noch Ausbil- PRAXISTIPPS Versöhnungskultur. Der Friedensvertrag erfüllte dungsberufe. Mit 15 Jahren beenden die meisten viele Hoffnungen nicht. Eine juristische Aufar- beitung der Bürgerkriegsverbrechen blieb wegen 3 World Justice Project: Rule of Law Index 2017-2018, Washing- einer Generalamnestie völlig aus. Eine ganze Ge- 4 ton, 2018. Ombudsstelle für Menschenrechte El Salvador, 2013. neration, die im Krieg aufgewachsen ist, wurde 5 Auswärtiges Amt, 2018. alleine gelassen. Die Regierungen der Nach- 6 DIGESTYC, Statistisches Amt El Salvador, 2017. 10
Stacheldraht und Zäune – in El Salvador ein alltägliches Bild. Salvadorianer und Salvadorianerinnen ihre Schulbildung. Gut ein Viertel der Jugendlichen Das von MISEREOR unterstützte Projekt der Ca- zwischen 15 und 24 Jahren geht weder arbeiten ritas San Salvador setzt bei den Jugendlichen noch studieren.7 Ohne Perspektiven schließen an, die von der Gesellschaft stigmatisiert wer- sich viele den Jugendbanden an, die ursprünglich den und kaum Aufstiegschancen haben. Ihnen in Migrantengruppen der US-Vorstädte entstan- wird eine Möglichkeit zur gesellschaftlichen In- den waren. Deren Anführer wurden verhaftet und tegration und eine Perspektive jenseits von deportiert und etablierten das kriminelle Modell Marginalisierung und Gewalt eröffnet. Auch die in ihrer Heimat. Leicht verfügbare Waffen, eine Partnerorganisation FUNDASAL unterstützt jun- korrupte Polizei und dass der internationale Dro- ge Menschen dabei, sich ein Zuhause und damit genhandel Zentralamerika zu einer Drehscheibe eine Perspektive aufzubauen. Gemeinsam enga- auserkor, vervollständigen einen gefährlichen gieren sie sich für ein friedliches Umfeld und ein Cocktail. soziales Miteinander. Sandra Weiss Brücken in die Zukunft Die verfeindeten Banden Mara 18 und Mara Salvatrucha bekämpfen sich untereinander und führen einen Krieg gegen den Staat. Und der Rückführungen von Migranten Staat gegen sie. Sowohl Unternehmer als auch aus den USA die Polizei und ganze Dörfer schaffen Selbstver- teidigungsgruppen, um sich gegen die Maras zu wehren, was die Gewaltspirale weiter anheizt. Die Banden breiten sich in ganz Zentralameri- R und 200.000 Menschen aus El Salvador müssen die USA bis September 2019 verlassen, wenn sich die Gesetzeslage nicht noch ändert. Viele von ihnen leben und ka aus. Heute gehören ihnen schätzungsweise arbeiten seit Jahrzehnten in den USA. Nach den Erdbeben in 100.000 Mitglieder an.8 Territoriale Kontrolle ist El Salvador im Jahr 2001 war ihnen ein Schutzstatus mit Ar- ein wichtiger Bestandteil ihrer kriminellen Strate- beits- und Aufenthaltsgenehmigung garantiert worden. gie, was zu massiven internen Fluchtbewegungen Die US-Regierung hob diesen im Januar 2018 auf. Durch die führt. Allein in El Salvador sind rund 296.000 Ausweisungen werden auch die für viele Familien wichtigen Menschen intern vertrieben.9 Die Regierung Rücküberweisungen wegfallen. spielte das Phänomen bisher als „temporäre Wohnungswechsel“ herunter. Doch im Juli 2018 verurteilte ein Grundsatzurteil des Obersten 7 DIGESTYC, Statistisches Amt El Salvador, 2017. Gerichts den Staat dazu, das Phänomen anzu- 8 Ministerium für Justiz und öffentliche Sicherheit El Salvador, Polizeistatistik, August 2016. erkennen und mit entsprechenden Maßnahmen 9 Globaler Report über interne Vertreibungen, Norwegischer Flücht- und Gesetzen darauf zu reagieren. lingsrat und Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) 2018. 11
DE HO MET Methodische Anregung Idee: Annäherung an das Thema der Fastenaktion und El Salvador und/oder Reflexionsmethode Zeit: 10 bis 15 min Material: Fotos, Papier, Stifte Legen Sie Bilder, die die Situation und Herausfor- derungen des Landes abbilden, in die Mitte. Jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer sucht sich ein Bild aus. Anschließend stellen alle ihre Assozi- ationen und Empfindungen zu dem ausgewählten Foto vor. Die Methode können Sie im Plenum oder in Kleingruppen anwenden. Die Methode kann auch zum Abschluss für eine Reflexion genutzt werden. Die unterschiedlichen Bilder werden in der Mitte ausgelegt. Alle wählen sich ein Bild aus, das für sie einen Aspekt zeigt, der besonders beeindruckend, ermutigend ist oder nachdenklich macht. Die Eindrücke werden an- schließend in der Runde vorgestellt. Fotos finden Sie in der Präsentation zur Fastenak- tion sowie bei den Bildern zu den Projekten auf www.fastenaktion.de/projekte Weiterführende Literatur • Leonhard, Ralf: Zentralamerika. Porträt einer Region, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Band 10034, Bonn, 2017. Fastenaktion 2019 Filmtipps & • ARD Weltspiegel-Reportage: Höllentrip nach • Martínez, Óscar: Eine Geschichte der Gewalt. GRUNDLAGEN Tijuana von Peter Sonnenberg, Sendetermin Leben und Sterben in Zentralamerika, Schrif- 3.9.2016. tenreihe der Bundeszentrale für politische PRAXISTIPPS Bildung, Band 1772, Bonn, 2016. • ARTE-Reportage: El Salvador: Die Maras wollen die Macht von Hugo von Offel, Grégory Roudier • Papst Franziskus: Gott ist jung, Ein Gespräch und Jacques Santiago Avalos, Sendetermin: mit Thomas Leoncini, Verlag Herder, Freiburg, 30.1.2016. 2018. 12
MISEREOR-Partner Caritas San Salvador: Selbstbewusst in eine bessere Zukunft P olitiker meinen, wenn sie einen Sportplatz bauen, sei das Prävention“, sagt Pfarrer Octavio Cruz, Leiter der MISEREOR-Partner- organisation Caritas San Salvador. „Aber dann vereinnahmen die Gangs den Sportplatz und kas- sieren für seine Benutzung oder verwandeln ihn in eine Hinrichtungsstätte.“ Als 2012 das Kon- zept der „Lebenspläne“ auf seinem Schreibtisch landete, war er sofort angetan: „Sie sind nicht nur praxisorientiert, sondern persönlichkeitsbil- dend. Die Methodik ist abwechslungsreich und partizipativ.“ Das von der Gewalt zerstörte sozia- le Gefüge wiederherzustellen, ist eines der Ziele. Es geht um Vertrauen, Motivation, Teamgeist und Durchhaltevermögen. Viele erfahren zum ersten Mal im Leben Aufmerksamkeit und Wertschätzung. In dem dreimonatigen, kostenlosen und für alle interessierten Jugendlichen offenen Kurs erarbeiten sie ausgehend von ihren Potenzia- len einen Plan für das eigene Leben. Außerdem gibt es Unterstützung bei der Jobsuche. Es wird Marcela Vides kann nun Dank Caritas San zum Beispiel besprochen, wie man sich beim Salvador ein Studium absolvieren Vorstellungsgespräch präsentiert oder eine ein- fache Buchhaltung gestaltet. Die Jugendlichen arbeiten einen Geschäftsplan aus und bekom- aufgestockt werden kann. „Ich fand Unterstüt- men zur Probe ein kleines Startkapital von fünf zung, Gleichgesinnte und neuen Lebensmut“, US-Dollar, das dann bei Erfolg auf 150 US-Dollar sagt Marcela Vides. Die 21-Jährige studiert inzwi- „Unser Dorf hat von dem Projekt immens profitiert. Es gibt jetzt viel mehr Geschäfte und die Jugendlichen sehen im Auswandern nicht mehr die einzige Chance auf ein besseres Leben.“ Jorge Castro, 20 Jahre alt, webt jetzt Hängematten und hat einen Forellenteich gebaut, der ihm ein zusätzliches Einkommen beschert. 13
Fastenaktion 2019 schen Sozialarbeit und finanziert das mit einem stolze Quote in diesem Land. Derzeit laufen in & mobilen Nagelstudio. Die Utensilien dafür kaufte drei Pfarrgemeinden des Landes Kurse. Rund 300 GRUNDLAGEN sie mit dem kleinen Startkapital des Programms. Jugendliche haben mittlerweile ein Diplom der Die „Lebenspläne“ unterstützt sie weiterhin als „Lebenspläne“ und tragen stolz das T-Shirt mit PRAXISTIPPS Freiwillige. Viele engagieren sich nach dem Ab- der Aufschrift „Ich bin ein Sozial-Transformer“. schluss weiter in dem Projekt. „Das Projekt schafft für die Jugendlichen einen geschützten Raum. Sie gewinnen die Fähigkeit 75 Prozent der Jugendlichen finden danach ei- zu träumen, sich zu organisieren und sich selbst nen Ausbildungs-, Arbeits- oder Studienplatz etwas zuzutrauen“, sagt Mitarbeiterin Ligia del oder machen sich selbstständig. Das ist eine Pilar Ardón. INGRID GANUZA Portrait I ngrid Ganuza stammt aus einem Viertel in der Ingrid Ganuza wegen des Zusammenhalts und Hauptstadt San Salvador, das als Hochburg der abwechslungsreichen Aktivitäten sehr gut. der berüchtigten Jugendbande Mara 18 gilt. Sie schloss die neunte Klasse ab, aber einen wei- Von klein auf wuchs sie mit dem Anblick von To- teren Schulbesuch konnten ihr die Eltern nicht ten auf. Spielen auf der Straße war tabu, weil es finanzieren. Die Schule lag drei Kilometer ent- jederzeit zu Schießereien kommen konnte. fernt. Doch weil jeden Kilometer eine andere Bande über das Territorium herrschte, hätte sie Die heute 25-Jährige ist eine Kämpferin, die nicht nicht zu Fuß gehen können, sondern den Bus so schnell aufgibt. Die junge Frau versprüht Ener- nehmen müssen, der eine längere, aber siche- gie und gute Laune. rere Strecke fährt. Doch die Fahrt kostet täglich 0,50 Cent. Der Pfarrer besorgte ihr ein Teilstipen- In ihrem Viertel gab es für dium. Sie machte das Abitur. Jugendliche kaum Frei- zeitmöglichkeiten. Ein Studium – von dem sie träumte – war finanzi- Sonntags nahm ihre ell unmöglich. Sie fand einen Job als Sekretärin, Großmutter sie war aber unglücklich: „Ich wusste nicht, wie es mit in die Kir- in meinem Leben weitergehen sollte und wurde che, wo sie der depressiv.“ Just zu dem Zeitpunkt erfuhr sie von Jugendgruppe dem Programm „Mein Lebensplan“ der Caritas beitrat. Dort San Salvador und schrieb sich sofort ein. „Wir gefiel es waren eine tolle Gruppe, die fantastisch zusam- menhielt“, erzählt sie. Die spielerische Methode der Selbsterkenntnis und die vielen praktischen Tipps gefielen ihr besonders. Dank der guten Vor- bereitung durch das Programm schaffte sie es, ein Stipendium für das erträumte Studium zu be- kommen. „Ich bin die erste in der Familie, die studiert“, sagt sie mit Tränen der Rührung in den Augen. Heute arbeitet sie für das Programm und studiert nebenher Psychologie. In ihrem Stadtviertel ist sie eine respektierte Für- sprecherin der Jugendlichen. Sie wird um Rat gefragt, und protestiert mit anderen Jugendli- chen lautstark, wenn die Polizei wieder einmal jemanden ungerechtfertigt festgenommen oder misshandelt hat. „Wir haben Rechte, und die müssen wir einfordern.“
MISEREOR-Partner FUNDASAL: Gemeinsam bauen verbindet F ür junge Menschen ist der Ansatz des MISEREOR-Partners FUNDASAL ein Katalysator: gemeinsames Bauen für gemeinschaftliches Leben. Dadurch erfahren sie Zusammenhalt und Solidarität. Es ist ein langer Prozess. Gruppen von jungen Menschen und Familien bauen ihr eigenes Zuhause. Jeder kann seine Bedürfnisse einbrin- gen, jeder packt beim Bau mit an. FUNDASAL steht mit seinen Experten beratend zur Seite. So ent- steht würdiger Wohnraum und etwas, das über das Projekt hinaus anhält: Gemeinschaft und eine funk- tionierende, organisierte Nachbarschaft. Für die Jugendlichen ergeben sich Perspektiven: Sie kön- nen ihr Wissen im Lehmziegelbau weiter nutzen und eine Erwerbstätigkeit finden. Während eines von FUNDASAL organisierten Workshops lernen Jugendliche, Lehmziegel herzustellen. Der 19-jährige Jaime Diaz aus dem Dorf El Tránsito nutzt seine neu erworbenen Mau- rer-Kenntnisse, um ab und zu bei Bauarbeiten auszuhelfen. Außerdem engagiert er sich mit an- „Mit unserer deren jungen Menschen in der Jugendgruppe des Dorfes. Gemeinsam haben sie Klassenräume Arbeit zeigen wir und den Vorplatz der Schule repariert. Außer- dem fordern die Jugendlichen in einer Petition den Erwachsenen, ans Bildungsministerium, dass ein aufgegebenes Schulgebäude zur weiterführenden Oberstufe dass die Jugend ausgebaut wird. Denn nur sehr wenige können sich den Bus zur weiterführenden Schule leisten. viel schafft und Die jungen Menschen profitieren von der ver- ein großes besserten Wohnsituation und stärken auch die Gemeinschaft. So wie die Jugendgruppe in El Potential hat.“ Sauce, einem Stadtteil von Sonsonate im Wes- ten El Salvadors. Seit 1999 entstanden hier Willian Osorio, 19 Jahre alt, mithilfe von FUNDASAL 1.700 Wohnungen für Fa- Jugendgruppe El Tránsito milien. Die Jugendlichen trafen sich, um Pläne zu schmieden und auf die Kinder in der Nach- 15
Fastenaktion 2019 barschaft aufzupassen. Unter ihnen wuchs der etwas zusammen zu machen, in geteilter Arbeit, & Wunsch, ihre Zukunft in die Hand zu nehmen Schulter an Schulter, anstatt dass ein Unterneh- GRUNDLAGEN und „Akteure des Wandels“ zu werden, wie die men die Arbeit bequem für uns erledigt hätte“, 18-jährige Hassell Pinto sagt. Heute gibt es sagt Fernando Renderos. PRAXISTIPPS ein Jugendzentrum, in dem sich Kinder und Ju- gendliche treffen. Es gibt Theateraufführungen, Im ganzen Land sind seit der Gründung von Kunstprojekte und Straßenfeste. „Wir haben FUNDASAL rund 51.000 neue Häuer entstanden dieses Jugendzentrum mit unseren Tränen und und 273.000 Menschen haben von den Aktivitä- unserem Schweiß gebaut. Es war viel wichtiger, ten des Projektpartners profitiert. YOVANI MEDARDO Portrait Y ovani Medardo wuchs als eines von Heute ist er 25 Jahre alt. Stets hat der Kleinbauer sieben Geschwistern in einer Kleinbau- und Maurergehilfe einen Witz parat und ein Lä- ernfamilie auf. Oft gab es nur gefüllte cheln auf den Lippen. Maisfladen oder Reis mit Bohnen zum Essen. Er bekam die zerschlissenen Klamotten seiner grö- Als sich seine Eltern trennten, ging er als einzi- ßeren Geschwister zum Anziehen. Schuhe trug ger zum Vater. Gemeinsam bauten die beiden er erstmals, als er in die Schule kam. Mit zwölf auf einem Stückchen Land eine kleine Hütte aus Jahren hatte er nach Ansicht seiner Eltern genug Bambusrohren, Wellblech und einem Boden aus gelernt und musste fortan auf dem Feld helfen. Lehm. Yovani Medardo hielt es dort nicht lan- ge aus und versuchte mit 16 sein Glück in der Hauptstadt. Dort schleppte er Kisten im Super- markt und arbeitete als Maurergehilfe auf dem Bau. Doch auch die Stadt brachte ihm nicht die erhoffte Zukunftsperspektive. Sein ganzer Stolz ist, dass er ins Programm für den Hausbau von FUNDASAL aufgenommen wur- de und bald ein eigenes, verputztes Haus haben wird. Vom Bauen hatte er zwar schon eine Ahnung, aber die Technik der Lehmziegel war ihm neu. „Die Ziegel sind super, zum einen isolierend und zum anderen viel erdbebensicherer“, sagt er begeis- tert. Und billiger als herkömmliche Steinhäuser ist die Bauweise auch noch. Nach dem Ausbildungs- kurs von FUNDASAL trat er der Baugruppe bei. Mehr Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche auf dem Land und die Chance auf ein würdiges Le- ben sind seiner Meinung nach nötig, um seine Generation davon abzuhalten, ihr Glück in der Migration zu suchen. Kinder, die ohne Vater oder Mutter aufwachsen, seien eine leichte Beute für die Jugendbanden, so Yovani Medardo. Dass er bald ein ordentliches Haus haben wird, ohne auswandern zu müssen, ist für ihn ein Traum: „Dann kann ich meine Freundin heiraten, und wir können eine Familie gründen.“ 16
Eine starke Gemeinschaft: Die Jugend- gruppe in El Sauce. Sie gestaltet das Dorfleben aktiv mit. Tipp Jedes Jahr lädt MISEREOR zur Fastenaktion Gäste aus dem Part- nerland nach Deutschland ein, die Sie gerne in Ihrer Gemeinde, Grup- pe oder Schule besuchen kommen. Ihre Diözesanstelle Weltkirche ist dafür Ihre Ansprechpartnerin. Dieser Rahmen ermöglicht Begeg- nung zwischen salvadorianischen Jugendlichen und Jugendlichen aus Deutschland bzw. zwischen Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern von MISEREOR-Projekten und Menschen Hinweis aus Projekten in Ihrem Umfeld. Auf www.fastenaktion.de/projekte Schaffen Sie Raum für Dialog und finden Sie einen Film, Bilder zu Austausch über Chancen, Potenzia- den Projekten sowie weitere le und Ideen junger Menschen in Informationen zu den beiden El Salvador und in Deutschland. Projekten. E OD M ET H Probleme und Hindernisse treffen sie vielleicht? Wo stehen sie jetzt? Methodische Anregung Anschließend gibt es einen Austausch (je nach Gruppengröße in Kleingruppen); mehrere TN Zeit: ca. 45 min stellen ihr fiktives Porträt vor. Welche Gemein- samkeiten gibt es in den vorgestellten fiktiven Material: Kopien mit den ersten Absätzen aus den Geschichten? Halten Sie die gesammelten Begriffe Porträts der Jugendlichen auf Kärtchen fest. Die Porträts der Jugendlichen aus El Salvador ge- Eine Präsentation der realen Porträts der Jugendli- ben einen kleinen Einblick in ihre Lebensrealitäten. chen folgt. Nun kann Bezug auf die vorab notierten Sie zeigen in sehr verkürzter Form, was Ingrid Ga- Gemeinsamkeiten in den fiktiven Geschichten ge- nuza und Yovani Medardo bewegt, wo sie jetzt nommen werden: Haben wir etwas nicht beachtet? stehen und wie sie dahin gekommen sind. Welche Begriffe müssen ergänzt werden? Lesen Sie den ersten Absatz des Porträts laut vor. Dabei ist es möglich, dass zwischen den Assozi- Je nach Gruppengröße können auch beide Porträts ationen der TN und den realen Porträts eine hohe genutzt werden. Auch ein Foto der Jugendlichen Übereinstimmung oder eine Differenz besteht. kann gezeigt werden. Teilen Sie nun diesen ersten Es folgt eine kurze Reflexion als Blitzlicht: Was Abschnitt an alle Teilnehmerinnen und Teilneh- macht das mit uns? Was löst es bei uns aus? mer (TN) aus. In Einzelarbeit schreiben die TN den Anfang des Porträts weiter (ca. 5 min). Mögliche Bilder der Jugendlichen finden Sie in der Präsen- Leitfragen: Was passiert? Welche Träume haben tation zur Fastenaktion auf Ingrid Ganuza und Yovani Medardo? Auf welche www.fastenaktion.de/projekte 17
Jugend: Steh auf! „In euch Jugendlichen erneuert die Jugendbanden, die ganze Stadtteile terro- risieren. Heute sind es immer mehr auch die sich die Kirche, in euch ist der staatlichen Sicherheitskräfte, die, anstatt die Menschenrechte zu schützen, willkürlich Jugend- Geist Gottes wie erfrischendes liche verschleppen, foltern und ermorden als Teil eines blinden und absurden Krieges gegen die Wasser für die Menschheit. Bandenkriminalität. Aus Angst verlassen Ana und ihre Altersgenossen das Haus nur noch, wenn Mögt ihr Zeichen eines neuen es unbedingt notwendig ist. Viele andere sind bereits geflohen und haben sich auf den gefährli- Aufblühens sein.“ chen Weg in die USA gemacht. Wo einst ein aktives Gemeindeleben und Ju- Diese Worte sprach Erzbischof Oscar Romero im gendorganisationen florierten, ist heute Jahr 1978 zu den Jugendlichen seiner Diözese San gähnende Leere. Angesichts dieser Situation ver- Salvador. Vier Jahrzehnte nach der Ermordung Ro- sinken selbst Christinnen und Christen, die zur meros scheint von einem Aufblühen keine Spur Hoffnung berufen sind, leicht in Hoffnungslosig- mehr zu sein. Wer heute durch die ärmeren Stadt- keit und Resignation oder schauen schlicht weg teile der Hauptstadt San Salvador geht, wird kaum und machen weiter, so gut es eben geht. Jugendliche antreffen und das gewiss nicht, weil Fastenaktion 2019 es keine gibt. Nahezu jeder zweite Salvadorianer Im Einklang mit dem Evangelium mahnt uns ist jünger als 25 Jahre. der salvadorianische Befreiungstheologe Jon & Sobrino11 zur „Aufrichtigkeit gegenüber der GRUNDLAGEN Das Problem ist ein anderes. „Jugendlich zu sein, PRAXISTIPPS ist ein Verbrechen in diesem Land”, versichert mir 10 Die Namen der Jugendlichen in diesem Text wurden alle anony- die 18-Jährige Ana.10 Obwohl das Land seit 1992 misiert, um sie nicht in Gefahr zu bringen. formal im Frieden lebt, hat El Salvador eine der 11 Sobrino, Jon: Fuera de los pobres no hay salvación, San Sal- vador, UCA Editores, 2009, S. 40. höchsten Mordraten weltweit. Besonders junge Der Jesuit Jon Sobrino war enger Vertrauter von Oscar Romero Männer und Frauen fallen diesem blutigen Kon- und überlebte das Massaker von 1989 an der Jesuitenkommu- nität der Zentralamerikanischen Universität San Salvador, da er flikt zum Opfer. Längst sind es nicht mehr allein auf einer Auslandsreise war. „In unserer Gesellschaft, in der Gewalt so sehr vorherrscht, wollen wir einen Wandel und sichere Orte schaffen. Diese Arbeit gibt uns persönlich viel und hat mich selber auch verändert.“ Carmen Linares Jugendgruppe El Sauce, die FUNDASAL begleitet 18
Wirklichkeit“. Das bedeutet, die Augen nicht vor dem Leid der Welt zu verschließen, sondern hinzuschauen und uns auf die Seite der Notlei- denden zu stellen. Wer Scham und Abscheu angesichts der Ge- walt zurücklässt und hinschaut, wer nachfragt und glaubt, der stellt fest, dass das Totgeglaub- te häufig nur tief schlummert, und dass gerade die Jugendlichen inmitten von Gewalt und Tod Keimzellen des Lebens sind. All den Widrigkei- ten ihres Lebens zum Trotz stehen die jungen Menschen in El Salvador auf für eine gerech- tere, menschlichere Welt. Diego, dessen Vater vor zwei Jahren von Bandenmitgliedern ermor- det wurde, ruft zur Vernunft: „Wir müssen den Teufelskreis der Gewalt stoppen. Wir haben alle eine zweite Chance verdient, auch die Mörder. Wir müssen ihnen helfen, ihnen Perspektiven aufzeigen, damit sie so etwas nicht wieder tun. Klar, das ist nicht leicht. Aber wenn es Menschen gibt, die an diese Jugendlichen glauben und sagen, ‚Wir sind da. Wir werden euch unterstüt- zen‘, können wir viel bewegen.“ Auch Jonathan weiß, was es bedeutet, im Kreuzfeuer zwischen Jugendbanden und Polizei zu überleben. Vor ei- Wie Jonathan feststellt, ist das keineswegs nigen Jahren hat er beschlossen, der Gewalt und der große Befreiungsschlag mit Pauken und Perspektivlosigkeit die Stirn zu bieten. Gemein- Trompeten. Es ist vielmehr ein kleines Senfkorn sam mit Freunden macht er heute Zirkus- und Hoffnung, ein Prozess, der im Kleinen und Alltäg- Straßenkunst und richtet damit auch eine Bot- lichen minimale Freiräume schafft. Das ist, in den schaft an die Gesellschaft. „Durch unsere Kunst Worten Jon Sobrinos, die wahre Erlösung, die von versuchen wir, auf die Ungerechtigkeit und die unten, von den Armen und Ausgegrenzten, selbst Stigmatisierung unserer Generation aufmerksam kommt.12 Erlösung geschieht, wenn Leben möglich zu machen. Wenn es auch nur ein kleiner Beitrag ist, so ist es doch ein Schritt zu einer gerechte- 12 Sobrino, Jon: Fuera de los pobres no hay salvación, San Sal- ren Gesellschaft.“ vador, UCA Editores, 2009, S. 22. „Viele Jugendliche haben die Hoffnung verloren und versuchen gar nicht mehr, für sich einen Ausweg zu finden. Doch wir merken: Oft braucht es dafür nur einen kleinen Funken.“ Daysi Rodríguez Leiterin des Programms „Lebenspläne“ der Caritas San Salvador 19
Zum Autor: Benjamin Jonathan Schwab ist Theologe und Sozialwissenschaftler und lebt in El Salvador. Er lehrt an der Zentralamerikanischen Universi- tät der Jesuiten in San Salvador und ist Teil eines Forschungsprojekts zu Jugend, Gewalt und Frie- den. Im Rahmen des Projekts sprach er mit vielen jungen Menschen über ihre Situation, ihre Ängste und Hoffnungen. wird, wo es unmöglich scheint. Wenn eine Stimme Hinweis die Totgeglaubten zu neuem Leben erweckt und Einen Artikel von Prof. Sr. Martha Zechmeister sagt: „Talita kum! - Steh auf!“ (vgl. Mk 5, 35-43). über das Forschungsprojekt „Gewalt und Erlö- Bereits der heilige Oscar Romero glaubte an seine sung“ finden Sie unter Jugendlichen und die sind auch heute noch „Zei- www.congregatiojesu.de/sr-martha- chen eines neuen Aufblühens“. zechmeister-und-ihre-arbeit-el-salvador Benjamin Jonathan Schwab E OD H MET Anregung zu einer Bibelarbeit Ich sage dir, steh auf! (Mk 5, 41) Laden Sie dann ein, Platz zu nehmen. Verteilen Zeit: ca. 30 min Sie die Textkopien/Bibeln und lesen Sie den Text ein zweites Mal vor. Material: Kopien mit Bibelstelle/Bibeln Nun kann sich ein Austausch in der Gruppe (oder in Kleingruppen) anschließen: Was spricht mich Einstieg: persönlich an? Welche Fragen habe ich? Welche Sie können mit einem Gebet oder auch einem Bedeutung hat der Text für mich, für mein Leben? Lied beginnen. Laden Sie die Teilnehmerinnen Welche Verbindung sehe ich zwischen der bibli- und Teilnehmer (TN) ein, aufzustehen, sich gera- schen Erzählung und der Situation von jungen de und aufrecht hinzustellen und die Augen zu Menschen in El Salvador? Zu meinem Leben in schließen. Lassen Sie einen Moment der Stille Deutschland? und laden Sie dann ein, ganz bewusst nachzu- Fastenaktion 2019 spüren: Wie fühlt es sich an, aufrecht zu stehen? Anschließend können im Plenum noch einzelne & Erfahrungen ausgetauscht werden. Zum Ab- GRUNDLAGEN Bibelarbeit: schluss kann ein Gebet/Segen gesprochen oder Noch während alle stehen, lesen Sie den Bibel- ein Lied gesungen werden. PRAXISTIPPS text aus dem Evangelium vor (Mk 5, 21-43). Anschließend benennen die TN Worte/Satzteile, Das Lied zur Fastenaktion finden Sie unter die sie in besonderer Weise ansprechen. Alle www.fastenaktion.de/liturgie hören zu und lassen die Aussagen auf sich wir- ken. Sie werden nicht kommentiert. 20
Heiliger Oscar Romero: Prophet einer Kirche der Armen „Mich könnt ihr töten, möglichte ihm ein Theologiestudium in Rom, wo er 1942 zum Priester geweiht wurde. Zurück in nicht aber die Stimme El Salvador wurde er zu einem geschätzten Seel- sorger. Doch er galt eher als konservativ und der Gerechtigkeit“, wollte die Kirche aus den wachsenden sozialen Konflikten seines Landes heraushalten. Seine kirchliche Karriere ging nach oben: 1970 wurde hatte Oscar Arnulfo Romero in seiner letzten Pre- er zum Weihbischof ernannt, dann zum Bischof digt ahnungsvoll vorausgesagt. Der Erzbischof der Diözese Santiago de Maria und schließlich wurde am 24. März 1980 während der Feier der 1977 zum Erzbischof der Hauptstadt San Salvador. heiligen Messe von einem bezahlten Scharfschüt- Von seiner Ernennung zum Erzbischof waren all zen erschossen. Papst Franziskus hat ihn am 14. jene enttäuscht, die sich eine Fortsetzung der so- Oktober 2018 in Rom heiliggesprochen. Er ist das zial engagierten Linie seines Vorgängers erhofften. Vorbild eines Bischofs der Armen; ein Hirte, der nach seinen Schafen riecht. Für die Menschen in Doch die Ermordung des Jesuitenpaters Ruti- El Salvador galt Romero schon kurz nach seiner Er- lio Grande und zwei seiner Begleiter im Auftrag mordung als Heiliger. von Großgrundbesitzern erschütterte ihn zutiefst. Grande hatte in dem Dorf Aguilares als Pfarrer die Die Geschichte von Romero ist die Geschichte Kleinbauern ermutigt, sich zu organisieren und einer großen persönlichen Veränderung, die man- eine gerechtere Landverteilung zu fordern. che sogar eine Bekehrung nennen. In einer armen Romero war zwar mit ihm befreun- Familie geboren, erwachte in ihm mit zwölf Jahren det, doch er stand seiner der Wunsch, Priester zu werden. Ein Freiplatz er- pastoralen Arbeit „Ihr Regierenden, Reichen und Mächtigen, wenn ihr euch nicht selbst arm macht, wenn ihr euch nicht um die Armut unseres Volkes kümmert, als wäre es eure eigene Familie, könnt ihr die Gesellschaft nicht retten.“ Oscar Romero - Predigt 15. 7. 1979
reserviert gegenüber. Als er vor den drei noch blu- Dreischritt Sehen-Urteilen-Handeln. Vor seiner Be- tenden Körpern stand, spürte er, dass er nun den kehrung war Romero ein Gegner der Theologie der Weg Grandes gehen musste. Innerhalb weniger Befreiung. Ihm erschien es gefährlich, wenn sich Wochen wurde Romero zu einem prophetischen Kirche und Theologie in soziale und politische Verteidiger der Armen. Er prangerte die ungerechten Fragen einmischen. Doch jetzt machte er mit den Verhältnisse an und stellte sich gegen die Militär- Jesuiten Ignacio Ellacuría und Jon Sobrino zwei Be- diktatur. Einige sprachen vom „Wunder Romero“, freiungstheologen zu seinen engsten Beratern. das durch den Tod Rutilio Grandes ausgelöst wurde. Ein bildlicher Ausdruck für eine Heiligsprechung Die offizielle kirchliche Selig- und Heiligsprechung ist, jemanden „zur Ehre der Altäre zu erheben“. Romeros zog sich auch deswegen so lange hin, Dies kann sich mit der Gefahr verbinden, ihn zu weil man ihn mit der auch innerkirchlich lange entrücken, zu idealisieren. Jesus selbst hat auf die umstrittenen “Theologie der Befreiung“ identifi- Ambivalenz der Prophetendenkmäler hingewie- zierte. Das ist eine Theologie, die vor 50 Jahren sen. Wir verehren den heiligen Oscar Romero nur Fastenaktion 2019 in Lateinamerika entstanden ist. Theologie der dann angemessen, wenn wir seinen Weg gehen: & Befreiung möchte eine christliche Antwort auf Wenn wir die Wahrheit über diese Welt sagen, die GRUNDLAGEN Ungerechtigkeit und Unterdrückung geben. In ih- eine Welt von Menschen ist, denen ein Leben in rem Mittelpunkt steht die Option für die Armen, Fülle verweigert wurde; wenn wir die Frage nach PRAXISTIPPS die die lateinamerikanischen Bischöfe auf ihren den Gründen von Armut und Ungerechtigkeit stel- Versammlungen in Medellín (1968) und Puebla len; wenn wir die Götzen unserer Zeit beim Namen (1979) getroffen hatten. Ein weiteres Merkmal der nennen und bekämpfen; wenn wir Risiken und Theologie der Befreiung ist die gläubige Überzeu- Konflikte in Kauf nehmen; wenn wir vom Glauben gung, dass Gott durch die Zeichen der Zeit auch getragen sind, dass die Hingabe stärker als der in der Geschichte wirkt. Methodisch folgt sie dem Egoismus und die Liebe stärker als der Tod sind. „Ein Verzicht auf jegliche Form von Gewalt ist notwendig, vor allem auf die strukturelle Gewalt, die mit am schwierigsten zu überwinden ist. Die Gesellschaft muss anders strukturiert werden. So wie die Verhältnisse jetzt im Land sind, widersprechen sie vollständig der menschlichen Würde, denn die große Mehrheit der Bevölkerung ist verarmt…“ Kardinal Gregorio Rosa Chávez Weihbischof von San Salvador Predigt 30.1.1990 22
Das entscheidende Kriterium für die Mensch- lichkeit einer Gesellschaft ist ihr Umgang mit den Schwächsten. Papst Paul VI., der zusammen mit Oscar Romero heiliggesprochen wurde, hat die Kirche in seiner Ansprache vor den Verein- ten Nationen 1965 in New York als „Expertin für Menschlichkeit“ bezeichnet. Darin liegt die Be- deutung und die Aufgabe der Kirche in der Welt von heute, der Anspruch, an dem sie sich auch messen lassen muss: in den Ländern des glo- balen Südens ebenso wie in den Ländern des globalen Nordens. Sie muss überall Partei ergrei- fen für die Schwächsten. Das sind ganz konkret zum Beispiel Flüchtlinge, Arbeitslose, Obdachlose, Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung, ein- Oscar Romero, umgeben von same und verlassene Alte sowie junge Menschen, der Jugend seines Landes. die vernachlässigt werden und keine Zukunftsper- spektiven haben. Romero zur „Ehre der Altäre zu erheben“, muss damit einhergehen, arme und Literaturtipp ausgegrenzte Menschen auf dieser Welt zur „Ehre Maier, Martin: Oscar Romero. Prophet einer eines menschenwürdigen Lebens zu erheben“. Kirche der Armen. Die Biographie, Verlag Denn mit Romeros Worten: „Die Ehre Gottes ist Herder, 2015. der Arme, der lebt.“ Martin Maier SJ Filmtipp Zum Autor: John Duigan: Romero. Seine Waffe war die Wahr- Der Jesuitenpater Martin Maier SJ war von 1989 bis heit, Paulist Picture Film, 1989. 1991 Pfarrer einer Landgemeinde in El Salvador. Die DVD ist erhältlich bei: Verbo Filmes-D, Münster. Er übernahm die Gemeinde von seinem Ordensbru- www.konzilsvaeter.de der Ignacio Martín Baró, der beim Massaker 1989 an den Jesuiten auf dem Campus der Jesuitenuni- versität in San Salvador ums Leben kam. Maier ar- Hinweis beitet seit 2014 als Beauftragter seines Ordens für In den Liturgischen Bausteinen finden Sie europäische Angelegenheiten in Brüssel und ist re- Bausteine „Begegnung mit Oscar Romero“ gelmäßig als Dozent an der Zentralamerikanischen für Früh- oder Spätschichten. Universität der Jesuiten in San Salvador tätig. www.fastenaktion.de/liturgie „Wir sind die Akteure des Wandels. Wir wollen unser Engagement im ganzen Land verbreiten und weitergeben.“ Hassell Pinto Die 18-Jährige engagiert sich in der Jugendgruppe El Sauce, die FUNDASAL begleitet. 23
Sie können auch lesen