Begleitheft zur Jubiläumsausstellung - frankonzept

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Begleitheft zur Jubiläumsausstellung - frankonzept
Begleitheft zur Jubiläumsausstellung
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Das Eiszeit-Puzzle
Paläontologen haben bei Ausgrabungen Knochen entdeckt!
Doch von welchem Tier stammen sie?

Schneide die Knochen aus
und versuche sie richtig zusammenzusetzen.
Du wirst ein Tier erkennen, das Du aus der Ausstellung kennst,
oder erfinde Dein eigenes Eiszeittier!

Auf Seite 37 findest Du eine kleine Puzzle-Hilfe!
Begleitheft zur Jubiläumsausstellung - frankonzept
14. September bis 26. Oktober 2008               Texte                                Abbildungsnachweis
                                                                                      Dr. Klaus R. Dietz: S. 9 (unten), 12 (oben links)
Historisches Museum Hanau Schloss Philippsruhe   Dr. Günter Seidenschwann
                                                                                      Wolfgang Günzel: S. 2, 4, 8, 10, 16, 20, 32
                                                 FranKonzept - Jochen Ramming, M.A.   Dr. Brigitte Hilpert: S. 33 (oben Mitte und rechts)
Begleitheft zur Jubiläumsausstellung             und Dagmar Stonus, M.A.              Dr. Jürgen Jung: S.33 (oben links)
                                                                                      Ulrich Sandkühler: S. 36 (unten)
der Wetterauischen Gesellschaft für die
gesamte Naturkunde zu Hanau 1808 e.V.            Unterstützt durch:                   Dr. Günter Seidenschwann:
                                                                                      S. 5, 9, 11, 12, 14, 15 (unten), 18, 21 (unten), 28, 29, 30, 31, Umschlag außen
                                                                                      Dr. Marliese Wagner: S. 36 (oben)
Herausgegeben von der Wetterauischen                                                  Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: S. 33
                                                                                      (Heiko Gericke: unten links / Hans Oerter: unten rechts)
Gesellschaft, Hanau 2008
                                                                                      FranKonzept: S. 5 (unten links), 12 (unten rechts), 13, 15, 19, 21, 23, 24, 26, 27
                                                                                      Geografisches Institut Universität Würzburg: S. 6 (unten rechts), 7
                                                                                      Museen der Stadt Hanau: S. 27 (unten rechts)
                                                                                      Stadtarchiv Alzenau: S. 5 (oben Mitte)
                                                                                      Verein Homo heidelbergensis von Mauer e.V.: S. 26 (oben links)
                                                                                      Wetterauische Gesellschaft: S. 1, 3, 6, 12, Umschlag innen
                                                                                      NASA (Collage): S. 34/35
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Vignette einer Mitgliedsurkunde
1808

Eiswüsten, Schneestürme und zottelige Mammuther-            Ihr Jubiläum begeht die Wetterauische Gesellschaft
den – unsere Vorstellungen von der Eiszeit sind voller      daher auch mit einer naturwissenschaftlichen Ausstel-
Klischees. Dabei können die Naturwissenschaften             lung, die sich ganz bewusst der „gesamten Natur-
mittlerweile ein weitaus differenzierteres Bild jener       kunde“ verschrieben hat: Sie beleuchtet die Eiszeit aus
erdgeschichtlichen Epoche entwerfen. Geologen und           dem Blickwinkel verschiedener Fachwissenschaften.
Geomorphologen untersuchen die Hinterlassenschaf-           Schließlich hat diese Epoche wirklich mehr zu bieten
ten der Kaltklimate und des Dauerbodenfrostes jen-          als Eiswüsten, Schneestürme und zottelige Mammuts …
seits der vergletscherten Gebiete; Klimatologen teilen
die Eiszeit immer präziser in eine Folge von Kalt- und      Ohne die bereitwillige Unterstützung vieler unter-
Warmphasen ein und Paläontologen rekonstruieren             schiedlicher Wissenschaftler aus verschiedensten
neben dem bekannten kaltzeitlichen Tierbestand der          Forschungsinstitutionen wäre die Realisierung einer
Mammutsteppe auch die Tier- und Pflanzenwelt der            derartigen Ausstellung undenkbar gewesen. Für Leih-
wärmeren Abschnitte.                                        gaben, Bildrechte und zahllose inhaltliche Anregun-
                                                            gen sei allen beteiligten Wissenschaftlern herzlichst
Die Wurzeln solcher hochspezialisierten Fachwissen-         gedankt. Ein zweiter Dank gilt den Geldgebern und
schaften reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, als im     Förderern des Ausstellungsprojektes, die mindestens
Zuge der Aufklärung das Interesse an einer rationellen      ebenso unentbehrlich waren. Hervorgehoben sei da-
„Naturkunde“ wuchs. Ein Kind dieser Zeit ist auch die       bei besonders die Stadt Hanau, die nicht nur einen
„Wetterauische Gesellschaft für die gesamte Natur-          Großteil der Finanzierung bereitstellte, sondern der
kunde zu Hanau“: 1808 gegründet feiert sie in die-          Wetterauischen Gesellschaft überdies auch die Aus-
sem Jahr ihr 200-jähriges Bestehen. Von Beginn an lag       stellungsräume in Schloss Philippsruhe überließ.
ihr satzungsgemäßes Ziel in der „Beförderung und
Verbreitung der naturwissenschaftlichen Kenntnisse im
Allgemeinen und vorzüglich in unserer Gegend, der
Wetterau“. Dieses Ziel sucht sie noch heute zu erreichen.   Der Vorstand der Wetterauischen Gesellschaft
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„Beförderung und Verbreitung der naturwissenschaft-    lichen Gesellschaften war sie zudem Vorbild für an-
                                                           lichen Kenntnisse im Allgemeinen und vorzüglich in     dere Vereine mit ähnlicher Zielsetzung – nicht zuletzt
                                                           unserer Gegend, der Wetterau.“                         etwa für die „Senckenbergische Naturforschende
                                                                                                                  Gesellschaft“ in Frankfurt am Main.
                                                           Bereits 1809 erschien erstmals die Fachzeitschrift
2                                                          „Annalen der Wetterauischen Gesellschaft“ und zeit-    Die „Wetterauische Gesellschaft“ besteht noch heute!
                                                           gleich begannen die Vereinsmitglieder, eine umfang-    Und sie versteht sich noch immer als eine Institution,
                                                           reiche naturwissenschaftliche Sammlung sowie eine      die naturwissenschaftliche Forschung bündeln und
    Vor 200 Jahren – genau am 10. August 1808 –            stattliche Bibliothek zusammen zu tragen. Bald schon   den Forschern ein Diskussionsforum bieten will. So
    trafen sich in Hanau elf anerkannte Wissenschaftler    genoss die „Wetterauische Gesellschaft“ in Wissen-     bildet sie ein lebendiges Bindeglied zwischen den
    und gründeten die „Wetterauische Gesellschaft“. Ziel   schaftskreisen einen außerordentlichen Ruf. Als eine   ersten Anfängen der modernen Naturwissenschaft
    des neuen naturwissenschaftlichen Vereins war die      der ersten bürgerlich getragenen naturwissenschaft-    und dem heutigen Stand der Forschung.
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Das ehemalige Kanzleigebäude –
                 Sitz der Wetterauischen Gesellschaft
                                               1934
                                                                                                                   Das zerstörte Kanzleigebäude
                                                                                                                   1945

Die Mitglieder                                          Die Bibliothek                                             Das Museum
„Wirkliche Mitglieder können nur praktische Natur-      „…die auswärtigen aktiven Mitglieder sollen freund-        „Wer nach Verlauf von drei Jahren weder die Samm-
forscher sein, die ihren eigenen Herd in der Wet-       schaftlichst gebeten werden, der Gesellschaft (…)          lungen vermehrt, noch Aufsätze einsendet, noch der
terau haben“. (Satzung von 1808) Das betraf nach        freiwillige Beiträge an Büchern, Naturalien und (…)        Bibliothek etwas gestiftet hat, wird aus der Liste der
damaligem Verständnis die gesamte Rhein-Main-           auch an barem Geld zu übersenden“. So lautete der          Mitglieder gestrichen.“ (Satzung von 1808). Die Samm-
Ebene. Natürlich erfüllten auch die zehn Gründungs-     zweite Tagesordnungspunkt der Sitzung am                   lung wuchs schnell: Im Juni 1809 verkündete der Vor-
mitglieder diese Bedingung. Sie waren zudem fast        28.9.1808. Für den Aufbau einer Bibliothek wurde           stand, dass „jetzt ein Museum vorhanden ist mit einem    3
alle überregional anerkannte Naturforscher, die sich    demnach keine Zeit verloren. Vereinssitz, Sammlun-         wahren Schatz“! Zugänglich war dieses Museum im
besonders mit Mineralogie, Zoologie und Botanik be-     gen und Bibliothek waren damals im Hanauer                 3. Obergeschoss des Stadtschlosses anfangs jedoch
schäftigten. Die Mitgliederzahl wuchs schnell. Man      Schloss untergebracht. 1824 jedoch kündigte Kurfürst       nur Mitgliedern und ausgewiesenen Wissenschaftlern.
ernannte Ehrenmitglieder, wählte korrespondierende      Wilhelm II. (1777-1847) das „Local“; überstürzt be-        Erst nach dem erzwungenen Umzug in die Hohe Lan-
Mitglieder und warb aktive Mitglieder. Schon zum        zog man beengte Räume in der Hohen Landesschule.           desschule diente die Sammlung dann auch Unterrichts-
Jahresbeginn 1809 wurden über 300 Mitglieder ver-       Erst 1868 konnte das Kanzleigebäude am Schloss-            zwecken. Der Allgemeinheit stand sie seit 1859 offen:
zeichnet – darunter Johann Wolfgang von Goethe,         platz bezogen werden, in dem die Gesellschaft mit          Jeden Mittwoch von 15 bis 16 Uhr. Ihre endgültige
Alexander von Humboldt und der Fürstprimas des          ihrer Bibliothek bis heute residiert. Die Bibliothek ge-   Aufstellung fand die weithin bekannte Sammlung nach
Rheinbundes Karl Theodor von Dalberg, der sich mit      langte ins Erdgeschoss des Gebäudes: Ein Glücksfall!       1868 und 1874 im Ober- und Dachgeschoss des
einer jährlichen Spende von 1.200 Gulden erkennt-       Hier überstand sie den verheerenden Bombenangriff          Kanzleigebäudes, wo sie weiter wuchs, bis Bomben
lich zeigte.                                            vom 19. März 1945.                                         sie im März 1945 völlig zerstörten. Heute baut die
                                                                                                                   „Wetterauische Gesellschaft“ einen neuen Bestand auf.

                                                                               Innenansicht der Bibliothek                                „Säugetiere“ im Museum
                                                                               1934                                                       1934
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Die Eiszeit …
    … und die Gegenwart

    Der jüngste Abschnitt der Erdgeschichte, das ca.     des oberflächennahen Untergrundes sowie das Land-         eine besondere Vielfalt eiszeitlicher „Produkte“.
4   2 - 2,5 Millionen Jahre andauernde Quartär, das      schaftsbild in unserem Raum in ganz spezifischer          Wir begegnen solchen Eiszeit-Zeugen fast täglich,
    auch als „Eiszeitalter“ bezeichnet wird, hat das     Weise. Ohne diese Epoche wäre unsere heutige              ohne allerdings von ihnen bewusst Notiz zu nehmen.
    Erscheinungsbild des Rhein-Main-Gebietes in natur-   Landschaft in vielerlei Hinsicht anders strukturiert!     Die Eiszeit ist Teil unseres Alltags!
    räumlicher Hinsicht maßgeblich geprägt.
                                                         Für Hanau und Umgebung besitzt diese Klimaepoche
    Verwitterungs- und Abtragungsvorgänge formten        nicht zuletzt in wirtschaftsgeografischer Hinsicht eine
    während der verschiedenen Kaltzeiten den Aufbau      ganz besondere Bedeutung, findet sich hier doch
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Spargelanbau im östlichen Rhein-Main-Tiefland            Sandabbau bei Alzenau                                  Badesee bei Kleinkrotzenburg
Mai 2008                                                 1950er Jahre                                           2008

Die Landwirtschaft                                       Die Bauindustrie                                       Trink- und Badewasser
Den Großteil der Flächen des Rhein-Main-Tieflandes       Seit langer Zeit werden im Rhein-Main-Gebiet Produk-   Ohne die Hinterlassenschaften kaltzeitlicher Klima-
stattete die Natur mit Eigenschaften aus, die eine er-   te der Eiszeiten intensiv zu Bauzwecken genutzt. So    perioden wäre die Trinkwasserversorgung vieler
tragreiche und vielfältige landwirtschaftliche Nutzung   brannten schon die Römer eiszeitlichen Lehm zu Zie-    Städte und Gemeinden im Rhein-Main-Gebiet kaum
erlauben. Beträchtliche Anteile nehmen Areale mit        geln. Ab dem Mittelalter bildeten der Lösslehm oder    denkbar. Das damals in reichlichem Maße fließende
guten bis sehr guten Böden ein, auf denen intensiver     der Hochflutlehm, wie er während der letzen Kaltzeit   Wasser der kaltzeitlichen Flüsse transportierte jedes     5
Ackerbau mit anspruchsvollen Kulturpflanzen betrie-      abgelagert wurde, das Füllmaterial in den Gefachen     Jahr enorme Mengen an Sand, Kies und Geröll über
ben wird. Daneben gibt es auch Bodenverhältnisse,        ortstypischer Fachwerkgebäude. Die Herstellung von     große Entfernungen, um sie dann in der Region um
die Sonderkulturen ermöglichen. Während der              Ziegelsteinen und Dachziegeln beruht bis heute auf     Hanau abzuladen! Oft entstanden im Lauf der Zeit
trocken-kalten Klimaperioden der Kaltzeiten wurden       dem Abbau von Lösslehm. Der in Flussnähe abgela-       mehr als 10 m mächtige Schotterschichten mit sehr
aus den Schotterbetten der Flüsse Rhein und Main         gerte Hochflutlehm der letzten Kaltzeit wurde auch     vielen Hohlräumen. Es gibt daher viel Platz für Sicker-
enorme Mengen an Sand und Staub ausgeweht. Im            zur Herstellung von Backsteinen („Russen“) verwen-     wasser, das die Hohlräume füllt. Wenn man nun
engeren Untermaingebiet blieb der Sand als Flugsand-     det. Der eiszeitliche Dünensand findet heute Verwen-   dieses Grundwasser abpumpt, ist bereits für einen
decke oder in Form von Dünen liegen; der leichtere       dung bei der Herstellung von Gasbetonsteinen, und      großen Teil des benötigten Trinkwassers gesorgt.
Staub wurde in der Wetterau als Löss abgelagert.         auch der Innenputz von Häusern enthält häufig kalt-    Aber nicht nur das: In vielen Sand- und Kiesgruben
Der Sand bildet heute zum Beispiel die Grundlage für     zeitliche Sande. Schließlich finden die Kiese und      wird das Wasser nicht dauerhaft abgepumpt. Nach
den Spargelanbau. Der Löss ermöglicht die intensive      Sande der eiszeitlichen Flussbetten Verwendung bei     dem Kiesabbau verwandeln sich die Gruben daher
ackerbauliche Nutzung, etwa für den Zuckerrübenan-       der Betonherstellung, als Schotter beim Straßenbau     oft in Grundwasserseen. Erholungssuchende schätzen
bau, der besonders wertvolle Böden braucht.              oder als Waschbetonsteine. Große, im Kies einge-       diese Badeseen mit ihrem sauberen Wasser während
                                                         lagerte Blöcke dienen zur Gestaltung von Außenan-      der warmen Jahreszeit sehr.
                                                         lagen und zur Vorgartenverschönerung.

                                                 Ziegelsteine im Baumarkt
                                                 2008
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Wo versteckt sich die Eiszeit?                            gebieten. Das gilt auch für das Untermaingebiet, zu       Schotterflächen teilweise oder sogar ganz aus. Klei-
                                                              dem nicht zuletzt Hanau zählt. Hier war die eiszeitli-    nere Wärmeschwankungen während der Kaltzeiten
    Unsere Vorstellung vom Eiszeitalter im Allgemeinen        che Landschaft durch die breiten Flusstäler von Main,     spielten dabei eine wichtige Rolle, denn in den etwas
    und von der eiszeitlichen Landschaft in Deutschland       Kahl und Kinzig sowie durch großflächige Dünenland-       wärmeren Abschnitten ließ die Schuttzufuhr von den
    im Besonderen ist vornehmlich geprägt von den ein-        schaften vor dem Spessartanstieg gekennzeichnet.          Hängen nach. Im Wechsel von Aufschotterung – „Ak-
    drucksvollen Bildern der vergletscherten Gebiete          Frost, Hochwasser und Verwehung ließen dabei genau        kumulation“ – und Eintiefung – „Erosion“ – entstand
6   Norddeutschlands und des Alpenvorlandes.                  jene Ablagerungen entstehen, die sich heute als Segen     eine vielfach gestufte Flusslandschaft, die als „Terras-
                                                              für die Landwirtschaft, die Trinkwasserversorgung und     sentreppe“ bezeichnet wird. Sie liegt nur knapp unter
    Die damals nicht vom Eis bedeckten Gebiete Mitteleu-      die Bauindustrie erweisen.                                unserer heutigen Erdoberfläche und ist auf der geo-
    ropas – zu denen fast der gesamte Mittelgebirgsbe-        Ausgangspunkt waren die eiszeitlichen Flusstäler.         morphologischen Karte zu erkennen.
    reich gehört – bleiben weitestgehend außer Acht. Dies     Während der Kaltzeiten bildeten sich immer wieder
    überrascht besonders, weil gerade hier die eiszeitliche   neue Flussbetten auf Kosten der vorherigen aus. In Zei-   Politische Karte des Main-Kinzig-Gebiets
    Formung der Landschaft weitaus differenziertere Spu-      ten starker Tiefenerosion gruben sich die Flüsse in ihr   2008
    ren hinterlassen hat, als in den ehemaligen Vereisungs-   zuvor aufgeschüttetes Bett ein und räumten die älteren
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7
Die Eiszeit …
    … und ihre versteckten Zeugen

    Das während der Eiszeiten herrschende Klima hinter-    liegen die Zeugen früheren Kaltklimas nicht selten in     häufige Frostwechsel aus. Die Spuren, die dieser sehr
8   ließ zahlreiche Spuren in unserer Region. Doch blei-   beeindruckender Weise vor uns – wie eine bunt be-         strenge Frost hinterlassen hat, prägen auf vielfältige
    ben solche Zeugnisse extrem kalter Umweltbedingun-     bilderte Seite im Buch der eiszeitlichen Erdgeschichte.   Weise den oberflächennahen Untergrund und damit
    gen in unserer Umgebung meistens verborgen.                                                                      die für die wirtschaftliche Nutzung so bedeutenden
                                                           Eiszeitliches Klima – besonders während der kältesten     Bodenverhältnisse.
    Sichtbar nachweisen lassen sie sich oft erst dann,     Perioden – zeichnete sich durch besonders tiefe Tem-
    wenn der Mensch künstliche Einschnitte in den ober-    peraturen, das Vorhandensein von Dauer- oder bes-
    flächennahen Untergrund herbeiführt. Dann jedoch       ser Permafrostboden im Untergrund und durch sehr
Lebender Eiskeil                                                                                                                                       Fossiler Eiskeil
Brentskardet auf Spitzbergen                                                                                                                     Sandgrube in Alzenau
1973                                                                                                                                                            1998

Woran erkennt man eiszeitliche Klimaverhältnisse und Vorgänge im Boden?
Eiskeile
Auf tiefgefrorenen Böden eiszeitlicher Landschaften     Fossile Eiskeile in unseren Breitengraden tauten selbst-   die heute im Grenzbereich von der Tundra zur Taiga
bildete sich oft ein auffallendes Muster, das große     verständlich im Laufe der nacheiszeitlichen Erwär-         und in Zentralasien bis Sibirien vorkommen. Auch sie
Areale bedeckte und von „Eiskeilen“ verursacht wurde.   mung ab. Die entstehenden Hohlräume verfüllten sich        sind somit Indikatoren für die Klimaverhältnisse in    9
Eiskeile entstehen, wenn in Tauphasen Wasser in         mit Sedimenten. Die keilartige Form des getauten Eis-      gletscherfreien Gebieten während der Eiszeiten.
Bodenspalten dringt, um dann dort keilförmig wieder     keils (Eiskeilpseudomorphose) bleibt so dauerhaft er-
zu gefrieren. An der Oberfläche bilden diese Eiskeile   kennbar und liefert einen eindrucksvollen Beweis für
vieleckige Vertiefungen, die „Eiskeilpolygone“.         das Vorhandensein von Dauerfrostboden während der
Solche Netzmuster werden in heutigen Dauerfrostge-      Eiszeiten bei uns. Gelegentlich finden sich in den
bieten häufig ausgebildet.                              Schichten mit Eiskeilfüllungen Gehäuse von Schnecken,

Eiskeilnetz an der Erdoberfläche
Nordwestterritorium von Kanada
Würge- und Tropfenböden
     Auch Verwürgungen oder „Kryoturbationen“ sind           nicht widerstehen und musste ausweichen!
     typische Frostbodenerscheinungen. Der Wechsel von       Grundlage für die Entstehung von Tropfenböden ist
     Tauwetter und Frost führten dabei zur sichtbaren Ver-   die Ablagerung von Flug- und Schwemmsand sowie                                           bis
     mengung verschiedener oberflächennaher Sand- und        dünnen Lehmlagen während einer sehr kalten Phase                                         1,2 m
     Lehmschichten. Im eiszeitlichen Sommer tauten die       der Eiszeit. Wenn dann im Sommer der Boden ober-
10   oberen Dezimeter des Dauerfrostbodens auf. Aus          flächlich auftaute, sank der noch gefrorene Lehm in
     sandigen Ablagerungen floss das Schmelzwasser ab,       die aufgetauten Sandschichten ein – er war aufgrund    Schema eines Tropfenbodens
     im Lehm hingegen blieb Wasser an den feinkörnige-       des enthaltenen Eises schwerer als der lockere Sand.   Grafik nach: Eißmann, Lothar:
     ren Teilchen haften. Beim Wiedergefrieren im eiszeit-   Beim Einsinken hinterließ der Lehm dann eine charak-   Das Quartär Mitteldeutschlands.
     lichen Herbst dehnte sich das im Lehm gefrierende       teristische Tropfenform. Würge- und Tropfenböden       Altenburg 1994
     Wasser stärker aus als der Sand und drückte –           sind unfehlbare Belege für das Vorhandensein von
     „würgte“ – ihn mit einem Druck von mehreren tau-        Permafrostboden in der Region um Hanau während
     send Bar zur Seite. Der Sand konnte diesem Druck        der Eiszeiten.
Welche Produkte sind während der Eiszeit entstanden?
Frostsprengung
Durch das lange Andauern extrem kalten Klimas ent-          Doch die Frostverwitterung geht noch viel weiter:         Korngröße von weniger als 2 mm Durchmesser und
standen bei uns Produkte, die ohne die Wirkung des          In den kurzen eiszeitlichen Sommern am Ende der           schließlich feinster „Schluff“, dessen kleinste Körn-
Frostes nicht denkbar sind. In erster Linie ist dafür die   Schneeschmelze ebbte der gewaltige Wasserdurch-           chen nicht größer als 0,06 mm sind.                     11
„Frostsprengung“ verantwortlich, die auch als „Frost-       fluss in den breiten Flusstälern ab. Die Schotterbecken
verwitterung“ bezeichnet wird. Diese bewirkte, dass         der Flüsse fallen zum Teil trocken und sind dem Frost     Während die Sandkörner vom Wind in trocken-kalten
der oberflächennahe Untergrund an den Hängen der            ausgesetzt. Tagsüber zieht Feuchtigkeit in die Spalten    Zeiten verweht und in Form von Flugsanddecken und
Mittelgebirge in der Gegenwart nicht unmittelbar aus        und Klüfte der Steine und Gerölle und nachts sprengt      Dünen wieder abgelagert worden sind, wurde der
kompaktem Festgestein besteht, sondern von Frost-           der Frost die Brocken auf. Tag um Tag werden sie so       Schluff als Staub weiter verfrachtet und bildete oft
schutt gebildet wird.                                       zerkleinert. Aus Kiesen entstehen Sande mit einer         mächtige Lössdecken.

                                                                                                                      Frostsprengung und Vergrusung an Kiesen (Fotoserie)
                                                                                                                      Adventstal in Spitzbergen, 1973
Fließerde im Polarsommer                                                                Rezente Fließerde im Auftauboden
     Nordwestterritorium von Kanada                                                          über Dauerfrostboden
                                                                                             Adventstal auf Spitzbergen
                                                                                             1973

     Fließerden und Schuttdecken
     Eiszeitliche Fließerden entstanden als Auftauböden    übereinander liegende Fließerden voneinander unter-      Es stammt von einer Eruption vor etwa 12.900 Jahren
     über gefrorenem Untergrund, die als Gesteinsbrei      scheiden: Die unterste der insgesamt drei Schuttde-      in der Osteifel. Demnach ist der Deckschutt ein Pro-
12   hangabwärts „wanderten“; oft mehrere Hundert          cken – in der Eiszeitforschung als „Basisschutt“ oder    dukt der letzten Klimaphase mit Dauerfrostboden am
     Meter weit! Dieses Bodenfließen heißt in der Fach-    „Basislage“ bezeichnet – besteht ausschließlich aus      Ende der jüngsten Eiszeit.
     sprache „Solifluktion“. Bei einem hohen Anteil an     Schuttmaterial des anstehenden Gesteins. Die mittlere
     Frostschutt werden Fließerden auch als Schuttdecken   Fließerde – der „Mittelschutt“ oder die „Mittellage“ –   Die Bedeutung der Schuttdecken liegt darin, dass sie
     bezeichnet.                                           enthält verbreitet starke Beimengungen von Lösslehm      die Bodeneigenschaften in den Mittelgebirgen gegen-
                                                           und die obere Schuttdecke – als „Deckschutt“ oder        über den vorher bestehenden Verhältnissen sehr ver-
     Anhand ihrer Eigenschaften lassen sich beispiels-     „Hauptlage“ bezeichnet – weist neben Lösslehman-         bessert haben.
     weise im Bereich des Spessartanstiegs verschiedene    teilen auch Bestandteile vulkanischen Materials auf.

     Fossile Fließerdedecken über Buntsandstein                                              Flussschotter von Main und Kinzig
     Wald bei Alsberg im Spessart                                                            Sammlung Wetterauische Gesellschaft
Lydit – Leitgeröll des Mains                           Buntsandsteinbrocken mit starker Rundung
                                                       Sammlung Wetterauische Gesellschaft                    Sammlung Wetterauische Gesellschaft

Flussschotter und Geröll
Die Zusammensetzung von Flussschottern gibt Aus-       wieder kleine Stücke an den Kanten. Zusätzlich wur-    rungen aus der Kinzig unterscheidet sich deutlich von
kunft darüber, woher die einzelnen Gesteine stam-      den sie vom Wasser in rollendem Transport bewegt       den Mainkiesen. Hier ist viel weniger Vielfalt zu er-
men und welche Flüsse sie in die Hanauer Region        und dabei ebenfalls an den Rändern abgerundet.         kennen; es fehlen Gesteine, die in Mainschottern vor-   13
transportierten. Dabei zeigen die Gerölle und Blöcke                                                          kommen, andere sind dagegen im Kinzigkies öfter
deutliche Spuren des Flusstransports, denn alle sind   Im Geröll des Mains finden sich quarzgeäderte Kie-     vorhanden. Auch die Kahl und ihre Nebenbäche
zumindest an den Kanten abgerundet. Die ursprüng-      selschiefer, so genannte Lydite. Sie stammen aus dem   räumten auf ihrem Weg aus allen Teilen des Flussge-
lich kantigen Schuttbrocken erfuhren diese Zurundung   Frankenwald oder dem Fichtelgebirge. Die Kanten-       bietes Steine ab. Dabei ist an den Kiesen und Geröl-
auf ihrem Weg vom Herkunftsgebiet zum weit entfern-    rundung des mechanisch sehr widerständigen Gerölls     len deutlich zu erkennen, welche Gesteine von den
ten Ablagerungsort. Dabei stießen sie häufig mit an-   zeigt, dass es vom Main hierher transportiert wurde.   Bachquellen stammen und welche erst im Verlauf der
deren Steinen zusammen und verloren dabei immer        Die Zusammensetzung der eiszeitlichen Flussablage-     Bachstrecke mitgenommen wurden.
Driftblöcke
     Bei Driftblöcken handelt es sich um auffallend große      Heute werden die großen Blöcke beim Sand- oder
     Gesteinsblöcke innerhalb der Sand- und Schotter-          Kiesabbau entdeckt und nicht selten für die Gestal-
14   bänke großer Flussbetten. Zumeist bestehen diese          tung von Vorgärten und Freiflächen verwendet.
     Blöcke aus Gesteinen, wie sie im weiten Umkreis des
     Fundortes nicht vorkommen. Im Gegensatz zu den
     kleineren, abgerundeten Flussgeröllen wurden Drift-
     blöcke nicht im Wasser transportiert, sondern trieben
     während der Schneeschmelze auf großen Eisschollen
     nicht selten viele Kilometer flussabwärts, bis sie von
     den Schollen abglitten und im Flussbett liegen blieben.
                                                                                                              Driftblöcke aus eiszeitlichen Sedimenten des Rhein-Main-Gebiets
Windkanter aus der Umgebung von Hanau
Sammlung Wetterauische Gesellschaft

Windkanter
Die von Bächen transportierten Schuttbrocken und
Kiese zeigen oft auch deutliche Merkmale kräftiger
Windwirkung, den so genannten „Windschliff“.                                            15
Dieser Windschliff macht sich in einer Politur und
der Umformung der Gerölle zu so genannten
„Windkantern“ bemerkbar. Man unterscheidet
„Zweikanter“, „Dreikanter“ und „Vierkanter“.

Verursacht wird der Windschliff durch den Sand,
der bei starken Winden mitgeführt wird: Wie ein
Sandstrahlgebläse schleift und poliert er die Ober-
flächen fester Gesteinsbrocken.

                                                      Großer Windkanter Zentralisland
                                                                               1979
Die Eiszeit …
     … und ihr Erscheinungsbild im Rhein-Main-Gebiet

     Im Gegensatz zu den Vereisungsgebieten in Nord-      Dauerfrostboden war zeitweise sehr verbreitet. In         schwemmten große Mengen an Verwitterungsmaterial
16   und Süddeutschland gab es im Rhein-Main-Gebiet       den kältesten Zeiten hat nur Tundrenvegetation an         in die größeren Flussbetten. Rhein, Main und ihre
     und den angrenzenden Mittelgebirgen nie Gletscher.   geschützten Stellen des Tieflandes existiert. Intensive   Nebenflüsse „ertranken“ in dieser Schuttfracht und
     Stattdessen erlebte diese Region Klimabedingungen,   Prozesse der Verwitterung und Abtragung prägten           bildeten große Schotterbetten. Die Wirkung des
     die zeitweise denen in heutigen Kältesteppen und     unsere damalige Landschaft. An Hängen fand                Windes war in trockenen Zeiten enorm.
     Frostschuttzonen in Gletschernähe sehr ähneln.       flächenhaftes Bodenfließen statt, selbst kleine Bäche
Temperaturschema 1                                                                    Temperaturschema 2
Globale Temperaturänderungen der letzten 5,3 Millionen Jahre                          Temperaturänderungen in der Antarktis der letzten 420.000 Jahre
auf der Basis von Tiefseesedimenten                                                   auf der Basis von Bohrkern Vostok

Wann ließ die Eiszeit das Rhein-Main-Gebiet gefrieren?
Gegen Ende der Tertiärzeit, vor mehr als 3 Millionen   im Verlauf der letzten Million Jahre. In dieser Zeit wie-   vor allem auf der Nordhalbkugel. Die Inlandverei-
Jahren, kam es auf der Erde zu einer merklichen Ab-    derholte sich der Klimawechsel mehrmals in einem            sung Skandinaviens erreichte zum Beispiel mehrfach
kühlung: Das bei uns herrschende warme Subtropen-      nahezu regelmäßigen Rhythmus: Die Eiszeiten –               Norddeutschland; aus den Alpen rückten Gletscher
klima änderte sich und näherte sich unserem heutigen   „Glaziale“ – dauerten etwa 90.000 bis 100.000               ins Alpenvorland vor. Man spricht daher in diesem
gemäßigten Klima an.                                   Jahre, die dazwischen liegenden Warmzeiten – „In-           Zusammenhang von „Eiszeiten“. Im Verlauf dieser         17
                                                       terglaziale“ – dagegen nur jeweils etwa 10.000 bis          kältesten Klimaabschnitte kam es bei uns – im damals
Vor etwa 2,6 Millionen Jahren setzte dann eine Peri-   20.000 Jahre.                                               nicht vergletscherten Gebiet – zur Bildung von Dauer-
ode ein, in der ein starker Temperaturrückgang immer                                                               oder Permafrostböden.
wieder mit Zeiten der Wiedererwärmung wechselte.       Die Temperaturen während der Kaltzeiten sanken
Dieser Umschwung zu einem vielfachen Wechsel von       stärker als zuvor. Die Folge davon war eine weltweite
Kaltzeiten und Warmzeiten verstärkte sich besonders    Vergletscherung von Gebieten beträchtlicher Größe,

Temperaturschema 3                                                                    Alle Grafiken nach:
Temperaturänderungen in Grönland der letzten 50.000 Jahre                             Bubenzer/Radke: Natürliche Klimaänderung, in:
auf der Basis von Eisbohrkernen                                                       Endlicher/Gerstengabe (Hg.): Klimawandel, Potsdam 2007
Wie sah die Landschaft in der Eiszeit aus?
     Beispiel: Flusslandschaft                                  Wassermassen. Dieses Hochwasser transportiert            Während der vorletzten Eiszeit erreichte das Flussbett
     Um eine genauere Vorstellung von den kältesten Ab-         riesige Mengen Gesteinsschutt. Größere Flussbetten       des Mains 5 km Breite! Der Rekord im Rhein-Main-
     schnitten der Eiszeiten zu entwerfen, hilft zum Beispiel   sind jetzt meist mehrere Kilometer breit. Erst wenn      Tiefland liegt in einer früheren Eiszeit sogar bei etwa
18   ein Vergleich mit heutigen arktischen Regionen, mit        das Hochwasser allmählich zurückweicht, gibt es          20 km zwischen dem Vorspessart und dem Sprendlin-
     der dortigen Tundrenlandschaft, der lang anhalten-         den Blick auf den zuvor überfluteten Talboden frei:      ger Horst. Während der kältesten Phase der letzten
     den Schneebedeckung, mit dauerhafter Bodenge-              Dieser zeigt sich als enorm breite Schotterebene,        Kaltzeit pendelte der Fluss immerhin über ein bis zu
     frornis und sehr, sehr kurzen Sommern.                     in der sich nur noch vereinzelte Flussarme in Rinnen     2,5 km breites Schotterbett, das er zu großen Teilen
                                                                zwischen Unmengen von Blöcken, Geröllen, Kiesen          selbst herangeschafft und abgelagert hatte. Unüberseh-
     Wenn dort die Schneeschmelze beginnt und die               und Sanden langsam verlieren.                            bar ist aber auch der Einfluss der Nebenflüsse Kinzig
     Eisdecke aufbricht, führen Bäche und Flüsse enorme                                                                  und Kahl; sie lieferten ebenfalls einen beachtlichen

                                                                                                                  Schwemmfächer der Nebenbäche des Adventsflusses
                                                                                                                                                                   Spitzbergen
                                                                                                                                                                         1973
                                                                                                                     Die im Sommer entstandene Aufnahme zeigt eine ähnliche
                                                                                                                  Situation, wie wir sie uns für die Flusslandschaft während der
                                                                                                                      vorletzten Kaltzeit vorstellen müssen. Der Hauptfluss Main
                                                                                                                      würde dementsprechend mit reichlich Sedimentfracht von
                                                                                                                          Nebenflüssen versorgt, die bei der Einmündung in das
                                                                                                                              Haupttal ausgedehnte Schwemmfächer ausbilden.
Anteil an eigener Geröllfracht. Beim Austritt aus den      tern die oberste, rund 50 cm mächtige Schicht, das       eisenbändern als „Bänderbraunerde“ bezeichnet
engen Tälern in die Untermainebene bildeten beide          „Decksediment“. Damals war der Untergrund erneut         wird. Er ist die Grundlage heutiger landwirtschaft-
Flüsse breite Schwemmfächer aus und reicherten das         dauerhaft gefroren. Nur der oberste halbe Meter taute    licher Nutzung.
Gesteinsspektrum der Mainkiese beträchtlich an.            während des kurzen Sommers auf. Lückenhaft bedeck-                                                             19
                                                           te Tundrenvegetation die Bodenoberfläche, während
Vor ca. 20.000 Jahren begann der Main, sich erneut         der Wind feinen Lösslehm verwehte. Der Lösslehm
einzuschneiden. Weite Teile des Schotterbetts fielen da-   wurde durch Frostvorgänge in den Boden eingearbei-
bei trocken. In der Jüngeren Tundrenzeit, der letzten      tet. In der Nacheiszeit, dem Holozän, bildete sich auf
Kaltphase am Ende der Eiszeit vor etwa 12.700 bis          dieser Schicht der heutige Oberflächenboden, der
11.600 Jahren, bildete sich schließlich auf den Schot-     wegen seiner Braunfärbung und den enthaltenen Ton-

T6-Terrasse des Mains bei Karlstein-Dettingen
Lackprofil, 1997
In der letzten Kaltzeit war das Flussbett des Mains
bei Hanau immerhin bis zu 2,5 Kilometer breit.
Während der vorletzten Eiszeit erreichte das Flussbett
des Mains sogar 5 Kilometer Breite.
Wie sah die Landschaft in der Eiszeit aus?
     Beispiel: Dünenlandschaft
     In der Arktis lässt nach dem Ende der Schneeschmelze       An trockenen Tagen fegt dann der Wind über den           Während der kältesten Abschnitte der letzten Eiszeit
     im kurzen Sommer die Wasserführung in den einzel-          Talboden. Er bläst feinkörniges Material – den Sand      wurden im Hanauer Raum helle Flugsande verweht
20   nen Flussrinnen stark nach. Nur noch einige wenige         und den Staub – aus und schleift und poliert damit zu-   und besonders vor dem Anstieg des Vorspessarts zu
     Flussrinnen führen Wasser, die breiten Schotterbetten      gleich größere Steine. So entstehen Windkanter. Der      mächtigen Dünen aufgetürmt. Der Wind wehte wäh-
     liegen zum größten Teil trocken.                           schwerere (Flug-)Sand wird auf nahe gelegenen, hö-       rend der extrem trocken-kalten Phasen vornehmlich
                                                                heren Geländeteilen bald wieder abgesetzt. Er bildet     aus ganz bestimmten Richtungen: Sowohl die zahlrei-
     Der ständige Wechsel zwischen Tauen am Tag und             dort Flugsanddecken und Dünen. Der feinere Löss-         chen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Querdünen
     Gefrieren in der Nacht lässt den Frost die nun frei lie-   staub wird vom Wind jedoch weiter verfrachtet und        als auch die nach Westen offene flache Seite der Pa-
     genden Gesteinsbrocken sprengen. Er zerkleinert sie        bedeckt oft flächenhaft den Untergrund entfernterer      rabeldünen belegen, dass vornehmlich westliche
     so lange, bis lediglich Staub und Sand übrig bleiben.      Gebiete.                                                 Winde die Flugsande im Hanauer Raum verfrachteten.

     Naturschutzgebiet Alzenauer Dünen
     2008
Seltener finden sich Dünen mit einer Südwest-Nordost-   Gegen Ende der letzten Kaltzeit vor ca. 12.900 Jah-   ckelte sich in der Nacheiszeit ein Boden aus Bänder-
Erstreckung, für deren Aufhäufung südwestliche          ren wurden die Sande dann von vulkanischen Aschen     braunerde. Flächenhafte Abholzung nach dem Drei-
Winde in Frage kommen. Im Alzenauer Dünenfeld           aus der Osteifel bedeckt, die von einem gewaltigen    ßigjährigen Krieg ermöglichte in jüngster Vergangen-   21
lässt sich die Hauptwindrichtung zudem durch das        Ausbruch im Laacher Kessel stammen. Der Wind ver-     heit wieder die Verwehung von Flugsanden, so dass
Vorhandensein von Flugkiesen belegen. Diese unge-       wehte die Vulkanaschen während der folgenden Kalt-    die Braunerde bedeckt wurde. Mittlerweile liegt auf
wöhnlich großen, von Winden in Orkanstärke trans-       phase in der Jüngere Tundrenzeit vor ca. 12.700 bis   diesem fast reinen Quarz-Flugsand erneut ein dünner,
portierten und geschliffenen Körner mit einem Durch-    11.600 Jahren zusammen mit Lösslehm und Sand.         nährstoffarmer Boden, der nur anspruchslosen Pflan-
messer von bis zu 2 cm kommen nur bei den westli-       Diese Ablagerungen wurden in den damals vorhan-       zen Nahrung bietet.
chen Dünen auf den höchsten Geländepositionen vor.      denen Auftauboden eingearbeitet und bildeten das
Dagegen fehlen sie auf den östlichsten Sandhügeln.      etwa 50 cm mächtige Decksediment. Auf ihm entwi-

                                                                                                              Arktische Sanddüne,
Flugsande mit Decksediment und jungen Decksanden
                                                                                                              Zentralisland
Lackprofil aus einer Sandgrube in Alzenau, 2002
Sammlung Wetterauische Gesellschaft
Die Eiszeit …
     … und das Leben
     Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren entstand das Leben.       Unsere heutige Vorstellung vom Leben in der Eiszeit   Das bei weitem erfolgreichste Lebewesen, das aus
     Wie der jüngste Wimpernschlag der Erdgeschichte          ist geprägt vom Großwild der Mammutsteppe, wie        dem letzten Eiszeitalter hervorging, war der Mensch –
22   mutet dagegen das letzte Eiszeitalter an, das erst vor   es Mitteleuropa in den Kaltzeiten bewohnte. Die       er ist ein Kind der Eiszeit!
     rund 2,5 Millionen Jahren begann. Zu keiner Zeit ge-     zwischenzeitlichen Warmphasen ermöglichten –
     fährdeten Klimaveränderungen das Leben auf der           vor allem in Europa – jedoch auch das Entstehen
     Erde in seiner Existenz – jedoch veränderte jeder Kli-   von Tier- und Pflanzengesellschaften, die so gar
     mawechsel massiv die Zusammensetzung von Floren          nicht in unser Bild der Eiszeit passen.
     und Faunen.
Achtblumenblättrige Silberwurz               Kraut-Weide                                   Beifuß                                             Schwingel
„Dryas octopetala“                           „Salix herbacea“                              „Artemisia borealis“                               „Festuca sibirica“

      Welche Pflanzen gediehen während der Eiszeit?
      Mit dem Wechsel der eiszeitlichen Kalt- und Warm-      Mit dem Anstieg der Temperaturen zu Beginn jeder        der Pollenanalyse: Jahr für Jahr lagerten sich Pollen
      phasen wandelte sich auch die Zusammensetzung          Warmphase verdichtete sich stufenweise auch der         der regionalen Pflanzenwelt am Boden ab. An ge-
      der Flora. Charakteristisch für die kältesten Phasen   Baumbewuchs: Den Birken folgten in der Regel Kie-       schützten Stellen – etwa in Seen – blieben diese jähr-
      war eine Pflanzengesellschaft, die als Kälte- oder     fern, später dann Ulmen, Eichen und andere Gehölz-      lich entstehenden Schichten erhalten. In Bodenproben
      Mammutsteppe bezeichnet wird. Sie wurde geprägt        arten. Ganz Mitteleuropa war waldbedeckt, bis er-       lassen sich die Pollen aufspüren, bestimmen und zäh-           23
      von niedrigen kraut- und strauchartigen Gewächsen,     neute Abkühlung wieder zeitweise Kältesteppen ent-      len, so dass ein recht präzises Bild der örtlichen Ve-
      wie Krautweide, Silberwurz, Steinkraut oder            stehen ließ.                                            getation zu einer bestimmten Zeit entsteht. Anhand
      arktischem Mohn. An geschützten Stellen hielt sich                                                             der Schichtung lassen sich auch Veränderungen in
      schütterer und niedriger Birkenwald und an sumpfi-     Paläontologen und Klimaforscher nutzen unterschiedli-   der Pflanzengesellschaft feststellen, die Aussagen
      gen Standorten, die im Rhein-Main-Gebiet häufig        che Methoden, um eiszeitliche Pflanzengesellschaften    über den Klimaverlauf erlauben.
      waren, gediehen Moose, Seggen und Sumpfgräser.         zu rekonstruieren. Vor allem bedienen sie sich dabei

                                                                                                                     Arktische Pflanzen aus Gärtnereien für Stein- und Ziergärten

Roter Steinbrech                             Arktische Binse                               Schnabel-Segge                                     Sandkraut
„Saxifraga oppositifolia“                    „Juncus arcticus“                             „Carex rostrata“                                   „Arenaria norvegica“
Welche Tiere lebten im Rhein-Main-Gebiet?
     Der Wandel der Tierwelt zwischen den Kalt- und          drangen Tiere aus dem Süden vor: Waldelefanten,         kalkhaltigen Quellen gefunden werden. Für das
     Warmzeiten war in Europa stärker ausgeprägt als in      Waldnashörner, Bisons und sogar Flusspferde! Die        Rhein-Main-Gebiet spielen jedoch die Ablagerungen
     anderen Teilen der Erde. Temperaturveränderungen        Pflanzenfresser folgten dabei stets ihrem Nahrungsan-   der beiden großen Flüsse als Fundorte eine beson-
     führten hier stets auch zu massiven Schwankungen        gebot, das besonders stark von klimatischen Verände-    dere Rolle. Dazu zählen auch die „Mosbacher
24   der Niederschlagsmengen. Es wechselten trocken-         rungen abhing. Raubtiere waren weniger klimaab-         Sande“ bei Wiesbaden, die vor rund 600.000 Jah-
     kalte mit feucht-warmen Klimaverhältnissen. Mit jeder   hängig – sie fanden fast immer Beute und kamen da-      ren im einstigen riesigen Schwemmfächer des Ur-
     hereinbrechenden Kaltphase wanderte aus dem             her oft gleichermaßen in Kalt- und Warmzeiten vor.      mains entstanden. In ihnen wurden einerseits
     Nordosten das Großwild der Mammutfauna in Mittel-                                                               Kadaver abgelagert, die der Fluss heranschaffte, und
     europa ein: Neben Steppenelefant und Mammut ge-         Paläontologen schöpfen ihr Wissen aus Fossilien, die    andererseits kamen zahlreiche Tiere direkt vor Ort –
     hörten dazu Wollnashörner, Rentiere, Moschusochsen      vor allem in Höhlen, kleineren Seebecken, angeweh-      vor allem durch Beutegreifer – ums Leben. 65 Säuge-
     und Pferde. Während der Warmzeiten hingegen             ten Lössschichten oder den Travertinablagerungen an     tierarten wurden bislang entdeckt!

     Fossilien aus den Mosbacher Sanden
     Unterkiefer eines Steppenelefanten „Mammuthus trogontherii“
     Unterkiefer eines Altbibers „Trogontherium cuvieri“
     Unterkiefer eines Wildpferds „Equus mosbachensis“
     Eckzahn eines Flusspferds „Hippopotamus antiquus“
     Schädel und Oberkiefer einer Hyäne „Hyaena spec.“
     Museum Wiesbaden
Mammut                                                         Waldwisent
„Mammuthus primigenius“                                        „Bison schoetensacki“

                                                                                                                                    Höhlenlöwe
                                                                                                                                    „Panthera leo spelaea“

Tiere der Kaltzeiten                                     Tiere der Warmzeiten                                     Raubtiere im Rhein-Main-Gebiet
Im Rhein-Main-Gebiet lebte das Großwild der letzten      Das Artenspektrum der letzten, so genannten Eem-         Im Vergleich zu den Pflanzenfressern waren Raubtiere
Kaltzeit auf weiten, ebenen und von Flussläufen durch-   Warmzeit vor rund 120.000 Jahren ähnelte in Teilen       eher selten. Ihre eiszeitliche Verbreitung belegen ein-
zogenen Steppenflächen, deren Kräuter- und Grasbe-       heutigen Verhältnissen. Mitteleuropa war von Wäldern     zelne verstreute Fundstellen, wobei zahlreiche Raub-
stände ausreichend Nahrung boten. Aus der Zeit des       bedeckt, in denen Rehe und Elche, Wildschweine           tierreste in Höhlen entdeckt wurden. Viele Großräuber
letzten Hochglazials vor etwa 20.000 Jahren, als die     und Wisente lebten. Einige charakteristische Arten       tragen daher den entsprechenden Namenszusatz,             25
Temperaturen ihren niedrigsten Stand erreichten, feh-    der Warmzeiten überlebten allerdings die folgende        wie etwa der Höhlenbär, der Höhlenlöwe oder die
len allerdings fossile Funde: Scheinbar trotzten keine   Kaltzeit nicht: Waldelefanten und Waldnashörner          Höhlenhyäne. Einen Hinweis auf deren Lebensweise
oder nur wenige Lebewesen den widrigen Umweltbe-         starben endgültig aus. Andere Tiere kehrten zu Be-       gibt die Benennung nicht! So sind auch in der Rhein-
dingungen. Mit der folgenden Erwärmung kehrten           ginn des Holozäns (Nacheiszeit) nicht mehr zurück,       Main-Ebene große Beutegreifer durch einzelne fossile
die Tiere zurück; ihre Artenvielfalt hatte sich jedoch   wie etwa der Wasserbüffel oder das Flusspferd. Im        Knochenfunde nachweisbar, obwohl die flache Fluss-
reduziert: Charakteristische Eiszeitbewohner, wie der    Gegensatz zum Großwild der Kältesteppen durch-           landschaft zu keiner Zeit Höhlen aufwies.
Höhlenbär, fehlten völlig; Mammut und Wollnashorn        streifte das warmzeitliche Wild die Waldlandschaft
waren selten und starben bald aus. Andere eiszeitli-     nicht in großen Herden, sondern allein oder allenfalls
che Wildarten, wie Rentiere oder Saigaantilopen,         in kleineren Verbänden.
zogen in den Norden und überlebten bis heute.

   Steppennashorn                                            Flusspferd                                                     Hyäne
   „Stephanorhinus etruscus“                                 „Hippopotamus antiquus“                                        „Hyaena spec.“
Unterkiefer des „Homo heidelbergensis“

     Lebten hier Menschen während der Eiszeit?
     Vor etwa 6 Millionen Jahren lebten in Afrika die frü-      Aus ihr entwickelte sich schließlich vor 200.000 –   Die Rekonstruktion der menschlichen Evolutionsge-
     hesten Hominiden, aus denen sich vor rund 2,6 Mil-         300.000 Jahren der Neanderthaler als eine auf        schichte ist schwierig, weil die zur Verfügung stehen-
     lionen Jahren der Mensch entwickelte. Zu genau der-        Europa beschränkte Menschenform. Nachweislich        den Quellen sehr spärlich fließen. Nur einige wenige,
     selben Zeit brach das Pleistozän – das Eiszeitalter –      durchzog er auch Hessen und das Rhein-Main-Ge-       meist zufällig gemachten Einzelfunde müssen den Pa-
26   an! Nach Mitteleuropa gelangte die Gattung Mensch          biet. Als dann der moderne Mensch – der „homo        läoanthropologen genügen. Zudem ist die Altersbe-
     erst viel später. Ihren Auftritt nördlich der Alpen mar-   sapiens sapiens“ – aus Afrika kommend Mitteleuropa   stimmung außerordentlich mühsam. Erst mit dem Ende
     kiert der Fund eines Unterkiefers in Mauer bei Heidel-     erreichte, wich der Neanderthaler der Konkurrenz.    der Eiszeit und mehr noch mit der neolithischen Revo-
     berg mit einem Alter von rund 560.000 Jahren. Der          Vor etwa 30.000 Jahren verschwand er vollständig.    lution, als die Menschen begannen, Landwirtschaft zu
     Zuzug dieser „homo heidelbergensis“ genannten              Der moderne Mensch aber blieb. Nach dem Ende         betreiben, ändert sich die Fundsituation.
     Spezies erfolgte im Lauf einer Warmphase und war           des letzten Hochglazials wuchs seine Population
     zunächst nicht dauerhaft. Alle Knochenfunde der            stetig: 5,5 Millionen Menschen leben heute im
     folgenden 350.000 Jahre zählen zur selben Art.             Ballungsgebiet Rhein-Main.

                                                                                                                                                    Alzenauer Faustkeil
                                                                                                                                                 Alter ca. 100.000 Jahre
                                                                                                                                          Museen der Stadt Aschaffenburg
Gravierte Schieferplatte aus Neuwied-Gönnersdorf
(Replik)
Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz
Direktion Archäologie, Außenstelle Koblenz

Geröllgeräte aus Münzenberg                               Die Gönnersdorfer Schiefertafeln                       Paläolithische Werkzeuge aus Bruchköbel
In den 1950er Jahren wurden bei Münzenberg zahl-          1968 wurden in einer Lössschicht in Neuwied-Gön-       1980/81 wurde im Bruchköbler Wald eine stattliche
reiche Geröllgeräte, so genannte „Pebbletools“, ge-       nersdorf Knochen, Steinwerkzeuge und Schiefertafeln    Anzahl späteiszeitlicher Steinartefakte entdeckt. Sie
funden. Grabungen förderten 4.400 Fundstücke –            entdeckt. Den Löss überdeckte eine Bimsschicht, die    entstanden 11.000 bis 12.000 Jahre vor Christi Ge-
durchweg einfach behauene Steinbrocken – zu Tage.         sich beim Ausbruch des Laacher-See-Vulkans vor rund    burt. Die eiszeitlichen Jäger hielten sich damals be-
Man sprach von der „Münzenberger Geröllgeräte-            12.900 Jahren abgelagert hatte: Die Funde stammen      wusst in der Gegend auf, fanden sie hier doch geeig-
Industrie“. Mehrmals musste die Datierung des Fund-       aus der Eiszeit! Es wurden drei größere Bauten und     nete Steine für die Werkzeugherstellung. Vor Ort kam    27
komplexes korrigiert werden; mittlerweile wird eine       vier Stangenzelte ergraben, die eine wiederholt be-    vor allem Quarzit massenhaft vor. Er ließ sich leicht
Warmphase der Cromer-Folge vor etwa 550.000               wohnte und verlassene Siedlung anzeigen. Feuerstel-    bearbeiten, und seine glasähnlichen Eigenschaften
Jahren bevorzugt. Dennoch ist die Funddeutung um-         len, Kochgruben, Tierknochen und Werkzeuge geben       erlaubten die Herstellung scharfer Schneidekanten.
stritten: Sind es wirklich Artefakte? Oder sind die Ab-   Einblicke in den Alltag einer Menschengruppe, die      Seltener wurden Chalzedon, Quarz und Kieselschie-
schläge vielmehr natürlich oder zufällig entstanden?      vornehmlich von der Jagd lebte. Neben der Jagd         fer verwendet. Windschliff an den Steingeräten zeigt,
Mikroskopische Untersuchungen der Universität Müns-       selbst und der anschließenden Verarbeitung der Beute   dass die Menschen das Material einfach an der Erd-
ter lieferten 1991 gewichtige Argumente: An einigen       nahm vor allem die Werkzeugherstellung viel Zeit in    oberfläche auflasen. Die Beschaffung war unproble-
Stücken wurden Arbeitsspuren – Polituren der Kristall-    Anspruch. Die Archäologen fanden insgesamt etwa        matisch. Entsprechend sorglos verfuhren sie daher
struktur – entdeckt. Sie belegen, dass die behauenen      70.000 Steinartefakte! Von ganz besonderer Bedeu-      auch bei der Bearbeitung. Die Waffen und Werk-
Steine weiter benutzt wurden.                             tung waren die zahlreichen Bildwerke, die vor allem    zeuge wurden schnell gefertigt und waren funktional.
                                                          in Schiefer geritzte Tiere und Frauen darstellen.      (Text: Dr. S. Loew)

                                         Pebbletool aus Münzenberg
                                         Oberhessisches Museum, Gießen                                                                        Kratzer aus Bruchköbel
                                                                                                                                             Museen der Stadt Hanau
Die Eiszeit …
     … und wo sie heute zu finden ist
     Heutige „Eiszeitgebiete“ können nur beschränkte Mo-     herrscht dort kein Eiszeit-, sondern ein Polarklima!   Dennoch können solche Gebiete uns in ihrer Vielfalt
28   mentaufnahmen von Merkmalen liefern, wie sie in der     Und in Sibirien kommt zwar Dauerfrostboden vor –       einen Gesamteindruck von Eiszeit-Landschaften bieten.
     „echten“ Eiszeit global und über längere Zeiträume      doch verbreitet sogar unter ausgedehnten Wäldern,
     hinweg auftraten.                                       statt unter eiszeitähnlicher Tundrenvegetation!

     Daher spiegeln die rezenten „Eiszeitgebiete“ die Be-    Nicht alle Fragen nach den Eiszeiten können daher
     dingungen der Eiszeit nur zum Teil wider: In der Ark-   durch die Betrachtung eines einzelnen Gebietes mit
     tis bedecken zwar Gletscher viele Gebiete – dennoch     eiszeitähnlichen Verhältnissen beantwortet werden.
                                                                                                                    Rentiere in der Tundra Spitzbergens
                                                                                                                    1973
Tal in Nordisland während des Sommers   Tundra in Südwestisland bei Hveravellir
1979                                    1979

                                                                                  29

Talaue in Südisland                     Unteres Adventstal in Spitzbergen
1979                                    1973
Wo herrschen heute eiszeitliche Bedingungen?
     Gebiete mit Gletscherbedeckung oder in Gletscher-       im Umkreis heutiger Gletscher finden sich solche         vegetation, das Bodenfließen an den Hängen, die
     nähe finden wir heute bevorzugt auf der Nordhalb-       Dauerfrostgebiete.                                       tägliche intensive Frostverwitterung, die Bildung
     kugel in allen höheren Breitenlagen: So etwa in Grön-                                                            hoher Schneedecken in langen Wintern, die jähr-
     land, in der kanadischen Arktis, auf Spitzbergen,       Auf der Südhemisphäre kommen vergleichbare               lichen extremen Hochwässer und großflächigen
30   auf den russischen Inselgruppen im Eismeer oder auf     Gebiete vor allem auf dem antarktischen Kontinent        Überschwemmungen bei der Schneeschmelze, die
     Island. Kleinräumlichere Areale sind in den Hochge-     sowie in kleinem Maße im Süden Südamerikas vor.          enorme Schuttfracht der Flüsse, die Sand- und Staub-
     birgen Asiens verbreitet, aber auch in den europäi-                                                              verwehungen sowie der Wechsel feucht-kalter und
     schen Hochgebirgen: In den Alpen, den Pyrenäen,         Heutige „Eiszeitgebiete“ können niemals sämtliche        trocken-kalter Perioden.
     den Karpaten und dem Skandinavischen Gebirge.           Bedingungen der Eiszeit zugleich erfüllen. Einzelne
     Niedriger gelegene Gebiete mit Dauerfrostboden          wesentliche Elemente eiszeitlicher Verhältnisse lassen
     nehmen große Teile von Nordrussland und Sibirien        sich dort jedoch beobachten. Hierzu zählen etwa
     ein sowie das Nordwestterritorium Kanadas. Auch         der tiefreichende Dauerfrostboden, die Tundren-          Talaue des Adventstals in Spitzbergen
                                                                                                                      1973
„Lebender“ Blockstrom in der                  Schottersohle eines Nebentälchens
Frostschuttzone in Spitzbergen                   des Adventstals in Spitzbergen
1973                                                                      1973

                                   Permafrostverbreitung auf der Nordhemisphäre
                                                                                  31
                                   Karte nach: Péwé, Troy L. in:
                                   The heritage of engineering geology.
                                   Boulder/Colorado 1991

Schwemmfächer eines Seitenbaches                       Talboden des Jansonstals
des Adventsflusses                                              in Spitzbergen
1973                                                                     1973
Die Eiszeit …
     … und ihre Erforschung
     Der Beginn der Erforschung der Eiszeiten reicht bis     während einer Eiszeit transportiert worden waren,    auch, dass die Kaltklimaperioden selbst kein gleich-
32   in das 19. Jahrhundert zurück. Im Mittelpunkt standen   muss seinerzeit als Sensation empfunden worden       mäßiges Klima aufwiesen: Wie auch in den Warm-
     damals die eindrucksvollen Spuren der ehemaligen        sein. Noch lange Zeit danach haben Generationen      zeiten gab es wiederholte Klimaschwankungen.
     Inlandvereisung Norddeutschlands und die Verglet-       von Schülern vier nach süddeutschen Flüssen be-
     scherung der Alpen und ihrer Vorländer.                 nannte Eiszeiten auswendig gelernt.                  Solche Erkenntnisse verdanken wir einer Fülle von
                                                                                                                  Forschungen sehr verschiedener Fachrichtungen,
     So gaben die bis zu hausgroßen eiszeitlichen Find-      Heute wissen wir, dass es während der letzen ca.     die weltweit ihre Untersuchungen durchführen und
     linge Rätsel auf. Die Erkenntnis, dass diese riesigen   2,6 Millionen Jahre viel häufiger zu einem Wechsel   häufig miteinander kooperieren.
     Blöcke in der jüngsten Erdgeschichte von Gletschern     zwischen Kalt- und Warmzeiten kam. Wir wissen
Geologe bei Grabun-
                              gen in den Mittelter-
                                                          Archäologische Grabung                                     Paläontologinnen beim
                              rassen der Kahl
                                                          in Ruffenhofen, Mittelfranken                              Schlämmen von Erdsaushub
                              Januar 2005
                                                          August 2005                                                August 2008

Wer erforscht heute die Eiszeit?
Geologie und Bodenkunde                                   Archäologie                                                Paläontologie
Die Geologie beschäftigt sich mit der Erforschung         Die „Altertumskunde“ interessiert sich für sämtliche       Die Paläontologie erforscht die Lebewesen vergan-
der Erde, mit ihrem Aufbau, ihrer Zusammensetzung,        Hinterlassenschaften der Menschen früherer Kulturen        gener Erdzeitalter, indem sie fossile Organismenreste
ihrer Struktur und mit allen Prozessen, die sie bis       weltweit! Für die Eiszeitforschung ist nur die prähisto-   und andere Hinterlassenschaften vorzeitlicher Lebe-     33
heute formen. Das Eiszeitalter ist das Forschungsfeld     rische Archäologie von Bedeutung. Ihr Arbeitsgebiet        wesen untersucht. Mit ihren Forschungsergebnissen
der Quartärgeologie, die in den letzten Jahrzehnten       betrifft die ältesten kulturellen Überlieferungen der      zum Floren- und Faunenwandel während der Klima-
an Bedeutung gewonnen hat.                                Menschheitsgeschichte, von den frühesten Werkzeu-          veränderungen im Laufe des Eiszeitalters leistet die
                                                          gen vor rund 2,6 Millionen Jahren bis zu den Anfän-        Paläontologie einen bedeutenden Beitrag zum Ver-
Klimatologie                                              gen der Schriftlichkeit in Europa zur Zeitenwende.         ständnis der Wechselwirkungen zwischen Umwelt-
Die Paläoklimatologie rekonstruiert die Klimate vergan-                                                              bedingungen und Biosphäre.
gener Zeiten. Doch gibt es Messinstrumente für klima-     Glaziologie
relevante Daten erst seit Kurzem. Zuvor mussten For-      Die Glaziologie befasst sich mit dem Auftreten von Eis     Paläoanthropologie
scher Erkenntnisse zu früheren Klimaverhältnissen indi-   und Schnee in den verschiedenen Ausbildungsformen.         Auch die Paläoanthropologie befasst sich, wie die Ur-
rekt aus so genannten „Klimazeugen“ ableiten. Dazu        Dabei erforschen die Wissenschaftler auch die Klima-       geschichtsforschung, mit der Entwicklung der Mensch-
zählen fossile Pflanzen und Tiere ebenso wie Ver witte-   geschichte. Sie entnehmen mit Hohlbohrern Eiskerne         heit. Sie versucht jedoch anhand fossiler Reste den
rungsvorgänge und Sedimentationserscheinungen.            aus Gletschern der Polregionen. Ein solcher Bohrkern       Verlauf der menschlichen Evolution zu rekonstruieren.
                                                          aus der Antarktis ist etwa 3.270 Meter lang und an         Damit steht sie auch der Paläontologie nahe.
                                                          seinem unteren Ende rund 900.000 Jahre alt. Er ent-
                                                          hält wichtige Informationen über die Zyklen der Eiszeit.

                                    Klimatologe                                                       Glaziologe
                                    Foto: H. Gericke                                              Foto: H. Oerter
                                    Quelle: Alfred-Wegener-Institut                Quelle: Alfred-Wegener-Institut
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