POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft

 
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POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POLYTECHNIK
I N F O R M A T I O N E N A U S D E R S T I F T U N G P O LY T E C H N I S C H E G E S E L L S C H A F T F R A N K F U R T A M M A I N
                                                      AUSGABE 2 / 2020

                                                                                                                                    N G P O LY
                                                                                                                           F   TU                 TE
                                                                                                                        TI

                                                                                                                           15

                                                                                                                                                      C
                                                                                                                   S
                                                                                                                                DI E

                                                                                                                                                       H
                                                                                                                                       ER

                                                                                                                                                       NI
                                                                                                                                            ST
                                                                                                                                                 EN

                                                                                                               M AIN

                                                                                                                                                          SCHE GESE
                                                                                                                           JA H

                                                                                                                AM
                                                                                                                                      RE

                                                                                                                  RT

                                                                                                                                                       LL
                                                                                                                       U
                                                                                                                                                 SC
                                                                                                                        KF                  HA
                                                                                                                             F T FR AN

                 Entwicklungen
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Das Titelbild zeigt David Heun und Dr. Dirk-Hinnerk Fischer, die
2007 als Stadtteil-Botschafter für Nieder-Erlenbach die Idee hatten,
einen Kletterturm zu errichten. Wie sich das Projekt und die beiden
seitdem weiterentwickelt haben, erfahren Sie auf Seite 24.

                          »Danke für diese großartige
                      und lebensverändernde Möglichkeit!
                         Vermutlich wären die darauf-
                        folgenden Jahre ohne euch ganz
                               anders verlaufen.«
                                         EINE TEILNEHMERIN DES DEUTSCHSOMMERS 2009 –
                                                   D A M A L S Z E H N , H E U T E 1 9 J A H R E A LT.
                                             Z I TAT A U S D E R G E N E R AT I O N E N U M F R AG E D E S
                                                           DEUTSCHSOMMERS 2020.
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
INHALT
5                                                       15
     P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T        P R O F. D R . A N D R E A S G O L D
     UND JOHANN-PETER KROMMER

                                                             KEINEN ZURÜCKLASSEN
     NEULAND AUF GUTEM
                                                             Aktuelle Anforderungen an das
     FUNDAMENT                                               Bildungswesen
     Zur jüngsten Entwicklung und zukünftigen
     Ausrichtung unserer Stiftungsarbeit

                                                        18
                                                             STIMMEN ZUM THEMA

                                                             WIE KANN MAN SICH IN
                                                             DER STIFTUNG POLY-
                                                             TECHNISCHE GESELLSCHAFT
                                                             WEITERENTWICKELN?
                                                             Diese Frage beantworteten uns Menschen
                                                             aus unserem Stiftungsumfeld

                                                        20
                                                             ALEXANDER JÜRGS

                                                             WAS MACHT EIGENTLICH … ?
                                                             Zwei polytechnische Karrieren im Porträt

9
     FRIEDERIKE VON BÜNAU

     GEMEINSINN FÜR
     FRANKFURT
     Die Stiftung Polytechnische Gesellschaft
     als kooperative Stiftung

12
     KAROLINE LEIBFRIED

     DAS SIND DIE NEUEN

                                                        24
     Die jüngsten Projekte unserer Stiftung                  RÜCKBLICK

                                                             NAMEN UND
                                                             NACHRICHTEN
                                                             Kurzinformationen aus der Stiftung
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
EDITORIAL
  Liebe Leserinnen und Leser,

  wer hätte gedacht, mit welchen ungewöhnlichen Herausforderungen wir uns in unserem
  Jubiläumsjahr konfrontiert sehen? 2020 wird in unserer Rückschau nicht nur das Jahr
  des 15-jährigen Bestehens der Stiftung Polytechnische Gesellschaft sein. Es wird sicher
  auch als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die Corona-Pandemie den Alltag
  von Menschen auf der ganzen Welt grundlegend verändert hat.

  Aller Veränderung zum Trotz: Die Arbeit von Stiftungen hat im Zuge der Krise eher an
  Bedeutung gewonnen. Denn gerade in herausfordernden und unsicheren Zeiten zeigt
  sich der wertvolle Beitrag gemeinnütziger Stiftungen für unsere Zivilgesellschaft. Wann,
  wenn nicht jetzt, gilt es, flexible und kurzfristige Hilfen auf die Beine zu stellen und mit
  Augenmaß und Empathie auf die veränderte Situation einzugehen? Die Stiftung Polytech-
  nische Gesellschaft ist in diesen turbulenten Zeiten ein verlässlicher Partner für die
  Frankfurter Stadtgesellschaft. Mit Engagement und Elastizität haben wir uns rasch auf
  die veränderte Situation eingestellt, neue Routinen entwickelt und innovative Wege des
  (digitalen) Arbeitens beschritten.

  Wir haben mit polytechnisch-optimistischer Unverzagtheit auf Entwicklungen reagiert
  und unsere Aktivitäten entsprechend weiterentwickelt. So, wie es die Stiftung nunmehr
  seit 15 Jahren macht. Darum steht diese Ausgabe und mit ihr das ganze Jubiläum auch
  unter dem Motto »Entwicklungen« – nach »Wirkungen« zum fünfjährigen und »Prägungen«
  zum zehnjährigen Bestehen.

  Und über Entwicklungen gibt es eine Menge zu berichten: Unter dem Titel »Neuland
  auf gutem Fundament« schreibt unser Stiftungsvorstand über die jüngste Entwicklung
  und auch die zukünftige Ausrichtung der Stiftungsarbeit. Unsere Gastautorin Friederike
  von Bünau richtet ihren geschulten Blick auf den essenziellen Wert von Kooperationen
  innerhalb des dritten Sektors, Prof. Dr. Andreas Gold schreibt über die aktuellen
  Anforderungen an das Bildungswesen und Karoline Leibfried stellt unsere neuesten Pro-
  jekte vor, mit denen die Stiftung auf drängende Themen unserer Zeit reagiert. Natür-
  lich wird es auch diesmal zwei lesenswerte polytechnische Porträts geben. Sie zeigen
  besonders schöne Entwicklungen aus 15 Jahren Stiftung Polytechnische Gesellschaft.

  Viel Spaß bei der Lektüre!

  AXEL BRAUN

  Bereichsleiter Information, Kommunikation und Veranstaltungen
  der Stiftung Polytechnische Gesellschaft
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

NEULAND AUF
GUTEM
FUNDAMENT

Zur jüngsten Entwicklung und zukünftigen Ausrichtung
unserer Stiftungsarbeit.

V O N P R O F. D R . R O L A N D K A E H L B R A N D T
UND JOHANN-PETER KROMMER

                                                         5
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Schwerpunkt

 »Aufstieg durch Bildung
   zu ermöglichen – ein
 Versprechen, das unsere
  Gesellschaft auch und
gerade jetzt einlösen muss.«

Mit ihrem neuen Projekt Junge Pauls-
kirche leistet die Stiftung Polytechnische
Gesellschaft einen Beitrag zur Vermitt-
lung von Demokratiekompetenz.

                       Wir erleben einschneidende Veränderungen, die tief in unsere alltäglichen Gewohn-
                       heiten hineinreichen und unser ganzes gesellschaftliches Leben beeinflussen. Noch wis-
                       sen wir nicht, welche langfristigen Folgen der Wandel mit sich bringen wird. Schon
                       aber ist erkennbar, dass die in letzter Zeit viel besungenen, neuen Kompetenzen des Um-
                       gangs mit Unsicherheit und Komplexität gewiss zum Bildungskanon unserer Zeit
                       zählen müssen. Auch verschärfte soziale Konfliktlagen sind nicht auszuschließen.

                       Für die Stiftung Polytechnische Gesellschaft, die nach 15 Jahren auf gutem Fundament
                       steht, bedeutet dies zunächst, dass sie in ihrer Bildungs- und Engagementarbeit
                       nicht nachlassen darf und wird. Gerade in unserer Zeit gesellschaftlicher Unsicherheit
                       ist die Förderung besonders herausgeforderter Zielgruppen durch unsere Projekte
                       der Familienbildung und der Sprachförderung vordringlich, um den Aufstieg durch Bil-
                       dung zu ermöglichen – ein Versprechen, das unsere Gesellschaft auch und gerade
                       jetzt einlösen muss. Kontakt halten, begleiten, stärken – das bleibt hier auf absehbare
                       Zeit die dringliche Devise.

                       Bislang konnten die »Klassiker« der Stiftung – die großen sozialen Bildungsprojekte –
                       immer wieder auf verschiedene Bedarfslagen passende Antworten geben, ob auf Heraus-
                       forderungen im Zusammenhang mit zunehmenden globalen Fluchtbewegungen,
                       wie in den Jahren 2015 und 2016, oder derzeit, während der Corona-Krise. Mit ihrem
                       Mix aus Projekten der Breiten- und Spitzenförderung sowie von sozial und genera-

                                                                 6
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

                     tionell unterschiedlich ansetzenden Projekten hat die Stiftung bislang geeignete Aus-
                     gangspunkte für neue Lagen zu bieten. Aber sie muss wachsam sein und auch gege-
                     benenfalls schnell, am besten vor der Zeit, handeln, wenn sich Dinge nicht temporär,
                     sondern tiefgreifend und auf lange Sicht ändern.

                     Mit ihren neuen Projekten Nachhaltigkeitspraktiker und Junge Paulskirche – Schüler-
                     forum zu Demokratie und Verfassung ist die Stiftung nah an zwei wichtigen Themen:
                     nachhaltige Entwicklung und Demokratieerziehung. »Bildung für nachhaltige Entwick-
                     lung« ist ja erklärtes Ziel des »Nationalen Aktionsplans« der Bundesregierung infolge
                     der sogenannten Sustainable Development Goals der UNO. Insbesondere die letzten
                     Jahrgänge der Stadtteil-Botschafter und derzeit die Nachhaltigkeitspraktiker schärfen
                     das Bewusstsein im Sinne von Verantwortung, Bildung und Nachhaltigkeit. Mit der
                     Jungen Paulskirche setzt die Stiftung in der Folge der großen Jubiläumsfeier zum Grund-
                     gesetz aus dem Jahr 2019 ihr Engagement zum Thema »Demokratiekompetenz« bzw.
                     »Erziehung und Bildung zur Demokratie« oder auch »Demokratie als Lebensform« fort.
                     Hier werden moderne Bildungsziele wie Perspektivwechsel, Umgang mit Komplexität
                     und Ambivalenztoleranz verfolgt.

                     Auch die Förderung besonderer Gruppen von Menschen mit Potenzial bleibt aktuell:
                     besonders vielseitig Begabte, besonders technisch Interessierte, besonders wissen-
                     schaftlich Befähigte, besonders Engagierte; also die Kollegiaten, die Digitechniker, die
                     Nachwuchswissenschaftler, die begabten Handwerker, die Stadtteil-Botschafter, die
                     Stadtteil-Historiker, die Bürger-Akademiker. Wir wollen sie gestärkt an die Stadtgesell-
                     schaft abgeben.

                                                                                          Die Förderung
                                                                                           VON MENSCHEN MIT POTENZIAL

                                                                                           ist und bleibt ein zentrales Anliegen der
                                                                                           Stiftung Polytechnische Gesellschaft.

                      Maisaa Al-Dubai war – mit ihrem Gebärdensprachkursprojekt
                      »Wir wollen gehört werden« – eine von 15 Stadtteil-Botschafterin-
                      nen und -Botschaftern, die von 2019 bis 2020 mit ihren Ideen
                      zur Weiterentwicklung ihres Stadtteils beitrugen.

                                                                           7
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Schwerpunkt

              Denn eines der Ziele ist es, Multiplikatoren aus diesen spezifischen Programmen zu
              gewinnen, die unentbehrlich sind, weil sie zeigen, was möglich ist. Sollte sich die ge-
              sellschaftliche Lage materiell verschlechtern und sollten wir auf neue Konflikte zu-
              steuern, sind bei deren Lösung zivilisatorische Beiträge von Vorbildern unentbehrlich.

              Vorbilder sollen nicht nur im Stillen wirken, denn ihr Beispiel soll Schule machen. Das
              betrifft auch die Stiftungsprojekte. Die Online-Kommunikation wird immer wichtiger.
              Sie ist in Corona-Zeiten die beherrschende Kommunikationsform geworden. Ziel ist,
              die darin liegenden Chancen zu nutzen. Das kann die Breitenwirkung der Stiftungs-
              projekte noch einmal deutlich vergrößern.

                       »Vorbilder sollen nicht nur im
                          Stillen wirken, denn ihr
                       Beispiel soll Schule machen.«
              Die Stiftung stellt sich auf eine längere Zeit hybrider Formen von Begegnung und
              Austausch ein. Zwar ist bekannt, dass digitale Austauschplattformen nicht dieselbe
              kommunikative Differenziertheit und Plastizität wie Präsenzbegegnungen ermöglichen.
              Jedoch hat die Stiftung die Erfahrung machen können, dass bei gegebener Motiva-
              tion vieles auch auf diesen Plattformen möglich ist. All diese Möglichkeiten wird die
              Stiftung auch in Zukunft nicht versiegen lassen. Das bedeutet, dass Digitalität in den
              Leitprojekten der Stiftung entsprechend ihrer praktischen Nützlichkeit eine Rolle spie-
              len wird. Gegenwärtig verläuft beispielsweise das Projekt Nachhaltigkeitspraktiker
              bereits fast vollständig online. Ähnlich war es zuletzt im Digitechnikum. Dazu passt,
              dass der nächste Polytechnik-Preis zum Thema »Digitalität in der MINT-Bildung« aus-
              geschrieben werden wird. Von ihm sind Wegweisungen für Digitalität im Unterricht
              zu erwarten.

              Eine zukunftsträchtige Weiterentwicklung zeichnet sich mit der Aufnahme besonders
              engagierter und polytechnisch denkender junger Alumni und Alumnae in die Poly-
              technische Gesellschaft e. V. ab. Hier schließt sich nach 15 Jahren Stiftungsaufbau ein
              Kreis, und zwar im Laufe der kommenden Jahre ein großer Kreis. Dies zeigt, dass in
              der polytechnischen Familie junge Leute nicht nur Rat geben, sondern auch in die von
              den Polytechnikern gebildete Stifterversammlung, die letztlich über die Zukunft der
              Stiftung entscheiden kann, aufgenommen werden.

              Das Stiftungsvermögen hat aufgrund der vom Vermögensmanagement verfolgten Stra-
              tegie der ruhigen Hand und der Diversifikation schon mehreren Krisen erfolgreich
              standgehalten. Kapitalerhalt und Ertragssicherung bleiben auch in unsicherer Zeit un-
              verändert die beiden Zielstränge, deren Erreichung allerdings angesichts immer wie-
              der entstehender plötzlicher Krisen und entsprechender Volatilität der Finanzmärkte
              eine große Herausforderung ist.

              Die ersten beiden Jubiläumsschriften der Stiftung trugen die Titel »Wirkungen« (2010)
              und »Prägungen« (2015). Nun, 2020, wird es um »Entwicklungen« gehen: in neuer
              Zeit, auf neuen Wegen – und auf gutem Fundament.

              Prof. Dr. Roland Kaehlbrandt und Johann-Peter Krommer leiten die Stiftung
              Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main.

                                                                8
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
GEMEINSINN FÜR
FRANKFURT
Die Bedeutung von Kooperationen im Stiftungssektor wächst: Stiftungen
begreifen sich immer mehr als Impulsgeber, die in Netzwerken denken.
Auch die Stiftung Polytechnische Gesellschaft steht als kooperative Stiftung
im ständigen Austausch.

VON FRIEDERIKE VON BÜNAU

                                             9
POLYTECHNIK - Stiftung Polytechnische Gesellschaft
Eine Momentaufnahme aus dem
                                                                            Frankfurter Deutschsommer 2020.

                                                                »Alles wirkliche
                                                                   Leben ist
                                                                 Begegnung.«
                                                                    M A RT I N B U B E R , P H I LO S O P H

Vom Philosophen Martin Buber stammt der Satz            über Jahre – und bringen ihre Kräfte und Kompe-
»Alles wirkliche Leben ist Begegnung«. In seinem        tenzen in eine überzeugende Initiative oder ein
Denken entwickelt sich das eigene Ich erst in der       gemeinsames Vorhaben ein. Und all dies wirkt in-
Begegnung mit dem Anderen, dem Du. Diese Er-            und miteinander.
fahrung kennen wir wohl alle aus unserem Alltag.
Im Zusammensein mit anderen Menschen und                In allen vier Themenbereichen wird die Zusammen-
Kulturen werden wir uns des Eigenen oft umso mehr       arbeit mit Stiftungen gesucht und darüber hinaus
bewusst, schärfen den Blick darauf, wer wir sind        auch mit anderen Einrichtungen wie der Stadt Frank-
und nicht sind – vielleicht auch darauf, wer wir ein-   furt und dem Land Hessen. Der Deutschsommer,
mal sein wollen. Dies kann durch Einigkeit und          der seit mehr als zehn Jahren in den Sommerferien
Unterstützung ebenso befördert werden wie durch         stattfindet, ist ein Beispiel dafür. Das Projekt rich-
Reibung oder Abgrenzung – im Gegenüber spie-            tet sich an Drittklässlerinnen und Drittklässler mit
geln und entwickeln wir uns.                            erhöhtem Sprachförderbedarf. Das Ziel ist, die
                                                        Kinder vor dem Übergang in die wegweisende
Kann, was für Menschen und Kulturen gilt, auch          vierte Klasse in ihrer Sprach- und Persönlichkeits-
für Organisationen gelten? Als die Stiftung Poly-       bildung zu unterstützen. Dazu werden sie für drei
technische Gesellschaft vor 15 Jahren gegründet         Wochen zu einem besonderen Programm einge-
wurde, waren da ein stattliches Vermögen und            laden, bei dem sie spielerisch ihre Deutschkennt-
eine großartige Idee, die in eine Satzung gegossen      nisse verbessern, ein Theaterstück entwickeln und
wurde. Wie der Zweck gelebt und umgesetzt               die Rhein-Main-Region in einem Freizeitpro-
werden würde, war anfangs unklar. Schaut man            gramm entdecken.
heute in den Tätigkeitsbericht, erfährt man von
Projektketten und -transfers, zählt auf den letzten     Der Erfolg dieser Idee und ihre regionale Verortung
Seiten mehr als 100 Partner und bekommt eine            sind beeindruckend. Das zeigt die Liste der Koope-
Ahnung davon, was in den Jahren seit der Gründung       rationspartner ebenso wie der Weg über die Gren-
gedacht, bewegt, geschaffen wurde.                      zen der Stadt Frankfurt hinaus. Das Hessische
                                                        Kultusministerium, das Dezernat für Integration und
Die Arbeit der Stiftung zeugt von vielerlei Begeg-      Bildung, das Amt für multikulturelle Angelegen-
nung. Da treffen im Haus in der Untermainanlage         heiten, die Schulämter sowie das Deutsche Jugend-
kreative und engagierte Mitarbeiterinnen und Mit-       herbergswerk unterstützen den Deutschsommer
arbeiter zusammen, in den Projekten werden Men-         ebenso wie einige Stiftungen durch die Übernahme
schen aus verschiedenen Disziplinen, Milieus und        von Stipendienplätzen. Und mittlerweile sind
Generationen gefördert, anschließend in einem           mehrere Städte in der Rhein-Main-Region eben-
Alumni-Netzwerk verbunden. Und dann arbeiten            falls Gastgeber und Organisator.
unterschiedliche Institutionen zusammen – oft

                                          10
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

Ähnlich eingebettet in eine breite Beteiligungs-
struktur ist das Diesterweg-Stipendium für Kinder
und ihre Eltern, das erste Bildungsstipendium
für Familien in Deutschland. Seit 2008 wird alle
zwei Jahre eine neue Generation Viertklässler
aus Frankfurter Grundschulen gefördert. Das Be-
sondere ist, dass nicht nur die Grundschüler,
sondern auch deren Eltern und Geschwister im Fo-
kus des Programms stehen. Mittlerweile wurde
das Diesterweg-Stipendium von neun weiteren Kom-
munen zwischen Hamburg, Dortmund und Berlin-
Spandau aufgegriffen und umgesetzt.

Die Liste ließe sich fortsetzen und zeigt, wie sich
kluge Vorhaben ihren Weg bahnen und sogar
einen bleibenden Platz in den Institutionen finden
können. Sie sind auch ein Beispiel dafür, was die
Arbeit von Stiftungen dieser Größe und Professiona-
                                                                                              Regelmäßig finden Treffen aller Diesterweg-
lität für eine Stadt und damit für die Gesellschaft
                                                                                              Standorte zum gegenseitigen Austausch statt.
leisten. Solche Stiftungen begreifen sich immer we-
niger als einsame, mäzenatische Wölfe, sondern
als agile, philanthropische Impulsgeber, die in Netz-
werken denken. Sie können und wollen viel mehr          sich nicht vereinnahmen lässt, liegen Formen des
als reine Projektförderer und Geldgeber sein. Im        Produktiven. Wenn die Zusammenarbeit gelingt,
besten Fall agieren sie als soziale Entwickler, er-     können Lösungen entstehen, die im Alleingang
proben neue Formate, bringen Akteure aus verschie-      nicht möglich gewesen wären.
denen Sektoren an einen Tisch, sammeln Mit-
denker und Förderer. Ihre Unabhängigkeit und lang-      So geschehen bei der Stiftung Polytechnische
fristige Orientierung erlauben es ihnen, die Sache      Gesellschaft, die durch ihre Arbeit in den letzten
und die Lösung in den Vordergrund zu stellen.           15 Jahren nicht nur viele Menschen unterstützt
                                                        hat, die eigenen Potenziale zu entfalten, sondern
Mit diesem veränderten Selbstverständnis steigt         mit ihrem integrierenden Ideenreichtum auch ihr
auch die Bedeutung von Kooperationen. Das zei-          Profil und ihre Identität zu einer kooperativen Stif-
gen nicht nur die Statistik und verschiedene Um-        tung entwickelt hat. Ein Glücksfall für Frankfurt!
fragen im dritten Sektor, die beispielsweise der
Bundesverband Deutscher Stiftungen regelmäßig
durchführt. Auch in den Wirtschaftswissenschaf-
ten wird das Thema »Kooperation« im Unterschied
zum »Wettbewerb« zunehmend als eine sinnvolle
(und im Übrigen auch glücklicher machende) Stra-
tegie bewertet. Die Vorteile liegen auf der Hand.
Die Partner erschließen sich gegenseitig zusätzliche
finanzielle und personelle Ressourcen sowie er-
gänzende Kompetenzen mit fachlichem oder loka-
lem Wissen. Dadurch werden Kosten eingespart
und Synergieeffekte genutzt, Wirkung und Bekannt-
heit erhöht.

Über den offenkundigen Nutzen und die für beide                 FRIEDERIKE VON BÜNAU
Seiten gewinnbringende Situation hinaus geht
                                                                ist Geschäftsführerin der EKHN Stiftung,
es bei Kooperationen meines Erachtens noch um                   Vorstandsmitglied der Initiative Frank-
mehr. Sie berühren und verändern die Menschen                   furter Stiftungen und Vorstandsvorsit-
sowie die Organisation mit ihrer jeweiligen Kultur.             zende des Bundesverbands Deutscher
Gerade in der Unterschiedlichkeit der Partner aus               Stiftungen.
verschiedenen Sektoren, mancher Fremdheit, die

                                                             11
Bericht

DAS SIND DIE
NEUEN
Die operativen Projekte der Stiftung Polytechnische Gesellschaft verfolgen
von jeher das Ziel, gute Antworten auf verschiedene Bedarfslagen zu
bieten und flexibel und dynamisch auf gesellschaftliche Herausforderungen
zu reagieren. Seit Kurzem finden sich im Projektmix der Stiftung auch
einige neue Projekte, mit deren Angebot sie ganz praktisch und angewandt
auf aktuelle Entwicklungen und relevante Themen unserer Zeit reagiert.

VON KAROLINE LEIBFRIED

                            Mitte August 2020 startete die Generation des neuen
                            Projekts Nachhaltigkeitspraktiker mit der Entwicklung
                            ihrer Visionen für mehr gelebte Nachhaltigkeit.

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Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

Aufbruch zu neuen Gewohnheiten                          rausforderungen ihnen auf ihrem ganz persönlichen
Jeder Deutsche produziert rund 72 Kilogramm             Weg zu mehr Nachhaltigkeit im Alltag begegnen
Plastikmüll pro Jahr.1 Pro Kopf werden circa 80 Kilo-   und welche Erfahrungen sie machen, teilen die
gramm Lebensmittel jährlich weggeworfen.2 Eine          Nachhaltigkeitspraktiker anschließend mit ihrem
E-Mail ohne Anhang verursacht etwa 10 Gramm             Umfeld. An ihrem eigenen Beispiel zeigen sie so
CO2 , was der Klimabilanz einer Plastiktüte ent-        auf, wie es gelingen kann, an der Entwicklung einer
spricht.3 Zahlen wie diese machen deutlich: Das         nachhaltigeren Stadtgesellschaft mitzuwirken.
Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit mit Blick
auf Umweltschutz, Konsum und Klimawandel zu             Botschafter gelebter Demokratie
schärfen ist ein Thema, das uns alle angeht – oder      Neben Bildung zu nachhaltiger Entwicklung ist
zumindest angehen sollte. Doch: Welchen Beitrag         auch Demokratiebildung ein Thema, zu dem die
kann jeder Einzelne leisten, um Verpackungsmüll         Stiftung ein neues Projekt ins Leben gerufen hat.
einzusparen, das Wegwerfen von Lebensmitteln            Bereits 2019 hatte die Stiftung Polytechnische
zu vermeiden oder eine bessere CO2-Bilanz zu er-
reichen? Viele fühlen sich angesichts der Kom-
plexität dieser Themen überfragt. Mit ihrem neuen
Projekt Nachhaltigkeitspraktiker will die Stiftung
Polytechnische Gesellschaft genau hier ansetzen

     »Das Bewusstsein für mehr
       Nachhaltigkeit mit Blick
     auf Umweltschutz, Konsum
         und Klimawandel zu
      schärfen ist ein Thema, das
           uns alle angeht.«

und ihren Beitrag zum Thema nachhaltige Bildung
leisten. Junge Menschen zwischen 18 und 35 Jah-
ren werden ganz konkret dabei unterstützt, ihren

                                                               72 kg
eigenen Einflussbereich auf diese Themenfelder
zu identifizieren und sich im Selbstversuch eigene
Ziele zu setzen, um ihren Alltag nachhaltiger zu
gestalten. Das neue, viermonatige Projekt startete
für die erste Generation im August 2020 mit einem
digitalen Auftaktseminar. Dort lernte sich die Grup-                     PLASTIKMÜLL
pe kennen, recherchierte eigene Interessenfelder,
tauschte sich untereinander aus und erweiterte ihr                       produziert jeder Deutsche
Wissen durch einen Vortrag des Instituts für sozial-                     pro Jahr.
ökologische Forschung zum Thema »Nachhaltiger
leben im Alltag: Wie geht das?«. Am Ende wurden
die eigenen Vorhaben konkretisiert: Einige Nach-
haltigkeitspraktiker widmen sich im Projekt dem         Gesellschaft eine Festveranstaltung für rund 600
Thema Verpackungsreduktion durch nachhaltigen           Frankfurter Schülerinnern und Schüler anlässlich
Einkauf, andere beschäftigen sich mit der Frage,        des 70. Jahrestags der Verkündung des deutschen
wie sie ihren Stromverbrauch dauerhaft senken           Grundgesetzes in der Frankfurter Paulskirche
können, oder setzen sich mit der Auswirkung ihrer       initiiert. Ziel der Veranstaltung war es, dass sich
Ernährung auf ihren CO2-Fußabdruck auseinan-            Schülerinnen und Schüler intensiv mit unserer
der. Durch regelmäßige Treffen und in Workshops         Verfassung auseinandersetzen, die Bedeutung des
unterstützen sich die Projektteilnehmer gegen-          Grundgesetzes für die staatliche und gesellschaft-
seitig dabei, ihre persönlichen Nachhaltigkeitsziele    liche Ordnung reflektieren und über Werte wie De-
zu erreichen. Auf dem Weg dorthin bieten ihnen          mokratie, Freiheit und Grundrechte miteinander
Expertenvorträge zusätzliche Impulse. Welche He-        ins Gespräch kommen. »Mir war natürlich klar,

                                                             13
Bericht

          dass ich meine Meinung frei äußern darf. Aber ich           gehen die Jugendlichen gemeinsam mit Experten
          wusste gar nicht, dass das in der Verfassung steht.         auf den Grund – und üben sich dabei im politischen
          Ich bin hier aufgewachsen und habe Meinungsfrei-            Debattieren und in der Konsensfindung ebenso
          heit bisher immer als Selbstverständlichkeit be-            wie im Perspektivwechsel und im Umgang mit kom-
          griffen, nicht als Privileg«, erinnert sich die Schülerin   plexen Themen. Dem Auftaktabend im Spätherbst,
          Elif Gültekin, die als eine von vielen Schülerin-           an dem sich die Jugendlichen kennenlernten, fol-
          nen und Schülern damals an der inhaltlichen Vorbe-          gen sechs »Paulskirchendebatten« als Workshops
          reitung der Festveranstaltung mitwirkte. Erkennt-           zu verschiedenen Fragestellungen. Parallel dazu
          nisse wie diese sind es, auf die die Veranstaltung          soll ein Memorandum erstellt werden, das die
          abzielte. An den Erfolg dieser Jubiläumsfeier knüpft        Überlegungen der Jugendlichen und ihre Anliegen
          die Stiftung nun mit ihrem neuen Programm                   an die Politik zusammenfasst. Rund um den Jah-
          Junge Paulskirche an und setzt so ihr Engagement            restag der Verkündung des Grundgesetzes am
          zum Thema Demokratiebildung fort. Die Junge                 23. Mai richten die Jugendlichen der Jungen Pauls-
          Paulskirche richtet sich an Frankfurter Oberstufen-         kirche dann eine Abschlussveranstaltung aus, bei
          schülerinnen und -schüler, die politisch und his-           der sie ihre Ergebnisse vorstellen. Abschließend
          torisch besonders interessiert sind. Mitte November         steht eine Exkursion zu einem wichtigen »Demo-
                                                                      kratieort« auf dem Programm, das in Zusammen-
                                                                      arbeit mit dem Verein die politiksprecher e. V.
                                                                      entwickelt wurde.

                                                                      Zusammen mit ihrem erst 2019 ins Leben gerufenen
                                                                      Projekt Digitechnikum, der Zukunftswerkstatt
                                                                      für digitale Talente (www.digitechnikum.de), das
                                                                      IT-interessierten Jugendlichen eine Plattform für
                                                                      gegenseitigen Austausch und die gemeinsame Ent-
                                                                      wicklung neuer technischer Ideen bietet, reagiert
                                                                      die Stiftung mit ihren in 2020 gestarteten Projekten
                                                                      auf drei zentrale, aktuelle Themen unserer Zeit:
                                                                      Digitalisierung, nachhaltige Bildung und Demokra-
                                                                      tiebildung. Nun blicken die Stiftung und ihr Team
                                                                      gespannt der Arbeit und den Erkenntnissen der
                                                                      »neuen Generationen« entgegen, über die wir in
                                                                      einer der nächsten Ausgaben der Polytechnik be-
                                                                      richten werden.

                                                                      Weitere Informationen zu den beiden jüngsten
                                                                      Projekten der Stiftung Polytechnische Gesellschaft
                                                                      gibt es unter www.nachhaltigkeitspraktiker.de
                                                                      und www.junge-paulskirche.de.

          Jugendliche bei der Festveranstaltung
          »70 Jahre Grundgesetz« am 23. Mai
          2019 in der Paulskirche.

          2020 startete das Programm. Ein halbes Jahr lang
          werden die Teilnehmer nun offen über die Werte,
          Errungenschaften und Zukunftsvisionen der Re-
          publik diskutieren. Ausgangspunkt der Debatten
          ist immer die Verfassung unserer freien und de-             Karoline Leibfried arbeitet in der Abteilung Information,
                                                                      Kommunikation und Veranstaltungen der Stiftung
          mokratischen Gesellschaft. Wird das Grundgesetz
                                                                      Polytechnische Gesellschaft.
          den Anforderungen und Bedürfnissen der moder-
          nen Gesellschaft gerecht? Brauchen wir mehr                 Quellen
          Elemente direkter Demokratie? Fragen wie diesen             1 Consultic-Studie, 2 Umweltbundesamt, 3 ADEME

                                                       14
KEINEN
ZURÜCKLASSEN
Aktuelle Anforderungen an das Bildungswesen.

V O N P R O F. D R . A N D R E A S G O L D

                      Der in vielerlei Hinsicht zu Recht kritisierte ameri-   Amerika ist überall. Man mag von verordneten
                      kanische Präsident G. W. Bush hat zu Beginn der         Worthülsen wie »Keinen Zurücklassen« halten, was
                      Nullerjahre bildungspolitisch etwas richtig gemacht.    man will. Man mag das bemüht positive Wording
                      Mit dem NCLB-Gesetz (No Child Left Behind) wies         der deutschen Familienministerin belächeln: das
                      er den Schulen eine größere Verantwortlichkeit für      »Gute-Kita-Gesetz«, das »Starke-Familien-Gesetz«.
                      die Gewährleistung von Teilhabe und Inklusion zu.       Dass damit jenseits des euphemistischen Politik-
                      Und verordnete verbindliche Schulleistungstests         sprechs auf höchst relevante Problemfelder ver-
                      zur Qualitätssicherung. Sein Nachfolger Barack          wiesen wird, ist allerdings kaum zu bestreiten. Zu
                      Obama blieb mit dem ESS-Gesetz (Every Student           alarmierend sind die periodischen Statistiken des
                      Succeeds) in der Spur.                                  Bildungsversagens. Zu sehr fallen die Disparitäten

                                                                15
Gastbeitrag

ins Auge, die schon den Sprachstand bei den Schul-      Wie es dazu kommt? Am ersten Schultag bringen
anfängern, aber im Weiteren auch die schulischen        die Kinder günstige Startvoraussetzungen für den
Fertigkeiten unserer Kinder und Jugendlichen            Schriftspracherwerb mit – oder auch nicht. Eltern
betreffen.                                              mit einem niedrigen oder gar keinem Bildungs-
                                                        abschluss praktizieren mit ihren Kindern weniger
Kita und Schule sind tatsächlich in der Pflicht. Die    anregende und weniger umfängliche Formen der
meiste Zeit verbringen Kinder aber in ihren Fami-       sprachlichen Interaktion. Sie unterlassen kulturelle
lien – und wachsen dort in sehr unterschiedlichen       Praktiken, die der frühen Lesesozialisation förder-
Lebenslagen auf. Der aktuelle Bildungsbericht           lich wären – wie etwa das gemeinsame (Vor-)Lesen.
nennt drei familiale Risikolagen, die mit den Bil-      Da ist es kein Wunder, dass bis zu 30 Prozent der
dungschancen von Kindern negativ assoziiert             Kinder ohne Zuwanderungshintergrund und mehr
sind. Erstens: Eltern mit geringer Schulbildung;        als 50 Prozent der Kinder mit einer anderen als
zweitens: Eltern unterhalb der Armutsgefährdungs-       der deutschen Muttersprache sich zu Schulbeginn
grenze; und drittens: Eltern ohne Erwerbstätig-         schwertun mit der korrekten Verwendung von
keit.1 Liegen solche Risikolagen vor, sind die Kin-     Präpositionen und Artikeln, bei der Pluralbildung
der und Jugendlichen in ihrer Lernentwicklung           und mit dem Formulieren und Verstehen voll-
benachteiligt. Gravierend ist vor allem die bildungs-   ständiger Sätze. Viele von ihnen werden Probleme
bezogene Risikolage, weil die betroffenen Kinder        beim Schriftspracherwerb haben.
von ihren Eltern kaum Unterstützung in schulischen
Belangen erfahren. Gut zwölf Prozent aller Kinder       Die daraus resultierenden Anforderungen an das
in Deutschland wachsen so auf. Etwa jedes fünfte        Bildungswesen sind gewaltig. Allen Digitalpaktfan-
Kind wächst in einer armutsgefährdeten Familie          tasien zum Trotz wird es mit der Anschaffung von
auf und jedes zehnte Kind in einer sozialen Risiko-     Tablets für die Klassenzimmer nicht getan sein. In
lage. Bei 29 Prozent der unter 18-Jährigen liegt        unseren Schulen und Kindergärten muss mehr ge-
mindestens eine der drei genannte Risikolagen vor.      schehen, um die sozialen Disparitäten anzugehen.
Kinder mit Migrationshintergrund sind viermal           Gerade in Bezug auf die Leseförderung gibt es
häufiger von allen drei Risikolagen betroffen.          mittlerweile eine ganze Reihe nachweislich wirk-
                                                        samer Programme.3 Hier kommt es – wie bei
Die späteren Kompetenzen im Lesen und Schrei-           der notwendigen vorschulischen Sprachförderung –
ben oder im Rechnen spiegeln die familialen Be-         vor allem darauf an, dass einer passgenauen För-
nachteiligungen wider. Beispiel Lesen: Die jüngste      derung eine sorgfältige Diagnostik vorausgeht. Und
PISA-Studie hat gezeigt, dass die Lesekompeten-         dass die personellen Ressourcen für eine qua-
zen der 15-Jährigen so eng wie kaum anderswo auf        lifizierte individuelle Förderung bereitgestellt wer-
der Welt mit ihrer sozialen Herkunft assoziiert         den. Umsonst ist das alles nicht zu haben.
sind.2 Jugendliche aus sozial bessergestellten
Elternhäusern sind den anderen um etwa ein Schul-
jahr voraus. Auch mit dem Zuwanderungsstatus
sind erhebliche Disparitäten verknüpft. Unter den
Zuwanderern der ersten Generation kommen 55
Prozent über ein basales Leseverständnis nicht
hinaus. Sie können allenfalls die wörtliche Be-

                                                              28 %
deutung von Sätzen oder kurzen Textabschnitten
verstehen. Selbst unter den Zuwanderern der
zweiten Generation – die Eltern sind im Ausland
geboren, die Jugendlichen selbst aber schon in
Deutschland – gibt es noch 28 Prozent sehr schwache
Leser. Diese Jugendlichen haben immerhin fast
neun Schuljahre an Schulen in Deutschland hinter
sich! Und selbst unter den Jugendlichen ohne Mi-
                                                                         SEHR SCHWACHE LESER
grationshintergrund liegt der Anteil sehr schwacher
Leser bei knapp 13 Prozent.                                              gibt es selbst noch unter
                                                                         den Zuwanderern der
                                                                         zweiten Generation.

                                                             16
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

                                                       »Ungünstige familiale Lern-
                                                      umwelten lassen sich nur verän-
                                                        dern, wenn man die Eltern
                                                          mit ins Boot nimmt. «

                                                    Leseförderung nur in der Schule greift jedoch zu
                                                    kurz. Um den sozialen Disparitäten nachhaltig zu
                                                    begegnen, wird man an den Familien nicht vorbei-
                                                    kommen. Das ist komplex, weil das Bildungs-
                                                    wesen einen direkten Zugriff auf die Familie zu
                                                    Recht nicht zulässt. Also wird man auf Angebote
                                                    und auf Freiwilligkeit setzen müssen, aber auch
                                                    Eigenbeteiligung und Verlässlichkeit einfordern.
                                                    Ungünstige familiale Lernumwelten lassen sich
                                                    nur verändern, wenn man die Eltern mit ins Boot
                                                    nimmt. Wer nicht warten will, bis das Kind in den
                                                    Brunnen gefallen ist, muss früh und bei den Eltern
                                                    ansetzen – und aufsuchend-präventiv arbeiten.
                                                    So wie es bei dem Projekt Babylotse oder bei den
                                                    Willkommenstagen in der frühen Elternzeit ge-
                                                    schieht. Beides wegweisende Projekte der Stiftung
                                                    Polytechnische Gesellschaft und ihrer Partner,
                                                    die ein ganz grundlegendes entwicklungspsycho-
                                                    logisches Prinzip beherzigen: dass nämlich eine
                                                    sichere sozial-emotionale Bindung des Kleinkinds
                                                    an seine Bezugspersonen spätere Bildungspro-
                                                    zesse entscheidend erleichtert. Auch im Diesterweg-
                                                    Stipendium für Kinder und ihre Eltern, dem ersten
                                                    Familien-Bildungsprogramm in Deutschland, ist
                                                    der Einbezug der Eltern und Geschwister der
                                                    Viert- bzw. Fünftklässler der Erfolgsgarant. So muss
                                                    man es machen, wenn keiner zurückbleiben soll!

                                                    Prof. Dr. Andreas Gold ist Psychologe und Seniorprofessor
                                                    für Pädagogische Psychologie an der Goethe-Universität
                                                    Frankfurt.

                                                    Quellen
                                                    1 Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.). (2020).
                                                    Bildung in Deutschland 2018. Bielefeld: wbv.
                                                    2 Reiss, K., Weis, M., Klieme, E. und Köller, O. (Hrsg.). (2019).
                                                    PISA 2018. Grundbildung im internationalen Vergleich.
                                                    Münster: Waxmann.
                                                    3 Gold, A. (2018). Lesen kann man lernen (3. Aufl.).
                                                    Göttingen: V & R.

Die Willkommenstage in der frühen Elternzeit
bieten jungen Familien im ersten Lebensjahr
ihres Kindes niedrigschwellige, nachhaltige
Unterstützung und führen an Angebote der
Familienbildung heran.

                                               17
Stimmen zum Thema

WIE KANN MAN SICH
IN DER STIFTUNG
POLYTECHNISCHE
GESELLSCHAFT
WEITERENTWICKELN?
Diese Frage beantworteten uns Menschen
aus unserem Stiftungsumfeld.

                                                              »Als Programmteilnehmerin
                                                              spürte ich, wie das, was ich
                                                              sagte, die Stimmung der Zu-
                                                              hörer bewegte. Ich lernte,
                                                              die Arbeit, die hinter einem
                                                              Projekt steckt, zu schätzen.
                                                              Am allerwichtigsten aber:
                                                              Ich lernte, an mich selbst zu
                                                              glauben.«
»Der freie Gedankenaustausch                                  LO R I A N N A K Ö N N E K E R ( 2 7 )
und die Zusammenarbeit mit                                    Sommerstipendiatin 2008 aus Toronto,
inspirierenden Köpfen aus den                                 Stadtteil-Botschafterin der fünften
                                                              Generation (2015/2016), heute Ärztin
verschiedensten Kulturen so-
wie fachlichen Disziplinen ebnen
den Weg für einen kreativeren,
differenzierteren und selbstbe-
wussteren Umgang mit neuen
Herausforderungen.«
SARAH OELSNER (31)

Main-Campus-doctus-Stipendiatin der vierten Generation
(2013) und Geschäftsführerin der pharmazeutischen F&E
Strategieberatung Scitaris GmbH

                                                         18
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

»Im persönlichen Austausch und engen
Kontakt mit aktiven Frankfurterin-
nen und Frankfurtern während einer
wertschätzenden Qualifizierung zu
relevanten Inhalten und unterstützen-
den Methoden der Ehrenamtsarbeit
als Teilnehmer der Bürger-Akademie –
bei stets bester Versorgung.«
RAINER MOHR-HERLITZ (69)

Bürger-Akademiker der sechsten Generation (2018/2019),
zuletzt Leiter einer Förderschule, nun im Ruhestand

                                                              »Aus dem Stadtteil-Botschafter-
                                                              Programm haben wir mega-
                                                              viel mitgenommen: Wir sind
                                                              rhetorisch besser geworden,
                                                              selbstbewusster, können argu-
                                                              mentieren und präsentieren.
                                                              Außerdem ist ein wertvolles
                                                              Netzwerk entstanden.«
                                                              R AQ U E L Z E N S ( 1 7 ) U N D M AT I L DA M Ü H L ( 1 8 )

                                                              Projektpartnerinnen im Stadtteil-Botschafter-Programm
                                                              der siebten Generation (2019/2020) und Schülerinnen
                                                              an der Wöhlerschule

»Die Stiftung Polytechnische Gesell-
schaft ist eine Begegnungsstiftung.
Du begegnest Menschen, die alle etwas
anderes machen – und sie machen
es gut! Es ist der Umgang mit diesen
Menschen, der dich weiterentwickelt.«
ERHAN DENIZ (31)

Main-Campus-doctus-Stipendiat der siebten Generation (2017),
inzwischen Mitglied der Polytechnischen Gesellschaft, pro-
moviert derzeit in Biophysik an der Goethe-Universität Frankfurt

                                                         19
Porträt

Als Teilnehmerin der zweiten Generation des Programms Stadtteil-Botschafter
hatte Esa Böttcher zusammen mit einer Pfadfindergruppe in Preungesheim
ein Outdoor-Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche geschaffen. Nun
erprobt sie im Rahmen des Projekts Nachhaltigkeitspraktiker, wie man ein
ressourcenschonendes Leben führt.

WAS MACHT
EIGENTLICH …
ESA BÖTTCHER?
VON ALEXANDER JÜRGS

                                               BIOGRAFIE

                                               Esa Böttcher ist 32 Jahre alt. Seit 2017 arbeitet sie an der Frankfurt
                                               University of Applied Sciences, wo sie sich um den Hochschulsport
                                               kümmert. Sie studierte Jura in Frankfurt und schloss das Studium mit
                                               Staatsexamen ab. Im Stadtteil-Botschafter-Jahrgang 2010/2011 hat
                                               sie ein Pfadfinderprojekt in Frankfurt-Preungesheim initiiert. Zurzeit
                                               engagiert sie sich bei dem Stiftungsprojekt Nachhaltigkeitspraktiker.
                                               Als freiberufliche Klettertrainerin gibt sie gelegentlich noch immer
                                               Kletterkurse.

                                          20
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

Wo bekommt man Quark ohne Verpackung? Das
ist eine Frage, die Esa Böttcher gerade umtreibt.
In den Unverpackt-Läden, von denen in letzter Zeit
immer mehr eröffnen, kann man mittlerweile vieles
ohne Extraverpackung kaufen: Gemüse, Getreide,
Nudeln, Öl, Spülmittel. Aber Quark hat die Frank-
furterin dort noch nicht entdeckt. Deshalb darauf
verzichten will sie aber auch nicht. »Das ist schon
eine echte Herausforderung, wenn man komplett                                                                       Esa Böttcher im Oktober
                                                                                                                    2010 bei der Präsenta-
plastikfrei leben will«, sagt die 32-Jährige.
                                                                                                                    tion ihres Stadtteil-Bot-
                                                                                                                    schafter-Projekts.
Esa Böttcher ist »Nachhaltigkeitspraktikerin«. Ins
Leben gerufen hat das Projekt die Stiftung Poly-
technische Gesellschaft gemeinsam mit der Innova-
tionsagentur Journey 2 Creation. Die Idee dahinter:
In einer Gruppe sammeln sich Gleichgesinnte, die
ein nachhaltigeres Leben führen wollen; die aus-         Generation des Stadtteil-Botschafter-Programms,
probieren wollen, was man selbst schaffen kann, um       in dem sich junge Menschen zwischen 15 und 27
die Umwelt besser zu schonen und weniger Res-            Jahren mit einer eigenen Idee in einem Frank-
sourcen zu verbrauchen. Alle zwei Wochen treffen         furter Stadtteil engagieren. Ein Freund von Esa
sie sich und tauschen sich aus, sprechen über            Böttcher war dabei. In Nieder-Erlenbach initiierte
Erfolge und Hindernisse. Esa Böttcher fühlt sich in      er den Bau und Betrieb eines Kletterturms. Esa
dem Projekt gut aufgehoben. »Der Ansatz ent-             Böttcher half dabei mit, später leitete sie die Kin-
spricht mir, weil wir versuchen, mit kleinen Schritten   der- und Jugendabteilung am Kletterturm.
etwas zu bewegen«, sagt sie. »Das große Ganze –
Gesetze zu ändern, um eine Klimawende zu schaf-
fen – ist natürlich genauso wichtig, aber ich fühle      »Was die Stiftung richtig
mich wohler, wo Menschen für sich an Veränderun-
gen arbeiten.« Als Nachhaltigkeitspraktikerin will
sie nicht nur ihren Plastikkonsum eindämmen, son-
                                                         gut macht, ist, Leute für eine
dern bald auch verwaiste Flächen in dem Viertel
begrünen, in dem sie lebt. »Solche Aktionen helfen,
                                                         Sache zu begeistern.«
die Biodiversität auch in der Stadt zu erhöhen«,
sagt sie. Aber könnte sie ihre Projekte nicht auch       Bei der zweiten Generation der Stadtteil-Botschafter
einfach ohne Gleichgesinnte im Hintergrund um-           setzte sie dann im Jahr darauf ein eigenes Projekt
setzen? »Ein bisschen ist unsere Gruppe wie ein          um. In Preungesheim rief Esa Böttcher, die schon
Lauftreff: Wenn man weiß, dass die anderen etwas         länger im Bund der Pfadfinderinnen und Pfad-
unternehmen, rafft man sich leichter auf.«               finder e. V. aktiv war, ein Pfadfinderprojekt ins Leben.
                                                         Rund 30 Kinder und Jugendliche, die vorher nichts
Studiert hat Esa Böttcher Jura an der Frankfurter        mit der Pfadfinderei zu tun hatten, beteiligten sich.
Goethe-Universität. Eine Zeit lang hat sie in einer      »Bei den Pfadfindern lernt man so viel Wichtiges
Kanzlei gearbeitet. Nebenbei hat sie als freiberuf-      fürs Leben: im Team etwas erarbeiten, sich vor einer
liche Klettertrainerin ihr Hobby zum Beruf ge-           Gruppe präsentieren, Verantwortung übernehmen«,
macht, bis sie schließlich ganz in den Bereich           erzählt sie. Was ihr besonders gut an dem Projekt
Kletterhallenmanagement umsattelte. Heute arbei-         gefallen hat: Die neu entstandene Gruppe war
tet sie an der Frankfurt University of Applied           bunt gemischt. Kinder, die schon lange im Stadtteil
Sciences im Bereich Sport- und Gesundheitsmanage-        lebten, kamen mit solchen zusammen, die gerade
ment. Die Begeisterung für Outdoor-Sport und             erst ins Neubaugebiet »Frankfurter Bogen« gezo-
Nachhaltigkeit bringt sie dort in ihre Arbeit beim       gen waren. »So konnten wir Brücken bauen«,
Campus-Sport ein: in Form von Outdoor-Frei-              sagt sie.
zeiten, Gesundheitskursen, grünen Erholungsflä-
chen auf dem Campus und einigem mehr.                    Was gefällt ihr an der Stiftung? Was macht die Stif-
                                                         tung, was machen ihre Projekte für sie aus? »Was die
Über die Leidenschaft fürs Klettern kam Esa              Stiftung richtig gut macht, ist, Leute für eine Sa-
Böttcher 2009 auch mit der Stiftung Polytechnische       che zu begeistern, sie dazu bringen, sich zu engagie-
Gesellschaft in Kontakt. Damals lief die erste           ren, das motiviert auch mich«, sagt Esa Böttcher.

                                                              21
Porträt

WAS MACHT
EIGENTLICH …
NORBERT REHNER?
Junior-Ingenieur-Akademie, Polytechnik-Preis, Stadtteil-Historiker:
Die Wege von Norbert Rehner und der Stiftung Polytechnische
Gesellschaft haben sich schon oft gekreuzt.

VON ALEXANDER JÜRGS

             Auch Norbert Rehner gehört zu jenen, denen die
             Corona-Pandemie einen Strich durch die Rech-
             nung gemacht hat. Zum 150-jährigen Jubiläum der
             Frankfurter Wöhlerschule, deren Direktor er acht
             Jahre lang war, hat Rehner gemeinsam mit Martin
             Hilgenfeld, seinem Vorgänger in diesem Amt, eine
             Ausstellung auf die Beine gestellt, die tief in die Ge-
             schichte der, wie sie sie nennen, »Schule des Bür-
             gersinns« eintaucht. Außerdem ist ein Begleitband
             zu der Ausstellung entstanden. Nur eröffnen konn-
             ten Rehner und Hilgenfeld ihre Schau nicht, der
             Ausbruch der Pandemie kam dazwischen. Nun
             hofft der 74-Jährige, die Ausstellung im kommen-
             den Jahr zeigen zu können. Entstanden ist sie im
             Rahmen des von der Stiftung Polytechnische Ge-
             sellschaft initiierten Projekts Stadtteil-Historiker.           Norbert Rehner im September 2014, im
             Seit 2007 erforschen Bürgerinnen und Bürger im                  Gespräch anlässlich einer Zwischenbilanz
                                                                             zum Transferprozess des Polytechnik-
             Rahmen dieses Projekts die Geschichte unter-
                                                                             Preises 2013.
             schiedlicher Stadtteile Frankfurts.

             Norbert Rehner ist Pensionär, aber trotzdem enorm
             aktiv. Nicht nur seine Forschungen zur Historie
             des Gymnasiums Wöhlerschule beschäftigen ihn:             »Die Begeisterung
             In der Flüchtlingsunterkunft am Alten Flughafen
             in Bonames organisiert er obendrein den Deutsch-
             unterricht für die dort lebenden Erwachsenen.
                                                                         für die Natur-
             Dass er auch nach dem Ende des Berufslebens wei-
             ter Verantwortung übernehmen und etwas auf die
                                                                        wissenschaften
             Beine stellen kann, tue ihm gut, sagt der frühere
             Schulleiter. Zu seinem Beruf war Rehner über              weiterzugeben, das
             Umwege gekommen, eine klassische Karriere hat
             er nicht durchlaufen. Angefangen hat sein Berufs-           erfüllt mich.«
             leben in Fulda mit einer Ausbildung zum Hotelkauf-
             mann. Später zog es ihn für ein halbes Jahr in ein

                                                         22
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

BIOGRAFIE

Norbert Rehner ist 74 Jahre alt. Als Stadtteil-
Historiker hat er die 150-jährige Geschichte
der Frankfurter Wöhlerschule erforscht. Doch
Rehner, der zunächst als Hotelkaufmann und
Flugbegleiter arbeitete, bevor er sich in Rich-
tung Schuldienst weiterentwickelte, stand
auch schon früher im Austausch mit der Stif-
tung. Mit der Frankfurter Wöhlerschule, die
er acht Jahre lang leitete, beteiligte er sich an
dem Projekt Junior-Ingenieur-Akademie.
Als pädagogischer Berater war er an der Um-
setzung der ersten beiden Polytechnik-Preise
beteiligt.

Hotel in Lugano im Tessin. Auf dem Rückweg von
dort in seine Heimat blieb er dann am Frankfurter
Hauptbahnhof hängen, den letzten Zug in Rich-
tung Gießen hatte Rehner verpasst. Während er die
Nacht am Bahnhof überbrückte, blätterte er in der
Zeitung und entdeckte eine Anzeige der Lufthansa,
die auf der Suche nach männlichen Flugbegleitern
war. Rehner bewarb sich und flog schon wenig
später um den ganzen Globus – zunächst zwei Jahre
lang als Flugbegleiter, dann zwei weitere zwei
Jahre lang als dienstjüngster Kabinenchef. Er moch-
te das Leben der Stewards, das Unterwegssein,
die fernen Länder, die Nächte in Hotels. Doch an
einem Abend in Beirut im Jahr 1971 geriet er ins
Grübeln. »›Das kann doch nicht alles sein, das
kannst du doch nicht noch ein Leben lang so weiter-
machen‹, kam es mir da in den Sinn«, erzählt            ganz neuen 3D-Drucker, von den Rennen am Römer-
Rehner heute. Auf dem dritten Bildungsweg holte         berg, bei denen die solarbetriebenen Fahrzeuge
er das Abitur nach. Dann studierte er Biologie          zum Einsatz kamen.
und Chemie, wurde Lehrer. »Die Begeisterung für
die Naturwissenschaften weiterzugeben, das hat          Eine große Rolle für die Stiftung spielte Rehner
mich erfüllt«, erinnert er sich. Von 2003 bis zu sei-   später – kurz nachdem er in Rente gegangen war –
ner Pensionierung im Jahr 2011 war er schließlich       auch bei den ersten beiden Polytechnik-Preisen,
Leiter der Wöhlerschule.                                die 2011 und 2013 vergeben wurden. Mit dem mit
                                                        70.000 Euro dotierten Preis werden Lehr-Lern-
In dieser Funktion kam Rehner auch erstmals mit         Forscher und Fachdidaktiker geehrt, die in den
der Stiftung in Kontakt. Denn die Wöhlerschule          MINT-Fächern herausragende Unterrichtskon-
beteiligte sich an der Junior-Ingenieur-Akademie,       zepte und Lernangebote entwickelt und umgesetzt
die 2009 ins Leben gerufen wurde. Das Programm          haben. Rehner kümmerte sich als pädagogischer
soll helfen, bei Schülern und Schülerinnen frühzeitig   Berater der Stiftung darum, dass die Preisträger-
das Interesse an einem naturwissenschaftlichen          konzepte an Frankfurter Pilotschulen umgesetzt
Studium zu wecken. Besucht werden dabei auch            wurden, und organisierte dafür unter anderem Fort-
Labors der Hochschulen und Betriebe. Die Aka-           bildungsveranstaltungen und Austauschtreffen.
demie macht deutlich, wie spannend die praktische       Sich zu engagieren, so Rehner, mache ihm bis heute
Forschungsarbeit eines Naturwissenschaftlers ist.       große Freude: »Ich bin immer wieder begeistert
Norbert Rehner schwärmt von den Projekten, die          davon, mit welchen interessanten und inspirieren-
an seiner früheren Schule in der Junior-Ingenieur-      den Menschen man durch die Stiftung in Kontakt
Akademie umgesetzt wurden: vom Bau von Solar-           kommt.«
fahrzeugen, von der Arbeit mit dem damals noch
                                                        Alexander Jürgs ist Redakteur der Rhein-Main-Zeitung
                                                        der F.A.Z.

                                                             23
Rückblick

NAMEN UND
NACHRICHTEN
                                                                                             BOTSCHAFTER FÜR DIE
Kurzinformationen aus der Stiftung.                                                          DUALE AUSBILDUNG

            1
                                                                                             Erfahrungen mit der eigenen Be-
                                                                                             rufsausbildung und dem Arbeits-
                                                                                             alltag Jugendlichen weitergeben
                                                                                             und ihnen so wertvolle Unter-
            UNSER TITELBILD:                                                                 stützung für die Berufswahl bie-
            BEISPIELHAFTE                                                                    ten: Das taten auch 2020 wieder
            (WEITER-)ENTWICKLUNG                                                             ehrenamtlich tätige junge Aus-
                                                                                             zubildende und Berufstätige
            Was vor 13 Jahren im Rahmen                                                      als Ausbildungsbotschafter im

                                                     2
            eines Stadtteil-Botschafter-Projekts                                             gleichnamigen Projekt, das durch
            begann, hat sich inzwischen zu                                                   die Förderung der Stiftung Poly-
            einer eigenen Sportabteilung der                                                 technische Gesellschaft seit 2013
            TSG 1888 Nieder-Erlenbach entwi-                                                 fester Bestandteil im Programm
            ckelt: David Heun und Dirk-Hinnerk       DEUTSCHSOMMER IM HERBST
                                                                                             der Gesellschaft für Jugendbe-
            Fischer hatten 2007 die Idee, einen      A L S Z U S AT Z A N G E B OT 2 0 2 0
                                                                                             schäftigung e. V. (gjb) ist. Seit 2018
            Kletterturm zu errichten. Seit 2009                                              werden die Ausbildungsbot-
            steht er nun auf dem Sportplatz          In Frankfurt und an zehn weite-         schafter zusätzlich finanziell
            und konnte 2018 durch einen Boul-        ren hessischen Standorten konn-         durch die Industrie- und Handels-
            derblock erweitert werden.               ten bereits in den Sommerferien         kammer Frankfurt am Main
                                                     2020 hessenweit insgesamt 342           (IHK) und die Handwerkskammer
                                                     Grundschüler den Deutschsom-            Frankfurt-Rhein-Main (HWK)
                                                     mer erleben, jeweils mit einem          unterstützt. Im November 2020
                                                     an die aktuelle Situation infolge       wurden alle Ausbildungsbot-
                                                     der Corona-Pandemie angepass-           schafter des vergangenen Jah-
                                                     ten Konzept und in reduzierter          res und ihre Betriebe für ihr
                                                     Gruppengröße. Da der Bedarf an          Engagement im Projekt geehrt.
                                                     Bildungsangeboten in diesem             In diesem Jahr wurden die Ur-
                                                     Jahr aufgrund der zeitweiligen          kunden im Rahmen eines persön-
                                                     Schulschließungen im Jahr 2020          lichen Besuchs in den Betrieben
                                                     besonders hoch ist, hat die Stif-       von einem Vertreter der zustän-
                                                     tung Polytechnische Gesellschaft        digen IHK, HWK oder der gjb di-
                                                     2020 erstmals einen zusätzli-           rekt überreicht.
            Im Herbst 2020 wurde zusätzlich
                                                     chen Durchlauf des Programms
            noch eine Parkour-Anlage geschaf-

                                                                                              3
                                                     in Frankfurt für die Herbstferien
            fen. Diese Erweiterungen wurden
                                                     organisiert: 75 Frankfurter Kin-
            von Menschen umgesetzt, die we-
                                                     der erlebten an insgesamt fünf
            gen des Kletterturms in den Ver-
                                                     Schulen in der Stadt einen Mix
            ein eingetreten waren. Die ehema-
                                                     aus Deutsch- und Theatereinhei-
            ligen Stadtteil-Botschafter selbst
                                                     ten und verbesserten dabei
            haben seit 2007 ganz unterschiedli-
                                                     spielerisch ihre Deutschkennt-
            che Wege beschritten: der eine
                                                     nisse. Hessenweit wurden 2020
            als Inklusionsbeauftragter und leiden-
                                                     mit den beiden Projektdurch-
            schaftlicher Bauernhof-Betreiber,
                                                     läufen in Sommer und Herbst
            der andere als Unternehmensberater.
                                                     an allen insgesamt elf Stand-
            Der Stiftung sind sie aber bis heute
                                                     orten 537 Deutschsommer-
            eng verbunden.
                                                     Plätze ermöglicht.

                                                           24
Polytechnik | Ausgabe 2 / 2020

                                                                           Ü B E R 1. 0 0 0 M A L
                                                                           »WILLKOMMEN«

4
                                                                           Ein besonderes Jubiläum beging
                                                                           2020 das Präventionsprojekt
                                                                           Willkommenstage in der frühen
                                                                           Elternzeit: Seit seinem Start im
I M P ROV I S AT I O N I N                                                 Jahr 2008 wurden bereits über
BESONDEREN ZEITEN                                                          1.000 – bis Ende Juli 2020 exakt

                                     5
                                                                           1.040 – Personen aus 312 Familien
Besonders produktiv haben Sascha                                           intensiv begleitet und unter-
Wild und das Team von Jazz und                                             stützt. Das entspricht 6.122 Eins-
Improvisierte Musik in die Schule!                                         zu-Eins-Treffen; darunter Haus-
die zeitweiligen Schulschließun-                                           besuche und das gemeinsame
gen in diesem Sommer und die         KURZFRISTIGE UND
                                                                           Aufsuchen von Anlaufstellen,
damit verbundene Absage meh-         FLEXIBLE HILFEN
                                                                           732 Gruppenveranstaltungen so-
rerer Schulkonzerte genutzt: Die                                           wie rund 33.350 Kontakte per
Musiker und Musikvermittler          Die Stiftung Polytechnische Ge-       Telefon, Mail, SMS oder Messen-
haben sich kurzerhand selbst in      sellschaft ist nicht nur operativ     ger. Die Willkommenstage bie-
Video- und Audioproduktion           mit eigenen Projekten tätig. Von      ten jungen Familien im ersten
geschult und mit Unterstützung       Beginn an fördert sie zudem           Lebensjahr ihres Kindes niedrig-
der Stiftung Polytechnische Ge-      herausragende Projekte Dritter,       schwellige, nachhaltige Unter-
sellschaft zahlreiche Jazz-Video-    die einen hohen Nutzen für die        stützung und führen sie an die
tutorials und Podcasts aufge-        Allgemeinheit versprechen. In den     Angebote der Familienbildung
nommen, die nun als Bausteine        vergangenen 15 Jahren wurden          heran. Die soziale Isolation wird
des Projekts auf der neuen Pro-      so bereits 1.210 Projekte Dritter     aufgebrochen und die elterliche
jektwebsite www.schuljazz-           mit rund 18 Millionen Euro ge-        Erziehungskompetenz dauerhaft
frankfurt.de frei zugänglich sind.   fördert. Während der Corona-Pan-      gestärkt.
                                     demie war der Förderbereich

                                                                             6
Sowohl für Jazzanfänger als
auch für fortgeschrittene Jazzer     besonders gefragt. Gleich nach
lohnt sich ein Besuch.               Ausbruch der Krise konnten
                                     spezielle Förderungen für beson-
                                     ders hart getroffene Zielgrup-
                                     pen kurzfristig auf den Weg ge-
                                     bracht werden; unter anderem
                                     wurden der Goethe-Corona-Fonds
                                     der Goethe Universität, der Härte-
                                     und Notfallfonds des Kulturde-
                                     zernates Frankfurt oder Initiativen
                                     wie die Malteser Einkaufsengel
                                     unterstützt. Nicht nur in Krisen-
                                     zeiten ist die Stiftung Polytech-
                                     nische Gesellschaft damit ein
                                     starker Partner der Frankfurter
                                     Stadtgesellschaft.

                                                             25
Die Stiftung

ÜBER
UNS
                                                                     Eine » Werkbank « für die Frankfurter Stadtge-
                                                                     sellschaft – das ist die Stiftung Polytechnische
                                                                     Gesellschaft. 2005 wurde sie mit einem Kapital von
                                                                     397 Millionen Euro von der Polytechnischen
                                                                     Gesellschaft e. V., einer über 200 Jahre alten
                                                                     Frankfurter Bürgervereinigung, errichtet. Heute
                                                                     machen 19 sogenannte Leitprojekte den Kern
                                                                     ihrer Arbeit aus. Die Projekte verteilen sich auf fol-
                                                                     gende Arbeitsschwerpunkte: Familienbildung,
                                                                     Sprachbildung, kulturelle Bildung, Hinführung zu
                                                                     Naturwissenschaft und Technik sowie Förderung
                                                                     des Bürgerengagements. Immer steht dabei die
                                                                     Schulung der vielfältigen Fähigkeiten des Men-
                                                                     schen im Mittelpunkt, die Förderung seiner fach-
                                                                     lichen und persönlichen Bildung zum Nutzen
                                                                     des Gemeinwesens – genau wie es der Begriff
                                                                     » polytechnisch « seit dem Zeitalter der Aufklärung
                                                                     ausdrückt.

STIFTUNG INTERN

Annika Löffler-Djahani
               Annika Löffler-Djahani ist Naturwissenschaftlerin
               durch und durch. Schon früh begeisterte sich
               die gebürtige Frankfurterin für die Natur und ihre
               Phänomene, was sie letztlich zum Studium der
               Chemie an der Goethe-Universität Frankfurt beweg-
               te. Ideale Voraussetzungen für die Betreuung
               des Stiftungsprojekts KEMIE®, bei dem Kinder zu-
               sammen mit ihren Eltern im Labor experimen-
               tieren. Zudem betreut Annika Löffler-Djahani das
               Digitechnikum, das neue Leitprojekt der Stiftung,
               und den Polytechnik-Preis. In ihrer Freizeit spielt
               sie gern Doppelkopf, fotografiert, bereist mit Be-
               geisterung fremde Länder und ist in und um Frank-
               furt am liebsten mit dem Fahrrad unterwegs.
                                                                                        KO N TA KT

                                                                                        Annika Löffler-Djahani
                                                                                        Projektleiterin Wissenschaft
                                                                                        und Technik
                                                                                        Telefon 069 - 789 889 - 26
                                                                                        loeffler@sptg.de

                                                       26
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