Genossenschaften in der Schweiz - ein Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft - Genossenschaftsmonitor 2020 - Genossenschaftsmonitor ...

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Genossenschaften in der Schweiz - ein Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft - Genossenschaftsmonitor 2020 - Genossenschaftsmonitor ...
Genossenschaften in der
Schweiz – ein Erfolgsmodell
der Gegenwart und Zukunft

Genossenschaftsmonitor 2020

Januar 2020
Genossenschaften in der Schweiz - ein Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft - Genossenschaftsmonitor 2020 - Genossenschaftsmonitor ...
Genossenschaftsmonitor 2020

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Genossenschaften in der Schweiz - ein Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft - Genossenschaftsmonitor 2020 - Genossenschaftsmonitor ...
Genossenschaftsmonitor 2020

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Genossenschaftsmonitor 2020

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ............................................................................................................................................................................ 4

Management Summary ................................................................................................................................................... 5

1    Einleitung ................................................................................................................................................................... 7

2    Methodisches Vorgehen ............................................................................................................................................8

       2.1       Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor ......................................................................................................8

       2.2       Inhalte der Online-Umfrage .......................................................................................................................... 9

3    Ergebnisse ................................................................................................................................................................ 10

       3.1       Bedeutung der Genossenschaften für die Schweizer Wirtschaft und den Arbeitsmarkt .......................... 10

                 3.1.1 Umsatzwachstum in Schweizer Genossenschaften ........................................................................... 11

       3.2       Präsenz der Genossenschaften in der Schweiz ........................................................................................... 12

       3.3       Die genossenschaftlichen Vorteile .............................................................................................................. 13

       3.4       Kooperationsbereitschaft und Identifikation mit Genossenschaften ........................................................ 16

       3.5       Genossenschaftliche Governance ................................................................................................................ 18

       3.6       Genossenschaften als Arbeitgeber .............................................................................................................. 18

       3.7       Genossenschaften und aktuelle Trends ..................................................................................................... 20

                 3.7.1 Umwelt und Nachhaltigkeit .............................................................................................................. 20

                 3.7.2 Digitalisierung und die Sharing Economy ........................................................................................ 21

                 3.7.3 Überalterung der Gesellschaft und Urbanisierung ........................................................................... 22

4    Schlussfolgerungen und Ausblick ........................................................................................................................... 23

       4.1       Der genossenschaftliche Beitrag zur Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft ........................................... 23

       4.2       Genossenschaften als die Unternehmensform der Zukunft?..................................................................... 24

5    Quellenverzeichnis................................................................................................................................................... 27

6    Appendix .................................................................................................................................................................. 31

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Genossenschaftsmonitor 2020

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser

Genossenschaften sind in der Schweizer Wirtschaft und Bevölkerung historisch tief verwurzelt und beliebt. Trotz
dieser Tatsache, und obschon sie einen bedeutenden Beitrag zum Wohlstand und zum Funktionieren der Schweiz
leisten, sind Genossenschaften in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der gesellschaftlichen und politischen
Diskussion noch wenig präsent.

Wir als Idée Coopérative wollen dies ändern. Als Kompetenzzentrum für Genossenschaften sind wir die Stimme
dieses zukunftsträchtigen Wirtschaftsmodells und möchten die Erfolgsgeschichte der Genossenschaften der
interessierten Öffentlichkeit näherbringen. Aus diesem Grund lanciert die Idée Coopérative anlässlich ihrer
Gründung den Genossenschaftsmonitor.

Der Genossenschaftsmonitor leistet einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion zum Genossenschaftswesen in der
Schweiz. So zeigt die aktuelle Auswertung einer breiten Umfrage zum Beispiel eindrücklich auf, dass
Genossenschaften schon heute die Zukunft praktizieren, indem sie langfristige unternehmerische Ziele verfolgen.
Und der Monitor unterstreicht zahlenbasiert, wie frauenfreundlich die modernen Genossenschafts-Unternehmen
agieren: Sie mobilisieren die «Stille Reserve» des Arbeitsmarktes!

Mit seiner werteorientierten Ausrichtung bietet das Erfolgsmodell Genossenschaft Lösungen für viele aktuelle und
künftige Herausforderungen. Aus diesem Grund engagieren wir uns für mehr kooperatives Unternehmertum und
damit für mehr Selbstverantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und bedanken uns herzlich für die wertvollen Beiträge aller
teilnehmenden Genossenschaften.

Ursula Nold, Präsidentin der Verwaltung von Idée Coopérative Genossenschaft

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Genossenschaftsmonitor 2020

Management Summary

Um die Bedeutung der Genossenschaften ganzheitlich zu erfassen, stützt sich der Genossenschaftsmonitor auf drei
Datenquellen: Neben der Umfrage unter Schweizer Genossenschaften, welche eigens im Rahmen des
Genossenschaftsmonitors       durchgeführt      wurde,   wurden   Befunde     aus    bestehenden    Studien1     sowie
volkswirtschaftliche Daten und Statistiken (BFS Schweiz, sowie veröffentlichten Unternehmensdaten) ausgewertet.
Die Erkenntnisse des Genossenschaftsmonitors zeigen auf, dass Genossenschaften einen zentralen Beitrag zur
Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft leisten.

    □   Genossenschaften stärken die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in der Schweiz:
        Genossenschaften spielen eine zentrale Rolle für die Schweizer Wirtschaftsleistung. Basierend auf den
        veröffentlichten Unternehmensdaten der zehn grössten Genossenschaften trugen diese mit ihrem Umsatz
        im Jahr 2018 mehr als 11% zum Schweizer Bruttoinlandsprodukt bei, wie aus den Berechnungen im Rahmen
        des Genossenschaftsmonitors hervorgeht.2 Der Jahresbericht des Instituts für Unternehmensrecht der
        Universität Luzern aus dem Jahr 2017 spricht davon, dass die grössten 20 Genossenschaften in der Schweiz
        ungefähr 15% des BIP ausmachen (IFU | BLI Institut für Unternehmensrecht der Universität Luzern, 2017,
        S. 6). Genossenschaften leisten auch für den wachsenden Schweizer Arbeitsmarkt einen wichtigen Beitrag.
        Obwohl sie in der Schweiz nur 1.34% aller eingetragenen Unternehmen ausmachen, stellen sie einen weit
        höheren prozentuellen Anteil der Arbeitsplätze und schaffen pro Neugründung durchschnittlich am meisten
        neue Arbeitsplätze (BFS, 2019).

    □   Genossenschaften haben eine breite Präsenz in der Schweiz: Wie aus der Umfrage zum
        Genossenschaftsmonitor hervorgeht, haben Genossenschaften eine breite Präsenz in Stadt und Land und
        sind in allen Regionen der Schweiz vertreten (vgl. BFS, 2019). Gemeinsam mit ihrer regionalen Verankerung
        sind      Genossenschaften   so   ein   wichtiger   Treiber   für   eine    nachhaltige   und    ausgewogene
        Wirtschaftsinfrastruktur in der Schweiz. Dabei sind sie ebenfalls in vielen verschiedenen Branchen vertreten
        – zunehmend auch in solchen, welche ausserhalb der für Genossenschaften traditionell typischen Branchen
        liegen.

    □   Genossenschaften         übernehmen          gesellschaftliche      Verantwortung:         Die     für    den
        Genossenschaftsmonitor erhobene Umfrage zeigt, dass sich Genossenschaften vor allem durch ihre
        Werteorientierung wie gesellschaftliche Verantwortung, Nachhaltigkeit, Förderung regionaler Strukturen
        sowie durch ihre Kundennähe auszeichnen, welche sie aktiv im unternehmerischen Alltag nutzen. Dabei
        vereinen Genossenschaften in ihren unternehmerischen Zielen sowohl wirtschaftliche als auch

1U.a. Birchall (2017); Borzaga, Depedri, & Tortia (2009); Fischler (2012); Hyung-sik (2017); Jungmeister, Gernet,
Amstutz, & Golder (2016); Jungmeister & Taisch (2014); Marwa (2014); Michi, Blasi, & Borzaga (2017); Nilsson
(2001); Novkovic (2008, 2012); Parliament, Lerman, & Fulton (1990); Peter & Jungmeister (2017); Rivas, Schmid,
& Seidl (2018); Sadun, Bloom & Van Reenen (2017); Schincariol McMurtry & McMurtry (2015); Scholz (2014);
Scholz (2017); Shaw (2007), Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, (2017); Taisch et al., (2012); United Nations (2012).
Die vollständige Liste der verwendeten Quellen ist im Quellenverzeichnis aufgeführt.
2 Berechnet mithilfe der veröffentlichten Unternehmensdaten im Rahmen der Jahresberichte 2018 der zehn
grössten Genossenschaften (Coop, Migros Gruppe (MGB), Fenaco, Schweizer Mobiliar, Raiffeisen Schweiz,
Pensionskasse Energie, Pax Holding, Schweizer Reisekasse (Reka), Swisslos und ESA Einkaufsorganisation) und
dem Schweizer BIP basierend auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des BFS (abgerufen am 04. November
2019)

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Genossenschaftsmonitor 2020

       gesellschaftliche Zwecke. Diese Ausgewogenheit wird ergänzt durch einen tendenziell längerfristigen
       Planungshorizont.

  □    Genossenschaften wirtschaften beziehungsorientiert: Genossenschaften fördern kooperatives
       Wirtschaften in der Schweiz. Sie zeichnen sich dabei durch eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft bei
       ihren Mitgliedern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kundinnen und Kunden aus. Darüber hinaus konnte
       im Rahmen des Genossenschaftsmonitors aufgezeigt werden, dass sich insbesondere Mitarbeitende sowie
       Kundinnen und Kunden stark mit den Genossenschaften identifizieren. Dies bildet eine nachhaltige Basis
       für Genossenschaften, um das genossenschaftliche Differenzierungspotenzial auszuschöpfen.

  □    Genossenschaften sind attraktive Arbeitgeber für Frauen und die junge Generation:
       Genossenschaften gelten am Schweizer Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Alleinstellungsmerkmale (vgl. Kapitel
       3.3) vor allem bei jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als attraktive Arbeitgeber. Zusätzlich
       fördern Genossenschaften die Teilnahme der Frauen am Schweizer Arbeitsmarkt (Schincariol McMurtry &
       McMurtry, 2015). Der durchschnittliche Frauenanteil aller Mitarbeitenden in den teilnehmenden
       Genossenschaften liegt bei 36.6%, der Frauenanteil in Führungspositionen im Schnitt bei 26.1%.

  □    Genossenschaften sind zukunftsträchtig: Schweizer Genossenschaften haben im Angesicht aktueller
       Trends grosses Potenzial, Innovationen zu schaffen, die für das langfristig nachhaltige Funktionieren der
       Gesellschaft erforderlich sind (vgl. Kapitel 3.7). Energiegenossenschaften sind beispielsweise wichtige
       Akteure in der Entwicklung einer regionalen Infrastruktur zur Nutzung erneuerbarer Energien in der
       Schweiz. Plattformgenossenschaften fördern mithilfe digitaler Kanäle die gemeinschaftliche Nutzung von
       Ressourcen unmittelbar dort, wo sie gebraucht werden. Und nicht zuletzt stehen Genossenschaften im Kern
       der Bewältigung globaler Trends, wie der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und ökologischen
       Problemen.

Genossenschaften stehen auch in Zukunft vor spezifischen Herausforderungen, um ihre Konkurrenzfähigkeit
gegenüber anderen Unternehmensformen sicherzustellen. Um den «genossenschaftlichen Vorteil» zu realisieren,
müssen Schweizer Genossenschaften auf ihre Differenzierungsmerkmale (vgl. Kapitel 3.3) setzen. Wenn das volle
Potenzial des genossenschaftlichen Vorteils realisiert wird, kann ein stabileres, vertrauenswürdigeres und
gerechteres Wirtschaften im Markt erreicht werden, welches nicht nur vom Gewinn, sondern auch von den
Bedürfnissen der Menschen getrieben wird. Genossenschaften als partizipative, solidarische Organisationsformen
bauen auf einer erfolgreichen Kooperation mit ihren Mitgliedern sowie Mitarbeitenden, Geschäftspartnern,
Kundinnen und Kunden auf. Wie die Erkenntnisse des Genossenschaftsmonitors zeigen, werden Genossenschaften
durch ihre Differenzierungsmerkmale und mithilfe eines partizipativen Netzwerks auch in Zukunft ihren Beitrag
zur wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz leisten können.

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Genossenschaftsmonitor 2020

1 Einleitung
Eine Genossenschaft ist eine «als Körperschaft organisierte Verbindung einer nicht geschlossenen Zahl von
Personen oder Handelsgesellschaften, die in der Hauptsache die Förderung oder Sicherung bestimmter
wirtschaftlicher Interessen ihrer Mitglieder in gemeinsamer Selbsthilfe bezweckt».3 Sie beabsichtigt, «marktferne
oder marktschwache Wirtschaftssubjekte (Individuen oder Unternehmen) an den Markt heranzuführen»
(Münkner, Tonnelier & Siebert, 2004). Dies erreichen Genossenschaften vor allem durch Kooperation (Taisch,
Jungmeister, Troxler & D’Incà-Keller, 2012) und mit ihrem zentralen Grundwert, der Befähigung zur Selbsthilfe
(Fischler, 2012). Aus ihrer Historie resultiert ihr zentrales Alleinstellungsmerkmal unter den Rechtsformen: die
duale Zielsetzung aus wirtschaftlichem Erfolg und Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft (Novkovic &
Webb, 2014).

Um das Bewusstsein für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beitrag der Genossenschaften zu stärken,
feierte die UN im Jahr 2012 das «Jahr der Genossenschaften» (UN, 2012). Im nationalen Kontext der Schweiz
konnte in zwei durch das Institut gfs.bern durchgeführte Befragungen4 gezeigt werden, dass die Schweizer
Bevölkerung Genossenschaften nach wie vor als Bereicherung und die Genossenschaftsidee als ein wichtiges Thema
für ihre Heimat sieht (Jungmeister, Gernet, Amstutz und Golder, 2016). Genossenschaften sind demnach
gesellschaftlich und kulturell in der Schweiz tief verwurzelt. Darüber hinaus spielen sie eine wirtschaftlich tragende
Rolle und repräsentieren einen wichtigen Bestandteil der Schweizer Managementkultur. Ihr Beitrag zur Schweizer
Volkswirtschaft und Gesellschaft ist jedoch oft wenig sichtbar.

Mithilfe des vorliegenden Genossenschaftsmonitors soll der Beitrag der Genossenschaften zur Wirtschaft und
Gesellschaft der Schweiz analysiert und sichtbar gemacht werden. Es geht darum, die heutige Rolle von
Genossenschaften in der Schweiz, auch im Vergleich zu anderen Unternehmensformen, darzulegen. Ziel ist
insbesondere die Beantwortung folgender Fragen: (1) Welchen Beitrag liefern Genossenschaften zur Schweizer
Wirtschaft und Gesellschaft? (2) Welche Rolle spielen Genossenschaften im Lichte aktueller gesellschaftlicher
Trends?

Im Auftrag der Idée Coopérative befragte das Beratungsunternehmen FehrAdvice & Partners zwischen März und
September 2019 170 Genossenschaften in der ganzen Schweiz, wodurch der Genossenschaftsmonitor auf eine
aktuelle Datengrundlage zurückgreifen kann.

In Kapitel 2 wird das methodische Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor aufgezeigt. Kapitel 3 enthält die
Umfrageergebnisse des Genossenschaftsmonitors, und in Kapitel 4 werden die Schlussfolgerungen gezogen.

3Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht),
220, Art. 828 A. Genossenschaft des Obligationenrechts, Stand 1. November 2019. Abgerufen von
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19110009/index.html#a828.
4Teilergebnisse der Umfrage aus dem Jahr 2011 wurden bereits in anderweitigen Publikationen verwendet und
veröffentlicht (Taisch et al., 2012; Taisch, Jungmeister, Fabrizio, D’Incà-Keller, Schmid, Jurt, Kostovic, Thi, &
Ruppel, 2014; Rössl, Jungmeister, & Taisch, 2015).

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Genossenschaftsmonitor 2020

2 Methodisches Vorgehen
In der Folge werden das methodische Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor und die Inhalte der Online-Umfrage
beschrieben.

2.1       Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor

Um ein ganzheitliches und aussagekräftiges Bild zum Beitrag und zur Rolle von Genossenschaften für die Schweizer
Wirtschaft und Gesellschaft darzustellen, vereint der Genossenschaftsmonitor Daten aus drei Quellen. Er verbindet
Befunde aus schon bestehenden Studien5, sowie volkswirtschaftliche Daten und Statistiken (u.a. BFS Schweiz,
verfügbare Unternehmensdaten) mit einer eigens im Rahmen des Genossenschaftsmonitors durchgeführten
Umfrage. Die Entwicklung und Durchführung dieser Studie verliefen in vier Schritten:

Im ersten Schritt wurden basierend auf dem aktuellen Forschungsstand die relevanten Themenfelder identifiziert:

     □    Wirtschaftliche Faktoren: Kennzahlen zu Genossenschaften und ihren Mitarbeitenden

     □    Managementfaktoren: Governance, Führungsstil, strategische Zielsetzungen, Zeithorizonte und
          Hierarchien, genossenschaftliche Alleinstellungsmerkmale (Vorauswahl basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5;
          Taisch et al., 2012, S. 43 ff.)

     □    Fragestellungen rund um aktuelle Trends und Zukunftsthemen sowie die diesbezügliche Rolle von
          Genossenschaften

Im zweiten Schritt wurde eine Online-Umfrage erarbeitet, um die Sicht der Genossenschaften zu den obigen
Themenfeldern zu erheben.

Basierend auf dieser Umfrage wurden in einem dritten Schritt persönliche Interviews mit Repräsentanten von 14
Genossenschaften unterschiedlichster Branchen in der Schweiz (z.B. ABZ, Reka, OLMA Messen, ESA
Einkaufsorganisation, Migros, Mobiliar, Raiffeisen, Fenaco, VillageOffice) durchgeführt, um vertiefte Erkenntnisse
rund um die zentralen Fragestellungen zu gewinnen.

Parallel dazu wurde die digitale Umfrage an eine Stichprobe von 400 randomisiert ausgewählten Genossenschaften
verteilt, welche telefonisch und per E-Mail kontaktiert wurden. Insgesamt betrug die Rücklaufquote des Samplings
knapp 20%.6 Zusätzlich wurde ein Link zur Online-Umfrage per Briefanschreiben an alle verbleibenden
Genossenschaften für eine freiwillige Teilnahme versendet. Die Online-Befragung dauerte durchschnittlich 21
Minuten. Teilnehmer waren Genossenschaften aller Grössenkategorien (kleine, mittlere und grosse
Genossenschaften7) und Sprachregionen der Schweiz.

Insgesamt konnten so im Zeitraum zwischen März und September 2019 Erkenntnisse von 170 Genossenschaften
aus      der   ganzen    Schweiz     gesammelt   werden.   Teilnehmende       an   der   Umfrage   waren   grösstenteils

5U.a. Birchall (2017); Borzaga, Depedri, & Tortia (2009); Fischler (2012); Hyung-sik (2017); Jungmeister, Gernet,
Amstutz, & Golder (2016); Jungmeister & Taisch (2014); Marwa (2014); Michi, Blasi, & Borzaga (2017); Nilsson
(2001); Novkovic (2008, 2012); Parliament, Lerman, & Fulton (1990); Peter & Jungmeister (2017); Rivas, Schmid,
& Seidl (2018); Sadun, Bloom & Van Reenen (2017); Schincariol McMurtry & McMurtry (2015); Scholz (2014);
Scholz (2017); Shaw (2007), Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, (2017); Taisch, et al., (2012); United Nations (2012).
Die vollständige Liste der verwendeten Quellen ist im Quellenverzeichnis aufgeführt.
6Die durchschnittliche Rücklaufquote für vergleichbare Online-Befragungen (in Länge und Zielgruppe) liegt bei
10-12%.
7   Definition nach Umsatzgrösse; detaillierte Erläuterung in Kapitel 3.1.1

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Genossenschaftsmonitor 2020

Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleiter (50%) oder Mitglieder des Verwaltungsrates bzw. der Verwaltung (29%).
Die verbleibenden Teilnehmenden waren CFOs, Mitarbeitende des Kaders oder andere Genossenschaftsmitglieder
mit relevanten Führungseinblicken.

Die gesammelten Daten wurden entsprechend einer Klassifizierung über die verschiedenen Grössen-Segmente der
teilnehmenden Genossenschaften gewichtet, um die Repräsentativität der gesammelten Daten sicherzustellen.

2.2     Inhalte der Online-Umfrage

Die Online-Umfrage umfasste folgende Inhalte:

    □   Grundlegende Aspekte der Genossenschaften in der Schweiz wie Grösse, Hauptsitz, Alter der
        Genossenschaft, Umsatz, Umsatzentwicklung, Umgang mit finanziellen Überschüssen

    □   Personalaspekte wie Anzahl Mitarbeitende, Beschäftigungsverhältnisse, Angaben zum Verwaltungsrat bzw.
        zur Verwaltung, Weiterbildungsmöglichkeiten, Geschlechterdiversität

    □   Verhaltensökonomische Aspekte wie Kooperationsbereitschaft, Identifizierung der Mitarbeitenden mit der
        Genossenschaft

    □   Genossenschaftliche Alleinstellungsmerkmale (Vorauswahl basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al.,
        2012, S. 43 ff.) und deren Einfluss auf den unternehmerischen Alltag

    □   Managementfaktoren wie unternehmerische Motive und Organisationsstrukturen sowie Selbsteinschätzung
        der Geschäftsführung zu verschiedenen Managementaspekten (hierarchische Organisation, Vorgehen bei
        der Einführung neuer Prozesse, Verfolgung unternehmerischer Leistung, Art der unternehmerischen
        Zielsetzung, Führungsverhalten und Talententwicklung)8

    □   Relevanz aktueller Trends und Zukunftsthemen sowie Umgang damit im unternehmerischen Alltag

8Basierend auf der Methodik zum World Management Survey von Bloom & Van Reenen (2007). Dieser misst eine
Selbsteinschätzung der Führungskräfte in Genossenschaften entlang zentraler Managementdimensionen: die
vorherrschende Art der Organisation im Unternehmen (hierarchisch vs. flache Strukturen), das Vorgehen zur
Einführung neuer Prozesse, die Verfolgung unternehmerischer Leistung, die dominante unternehmerische
Zielsetzung (finanzielle vs. nicht-finanzielle Ziele) sowie das Tracking und die Kommunikation zur
Talententwicklung in Genossenschaften. Wie Bloom und Van Reenen (2007) aufzeigten, sind diese Massnahmen
der Managementpraxis positiv mit der Produktivität, Rentabilität und Überlebensrate von Unternehmen
verbunden.

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Genossenschaftsmonitor 2020

3 Ergebnisse
Die Erkenntnisse zur Relevanz und Rolle von Schweizer Genossenschaften sind nachfolgend unter sieben
Themenkreisen zusammengefasst.

3.1       Bedeutung der Genossenschaften für die Schweizer Wirtschaft und den
          Arbeitsmarkt

Mit insgesamt 8’559 im Handelsregister eingetragenen Genossenschaften stellt diese Rechtsform 1.34% aller
eingetragenen Unternehmen in der Schweiz dar (BFS, 2019) – ein Anteil, welcher seit dem Vorjahr, vor allem durch
die Gründung neuer Kleinstgenossenschaften, leicht gestiegen ist.9

In der Schweiz gab es 2018 rund 5.06 Millionen Erwerbstätige, von denen allein die zehn grössten
Genossenschaften insgesamt über 224'000 Personen (4.03%) beschäftigten; in kleinen und mittleren Schweizer
Genossenschaften sind es laut aktuellsten Daten rund 42'625 Beschäftigte.10 Darüber hinaus schaffen
Genossenschaften pro Neugründung durchschnittlich am meisten neue Arbeitsplätze (2.01).10 Im Vergleich dazu
stellten in den vergangenen Jahren über vier Fünftel (82.4 %) der neu gegründeten Unternehmen in der Schweiz
lediglich einen Arbeitsplatz (vgl.: Gesellschaften mit beschränkter Haftung schaffen durchschnittlich 1.73 Stellen
pro Neugründung).11 So leisten Genossenschaften für den Schweizer Arbeitsmarkt einen überdurchschnittlichen
Beitrag.

Überdurchschnittlich ist der genossenschaftliche Beitrag auch hinsichtlich des Bruttoinlandproduktes (BIP). Wie
aus den veröffentlichten Unternehmensdaten der zehn grössten Genossenschaften für 2018 hervorging12 trugen
diese im Jahr 2018 mehr als 11% zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei (BIP)13, welche in diesem Zeitraum mit rund
CHF 689.6 Mrd. einen neuen Höchststand erreichte.14 Der Jahresbericht des Instituts für Unternehmensrecht der
Universität Luzern aus dem Jahr 2017 spricht davon, dass die grössten 20 Genossenschaften in der Schweiz
ungefähr 15% des BIP ausmachen (IFU | BLI Institut für Unternehmensrecht der Universität Luzern, 2017, S. 6).

Da veröffentlichte Finanzkennzahlen nur für einen Teil der Genossenschaften verfügbar sind, ist der effektive Anteil
genossenschaftlich      erwirtschafteter     Umsätze       am    Schweizer   BIP    noch   höher     einzuschätzen.
Interessant ist zu sehen, dass gemäss den Ergebnissen aus der Umfrage nur etwas mehr als die Hälfte der
Genossenschaften die genossenschaftliche Bedeutung für die Schweizer Wirtschaftsleistung korrekt wahrnehmen.
Wenn       Genossenschaften    selbst      den   Beitrag   der   genossenschaftlichen   Umsätze    zum   Schweizer
Bruttoinlandsprodukt einschätzen, so schätzen 52.7% diesen auf 15% oder höher ein, davon in 13.8% der Fälle sogar
auf über 25%. Die verbleibenden Genossenschaften unterschätzen die eigene Bedeutung für das Schweizer BIP.

9    EHRA Fenceit-Statistiken des BFS (abgerufen am 04. November 2019)
10   STATENT Statistik zur Unternehmensstruktur des BFS (abgerufen am 04. November 2019)
11Statistik zur Unternehmensdemographie des BFS, 2019 (abgerufen von
https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/industrie-dienstleistungen/unternehmen-
beschaeftigte/unternehmensdemografie/neugruendungen-ueberlebensraten.assetdetail.10687118.html)
 Die zehn grössten Genossenschaften basierend auf ihrer Umsatzleistung im Jahr 2018 umfassten: Coop, Migros
12

Gruppe (MGB), Fenaco, Schweizer Mobiliar, Raiffeisen Schweiz, Pensionskasse Energie, Pax Holding, Schweizer
Reisekasse (Reka), Swisslos und ESA Einkaufsorganisation
 Basierend auf den veröffentlichten Unternehmensdaten im Rahmen der Jahresberichte der zehn grössten
13

Genossenschaften (Umsatz als Messkriterium analog zu Taisch & Jungmeister, 2014)
14   Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des BFS (abgerufen am 04. November 2019)

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Genossenschaftsmonitor 2020

Die Stärke der Schweizer Genossenschaften spiegelt sich auch international wider. Im Rahmen des weltweit
erhobenen CEI (Cooperative Economy Index)15 der United Nations Department for Economic and Social Affairs
wurde der relative Beitrag und Einfluss von Genossenschaften auf die nationale Wirtschaft evaluiert. Im CEI
rangieren die Schweizer Genossenschaften im weltweiten Top-10-Ranking auf Rang 3 (Dave Grace and Associates,
2014). Lediglich Genossenschaften in Neuseeland und Frankreich leisten einen höheren relativen Beitrag zur
nationalen Wirtschaft. Des Weiteren positionieren sich Schweizer Genossenschaften in einem internationalen
Ranking der Organisation CICOPA16 zur relativen Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze verglichen mit der
nationalen Bevölkerung sogar auf Platz 2 (Hyung-sik, 2017).

3.1.1      Umsatzwachstum in Schweizer Genossenschaften

Betrachtet man die Umsätze einzelner Genossenschaften, erwirtschaften gemäss der Umfrage 21.1% aller
Genossenschaften einen Umsatz von unter CHF 0.2 Mio. pro Jahr, 7.7% einen Umsatz zwischen CHF 0.2 und 0.5
Mio. und in 20% der Fälle einen Umsatz im Rahmen von CHF 0.5 bis 1 Mio. 34.0% der Genossenschaften erzielten
im vergangenen Jahr einen Umsatz zwischen CHF 1 und 5 Mio., während sich weitere 5.4% bei einer Umsatzgrösse
im Rahmen zwischen CHF 6 und 50 Mio. bewegten. Insgesamt erzielten 2.1% der Genossenschaften einen Umsatz
über CHF 50 Mio.; die grössten 1.04% davon sogar über CHF 250 Mio.17 Basierend auf den Umsatzkategorien
können die Grössenklassen der Genossenschaften definiert werden (siehe Abbildung 1), welche die Grundlage für
die Kategorisierung der Genossenschaften in kleine, solche mittlerer Grösse und grosse darstellt.

Abbildung 1. Grössenkategorien der Genossenschaften nach Umsätzen

Dem Resultat der Befragung kann eine positive Tendenz in den Umsätzen der Schweizer Genossenschaften
entnommen werden (siehe Abbildung 2). So ist der Umsatz bei knapp 50% der befragten Genossenschaften über
die vergangenen zwei Jahre stabil geblieben und in 43.6% der Fälle gestiegen (bei 36.1% leicht und bei 7.5% sogar
stark). Während der Umsatz bei kleineren Genossenschaften zu etwas mehr als einem Drittel gestiegen ist, erlebten
vor allem mittlere und grosse Genossenschaften in den vergangenen zwei Jahren in deutlich mehr als der Hälfte
der befragten Fälle ein positives Umsatzwachstum. Ergänzend dazu zeigen auch die Unternehmensdaten der zehn
grössten Genossenschaften ein Wachstum: Der aggregierte Umsatz kann im Jahre 2018 mit CHF 76.87 Mrd.

 Der CEI misst den relativen Beitrag und Einfluss auf die nationale Wirtschaft der Genossenschaften aus einer
15

Gewichtung der Anzahl der Mitgliedschaften, geschaffenen Arbeitsstellen und den Umsätzen der
Genossenschaften relativ zur Bevölkerung und der nationalen Umsatzleistung.
16CICOPA (Comité International des Coopératives de Production et Artisanales) ist eine Tochterorganisation der
ICA (International Cooperative Alliance)
17   9.7% der teilnehmenden Genossenschaften entschieden sich, keine Angabe zum Umsatz zu machen.

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Genossenschaftsmonitor 2020

beziffert werden – dies stellt ein klares Plus von 3% im Vergleich zum Vorjahr dar.5 Lediglich 7.2% aller befragten
Genossenschaften verzeichneten in den vergangenen Jahren einen sinkenden Umsatz; davon lediglich 1% der
Genossenschaften einen starken Umsatzrückgang.

Abbildung 2. Umsatzentwicklung der Genossenschaften über die letzten zwei Jahre

3.2    Präsenz der Genossenschaften in der Schweiz

Wie aus der Umfrage zum Genossenschaftsmonitor hervorgeht, haben insgesamt 23.9% der Genossenschaften
ihren Hauptsitz in einer Stadt, 31.7% in einer Agglomeration und 44.5% in ländlichen Gebieten. Bei kleineren
Genossenschaften liegt der Anteil ländlicher Niederlassungen bei über der Hälfte, während grosse
Genossenschaften meist in einer Stadt angesiedelt sind (48.7%). Genossenschaften mittlerer Grösse sind jeweils zu
rund einem Drittel in der Stadt, in der Agglomeration oder auf dem Land zu finden. Das zeigt, dass
Genossenschaften in der Schweiz zu einer ausgewogenen wirtschaftlichen Infrastruktur in urbanen sowie in ruralen
Gebieten der Schweiz beitragen (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3. Geografische Verteilung der Genossenschaften in der Schweiz

Ein ähnliches Bild zeigt sich bezüglich Regionalität: Genossenschaften in der Schweiz sind auch in den einzelnen
Landesregionen gut vertreten (siehe Abbildung 3). Die meisten Genossenschaften befinden sich im Espace

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Genossenschaftsmonitor 2020

Mittelland (25.8%), gefolgt von der Ostschweiz (19.0%) und Zürich (15.7%). Weitere 13.2% befinden sich in der
Nordwestschweiz, 12.4% in der Zentralschweiz, 12.0% in der Genferseeregion und schliesslich rund 2.0% im
Tessin.18

Was die Branchenpräsenz betrifft, so zählen vor allem der Konsum- und Detailhandel, der Wohnbau sowie das
Finanzwesen in der Schweiz zu den historisch typischen Branchen des Genossenschaftswesens, wie beispielsweise
die über 100 Jahre bestehenden Grossgenossenschaften Coop, Raiffeisen oder die Allgemeine Baugenossenschaft
Zürich zeigen. Auch heute sind Genossenschaften in diesen Branchen in der Schweiz noch gut vertreten. Gemäss
der Umfrage sind 41.8% der Genossenschaften im Wohnbau aktiv, 3.3% im Finanzdienstleistungsbereich und 3.2%
sind im Konsum- und Detailhandel tätig (siehe Abbildung 4).

Die Anzahl von Genossenschaften ausserhalb der «traditionellen» Genossenschaftsbranchen nimmt jedoch
tendenziell zu – eine Entwicklung, welche bereits Klemisch & Boddenberg (2012) im deutschsprachigen Raum
feststellten und den auch die Umfrage untermauert: 9.1% der Genossenschaften sind in der Energiewirtschaft aktiv
und 6% im Bereich Dienstleistungen (siehe Abbildung 4).

Abbildung 4. Auswahl der grössten Branchen der Teilnehmer

3.3      Die genossenschaftlichen Vorteile

Mit der Umfrage wurden auch die zentralen organisatorischen Merkmale und genossenschaftlichen
Alleinstellungsmerkmale (gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) erhoben, durch welche sich
Genossenschaften auszeichnen.

18   STATENT Statistik zur Unternehmensstruktur des BFS (abgerufen am 04. November 2019)

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Genossenschaftsmonitor 2020

Allen voran steht der «duale Charakter» von Genossenschaften, welcher sie als Unternehmen mit einer geteilten
Zielsetzung aus wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Faktoren beschreibt (Novkovic & Webb, 2014). 73.5% der
teilnehmenden Genossenschaften sehen die gesellschaftliche Verantwortung als zentrales Alleinstellungsmerkmal
für Genossenschaften. Zu den Top 5-Alleinstellungsmerkmalen zählen laut Angaben der Genossenschaften ferner
Nachhaltigkeit (62.1%), Förderung regionaler Strukturen (52.8%), Kundennähe (47.9%) und Partizipation (44.2%)
(siehe Abbildung 5). Viele Genossenschaften setzen diese Alleinstellungsmerkmale auch bereits aktiv in ihrem
Unternehmensalltag um. So leben 58.3% der Genossenschaften die gesellschaftliche Verantwortung aktiv im
unternehmerischen Alltag, was einem Umsetzungsgrad von 79.3% entspricht. Ein noch leicht höherer
Umsetzungsgrad (82.3%) wird bei der Kundennähe erreicht, d.h. vier von fünf Genossenschaften, welche
Kundennähe als Alleinstellungsmerkmal von Genossenschaften identifizieren, setzen diese auch aktiv in ihrem
unternehmerischen Handeln um.

Der   Fokus   auf   langfristigen wirtschaftlichen Erfolg   zählt   mit   43.1%   ebenfalls zu   den   wichtigen
Alleinstellungsmerkmalen von Schweizer Genossenschaften. Drei von vier Genossenschaften, die den
Langfristfokus als Alleinstellungsmerkmal genannt haben, setzen diesen auch aktiv in ihrer Unternehmensstrategie
um (Umsetzungsgrad 73.5%). Auf die spezifische Frage nach dem Planungshorizont antworteten nur 4.6% mit
«quartalsweise». Über die Hälfte (55.6%) setzen sich zumindest jährliche strategische Ziele und fast jede vierte
Genossenschaft (23.3%) hat einen strategischen Zeithorizont von fünf Jahren oder mehr (siehe Abbildung 6).

Abbildung 5. Die wichtigsten Alleinstellungsmerkmale der Genossenschaften (Vorauswahl
basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) und deren Nutzung im
unternehmerischen Alltag

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Genossenschaftsmonitor 2020

Abbildung 6. Zeithorizont in der strategischen Zielsetzung bei Genossenschaften

Demgegenüber     sehen    Genossenschaften     das   Innovationspotenzial    nur    in   17.6%   als   wichtiges
Alleinstellungsmerkmal und lediglich 9.6% machen sich ihr Innovationspotential im unternehmerischen Alltag
zunutze. Dieser tiefe Prozentsatz lässt aufhorchen. Gleichzeitig wird er etwas durch die Selbsteinschätzung des
Führungsstils relativiert. Zwar schätzen 41.8% der Genossenschaften ihren Führungsstil als konservativ oder eher
konservativ ein, doch nehmen auf der andern Seite 58.2% der Genossenschaften ihren Führungsstil als innovativ
oder eher innovativ wahr. Jüngere Genossenschaften zeigen tendenziell ein innovativeres Führungsverhalten;
konkret geben 74.3% der Genossenschaften, die vor zehn oder weniger Jahren gegründet wurden, an, innovativ
oder eher innovativ zu führen. Demgegenüber liegt dieser Anteil bei Genossenschaften mit einem Alter von 11–50
Jahren lediglich bei 61.6% und für Genossenschaften, die seit über 50 Jahren bestehen, bei 52.2%. Das Thema
Innovation wird Genossenschaften, speziell auch ältere Genossenschaften, in Zukunft verstärkt begleiten.

Darüber hinaus sind Genossenschaften auch durch eine tiefe Gewinnorientierung gekennzeichnet. Lediglich 6.6%
bezeichnen diese als Alleinstellungsmerkmal ihrer Genossenschaft und nur knapp 4% nutzen diese auch im
unternehmerischen Alltag. Während rund 27% der teilnehmenden Genossenschaften angaben, entstandene
Gewinne (zumindest teilweise) an Genossenschafterinnen und Genossenschafter auszuschütten, behält die
überwiegende Mehrheit diese im Eigentum der gesamten Genossenschaft, um sie wiederum in den Betrieb zu
investieren oder als Ressourcen und Wachstumsreserven zu nutzen.

Unter dem Titel «Management-Score» hat die Umfrage auch zentrale organisatorische Merkmale thematisiert,
deren Ergebnisse die duale Zielsetzung der Genossenschaften weiter bestätigen. Der Management-Score misst
(basierend auf der Methodik zum World Management Survey von Bloom & Van Reenen, 2007) eine
Selbsteinschätzung der Führungskräfte entlang zentraler Managementdimensionen.19 Gemäss der Umfrage
erreichen Genossenschaften einen durchschnittlichen Management-Score (Total) von 2.06 (auf einer Skala bis
maximal 3 Punkte). Als beste Vergleichswerte dienen dabei die nationalen Ergebnisse des World Management
Survey in Deutschland – für die Schweiz wurde kein Score erhoben. Der Median deutscher Unternehmen 20 liegt bei

19Managementdimensionen umfassen die vorherrschende Art der Organisation im Unternehmen (hierarchisch
vs. flache Strukturen), das Vorgehen zur Einführung neuer Prozesse, die Verfolgung unternehmerischer Leistung,
die dominante unternehmerische Zielsetzung (finanzielle vs. nicht-finanzielle Ziele) sowie das Tracking und die
Kommunikation zur Talententwicklung in Genossenschaften.
20Der World Management Survey umfasst dabei industrielle Hersteller, Krankenhäuser, Bildungsinstitutionen
oder Einzelhandelsgeschäfte über verschiedene Organisationen und Länder hinweg. Der Score wurde zur
Vergleichbarkeit adaptiert.

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Genossenschaftsmonitor 2020

einem vergleichbaren Score von rund 1.8 bis 2.1 (Sadun, Bloom & Van Reenen, 2017). In diesem Vergleich
positionieren sich Genossenschaften mit einem Durchschnitt von 2.05 am oberen Ende dieses Feldes, wobei
mittlere und grosse Genossenschaften mit Werten von 2.54 resp. 2.52 klar über diesem Schnitt liegen.
Genossenschaften heben sich in ihren Managementpraktiken vor allem in der strategischen Zielsetzung und der
Einführung neuer Prozesse hervor: In diesen Kategorien erreichen Genossenschaften jeweils einen
überdurchschnittlichen Score von 2.45 («Gleichgewicht unternehmerischer Zielsetzungen») bzw. 2.41
(«Einführung neuer Prozesse») (siehe Abbildung 7).

Abbildung 7. Management-Score der Genossenschaften

Die Ergebnisse der Umfrage zum Genossenschaftsmonitor zeigen eine tendenzielle Zunahme des Management-
Scores mit der Grösse der Genossenschaft. Dabei konnte aus der Umfrage festgestellt werden, dass die grössten
Differenzen in der unternehmerischen Organisation zwischen kleinen und grösseren Genossenschaften vor allem
auf Unterschiede in der hierarchischen Organisation sowie in der systematischen Verfolgung unternehmerischer
Leistung zurückzuführen sind (siehe Abbildung 7). Eine wichtige Erkenntnis ist zudem, dass sowohl bei grossen als
auch kleinen Genossenschaften in den meisten Fällen ein Gleichgewicht zwischen finanziellen sowie nicht-
finanziellen Zielsetzungen im Unternehmen besteht (insgesamt 61.4%) – ein genossenschaftliches Merkmal also,
welches unabhängig von der Grösse der Genossenschaft besteht.

3.4    Kooperationsbereitschaft und Identifikation mit Genossenschaften

Genossenschaften handeln grundsätzlich werteorientiert und verfolgen in ihrem Handeln so auch einen
gesellschaftlichen Nutzen (siehe Kapitel 3.3). Um den volkswirtschaftlichen Nutzen von Genossenschaften zu
evaluieren, ist es daher wichtig, verhaltensökonomische Faktoren wie Identität, Kooperation und Vertrauen, die
zum Charakter und zur Zukunftsfähigkeit der Genossenschaften beitragen, zu berücksichtigen (Marwa, 2014).

Aus den Umfrageergebnissen geht hervor, dass die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeitenden mit den Schweizer
Genossenschaften stark ausgeprägt ist (siehe Abbildung 8). Aus der Sicht der Genossenschaften agieren ihre
Mitarbeitenden meist «positiv reziprok»21: So erwidern in über 80% der befragten Genossenschaften die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Genossenschaften einen Gefallen. In über drei Viertel der Fälle tun sie der
Genossenschaft als Arbeitgeber einen Gefallen, ohne daraus persönliche Vorteile zu ziehen. Gleichzeitig ist die
negative Reziprozität tendenziell schwach ausgeprägt: In nur knapp über 50% der Fälle würden Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter eine unfaire Behandlung durch die Genossenschaft direkt negativ erwidern.

21Reziprozität ist ein Konzept aus der Verhaltensökonomie und beschreibt die Gegenseitigkeit oder
Wechselbezüglichkeit als ein Grundprinzip menschlichen Handelns. Positive Reziprozität bezeichnet dabei die
Bereitschaft, einen Gefallen oder einen positiven Akt zu erwidern.

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Genossenschaftsmonitor 2020

Des Weiteren lässt sich feststellen, dass Führungskräfte sich sehr stark mit ihrer Genossenschaft identifizieren,
wobei die Rechtsform Genossenschaft und die damit einhergehende unternehmerische Vision in knapp 80% der
Fälle ein massgeblicher Treiber dieser hohen Identifizierung ist (Abbildung 9). Im Vergleich dazu nimmt der
Jahresgewinn im Durchschnitt eine klar weniger wichtige Rolle für die Identifizierung mit den Genossenschaften
ein. Ernst Fehr konnte darüber hinaus zeigen, dass sich Schweizer Kunden besonders stark mit Genossenschaften
identifizieren.22 Gemeinsam bilden diese starken Beziehungen von Genossenschaften zu ihren Mitarbeitenden
sowie auch zu ihren Kundinnen und Kunden eine nachhaltige Basis für Genossenschaften, um das
genossenschaftliche Differenzierungspotenzial weiter auszuschöpfen.

Abbildung 8. Kooperationsbereitschaft in Genossenschaften

22FehrAdvice & Partners AG (2019). Wie stark sich Menschen mit Unternehmen und Brands identifizieren:
Identitätsindex Schweiz 2019. Abrufbar unter https://fehradvice.com/wp-
content/uploads/2019/12/Identitaetsindex_CH_2019.pdf

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Abbildung 9. Identifizierung mit Genossenschaften

3.5    Genossenschaftliche Governance

Neben den oben erwähnten organisatorischen und strategischen Elementen der Schweizer Genossenschaften
spielen auch Governance-Mittel eine wichtige Rolle, um den unternehmerischen Erfolg nachhaltig sicherzustellen.
Ergebnisse aus der Umfrage zeigen, dass vor allem grössere Genossenschaften über ein breites Spektrum an
Governance-Mitteln verfügen. Neben dem Aufsichtsorgan (Verwaltung) existieren dort ein Unternehmensleitbild,
externe Regulatorien und in der Hälfte der Fälle ebenfalls Compliance-Beauftragte und eine Compliance
Weiterbildung für alle Mitarbeitenden. Solche Governance-Mittel sind auch bei Genossenschaften mittlerer Grösse
weitgehend verbreitet, während 59.4% der kleineren Genossenschaften hierbei hauptsächlich auf das
Aufsichtsorgan setzen.

Wie aus der Umfrage ebenfalls hervorgeht, fordern Nachfolgefragen auf Ebene des Aufsichtsorgans bzw. der
Geschäftsleitung Genossenschaften heraus. Während bei knapp der Hälfte aller teilnehmenden Genossenschaften
ein Nachfolgewechsel auf Stufe Verwaltung (47.1%) oder Geschäftsleitung (42.4%) in den kommenden fünf Jahren
bevorsteht, haben nur rund zwei Drittel der betroffenen Genossenschaften eine bestehende Nachfolgeregelung für
die Verwaltung, die dem Verwaltungsrat bei Aktiengesellschaften entspricht, und sogar nur die Hälfte eine
bestehende Nachfolgeregelung für die Geschäftsleitung erarbeitet.

Aufgrund des «dualen Charakters» von Genossenschaften (Novkovic, 2008) spielen neben diesen klassischen
Governance-Mitteln für Genossenschaften auch das partizipative Element (Kopfstimmrecht) und die Beteiligung
der Mitglieder eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche Governance (Nilsson, 2001; Shaw, 2006; Novkovic, 2012;
Novkovic & Webb, 2014; Birchall, 2017; ausführlich zur Corporate Governance von Genossenschaftsunternehmen
aus der jüngeren Schweizer Literatur Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, 2017, welche Anforderungen aus der
Unternehmenspraxis berücksichtigen [dort S. 73 ff., 114 ff., 157 ff.]). Jedoch stehen Genossenschaften aktuell wie
auch zukünftig vor der Herausforderung, die richtige Balance zwischen der Forderung nach Agilität und Expertise
in der Unternehmensführung einerseits, und der Repräsentativität und dem Engagement ihrer Mitglieder
andererseits, zu finden, um auch so eine nachhaltige genossenschaftliche Governance zu gewährleisten
(Jungmeister & Taisch, 2014; Birchall, 2017).

3.6    Genossenschaften als Arbeitgeber

Die Umfrage zeigt, dass Genossenschaften sich am Schweizer Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber sehen. Dabei
spielen folgende zentrale genossenschaftliche Attribute eine massgebende Rolle:

  □    ein grosser Gestaltungsfreiraum im Arbeitsalltag

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Genossenschaftsmonitor 2020

  □    eine sinnstiftende Arbeit
  □    eine ausgewogene Balance zwischen Top-down- und Bottom-up-Strukturen im Unternehmen (vgl. Taisch,
       Jungmeister, & Fabrizio, 2017, S. 134 ff.)
  □    der genossenschaftliche Solidaritätsgedanke
  □    Zusammenhalt und Kooperation innerhalb und zwischen Genossenschaften
  □    Vertrauen in Mitarbeitende (als Vorleistung)
  □    das Verfolgen eines gesunden wirtschaftlichen Wettbewerbs

Diese Faktoren sind vor allem bei jüngeren Generationen gefragt, wie Erkenntnisse aus Sicht der teilnehmenden
Genossenschaften zeigen. Laut Umfragen sind die Attribute regional, familiär, seriös, solide und zukunftssicher,
persönlich und emotional wichtige Arbeitgeber-Merkmale bei jungen Menschen (Scholz, 2014). Viele nennen dabei
ebenfalls den Gestaltungsspielraum und die gleichzeitige Möglichkeit, aufgrund der stark verankerten Regionalität
auch die Früchte ihrer Arbeit ernten zu können, als Motivation, im genossenschaftlichen Sektor arbeiten zu wollen
(Koller, 2007).

Trotz der stetig steigenden Anzahl der Erwerbstätigen (BFS, 2018) herrscht, durch eine noch stärker wachsende
Nachfrage an Arbeitskräften, ein zunehmender Fachkräftemangel im Schweizer Arbeitsmarkt. Dabei wird der
Fachkräftemangel unter anderem in der Land- und Forstwirtschaft und in sozialen Diensten sowie der
Gesundheitsbranche als besonders kritisch eingestuft (Credit Suisse, 2018; Loos, 2019). Neben verstärkter
Einwanderung wird vor allem die Mobilisierung sogenannter «stiller Reserven» unter den Arbeitskräften – allen
voran der Frauen, aber beispielsweise auch von pensionierten Arbeitskräften – als Lösungsansatz für den
wachsenden Fachkräftemangel angesehen (Credit Suisse, 2018; Spring Professional; 2019). Genossenschaften
leisten dabei einen wichtigen Beitrag zur Teilnahme der Frauen am Schweizer Arbeitsmarkt. Basierend auf den
Umfrageergebnissen im Rahmen des Genossenschaftsmonitors liegt der durchschnittliche Frauenanteil aller
Mitarbeitenden in den teilnehmenden Genossenschaften bei 36.6% und in Führungspositionen durchschnittlich
bei 26.1% (Abbildung 10). Bei 36.9% der Genossenschaften nehmen Frauen eine Position in der Geschäftsleitung
ein, und bei 41.9% sind sie in der Verwaltung vertreten. Vor allem mittlere Genossenschaften nehmen hier mit
einem durchschnittlichen Frauenanteil von 62.4% und einem Frauenanteil von 40.3% in Führungspositionen eine
führende Position ein. Im Vergleich dazu liegt der durchschnittliche Anteil an Frauen in Führungspositionen bei
nicht-börsenkotierten Schweizer Unternehmen kleiner und mittlerer Grösse bei 19% (EY, 2018).

Abbildung 10. Frauenanteil der Genossenschaften

Laut der Statistik zum Fachkräftemangel sind für über die Hälfte der aktuell nicht oder nur geringfügig
Erwerbstätigen in der Schweiz familiäre Verpflichtungen ausschlaggebend dafür, nicht stärker am Arbeitsmarkt zu
partizipieren (Credit Suisse, 2018). Es ist zu vermuten, dass Genossenschaften für diese Zielgruppe, der auch viele
Frauen angehören, attraktiv sind, weil sie durch ihre oft stark regional oder lokal verankerten Strukturen auch
Arbeitsplätze ausserhalb wirtschaftlicher Ballungsräume schaffen. Sie bieten Mitarbeitenden so zeitlich flexiblere

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Arbeitsmöglichkeiten zum Beispiel in Form eines Teilpensums und verkürzte Arbeitswege, wodurch Beruf und
Familie besser miteinander vereinbar machen (Schincariol McMurtry & McMurtry, 2015).

3.7     Genossenschaften und aktuelle Trends

Die relevantesten Trends für Genossenschaften sind laut der Umfrage des Genossenschaftsmonitors Umwelt und
Nachhaltigkeit (62.8%), Digitalisierung (50.5%) und die Überalterung der Gesellschaft (38.3%) (siehe Abbildung
11). Die überwiegende Mehrheit der Genossenschaften geben dabei an, sich bei mindestens einem der Trends
bereits als Unternehmen aktiv engagiert zu haben, während knapp 17.4% der Genossenschaften, obwohl sie von
aktuellen Trends betroffen sind, noch nicht aktiv wurden und keine strategischen Massnahmen eingeleitet haben.
Aktive Genossenschaften tragen dabei vor allem durch Investitionen in neue Technologien (48.7%) und durch die
Weiterbildung von Mitarbeitenden (31.3%) bei. Auf der anderen Seite geben nur 5.8% an, in Forschung und
Entwicklung zu investieren.

Im Folgenden werden die wichtigsten Trends aus Sicht der Genossenschaften mithilfe aktueller Beispiele aus dem
Genossenschaftswesen evaluiert und der Beitrag der Genossenschaften aufgezeigt.

Abbildung 11. Top-3-Trends für Schweizer Genossenschaften

3.7.1    Umwelt und Nachhaltigkeit

Weit über die Hälfte der teilnehmenden Genossenschaften (62.8%) gaben Umwelt und Nachhaltigkeit als
relevanten Trend für ihr Unternehmen an. Knapp 45% der Genossenschaften wurden dabei zum Thema
Nachhaltigkeit auch bereits aktiv. Generell kann gesagt werden, dass Genossenschaften durch ihre
Werteorientierung besonders oft als Pioniere im Bereich der Nachhaltigkeit auftreten, wie beispielsweise durch den
Ausbau des Angebots an nachhaltigen Lebensmitteln bei Migros und Coop (Wiget, 2019).

Mit dem 2018 erneuerten Energiegesetz, welches im Rahmen der Energiestrategie 2050 totalrevidiert wurde (BFE,
2018), spielen darüber hinaus besonders Energiegenossenschaften eine Pionierrolle bei der Förderung der
ökologischen Nachhaltigkeit durch den Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in der Schweiz. Die
Energiewende birgt viele Chancen für Genossenschaften. Dank ihrer lokalen Verankerung sind sie besonders dafür

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geeignet, den Ausbau einer dezentralen Infrastruktur zur Nutzung erneuerbarer Energien voranzutreiben. Rund
die Hälfte aller Energiegenossenschaften in der Schweiz, welche in den 1990er Jahren und nach 2011 entstanden
sind, nutzen so fast ausschliesslich erneuerbare Energiequellen (Rivas, Schmid & Seidl, 2018).

           So hat beispielsweise auch die Energie Genossenschaft Schweiz die Nachhaltigkeit im Kern
           ihrer Vision verankert. Ihr Ziel ist es, das dezentrale Solarkraftwerk von morgen und so
           die Nutzung nachhaltiger Energien in der Schweiz zu propagieren. Neben der Ersetzung
           von fossilen und nuklearen Energieträgern durch erneuerbare Quellen möchte sie
           zusätzlich den massvollen Energiekonsum fördern. Als Genossenschaft investiert sie in
           gemeinsamer Selbsthilfe gezielt in neue Technologien, um die Vergrösserung des Anteils
           an erneuerbarer Energie in der Schweiz zu fördern. Gleichzeitig agiert sie auch als
           Botschafterin für umweltbewussteres Wirtschaften. Dafür erhielt sie im Jahre 2013 nicht
           nur den zweiten Platz beim Schweizer Nachhaltigkeitspreis Prix Nature 2013 (Kategorie:
           Generation Zukunft), sondern ist auch Preisträger des Innovationswettbewerbs 2013 des
           WWF Schweiz.23

3.7.2      Digitalisierung und die Sharing Economy

Knapp über 50% der teilnehmenden Genossenschaften sehen die Digitalisierung als relevanten Trend für ihr
Unternehmen und 36.7% haben sich diesem Trend auch bereits aktiv angenommen. Peter und Jungmeister (2017)
zeigen auf, dass die Digitalisierung für Schweizer Genossenschaften vor allem im Bereich der Sharing Economy in
Form von Plattformgenossenschaften viele Chancen bietet. Weiter zeigen sie auf, dass Plattformgenossenschaften
vor allem dort erfolgreich sind, wo sie lokal verankert sind oder Nischenbedürfnisse bedienen. Peter und
Jungmeister (2017) benennen dabei das von Taisch et al. (2012, S. 46, 52) eingeführte sowie von Taisch,
Jungmeister und Fabrizio (2017, S. 65 ff., 70 f.) näher beschriebene genossenschaftliche Prinzip der
mehrdimensionalen Werte- und Nutzenschaffung sowie die lokale Verankerung als wichtige Schlüsselelemente der
genossenschaftlichen DNA. Durch die Vernetzung der lokalen Akteure (online und offline) können
genossenschaftlich organisierte Plattformen Handels- und Dienstleistungsangebote bündeln und damit die
Wirtschaft vor Ort und insbesondere die Nahversorgung im ländlichen Raum stärken. Solche Online-Portale stellen
einen Marktplatz für lokale Geschäfte sowie regionale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung. Sie eröffnen
gleichzeitig die Möglichkeit, Kundinnen und Kunden umfassend zu informieren und ihnen dieselben
Annehmlichkeiten zu bieten wie grosse Plattform-Unternehmen, wobei aber gleichzeitig die Wertschöpfung vor Ort
bleibt (Peter & Jungmeister, 2017; Scholz, 2017).

           Vor allem wenn ein partizipatives Element im Vordergrund der Geschäftsidee steht, birgt
           die Rechtsform der Genossenschaft einen klaren Vorteil, wie das Erfolgsmodell Mobility 24
           zeigt (Purtschert & Purtschert, 2013). Dieses Carsharing-Unternehmen ist vor allem
           dadurch konkurrenzfähig, dass Autos zumeist in unmittelbarer Kundennähe zur
           Verfügung gestellt werden können. Da bei Mobility die Leistung für die Bevölkerung und
           nicht nur die Gewinnerzielung im Vordergrund steht, können auch weniger lukrative
           Standorte mit Autos ausgestattet werden. Gefunden werden diese Standorte vor allem
           durch die Genossenschafterinnen und Genossenschafter selbst. Sie haben einerseits ein
           eigenes Interesse an günstig gelegenen Abstellplätzen, anderseits sind sie auch imstande,

23   www.energiegenossenschaft.ch (abgerufen im Januar 2020)
24   www.mobility.ch (abgerufen im Januar 2020)

                                                                                                            21
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