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Genossenschaften in der Schweiz – ein Erfolgsmodell der Gegenwart und Zukunft Genossenschaftsmonitor 2020 Januar 2020
Genossenschaftsmonitor 2020 Inhaltsverzeichnis Vorwort ............................................................................................................................................................................ 4 Management Summary ................................................................................................................................................... 5 1 Einleitung ................................................................................................................................................................... 7 2 Methodisches Vorgehen ............................................................................................................................................8 2.1 Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor ......................................................................................................8 2.2 Inhalte der Online-Umfrage .......................................................................................................................... 9 3 Ergebnisse ................................................................................................................................................................ 10 3.1 Bedeutung der Genossenschaften für die Schweizer Wirtschaft und den Arbeitsmarkt .......................... 10 3.1.1 Umsatzwachstum in Schweizer Genossenschaften ........................................................................... 11 3.2 Präsenz der Genossenschaften in der Schweiz ........................................................................................... 12 3.3 Die genossenschaftlichen Vorteile .............................................................................................................. 13 3.4 Kooperationsbereitschaft und Identifikation mit Genossenschaften ........................................................ 16 3.5 Genossenschaftliche Governance ................................................................................................................ 18 3.6 Genossenschaften als Arbeitgeber .............................................................................................................. 18 3.7 Genossenschaften und aktuelle Trends ..................................................................................................... 20 3.7.1 Umwelt und Nachhaltigkeit .............................................................................................................. 20 3.7.2 Digitalisierung und die Sharing Economy ........................................................................................ 21 3.7.3 Überalterung der Gesellschaft und Urbanisierung ........................................................................... 22 4 Schlussfolgerungen und Ausblick ........................................................................................................................... 23 4.1 Der genossenschaftliche Beitrag zur Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft ........................................... 23 4.2 Genossenschaften als die Unternehmensform der Zukunft?..................................................................... 24 5 Quellenverzeichnis................................................................................................................................................... 27 6 Appendix .................................................................................................................................................................. 31 3
Genossenschaftsmonitor 2020 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser Genossenschaften sind in der Schweizer Wirtschaft und Bevölkerung historisch tief verwurzelt und beliebt. Trotz dieser Tatsache, und obschon sie einen bedeutenden Beitrag zum Wohlstand und zum Funktionieren der Schweiz leisten, sind Genossenschaften in der öffentlichen Wahrnehmung sowie in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion noch wenig präsent. Wir als Idée Coopérative wollen dies ändern. Als Kompetenzzentrum für Genossenschaften sind wir die Stimme dieses zukunftsträchtigen Wirtschaftsmodells und möchten die Erfolgsgeschichte der Genossenschaften der interessierten Öffentlichkeit näherbringen. Aus diesem Grund lanciert die Idée Coopérative anlässlich ihrer Gründung den Genossenschaftsmonitor. Der Genossenschaftsmonitor leistet einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion zum Genossenschaftswesen in der Schweiz. So zeigt die aktuelle Auswertung einer breiten Umfrage zum Beispiel eindrücklich auf, dass Genossenschaften schon heute die Zukunft praktizieren, indem sie langfristige unternehmerische Ziele verfolgen. Und der Monitor unterstreicht zahlenbasiert, wie frauenfreundlich die modernen Genossenschafts-Unternehmen agieren: Sie mobilisieren die «Stille Reserve» des Arbeitsmarktes! Mit seiner werteorientierten Ausrichtung bietet das Erfolgsmodell Genossenschaft Lösungen für viele aktuelle und künftige Herausforderungen. Aus diesem Grund engagieren wir uns für mehr kooperatives Unternehmertum und damit für mehr Selbstverantwortung in Wirtschaft und Gesellschaft. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und bedanken uns herzlich für die wertvollen Beiträge aller teilnehmenden Genossenschaften. Ursula Nold, Präsidentin der Verwaltung von Idée Coopérative Genossenschaft 4
Genossenschaftsmonitor 2020 Management Summary Um die Bedeutung der Genossenschaften ganzheitlich zu erfassen, stützt sich der Genossenschaftsmonitor auf drei Datenquellen: Neben der Umfrage unter Schweizer Genossenschaften, welche eigens im Rahmen des Genossenschaftsmonitors durchgeführt wurde, wurden Befunde aus bestehenden Studien1 sowie volkswirtschaftliche Daten und Statistiken (BFS Schweiz, sowie veröffentlichten Unternehmensdaten) ausgewertet. Die Erkenntnisse des Genossenschaftsmonitors zeigen auf, dass Genossenschaften einen zentralen Beitrag zur Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft leisten. □ Genossenschaften stärken die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in der Schweiz: Genossenschaften spielen eine zentrale Rolle für die Schweizer Wirtschaftsleistung. Basierend auf den veröffentlichten Unternehmensdaten der zehn grössten Genossenschaften trugen diese mit ihrem Umsatz im Jahr 2018 mehr als 11% zum Schweizer Bruttoinlandsprodukt bei, wie aus den Berechnungen im Rahmen des Genossenschaftsmonitors hervorgeht.2 Der Jahresbericht des Instituts für Unternehmensrecht der Universität Luzern aus dem Jahr 2017 spricht davon, dass die grössten 20 Genossenschaften in der Schweiz ungefähr 15% des BIP ausmachen (IFU | BLI Institut für Unternehmensrecht der Universität Luzern, 2017, S. 6). Genossenschaften leisten auch für den wachsenden Schweizer Arbeitsmarkt einen wichtigen Beitrag. Obwohl sie in der Schweiz nur 1.34% aller eingetragenen Unternehmen ausmachen, stellen sie einen weit höheren prozentuellen Anteil der Arbeitsplätze und schaffen pro Neugründung durchschnittlich am meisten neue Arbeitsplätze (BFS, 2019). □ Genossenschaften haben eine breite Präsenz in der Schweiz: Wie aus der Umfrage zum Genossenschaftsmonitor hervorgeht, haben Genossenschaften eine breite Präsenz in Stadt und Land und sind in allen Regionen der Schweiz vertreten (vgl. BFS, 2019). Gemeinsam mit ihrer regionalen Verankerung sind Genossenschaften so ein wichtiger Treiber für eine nachhaltige und ausgewogene Wirtschaftsinfrastruktur in der Schweiz. Dabei sind sie ebenfalls in vielen verschiedenen Branchen vertreten – zunehmend auch in solchen, welche ausserhalb der für Genossenschaften traditionell typischen Branchen liegen. □ Genossenschaften übernehmen gesellschaftliche Verantwortung: Die für den Genossenschaftsmonitor erhobene Umfrage zeigt, dass sich Genossenschaften vor allem durch ihre Werteorientierung wie gesellschaftliche Verantwortung, Nachhaltigkeit, Förderung regionaler Strukturen sowie durch ihre Kundennähe auszeichnen, welche sie aktiv im unternehmerischen Alltag nutzen. Dabei vereinen Genossenschaften in ihren unternehmerischen Zielen sowohl wirtschaftliche als auch 1U.a. Birchall (2017); Borzaga, Depedri, & Tortia (2009); Fischler (2012); Hyung-sik (2017); Jungmeister, Gernet, Amstutz, & Golder (2016); Jungmeister & Taisch (2014); Marwa (2014); Michi, Blasi, & Borzaga (2017); Nilsson (2001); Novkovic (2008, 2012); Parliament, Lerman, & Fulton (1990); Peter & Jungmeister (2017); Rivas, Schmid, & Seidl (2018); Sadun, Bloom & Van Reenen (2017); Schincariol McMurtry & McMurtry (2015); Scholz (2014); Scholz (2017); Shaw (2007), Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, (2017); Taisch et al., (2012); United Nations (2012). Die vollständige Liste der verwendeten Quellen ist im Quellenverzeichnis aufgeführt. 2 Berechnet mithilfe der veröffentlichten Unternehmensdaten im Rahmen der Jahresberichte 2018 der zehn grössten Genossenschaften (Coop, Migros Gruppe (MGB), Fenaco, Schweizer Mobiliar, Raiffeisen Schweiz, Pensionskasse Energie, Pax Holding, Schweizer Reisekasse (Reka), Swisslos und ESA Einkaufsorganisation) und dem Schweizer BIP basierend auf der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung des BFS (abgerufen am 04. November 2019) 5
Genossenschaftsmonitor 2020 gesellschaftliche Zwecke. Diese Ausgewogenheit wird ergänzt durch einen tendenziell längerfristigen Planungshorizont. □ Genossenschaften wirtschaften beziehungsorientiert: Genossenschaften fördern kooperatives Wirtschaften in der Schweiz. Sie zeichnen sich dabei durch eine sehr hohe Kooperationsbereitschaft bei ihren Mitgliedern, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kundinnen und Kunden aus. Darüber hinaus konnte im Rahmen des Genossenschaftsmonitors aufgezeigt werden, dass sich insbesondere Mitarbeitende sowie Kundinnen und Kunden stark mit den Genossenschaften identifizieren. Dies bildet eine nachhaltige Basis für Genossenschaften, um das genossenschaftliche Differenzierungspotenzial auszuschöpfen. □ Genossenschaften sind attraktive Arbeitgeber für Frauen und die junge Generation: Genossenschaften gelten am Schweizer Arbeitsmarkt aufgrund ihrer Alleinstellungsmerkmale (vgl. Kapitel 3.3) vor allem bei jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als attraktive Arbeitgeber. Zusätzlich fördern Genossenschaften die Teilnahme der Frauen am Schweizer Arbeitsmarkt (Schincariol McMurtry & McMurtry, 2015). Der durchschnittliche Frauenanteil aller Mitarbeitenden in den teilnehmenden Genossenschaften liegt bei 36.6%, der Frauenanteil in Führungspositionen im Schnitt bei 26.1%. □ Genossenschaften sind zukunftsträchtig: Schweizer Genossenschaften haben im Angesicht aktueller Trends grosses Potenzial, Innovationen zu schaffen, die für das langfristig nachhaltige Funktionieren der Gesellschaft erforderlich sind (vgl. Kapitel 3.7). Energiegenossenschaften sind beispielsweise wichtige Akteure in der Entwicklung einer regionalen Infrastruktur zur Nutzung erneuerbarer Energien in der Schweiz. Plattformgenossenschaften fördern mithilfe digitaler Kanäle die gemeinschaftliche Nutzung von Ressourcen unmittelbar dort, wo sie gebraucht werden. Und nicht zuletzt stehen Genossenschaften im Kern der Bewältigung globaler Trends, wie der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft und ökologischen Problemen. Genossenschaften stehen auch in Zukunft vor spezifischen Herausforderungen, um ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber anderen Unternehmensformen sicherzustellen. Um den «genossenschaftlichen Vorteil» zu realisieren, müssen Schweizer Genossenschaften auf ihre Differenzierungsmerkmale (vgl. Kapitel 3.3) setzen. Wenn das volle Potenzial des genossenschaftlichen Vorteils realisiert wird, kann ein stabileres, vertrauenswürdigeres und gerechteres Wirtschaften im Markt erreicht werden, welches nicht nur vom Gewinn, sondern auch von den Bedürfnissen der Menschen getrieben wird. Genossenschaften als partizipative, solidarische Organisationsformen bauen auf einer erfolgreichen Kooperation mit ihren Mitgliedern sowie Mitarbeitenden, Geschäftspartnern, Kundinnen und Kunden auf. Wie die Erkenntnisse des Genossenschaftsmonitors zeigen, werden Genossenschaften durch ihre Differenzierungsmerkmale und mithilfe eines partizipativen Netzwerks auch in Zukunft ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilität der Schweiz leisten können. 6
Genossenschaftsmonitor 2020 1 Einleitung Eine Genossenschaft ist eine «als Körperschaft organisierte Verbindung einer nicht geschlossenen Zahl von Personen oder Handelsgesellschaften, die in der Hauptsache die Förderung oder Sicherung bestimmter wirtschaftlicher Interessen ihrer Mitglieder in gemeinsamer Selbsthilfe bezweckt».3 Sie beabsichtigt, «marktferne oder marktschwache Wirtschaftssubjekte (Individuen oder Unternehmen) an den Markt heranzuführen» (Münkner, Tonnelier & Siebert, 2004). Dies erreichen Genossenschaften vor allem durch Kooperation (Taisch, Jungmeister, Troxler & D’Incà-Keller, 2012) und mit ihrem zentralen Grundwert, der Befähigung zur Selbsthilfe (Fischler, 2012). Aus ihrer Historie resultiert ihr zentrales Alleinstellungsmerkmal unter den Rechtsformen: die duale Zielsetzung aus wirtschaftlichem Erfolg und Verantwortungsübernahme für die Gesellschaft (Novkovic & Webb, 2014). Um das Bewusstsein für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Beitrag der Genossenschaften zu stärken, feierte die UN im Jahr 2012 das «Jahr der Genossenschaften» (UN, 2012). Im nationalen Kontext der Schweiz konnte in zwei durch das Institut gfs.bern durchgeführte Befragungen4 gezeigt werden, dass die Schweizer Bevölkerung Genossenschaften nach wie vor als Bereicherung und die Genossenschaftsidee als ein wichtiges Thema für ihre Heimat sieht (Jungmeister, Gernet, Amstutz und Golder, 2016). Genossenschaften sind demnach gesellschaftlich und kulturell in der Schweiz tief verwurzelt. Darüber hinaus spielen sie eine wirtschaftlich tragende Rolle und repräsentieren einen wichtigen Bestandteil der Schweizer Managementkultur. Ihr Beitrag zur Schweizer Volkswirtschaft und Gesellschaft ist jedoch oft wenig sichtbar. Mithilfe des vorliegenden Genossenschaftsmonitors soll der Beitrag der Genossenschaften zur Wirtschaft und Gesellschaft der Schweiz analysiert und sichtbar gemacht werden. Es geht darum, die heutige Rolle von Genossenschaften in der Schweiz, auch im Vergleich zu anderen Unternehmensformen, darzulegen. Ziel ist insbesondere die Beantwortung folgender Fragen: (1) Welchen Beitrag liefern Genossenschaften zur Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft? (2) Welche Rolle spielen Genossenschaften im Lichte aktueller gesellschaftlicher Trends? Im Auftrag der Idée Coopérative befragte das Beratungsunternehmen FehrAdvice & Partners zwischen März und September 2019 170 Genossenschaften in der ganzen Schweiz, wodurch der Genossenschaftsmonitor auf eine aktuelle Datengrundlage zurückgreifen kann. In Kapitel 2 wird das methodische Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor aufgezeigt. Kapitel 3 enthält die Umfrageergebnisse des Genossenschaftsmonitors, und in Kapitel 4 werden die Schlussfolgerungen gezogen. 3Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht), 220, Art. 828 A. Genossenschaft des Obligationenrechts, Stand 1. November 2019. Abgerufen von https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19110009/index.html#a828. 4Teilergebnisse der Umfrage aus dem Jahr 2011 wurden bereits in anderweitigen Publikationen verwendet und veröffentlicht (Taisch et al., 2012; Taisch, Jungmeister, Fabrizio, D’Incà-Keller, Schmid, Jurt, Kostovic, Thi, & Ruppel, 2014; Rössl, Jungmeister, & Taisch, 2015). 7
Genossenschaftsmonitor 2020 2 Methodisches Vorgehen In der Folge werden das methodische Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor und die Inhalte der Online-Umfrage beschrieben. 2.1 Vorgehen zum Genossenschaftsmonitor Um ein ganzheitliches und aussagekräftiges Bild zum Beitrag und zur Rolle von Genossenschaften für die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft darzustellen, vereint der Genossenschaftsmonitor Daten aus drei Quellen. Er verbindet Befunde aus schon bestehenden Studien5, sowie volkswirtschaftliche Daten und Statistiken (u.a. BFS Schweiz, verfügbare Unternehmensdaten) mit einer eigens im Rahmen des Genossenschaftsmonitors durchgeführten Umfrage. Die Entwicklung und Durchführung dieser Studie verliefen in vier Schritten: Im ersten Schritt wurden basierend auf dem aktuellen Forschungsstand die relevanten Themenfelder identifiziert: □ Wirtschaftliche Faktoren: Kennzahlen zu Genossenschaften und ihren Mitarbeitenden □ Managementfaktoren: Governance, Führungsstil, strategische Zielsetzungen, Zeithorizonte und Hierarchien, genossenschaftliche Alleinstellungsmerkmale (Vorauswahl basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) □ Fragestellungen rund um aktuelle Trends und Zukunftsthemen sowie die diesbezügliche Rolle von Genossenschaften Im zweiten Schritt wurde eine Online-Umfrage erarbeitet, um die Sicht der Genossenschaften zu den obigen Themenfeldern zu erheben. Basierend auf dieser Umfrage wurden in einem dritten Schritt persönliche Interviews mit Repräsentanten von 14 Genossenschaften unterschiedlichster Branchen in der Schweiz (z.B. ABZ, Reka, OLMA Messen, ESA Einkaufsorganisation, Migros, Mobiliar, Raiffeisen, Fenaco, VillageOffice) durchgeführt, um vertiefte Erkenntnisse rund um die zentralen Fragestellungen zu gewinnen. Parallel dazu wurde die digitale Umfrage an eine Stichprobe von 400 randomisiert ausgewählten Genossenschaften verteilt, welche telefonisch und per E-Mail kontaktiert wurden. Insgesamt betrug die Rücklaufquote des Samplings knapp 20%.6 Zusätzlich wurde ein Link zur Online-Umfrage per Briefanschreiben an alle verbleibenden Genossenschaften für eine freiwillige Teilnahme versendet. Die Online-Befragung dauerte durchschnittlich 21 Minuten. Teilnehmer waren Genossenschaften aller Grössenkategorien (kleine, mittlere und grosse Genossenschaften7) und Sprachregionen der Schweiz. Insgesamt konnten so im Zeitraum zwischen März und September 2019 Erkenntnisse von 170 Genossenschaften aus der ganzen Schweiz gesammelt werden. Teilnehmende an der Umfrage waren grösstenteils 5U.a. Birchall (2017); Borzaga, Depedri, & Tortia (2009); Fischler (2012); Hyung-sik (2017); Jungmeister, Gernet, Amstutz, & Golder (2016); Jungmeister & Taisch (2014); Marwa (2014); Michi, Blasi, & Borzaga (2017); Nilsson (2001); Novkovic (2008, 2012); Parliament, Lerman, & Fulton (1990); Peter & Jungmeister (2017); Rivas, Schmid, & Seidl (2018); Sadun, Bloom & Van Reenen (2017); Schincariol McMurtry & McMurtry (2015); Scholz (2014); Scholz (2017); Shaw (2007), Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, (2017); Taisch, et al., (2012); United Nations (2012). Die vollständige Liste der verwendeten Quellen ist im Quellenverzeichnis aufgeführt. 6Die durchschnittliche Rücklaufquote für vergleichbare Online-Befragungen (in Länge und Zielgruppe) liegt bei 10-12%. 7 Definition nach Umsatzgrösse; detaillierte Erläuterung in Kapitel 3.1.1 8
Genossenschaftsmonitor 2020 Geschäftsleiterinnen und Geschäftsleiter (50%) oder Mitglieder des Verwaltungsrates bzw. der Verwaltung (29%). Die verbleibenden Teilnehmenden waren CFOs, Mitarbeitende des Kaders oder andere Genossenschaftsmitglieder mit relevanten Führungseinblicken. Die gesammelten Daten wurden entsprechend einer Klassifizierung über die verschiedenen Grössen-Segmente der teilnehmenden Genossenschaften gewichtet, um die Repräsentativität der gesammelten Daten sicherzustellen. 2.2 Inhalte der Online-Umfrage Die Online-Umfrage umfasste folgende Inhalte: □ Grundlegende Aspekte der Genossenschaften in der Schweiz wie Grösse, Hauptsitz, Alter der Genossenschaft, Umsatz, Umsatzentwicklung, Umgang mit finanziellen Überschüssen □ Personalaspekte wie Anzahl Mitarbeitende, Beschäftigungsverhältnisse, Angaben zum Verwaltungsrat bzw. zur Verwaltung, Weiterbildungsmöglichkeiten, Geschlechterdiversität □ Verhaltensökonomische Aspekte wie Kooperationsbereitschaft, Identifizierung der Mitarbeitenden mit der Genossenschaft □ Genossenschaftliche Alleinstellungsmerkmale (Vorauswahl basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) und deren Einfluss auf den unternehmerischen Alltag □ Managementfaktoren wie unternehmerische Motive und Organisationsstrukturen sowie Selbsteinschätzung der Geschäftsführung zu verschiedenen Managementaspekten (hierarchische Organisation, Vorgehen bei der Einführung neuer Prozesse, Verfolgung unternehmerischer Leistung, Art der unternehmerischen Zielsetzung, Führungsverhalten und Talententwicklung)8 □ Relevanz aktueller Trends und Zukunftsthemen sowie Umgang damit im unternehmerischen Alltag 8Basierend auf der Methodik zum World Management Survey von Bloom & Van Reenen (2007). Dieser misst eine Selbsteinschätzung der Führungskräfte in Genossenschaften entlang zentraler Managementdimensionen: die vorherrschende Art der Organisation im Unternehmen (hierarchisch vs. flache Strukturen), das Vorgehen zur Einführung neuer Prozesse, die Verfolgung unternehmerischer Leistung, die dominante unternehmerische Zielsetzung (finanzielle vs. nicht-finanzielle Ziele) sowie das Tracking und die Kommunikation zur Talententwicklung in Genossenschaften. Wie Bloom und Van Reenen (2007) aufzeigten, sind diese Massnahmen der Managementpraxis positiv mit der Produktivität, Rentabilität und Überlebensrate von Unternehmen verbunden. 9
Genossenschaftsmonitor 2020 3 Ergebnisse Die Erkenntnisse zur Relevanz und Rolle von Schweizer Genossenschaften sind nachfolgend unter sieben Themenkreisen zusammengefasst. 3.1 Bedeutung der Genossenschaften für die Schweizer Wirtschaft und den Arbeitsmarkt Mit insgesamt 8’559 im Handelsregister eingetragenen Genossenschaften stellt diese Rechtsform 1.34% aller eingetragenen Unternehmen in der Schweiz dar (BFS, 2019) – ein Anteil, welcher seit dem Vorjahr, vor allem durch die Gründung neuer Kleinstgenossenschaften, leicht gestiegen ist.9 In der Schweiz gab es 2018 rund 5.06 Millionen Erwerbstätige, von denen allein die zehn grössten Genossenschaften insgesamt über 224'000 Personen (4.03%) beschäftigten; in kleinen und mittleren Schweizer Genossenschaften sind es laut aktuellsten Daten rund 42'625 Beschäftigte.10 Darüber hinaus schaffen Genossenschaften pro Neugründung durchschnittlich am meisten neue Arbeitsplätze (2.01).10 Im Vergleich dazu stellten in den vergangenen Jahren über vier Fünftel (82.4 %) der neu gegründeten Unternehmen in der Schweiz lediglich einen Arbeitsplatz (vgl.: Gesellschaften mit beschränkter Haftung schaffen durchschnittlich 1.73 Stellen pro Neugründung).11 So leisten Genossenschaften für den Schweizer Arbeitsmarkt einen überdurchschnittlichen Beitrag. Überdurchschnittlich ist der genossenschaftliche Beitrag auch hinsichtlich des Bruttoinlandproduktes (BIP). Wie aus den veröffentlichten Unternehmensdaten der zehn grössten Genossenschaften für 2018 hervorging12 trugen diese im Jahr 2018 mehr als 11% zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei (BIP)13, welche in diesem Zeitraum mit rund CHF 689.6 Mrd. einen neuen Höchststand erreichte.14 Der Jahresbericht des Instituts für Unternehmensrecht der Universität Luzern aus dem Jahr 2017 spricht davon, dass die grössten 20 Genossenschaften in der Schweiz ungefähr 15% des BIP ausmachen (IFU | BLI Institut für Unternehmensrecht der Universität Luzern, 2017, S. 6). Da veröffentlichte Finanzkennzahlen nur für einen Teil der Genossenschaften verfügbar sind, ist der effektive Anteil genossenschaftlich erwirtschafteter Umsätze am Schweizer BIP noch höher einzuschätzen. Interessant ist zu sehen, dass gemäss den Ergebnissen aus der Umfrage nur etwas mehr als die Hälfte der Genossenschaften die genossenschaftliche Bedeutung für die Schweizer Wirtschaftsleistung korrekt wahrnehmen. Wenn Genossenschaften selbst den Beitrag der genossenschaftlichen Umsätze zum Schweizer Bruttoinlandsprodukt einschätzen, so schätzen 52.7% diesen auf 15% oder höher ein, davon in 13.8% der Fälle sogar auf über 25%. Die verbleibenden Genossenschaften unterschätzen die eigene Bedeutung für das Schweizer BIP. 9 EHRA Fenceit-Statistiken des BFS (abgerufen am 04. November 2019) 10 STATENT Statistik zur Unternehmensstruktur des BFS (abgerufen am 04. November 2019) 11Statistik zur Unternehmensdemographie des BFS, 2019 (abgerufen von https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/industrie-dienstleistungen/unternehmen- beschaeftigte/unternehmensdemografie/neugruendungen-ueberlebensraten.assetdetail.10687118.html) Die zehn grössten Genossenschaften basierend auf ihrer Umsatzleistung im Jahr 2018 umfassten: Coop, Migros 12 Gruppe (MGB), Fenaco, Schweizer Mobiliar, Raiffeisen Schweiz, Pensionskasse Energie, Pax Holding, Schweizer Reisekasse (Reka), Swisslos und ESA Einkaufsorganisation Basierend auf den veröffentlichten Unternehmensdaten im Rahmen der Jahresberichte der zehn grössten 13 Genossenschaften (Umsatz als Messkriterium analog zu Taisch & Jungmeister, 2014) 14 Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des BFS (abgerufen am 04. November 2019) 10
Genossenschaftsmonitor 2020 Die Stärke der Schweizer Genossenschaften spiegelt sich auch international wider. Im Rahmen des weltweit erhobenen CEI (Cooperative Economy Index)15 der United Nations Department for Economic and Social Affairs wurde der relative Beitrag und Einfluss von Genossenschaften auf die nationale Wirtschaft evaluiert. Im CEI rangieren die Schweizer Genossenschaften im weltweiten Top-10-Ranking auf Rang 3 (Dave Grace and Associates, 2014). Lediglich Genossenschaften in Neuseeland und Frankreich leisten einen höheren relativen Beitrag zur nationalen Wirtschaft. Des Weiteren positionieren sich Schweizer Genossenschaften in einem internationalen Ranking der Organisation CICOPA16 zur relativen Anzahl der geschaffenen Arbeitsplätze verglichen mit der nationalen Bevölkerung sogar auf Platz 2 (Hyung-sik, 2017). 3.1.1 Umsatzwachstum in Schweizer Genossenschaften Betrachtet man die Umsätze einzelner Genossenschaften, erwirtschaften gemäss der Umfrage 21.1% aller Genossenschaften einen Umsatz von unter CHF 0.2 Mio. pro Jahr, 7.7% einen Umsatz zwischen CHF 0.2 und 0.5 Mio. und in 20% der Fälle einen Umsatz im Rahmen von CHF 0.5 bis 1 Mio. 34.0% der Genossenschaften erzielten im vergangenen Jahr einen Umsatz zwischen CHF 1 und 5 Mio., während sich weitere 5.4% bei einer Umsatzgrösse im Rahmen zwischen CHF 6 und 50 Mio. bewegten. Insgesamt erzielten 2.1% der Genossenschaften einen Umsatz über CHF 50 Mio.; die grössten 1.04% davon sogar über CHF 250 Mio.17 Basierend auf den Umsatzkategorien können die Grössenklassen der Genossenschaften definiert werden (siehe Abbildung 1), welche die Grundlage für die Kategorisierung der Genossenschaften in kleine, solche mittlerer Grösse und grosse darstellt. Abbildung 1. Grössenkategorien der Genossenschaften nach Umsätzen Dem Resultat der Befragung kann eine positive Tendenz in den Umsätzen der Schweizer Genossenschaften entnommen werden (siehe Abbildung 2). So ist der Umsatz bei knapp 50% der befragten Genossenschaften über die vergangenen zwei Jahre stabil geblieben und in 43.6% der Fälle gestiegen (bei 36.1% leicht und bei 7.5% sogar stark). Während der Umsatz bei kleineren Genossenschaften zu etwas mehr als einem Drittel gestiegen ist, erlebten vor allem mittlere und grosse Genossenschaften in den vergangenen zwei Jahren in deutlich mehr als der Hälfte der befragten Fälle ein positives Umsatzwachstum. Ergänzend dazu zeigen auch die Unternehmensdaten der zehn grössten Genossenschaften ein Wachstum: Der aggregierte Umsatz kann im Jahre 2018 mit CHF 76.87 Mrd. Der CEI misst den relativen Beitrag und Einfluss auf die nationale Wirtschaft der Genossenschaften aus einer 15 Gewichtung der Anzahl der Mitgliedschaften, geschaffenen Arbeitsstellen und den Umsätzen der Genossenschaften relativ zur Bevölkerung und der nationalen Umsatzleistung. 16CICOPA (Comité International des Coopératives de Production et Artisanales) ist eine Tochterorganisation der ICA (International Cooperative Alliance) 17 9.7% der teilnehmenden Genossenschaften entschieden sich, keine Angabe zum Umsatz zu machen. 11
Genossenschaftsmonitor 2020 beziffert werden – dies stellt ein klares Plus von 3% im Vergleich zum Vorjahr dar.5 Lediglich 7.2% aller befragten Genossenschaften verzeichneten in den vergangenen Jahren einen sinkenden Umsatz; davon lediglich 1% der Genossenschaften einen starken Umsatzrückgang. Abbildung 2. Umsatzentwicklung der Genossenschaften über die letzten zwei Jahre 3.2 Präsenz der Genossenschaften in der Schweiz Wie aus der Umfrage zum Genossenschaftsmonitor hervorgeht, haben insgesamt 23.9% der Genossenschaften ihren Hauptsitz in einer Stadt, 31.7% in einer Agglomeration und 44.5% in ländlichen Gebieten. Bei kleineren Genossenschaften liegt der Anteil ländlicher Niederlassungen bei über der Hälfte, während grosse Genossenschaften meist in einer Stadt angesiedelt sind (48.7%). Genossenschaften mittlerer Grösse sind jeweils zu rund einem Drittel in der Stadt, in der Agglomeration oder auf dem Land zu finden. Das zeigt, dass Genossenschaften in der Schweiz zu einer ausgewogenen wirtschaftlichen Infrastruktur in urbanen sowie in ruralen Gebieten der Schweiz beitragen (siehe Abbildung 3). Abbildung 3. Geografische Verteilung der Genossenschaften in der Schweiz Ein ähnliches Bild zeigt sich bezüglich Regionalität: Genossenschaften in der Schweiz sind auch in den einzelnen Landesregionen gut vertreten (siehe Abbildung 3). Die meisten Genossenschaften befinden sich im Espace 12
Genossenschaftsmonitor 2020 Mittelland (25.8%), gefolgt von der Ostschweiz (19.0%) und Zürich (15.7%). Weitere 13.2% befinden sich in der Nordwestschweiz, 12.4% in der Zentralschweiz, 12.0% in der Genferseeregion und schliesslich rund 2.0% im Tessin.18 Was die Branchenpräsenz betrifft, so zählen vor allem der Konsum- und Detailhandel, der Wohnbau sowie das Finanzwesen in der Schweiz zu den historisch typischen Branchen des Genossenschaftswesens, wie beispielsweise die über 100 Jahre bestehenden Grossgenossenschaften Coop, Raiffeisen oder die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich zeigen. Auch heute sind Genossenschaften in diesen Branchen in der Schweiz noch gut vertreten. Gemäss der Umfrage sind 41.8% der Genossenschaften im Wohnbau aktiv, 3.3% im Finanzdienstleistungsbereich und 3.2% sind im Konsum- und Detailhandel tätig (siehe Abbildung 4). Die Anzahl von Genossenschaften ausserhalb der «traditionellen» Genossenschaftsbranchen nimmt jedoch tendenziell zu – eine Entwicklung, welche bereits Klemisch & Boddenberg (2012) im deutschsprachigen Raum feststellten und den auch die Umfrage untermauert: 9.1% der Genossenschaften sind in der Energiewirtschaft aktiv und 6% im Bereich Dienstleistungen (siehe Abbildung 4). Abbildung 4. Auswahl der grössten Branchen der Teilnehmer 3.3 Die genossenschaftlichen Vorteile Mit der Umfrage wurden auch die zentralen organisatorischen Merkmale und genossenschaftlichen Alleinstellungsmerkmale (gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) erhoben, durch welche sich Genossenschaften auszeichnen. 18 STATENT Statistik zur Unternehmensstruktur des BFS (abgerufen am 04. November 2019) 13
Genossenschaftsmonitor 2020 Allen voran steht der «duale Charakter» von Genossenschaften, welcher sie als Unternehmen mit einer geteilten Zielsetzung aus wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Faktoren beschreibt (Novkovic & Webb, 2014). 73.5% der teilnehmenden Genossenschaften sehen die gesellschaftliche Verantwortung als zentrales Alleinstellungsmerkmal für Genossenschaften. Zu den Top 5-Alleinstellungsmerkmalen zählen laut Angaben der Genossenschaften ferner Nachhaltigkeit (62.1%), Förderung regionaler Strukturen (52.8%), Kundennähe (47.9%) und Partizipation (44.2%) (siehe Abbildung 5). Viele Genossenschaften setzen diese Alleinstellungsmerkmale auch bereits aktiv in ihrem Unternehmensalltag um. So leben 58.3% der Genossenschaften die gesellschaftliche Verantwortung aktiv im unternehmerischen Alltag, was einem Umsetzungsgrad von 79.3% entspricht. Ein noch leicht höherer Umsetzungsgrad (82.3%) wird bei der Kundennähe erreicht, d.h. vier von fünf Genossenschaften, welche Kundennähe als Alleinstellungsmerkmal von Genossenschaften identifizieren, setzen diese auch aktiv in ihrem unternehmerischen Handeln um. Der Fokus auf langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zählt mit 43.1% ebenfalls zu den wichtigen Alleinstellungsmerkmalen von Schweizer Genossenschaften. Drei von vier Genossenschaften, die den Langfristfokus als Alleinstellungsmerkmal genannt haben, setzen diesen auch aktiv in ihrer Unternehmensstrategie um (Umsetzungsgrad 73.5%). Auf die spezifische Frage nach dem Planungshorizont antworteten nur 4.6% mit «quartalsweise». Über die Hälfte (55.6%) setzen sich zumindest jährliche strategische Ziele und fast jede vierte Genossenschaft (23.3%) hat einen strategischen Zeithorizont von fünf Jahren oder mehr (siehe Abbildung 6). Abbildung 5. Die wichtigsten Alleinstellungsmerkmale der Genossenschaften (Vorauswahl basierend auf gfs.bern, 2011, S. 5; Taisch et al., 2012, S. 43 ff.) und deren Nutzung im unternehmerischen Alltag 14
Genossenschaftsmonitor 2020 Abbildung 6. Zeithorizont in der strategischen Zielsetzung bei Genossenschaften Demgegenüber sehen Genossenschaften das Innovationspotenzial nur in 17.6% als wichtiges Alleinstellungsmerkmal und lediglich 9.6% machen sich ihr Innovationspotential im unternehmerischen Alltag zunutze. Dieser tiefe Prozentsatz lässt aufhorchen. Gleichzeitig wird er etwas durch die Selbsteinschätzung des Führungsstils relativiert. Zwar schätzen 41.8% der Genossenschaften ihren Führungsstil als konservativ oder eher konservativ ein, doch nehmen auf der andern Seite 58.2% der Genossenschaften ihren Führungsstil als innovativ oder eher innovativ wahr. Jüngere Genossenschaften zeigen tendenziell ein innovativeres Führungsverhalten; konkret geben 74.3% der Genossenschaften, die vor zehn oder weniger Jahren gegründet wurden, an, innovativ oder eher innovativ zu führen. Demgegenüber liegt dieser Anteil bei Genossenschaften mit einem Alter von 11–50 Jahren lediglich bei 61.6% und für Genossenschaften, die seit über 50 Jahren bestehen, bei 52.2%. Das Thema Innovation wird Genossenschaften, speziell auch ältere Genossenschaften, in Zukunft verstärkt begleiten. Darüber hinaus sind Genossenschaften auch durch eine tiefe Gewinnorientierung gekennzeichnet. Lediglich 6.6% bezeichnen diese als Alleinstellungsmerkmal ihrer Genossenschaft und nur knapp 4% nutzen diese auch im unternehmerischen Alltag. Während rund 27% der teilnehmenden Genossenschaften angaben, entstandene Gewinne (zumindest teilweise) an Genossenschafterinnen und Genossenschafter auszuschütten, behält die überwiegende Mehrheit diese im Eigentum der gesamten Genossenschaft, um sie wiederum in den Betrieb zu investieren oder als Ressourcen und Wachstumsreserven zu nutzen. Unter dem Titel «Management-Score» hat die Umfrage auch zentrale organisatorische Merkmale thematisiert, deren Ergebnisse die duale Zielsetzung der Genossenschaften weiter bestätigen. Der Management-Score misst (basierend auf der Methodik zum World Management Survey von Bloom & Van Reenen, 2007) eine Selbsteinschätzung der Führungskräfte entlang zentraler Managementdimensionen.19 Gemäss der Umfrage erreichen Genossenschaften einen durchschnittlichen Management-Score (Total) von 2.06 (auf einer Skala bis maximal 3 Punkte). Als beste Vergleichswerte dienen dabei die nationalen Ergebnisse des World Management Survey in Deutschland – für die Schweiz wurde kein Score erhoben. Der Median deutscher Unternehmen 20 liegt bei 19Managementdimensionen umfassen die vorherrschende Art der Organisation im Unternehmen (hierarchisch vs. flache Strukturen), das Vorgehen zur Einführung neuer Prozesse, die Verfolgung unternehmerischer Leistung, die dominante unternehmerische Zielsetzung (finanzielle vs. nicht-finanzielle Ziele) sowie das Tracking und die Kommunikation zur Talententwicklung in Genossenschaften. 20Der World Management Survey umfasst dabei industrielle Hersteller, Krankenhäuser, Bildungsinstitutionen oder Einzelhandelsgeschäfte über verschiedene Organisationen und Länder hinweg. Der Score wurde zur Vergleichbarkeit adaptiert. 15
Genossenschaftsmonitor 2020 einem vergleichbaren Score von rund 1.8 bis 2.1 (Sadun, Bloom & Van Reenen, 2017). In diesem Vergleich positionieren sich Genossenschaften mit einem Durchschnitt von 2.05 am oberen Ende dieses Feldes, wobei mittlere und grosse Genossenschaften mit Werten von 2.54 resp. 2.52 klar über diesem Schnitt liegen. Genossenschaften heben sich in ihren Managementpraktiken vor allem in der strategischen Zielsetzung und der Einführung neuer Prozesse hervor: In diesen Kategorien erreichen Genossenschaften jeweils einen überdurchschnittlichen Score von 2.45 («Gleichgewicht unternehmerischer Zielsetzungen») bzw. 2.41 («Einführung neuer Prozesse») (siehe Abbildung 7). Abbildung 7. Management-Score der Genossenschaften Die Ergebnisse der Umfrage zum Genossenschaftsmonitor zeigen eine tendenzielle Zunahme des Management- Scores mit der Grösse der Genossenschaft. Dabei konnte aus der Umfrage festgestellt werden, dass die grössten Differenzen in der unternehmerischen Organisation zwischen kleinen und grösseren Genossenschaften vor allem auf Unterschiede in der hierarchischen Organisation sowie in der systematischen Verfolgung unternehmerischer Leistung zurückzuführen sind (siehe Abbildung 7). Eine wichtige Erkenntnis ist zudem, dass sowohl bei grossen als auch kleinen Genossenschaften in den meisten Fällen ein Gleichgewicht zwischen finanziellen sowie nicht- finanziellen Zielsetzungen im Unternehmen besteht (insgesamt 61.4%) – ein genossenschaftliches Merkmal also, welches unabhängig von der Grösse der Genossenschaft besteht. 3.4 Kooperationsbereitschaft und Identifikation mit Genossenschaften Genossenschaften handeln grundsätzlich werteorientiert und verfolgen in ihrem Handeln so auch einen gesellschaftlichen Nutzen (siehe Kapitel 3.3). Um den volkswirtschaftlichen Nutzen von Genossenschaften zu evaluieren, ist es daher wichtig, verhaltensökonomische Faktoren wie Identität, Kooperation und Vertrauen, die zum Charakter und zur Zukunftsfähigkeit der Genossenschaften beitragen, zu berücksichtigen (Marwa, 2014). Aus den Umfrageergebnissen geht hervor, dass die Kooperationsbereitschaft der Mitarbeitenden mit den Schweizer Genossenschaften stark ausgeprägt ist (siehe Abbildung 8). Aus der Sicht der Genossenschaften agieren ihre Mitarbeitenden meist «positiv reziprok»21: So erwidern in über 80% der befragten Genossenschaften die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Genossenschaften einen Gefallen. In über drei Viertel der Fälle tun sie der Genossenschaft als Arbeitgeber einen Gefallen, ohne daraus persönliche Vorteile zu ziehen. Gleichzeitig ist die negative Reziprozität tendenziell schwach ausgeprägt: In nur knapp über 50% der Fälle würden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine unfaire Behandlung durch die Genossenschaft direkt negativ erwidern. 21Reziprozität ist ein Konzept aus der Verhaltensökonomie und beschreibt die Gegenseitigkeit oder Wechselbezüglichkeit als ein Grundprinzip menschlichen Handelns. Positive Reziprozität bezeichnet dabei die Bereitschaft, einen Gefallen oder einen positiven Akt zu erwidern. 16
Genossenschaftsmonitor 2020 Des Weiteren lässt sich feststellen, dass Führungskräfte sich sehr stark mit ihrer Genossenschaft identifizieren, wobei die Rechtsform Genossenschaft und die damit einhergehende unternehmerische Vision in knapp 80% der Fälle ein massgeblicher Treiber dieser hohen Identifizierung ist (Abbildung 9). Im Vergleich dazu nimmt der Jahresgewinn im Durchschnitt eine klar weniger wichtige Rolle für die Identifizierung mit den Genossenschaften ein. Ernst Fehr konnte darüber hinaus zeigen, dass sich Schweizer Kunden besonders stark mit Genossenschaften identifizieren.22 Gemeinsam bilden diese starken Beziehungen von Genossenschaften zu ihren Mitarbeitenden sowie auch zu ihren Kundinnen und Kunden eine nachhaltige Basis für Genossenschaften, um das genossenschaftliche Differenzierungspotenzial weiter auszuschöpfen. Abbildung 8. Kooperationsbereitschaft in Genossenschaften 22FehrAdvice & Partners AG (2019). Wie stark sich Menschen mit Unternehmen und Brands identifizieren: Identitätsindex Schweiz 2019. Abrufbar unter https://fehradvice.com/wp- content/uploads/2019/12/Identitaetsindex_CH_2019.pdf 17
Genossenschaftsmonitor 2020 Abbildung 9. Identifizierung mit Genossenschaften 3.5 Genossenschaftliche Governance Neben den oben erwähnten organisatorischen und strategischen Elementen der Schweizer Genossenschaften spielen auch Governance-Mittel eine wichtige Rolle, um den unternehmerischen Erfolg nachhaltig sicherzustellen. Ergebnisse aus der Umfrage zeigen, dass vor allem grössere Genossenschaften über ein breites Spektrum an Governance-Mitteln verfügen. Neben dem Aufsichtsorgan (Verwaltung) existieren dort ein Unternehmensleitbild, externe Regulatorien und in der Hälfte der Fälle ebenfalls Compliance-Beauftragte und eine Compliance Weiterbildung für alle Mitarbeitenden. Solche Governance-Mittel sind auch bei Genossenschaften mittlerer Grösse weitgehend verbreitet, während 59.4% der kleineren Genossenschaften hierbei hauptsächlich auf das Aufsichtsorgan setzen. Wie aus der Umfrage ebenfalls hervorgeht, fordern Nachfolgefragen auf Ebene des Aufsichtsorgans bzw. der Geschäftsleitung Genossenschaften heraus. Während bei knapp der Hälfte aller teilnehmenden Genossenschaften ein Nachfolgewechsel auf Stufe Verwaltung (47.1%) oder Geschäftsleitung (42.4%) in den kommenden fünf Jahren bevorsteht, haben nur rund zwei Drittel der betroffenen Genossenschaften eine bestehende Nachfolgeregelung für die Verwaltung, die dem Verwaltungsrat bei Aktiengesellschaften entspricht, und sogar nur die Hälfte eine bestehende Nachfolgeregelung für die Geschäftsleitung erarbeitet. Aufgrund des «dualen Charakters» von Genossenschaften (Novkovic, 2008) spielen neben diesen klassischen Governance-Mitteln für Genossenschaften auch das partizipative Element (Kopfstimmrecht) und die Beteiligung der Mitglieder eine zentrale Rolle für eine erfolgreiche Governance (Nilsson, 2001; Shaw, 2006; Novkovic, 2012; Novkovic & Webb, 2014; Birchall, 2017; ausführlich zur Corporate Governance von Genossenschaftsunternehmen aus der jüngeren Schweizer Literatur Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, 2017, welche Anforderungen aus der Unternehmenspraxis berücksichtigen [dort S. 73 ff., 114 ff., 157 ff.]). Jedoch stehen Genossenschaften aktuell wie auch zukünftig vor der Herausforderung, die richtige Balance zwischen der Forderung nach Agilität und Expertise in der Unternehmensführung einerseits, und der Repräsentativität und dem Engagement ihrer Mitglieder andererseits, zu finden, um auch so eine nachhaltige genossenschaftliche Governance zu gewährleisten (Jungmeister & Taisch, 2014; Birchall, 2017). 3.6 Genossenschaften als Arbeitgeber Die Umfrage zeigt, dass Genossenschaften sich am Schweizer Arbeitsmarkt als attraktiver Arbeitgeber sehen. Dabei spielen folgende zentrale genossenschaftliche Attribute eine massgebende Rolle: □ ein grosser Gestaltungsfreiraum im Arbeitsalltag 18
Genossenschaftsmonitor 2020 □ eine sinnstiftende Arbeit □ eine ausgewogene Balance zwischen Top-down- und Bottom-up-Strukturen im Unternehmen (vgl. Taisch, Jungmeister, & Fabrizio, 2017, S. 134 ff.) □ der genossenschaftliche Solidaritätsgedanke □ Zusammenhalt und Kooperation innerhalb und zwischen Genossenschaften □ Vertrauen in Mitarbeitende (als Vorleistung) □ das Verfolgen eines gesunden wirtschaftlichen Wettbewerbs Diese Faktoren sind vor allem bei jüngeren Generationen gefragt, wie Erkenntnisse aus Sicht der teilnehmenden Genossenschaften zeigen. Laut Umfragen sind die Attribute regional, familiär, seriös, solide und zukunftssicher, persönlich und emotional wichtige Arbeitgeber-Merkmale bei jungen Menschen (Scholz, 2014). Viele nennen dabei ebenfalls den Gestaltungsspielraum und die gleichzeitige Möglichkeit, aufgrund der stark verankerten Regionalität auch die Früchte ihrer Arbeit ernten zu können, als Motivation, im genossenschaftlichen Sektor arbeiten zu wollen (Koller, 2007). Trotz der stetig steigenden Anzahl der Erwerbstätigen (BFS, 2018) herrscht, durch eine noch stärker wachsende Nachfrage an Arbeitskräften, ein zunehmender Fachkräftemangel im Schweizer Arbeitsmarkt. Dabei wird der Fachkräftemangel unter anderem in der Land- und Forstwirtschaft und in sozialen Diensten sowie der Gesundheitsbranche als besonders kritisch eingestuft (Credit Suisse, 2018; Loos, 2019). Neben verstärkter Einwanderung wird vor allem die Mobilisierung sogenannter «stiller Reserven» unter den Arbeitskräften – allen voran der Frauen, aber beispielsweise auch von pensionierten Arbeitskräften – als Lösungsansatz für den wachsenden Fachkräftemangel angesehen (Credit Suisse, 2018; Spring Professional; 2019). Genossenschaften leisten dabei einen wichtigen Beitrag zur Teilnahme der Frauen am Schweizer Arbeitsmarkt. Basierend auf den Umfrageergebnissen im Rahmen des Genossenschaftsmonitors liegt der durchschnittliche Frauenanteil aller Mitarbeitenden in den teilnehmenden Genossenschaften bei 36.6% und in Führungspositionen durchschnittlich bei 26.1% (Abbildung 10). Bei 36.9% der Genossenschaften nehmen Frauen eine Position in der Geschäftsleitung ein, und bei 41.9% sind sie in der Verwaltung vertreten. Vor allem mittlere Genossenschaften nehmen hier mit einem durchschnittlichen Frauenanteil von 62.4% und einem Frauenanteil von 40.3% in Führungspositionen eine führende Position ein. Im Vergleich dazu liegt der durchschnittliche Anteil an Frauen in Führungspositionen bei nicht-börsenkotierten Schweizer Unternehmen kleiner und mittlerer Grösse bei 19% (EY, 2018). Abbildung 10. Frauenanteil der Genossenschaften Laut der Statistik zum Fachkräftemangel sind für über die Hälfte der aktuell nicht oder nur geringfügig Erwerbstätigen in der Schweiz familiäre Verpflichtungen ausschlaggebend dafür, nicht stärker am Arbeitsmarkt zu partizipieren (Credit Suisse, 2018). Es ist zu vermuten, dass Genossenschaften für diese Zielgruppe, der auch viele Frauen angehören, attraktiv sind, weil sie durch ihre oft stark regional oder lokal verankerten Strukturen auch Arbeitsplätze ausserhalb wirtschaftlicher Ballungsräume schaffen. Sie bieten Mitarbeitenden so zeitlich flexiblere 19
Genossenschaftsmonitor 2020 Arbeitsmöglichkeiten zum Beispiel in Form eines Teilpensums und verkürzte Arbeitswege, wodurch Beruf und Familie besser miteinander vereinbar machen (Schincariol McMurtry & McMurtry, 2015). 3.7 Genossenschaften und aktuelle Trends Die relevantesten Trends für Genossenschaften sind laut der Umfrage des Genossenschaftsmonitors Umwelt und Nachhaltigkeit (62.8%), Digitalisierung (50.5%) und die Überalterung der Gesellschaft (38.3%) (siehe Abbildung 11). Die überwiegende Mehrheit der Genossenschaften geben dabei an, sich bei mindestens einem der Trends bereits als Unternehmen aktiv engagiert zu haben, während knapp 17.4% der Genossenschaften, obwohl sie von aktuellen Trends betroffen sind, noch nicht aktiv wurden und keine strategischen Massnahmen eingeleitet haben. Aktive Genossenschaften tragen dabei vor allem durch Investitionen in neue Technologien (48.7%) und durch die Weiterbildung von Mitarbeitenden (31.3%) bei. Auf der anderen Seite geben nur 5.8% an, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Im Folgenden werden die wichtigsten Trends aus Sicht der Genossenschaften mithilfe aktueller Beispiele aus dem Genossenschaftswesen evaluiert und der Beitrag der Genossenschaften aufgezeigt. Abbildung 11. Top-3-Trends für Schweizer Genossenschaften 3.7.1 Umwelt und Nachhaltigkeit Weit über die Hälfte der teilnehmenden Genossenschaften (62.8%) gaben Umwelt und Nachhaltigkeit als relevanten Trend für ihr Unternehmen an. Knapp 45% der Genossenschaften wurden dabei zum Thema Nachhaltigkeit auch bereits aktiv. Generell kann gesagt werden, dass Genossenschaften durch ihre Werteorientierung besonders oft als Pioniere im Bereich der Nachhaltigkeit auftreten, wie beispielsweise durch den Ausbau des Angebots an nachhaltigen Lebensmitteln bei Migros und Coop (Wiget, 2019). Mit dem 2018 erneuerten Energiegesetz, welches im Rahmen der Energiestrategie 2050 totalrevidiert wurde (BFE, 2018), spielen darüber hinaus besonders Energiegenossenschaften eine Pionierrolle bei der Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit durch den Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien in der Schweiz. Die Energiewende birgt viele Chancen für Genossenschaften. Dank ihrer lokalen Verankerung sind sie besonders dafür 20
Genossenschaftsmonitor 2020 geeignet, den Ausbau einer dezentralen Infrastruktur zur Nutzung erneuerbarer Energien voranzutreiben. Rund die Hälfte aller Energiegenossenschaften in der Schweiz, welche in den 1990er Jahren und nach 2011 entstanden sind, nutzen so fast ausschliesslich erneuerbare Energiequellen (Rivas, Schmid & Seidl, 2018). So hat beispielsweise auch die Energie Genossenschaft Schweiz die Nachhaltigkeit im Kern ihrer Vision verankert. Ihr Ziel ist es, das dezentrale Solarkraftwerk von morgen und so die Nutzung nachhaltiger Energien in der Schweiz zu propagieren. Neben der Ersetzung von fossilen und nuklearen Energieträgern durch erneuerbare Quellen möchte sie zusätzlich den massvollen Energiekonsum fördern. Als Genossenschaft investiert sie in gemeinsamer Selbsthilfe gezielt in neue Technologien, um die Vergrösserung des Anteils an erneuerbarer Energie in der Schweiz zu fördern. Gleichzeitig agiert sie auch als Botschafterin für umweltbewussteres Wirtschaften. Dafür erhielt sie im Jahre 2013 nicht nur den zweiten Platz beim Schweizer Nachhaltigkeitspreis Prix Nature 2013 (Kategorie: Generation Zukunft), sondern ist auch Preisträger des Innovationswettbewerbs 2013 des WWF Schweiz.23 3.7.2 Digitalisierung und die Sharing Economy Knapp über 50% der teilnehmenden Genossenschaften sehen die Digitalisierung als relevanten Trend für ihr Unternehmen und 36.7% haben sich diesem Trend auch bereits aktiv angenommen. Peter und Jungmeister (2017) zeigen auf, dass die Digitalisierung für Schweizer Genossenschaften vor allem im Bereich der Sharing Economy in Form von Plattformgenossenschaften viele Chancen bietet. Weiter zeigen sie auf, dass Plattformgenossenschaften vor allem dort erfolgreich sind, wo sie lokal verankert sind oder Nischenbedürfnisse bedienen. Peter und Jungmeister (2017) benennen dabei das von Taisch et al. (2012, S. 46, 52) eingeführte sowie von Taisch, Jungmeister und Fabrizio (2017, S. 65 ff., 70 f.) näher beschriebene genossenschaftliche Prinzip der mehrdimensionalen Werte- und Nutzenschaffung sowie die lokale Verankerung als wichtige Schlüsselelemente der genossenschaftlichen DNA. Durch die Vernetzung der lokalen Akteure (online und offline) können genossenschaftlich organisierte Plattformen Handels- und Dienstleistungsangebote bündeln und damit die Wirtschaft vor Ort und insbesondere die Nahversorgung im ländlichen Raum stärken. Solche Online-Portale stellen einen Marktplatz für lokale Geschäfte sowie regionale Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung. Sie eröffnen gleichzeitig die Möglichkeit, Kundinnen und Kunden umfassend zu informieren und ihnen dieselben Annehmlichkeiten zu bieten wie grosse Plattform-Unternehmen, wobei aber gleichzeitig die Wertschöpfung vor Ort bleibt (Peter & Jungmeister, 2017; Scholz, 2017). Vor allem wenn ein partizipatives Element im Vordergrund der Geschäftsidee steht, birgt die Rechtsform der Genossenschaft einen klaren Vorteil, wie das Erfolgsmodell Mobility 24 zeigt (Purtschert & Purtschert, 2013). Dieses Carsharing-Unternehmen ist vor allem dadurch konkurrenzfähig, dass Autos zumeist in unmittelbarer Kundennähe zur Verfügung gestellt werden können. Da bei Mobility die Leistung für die Bevölkerung und nicht nur die Gewinnerzielung im Vordergrund steht, können auch weniger lukrative Standorte mit Autos ausgestattet werden. Gefunden werden diese Standorte vor allem durch die Genossenschafterinnen und Genossenschafter selbst. Sie haben einerseits ein eigenes Interesse an günstig gelegenen Abstellplätzen, anderseits sind sie auch imstande, 23 www.energiegenossenschaft.ch (abgerufen im Januar 2020) 24 www.mobility.ch (abgerufen im Januar 2020) 21
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