Beitrag: Das Geschäft mit dem Durst-Manuskript - ZDF

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Manuskript

Beitrag: Das Geschäft mit dem Durst –
            Wem gehört das Wasser?

Sendung vom 8. Mai 2018

von Reinhard Laska

Anmoderation:
Die Deutschen leben, was Trinkwasser angeht, im Überfluss.
Jede und jeder - vom Säugling bis zum Senior - verbraucht
durchschnittlich 121 Liter Leitungswasser am Tag. Dazu trinkt
jeder Deutsche im Jahr über 140 Liter Mineralwasser.
Wassermangel? Vielleicht in Afrika. Doch auch in Europa wird die
lebenswichtige Ressource knapp – und nicht immer ist das Klima
schuld. Unser Reporter Reinhard Laska war im französischen
Vittel unterwegs, Heimat des berühmten Mineralwassers. Dort
macht der Konzern Nestlé Geschäfte über den Durst – und die
Bürger müssen fürchten, bald auf dem Trockenen zu sitzen.

Text:
Der Sommer kommt, die Deutschen haben Durst. Kein schnödes
Leitungswasser, sondern Mineralwasser muss her. 1,3 Milliarden
Liter werden pro Jahr importiert, meist in Plastikflaschen, auch
bekannte Marken wie das französische Vittel - nicht gerade
ökologisch.

O-Ton Britta Schautz, Ernährungsexpertin,
Verbraucherzentrale Berlin:
Ja, wenn Sie sich vorstellen, Sie wollen Mineralwasser
herstellen, müssen Sie es natürlich abfüllen, die Flaschen
dafür, die müssen erst mal produziert werden, und das
benötigt Energie. Dann wird dieses Wasser hier in Frankreich
in einen Lkw geladen und muss die weite Strecke nach
Deutschland zurücklegen, auf der Straße, das verbraucht
auch noch Sprit und ist nicht gut für die Umwelt.

Hier kommt es her, das berühmte Mineralwasser aus dem
lothringischen Vittel. Seit 1854 lebt das Thermalbad gut von
seinem Wasser. Die französische Oberschicht verbrachte einst
ihre Ferien hier, amüsierte sich und pflegte mit dem scheinbar
unerschöpflichen Vogesen-Wasser ihre Wehwehchen.
2001 übernahm der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé das
Geschäft und fördert seitdem rund 850.000 Kubikmeter Wasser
pro Jahr. Das sind rund 850 Millionen Liter in Plastikflaschen. Ein
wunderbares Geschäft, zahlen doch die Kunden für
Mineralwasser rund 160-mal so viel wie für Trinkwasser aus der
Leitung.

Allein: Nestlé pumpt zu viel ab, deshalb sollen die Bürger vor Ort
weniger Wasser verbrauchen. Verbraucherschützer sind
aufgebracht:

O-Ton Christiane Lecoanet, Verbraucherschützerin, „UFC-
Que Choisir“:
Jetzt ist geplant, dass die Bürger das Trinkwasser, das ihnen
zu Füßen liegt, nicht mehr nehmen können und sie
gezwungen sind, 20 oder 30 Kilometer entfernt Wasser zu
holen - und zwar Wasser, das in Rohren transportiert wurde.
Und trotzdem heißt es, dass das Wasser an erster Stelle für
die Bevölkerung gedacht ist.

Der Brunnen in Vittel speist sich aus einem riesigen
unterirdischen Reservoir. Doch das kostbare Nass ist knapp
geworden. Das Schild ermahnt die Bürger: nur sechs Flaschen
täglich.

O-Ton Sylvain Loisant, Anwohner Vittel:
Das ist so, als würde man Menschen, die am Atlantik
wohnen, zwingen, in einem Pool zu baden, mit Wasser aus
dem Mittelmeer. Ich will damit sagen: Das ist lächerlich.

Nestlé ist Großgrundbesitzer hier in der Region. 3.000 Hektar
Land rund um Vittel gehören dem Konzern - eine Art
Wasserschutzgebiet. Nur so kann der Konzern sauberes Wasser
verkaufen. Er hat Verträge mit Schäfern geschlossen, die das
Land und seine Obstbäume pflegen sollen.

O-Ton Benoît Gilles, Schäfer:
Diese ganze Arbeit dient auch dem Schutz des Wassers, der
Wasserquelle. So wird die Qualität des Wassers, das durch
den Boden fließt, verbessert.

Doch davon haben die Schäfer nichts. Ghislaine und Benoît Gilles
müssen sich jeden Tag auf den Weg machen, um Wasser für ihre
Tiere zu holen - von außerhalb, aus einem Dorf jenseits des
Schutzgebietes. Das Wasser unter ihren 73 Hektar Weide dürfen
sie nicht nutzen. Die beiden sind enttäuscht von Nestlé.

O-Ton Ghislaine Gilles, Schäferin:
Also, zuerst haben wir gefragt, ob wir Wasser für unsere
Schafe haben können. Das sei nicht möglich, kompliziert,
verboten. Wir hätten kein Recht zu bohren, dass die Brunnen
geschlossen wurden.
O-Ton Benoît Gilles, Schäfer:
Wir brauchen jeden Tag vier Kubikmeter Wasser. Wir
schützen das Wasser und haben selbst kein Wasser für
unsere Schafe. Auch als Einwohner unseres Dorfes leiden
wir unter Wassermangel - und zwar so extrem, dass der
Bürgermeister gezwungen ist, im Sommer mit einem
Tankwagen von woanders Wasser zu holen.

Der Kampf ums Wasser in Vittel. Inzwischen ermittelt die
Staatsanwaltschaft gegen eine Lokalpolitikerin der Stadt. Der
Vorwurf: Lobbyismus für Nestlé. Sie habe die Interessen des
Konzerns vertreten, nicht die der Bürger. So etwas ist in
Frankreich strafbar. Wir bitten den Bürgermeister um ein
Interview.

O-Ton Frontal 21:
Ich bin Reinhard Laska vom ZDF und habe dem
Bürgermeister eine Mail mit Fragen geschickt.

O-Ton Empfang:
Ja, der will aber mit Ihnen nicht sprechen.

O-Ton Frontal 21:
Der Bürgermeister will nicht mit uns sprechen?

O-Ton Empfang:
Er ist sowieso nicht da.

O-Ton Frontal 21:
Na ja, vor einer Woche haben wir die Mail geschickt.

O-Ton Empfang:
Ja, die habe ich weitergeleitet, aber keine Antwort
bekommen. Ich glaube, der will nichts sagen.

Schließlich wird die Dezernentin gerufen.

O-Ton Dezernentin:
Wir sagen nichts, das habe ich doch schon Ihrem Kollegen
gesagt, halt, Sie hören sofort auf mich zu filmen. Gehen Sie
jetzt oder ich rufe die Polizei.

Der Streit ums Wasser berührt massiv die wirtschaftlichen
Interessen von Nestlé, denn jeder Liter Wasser ist bares Geld für
das Unternehmen. Und da sitzt die Frau eines Nestlé-Managers
an entscheidender Stelle in der Politik.

O-Ton Frontal 21:
Was sagen Sie zu dieser Affäre?

O-Ton Christophe Klotz, Leiter Quellenschutzprogramm
Agrivair in Vittel / Nestlé Waters:
Ich will es mal ganz deutlich sagen, den Vorwurf eines
Interessenkonfliktes oder gar der einseitigen Parteinahme
weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.

Doch auch Nestlé weiß: Selbst wenn weniger gefördert würde,
der Wasserspiegel sinkt. Deshalb will der Konzern aus
benachbarten Dörfern und Regionen Wasser herbeischaffen. Vor
kurzem wurden Pläne für eine Pipeline bekannt.

Sie ist strikt dagegen, Odile Agrafeil, Mitglied der
Umweltkommission des Departements Grand Est.

O-Ton Odile Agrafeil, Berichterstatterin, Umweltkommission
CESER Grand Est:
Das bedeutet, dass die Bürger diese Pipeline bezahlen
werden. Rund 20 Millionen Euro, damit Nestlé weiter das
Wasser exportieren kann. Das ist doch Unsinn, denn das
Wasser ist ein Gemeingut, es gehört allen und es ist doch
nicht normal, dass die Bürger mit ihren Steuern und den
Wassergebühren in Zukunft Nestlé ermöglichen, weiter
seinen Geschäften nachzugehen.

Nestlé pocht auf seine Wasserrechte und erinnert an die
überragende wirtschaftliche Bedeutung des Konzerns:

O-Ton Christophe Klotz, Leiter Quellenschutzprogramm
Agrivair in Vittel / Nestlé Waters:
Es gibt in dieser Region nur sehr wenige Familien, in denen
nicht mindestens eine Person direkt oder indirekt mit uns
zusammenarbeitet. Und, wir zahlen Steuern, die wir in
Frankreich Mineralwasserabgaben nennen. Die betragen
heute für unsere Industrie hier vor Ort, also für die Fabrik
von Vittel und der Stadt Contrex, 14 Millionen Euro.

Den Export des Mineralwassers wird Nestlé nicht aufgeben. Zu
profitabel ist das Geschäft.

Und schließlich ist auch die deutsche Kundschaft fest davon
überzeugt, Mineralwasser sei einfach besser.

O-Ton Britta Schautz, Ernährungsexpertin,
Verbraucherzentrale Berlin:
Das ist sogar ein Trugschluss. Mineralwasser wird zwar
auch – so wie alle Lebensmittel in Deutschland - stark
kontrolliert. Aber das Leitungswasser wird sogar noch
stärker kontrolliert und manche Grenzwerte wie zum Beispiel
für Pestizide oder auch für Uran, die sind für Leitungswasser
sogar noch stärker als für Mineralwasser - und von daher ist
es eine gute Wahl.

Es geht auch ohne Plastikflaschen-Wasser. Düsseldorf vor zwei
Wochen: Die Langstreckenläufer konnten ihren Durst mit ganz
normalen Leitungswasser stillen - zur Verfügung gestellt von den
Wasserwerken, vom Brunnen um die Ecke.

Abmoderation:
Wem gehört das Wasser? 2010 erklärten die Vereinten Nationen
das Recht auf Wasser zwar zum Menschenrecht. Wird Wasser
aber zur Ware á la Nestlé, dann heißt das wohl: Den Zugang zum
Quell des Lebens bekommen diejenigen, die am meisten dafür
zahlen können - und nicht diejenigen, die ihn am meisten
brauchen.
Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur
zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der
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