Beitrag: Schlecht gerüstet - Die Bundeswehr als Rohrkrepierer
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Manuskript Beitrag: Schlecht gerüstet – Die Bundeswehr als Rohrkrepierer Sendung vom 7. Oktober 2014 von Joachim Bartz und Ulrich Stoll Anmoderation: Das Verteidigungsministerium verfügt über viele, viele Milliarden, verwaltet trotzdem nur den Mangel und macht das auch noch miserabel. Denn die Bundeswehr ist erschreckend schlecht gerüstet. Zu Lande, zu Wasser, in der Luft, überall fliegen der Truppe die Trümmer um die Ohren. Schon bei der Beschaffung wird sinnlos bestellt und hilflos zugesehen, wie die Industrie verzögert und verteuert. Nach diesem Lagebericht braucht die Ministerin gleich mehrere Befreiungsschläge. Immer neue Auslandseinsätze als Ablenkungsmanöver reichen nicht. Noch fehlt die klare Strategie. Joachim Bartz und Uli Stoll über die Bundeswehr und ihren ärgsten Feind. Sie selbst. Text: 1,2 Millionen Euro hat das gekostet, was der Grünen- Verteidigungsexperte Tobias Lindner da unterm Arm hat. Die Mängel-Studie über die Großprojekte der Bundeswehr. Viel Neues hat sie nicht gebracht, kritisiert der Oppositionspolitiker. O-Ton Tobias Lindner, B‘90/Grüne, MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Die Handlungsempfehlungen, die gegeben werden, beispielsweise dass man bessere Verträge braucht, dass man effektivere Schadensersatzklauseln braucht, das sind eigentlich Binsenweisheiten, die seit Jahren bekannt sind, und man sich fragen muss: Warum ist das noch nicht umgesetzt worden? Was ich kritisiere ist, dass wir jetzt am Ende eigentlich so schlau sind wie zuvor, und es endlich auf Entscheidungen und Veränderungen ankommen muss. Beschaffungsprobleme in allen Truppengattungen gibt es schon lange: Eurofighter haben technische Mängel, können wegen Pannen oft nicht starten.
Die neuen Korvetten hatten Getriebeschäden und konnten nicht auslaufen. Der Schützenpanzer Puma wurde ohne Nachweis der Serienreife einfach schon mal bestellt. Und der Airbus A400M kommt Jahre zu spät und ist schlechter ausgerüstet als von der Bundeswehr bestellt. Mindestens 38 Mal wurde der Beschaffungsvertrag mit dem Hersteller geändert. Wann er vollständig einsatzbereit ist, bleibt weiter unklar. Ein aktueller Bericht des Verteidigungsministeriums offenbart, wie schlecht es um die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr steht: Von 180 Transportpanzern Boxer sind nur 70 verfügbar. Von 31 Kampfhubschraubern Tiger nur 10 und von 33 Transporthubschraubern NH 90 nur 8. Deren Waffensysteme sind aber „nicht versorgungsreif“. Das bedeutet: O-Ton Tobias Lindner, B‘90/Grüne, MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Was bei den Kampfhubschraubern dargestellt wird, ist eigentlich eine Verschleierung gegenüber dem Parlament. Natürlich kann der Hubschrauber fliegen, aber für den eigentlichen Zweck, für den er da ist, kann er nicht verwendet werden im Einsatz. O-Ton Frontal21: Also ist nicht einsatzfähig? O-Ton Tobias Lindner, B‘90/Grüne, MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Exakt. Weiter heißt es zur Materiellen Einsatzbereitschaft der Marine: Von den vier U-Booten der Klasse 212 ist nur eines verfügbar.- Grund: „Unvorhergesehene Reparaturen“. Wie auch bei den Marinehubschraubern, von denen nur noch wenige fliegen. Bei den Ersatzteilen gibt es „Obsoleszenszen“, auf gut Deutsch – sie sind veraltet. Zu allem Überfluss kommt auch noch politische Einflussnahme hinzu. Seit langem werden Waffensysteme auch deshalb
angeschafft, weil Politiker es so wollen. Und nicht, weil die Truppe genau diese Waffen zwingend braucht. O-Ton Alexander Neu, DIE LINKE, Obmann Verteidigungsausschuss: Als politischer Grund gilt, dass Deutschland vor allem in den 90er Jahren den europäischen Nachbarn beweisen wollte und zeigen wollte, dass Deutschland keinen eigenen Weg geht, keinen Sonderweg geht, sondern mit den europäischen Nachbarn auch gemeinsame Rüstungsprojekte fährt, um auch Vertrauen zu schaffen. Dass dieses Vertrauensschaffen – in Anführungsstrichen- letztendlich teurer wird, und die Waffensysteme nur unzureichend mit Blick auf das Fähigkeitsprofil entwickelt sind, ist dann sozusagen ein Kollateralschaden. Beispiel: der Kampfhubschrauber Tiger. Die Vorgeschichte geht zurück in die Kohl-Ära. Der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner soll einen neuen Kampfhubschrauber anschaffen. Was er braucht, gibt es schon – den amerikanischen Apache. Doch industriepolitische Gründe sprechen gegen den US-Hubschrauber. Denn Deutschland will gemeinsam mit Frankreich einen eigenen Kampfhubschrauber entwickeln. Gedachter Gegner des Tigers: die gewaltige Panzerarmee der Sowjetunion. Doch plötzlich ist der Kalte Krieg zu Ende. Hubschrauber zur Bekämpfung von Panzern brauchte die Bundeswehr nun deutlich weniger. Aber es sollte noch viele Jahre dauern, bis die Politik reagiert. Die Bundeswehr bestellte einst 202 Transport- und Kampfhubschrauber zum Preis von 8,3 Milliarden Euro. Heute will sie nur noch 157 Hubschrauber abnehmen – für 8,1 Milliarden. Das handelte Verteidigungsminister de Maizière 2013 aus. In Kraft ist dieser für die Bundesregierung nachteilige Deal bis heute nicht. O-Ton Hans-Peter Bartels, SPD. MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Das ist genauso ein Beispiel dafür, dass damals bei uns in der Opposition - die SPD war damals ja nicht Regierungspartei - der Eindruck entstand, hier ist in den Verhandlungen zwischen Regierung und Industrie eher die Regierung über den Tisch gezogen worden. Das muss man nachverhandeln. Es gab ja eine Vereinbarung, die der Vorgänger von Frau von der Leyen getroffen hat, mit der Industrie. Wir akzeptieren die als sozialdemokratischer Koalitionspartner nicht. Also, die Reduzierung, die da vereinbart wurde, bei der Lieferung, die kann nicht das letzte
Wort sein. Die Rüstungsindustrie kommt auf ihre Kosten. Die Politik wird über den Tisch gezogen. Das moniert die Mängel-Studie. Ursula von der Leyen kritisiert auch ihre eigenen Leute. O-Ton Ursula von der Leyen, CDU, Bundesverteidigungs- ministerin: Wenn wir als Auftraggeber gegenüber der Industrie uns gut positionieren wollen, dann müssen wir vernünftige Verträge haben, die uns auch ins Recht setzen. Damit wir für Fehler, die zum Beispiel auf Seiten der Industrie gemacht werden, nicht bezahlen müssen. Hier können wir deutlich besser werden. Zuständig für die Beschaffung ist das sogenannte Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. Schon im Jahr 2000 fordert die Weizsäcker-Kommission eine effizientere Beschaffung. 2010 die Weise-Kommission dasselbe. Doch es tut sich wenig. Jetzt startet Ursula von der Leyen einen neuen Anlauf. Will das Beschaffungswesen der Bundeswehr endlich auf Vordermann bringen - aus gutem Grund. Denn eine vertrauliche Übersicht des Bundesverteidigungsministeriums listet Verzögerungen und Kostensteigerungen auf: Beispiel Transporthubschrauber NH 90 Mehrkosten: 1,1 Milliarden Euro Verzögerung der Auslieferung: elf Jahre Beispiel Kampfhubschrauber Tiger Mehrkosten: 735 Millionen Euro Verzögerung der Auslieferung: sieben Jahre Beispiel Korvette 130 Mehrkosten: 159 Millionen Euro Verzögerung der Auslieferung: vier Jahre Bei so viel Missmanagement und Fehlplanung fordert die Opposition künftig schärfere Konsequenzen für die Rüstungsindustrie. O-Ton Tobias Lindner, B‘90/Grüne, MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Um Veränderungen wirklich hinzukriegen, muss entschieden durchgegriffen werden. Das heißt auch, dass dann eine Bundesregierung mal den Mut haben muss, der Industrie Grenzen zu setzen und zu sagen: Dann bestellen wir ein Produkt nicht oder kaufen es unter Umständen bei einem ausländischen Mitbewerber.
Doch bisher hat das noch kein Verteidigungsminister gewagt. Und so lieferte die Industrie immer wieder zu schlecht, zu teuer, vor allem aber auch zu spät. Und das hat Folgen: Die Bundeswehr kann das bewilligte Geld oft gar nicht ausgeben. Denn eigentlich ist der Wehretat groß genug. Im Bundeshaushalt in Höhe von 296,5 Milliarden Euro stellt der Verteidigungshaushalt den zweitgrößten Posten dar – mit 32, 4 Milliarden Euro. So musste das Verteidigungsministerium immer wieder Geld verfallen lassen, weil die Industrie nicht lieferte. Der CSU-Verteidigungsexperte Florian Hahn hat berechnet: In den vergangenen sechs Jahren waren es rund vier Milliarden Euro. O-Ton Florian Hahn, CSU, MdB, Mitglied Verteidigungsausschuss: Genau das ist das Ärgerliche. Auf der einen Seite sehen wir Hauptwaffensysteme, die nicht 100 Prozent funktionieren. Und wo wir uns fast fragen müssen, ob die Bundeswehr überhaupt 100 Prozent einsatzfähig ist. Und auf der anderen Seite geben wir nicht das Geld aus, was eigentlich eingeplant ist. Vieles ist gründlich schiefgelaufen bei der Bundeswehr, jahrzehntelang. Nach vielen Ankündigungen muss Ursula von der Leyen nun zeigen, dass sie die Probleme tatsächlich lösen will. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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