Beitrag: Die "Methode Spahn"- Manuskript
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Manuskript Beitrag: Die "Methode Spahn" – Versäumnisse in der Corona-Politik Sendung vom 9. Februar 2021 von Anja Charlet, Armin Coerper und Felix Klauser Anmoderation: Text: Apropos Lernlücken. Die hat der Bundesgesundheitsminister auch – und immer wieder. Es ruckelt ein wenig, meinte Jens Spahn kurz nach dem Impfstart. Wenig später konnte das Impfchaos nicht mehr verharmlost werden, und jetzt ruckelt es bei den Rechtfertigungsversuchen. Zitat Spahn: „Natürlich stellt sich in der Rückschau heraus, dass nicht jede Entscheidung in den letzten Monaten richtig gewesen ist“. Und: „Wir lernen aus den Erfahrungen.“ Richtig ist: Niemand kann verlangen, dass Politik unfehlbar ist – erst recht nicht in einer Jahrhundert-Pandemie. Aber nach einem Jahr Corona bitte doch mehr als Floskeln bei der Fehleranalyse. Armin Coerper und Felix Klauser über Versäumnisse, Verantwortung, Versprechen. O-Ton Tim Kreutzfeldt, Inhaber „Ponyclub“ Berlin: Im Moment verbringe ich ja mein Leben damit, irgendwelche Instagram-Stories mit Frisuren herzustellen - an Puppenköpfen, nur um überhaupt eine Sichtbarkeit zu zeigen. Dass die Menschen sehen, ich liebe meinen Beruf, auch wenn ich jetzt nicht arbeiten kann, ich mache irgendetwas, anstatt eine Sprache zu lernen oder Kochkurse online zu belegen oder so was. Seit 20 Jahren hat Tim Kreutzfeldt seinen Friseursalon in Berlin. Jetzt ist er zum zweiten Mal im Lockdown. Dabei hatte der Bundesgesundheitsminister im September einer aufgebrachten Menge ein Versprechen abgegeben: O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, am 1.9.2020: Man würde mit dem Wissen heute, das kann ich Ihnen sagen,
keine Friseure mehr schließen und keinen Einzelhandel mehr schließen. Das wird nicht noch mal passieren. O-Ton Tim Kreutzfeldt, Inhaber „Ponyclub“ Berlin: Ja, ich habe es nicht ernst genommen. Ich konnte es mir nicht vorstellen, dass jemand dann sagt: Ich kann jetzt versichern, dass auch zukünftig das nicht stattfinden wird, ein Friseursalon zu schließen. - Man sollte denn vielleicht alles dafür tun, dass es dann auch eingehalten wird. Versprechen nicht gehalten – ist das die Methode Spahn? Immerhin hatte der Gesundheitsminister dafür rhetorisch vorgebaut, nachdem die Infektionszahlen im Frühjahr zum ersten Mal drohten, außer Kontrolle zu geraten. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, am 22.4.2020: Wir werden in der politischen Debatte und auch in der medialen Debatte nach dieser Corona-Lage alle miteinander viel verzeihen müssen. O-Ton Wolfgang Kubicki, FDP, MdB, stellvertretender Bundesvorsitzender: Das gehört zur Methode Jens Spahn, dass er zunächst dokumentiert, ich bin demütig bei dem, was ich tue. Aber Demut alleine reicht nicht. Man braucht auch ein gewisses Maß an Professionalität. Nach dem Infektionsschutzgesetz, das ja seit März letzten Jahres novelliert worden ist, die Verantwortung für die zentrale Beschaffung beispielsweise von Masken oder von Impfstoff bei Jens Spahn liegt und wenn er diese Verantwortung nicht abgeben kann. So beginnen Spahns Pandemie-Probleme: Frühjahr 2020 Mangelware - Masken. Not macht erfinderisch, auch und gerade in Krankenhäusern. Der Weltmarkt ist leer gekauft, die Vorräte wurden nicht angelegt. Weiter geht's im Sommer, als die Infektionszahlen niedrig sind und der Minister eine Warn-App an den Start bringt, DIE Warn- App. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Es ist mit Abstand die erfolgreichste Warn-App in Europa. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Die App ist sicher, sie ist freiwillig und sie ist einfach handhabbar. Mehr geht kaum. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Sie ist eine der erfolgreichsten Apps weltweit. Bei denen, die Kontakte nachverfolgen sollen, entpuppt sich
schon im Spätsommer die App als Flop. O-Ton Patrick Larscheid, Amtsarzt Gesundheitsamt Berlin- Reinickendorf, am 20.10.2020: Die App ist im Grunde genommen eher lästig. Sie hilft uns in der Pandemie-Bekämpfung leider überhaupt nicht. O-Ton Wolfgang Kubicki, FDP, MdB, stellvertretender Bundesvorsitzender: Wir haben 68 Millionen Euro ausgegeben für die Programmierung einer App, die das nicht leistet, was wir von ihr erwartet haben. Herbst 2020, die zweite Wellte naht. Jens Spahn plädiert für den Schutz der Verwundbarsten. Schnelltests sollten hier Abhilfe schaffen, um Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeheimen und in Krankenhäusern zu schützen - und nicht nur die. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Die Pflegekräfte selbst brauchen unsere Unterstützung. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Wir haben mit der Testverordnung seit Mitte Oktober Schnelltests möglich gemacht. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, 2020: Deshalb ist unser aller Ziel, dass Pflegekräfte gesund bleiben. Krankenpfleger Sebastian Lutz berichtete uns im Herbst, dass er sich vom Minister irgendwie vergessen fühlt. Jetzt sprechen wir ihn per Skype. Sebastian Lutz ist heute dankbar, dass er seit wenigen Wochen immerhin überhaupt getestet wird. O-Ton Sebastian Lutz, Krankenpfleger: Es ist halt wie sehr häufig mit dem Gefühl verbunden, dass Deutschland da leider ssehr, sehr hinterherhinkt und dass auch die Sachen, die der Herr Spahn immer verspricht, dann mit sehr, sehr großer Verzögerung dann wirklich auch erst eintreffen. Von daher ist es eigentlich da eine Frechheit, dass man jetzt wirklich sagen kann, nach über zehn Monaten wird man vernünftig getestet. Im November ist die zweite Welle da und der Befund über die Erfolge des Ministers ernüchternd - selbst in den eigenen Reihen, denn die Infektionszahlen explodieren. O-Ton Ralph Brinkhaus, CDU, Fraktionsvorsitzender am 26.11.2020: Wir haben noch keine flächendeckende, überzeugende Strategie für Pflegeheime, das ist einfach so. Wir haben keine flächendeckende überzeugende Strategie für Schnelltests,
das ist auch einfach so. Doch da scheint Rettung nah, zumindest laut Minister Spahn. 27.12. - Impfstart in Deutschland, angekündigt als Licht am Ende des Tunnels. Die Zahlen sinken damals noch immer nicht. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, am 27.12.2020: Es gibt sie: die frohe Weihnachtsbotschaft. In diesem Moment sind Lkws in ganz Europa, in ganz Deutschland in alle Bundesländer unterwegs, um den ersten Impfstoff auszuliefern. Zuvor hatte der Minister Impfzentren inspiziert, die die Länder in Rekordzeit aus deutschem Boden oder auch Rasen gestampft hatten. Doch Beispiel Düsseldorf: Hier wird das Impfen sechs Wochen verspätet beginnen, überall im Land herrscht Leere. Jürgen Stein aus Sachsen treffen wir schon im Januar. Er ist einer von unzähligen priorisierten über 80-Jährigen, die auf einen Impftermin hoffen. Seine Frau versucht ihr Glück täglich bei der Hotline. Ihr Mann ist schwer lungenkrank. Jeder Tag ohne Impfung ist für ihn ein lebensbedrohliches Risiko. Jetzt, sechs Wochen nach Impfstart, treffen wir die Steins wieder. Nach wochenlangen Anruf- und Onlineversuchen hat Herr Stein eine Nummer erhalten. O-Ton Jürgen Stein: Ich habe eine Vorgangskennnummer, so heißt die Nummer. Ich bin erfasst. Das ist die A004, ich nehme an, das ist Sachsen, ich weiß es aber nicht: 78527. Einen Impftermin hat er immer noch nicht. O-Ton Marina Stein: Der Herr Spahn bemüht sich. Und ich war mal Lehrerin, wenn ich eine Beurteilung schreiben musste über einen Schüler oder eine Schülerin, dann habe ich geschrieben: Sie bemühte sich. Da wussten die alle: Sie bemüht sich, aber sie kann's nicht. Dass das Licht am Ende des Tunnels nicht mehr scheint, gibt Jens Spahn heute zu. Doch bei der Frage nach seiner Verantwortung, lenkt er von sich ab. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister: Der Start der Impfkampagne war schwierig. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister: Und im Nachhinein hätten wir noch mehr und klarer
Erwartungsmanagement machen müssen. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister: Ich kann auch zu jedem Landkreis und zu jedem Land und zu jedem EU-Mitgliedstaat eine schlaue Bemerkung abgeben. Und jeder kann das im Zweifel zu dem, was der Bund tut. Aber hilft uns das? Mehr Impfstoff hätte geholfen. Noch immer sterben täglich Hunderte in Deutschland. Die Verantwortung für die Beschaffung liegt beim Gesundheitsminister. O-Ton Frontal 21: Herr Minister, Sie haben zu Beginn der Pandemie gesagt: Wir werden einander viel verzeihen müssen. Aus heutiger Sicht - die Angehörigen derer, die jetzt noch sterben, weil kein Impfstoff da ist, glauben Sie, dass die verzeihen können? O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister: Zuerst einmal, wissen Sie, wenn Sie so fragen oder debattieren, dann ist das das Ende jeder Debatte. und dass wir in dieser schwierigen Situation sind, hat eben mit uns allen im Zweifel ja auch zu tun! O-Ton Wolfgang Kubicki, FDP, MdB, stellvertretender Bundesvorsitzender: Er wird sich seiner Verantwortung trotzdem stellen müssen, auch wenn er immer wieder den Versuch unternimmt, vieles von sich selbst wegzuschieben und uns alle mit ins Boot zu nehmen. Wir alle haben ja eine Verantwortung gegen das Coronavirus zu kämpfen. Und wenn wir alle eine Verantwortung haben, hat er im Zweifel keine. Tim Kreutzfeldt hatte in ein Hygienekonzept investiert, doch es hat ihm nichts genutzt. Für ihn geht’s ums wirtschaftliche Überleben – maximal zwei Monate hält er noch durch. Es könnte ihn optimistisch stimmen, dass die Politik in diesen Tagen um Lockerungen ringt. Doch er ahnt schon, dass ohne Impferfolge, dass ohne eine funktionierende Strategie der nächste Lockdown eine Frage der Zeit ist. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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