Beitrag: Fragwürdige Versprechen - Helfen Alzheimer-Medikamente

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Manuskript

Beitrag: Fragwürdige Versprechen –
         Helfen Alzheimer-Medikamente

Sendung vom 03. Dezember 2013

von Andreas Halbach

Anmoderation:
Das große Vergessen im Alter – darunter leiden immer mehr. Und
die Angst hatte wohl jeder schon mal, am Ende auch zu denen zu
gehören, die ihre Familie nicht mehr erkennen. Und immer
weniger wissen über Zukunft oder eigene Vergangenheit.
Alzheimer also heilen oder verzögern? Dürfte wohl zu den großen
Menschheitsträumen zählen. Kein Wunder also, dass sich
Medikamente gut verkaufen, die angeblich wirken bei
Gedächtnisverlust. Andreas Halbach über eine fragwürdige
Wissenschaft - und ihre Vertreter.

Text:
Sie leben in ihrer eigenen Welt: Menschen mit der Diagnose
Alzheimer. Viele hier im Pflegeheim Albstift in Aalen haben schon
jahrelange Medikamententherapien hinter sich. Für viel wichtiger
hält Stifts-Direktor Manfred Zwick aber menschliche Zuwendung,
eine menschenwürdige Umgebung.

O-Ton Manfred Zwick, Direktor Seniorenheim Albstift:
Mit sechs bis vierzehn unterschiedlichen Medikamenten
kommen die Bewohner zu uns. Und wir haben festgestellt,
gemeinsam mit den Hausärzten, gemeinsam mit den
Fachärzten für Neurologie und Psychiatrie, dass wir, wenn
wir die Medikation reduzieren können, dass wir ein
deutliches Mehr an Lebensgewinn erfahren. Das heißt, der
Mensch wird wacher, er nimmt aktiv am Leben dann auch
teil, und wir akzeptieren einfach das Anderssein auch.

Von rund einer Million Demenzkranker in Deutschland wird bei
mehr als der Hälfte „Alzheimer“ diagnostiziert. Doch die
rätselhafte Krankheit ist bis heute nicht mal im Ansatz erforscht.

Wir sind auf dem Deutschen Neurologen-Kongress. Führende
Alzheimer-Experten sind ratlos. Die Wissenschaft habe bisher
vergeblich nach einem wirksamen Medikament gesucht.
O-Ton Professor Konrad Beyreuther, Molekularbiologe,
Universität Heidelberg:
Ernüchternd, wenn man nahezu 30 Jahre über Alzheimer
gearbeitet hat und am Anfang gesagt hat, in fünf Jahren,
dann hat man gesagt, in zehn Jahren, dann hat man gesagt,
in 20 Jahren werden wir die Pille haben. Heute gibt es keine
einzige Studie, die wirklich sagt, wir haben den Durchbruch
erreicht.

Trotzdem locken Hersteller mit fragwürdigen Versprechungen.
Auf dem Neurologen-Kongress präsentiert etwa die Firma
Nutricia, eine Tochter des Danone-Konzerns, ihre Trinknahrung
als „Therapie-Konzept bei Alzheimer-Krankheit im Frühstadium“.

O-Ton Verkaufsberater:
Es bremst den Verfall der Nerven. Das sehen Sie auch an
diesen Bildern sehr schön. Diese Synapsen werden nicht
mehr so schnell abgebaut und die Nerven werden geschont,
quasi.

O-Ton Frontal21:
Na aber Therapie heißt ja schon, das suggeriert ja irgendwo
ein Versprechen?

O-Ton Verkaufsberater:
Das Wort ist vielleicht dann ein bisschen – sage ich mal -
irreführend in diesem Zusammenhang.

Wir fragen nach bei Nutricia. Schriftlich heißt es,

Zitat:
„Der regelmäßige Einsatz von Souvenaid kann sich positiv
auf die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten im
Frühstadium auswirken.“

Wir zeigen die Werbebroschüre der Trinknahrung dem
Arzneimittelexperten Peter Schönhöfer.

O-Ton Peter Schönhöfer, Arzneimittelexperte:
Eine Trinknahrung zur Vorbeugung von Alzheimer? Das ist
nichts anderes als Schall und Rauch. Da gibt es keine
Möglichkeiten zu sagen, das wirkt.

Für ihren Auftritt auf dem Jahreskongress zahlen große
Pharmafirmen, als sogenannte „Platin-Sponsoren“ insgesamt
mehr als 1,6 Millionen Euro.

Dafür werben sie - auch für Medikamente gegen Alzheimer.

Beispiel: das Alzheimer-Pflaster „Exelon“ von Novartis mit dem
Wirkstoff Rivastigmin. Das Pflaster sei vergleichbar wirksam, aber
verträglicher als die herkömmlichen Kapseln, so der Hersteller.
Auf Nachfrage heißt es: Alzheimer-Demenz sei zwar bis heute
nicht heilbar oder umkehrbar, dennoch bestehe die Chance,

Zitat:
„… den Krankheitsverlauf zu verlangsamen sowie die
Alltagskompetenzen und die geistige Leistungsfähigkeit der
Patienten länger zu erhalten.“

Das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im
Gesundheitswesen“ hat das Pflaster untersucht. Das Ergebnis:

„Für den Nutzen der neuen Applikationsform fanden die
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Studien
keine Belege – und zwar weder für die kognitiven noch für
die alltagspraktischen Fähigkeiten.“

Obendrein könne das Pflaster erhebliche Nebenwirkungen haben
und das Gehirn allenfalls leicht stimulieren:

O-Ton Dr. Stefan Lange, Arzt und Epidemiologe, Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen:
Menschen können vielleicht auf einer Einkaufsliste, wo sie
früher von zehn Dingen, die sie aufgeschrieben haben, sich
nur noch vier merken konnten, können sich jetzt vielleicht
fünf oder sechs merken. Das mag einen günstigen Aspekt für
manche Betroffene bedeuten. Sehr klar ist, das findet man
auch auf dem Beipackzettel der Medikamente, dass sie mit
Nebenwirkungen insbesondere im Magen-Darmbereich
verbunden sind - wie zum Beispiel Übelkeit, Erbrechen,
Durchfall. Aber auch, die Pflaster können zu Hautirritationen
führen.

O-Ton Frontal21:
Also, der Schaden ist belegt und der Nutzen ist nicht belegt?

O-Ton Dr. Stefan Lange, Arzt und Epidemiologe, Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen:
Das kann man so, könnte man, wenn man wollte, versuchen
so auf den Punkt zu bringen.

O-Ton Peter Schönhöfer, Arzneimittelexperte:
Diese ganze Alzheimer-Medikation macht ein Strohfeuerwerk.
Und wenn das zu Ende ist, geht die Krankheit unverändert
weiter.

In den ärztlichen Leitlinien für Demenz-Erkrankungen heißt es zu
den gängigen Alzheimer-Medikamenten:

„Eine Entscheidung, ob eine Behandlung bei einem
individuellen Demenzkranken wirksam ist oder nicht, kann
daher nicht getroffen werden.“
Wie ist das zu verstehen?

O-Ton Professor Martin Grond, Vorsitzender Deutsche
Gesellschaft für Neurologie:
Es ist so, dass ich den Text so verstehe, dass die Krankheit
nicht aufzuhalten ist, die Krankheit nicht heilbar ist, aber
Symptome aufzuhalten sind. Und es macht möglicherweise
einen Unterschied, ob sie früher oder später in ein
Pflegeheim müssen.

Das verspricht auch Novartis mit seinem Alzheimer-Pflaster.

O-Ton Frontal21:
Die Behauptung, dass das Alzheimer-Pflaster die
Lebensqualität verbessert, kurzfristig, oder die stationäre
Pflege verzögert, was sagen Sie dazu?

O-Ton Dr. Stefan Lange, Arzt und Epidemiologe, Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen:
Das ist ‘ne kühne Behauptung. Dazu konnten wir weder harte
wissenschaftliche Belege, noch irgendwelche Anhaltspunkte
oder Hinweise finden.

Dennoch: Das Geschäft mit fragwürdigen Alzheimer-
Medikamenten boomt. Die Umsätze in Deutschland haben sich
vervielfacht seit der Jahrtausendwende. Von 18 Millionen
Tagesdosen stieg die Zahl der verkauften Präparate kontinuierlich
auf 83 Millionen an.

Die Wissenschaftsjournalistin Cornelia Stolze hat sich jahrelang
mit Alzheimer beschäftigt und kommt zu einem sehr kritischen
Fazit.

O-Ton Cornelia Stolze, Wissenschaftsjournalistin und
Buchautorin:
In der Praxis aber sieht es so aus, dass viele Ärzte viel zu
schnell die Diagnose Alzheimer stellen und das ist letztlich
eine Verlegenheitsdiagnose. Und das führt dazu, dass so und
so viele Menschen, die Demenzsymptome haben, zu
Alzheimer-Patienten abgestempelt werden. Sie bekommen
nutzlose und teure Medikamente, die eigentlich nur den
Herstellern nützen.

Zu den Befürwortern der Alzheimer-Medikamente zählt auch der
gemeinnützige Verein „Hirnliga“, Deutschlands Alzheimer-
Forscher. Sie wecken:

„Hoffnungen auf Früherkennung und frühe Behandlung“
„wenn wir… gezielt Medikamente einsetzen könnten“.

Die Boulevardpresse greift das gerne auf:
„Die neuen Therapien gegen Alzheimer – … Blocker-
Medikamente…“ Die Quelle? Immer wieder „die deutsche
Hirnliga“.

Maßgeblich gesponsert wird der Verein von der Pharmaindustrie,
vor allem von Schwabe Arzneimittel. Deren Geschäftsführer ist
Professor Michael Habs – und der ist auch Schatzmeister der
Hirnliga.

O-Ton Peter Schönhöfer, Arzneimittelexperte:
Von dem Verein halte ich gar nichts. Ich kenne den jetzt
schon seit den Neunzehnhundert-70er, 80er Jahre als eine
Vereinigung von Professoren, die im Dienste der
Pharmaindustrie Werbung für Produkte im Bereich der
Hirnfunktion machen.

Vorsitzender der Hirnliga ist Professor Hans-Jürgen Möller. Er
weist alle Vorwürfe zurück. Möller war Chef der Psychiatrie an der
Uniklinik München.

Auf deren Internetseite findet man ein nicht zulässiges Werbefoto
mit gängigen Alzheimer-Medikamenten, die, so heißt es, das
Fortschreiten der Erkrankung verzögern sollen.

Nach unserer Anfrage löscht die Uni sofort Foto und Text.
Professor Möller erklärt, für die „fehlerhafte Aussage“ habe er
zwar die „presserechtliche Verantwortung“, aber „der Text
stammt nicht von mir“.

Das Geschäft mit Alzheimer: fragwürdige Werbung, unbewiesene
Versprechen. So können falsche Hoffnungen geweckt werden.
Dabei wäre menschliche Wärme wirksamer.

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