Beitrag: Gequälte Tiere, verkeimte Ställe - Antibiotika in der Putenmast

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Beitrag: Gequälte Tiere, verkeimte Ställe –
            Antibiotika in der Putenmast

Sendung vom 9. Dezember 2014

von Jörg Göbel, Andreas Halbach und Christian Rohde

Anmoderation:
Der gute Wille scheint da.Immer mehr Verbraucher kaufen
tatsächlich die teureren Freilandeier, entscheiden sich gegen die
tierquälerische Käfighaltung. Am Anfang war also das Ei. Nur
dann geht’s nicht weiter mit der Tierliebe. Denn das Fleisch vom
Geflügel wollen die Verbraucher immer noch besonders billig.
Und besonders gefragt ist Putenfleisch. Statistisch gesehen isst
jeder Deutsche sechs Kilo Putenfleisch pro Jahr. Das bedeutet:
riesige Fleischberge, massenhafte Tierquälerei und - wovon sie
gar nichts ahnen – sogar Gesundheitsgefahren für Verbraucher.
Andreas Halbach, Jörg Göbel und Christian Rohde klären auf.
Und sie wollen Ihnen vor Weihnachten ganz bewusst den Appetit
verderben.

Text:
Putenfleisch, immer beliebter in deutschen Küchen. Es gilt als
mager und gesund, vor allem aber ist es vergleichsweise billig.
Cent-Ware. 100 Gramm Brustfleisch kosten gerade mal 62 Cent.
Massenware - Billigfleisch. Unter welchen Bedingungen ist das
möglich?

38 Millionen Puten werden in Deutschland jährlich gemästet.
Manchmal mehr als 10.000 in einem Stall. Die Mäster setzen fast
alle auf eine schnell wachsende Rasse, die sogenannte Big 6.
Genau das halten Tierschützer für ein großes Problem.

O-Ton Ralf Bilke, BUND:
Die Big 6 als Rasse, die ist so gezüchtet, dass sie extrem
schnell wächst, dass ungefähr ein Drittel des Körpergewichts
der Brustmuskel ausmacht. Also, die ist wirklich auf Leistung
getrimmt. Und zusammen mit extrem hohen Besatzdichten
führt das zu einer Menge auch tierschutzrechtlicher
Probleme.
Aktivisten der Tierschutzorganisation PETA dringen immer wieder
heimlich in Ställe ein. Auf ihren Bildern: kranke Tiere mit
Entzündungen und Hautekzemen. Dazu Puten, die kaum laufen,
ihr Gewicht nicht mehr tragen können. Und immer wieder: Tiere
mit Entzündungen an Gelenken und Fußballen.

O- Ton Edmund Haferbeck, PETA Deutschland:
Diese Bilder sehen Sie in jedem dieser Anlagen. Und
deswegen ist es systemimmanent. Es ist kein Einzelfall,
sondern es gehört zu der gesamten Putenzucht dazu.

In der Putenmast sterben viele Tiere schon im Stall, bevor sie
geschlachtet werden. Manchmal bis zu zehn Prozent einer
Herde. Bei 38 Millionen Masttieren sind das Millionen tote Puten
im Jahr. Werden einzelne krank, behandeln die Mäster
regelmäßig die ganze Herde. Sie mischen Medikamente ins
Futter, vor allem Antibiotika.

O-Ton Ralf Bilke, BUND:
Alles dieses führt dann dazu, dass gleich der gesamte
Bestand und auch überwiegend gesunde Tiere dann mit
behandelt werden. Das heißt, dieser enorme Einsatz von
Antibiotika ist systembedingt. Das ist wie ein Schmiermittel,
ohne Antibiotika geht es nicht.

Tierschützer finden in den Ställen regelmäßig Antibiotika -
unterschiedlichster Sorten und in rauen Mengen

O- Ton Edmund Haferbeck, PETA Deutschland:
Antibiotika sind in diesen Anlagen Pflicht, sie gehören dazu,
ohne diese können diese Puten über 16 beziehungsweise 21
Wochen Mastzeit überleben.

Doch übermäßiger und falscher Einsatz von Antibiotika im Stall ist
gefährlich – für Tiere und Menschen. Krankheitserreger bilden
immer häufiger Resistenzen, Medikamente verlieren ihre
Wirkung - im Stall genauso wie im Krankenhaus.

Das Problem ist offenbar so groß, dass die Bundeskanzlerin
höchstpersönlich zu handeln verspricht: gegen gefährliche
Antibiotikaresistenzen.

O-Ton Angela Merkel, CDU, Bundeskanzlerin, am 26.11.2014:
In der Folge wird die Behandlung vieler
Infektionskrankheiten immer schwieriger, Infektionen dauern
länger, die Sterblichkeit steigt. Und ich begrüße ausdrücklich
eine Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika vor allem bei
der Nutztierhaltung.

Doch das Gegenteil ist Realität. Eine aktuelle Studie aus
Nordrhein-Westfalen belegt: Fast jeder sogenannte
Mastdurchgang von Puten wird mit Antibiotika behandelt - trotz
der bekannten Gefahren.

O-Ton Johannes Remmel, B´90/Grüne,
Landwirtschaftsminister Nordrhein-Westfalen:
Die Diskussion ist vier, fünf Jahre alt. Und warum immer
noch bei neun von zehn Durchgängen Antibiotika eingesetzt
wird, ist für mich eigentlich nach der Debatte unerklärlich.
Das heißt, da ist nicht viel passiert in den letzten Jahren.

Die Studie legt offen: Ein Drittel der Antibiotikabehandlungen
erfolgte mit nicht zugelassenem Wirkstoff. Davon waren
mindestens 79 Fälle illegal und damit strafbar. Häufig wurden so
genannte Reserveantibiotika eingesetzt, die für die Behandlung
von Menschen vorbehalten sind.

O-Ton Johannes Remmel, B´90/Grüne,
Landwirtschaftsminister Nordrhein-Westfalen:
Das zeigt für mich, das System als solches ist krank und
muss dringend verändert werden.

Dabei hatte sich die Geflügelwirtschaft in Werbevideos immer
wieder selbst gelobt. Auf einer eigens eingerichteten Homepage
namens Geflügel-TV. Und in Pressemitteilungen wurde immer
wieder viel versprochen:

2011: weniger Antibiotika einzusetzen

2012: mehr Transparenz zu schaffen

2013: sorgfältiger mit Antibiotika umzugehen

Nur viel Gerede und nichts dahinter? Das wollen wir von der
Geflügelwirtschaft wissen. Doch: kein Interview – weder vom
Verband noch von einzelnen Putenmästern in Nordrhein-
Westfalen.

Der Geflügelwirtschaftsverband schickt uns per Mail ein seltenes
Eingeständnis.

Zitat:
„Die Ergebnisse der Studie erfüllen die deutschen
Putenhalter nicht mit Zufriedenheit.
Die Branche ist sich (…) bewusst, dass sie hier weiterhin
besser werden muss und noch viel Arbeit vor sich hat.“

Dabei gibt es Alternativen. Viele Biobetriebe ziehen so genannte
Bronzeputen auf, eine alte Rasse. Das Fleisch dieser Tiere kostet
allerdings viermal so viel. Denn diese Puten wachsen langsamer,
sind widerstandsfähiger, brauchen deshalb seltener
Medikamente. Warum schafft das die industrielle Putenmast
nicht?
Auf einer Fachtagung wollen wir das herausfinden. Versuch einer
Nachfrage bei der Vertreterin des weltweit wichtigsten
Putenzuchtkonzerns Aviagen.

O-Ton Frontal21:
Wir wollen mit Ihnen über Qualzucht reden, zum Thema Big
6. Wollen Sie denn nicht mit uns reden?

O-Ton:
Herr Halbach, ich denke, dann wir müssen das akzeptieren.

Einige Tage später antwortet uns die Zuchtfirma schriftlich. Das
Unternehmen arbeite daran die Gesundheit und
Widerstandsfähigkeit ihrer Zuchtlinien zu verbessern und
verspricht,

Zitat:
„Die Ergebnisse dieses Prozesses werden von 2015 an in
deutschen Ställen zu sehen sein.“

Zum massenhaften Antibiotikaeinsatz heißt es:

„Unter guten Bedingungen können Puten mit minimalen
oder ohne Antibiotikaeinsatz gemästet werden.“

Doch offensichtlich stimmen die Bedingungen nicht, denn
Antibiotika werden eingesetzt – massenhaft.

Diesen Zusammenhang bestreitet die Geflügelwirtschaft und setzt
weiter auf Großmastanlagen und Hochleistungsrassen. Und die
Branche hat weitgehend freie Hand: Denn die Aufzucht von Puten
ist im Gegensatz zu Hühnern, Schweinen und Rindern kaum
reguliert.

Wir wollen wissen, ob der Bundeslandwirtschaftsminister deshalb
schärfere Gesetze will. Schließlich präsentiert er gerade eine
neue Initiative für mehr Tierwohl.

O-Ton Frontal21:
Bei der Putenmast in Deutschland sind die Standards
offenbar nicht ausreichend!

O-Ton Christian Schmidt, CSU,
Bundeslandwirtschaftsminister:
Ich glaube, es bleibt völlig klar, neun von zehn mit
Antibiotika behandelt, das kann nicht sein. Mein Weg ist,
dass wir diese - soweit es im Rahmen der jetzigen
Regelungen, so etwas, zustande kommt, dass wir das
zukünftig nicht mehr zulassen.

Einsicht ja, Konsequenzen bisher nein. Der Minister plant keine
Gesetzesänderungen für Putenhaltung und Putenzucht. Roten-
und Grünen-Landwirtschaftsministern reicht das nicht aus.

O-Ton Johannes Remmel, B´90/Grüne,
Landwirtschaftsminister Nordrhein-Westfalen:
Deshalb müssen wir auch die Bedingungen verändern, die
Haltungsbedingungen, die Tiere krank machen. Aber ich
sage noch mal, dazu gehört auch, die Zucht zu betrachten.

O-Ton Till Backhaus, SPD, Landwirtschaftsminister
Mecklenburg-Vorpommern:
Diese gigantisch großen Anlagen, die wollen die
Verbraucherinnen und Verbraucher nicht, die wollen wir in
der Politik nicht. Das heißt, hier muss der Gesetzgeber
handeln.

Ohne schärfe Gesetze wird es nicht besser werden. Doch
Tierschutz kostet. Wer darauf nicht verzichten will, muss für Pute
tiefer in die Tasche greifen.

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