Beitrag: Vordrängeln beim Impfen-Manuskript - ZDF
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Manuskript Beitrag: Vordrängeln beim Impfen – Ich zuerst! Sendung vom 9. Februar 2021 von Thomas Münten und Heiko Rahms Anmoderation: Warteschlangen in der Wiener Innenstadt vor den Geschäften. Die durften gestern wieder öffnen. Dabei sind die Infektionszahlen in Österreich weiter hoch. Und was ist mit Deutschland? Wie soll es hier weitergehen? Darüber entscheiden Bund und Länder morgen beim nächsten Corona-Gipfel. Dem wievielten überhaupt? Haben Sie mitgezählt? Es ist noch nicht lange her, da stand das Impfen hellleuchtend für Hoffnung. Für die Hoffnung, dass bald wieder ein Leben möglich ist, wie es vor Corona war. Aber jetzt scheint das vielbeschworene Licht am Ende des Tunnels wieder schwächer und weit weg. Wir haben bereits Februar, und viele über 80- Jährige sind noch immer ungeschützt, warten weiter auf den Impftermin oder haben einen – irgendwann um Ostern. Zugleich häufen sich die Fälle von Menschen, die sich heimlich, still und leise an der verwundbarsten Generation vorbei- und vordrängeln. Thomas Münten und Heiko Rahms berichten. Text: Eine farblose Flüssigkeit, abgefüllt in zerbrechlichen Ampullen - und ein Versprechen: COVID-19 kann besiegt werden. Doch weil der Impfstoff so knapp ist, bekommt zuerst eine Spritze, wer besonders gefährdet ist. O-Ton Jens Spahn, CDU, Bundesgesundheitsminister, am 18.12.2020: Zuerst die Pflegeeinrichtungen, die dort leben und die, die dort beschäftigt sind, und die über 80-Jährigen. Deswegen bitte ich alle anderen Bürgerinnen und Bürger um Geduld. Um Geduld und Vernunft, darum bat auch der Bürgermeister in Hennef. Mario Dahm, gerade 31 Jahre, gewählt im November 2020 – mitten in der Corona Krise.
O-Ton Mario Dahm, SPD, Bürgermeister Hennef, Quelle: YouTube / Pressestelle Stadt Hennef: So schwierig das ist, das ist jetzt die Zeit für Vernunft und Solidarität. Dann schaffen wir es gemeinsam auch durch diesen schwierigen Herbst und Winter. Gemeinsam und solidarisch – in Hennef geht das offenbar so: Am 1. Januar erhalten nicht nur die Insassen dieser Seniorenresidenz ihre Impfung, sondern auch der junge Bürgermeister – schon am Abend des ersten Impftages. Warum ließ sich der 31-jährige Bürgermeister impfen? Ein Interview lehnt die Stadtverwaltung ab - also, Nachfrage auf der Straße: O-Ton Frontal 21: Kritiker behaupten, dass Sie Ihre Privilegien als Bürgermeister missbraucht hätten. Was sagen Sie dazu? O-Ton Mario Dahm, SPD, Bürgermeister Hennef: So, wie ich es gesagt habe. Wir sind als Stadt gebeten worden, kurzfristig zu kommen, damit der Impfstoff nicht verfällt. Er hält sich nicht besonders lange. Dem sind wir nachgekommen. Warum wurden nicht die Bewohner der nahe gelegenen Seniorenwohnungen gefragt? Den Mediziner Frank Schmähling aus Hennef ärgert das. Er hat gegen den Bürgermeister Anzeige erstattet. O-Ton Dr. Frank Schmähling, Orthopäde: Ich denke, es wäre schon einmal gut, wenn jemand gesagt hätte, es tut mir leid - und eine offizielle Entschuldigung dafür, das wäre das Eine gewesen. Aber man stellt dann doch immer fest, dass in so Situationen jeder selbst der nächste ist. Und man kümmert sich nicht um die Leute, um die man sich eigentlich hätte kümmern müssen - was ja ein Bürgermeister eigentlich sollte auch. Er soll sich ja um die Bürger kümmern erst mal und nicht in erster Linie um sich selber. Geimpft wurde auch Ex-Bürgermeister Klaus Pipke, heute DRK- Chef. O-Ton Frontal 21: Halten Sie es rückwirkend für richtig, vorzeitig geimpft worden zu sein? O-Ton Klaus Pipke, Deutsches Rotes Kreuz Hennef: Nein, das ist bedauerlich, war aber damals der Situation geschuldet - und eben auch dem Druck, dem zeitlichen Druck, dass man gesagt hat, wir können diesen Impfstoff
nirgendwo anders hin transportieren. Mit der heutigen Erkenntnis würde ich das sicherlich nicht mehr machen. Hamburg. Die städtische Feuerwehr ist im Dauereinsatz beim Kampf gegen das Coronavirus. Laut Impfverordnung sollen gerade Notfallsanitäter und Brandretter der Feuerwehr schnell geimpft werden. Sie sind, so heißt es wörtlich, Beschäftigte „mit hohem Expositionsrisiko wie Intensivstationen, Notaufnahmen Rettungsdienste“. Doch während über 2.200 von 2.600 Rettern noch auf ihre Impfung warten, ging es für andere schneller - zum Beispiel für den Chef der in einem Vorort gelegenen Hamburger Feuerwehrakademie, Bernd Herrenkind. O-Ton Daniel Dahlke, Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft: Ich finde das erschreckend, dass es dazu gekommen ist, dass die Verwaltung und die Führungskräfte Impfdosen erhalten haben, obwohl es durchaus möglich gewesen wäre, dass Rettungsdienstkräfte aus dem Dienst heraus zum Impfen gefahren wären. Beim Deutschen Roten Kreuz in Hamburg-Harburg wurde sogar die Ehefrau des DRK-Chefs gleich mitgeimpft. Mit uns reden will niemand hier. Im Regionalfernsehen der Feuerwehrsprecher mit Erklärungsversuchen: O-Ton Martin Schneider, Feuerwehrsprecher Hamburg, am 26.1.2021: Wir haben einen großen Teil des Personals abtelefoniert, wir haben auch viele gefunden, die sich bereit erklärt haben, sich dort ad hoc, wie wir sagen, dort impfen zu lassen. Die Besatzungen der Rettungswagen hingegen dürften während des Dienstes nicht geimpft werden, entschied der Hamburger Innensenator - ein Fehler, sagt die Gewerkschaft. O-Ton Daniel Dahlke, Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft: Grundsätzlich kann man sagen, dass es hier seitens der Politik ein unbedachtes, ein gar großes Versagen gab. Wir fühlen uns vom Hamburger Senat im Stich gelassen, weil wissentlich nicht die richtigen Entscheidungen getroffen worden sind. Das Deutsche Rote Kreuz hat unterdessen seinen Harburger Chef mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden - aus Krankheitsgründen, heißt es. Oberhausen. Auch Geistliche zählen nicht zur ersten Impfkategorie, außer sie arbeiten in den Heimen mit den Alten und Schwachen - zum Beispiel hier im Seniorenheim „Gute
Hoffnung“, betrieben von der Neuapostolischen Kirche Deutschland. Rainer Storck spricht vor allem von der Kanzel. Er ist ein Art Bischof für rund 600.000 Gläubige. Per YouTube gibt er Hoffnung: O-Ton Rainer Storck, Bezirksapostel Neuapostolische Kirche Westdeutschland, Quelle: YouTube / Neuapostolische Kirche: Kommt gut durch die Zeit und hoffentlich bis bald einmal wieder, auch wenn das am Anfang noch nicht der Fall sein kann, aber dann mal mit einem Händedruck und etwas näher als 1,5 Meter. Alles Gute! Der Kirchenmann und seine Frau ließen sich Anfang Januar in diesem Oberhausener Heim impfen. Wir wollen wissen: Warum wurden nicht stattdessen die Bewohner der direkt gegenüber liegenden Seniorenwohnungen geimpft? Das Büro der Kirche, auf unser Klingeln reagiert niemand. Dann treffen wir den Kirchenmann doch noch. Er hat uns gesehen und angehalten. O-Ton Rainer Storck, Bezirksapostel Neuapostolische Kirche Westdeutschland: Mir ist bewusst, dass ich Ärgernis und Wut damit ausgelöst habe. Und das tut mir sehr leid und dafür möchte ich mich entschuldigen. Vordrängeln beim Impfen, das gibt es inzwischen deutschlandweit - so zum Beispiel in Köln, Wachtberg, Halle an der Saale, Wittmund und Stendal. O-Ton Eugen Brysch Vorstand Deutsche Stiftung Patientenschutz: Es geht nicht um eine Bagatelle, sondern es geht um eine ethische Frage: Wer soll als erster den Schutz bekommen? Und da muss es doch so sein, dass derjenige, den das Virus am meisten bedroht, auch tatsächlich als Erstes in den Blick genommen wird. Abmoderation: Man mag Impfvordrängler für Einzelfälle halten. Sie zeigen aber im Extrem, was in der Breite der Gesellschaft zunimmt: Ungeduld beim Impfen, Unmut über den Shutdown. Zwar findet eine Mehrheit der Bevölkerung strenge Regeln weiter richtig. Aber der Druck auf Bund und Länder wächst, wieder mehr Normalität zu ermöglichen. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur
zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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