Beitrag: Steigende Gaspreise-Manuskript - ZDF
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Manuskript Beitrag: Steigende Gaspreise – Wird heizen unbezahlbar? Sendung vom 5. Oktober 2021 von Joachim Bartz, Hans Koberstein, Nils Mooney und Andreas Stamm Anmoderation: Müssen Millionen Menschen im nächsten Winter frieren? Wird heizen auch bei uns zum Luxus, den sich viele nicht mehr leisten können? Fest steht: Die Gaspreise gehen weltweit durch die Decke, und die Nachfrage ist viel größer als das Angebot. Da ist zum einen die Industrie, die mit Corona runterfuhr und jetzt wieder reichlich Energie frisst. Da sind zum zweiten Preistreiber wie China, die viel mehr für Flüssiggas bezahlen als andere Länder, und bei den Lieferungen bevorzugt werden. Da sind zum dritten Russland, aber auch die Niederlande, die ihre Exporte drosseln. Eins, zwei, drei - und warte nur, bis es Winter wird. Joachim Bartz und Hans Koberstein über Deutschlands Abhängigkeit vom Gas und die Folgen für Verbraucher. Text: Dominique Patera wollte alles richtig machen. Im Sommer wechselte er zu einem günstigen Gasanbieter. Er will im Winter heizen und trotzdem die Kosten senken. Doch dann kündigt der Billiganbieter alle Verträge, auch den von Dominique Patera. Die Deutsche Energiepool hatte sich verzockt, extrem niedrige Gaspreise versprochen, die sie jetzt nicht halten kann. Auf der Internetseite bittet das Unternehmen um Verständnis für die Massenkündigung: O-Ton Dominique Patera, Gaskunde, zitiert Statement Deutsche Energiepool: "In den letzten Monaten haben sich die Beschaffungspreise für Erdgas und für Strom am Terminmarkt rund verdreifacht. Die Preise für kurzfristige Beschaffung sind rund verfünffacht."
Jetzt muss sich Dominique Patera einen neuen Gaslieferanten suchen. Das Problem: Mittlerweile sind die Gaspreise stark gestiegen. O-Ton Dominique Patera, Gaskunde: Ich musste mir notgedrungen einen neuen Energieanbieter suchen, natürlich zu schlechteren Konditionen. Und das hat Mehrkosten jetzt verursacht, die ungefähr bei 500 Euro liegen. 500 Euro Mehrkosten im Jahr. Verbraucher, die sich wie Patera jetzt einen neuen Anbieter suchen müssen, zahlen kräftig drauf. Die Energieexperten vom Analysehaus Energy Brainpool warnen: Diesen Winter könnten gleich mehrere Billiggasanbieter pleitegehen, weil der Gaspreis schon seit Wochen immer höher steigen. O-Ton Tobias Federico, Geschäftsführer Energy Brainpool: Momentan haben wir eine extreme Entwicklung, bei denen die Gaspreise über das historische Niveau nach oben gegangen sind – also, eine Entwicklung, die wir bisher so noch nie erlebt haben. Die hohen Gaspreise werden erst einmal bleiben, sagt Tobias Federico - zumindest für diesen Winter. O-Ton Tobias Federico, Geschäftsführer Energy Brainpool: Die Märkte erwarten im Moment einen sehr strengen Winter, im Sinne der Preise. Die Preise fallen erst ab März und entspannen sich dann im übernächsten Jahr. Aber der Winter wird sehr eng, was die Preise angeht. Eine wichtige Ursache für den Gaspreisanstieg sind die Geschäftspraktiken von Russlands Konzern Gazprom, Deutschlands wichtigster Lieferant. Weltweit und auch in Deutschland steigt die Nachfrage nach russischem Erdgas. Doch Gazprom liefert nach Deutschland weniger, als der Markt braucht - und das schon seit Monaten. Und dann meldet der russische Katastrophenschutz am 6. August eine Explosion in einem Gasfeld. O-Ton Elena Kasarowa, russisches Katastrophenschutzministerium: Nach einigen Minuten waren Feuerlöschkommandos vor Ort. Sie stellten offene Feuer an drei Stellen fest.
Es brennt in einem wichtigen Werk in Sibirien, das Gas für den Export aufbereitet. Teile der Fabrik werden zerstört. Marktbeobachter berichten, dass Gazprom infolgedessen seine Exporte nach Europa drosselt. Es kommt zu einem regelrechten Gaspreis-Schock in Europa. Die Schockwellen treffen Großbritannien besonders hart: Die Gas- und Strompreise steigen auf der Insel rasant. Anthony Lyman ist alleinerziehender Vater, lebt mit seinen Kindern in Northampton. Zu Beginn der Pandemie hat er seinen Job verloren, ist auf Sozialhilfe angewiesen. Diese Woche streicht die Regierung den Corona-Zuschlag von umgerechnet 100 Euro. Und jetzt muss er auch noch 25 Euro mehr im Monat für Energie bezahlen. O-Ton Anthony Lyman, alleinerziehender Vater: Die Frage, die sich für uns stellt, ist jetzt heizen oder essen. Und es dürften viele Abende folgen, an denen ich nichts essen werde, damit meine Kinder satt werden. Der Energiepreisanstieg trifft die Hälfte aller britischen Haushalte. Zwei Millionen sind sogar im Zahlungsrückstand. Dabei hat die Regierung die Gaspreise gedeckelt. Die Versorger dürfen nur einen Bruchteil der Preissteigerungen an ihre Kunden weitergeben. Geholfen hat das wenig: Von rund 70 Anbietern sind mittlerweile zehn pleite. Der nächste Gasversorger, der aufgibt, könnte Utilita Energy sein. O-Ton Bill Bullen, Geschäftsführer Utilita Energy: Es ist ganz klar: Der Mechanismus, der die Energiepreise deckelt, hat massive Mängel. Er zwingt uns, unsere Kunden unter Marktpreisen zu beliefern. Das ist nicht mehr tragfähig. Doch den Gaspreisdeckel abzuschaffen werde sich die Regierung nicht trauen, so Experten. Denn die Folgen für viele Verbraucher wären verheerend. O-Ton Verbraucherin: Ich koche nur noch in der Mikrowelle, weil das Gas so teuer ist. O-Ton Verbraucherin: Alles steigt im Moment: Essen, Kleidung, Gas und Strom, nur unsere Gehälter nicht.
Großbritanniens Probleme sind hausgemacht. 85 Prozent der Briten heizen mit Gas. Fast die Hälfte des Stroms kommt aus Gaskraftwerken. Gleichzeitig gehen die Gasvorkommen in Großbritannien zu Ende, das meiste Gas wird importiert. O-Ton Prof. Jim Watson, Energie-Experte University College London: Die Lehren sind klar. Die Gebäude müssen besser gedämmt werden. Und wir müssen In Richtung erneuerbare Energien, um zu verhindern, dass diese Preisanstiege bei fossilen Energieträgern uns so stark treffen. Droht Deutschland eine ähnliche Krise? Fest steht: Deutschland hängt an Gasimporten, nicht nur aus Russland, auch aus Norwegen und den Niederlanden. Doch deren Lieferungen werden weniger. Die Niederlande schließen sogar ab nächstes Jahr ihr größtes Gasfeld Groningen, fallen als Lieferant aus. Umso größer wird die Abhängigkeit von Gazprom. Anfang kommenden Jahres soll die neue Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb gehen, jahrelang gab es darüber Streit. Die Abhängigkeit von russischem Gas werde noch größer werden, warnten Kritiker. Russland könnte die neue Pipeline als politisches Druckmittel nutzen. Trotzdem wird sie fertiggestellt. O-Ton Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Wir sehen uns durchaus in unserer Kritik bestätigt. Russland hatte ja auch schon in der Vergangenheit häufig die Tendenz, Gas auch als politische Waffe einzusetzen. Aktuell haben wir große geopolitische Streitigkeiten, die eben dazu führen, dass Russland ein Interesse daran hat, den europäischen Markt auch zu bestimmen. Und das war ein Problem mit Ansage. Die neue Gazprom-Zentrale in Sankt Petersburg, das höchste Gebäude Europas, 462 Meter hoch. Nutzt Gazprom seine Marktmacht aus, um die Preise hoch zu halten? Diese Frage von frontal lässt der Konzern unbeantwortet - und erklärt ganz allgemein, Zitat: "Gazprom hält seine Lieferverpflichtungen ein und tut alles im Rahmen seiner Möglichkeiten liegende, um zusätzliche Anfragen zu erfüllen."
O-Ton Prof. Claudia Kemfert, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: Die Gaspreis-Sprünge zeigen uns sehr deutlich, dass wir sehr abhängig sind von fossilem Gas. Es zeigt aber auch, dass wir den Preis zahlen einer verschleppten Energiewende. Denn es ist ja ein Problem mit Ansage. Wir hätten schon deutlich unabhängiger sein können durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und durch ein verstärktes Energiesparen. Wer unabhängig werden will vom Gas, muss umrüsten, Millionen Häuser bräuchten Wärmepumpen, die mit grünem Strom aus Sonne und Wind betrieben werden. Doch das kommt kaum voran. Von der verschleppten Energiewende profitiert Gazprom, und steuert auf einen Rekordgewinn zu. In der ersten Hälfte dieses Jahres stieg der Nettoprofit auf umgerechnet 11,4 Milliarden Euro. Laufen die Geschäfte weiterhin so gut, könnten es am Ende des Jahres rund 23 Milliarden sein. Ein Viertel davon fließt in die Staatskasse. Der russische Präsident Putin könnte also mit rund sechs Milliarden Euro rechnen. Während Gazprom kräftig verdient, zahlen deutsche Verbraucher drauf. Die Beratungsstelle co2online unterstützt Mieter und Hauseigentümer bei der Suche nach Lösungen: Heizkosten sparen, so gut es eben geht, und Gasheizungen ersetzen. O-Ton Tanja Loitz, Geschäftsführerin co2online: Die Abhängigkeit von Erdgas ist noch extrem hoch. Wenn wir uns vorstellen, dass fast jedes zweite Gebäude mit Erdgas beheizt wird, und wir gleichzeitig zu einem klimaneutralen Gebäudebestand in 2045 wollen, dann kann das so an der Stelle nicht weitergehen. Wenn Deutschland nicht vom Erdgas wegkommt, wird es teuer. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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