Beitrag: Prekäre Jobs beim Jobcenter - Mieser Arbeitgeber Staat
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Manuskript Beitrag: Prekäre Jobs beim Jobcenter – Mieser Arbeitgeber Staat Sendung vom 9. September 2014 von Andreas Halbach und Heiko Rahms Anmoderation: Immer mehr Arbeitnehmer wissen nicht, wie es mit ihnen weiter geht: Befristete Verträge, in der Warteschleife auf eine Festanstellung, die dann doch nicht kommt. Zukunftsangst als Dauerzustand. Dabei hatte die Politik die Jobs auf Zeit eigentlich als Ausnahme gedacht, um den Beschäftigungsmotor in Krisenzeiten anzukurbeln. Aber viele Arbeitgeber machen das zur miesen Regel. Da können sie heuern - und brauchen nicht mal zu feuern. Denn der Vertrag endet ja ganz von selbst. Der Kündigungsschutz wird ausgehebelt. Sogar Vater Staat macht da mit. Andreas Halbach berichtet über prekäre Jobs, und – das ist der Gipfel - ausgerechnet beim Jobcenter. Text: Wenn Petra Rudat Ihre Arbeitsverträge ausbreitet, wird es eng im Wohnzimmer. Inzwischen hat sie ihren 18. Zeitvertrag - alle beim selben Arbeitgeber: bei der Bundesagentur für Arbeit. Seit 1993 ist die Maschinenbau-Ingenieurin aus Zwickau als Arbeitslosenberaterin tätig. Sie wurde nach befristeten Verträgen regelmäßig wieder arbeitslos. „Hire and fire“ seit 20 Jahren, das Los der alleinerziehenden Mutter von drei Kindern. O-Ton Petra Rudat, Jobcenter-Mitarbeiterin mit Zeitvertrag: Es ist zermürbend, es ist eigentlich eine Missachtung eines Menschen. Und die Arbeitsagentur nimmt einfach ihre soziale Verantwortung nicht wahr, die im Laufe der Zeit entstanden ist. Missachtet vom Arbeitgeber. So fühlen sich viele Zeitarbeiter in Jobcentern. Nur wenige trauen sich, zu klagen. So wie diese Ex- Arbeitsvermittlerin des Jobcenters Recklinghausen. Sie will unerkannt bleiben. Die Frau hatte über dreieinhalb Jahre mehrere „Zeitverträge ohne Sachgrund“. Eigentlich hätte sie längst fest angestellt werden müssen. Doch Ende 2010 wurde sie einfach
entlassen. „Unzulässig“, urteilte kürzlich das Landesarbeitsgericht Hamm und sprach der Frau Recht auf Entschädigung zu. Die Arbeitsagentur habe gesetzwidrig gehandelt. Und so funktionierte die Trickserei mit den Zeitverträgen: Die Frau war beim Jobcenter Recklinghausen 2007 befristet für zwei Jahre eingestellt worden. Das Gesetz erlaubt solche „Zeitverträge ohne Sachgrund“ maximal für diesen Zeitraum. Anschließend müssen die Mitarbeiter fest angestellt werden. Nicht so in Recklinghausen. Hier erhielt die Frau ihren neuen Zeitvertrag bis Ende 2010, diesmal aber bei der Kreisverwaltung, dem anderen Träger des Jobcenters. Und der Kreis lieh die Frau sofort wieder ans Jobcenter aus. Die Frau saß also auf ein- und demselben Arbeitsplatz und das länger als zwei Jahre. O-Ton Dr. Guido Jansen, Pressesprecher Landesarbeits- gericht Hamm: Die sachgrundlose Befristung soll ja nur ausnahmsweise zulässig sein bei Neueinstellungen. Durch dieses System wird eine Neueinstellung im Ergebnis nur fingiert, weil ja der betroffene Arbeitnehmer auf dem ursprünglichen Arbeitsplatz weiterhin eingesetzt wird. Objektiv wird das Gesetz umgangen und das kann nicht hingenommen werden. Auch das Bundesarbeitsgericht sieht die Arbeitsagentur als eigentlichen Dienstherren und rügt solches Hin- und Hergeschiebe von befristeten Arbeitnehmern zwischen Kommunen und Arbeitsagentur als „missbräuchliche Vertragsgestaltung“. Diesen Missbrauch von Arbeitnehmerrechten hat Rechtsanwalt Jochen Thomé persönlich erlebt. Der Sozialdemokrat verhinderte kürzlich im Gemeinderat Ransbach-Baumbach, dass die Kommune Zeitverträge mit drei Mitarbeitern des örtlichen Jobcenters Westerwald schließt, um sie dorthin wieder auszuleihen. O-Ton Jochen Thomé, SPD, Verbandsgemeinderat Ransbach-Baumbach: Für mich war erschreckend, mit welcher selbstverständlichen Rücksichtslosigkeit öffentliche Stellen, die an Recht und Gesetz gebunden sind, die Arbeitnehmerrechte missachten. Meine Kritik richtet sich hier an die Bundesanstalt für Arbeit, die offensichtlich bundesweit über ihre Jobcenter die Umgehung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes steuert. Verstöße gegen Kündigungsschutz und Arbeitnehmerrechte - ausgerechnet bei der Bundesagentur für Arbeit? Wir bitten dort
um Stellungnahme. Kein Interview. Schriftlich heißt es, Zitat: „Soweit vergleichbare Einzelfälle der Zentrale der BA (Bundesagentur) bekannt werden, werden diese klaglos gestellt, also unbefristet übernommen. Eine entsprechende Weisung für den nachgeordneten Bereich besteht.“ Eine solche Weisung will man aber im Jobcenter Westerwald nicht kennen, Zitat: „Zu dem … Verfahren der Personalgestellung … gab es keine Weisungen der Bundesagentur für Arbeit… Das Jobcenter handelt bei Anfragen zur Personalgestellung ausschließlich im Rahmen rechtlicher Vorgaben.“ Das illegale Personalkarussell ist aber nicht der einzige Trick, mit dem die Jobcenter das Befristungsgesetz regelmäßig umgehen, erklärt uns ver.di-Vertreter und Personalratsvorsitzender des Jobcenters Köln, Gerd Zimmer. O-Ton Gerd Zimmer, Personalratsvorsitzender Jobcenter Köln: Wenn Kollegen nach zwei Jahren Befristung ausscheiden, sind andere Jobcenter - aus ihrer Sicht gesehen - clever und holen sich die Kollegen eigentlich wieder rein. Also, da gibt es genug Beispiele von Kölnern, die nach Leverkusen gegangen sind, nach Düren gegangen sind, in den Rhein- Erft-Kreis oder ins Jobcenter Bonn gegangen sind. Und das, was mir meine Kollegen aus dem Bundesgebiet sagen, ist das wohl eine gängige Praxis, die in den Ballungsräumen überwiegend ist. O-Ton Frontal21: Also nach wie vor Umgehung des Befristungsgesetzes? O-Ton Gerd Zimmer, Personalratsvorsitzender Jobcenter Köln: Nach wie vor Umgehung des Befristungsgesetzes. Das kann man so sagen. Und das ist aus gewerkschaftlicher Sicht ganz einfach auch ein mittelschwerer Skandal. Wir brauchen feste Arbeitsplätze. Der Trick mit dem Jobcenter-Hopping. Dazu befragen wir bei der monatlichen Pressekonferenz in Nürnberg den Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur, Frank-Jürgen Weise. O-Ton Frontal21: Da sagen Kritiker, das ist auch ein Umgehen von Arbeitnehmerrechten des Befristungsgesetzes. Und die Kritiker stellen die Frage: Wann sorgen Sie endlich für faire
Arbeitsplätze? Doch der Chef der Bundesagentur sucht Hilfe beim Vorstandskollegen, der holt weiter aus und gibt sich schließlich ahnungslos. O-Ton Heinrich Alt, Vorstand Bundesagentur für Arbeit: Den Fall, den Sie schildern, dass man sagt, man verlässt das eine Jobcenter und geht zum anderen Jobcenter und wird dort wieder eingestellt, kann es bei der BA [Bundesagentur] nicht geben. Jobcenter-Hopping mit Zeitverträgen kann es also gar nicht geben? Merkwürdig, denn in etlichen Ausschreibungen für befristete Stellen werden ausdrücklich Leute gesucht, die von einem Jobcenter zum nächsten wechseln.Im Angebot des Jobcenters Potsdam heißt es: „Vorerfahrung/Vorbeschäftigung bei der BA/JC [Bundesagentur/Jobcenter] als Arbeitsvermittler/In oder Fallmanager/In ist ausdrücklich gewünscht.“ Wir treffen einen dieser Jobcenter-Mitarbeiter, die es laut Bundesagentur gar nicht gibt. Der Arbeitsberater will unerkannt bleiben, hat Angst um seinen Job. Er ist ebenfalls nach zweijähriger Befristung einfach von einem Jobcenter zum nächsten gewechselt: O-Ton Jobberater mit befristetem Arbeitsvertrag: Leute wie ich müssen ja nicht mehr extra angelernt werden. Deshalb werden wir natürlich gern genommen, trotz vorherigem Zeitvertrag. Denn es dauert ja etwa ein Jahr, bis man die Rechtsmaterie des Sozialgesetzbuchs II drauf hat. Aber dann, nach dem zweiten Jahr, sollen wir schon wieder gehen, nur damit sie uns nicht fest anstellen müssen. Man nennt uns „Integrationsfachkraft“. Aber in Wirklichkeit sind wir Lückenbüßer, Verschiebemasse. Lückenbüßer, die aber dringend gebraucht werden. Denn vor allem in großen Jobcentern herrscht seit Jahren Personalnot, so Kritiker. Bundesweit sind 4.300 Jobberater in Zeitverträgen, das entspricht knapp zwölf Prozent im Bundesdurchschnitt. In Köln liegt die Befristung sogar bei etwa 20 Prozent, klagt der Personalratsvorsitzende und berichtet von jahrelanger Arbeitsüberlastung. Wer sich beschwert, bekomme Ärger. O-Ton Gerd Zimmer, Personalratsvorsitzender Jobcenter Köln: Die Stimmung, die da von oben nach unten runter gebracht wird, entwickelt sich langsam zu einer Misstrauenskultur. Man will uns auch verbieten, solche Interviews zum Beispiel
zu geben. Das ist durchaus schon ein Druck der Einschüchterung auch. Vorwürfe, die wir ebenfalls bei der Monats-Pressekonferenz der Arbeitsagentur ansprechen. O-Ton Frontal21: Es ist, so wörtlich, von einem „Klima der Einschüchterung“ die Rede, wollen Sie sich dazu äußern? O-Ton Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender Bundesagentur für Arbeit: Das sehe ich in der BA [Bundesagentur] überhaupt nicht. Und ich glaube, dass die ganz große Zahl der Personalräte und des Hauptpersonalrats diese Beurteilung nicht teilt. Kurz nach der Pressekonferenz schreibt uns der Pressesprecher der Bundesagentur, Zitat: „Wenn Sie kommunale Fälle ansprechen, dann hat das mit der BA (Bundesagentur) als Arbeitgeber nichts zu tun.“ Statt höchstrichterliche Entscheidungen zu akzeptieren, reagiert die Bundesagentur mit Ausflüchten. Und Petra Rudat? Sie arbeitet derzeit im Jobcenter Altenburg – mit Zeitvertrag beim Landratsamt. In wenigen Tagen trifft sie ihre alten Kollegen in Zwickau wieder. O-Ton Petra Rudat, Jobcenter-Mitarbeiterin mit Zeitvertrag: Das ist mein langjähriger Arbeitgeber und am 1.10. muss ich mich wieder arbeitslos da melden. Aber das reicht mir jetzt ganz einfach. Ich befinde mich im Klageverfahren und kämpfe um mein Recht, um meinen festen Arbeitsplatz – da. Öffentlich gibt sich BA-Chef Weise als Gegner der Befristung, Zeitverträge hätten „verheerende Wirkung“, sagt er. Für Petra Rudat klingt das wie Hohn - nach 21 Jahren in befristeter Beschäftigung. Zur Beachtung: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der vorliegende Abdruck ist nur zum privaten Gebrauch des Empfängers hergestellt. Jede andere Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtgesetzes ist ohne Zustimmung des Urheberberechtigten unzulässig und strafbar. Insbesondere darf er weder vervielfältigt, verarbeitet oder zu öffentlichen Wiedergaben benutzt werden. Die in den Beiträgen dargestellten Sachverhalte entsprechen dem Stand des jeweiligen Sendetermins.
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