Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel, Tourismus und Hausangestellte - EFFAT

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Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel, Tourismus und Hausangestellte - EFFAT
Bekämpfung von sexueller Belästigung
und Gewalt am Arbeitsplatz in den
Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel,
Tourismus und Hausangestellte
Studie durchgeführt von Dr. Barbara Helfferich
und Dr. Paula Franklin im Auftrag der Europäischen Föderation
der Gewerkschaften in den Sektoren Lebensmittel, (EFFAT) im
Rahmen eines von der Europäischen Union kofinanzierten Projekts
Finanzhilfevereinbarung VS/2019/0035
Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel, Tourismus und Hausangestellte - EFFAT
2

Inhaltsverzeichnis

Schlussfolgerungen
und Empfehlungen
Seite 5

1                    2          3                       4
Zweckbestimmung      Methodik   Rahmen der Studie       Definition des
der Studie           Seite 14   Seite 15                Problems: Gewalt,
Seite 13
                                                        geschlechtsspezifische
                                3.1                     Gewalt, sexuelle
                                Gleichstellung der      Belästigung und
                                Geschlechter und        Gewalt durch Dritte
                                EFFAT-Bemühungen        am Arbeitsplatz
                                zur Bekämpfung          Seite 18

                                und Prävention von
                                sexueller Belästigung   4.1
                                und Gewalt am           Gewalt und
                                Arbeitsplatz            Belästigung am
                                Seite 16                Arbeitsplatz
                                                        Seite 20

                                                        4.1.1
                                                        Geschlechtsspezifische
                                                        Gewalt (Gewalt gegen
                                                        Frauen)
                                                        Seite 22

                                                        4.1.2
                                                        Sexuelle Belästigung
                                                        Seite 23

                                                        4.1.3
                                                        Gewalt durch Dritte
                                                        Seite 24

                                                        4.2
                                                        Auswirkungen von
                                                        sexueller Belästigung
                                                        und Gewalt am
                                                        Arbeitsplatz
                                                        Seite 25

                                                        4.2.1.
                                                        Ungleichheiten und
                                                        geschlechtsspezifische
                                                        Gewalt und Belästigung
                                                        Seite 26
Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel, Tourismus und Hausangestellte - EFFAT
3

5                        6                      7               8
Vorkehrungen             Gewerkschaften         Umfang von      Die Ergebnisse
zur Bekämpfung           im Kampf gegen         sexueller       der Umfrage
von sexueller            sexuelle Belästigung   Belästigung     Seite 41

Belästigung              und Gewalt am          und Gewalt am
und Gewalt am            Arbeitsplatz           Arbeitsplatz    8.1
Arbeitsplatz             Seite 32               Seite 39        Mechanismen zur
Seite 27                                                        Datenerfassung in
                                                                den EFFAT-Sektoren
5.1                                                             Seite 42

Der internationale
Kontext                                                         8.2
Seite 27                                                        Politiken, Umsetzung
                                                                und Weiterverfolgung
5.1.1                                                           von Maßnahmen
Das Übereinkommen                                               zur Prävention und
des Europarats zur                                              Bekämpfung von
Vorbeugung und                                                  sexueller Belästigung
Bekämpfung von                                                  und Gewalt am
Gewalt gegen Frauen                                             Arbeitsplatz
und häuslicher Gewalt                                           Seite 45

(Istanbul-Konvention)
Seite 28                                                        8.3
                                                                Gemeldete Arten von
5.1.2                                                           sexueller Belästigung
Lang ersehnt: Ein IAO-                                          und Gewalt
Übereinkommen über die                                          Seite 49

Beseitigung von Gewalt
und Belästigung in der                                          8.4
Arbeitswelt                                                     Bewertung der
Seite 29                                                        Auswirkungen von
                                                                sexueller Belästigung
5.2                                                             und Gewalt am
Die Europäische                                                 Arbeitsplatz in den
Ebene                                                           EFFAT-Sektoren
Seite 30                                                        Seite 55

                                                                ANHANG I Liste
                                                                der teilnehmenden
                                                                Gewerkschaften
                                                                Seite 58

                                                                Quellennachweis
                                                                Seite 60
4

Danksagungen

Unser Dank gilt den vielen Menschen, die an diesem Bericht teilgenommen und mitgewirkt haben und
sich ihrem vollen Terminkalender zum Trotz die Zeit genommen haben, den Fragebogen der Umfrage
auszufüllen und die dringend benötigten Informationen für den Bericht bereitzustellen.

Besonderer Dank gilt auch den engagierten Frauen und Männern des Projektlenkungsausschusses:

Peter Traschkowitsch, VIDA Österreich
Grace Papa / Myreine Kint, CSC-ACV Belgien
Peter Lykke Nielsen, 3F Dänemark
Loredana Pesoli, Confederdia Italien
Elena-Maria Vanelli, FIST-CISL Italien
Herrie Hoogenboom, FNV Niederlande
Tove Rita Melgard, Fellesforbundet Norwegen
Margot Sastre, CCOO Industria Spanien
Juana Gregori, FeSMC-UGT Spanien
Eda Guner / Aybuke Özmutaf, ÖZ GIDA IS Türkei
Choi Giwon, EFFAT
Julie Duchatel, IUL

die ihre wertvollen Einblicke, ihr enormes Fachwissen und ihre Erfahrungen aus ihren jeweiligen
Sektoren und Gewerkschaften zur Verfügung gestellt und damit die hohe Qualität des Berichts
sichergestellt haben.

Projekt durchgeführt mit finanzieller Unterstützung der Europäischen Kommission.

Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung trägt allein der Verfasser; die Kommission haftet nicht für die weitere Verwendung der darin
enthaltenen Angaben.

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne die Genehmigung des Herausgebers in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, ob elektronisch, mechanisch,
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entstehende Verluste, Schäden oder Haftungen aller Art seitens der Nutzer oder anderer Personen.
5

Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Sexuelle Belästigung und Gewalt sind hartnäckige Probleme in der Arbeitswelt. Je mehr wir
darüber wissen und die Ursachen verstehen, desto besser sind wir in der Lage zu handeln
und praktikable, angemessene und effiziente Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung zu ergreifen.
Umfragen spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, das Ausmaß von sexueller Gewalt
und Belästigung, unter denen Beschäftigte leiden, ans Licht zu bringen. Um es mit den Worten
einer Gewerkschafterin zu sagen: „Sexuelle Belästigung und Gewalt sind Probleme, von denen
wir wissen, dass es sie gibt, aber bisher hatten wir kaum Daten, um konkrete Maßnahmen zu
treffen.“ Umfragen, wie diese, bieten auch einzigartige Möglichkeiten, voneinander zu lernen,
was funktioniert und was nicht, und dienen den Gewerkschaften als Inspirationsquelle und
praktische Orientierungshilfe für ihre Arbeit in diesem Bereich.

Frauen erleben häufiger Gewalt                           Wir brauchen einen
und sexuelle Belästigung am                              ganzheitlicheren Ansatz, um
Arbeitsplatz als Männer                                  Gewalt und sexuelle Belästigung
Es war keine Überraschung, dass unsere Umfrage die
                                                         am Arbeitsplatz zu bekämpfen
Tatsache bestätigte, wonach Frauen häufiger Gewalt
                                                         Damit Sozialpartner und politische Verantwortliche
und sexuelle Belästigung erleben als Männer. Die
                                                         angemessen auf die Erfahrungen von Beschäftigten mit
Umfrage spiegelte auch die Tatsache wider, dass sich
                                                         sexueller Belästigung und Gewalt reagieren können,
Männer häufiger als Frauen sexueller Belästigung
                                                         müssen sie anerkennen, dass die Erscheinungsformen
schuldig machen, und dass KollegInnen und
                                                         von Gewalt gegen Frauen (und Männer) unter
Gleichgestellte häufiger sexuelle Belästigung begehen
                                                         Berücksichtigung ihrer gesamten Komplexität und
als Vorgesetzte. Sexuelle Belästigung aufgrund des
                                                         durch einen ganzheitlichen Ansatz angegangen
Geschlechts (z.B. Ansichten und Verhaltensweisen,
                                                         werden sollten. Bislang gibt es in Europa kaum
die vermitteln, dass Frauen nicht dazugehören oder
                                                         Anzeichen dafür, dass ein solcher Ansatz greift. Bis zur
keinen Respekt verdienen) ist bei weitem die häufigste
                                                         MeToo-Bewegung wurden sexuelle Belästigung und
Art der sexuellen Belästigung. Wenn ein Umfeld von
                                                         Gewalt - sowohl von den Gewerkschaften als auch
geschlechtsspezifischer Belästigung durchdrungen
                                                         von den Arbeitgebern in der EU - eher als Ausnahme
ist, werden unerwünschte sexuelle Annäherungen
                                                         denn als Norm angesehen. Mit einer wachsenden Zahl
und sexuelle Nötigung wahrscheinlicher. Eine
                                                         von Umfragen, Studien und zunehmend wachsamen
wichtige Lehre aus dieser Umfrage ist auch, dass
                                                         Frauenausschüssen in den Gewerkschaften können
Männer und männliche Kollegen zu wichtigen Akteuren
                                                         das Ausmaß und die Auswirkungen von Gewalt
im Kampf gegen Gewalt und sexuelle Belästigung
                                                         und sexueller Belästigung nicht mehr ignoriert
werden können. Es ist nicht nur ein Frauenproblem,
                                                         werden. Dennoch verfügt nur ein geringer Teil der
sondern eines, mit dem alle Beschäftigten früher
                                                         Unternehmen über Verfahren oder Maßnahmen
oder später konfrontiert werden. In dieser Hinsicht
                                                         zur Bekämpfung von Gewalt und Belästigung. Eine
erinnert die Umfrage auch an die Verantwortung
                                                         Studie von Eurofound (2015) ergab, dass Länder, in
der Arbeitgeber, einen sicheren und qualitativ
                                                         denen mehr Unternehmen über Richtlinien verfügen,
hochwertigen Arbeitsplatz bereitzustellen.
                                                         diejenigen sind, in denen Gewalt und Belästigung
                                                         deutlicher in Tarifverträgen oder Arbeitsschutz- und
                                                         Beschäftigungsgesetzen verankert sind.
6

Wir wissen immer noch nicht                            Die Gesetzgebung spielt eine
genug über die Auswirkungen                            zentrale Rolle bei der Bekämpfung
der Politik auf das Ausmaß des                         von sexueller Belästigung und
Problems                                               Gewalt am Arbeitsplatz
Es gibt nur begrenzte Erkenntnisse über die            Jüngste europäische Erhebungen zu Gewalt und
Auswirkungen bestehender Maßnahmen auf den             sexueller Belästigung sowie die einschlägige
Umfang von Gewalt und sexueller Belästigung am         Fachliteratur bestätigen, dass die Gesetzgebung
Arbeitsplatz. Während die Gründe für die hohe          eine zentrale Rolle bei der wirksamen Bekämpfung
Dunkelziffer von sexueller Belästigung und Gewalt      von sexueller Belästigung und Gewalt am
am Arbeitsplatz komplex sind, spielt die Art der       Arbeitsplatz spielt, indem sie diese definiert und
bestehenden Meldemechanismen eine wichtige             den Arbeitgebern Verpflichtungen (einschließlich
Rolle bei der Vereinfachung oder Erschwerung von       Geldstrafen) auferlegt. Es war daher überraschend,
Meldungen. Vergleichsmöglichkeiten bezüglich des       dass die Mehrheit der Antworten in dieser Umfrage
Umfangs und der Politiken über Sektoren und Länder     der Gesetzgebung nur eine geringe Rolle zuschrieb.
hinweg bleiben schwierig, nicht zuletzt wegen des      Obwohl für eine vollständige Erklärung weitere
Mangels an gemeinsamen Indikatoren. Es konnten         Untersuchungen erforderlich wären, ist es richtig,
jedoch Unterschiede zwischen den EFFAT-Sektoren        dass die Gesetzgebung ohne ordnungsgemäße
festgestellt werden, die darauf hindeuten, dass der    Umsetzung über einen ganzheitlichen Ansatz nicht
Hausangestelltensektor viele Fälle von sexueller       das gewünschte Ergebnis liefern wird.
Belästigung und Gewalt vermeldet, während es an
angemessenen und effizienten politischen
Maßnahmen mangelt.

Die Umfrage zeigt ein
wachsendes Bewusstsein für
die Auswirkungen von sexueller
Belästigung und Gewalt am
Arbeitsplatz insgesamt
Die Umfrage ergab, dass es einen breiten Konsens
über die negativen Auswirkungen von sexueller
Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz auf die
psychische Gesundheit gibt. Im Gegensatz dazu
herrscht ein geringeres Bewusstsein über die Art
und Weise, wie sich Gewalt und sexuelle Belästigung
auf die gesamte Organisation bzw. das gesamte
Unternehmen auswirken. Intuitives Wissen um die
negativen Folgen in Verbindung mit mangelnden Daten
zu sexueller Belästigung und Gewalt sowie fehlenden
Informationen über Strategien und Gegenmaßnahmen
erklärt die wiederholten Forderungen nach
Sensibilisierungskampagnen, die von den Befragten in
dieser Umfrage als notwendig erachtet wurden.
7

Die Reaktionen auf sexuelle                             Gewerkschaften stehen im
Gewalt und Belästigung müssen                           Zentrum des Kampfes gegen
auf die sektoralen Besonderheiten                       sexuelle Belästigung und Gewalt
zugeschnitten sein                                      am Arbeitsplatz
Alle Sektoren sollten einen Null-Toleranz-Ansatz        Die verschiedenen Akteure - Staat und Sozialpartner
bezüglich sexueller Belästigung und Gewalt anstreben.   - sind in ihren Aktivitäten gegen sexuelle Belästigung
Ebenso sollte die Einbeziehung von Männern in           und Gewalt am Arbeitsplatz nicht strategisch
den Kampf gegen Gewalt und sexuelle Belästigung         aufeinander abgestimmt; eine Situation, die im Bereich
am Arbeitsplatz eine Politik sein, die horizontal in    der Hausangestellte besonders ausgeprägt ist. Die
allen Sektoren angewendet wird. Wie die sektoralen      EFFAT-Umfrage bestätigt, dass die Gewerkschaften
Ergebnisse der Umfrage zeigen, müssen jedoch die        insgesamt bei der Entwicklung von Strategien
sektoralen Besonderheiten bei der Entwicklung von       und Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt und
politischen Ansätzen gegen sexuelle Belästigung und     sexueller Belästigung ein größeres Engagement
Gewalt berücksichtigt werden. So ist beispielsweise     zeigen als die Arbeitgeber. In den skandinavischen
im Hausangestelltensektor der Arbeitsplatz              Ländern, den Niederlanden und Spanien zum Beispiel,
häufig ein Privathaushalt, und im Tourismus- oder       wo die Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet sind,
Gastronomiesektor sind lange Arbeitszeiten,             Strategien zur Bekämpfung von sexueller Belästigung
Schichtarbeit und Alkoholkonsum der Gäste üblich.       und Gewalt einzuführen, spielen die Gewerkschaften
Daher müssen die Maßnahmen den Anforderungen            die Hauptrolle bei der Bekämpfung dieser Problematik.
der Arbeitsbedingungen angepasst werden. In diesem      Aus der Umfrage geht klar hervor, dass die treibende
Zusammenhang weist die Studie auf die Bedeutung von     Kraft oft ein Frauenausschuss oder eine andere
Informations- und Sensibilisierungskampagnen hin,       Gleichstellungsstruktur ist, wo die Probleme aufgezeigt
die branchenspezifisch sind, wie z.B. die Kampagne      und Maßnahmen gefordert werden.
„Wir stehen nicht auf der Speisekarte“. Ebenso haben
Verbände wie EFFAT die spezifischen Bedürfnisse
des Hausangestelltensektors und den Kampf gegen
sexuelle Belästigung und Gewalt aufgegriffen.
8

EFFAT EMPFEHLUNGEN ZUM SCHUTZ VON AR-
BEITNEHMERINNEN VOR SEXUELLER BELÄSTI-
GUNG UND GEWALT
Diese Aktionspunkte basieren auf den Beispielen erfolgreicher Initiativen
zur Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, die von EFFAT-
Mitgliedsorganisationen berichtet wurden, und sollten allen Mitgliedsorganisationen
als Anregung dienen, um in dieser Angelegenheit tätig zu werden.

    Sensibilisierung                                •   Informationen für Gewerkschaftsmitglieder
                                                        über Verpflichtungen, die in Gesetzen,
•   Organisation nationaler
                                                        Tarifverhandlungen, Politiken und Leitlinien
    Sensibilisierungskampagnen.
                                                        eingegangen wurden, und Förderung und
    −   Solche Kampagnen sollten sich                   Verbreitung dieser
        insbesondere mit geschlechterspezifischer       Informationen auf breiter Basis.
        Gewalt befassen und sicherstellen,
                                                    •   Sammlung und Verbreitung bewährte
        dass der strukturelle Charakter
                                                        Praktiken.
        geschlechterspezifischer Gewalt anerkannt
        wird und Diskriminierung bekämpft
        wird, da die Bekämpfung struktureller
        Ungleichheiten geschlechterspezifische
                                                        Daten und Statistiken
        Gewalt verringern wird.                     •   Durchführung von Umfragen, z.B. auf
                                                        nationaler, sektorieller und betrieblicher
•   Organisation allgemeiner Kampagnen zu
                                                        Ebene, und Sammlung von Daten und
    Diskriminierung aufgrund des Geschlechts
                                                        Beweisen zu sexueller Belästigung und Gewalt.
    und Chancengleichheit.
                                                    •   Durchführung von und / oder Forderung nach
•   Nutzung sozialer Medien und moderner
                                                        mehr Untersuchungen zur Feststellung von
    Kommunikationstechnologien, um die breite
                                                        Belästigung und Gewalt in verschiedenen
    Öffentlichkeit über sexuelle Belästigung und
                                                        Sektoren und von Faktoren, die das
    Gewalt am Arbeitsplatz zu informieren.
                                                        Risiko erhöhen, Belästigung und Gewalt
•   Organisation von nationalen und regionalen          ausgesetzt zu sein, z.B. ArbeitnehmerInnen
    Konferenzen, Seminaren usw., um                     mit einem atypischen Arbeitsvertrag
    ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen              oder Hausangestellte zu sein, prekäre
    über sexuelle Belästigung und Gewalt                Arbeitsbedingungen zu haben oder
    am Arbeitsplatz zu informieren. Solche              wirtschaftlich anfällig zu sein.
    Veranstaltungen sollten auch umfassende
    Informationen über bestehende
    Übereinkommen (z. B. UN, Europarat,
    IAO), nationale Rechtsvorschriften sowie
    Strategien und Programme gegen sexuelle
    Belästigung und Gewalt enthalten.
9

    Tarifverhandlungen                                  −   Arbeitgeber und Gewerkschaften müssen
•   Aushandlung von Tarifverträgen auf nationaler           verpflichtet werden, Schulungen zum
    und betrieblicher Ebene, die spezifische                Umgang mit sexueller Belästigung und
    Bestimmungen zu Prävention und zu                       Gewalt am Arbeitsplatz zu absolvieren.
    Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung            •   Sicherstellung einer regelmäßigen
    und Gewalt am Arbeitsplatz enthalten.               Überprüfung der Tarifverträge.
•   Entwicklung und Einarbeitung von Artikeln
                                                        −   Bewertung bestehender Tarifverträge,
    zu ‚Risikoanalyse‘ und ‚Wohlbefinden
                                                            Politiken und Richtlinien unter dem
    bei der Arbeit‘ in Tarifverträge, die es
                                                            Gesichtspunkt von Gesundheit und
    ArbeitnehmerInnen ermöglichen, informelle
                                                            Sicherheit (sexuelle Belästigung und Gewalt)
    und formelle Beschwerdeverfahren zu befolgen.
                                                            und Forderung / Vornahme von Änderungen,
•   Entwurf - auf der Grundlage von IAO Ü190                falls erforderlich.
    und E206 - von Mustertarifverträgen und
    Tarifvertragsklauseln gegen sexuelle            •   Auf europäischer Ebene, Diskussion von
    Belästigung und Gewalt, z.B.                        sexueller Belästigung und Gewalt in den
                                                        sektoriellen sozialen Dialogen und Festlegung
    −   alle Arbeitsplätze, einschließlich              einer ausdrücklichen Politik als Sozialpartner,
        kleiner und mittlerer Unternehmen,              die z.B. Prävention, Beschwerdeverfahren,
        sollten Strategien gegen Belästigung und        Schutz der Beschwerdeführer,
        Gewalt entwickeln, unter umfassender            Wiedergutmachung, Rechenschaftspflicht
        Einbeziehung der Gewerkschaften                 usw. beinhaltet.
        (Ausarbeitung und Umsetzung
                                                    •   Unterstützung der von der IUL mit
        von Verfahren zu Vorbeugung,
                                                        TNKs unterzeichneten internationalen
        Beschwerdeführung, und Angehen der
                                                        Rahmenvereinbarungen zur Bekämpfung
        Folgen von sexueller Belästigung und            sexueller Belästigung und Gewalt wie
        Gewalt am Arbeitsplatz);                        Unilever, Sodexo, Melia, Accor und Arla, und
                                                        Verpflichtung, diese auf nationaler Ebene
                                                        umzusetzen.
10

     Politiken, Leitlinien                                Unternehmenspolitiken
     und Richtlinien                                  •   Alle Unternehmen, einschließlich kleiner und
                                                          mittlerer Unternehmen, müssen eine Politik
•    Entwicklung und Herausgabe von Leitlinien
                                                          gegen sexuelle Belästigung und Gewalt haben,
     für GewerkschaftsvertreterInnen,
                                                          und sollten zu folgendem verpflichtet sein:
     BetriebsrätInnen, sowie Gesundheits-
     und SicherheitsvertreterInnen, die ein               −   Beurteilung des Arbeitsplatzes und des
     sicheres Umfeld für die Meldung sexueller                Arbeitsumfeldes auf Risikofaktoren in Bezug
     Belästigung und Gewalt bieten sollen und                 auf sexuelle Belästigung und Gewalt;
     auch die Verbesserung der Kommunikation
                                                          −   Entwicklung einer maßgeschneiderten Politik
     und der Kommunikationskanäle zum
                                                              gegen sexuelle Belästigung und Gewalt
     Gegenstand haben.
                                                              unter Einbeziehung von ArbeitnehmerInnen/
•    Entwicklung eines Leitfadens für jeden Sektor,           ArbeitnehmervertreterInnen, Gewerkschaften
     was zu tun ist und an wen sich Beschäftigte              und spezialisierten NRO;
     wenden können, wenn es zu sexueller
                                                          −   Einen klaren Verhaltenskodex,
     Belästigung und Gewalt kommt.
                                                              den jeder kennt und versteht;
•    Beobachtung, Bewertung und
                                                          −   Ausarbeitung einer Politik zusammen mit den
     Berichterstattung über die Wirksamkeit von
                                                              ArbeitnehmerInnen
     Politiken und Leitlinien.
                                                              und / oder deren VertreterInnen;
•    Einbeziehung sexueller Belästigung und Gewalt
                                                          −   Einholung externer Hilfe, um Probleme mit
     in die Sicherheit und den Gesundheitsschutz
                                                              sexueller Belästigung und Gewalt zu lösen.
     bei der Arbeit, einschließlich psychologischer
     Risiken und arbeitsbedingter Belastungen, und
     Einbeziehung von Arbeitnehmerinnen in die            Arbeitsplatzpolitiken
     Risikoanalyse.
                                                      •   Überprüfung bestehender Politiken auf ihre
                                                          Wirksamkeit, um sexuelle Belästigung und
     Gesetzgebung                                         Gewalt am Arbeitsplatz zu verhindern / zu
                                                          bekämpfen.
•    Streben nach einer besseren nationalen
     Gesetzgebung gegen sexuelle Belästigung          •   Bewertung des Arbeitsumfelds, um sexuelle
     und Gewalt.                                          Belästigung und Gewalt zu verhindern.
•    Fürsprache bei nationalen Regierungen für        •   Entwicklung klarer und zugänglicher
     eine Ratifizierung von IAO Ü190, und Streben         Mechanismen zur Information der
     nach einer Verbesserung der Gesetzgebung,            ArbeitnehmerInnen.
     falls die Regierungen nicht bereit sind, das
                                                      •   Stärkung der Rolle gewerkschaftlicher
     Übereinkommen zu ratifizieren.
                                                          Frauenausschüsse bei der Formulierung und
•    Lobbyarbeit für eine EU-Richtlinie gegen             Umsetzung von Maßnahmen gegen sexuelle
     sexuelle Belästigung und Gewalt, auch im             Belästigung und Gewalt.
     Hinblick auf eine stärkere Umsetzung der
                                                      •   Förderung eines Klimas des Respekts und der
     Istanbuler Konvention und der Ü190.
                                                          Zusammenarbeit am Arbeitsplatz.
11

    Schulung                                                Für EFFAT insbesondere
•   Schulung von ArbeitnehmerInnen und                  •   Lobby für EU-Rechtsvorschriften gegen
    Führungskräften, und insbesondere von                   sexuelle Belästigung und Gewalt gegen
    ArbeitnehmervertreterInnen, zu sexueller                Frauen und für die ordnungsgemäße
    Belästigung und Gewalt.                                 Umsetzung der Istanbuler Konvention.
•   Durchführung von Schulungen                         •   Lobby für die Ratifizierung
    zu Durchsetzungsvermögen für                            des IAO-Übereinkommens 190.
    schutzbedürftige ArbeitnehmerInnen.
                                                        •   Bereitstellung von Leitlinien und Beispielen
                                                            bewährter Praktiken, um Gewerkschaften
                                                            bei der Entwicklung und Umsetzung von
    Hausangestellte - ein                                   Arbeitsplatzpolitiken und -verfahren zu
    besonderer Sektor, der                                  unterstützen, einschließlich einer
                                                            Modell-Arbeitsplatzpolitik.
    spezifische Empfehlungen                            •   Da sexuelle Belästigung und Gewalt häufig
    benötigt                                                geschlechterspezifisch sind: Bereitstellung
•   Gewährleistung, dass bei allen Politiken                von Leitlinien für die Einbeziehung der
    und Maßnahmen zur Verhinderung                          Geschlechtergleichstellung und der
    sexueller Belästigung und Gewalt gegen                  Bekämpfung von Gewalt gegen
    Hausangestellte eine angemessene                        Frauen in Initiativen für Sicherheit und
    geschlechterspezifische Perspektive                     Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, und
    angewendet wird.                                        Sensibilisierung für die geschlechterspezifische
                                                            Natur von Gewalt gegen Frauen und die
•   Schaffung und weite Verbreitung von Kontakten           Folgen einer Kultur sexueller Belästigung und
    zu vertraulichen, voll besetzten und gebühren-          Einschüchterung bei der Arbeit.
    freien Hotlines, um Berichte über Missbräuche
    gegen Hausangestellte zu erhalten.                  •   Sammlung und weite Verbreitung von mehr
                                                            bewährten Praktiken bzgl. Tarifverträgen und
•   Entwicklung von Richtlinien und Schulung                / oder Politiken, die von Gewerkschaften und
    von Strafverfolgungsbeamten, wie auf                    Arbeitgebern vereinbart wurden.
    Beschwerden von Hausangestellten
    angemessen zu reagieren ist, und wie in             •   Aufforderung an Mitgliedsorganisationen, sich
    solchen Fällen Nachforschungen anzustellen              an nationalen und europäischen Schulungen
    und Beweise zu sammeln sind.                            zu beteiligen, und das Bewusstsein für die
                                                            geschlechterspezifische Natur von sexueller
•   Verfolgung von Tätern psychischer,                      Belästigung und Gewalt zu schärfen, und
    physischer und sexueller Gewalt.                        Sicherstellung, dass dies in Schulungen
•   Abschaffung oder Reform von                             zu Sicherheit und Gesundheitsschutz am
    Einwanderungspolitik, damit die Visa                    Arbeitsplatz einbezogen wird.
    für Hausangestellte nicht mehr an einen             •   Ausarbeitung europaweiter Leitlinien zur
    bestimmten Arbeitgeber gebunden sind.                   Bekämpfung von sexueller Belästigung und
•   Beschleunigung der Bearbeitung von                      Gewalt am Arbeitsplatz, mit Schwerpunkt
    Strafsachen, bei denen Hausangestellte mit              auf Belästigung und Gewalt gegen Frauen,
    Migrationshintergrund betroffen sind, da                die sich von anderen europäischen
    diese häufig mehrere Monate oder Jahre auf              Gewerkschaftsverbänden in anderen
    eine Lösung warten müssen, während sie                  Sektoren Inspiration holen.
    sich in einer Notunterkunft befinden, und           •   Entwicklung eines ehrgeizigen neuen Projekts
    Sicherstellung, dass sie in der Zwischenzeit über       und Beantragung von Finanzmitteln für ein
    eine gesetzliche Arbeitserlaubnis verfügen.             EFFAT Folgeprojekt zu sexueller Belästigung
•   Schaffung umfassender Beratungs- und                    und Gewalt gegen Frauen in 2020, um das
    Unterstützungsdienste, einschließlich                   Bewusstsein der Mitglieder zu schärfen,
    Gesundheitsfürsorge, Beratung, Unterkunft,              bewährte Verfahren weiter zu sammeln und zu
    konsularische Dienste und Rechtshilfe.                  verbreiten, und die Empfehlungen umzusetzen.
12

Liste der Abkürzungen

BPfA        Beijing Platform for Action
CEDAW       Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau
CESCR       UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
EBR         Europäischer Betriebsrat
EFFAT       Europäische Föderation von Gewerkschaften in den Sektoren Landwirtschaft,
            Lebensmittel und Tourismus
EGB         Europäischer Gewerkschaftsbund
EIGE        Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen
ETF         Europäische Transportarbeiter-Föderation
EU-OSHA     Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz
Eurofound   Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen
EWCS        Europäische Umfrage zu Arbeitsbedingungen
FRA         Agentur für Grundrechte
HORECA      Hotels, Restaurant und Gastronomiebetriebe
IAO         Internationale Arbeitsorganisation
ICESCR      Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
IUL         Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-,
            Café- und Genussmittelarbeiter-Gewerkschaften und verwandter Berufe
SSDA        Sektorieller Sozialdialogausschuss
13

1.
ZWECKBESTIMMUNG
DER STUDIE

Die Studie befasst sich mit Politiken und Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von sexueller
Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren Landwirtschaft, Lebensmittel & Getränke,
Hotels & Restaurants (Gastgewerbe), Gemeinschaftsverpflegung und Hausangestellte. Das Ziel
besteht darin, die Kenntnisse über das Ausmaß von sexueller Belästigung und Gewalt an den
Arbeitsplätzen in den EFFAT-Sektoren zu vertiefen und Informationen über Politiken und Aktivitäten
der nationalen Mitgliedsorganisationen zur Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt zu
sammeln. Auch Praktiken aus anderen Sektoren und Unternehmen werden einbezogen. Letztlich
dient die Studie auch dazu, das gegenseitige und interaktive Lernen zu fördern. Die aus der Studie
resultierenden Schlussfolgerungen, Empfehlungen und Hinweise auf bewährte Praktiken sollten den
Gewerkschaften als Ansporn und Wegweiser zu einem tieferen Verständnis der Problematik und der
möglichen Lösungsansätze dienen.

Auf der Grundlage der Ergebnisse und der Auswertung der Umfragedaten liefert die Studie
konkrete Empfehlungen, wie Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz besser bekämpft
werden können, um sie in die Diskussion in den Ausschüssen für den sektoralen sozialen Dialog
(ASSD), mit Arbeitgeberverbänden und den Europäischen Betriebsräten (EBR) transnationaler
Unternehmen einzubringen.
14

2.
METHODIK

Im Rahmen der Untersuchung wurden Fachpublikationen und Erkenntnisse zu sexueller Belästigung
und Gewalt am Arbeitsplatz ausgewertet, darunter Studien des Europäischen Gewerkschaftsbundes
(EGB), der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) und EFFAT-Ergebnisse aus dem Gastgewerbe
und der Gemeinschaftsverpflegung. Ein besonderes Augenmerk liegt auf spezifischen Problemen in den vier
von der Umfrage erfassten Sektoren. Es wird auf die Erhebung über geschlechtsspezifische Gewalt der EU-
Grundrechteagentur (EU-FRA)1 und Informationen des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen (EIGE)2
verwiesen. Bei der Überprüfung der Fachliteratur werden auch die internationalen3 und europäischen politischen
Rahmenbedingungen (z.B. die Richtlinie über die Rechte von Opfern4) zu sexueller Belästigung und Gewalt
berücksichtigt, insbesondere das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt
gegen Frauen und häuslicher Gewalt (d.h. die Istanbul-Konvention)5 und das Übereinkommen der Internationalen
Arbeitsorganisation (IAO) von 2019 zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt.6

Es wurde eine Umfrage unter Organisationen durchgeführt, um Daten von Frauenausschüssen der
Gewerkschaften und/oder anderen relevanten Gremien der Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Vertretung (z.B.
Gesundheit und Sicherheit, Betriebsräte in Unternehmen usw.) in den vier Sektoren zu sammeln.

In der Online-Umfrage wurden Informationen über das Vorhandensein von Richtlinien zur Bekämpfung von sexueller
Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz, Informationen über Maßnahmen im Rahmen verschiedener Arten von
Prozessen (z.B. öffentliche Kampagnen, Informationsmaterialien, Richtlinien usw.) und Strukturen (z.B. Mechanismen
zur Sammlung von Daten/Meldung von Vorfällen usw.) sowie Hinweise auf weitere Informationsquellen abgefragt. Im
vorliegenden Bericht werden die Ergebnisse zu den in der Umfrage untersuchten Bereichen, das Ausmaß von sexueller
Belästigung und Gewalt in den Sektoren, Aktivitäten zur Bewältigung der Situationen und Informationen über Vorfälle
von Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz in den Sektoren dargestellt.

Es gibt einen Überblick über die Gesetzgebung im Bereich sexuelle Belästigung und Gewalt (z. B.
Istanbul-Konvention; IAO; usw.), verfügbare Daten (z.B. von EU-FRA; Europäische Agentur für Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz EU-OSHA; EU-Mitgliedstaaten; EGB) und aktuelle graue Literatur zu sexueller
Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz. Der Bericht rückt sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz
in den Rahmen der Menschenrechte und in den von Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und
thematisiert die negativen gesundheitlichen Folgen, die mit sexueller Belästigung und Gewalt auf individueller
Ebene verbunden sind. Auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes werden beleuchtet (Eurofound
20167). Ein Kompendium guter Praktiken in anderen Branchen und relevanten Unternehmen ist ebenfalls Teil des
Berichts. Das Kompendium basiert auf einer soliden Auswertung von Fakten und Materialien aus europäischen
und globalen Berichten, institutionellen Veröffentlichungen und relevanten Initiativen bzw. Kampagnen. Die Daten
stammen u.a. aus dem EGB-Bericht „Safe at Home - Safe at Work“ von 2018 (hier abrufbar).
15

3.
RAHMEN DER STUDIE

Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz betreffen viele Beschäftigte, in allen Ländern und
Branchen. „Sie sind oft das Ergebnis einer Gemengelage von Umständen und Risikofaktoren, die eng
mit geschlechtsspezifischen Ungleichheiten verbunden sind und in geschlechtsspezifischen Formen
von Macht und Kontrolle verwurzelt sind.“ Sowohl Gewalt als auch Belästigung stellen eine ernsthafte
Bedrohung für die Sicherheit und das Wohlergehen von ArbeitnehmerInnen dar und werden nur
allzu oft nicht gemeldet. Gewalt, verbale Aggression oder Drohungen, die Beschäftigte durch
Vorgesetzte, ArbeitskollegInnen, KundenInnen oder Lieferanten erfahren, sind kritische Probleme
von Gesundheitsschutz- und Arbeitssicherheit. Sie können schwerwiegende psychologische
Folgen haben und zu Stress, langfristigen Krankheitsausfällen und sogar Selbstmord führen.
Mögliche wirtschaftliche Folgen sind höhere Personalfluktuation, vermehrte Krankheitsausfälle,
Frühverrentung, verringerte Produktivität und Verlust der Wettbewerbsfähigkeit.

Sexuelle Belästigung und Gewalt betreffen Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter,
Beziehung, Fähigkeiten, körperlichem Aussehen, Herkunft oder beruflichem Status. Nicht nur
Frauen, sondern auch Männer können zur Zielscheibe werden, insbesondere wenn sie nicht den
gesellschaftlichen Erwartungen bezüglich der Geschlechternormen entsprechen. Es sollte auch
beachtet werden, dass der Belästiger das gleiche Geschlecht haben kann wie das Opfer. Frauen sind
jedoch aufgrund ihrer Position auf dem Arbeitsmarkt stärker gefährdet und sehen Belästigung als
größere Bedrohung an als Männer.

Obwohl Gewalt und Belästigung an europäischen Arbeitsplätzen häufig vorkommen, wird die
Reaktion von Organisationen und Regierungen oft als unzureichend empfunden. Außerdem scheint es
auf EU-Ebene an aktuellen Statistiken zu mangeln, die Vergleiche zwischen Ländern, Branchen und
Arbeitsplätzen ermöglichen.

Alle ArbeitnehmerInnen haben das Recht auf Arbeit, ohne sexueller Belästigung und Gewalt
ausgesetzt zu sein, aber zu viele Beschäftigte profitieren nicht von dieser grundlegenden Freiheit,
dem Menschenrecht und der Menschenwürde. Die Hauptverantwortung für die Verhinderung
jeglicher Form von Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz liegt bei den Arbeitgebern, die
verpflichtet sind, eine sichere Arbeitsumgebung zu schaffen und die Gesundheit und Sicherheit ihrer
Beschäftigten zu gewährleisten. Dennoch kommt den ArbeitnehmerInnen und ihren VertreterInnen
eine wichtige Rolle zu, da sie in vielen Ländern in Gremien eingebunden sind, die sich mit Gesundheit
und Sicherheit am Arbeitsplatz befassen. Dies ist einer der Gründe, warum Gewerkschaften und
Beschäftigte im Rahmen des sozialen Dialogs in dieses Thema einbezogen werden müssen.
16

3.1
Gleichstellung der Geschlechter und EFFAT-
Bemühungen zur Bekämpfung und Prävention
von sexueller Belästigung und Gewalt am
Arbeitsplatz

EFFAT sieht die Gleichstellung der Geschlechter als ein wesentliches Element der Demokratie
am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft an. Seit den Gründungstagen bemüht sich EFFAT um die
Chancengleichheit von Frauen und Männern, durch die Aufnahme von Gleichstellungsprinzipien
in die EFFAT-Satzung, durch die Umsetzung des EFFAT-Arbeitsprogramms zur Gleichstellung
der Geschlechter, durch die weitere Einbeziehung der Dimension der Chancengleichheit und der
Geschlechterperspektive in die EFFAT-Politikfelder, durch die Stärkung der Beteiligung von Frauen
in den EFFAT-Entscheidungsgremien und durch die Organisation regelmäßiger Sitzungen des EFFAT-
Frauenausschusses. EFFAT hat einen Aktionsplan zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter
in den EBR verabschiedet, die Geschlechterperspektive in den Kampf gegen prekäre Arbeit
einbezogen und die IAO-Konvention über Hausangestellte (2011) unterstützt.

EFFAT und die Mitgliedsorganisationen haben sich verpflichtet, die Gleichstellung der Geschlechter
als Teil ihrer breiteren Agenda für soziale Gerechtigkeit, sozialen Fortschritt und Nachhaltigkeit
in Europa zu verfolgen. Im Sinne einer praktischen Maßnahme haben sie im Rahmen ihres
Gleichstellungsplans (2011-2014)9 einen Gender-Mainstreaming-Ansatz als Bestandteil all ihrer
Aktionen und Aktivitäten angenommen, der mit einem begleitenden Aktionsplan für die Umsetzung
des EFFAT-Gleichstellungsplans (2012) einhergeht. Es ist ein klares Bekenntnis, die Dimension
der Chancengleichheit und der Geschlechterperspektive in alle Bereiche der politischen Planung
und Tätigkeit einzubeziehen und anzuerkennen, dass dies die Entwicklung und Annahme von
Instrumenten, Mechanismen und Richtlinien erfordert. EFFAT geht mit gutem Beispiel voran und
besitzt eine Politik des gegenseitigen Respekts (2016) (hier abrufbar), die besagt, dass man „jegliches
Verhalten, das die Würde und das Selbstwertgefühl anderer untergräbt oder ein einschüchterndes,
feindseliges, missbräuchliches oder beleidigendes Umfeld schafft, weder duldet noch toleriert.
Dies gilt für alle TeilnehmerInnen von EFFAT-Sitzungen, Aktivitäten und gesellschaftlichen
Zusammenkünften, wo auch immer sie stattfinden.“10
17

Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz ist ein bekanntes Phänomen in allen EFFAT-Sektoren. Sexuelle
Belästigung im Gastgewerbe ist an der Tagesordnung, ausgelöst durch übermäßigen Alkoholkonsum,
unregelmäßige Arbeitszeiten und Trinkgelder. Da sie isoliert und oft unsichtbar sind, werden auch
Hausangestellte und LandarbeiterInnen oft Opfer von sexueller Belästigung und Diskriminierung11.
EFFAT war zu diesem Thema an mehreren Fronten aktiv, u.a. durch die jüngsten Kampagnen #wetoo
(Nov. 2018), die auf die Beendigung geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz drängten und
auf eine IAO-Konvention abzielten; dazu gehört auch die Globale Aktionswoche zur Forderung nach
#Fairhousekeeping! (Okt. 2018), bei der EFFAT einen Brief an Marriott-CEO Arne Sorensen richtete,
in dem die Besorgnis über den Zustand der Arbeitsbeziehungen bei Marriott in vielen Ländern
zum Ausdruck gebracht und vorgeschlagen wurde, dass nur durch mehr Dialog positive Lösungen
gefunden werden können, wobei das Unternehmen nachdrücklich aufgefordert wurde, diesen Weg
einzuschlagen.12

Darüber hinaus hat EFFAT sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den sozialen Dialogen
der Sektoren Gastgewerbe und Gemeinschaftsverpflegung angesprochen. Für das Gastgewerbe
haben einige Gewerkschaften über die Situation bezüglich sexueller Belästigung und Gewalt in
ihren Ländern berichtet; in der Gemeinschaftsverpflegung haben sich die Sozialpartner mit den
Erfahrungen des transnationalen Unternehmens Sodexo befasst, das eine gemeinsame Verpflichtung
mit der globalen Gewerkschaftsföderation IUL zur Verhinderung sexueller Belästigung eingegangen
ist. Das Thema ist nun Teil der Arbeitsprogramme dieser beiden SSDA, obwohl die Arbeit noch am
Anfang steht und mehr systematische Nachweise erforderlich sind, bevor konkrete gemeinsame
Schritte von den Sozialpartnern unternommen werden können. Im SSDA für Landwirtschaft und
Lebensmittel & Getränke und in der Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeberverband im Bereich der
Hausangestellten wurden die Fragen der sexuellen Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz noch
nicht explizit angesprochen, aber verschiedene Interventionen von EFFAT-Mitgliedsorganisationen
zeigen, dass auch diese Sektoren betroffen sind.

Die Aktion ‘Bekämpfung von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz in den Sektoren
Landwirtschaft, Lebensmittel, Tourismus und Hausangestellte’ (VS/2019/0035) ist daher zeitgemäß
und notwendig, um die Wissenslücke zu Politiken und Maßnahmen zu schließen.
18

4.
DEFINITION DES
PROBLEMS: GEWALT,
GESCHLECHTSSPEZIFISCHE
GEWALT, SEXUELLE
BELÄSTIGUNG UND
GEWALT DURCH DRITTE AM
ARBEITSPLATZ

Internationale Gremien wie die Vereinten Nationen (CEDAW), UN WOMEN, die Internationale
Arbeitsorganisation (IAO), der Europarat (Istanbul-Konvention) sowie die Europäische Union haben
sich sehr darum bemüht, die Bandbreite und die Auswirkungen von Gewalt, geschlechtsspezifischer
Gewalt und sexueller Belästigung in ihren rechtlichen und konzeptionellen Ansätzen zu erfassen, was
sich wiederum auf die Vielfalt der politischen Ansätze ausgewirkt hat. Diese Verweise sind jedoch recht
unterschiedlich und können sehr allgemein sein, insbesondere wenn es um das Thema Gewalt und
sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz geht.13

Die Europäische Kommission definiert arbeitsplatzbezogene Gewalt so, dass sie sowohl physische
als auch psychische Gewalt umfasst: Vorfälle, bei denen Beschäftigte unter Umständen beschimpft,
bedroht oder angegriffen werden, die mit ihrer Arbeit zusammenhängen, einschließlich des Weges
zur und von der Arbeit, und die eine explizite oder implizite Herausforderung für ihre Sicherheit, ihr
Wohlbefinden und ihre Gesundheit darstellen.14 Die Definition konzentriert sich auf drei wichtige
Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt:

 −   verschiedene Formen von Gewalt, Beschimpfungen, Bedrohungen und körperlichen Angriffen;
 −   Gewalttaten müssen nicht ausschließlich am Arbeitsplatz stattfinden, sondern unter Umständen,
     die mit der Arbeit zusammenhängen, einschließlich des Weges zum Arbeitsplatz oder sogar zu
     Hause, wenn der Angriff auf eine Person dort wegen ihrer Arbeit erfolgt;
 −   Gewalt bedeutet eine Herausforderung für die Sicherheit, das Wohlbefinden und die Gesundheit der
     Beschäftigten.
19

Nach Angaben von EU-OSHA umfasst der Begriff Gewalt:
  Missbrauch:                        Drohungen:                         Tätlicher Angriff:

  Verhaltensweisen, die              Die Androhung des Todes            Jeder Versuch, eine Person
  von einem angemessenen             oder die Ankündigung der           körperlich zu verletzen oder
  Verhalten abweichen                Absicht, einer Person zu           anzugreifen, einschließlich
  und den Missbrauch                 schaden oder ihr Eigentum zu       tatsächlicher körperlicher
  von physischer oder                beschädigen.                       Schäden.15
  psychologischer Kraft
  beinhalten. Missbrauch
  umfasst alle Formen von
  Belästigung, einschließlich
  sexueller und rassistischer
  Belästigung, Schikane und
  Mobbing.

Die Rahmenvereinbarung der Europäischen Sozialpartner über Belästigung und Gewalt
am Arbeitsplatz (2007 )16 bezieht sich sowohl auf Belästigung als auch auf Gewalt am
Arbeitsplatz. Laut der Vereinbarung liegt Gewalt vor, wenn eine oder mehrere Führungskräfte bzw.
ArbeitnehmerInnen unter Umständen angegriffen werden, die mit der Arbeit zusammenhängen.
Belästigung liegt vor, wenn eine oder mehrere Führungskräfte bzw. ArbeitnehmerInnen wiederholt
und absichtlich unter Umständen, die mit der Arbeit zusammenhängen, beschimpft, bedroht und/
oder gedemütigt werden. In der Einleitung der Vereinbarung heißt es, dass verschiedene Formen von
Belästigung und Gewalt an Arbeitsplätzen auftreten können. Diese können:

 −   physischer, psychischer und/oder sexueller Natur sein;
 −   einmalige Vorfälle oder eher systematische Verhaltensmuster sein;
 −   unter KollegInnen, zwischen Vorgesetzten und Untergebenen oder von Dritten wie KlientInnen,
     KundInnen, PatientInnen, SchülerInnen ausgeübt werden; und
 −   reichen von geringfügigen Fällen von Respektlosigkeit bis hin zu schwerwiegenderen Handlungen,
     einschließlich Straftaten, die das Eingreifen der Behörden erfordern.

Die Rahmenvereinbarung besagt auch, dass Belästigung und Gewalt von einer oder von mehreren
Führungskraft bzw. ArbeitnehmerIn ausgeübt werden können, wobei Ziel oder Wirkung darin bestehen,
die Würde einer Führungskraft bzw. ArbeitnehmerIn zu verletzen, ihre Gesundheit zu beeinträchtigen
und/oder ein feindseliges Arbeitsumfeld zu schaffen.

Ein aktueller Bericht des Europäischen Parlaments über Schikane und sexuelle Belästigung
kommt zu dem Schluss, dass „…die aktionsorientierte Rahmenvereinbarung über Belästigung und Gewalt
zwischen den europäischen Sozialpartnern mit ihrer Forderung nach organisatorischen Maßnahmen und
Verfahren, unparteiischer Untersuchung von Beschwerden und sozialer Unterstützung für die Betroffenen
besonders vielversprechend ist und ihre Verbreitung und Übernahme unterstützt werden sollte. Zum
Schutz von ArbeitnehmerInnen in nicht gewerkschaftlich organisierten Betrieben und zur Schaffung
gleicher Ausgangsbedingungen könnte die EU erwägen, sie in eine Richtlinie umzuwandeln.“17
20

4.1
Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz

Für die Zwecke dieser Studie beziehen sich Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz auf eine Reihe
inakzeptabler Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung, die darauf abzielen, zu
körperlichem, psychologischem, sexuellem oder wirtschaftlichem Schaden zu führen oder dies
wahrscheinlich tun, und geschlechtsbezogene Gewalt und Belästigung einschließen. Sie können am
oder außerhalb des Arbeitsplatzes auftreten und reichen von Drohungen und Beschimpfungen bis
hin zu körperlichen Angriffen und Tötungsdelikten, eine der häufigsten Ursachen für arbeitsbedingte
Todesfälle. Unabhängig davon, wie sie sich äußert, ist Gewalt am Arbeitsplatz ein wachsendes Problem
für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen.18 Belästigung findet zunehmend online statt. 19

Laut der vierten Europäischen Erhebung über die Arbeitsbedingungen (EWCS) aus dem Jahr 2005
berichteten 6 % der Beschäftigten aus der EU-27, dass sie entweder von ArbeitskollegInnen (2 %)
oder von anderen Personen (4 %) mit körperlicher Gewalt bedroht worden waren.20 Bezogen auf die
Berufsgruppe werden fast alle unerwünschten sozialen Verhaltensweisen (USV) am häufigsten von
Dienstleistungs- und Vertriebspersonal gemeldet (Tabelle 1). USV wird von Eurofound so definiert,
dass es Beschimpfungen, unerwünschte sexuelle Aufmerksamkeit, Drohungen, demütigendes
Verhalten, körperliche Gewalt, sexuelle Belästigung und Schikane/Belästigung umfasst. Arbeitskräfte
aus dieser Berufsgruppe berichten - deutlich häufiger als der Durchschnitt - von unerwünschter
sexueller Zuwendung (4 %) und sexueller Belästigung (2 %). Dies liegt zum einen daran, dass die
Dienstleistungs- und Verkaufsberufe von Frauen dominiert werden, die diese Verhaltensweisen im
Allgemeinen häufiger erleben, und zum anderen daran, dass sie relativ häufig Dritten (z.B. Kunden)
ausgesetzt sind. Immerhin 5 % der Beschäftigten aus dieser Gruppe geben an, in den letzten 12
Monaten körperliche Gewalt am Arbeitsplatz erlebt zu haben, und etwa 6 % wurden gemobbt/
belästigt.21 Laut der sechsten EWCS (2017) haben Gewalt und Belästigung in Europa im Allgemeinen
langfristig deutlich zugenommen.22

Länderübergreifende Umfragen - wie die Europäische Erhebung über Arbeitsbedingungen
von Eurofound (2015) und die ESENER-Umfrage von EU-OSHA (2010) - haben versucht, die
Vergleichbarkeit der Daten durch groß angelegte externe Untersuchungen sicherzustellen. Die Umfrage
der EU-Grundrechteagentur über Gewalt gegen Frauen hat ebenfalls zusätzliche Informationen über
EU-weite Gewalt am Arbeitsplatz geliefert. Sie alle haben dazu beigetragen, das Problem sichtbarer zu
machen, aber es fehlen immer noch wichtige Daten. Die jüngste länderübergreifende Studie (Oktober
2019)23 wurde von IFOP, dem französischen Institut für öffentliche Meinung, im Auftrag der Fondation
Jean Jaurès und der Stiftung für Europäische Progressive Studien durchgeführt.1 Die Umfrage ergab,
dass 6 von 10 Frauen während ihrer Karriere sexuelle Belästigung und Gewalt erlitten haben.

1 Für die Umfrage wurde vom 11. bis 15. April 2019 ein selbstverwalteter Online-Fragebogen unter 5026 Frauen im Alter von 18 Jahren und älter mit Wohnsitz in
Italien, Spanien, Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten
21

25%

20%

15%

10%

5%

0%

Abbildung 1. Anteil der Personen, die von unerwünschtem sozialen Verhalten (USV) betroffen sind, nach Sektor (%)
22

4.1.1
Geschlechtsspezifische Gewalt
(Gewalt gegen Frauen)
Die Erklärung der Vereinten Nationen zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (CEDAW - 1992)
definiert Gewalt gegen Frauen als „jede Form von geschlechtsbezogener Gewalt, die Frauen
körperlichen, sexuellen oder psychischen Schaden oder Leid zufügt oder zufügen kann, einschließlich
der Androhung solcher Handlungen, Nötigung oder willkürlicher Freiheitsberaubung, unabhängig
davon, ob sie im öffentlichen oder privaten Bereich erfolgt.“ In der Allgemeinen Empfehlung Nr. 19
von CEDAW werden spezifische Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt am Arbeitsplatz genannt,
darunter sexuelle Nötigung, geschlechtsspezifische Diskriminierung am Arbeitsplatz, Stigmatisierung
und soziale Ausgrenzung, sexuelle Belästigung sowie sexuelle Ausbeutung und sexueller Missbrauch.
Man kam zu dem Schluss, dass geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu einem größeren Risiko
führen, ausgebeutet zu werden, sexuell ausgebeutet zu werden, Opfer von Menschenhandel zu werden
oder in Zwangsarbeit zu geraten. Die Empfehlung Nr. 19 war historisch, da sie Gewalt gegen Frauen
klar als eine Form und Ausprägung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung darstellte, die zur
Unterordnung und Unterdrückung von Frauen eingesetzt wird. Damit trug sie dazu bei, dass Gewalt
gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung anerkannt wurde. Sie half dabei, Gewalt aus dem privaten
Bereich in den Bereich der Menschenrechte zu übertragen. Am 14. Juli 2017 verabschiedete der
CEDAW-Ausschuss die Allgemeine Empfehlung Nr. 35 zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen
und aktualisierte damit die Allgemeine Empfehlung Nr. 19.

Die Allgemeine Empfehlung Nr. 35 von CEDAW:

 −   erkennt an, dass das Verbot von geschlechtsspezifischer Gewalt zu einer Norm des internationalen
     Gewohnheitsrechts geworden ist;
 −   erweitert das Verständnis von Gewalt um die Verletzung der Rechte auf sexuelle und reproduktive
     Gesundheit;
 −   betont die Notwendigkeit, soziale Normen und Stereotypen zu ändern, die Gewalt unterstützen,
     insbesondere im Zusammenhang mit dem Wiederaufleben eines Diskurses, mit dem das Konzept der
     Gleichheit der Geschlechter im Namen von Kultur, Tradition oder Religion bedroht wird;
 −   legt eindeutig verschiedene Ebenen der Haftung des Staates für Handlungen und Unterlassungen
     seiner Bediensteten bzw. der in seinem Auftrag Handelnden fest - im Hoheitsgebiet des Staates oder
     im Ausland - das gilt auch für das Versäumnis, mit der gebotenen Sorgfalt zu handeln, um Gewalt
     durch Privatpersonen und Unternehmen zu verhindern, Frauen und Mädchen davor zu schützen und
     den Zugang zu Rechtsmitteln für Überlebende zu gewährleisten;
 −   fordert unmissverständlich die Aufhebung aller Gesetze und politischen Maßnahmen, die Gewalt
     direkt und indirekt entschuldigen, dulden und erleichtern; und
 −   betont die Notwendigkeit von Ansätzen, mit denen Autonomie und Entscheidungsfreiheit von Frauen
     in allen Lebensbereichen gefördert und respektiert werden.

Darüber hinaus heißt es in der Empfehlung Nr. 35, dass die Staaten die unternehmerische
Verantwortung und Mechanismen sowie das Engagement des privaten Sektors, einschließlich
Unternehmen und transnationaler Konzerne, fördern sollten. Zudem wird darin betont, dass
Protokolle und Verfahren zum Umgang mit Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz verabschiedet
werden sollten, um effektive und zugängliche interne Beschwerdeverfahren für die Opfer und
Überlebenden zu gewährleisten.
23

4.1.2
Sexuelle Belästigung

Sexuelle Belästigung wird als unerwünschte sexuelle Annäherung, Aufforderung zu sexuellen
Gefälligkeiten und anderes verbales oder körperliches Verhalten sexueller Art definiert, wenn

 −   die Einwilligung in solch ein Verhalten entweder explizit oder implizit zu einer Bedingung für die
     Beschäftigung einer Person gemacht wird;
 −   die Zustimmung zu einem solchen Verhalten oder dessen Ablehnung durch eine Person als
     Grundlage für Beschäftigungsentscheidungen verwendet wird, die diese Person betreffen;
 −   ein solches Verhalten den Zweck oder die Wirkung hat, die Arbeitsleistung einer Person
     unangemessen zu beeinträchtigen oder ein einschüchterndes, feindseliges oder beleidigendes
     Arbeitsumfeld zu schaffen.

Unerwünschtes Verhalten impliziert „unfreiwillig“. Ein Opfer kann in ein bestimmtes Verhalten
einwilligen oder diesem zustimmen und aktiv daran teilnehmen, obwohl es anstößig und verwerflich
ist. Daher ist sexuelles Verhalten immer dann unerwünscht, wenn die Person, die ihm ausgesetzt
ist, es als unerwünscht empfindet. Ob die Person tatsächlich eine Aufforderung zu einem Date, eine
sexuell orientierte Bemerkung oder einen Scherz gutheißt, hängt von all den Umständen ab.

Eine Umfrage der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF) von 2018 (hier abrufbar) zeigte eine
allgegenwärtige Kultur der sexuellen Belästigung und sexuellen Einschüchterung am Arbeitsplatz durch
KollegInnen, Vorgesetzte und Manager. Arbeitnehmerinnen berichteten von feindseligen und beleidigenden
verbalen, nonverbalen und körperlichen Formen der Gewalt, einschließlich sexueller Belästigung. Einige
Beschäftigte sprachen davon, dass sexistische Witze an der Tagesordnung sind und dass am Arbeitsplatz
weiterhin unangemessene Kalender und Poster aufgehängt werden. Sexuelle Belästigung ist somit ein
Aspekt der Gewalt am Arbeitsplatz, von dem insbesondere Arbeitnehmerinnen betroffen sind.

Das Europäische Parlament weist in seinem Bericht von 2018 über sexuelle Belästigung (hier abrufbar)
darauf hin, dass „sexuelle Belästigung eine Form der Gewalt ist und die extremste, aber hartnäckigste
Form der geschlechtsbezogenen Diskriminierung darstellt.“ Unter Bezugnahme auf eine Studie der
Europäischen Agentur für Grundrechte (FRA), stellt man in dem Bericht fest, dass etwa 90 % der
Opfer sexueller Belästigung weiblich und etwa 10 % männlich sind; dass eine von drei Frauen im Laufe
ihres Erwachsenenlebens körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren hat; dass bis zu 55 % der Frauen
in der EU sexuell belästigt wurden; und 32 % aller Opfer in der EU berichteten, dass der Täter ein
Vorgesetzter, Kollege oder Kunde war; insgesamt sind 5-10 % der europäischen Arbeitskräfte zu einem
beliebigen Zeitpunkt Schikanen an ihrem Arbeitsplatz ausgesetzt.
24

4.1.3
Gewalt durch Dritte

Gewalt durch Dritte ist eine Form von Gewalt und Belästigung. EU-OSHA definiert Gewalt durch Dritte
als „körperliche Gewalt, verbale Aggression oder die Androhung körperlicher Gewalt, wenn der Täter
kein Arbeitskollege ist, sondern z.B. Personen, KundInnen, KlientInnen oder PatientInnen, die Waren
oder Dienstleistungen erhalten.“29

Gewalt gegenüber einer Lehrkraft, z.B. durch SchülerInnen oder Eltern, würde also als Gewalt durch
Dritte betrachtet. Bei Gewalt durch Dritte kann es sich um einmalige Vorfälle oder um systematischere
Verhaltensmuster einer Einzelperson oder einer Gruppe handeln, die ihren Ursprung in den Handlungen
oder dem Verhalten von Klienten, Kunden, Patienten, Dienstleistungsnutzern, Schülern oder Eltern,
Mitgliedern der Öffentlichkeit oder des Dienstleistungsanbieters haben. Auslöser können emotionale
Gründe, persönliche Abneigung, Vorurteile aufgrund von Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion
und Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Körperbild sein. Gewalt durch
Dritte kann Straftaten darstellen, die sich gegen Beschäftigte und deren Ruf oder das Eigentum des
Arbeitgebers bzw. Kunden richten, mitunter organisiert oder opportunistisch, und die das Eingreifen
der Behörden erfordern. Sie kann die Persönlichkeit, Würde und Integrität der Opfer tiefgreifend
beeinträchtigen und am Arbeitsplatz, im öffentlichen Raum oder im privaten Umfeld auftreten und ist
arbeitsbezogen.30

Schätzungen zufolge sind zwischen 2 % und 23 % aller Beschäftigten von Gewalt durch Dritte
betroffen. Diese Zahl erhöht sich auf 42 % für jene Arbeitskräfte, viele von ihnen Frauen, die in direktem
Kontakt mit der Öffentlichkeit arbeiten.31 Eine Besonderheit von Gewalt durch Dritte ist, dass das Risiko
in einigen Berufsbereichen wie Gesundheits- und Sozialwesen, Bildung, Handel, Verkehr, öffentliche
Verwaltung sowie Hotel- und Gaststättengewerbe wesentlich höher ist. Frauen sind am häufigsten
im Gesundheitswesen, im Bildungswesen und im Handel mit Gewalt konfrontiert, während Männer
am häufigsten bei der Polizei und im Sicherheitsdienst sowie im Verkehrswesen damit konfrontiert
sind. In diesen Sektoren sind viele der Merkmale der Arbeit und des Arbeitsumfelds vorhanden, die
nachweislich Risiken für Gewalt durch Dritte darstellen.32

Das Gewaltrisiko steigt, wenn eine Frau allein arbeitet und wenn sie Kunden gegenübersteht, z.B. bei
der Fahrkartenkontrolle, beim alleinigen Fahren von Bussen und Straßenbahnen oder bei der Arbeit
an Fahrkartenschaltern. Die ETF-Umfrage hat gezeigt, dass sexuelle Annäherungsversuche, sexuelle
Anspielungen, anzügliche Bemerkungen über den Körper und die Brüste einer Frau sowie sexuelle
Kommentare an der Tagesordnung sind.

Die individuellen Folgen von Gewalt durch Dritte sind sowohl körperlich (Prellungen oder Wunden, sogar
Tod) als auch psychisch (Angst und Furcht, Schlafprobleme und posttraumatische Belastungsstörung).
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