Belebt eine Shopping-Mall das innerstädtische Geschäftszentrum?
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Belebt eine Shopping-Mall das innerstädtische Geschäftszentrum? Das Beispiel der „Galerie Neustädter Tor“ in Gießen Von Ivo Mossig und Ansgar Dorenkamp Die Ansiedlung einer Shopping-Mall in zentraler Lage als Instrument zur Wiederbelebung von innerstädtischen Geschäftszentren wird in den fachwissenschaftlichen Debatten und unter den Vertretern des Einzelhandels sehr kontrovers diskutiert. Die einen sehen in einer Shopping-Mall einen „Angriff auf die City“ (Brune et al. 2006), die eine enorme Schwächung des angestammten Einzelhandels in den Bereichen der Fußgängerzone nach sich zieht. Demgegenüber betonen die Befürworter einer Ansiedlung, dass Shopping-Malls als erfolgreiche und von den Kunden gewünschte Vertriebsform die Kaufkraftbindung in der Innenstadt erhöhen und dadurch ein wei- teres Abwandern der Kaufkraft in die Subzentren verhindert werden kann. Am Beispiel der im Oktober 2005 er- öffneten Shopping-Mall ‚Galerie Neustädter Tor’ lässt sich in Gießen die Frage nach den Auswirkungen der An- siedlung auf den Bereich der Fußgängerzone analysieren. Exemplarisch kann in Gießen untersucht werden, wie die Einzelhändler im Bereich der Fußgängerzone auf die verschärfte Wettbewerbssituation reagieren und das in- novative Konzept der Business Improvement Districts (BIDs) umsetzen. 80 Spiegel der Forschung
Mossig Shopping-MAll Einzelhandelsumsatz in Mrd. € Ausgangssituation und nenstadt kein entsprechendes Rauman- (in Preisen von 1995) Problemstellung gebot vorgefunden. 400 (a) • Strukturelle Probleme der Innenstadt- D ie zentralen Bereiche deutscher entwicklung, die sich in einer zuneh- 350 Innenstädte sind durch einen menden Uniformität der innerstäd- gewachsenen und umfang tischen Geschäftsbereiche durch die an- 300 reichen Einzelhandelsbestand in den haltenden Konzentrationsprozesse im Fußgängerzonen gekennzeichnet. Seit Einzelhandel bemerkbar machen. Die 250 den 1960er Jahren geriet der innerstäd- Innenstädte verlieren auf diese Weise 200 tische Einzelhandel jedoch zunehmend ihren individuellen Charakter. Anderer- 1985 1990 1995 2000 2005 unter Konkurrenzdruck. Davon ist seits zeigen Befragungen unter den auch die Stadt Gießen betroffen gewe- Kunden, dass gerade die bekannten ehK absolut (Mrd. €) ehK/Einwohner (€) sen. Die Ursachen dieser Entwicklung Markennamen der Filialisten zu den 460 (b) 5.500 Einzelhandelsrelevante stellen sich zusammengefasst wie folgt zentralen Magneten des innerstädti Kaufkraft / Einwohner dar (vgl. Giese 1999, Mossig/Doren- schen Einzelhandels geworden sind 450 5.400 kamp 2007): (vgl. Mossig/Dorenkamp 2007). Ein • Sukzessiver Rückgang der realen Ein- weiteres strukturelles Problem stellt die 440 5.300 zelhandelsumsätze im engeren Sinne innerstädtische Verkehrssituation dar. seit 1995 aufgrund des Rückgangs der Die großflächigen Einzel 430 5.200 einzelhandelsrelevanten Kaufkraft (vgl. handelsangebote auf der „Grünen Wie- Einzelhandelsrelevante Kaufkraft absolut Abb. 1a und 1b). Diese liegt ihrerseits se“ besitzen diesbezüglich aufgrund der 420 5.100 in der steigenden Arbeitslosigkeit und Erreichbarkeit mit dem eigenen PKW 1998 2000 2002 2004 2005 dem Rückgang der Nettolöhne und sowie der verfügbaren kostenfreien Verkaufsfläche in Mio. m2 -gehälter begründet. Hinzu kommen Parkplätze einen erheblichen Vorteil ge- 140 die gestiegenen Verbraucherpreise in genüber den Innenstädten. Hinzu (c) den Bereichen, die nicht vom Einzel- kommt eine aus heutiger Sicht zuneh- 120 handel bedient werden (z.B. Woh- mend als unattraktiv empfundene nungsmiete, Gesundheit, Altersvorsor- Nachkriegsbebauung. 100 ge, Wasser, Strom, Gas und andere • Auftreten neuer Vertriebsformen wie Brennstoffe). z.B. Online-Shopping, durch die bevor- • Ausweitung der Verkaufsflächen (vgl. zugt innenstadtrelevante Warensorti- 80 Abb. 1c) vor allem im suburbanen mente vertrieben werden. * prognostizierte Werte Raum auf der sogenannten „Grünen Die Folge dieser Entwicklungen ist die 60 1980 1985 1990 1995 2000 2005* 2010* Wiese“. Die Gießener Innenstadt ist anhaltende Abwanderung interessierter hiervon in besonderem Maße betroffen. großflächiger Einzelhändler auf die so- Quelle: Eigene Darstellung nach Mossig/Dorenkamp 2007 Durch die immense Flächenexpansion genannte „Grüne Wiese“. In den Innen- in den randstädtischen Subzentren seit städten steigt dadurch die Zahl der Leer- Abb. 1: Entwicklung der realen Umsätze des den 1970er Jahren liegen mittlerweile stände und Mindernutzungen durch Einzelhandels i.e.S. (in Preisen von 1995) 65% (224.540 m2) der Verkaufsflächen, Ein-Euro-Läden, Spielhallen, Erotiklä- 1985–2005 (a), der einzelhandelsrelevanten die dem unmittelbaren Einzugsbereich den und Wettbüros an, die zu einem Kaufkraft (ehK) 1998–2005 (b) sowie der Ver- der Stadt Gießen zuzurechnen sind, in weiteren Attraktivitätsverlust der Innen- kaufsflächen 1980–2010 (c) in Deutschland. den umliegenden Subzentren, während stadt führen. Um einer solchen Abwärts- auf das innerstädtische Geschäftszen- spirale durch Trading-Down-Effekte trum mit 121.550 m2 nur noch 35% der entgegenzuwirken, bedarf es innovativer ping-Malls verfolgen. Im Jahr 2006 exi- gesamten Verkaufsflächen entfallen Ideen und Konzepte, um einer Verödung stierten in Deutschland bereits 372 (vgl. Abb. 2 sowie Tab. 1). Aus Sicht der der Innenstädte entgegenzuwirken. Shopping-Malls, bis 2010 wird die Zahl Innenstädte kommt erschwerend hinzu, der Einkaufszentren auf ca. 435 steigen dass für die vorgenommenen Flächen- Aufwertung durch Shopping-Malls in (vgl. Abb. 3). Shopping-Malls stellen of- ausweitungen nur unzureichende bau- Innenstadt-intergrierter Lage? fensichtlich eine erfolgreiche Vertriebs- liche Erweiterungsmöglichkeiten beste- form des Einzelhandels dar, die von den hen. Neue Vertriebsformen, die große Bereits seit Mitte der 1960er Jahre gibt Kunden sehr gut angenommen wird. Flächen zur großzügigen Präsentation es private Investoren, die das Konzept Ihren Erfolg verdanken die Shopping- der Waren benötigen, haben in der In- zentral geplanter und gemanagter Shop- Malls vor allem ihrem attraktiven Wa- 25. Jg./Nr. 1 • Juli 2008 81
renangebot, welches durch Erlebnisein richtungen noch zusätzlich verstärkt wird. Auch die einheitlichen Öffnungs- zeiten, die aufwändig gestalteten Innen- höfe und Passagen, ergänzt durch Cafés und Restaurants, sowie das einheitliche Erscheinungsbild aufgrund der Vorga- ben bezüglich der Schaufenstergestal- tung durch das Center-Management er- zeugen für den Kunden eine angenehme Einkaufsatmosphäre. Da es sich im Ge- gensatz zur Fußgängerzone um einen nicht-öffentlichen Raum handelt, kön- nen durch private Sicherheits- und Ordnungsdienste Belange bezüglich der Sauberkeit und des Sicherheitsempfin- dens innerhalb der Mall zielgerichtet durchgesetzt werden. In Deutschland bietet der Markt für Shopping-Malls noch erhebliches Ent- wicklungspotential. Die Einkaufszent- renfläche pro 1.000 Einwohner ist mit 136,6 m² im europäischen Vergleich (EU 25: 159 m²/1000 Einwohner) un- terdurchschnittlich, und entsprechend ist allein für die Jahre 2006 und 2007 die Eröffnung von 34 neuen Shopping- Malls in Deutschland geplant gewesen. Die Betreiber und Investoren der Shop- ping-Malls haben dabei in den ver- gangenen Jahren zunehmend auch Mit- telstädte wie Gießen und Wetzlar als at- traktive Standorte für ihre Projekte ent- Abb. 2: Konkurrenz des innerstädtischen Geschäftszentrums durch randstädtische Sub deckt (vgl. Mossig/Dorenkamp 2007). zentren auf der „Grünen Wiese“ in Gießen 2005. Quelle: Rack/Giese 2008 Bezüglich der Aufwertung innerstäd- tischer Bereiche wird in der Regel auf die Magnetfunktion einer Shopping- Mall verwiesen, die für die jeweiligen Städte eine stärkere Kundenbindung so- wie eine zusätzliche Kaufkraftbindung mit sich bringen soll. Trotz dieser posi- Bau der „Galerie Neustädter Tor“ 82 Spiegel der Forschung
Mossig Shopping-MAll Anzahl 500 Verkaufsfläche in m² Einzelhandelsstandort 1980 1990 2000 2005 400 98.400 112.400 106.900 121.550 Geschäftszentrum Gießen (67,4%) (53,4%) (42,5%) (35,0%) 300 47.520 98.270 144.440 224.540 Randstädtische Subzentren 200 (32,6%) (46,6%) (57,5%) (65,0%) · Gewerbegebiet Gießen-West 4.000 42.200 42.100 57.100 100 · Gießen Schiffenberger Tal 3.600 26.800 71.000 · Gewerbegebiet Lollar-Süd 14.780 18.900 20.000 20.500 0 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 · Gewerbegebiet Dutenhofen 18.240 20.160 24.900 40.400 · Gewerbegebiete Linden + Linden-Forst 9.100 11.950 21.440 21.540 · Gewerbegebiet Alten-Buseck 1.400 1.400 9.200 14.000 Abb. 3: Anzahl der Shopping-Malls in Tab. 1: Entwicklung der Verkaufsflächen im Gießener Geschäftszentrum und in den umlie- Deutschland 1965–2010. genden randstädtischen Einzelhandelsstandorten 1980–2005 Quelle: Rack/Giese 2008 tiven Annahmen sehen sich die Inve- auch aus den tiefgreifenden struktu- Dies kann zum einen durch einen sinn- storen nach öffentlicher Bekanntgabe rellen Krisen des innerstädtischen Ein- voll gewählten Standort für die Shop- ihres Investitionswunschs häufig sehr zelhandels ergeben, ist nach wie vor un- ping-Mall erreicht werden, der übli- heftigen Kritiken und Befürchtungen geklärt. Gleichzeitig ist festzustellen, cherweise nicht mehr als 300 Meter seitens der Bevölkerung und der ange dass es an einigen Standorten durch die vom Fußgängerzonenbereich entfernt stammten innerstädtischen Einzelhänd- Eröffnung der Shopping-Malls zu Um- liegen sollte und zudem nicht durch ler ausgesetzt. Auch einige Fachvertreter satzzugewinnen gekommen und die Barrieren (z.B. breite, vielbefahrene sehen in der Eröffnung einer Shopping- Einzelhandelszentralität dort entspre- Straßen) abgetrennt ist. Zum anderen Mall in innerstädtischen Lagen einen chend gestiegen ist (vgl. Giese 2003). Es sollten offen gestaltete Verbindungs- „Angriff auf die City“ (Brune et al. bedarf daher einer differenzierten Wir- wege zwischen der Shopping-Mall und 2006). Führt die Ansiedlung einer kungsanalyse für jeden Standort. Eine der Fußgängerzone die Passantenströme Shopping-Mall nicht zur Steigerung des pauschale Bewertung der Auswirkungen so lenken, dass die Kunden beim Besuch Einzelhandelsumsatzes in der Stadt, so einer Shopping-Mall auf die jeweilige der Shopping-Mall auch die Fußgänger- muss dies zwangsläufig Umverteilungs- Innenstadt ist folglich abzulehnen. zone aufsuchen und umgekehrt, damit effekte mit sich bringen, die vor allem Im Zuge der Errichtung einer Shop- ein Zusammenwachsen der beiden Ein- die Einzelhandelsbetriebe in den Fuß- ping-Mall in innerstädtischer Lage sollte zelhandelsbereiche erreicht werden gängerzonenbereichen betreffen. In vie- die Kommunalpolitik das Ziel verfolgen, kann. Letztlich liegen die Chancen einer len Mittelstädten wurde entsprechend dass der bereits traditionell in der Fuß- Shopping-Mall für die Innenstadtent- nach der Eröffnung der Shopping-Mall gängerzone angesiedelte Einzelhandel wicklung darin, dass auch die Fußgän- eine Zunahme der Leerstände regis- und die neu gegründete Shopping-Mall gerzonenbereiche von den neu hinzuge- triert. Ob sich die Geschäftsleerstände zu einem attraktiven Gesamtstandort wonnenen Kunden des Einkaufszen- in den Innenstädten jedoch allein auf zusammenwachsen und dadurch die ge- trums über Kopplungsbeziehungen di- die Ansiedlung der Shopping-Mall zu- samte Innenstadt als Einzelhandels- rekt profitieren können (Dorenkamp rückführen lassen oder ob sie sich nicht standort aufgewertet und gestärkt wird. 2006). Nicht zu vernachlässigen ist auch 25. Jg./Nr. 1 • Juli 2008 83
Abb. 4: Attraktivitätsprofil der Shopping-Mall „Galerie Neustädter Tor“ im Vergleich zum Bereich der Fußgängerzone in Gießen Fassadengestaltung die Tatsache, dass die Errichtung einer Fußgängerzone. Ergänzt wurde diese Shopping-Mall oft weitreichende gestal- umfangreiche Erhebung durch Kartie Begrünung terische und bauliche Aktivitäten im öf- rungen des Einzelhandelsbestands sowie (Straßen-)Beleuchtung fentlichen Raum nach sich zieht, die durch eine Passantenzählung, um die verkehrliche und stadtgestalterische Besucherfrequenz an den jeweiligen Be- Sicherheit Maßnahmen betreffen und ganze Stadt- fragungsstandorten zu erfassen (vgl. Sauberkeit viertel aufwerten können. Aus diesem Mossig/Dorenkamp 2007). Grund sind sinnvoll geplante Shopping- In Bezug auf die Auswirkungen der Sitzgelegenheiten Malls durchaus in der Lage, Innenstädte Shopping-Mall auf die Gießener Innen- Spielgelegenheiten zu stärken, weil alte, oftmals verkrustete stadt konnten durch die Erhebungen Strukturen aufgebrochen werden kön- folgende Ergebnisse festgestellt werden: Öffnungszeiten nen, die einen Stadterneuerungsprozess Angebotsvielfalt/-qualität einleiten und sich somit strukturför- 1. Attraktivitätssteigerung der Gießener dernd auswirken. Innenstadt Kundenbetreuung/Beratung Atmosphäre/Ambiente Fußgängerzone Auswirkungen der „Galerie Neustädter 64% aller Befragten waren der Mei- Shopping-Mall Tor“ auf die Gießener Innenstadt nung, dass Gießen durch die Ansied- Gesamtattraktivität lung der „Galerie Neustädter Tor“ at- 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 4,5 Um erste Auswirkungen der am 20. Ok- traktiver geworden ist (vgl. Tab. 2), wo- Durchschnittliche Bewertung verschiedener Attraktivitätsindikatoren tober 2005 eröffneten Shopping-Mall bei 22% meinten, die Stadt sei viel at- „Galerie Neustädter Tor“ in ca. 300m traktiver geworden, 42% empfinden die Quelle: Eigene Abb. Erhebungen 4: Attraktivitätsprofil der Shopping- Entfernung zur angestammten Fußgän- Stadt nun etwas attraktiver. Für 27% Mall „Galerie Neustädter Tor“ im Vergleich gerzone in Gießen zu erfassen, sind von der Befragten hat sich nichts verändert, zum Bereich der Fußgängerzone in Gießen. den Verfassern im Juli 2006 sowie im und nur 8% sprachen von einem At- Quelle: Eigene Erhebungen Juni 2007 zwei umfangreiche empi- traktivitätsverlust. Entsprechend fällt rische Untersuchungen durchgeführt die Bewertung von verschiedenen At- worden. Nach so kurzer Zeit liegen zwar traktivitätsindikatoren auf einer Skala noch keine Zahlen bezüglich der Um- von 1-5 für die Shopping-Mall „Galerie satzentwicklung im Gießener Geschäfts- Neustädter Tor“ bis auf den Aspekt der zentrum vor, jedoch konnten anhand Spielmöglichkeiten wesentlich besser der durchgeführten Kunden- und Pas- aus als für die Fußgängerzone (vgl. Abb. santenbefragungen sowie durch um- 4). Diesbezüglich sollte auch auf die fangreiche Kartierungsarbeiten bereits Verbesserung der Parkplatzsituation in jetzt einige Auswirkungen der Shop- der Gießener Innenstadt durch das mo- ping-Mall-Eröffnung festgestellt wer- derne Parkhaus in der Shopping-Mall den. Bei der Kundenbefragung im Juli hingewiesen werden, das von den be- 2006 wurden insgesamt 671 Besucher fragten Personen deutlich besser bewer- der Gießener Innenstadt 1befragt, davon tet wurde als die anderen Parkhäuser in 306 in der Shopping Mall „Galerie Neu- Gießen. städter Tor“ und 365 in der Fußgänger- zone (vgl. Dorenkamp 2006). Im Rah- 2. Intensive Kopplungsbeziehungen men der empirischen Untersuchung im Juni 2007 wurden insgesamt 1.744 Be- Die gewünschten Ergänzungsbezie- sucher befragt, davon 603 Personen in hungen zwischen der Fußgängerzone der Shopping-Mall und 1.141 in der und der Shopping-Mall lassen sich an- 84 Spiegel der Forschung
Mossig Shopping-MAll hand der intensiven Kopplungsbezie- Shopping-Mall besitzt. Direkt befragt Davon besuchen insgesamt 1.100 Kun- hungen nachweisen. Insgesamt gaben gaben 17% der Besucher der Shopping- den als Koppler auch die Fußgängerzo- 41,3% der Befragten an, bei ihrem Be- Mall an, dass sie am Befragungstag ne (vgl. Dorenkamp 2006). such der Gießener Innenstadt sowohl in nicht nach Gießen gekommen wären, die Fußgängerzone als auch in die wenn es die „Galerie Neustädter Tor“ 4. Kaufkraftabflüsse aus der Innenstadt Shopping-Mall zu gehen (vgl. Tab. 3). nicht geben würde. Legt man die dama- Das Kopplungsverhalten variiert jedoch ligen Angaben des Center-Manage- Die starke Konkurrenz, die von einer je nach Befragungsstandort. Von den ments zur durchschnittlichen Kunden- Shopping-Mall auf die Einzelhändler in Befragten in der Shopping-Mall betrug zahl zugrunde, so ergibt sich eine Zahl der Fußgängerzone ausgeht, lässt sich der Anteil der Koppler, die vor oder von 2.000 Kunden, die täglich zusätzlich dokumentieren, wenn man die Vertei- nach dem Besuch der „Galerie Neustäd- zum Einkaufen nach Gießen kommen. lung der Ausgaben auf die beiden Ein- ter Tor“ auch die Fußgängerzone aufsu- chen, immerhin 64,5%. Demgegenüber fiel die umgekehrte Kopplungsrichtung Beurteilung der Attraktivität Anteil der befragten Kunden der Personen, die in der Fußgängerzone befragt wurden und angaben, auch die viel attraktiver 22% Shopping-Mall am Befragungstag zu etwas attraktiver 42% besuchen, mit 29,1% wesentlich gerin- unverändert 27% ger aus. Offensichtlich profitiert die etwas unattraktiver 5% Fußgängerzone von der Anziehungs- viel unattraktiver 3% kraft, welche die „Galerie Neustädter Tab. 2: Veränderung der Attraktivität der Gießener Innenstadt aufgrund der Eröffnung der Tor“ auf die Kunden ausübt, im hö- Shopping-Mall „Galerie Neustädter Tor“ aus Sicht der Kunden- und Passanten heren Maße als umgekehrt. 3. Erweiterter Kundeneinzugsbereich Gießener Innenstadt insgesamt Koppler Nicht-Koppler 41,3% 58,6% Der Vergleich des jeweiligen Kunden- Fußgängerzone -> Shopping-Mall 29,1% 70,9% einzugsbereichs zeigt, dass die Shop- Shopping-Mall - Fußgängerzone 64,5% 35,5% ping-Mall eine größere Reichweite als Tab. 3: Kopplungsverhalten der Besucher in der Gießener Innenstadt zwischen der Shop- die Fußgängerzone besitzt. Dies könnte ping-Mall und der Fußgängerzone zwar auch an dem wesentlich höheren Anteil an Durchgangspassanten in der Fußgängerzone liegen. Analysiert man Fußgängerzone Shopping-Mall jedoch die räumliche Herkunft der be- fragten Personen genauer, so kann ein Verteilung der Ausgaben der Kunden am 77,4% 22,6% überproportionales Kundenaufkommen Befragungstag aus solchen Gebieten festgestellt wer- Verkaufsfläche in m2 103.550 18.000 den, deren Oberzentrum (in dem kon- (Anteil in %) (85,2%) (14,8%) kreten Fall die Stadt Marburg) keine Tab. 4: Verteilung der Kundenausgaben im Vergleich zur Verkaufsfläche Quelle: Eigene Erhebungen 25. Jg./Nr. 1 • Juli 2008 85
� Abb. 5: Lage der vier Business Improvement ����� ������ Districts (BIDs) Seltersweg, Katharinenviertel, Marktquartier und Theaterpark Gießen. �� �� �� �� � wendung gefun- Auch die Handlungsfähigkeit in den ��� �������������� �� den und breitet einzelnen Bereichen bleibt durch eine ������� sich derzeit zu- überschaubare Größe erhalten. Die Lage �������������� nehmend aus. Das der vier BIDs Seltersweg, Marktquartier, � bemerkenswert Katharinenviertel und Theaterpark in- ���� Neuartige an der nerhalb Gießens ist der Abbildung 5 zu �� � �� � BID-Idee besteht entnehmen. �� ����� �� darin, dass einige Die vier BIDs haben sich zum ge- � ����������� ������ �� ������� der zentralen Pro- meinsamen Ziel gesetzt, die Gießener ������� �� �� ����� �������� bleme vermieden Fußgängerzone als den führenden Ein- � ����� �� �������� werden, welche zelhandelsstandort in Mittelhessen zu �� � ���� �������� die Wirkung stärken, neue Kunden hinzuzuge � ����� früherer Maßnah- winnen, alte Kunden an den Standort � � �� men erheblich be- zu binden und durch die Koordination ����� �� �� einträchtigt ha- des Einkaufs von Dienstleistungen Ko- ���������� � ben. So gelingt es sten zu senken. Letzteres betrifft insbe- durch das BID-In- sondere den Einkaufsverbund von Rei- strumentarium, nigungs- oder Sicherheitsdiensten. Auch zelhandelsstandorte und die jeweiligen das Problem der Trittbrettfahrer und eine gemeinsame Koordination von Verkaufsflächen miteinander vergleicht. der zu schwachen finanziellen Ausstat- Events und Werbeaktionen wird ange- Die „Galerie Neustädter Tor“ hat bereits tung einer Einzelhändlergemeinschaft strebt. Zudem treten die vier BIDs ge- 20 Monate nach ihrer Markteinführung zu lösen. Zudem hat ein BID den Vorteil meinsam unter dem Label ‚Gießen ent- einen Anteil von 22,6% an den Ausga- einer höheren Akzeptanz bei den be- decken’ auf, mit dem sich der Einzel- ben erzielt, die die Kunden am jewei- troffenen Einzelhändlern und Immobi- handel in der Fußgängerzone eine eige- ligen Befragungstag in der gesamten In- lien- bzw. Grundstückseigentümern, da ne ‚corporate identity’ geben möchte, nenstadt getätigt haben (vgl. Tab. 4). die Maßnahme durch die Privatwirt- wobei jedes BID zusätzlich über ein ei- Diesen Anteil erzielt die Shopping-Mall schaft vor Ort selbst initiiert und nicht genes Label verfügt, mit dem der Cha- auf einer vergleichsweise geringen Ver- wie bei der städtebaulichen Sanierungs rakter des jeweiligen Quartiers bewor- kaufsfläche, denn nur 14,8% der gesam- maßnahme nach § 136 ff. BauGB ho- ben wird. Die Gemeinschaftsmaß ten Verkaufsflächen in der Gießener In- heitlich verordnet wird. Den lokalen nahmen aller vier BIDs werden ergänzt nenstadt entfallen auf die „Galerie Neu- Grundeigentümern und Einzelhändlern durch individuelle Maßnahmenpakete städter Tor“. ist mit der Gründung eines BIDs eine für jedes einzelne BID, die an die jewei- Der letzte Punkt deutet bereits darauf sinnvolle neue Handlungsoption gege- ligen Strukturen und Bedürfnisse der hin, dass die Errichtung einer Shop- ben, mit der sie auf den Konkurrenz- Innovationsbereiche angepasst werden. ping-Mall immer Umsatzumvertei- druck durch die Shopping-Malls und lungseffekte innerhalb der Innenstadt die erstarkenden Einzelhandelsangebote Begleitforschung zur langfristigen bewirkt. Dies sollte jedoch nicht aus- im suburbanen Raum reagieren kön- Erfolgskontrolle von BID-Maßnahmen schließlich negativ bewertet werden, nen. denn den Einzelhändlern in der Fuß- Die Stadt Gießen nimmt in der aktu- Da die vier BIDs in Gießen erst Ende gängerzone bleibt nichts anderes übrig, ellen Debatte um Business Improve- 2006 bzw. Anfang 2007 ihre Arbeit auf- als sich dem Wettbewerb mit der Shop- ment Districts (BIDs) in Deutschland nahmen, sind die Maßnahmen noch ping-Mall zu stellen und innovative eine Vorreiterrolle ein, denn sie gehört nicht überall für die Besucher der In- Ideen zu verfolgen, um den Bereich der zu den ersten Städten, in denen dieses nenstadt ersichtlich. Die meisten Aktivi- Fußgängerzone aufzuwerten. Instrument zum Einsatz kommt. Eine täten sind zum Zeitpunkt der durchge- Besonderheit stellt die bislang bundes- führten Kunden- und Passantenbefra- Business Improvement Districts (BIDs) weit einmalige Konzeption in Gießen gung erst in Planung gewesen. Aus die- als Instrument zur Revitalisierung dar, denn nahezu der gesamte Bereich sem Grund können die Auswirkungen innerstädtischer Quartiere der innerstädtischen Fußgängerzone der errichteten BIDs auf die Entwick- wird durch vier aneinander angren- lung des Gießener Geschäftszentrums Das ursprünglich aus Nordamerika zende BIDs überspannt. Dadurch soll im Sinne einer systematischen Erfolgs- stammende Konzept der Business Im- dem Charakter der einzelnen Quartiere kontrolle der Maßnahmen noch nicht provement Districts (BIDs) hat in Rechnung getragen und individuelle erfasst werden. Die im Sommer 2007 Deutschland erst in jüngerer Zeit An- Maßnahmenpakete entwickelt werden. durchgeführte Befragung verfolgte da- 86 Spiegel der Forschung
Mossig Shopping-MAll her das Ziel festzuhalten, wie sich der Münstersche Geographische Arbeiten, tut für Geographie der Justus-Liebig- Entwicklungsstand des Gießener Einzel Band 46, S. 125-136. Universität Gießen. Gießen. handels aktuell darstellt und welche • Mossig, I./Dorenkamp, A. (2007): Die • Rack, J./Giese, E. (2008): Umsetzung Maßnahmen zur weiteren Attraktivi- Entwicklung des Einzelhandels in der des hessischen BID-Konzepts in Gießen. tätssteigerung der Gießener Innenstadt Gießener Innenstadt nach Ansiedlung In: Pütz, R. (Hrsg.): Business Improve- aus Sicht der Besucher notwendig sind. der Shopping Mall „Galerie Neustädter ment Districts. Reihe Geographische Dadurch sollen die jetzt durchgeführten Tor“ und Gründung der Business Im- Handelsforschung, Band 13. Passau (im empirischen Arbeiten eine spätere Er- provement Districts“. Gutachten. Insti- Erscheinen). folgskontrolle der BID-Aktivitäten möglich machen, indem die vorlie- genden Ergebnisse den Resultaten einer nachfolgenden Studie nach Beendigung Priv.-Doz. Dr. Ivo Mossig der im Handlungskonzept vorgeschla- Institut für Geographie genen Maßnahmen gegenübergestellt Senckenbergstr. 1 werden. Vor dem Hintergrund, dass in 35390 Gießen fünf Jahren satzungsgemäß erneut über Telefon: 0641 99-36247 die Fortführung der BID-Aktivitäten E-Mail: Ivo.Mossig@geogr.uni-giessen.de abgestimmt werden muss, scheint eine Erfolgsmessung der durchgeführten Ivo Mossig, Jahrgang 1969, hat an der Justus-Liebig-Universität Gießen die Fä- Maßnahmen durchaus geboten zu sein cher Mathematik und Geographie (Abschluss: Staatsexamen für das Lehramt und sollte in die grundlegende Konzep- an Gymnasien L3) studiert. Seit 1996 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bzw. als tion des BID-Ansatzes integriert wer- Wissenschaftlicher Assistent an der Professur für Wirtschaftsgeographie tätig. den. Das Institut für Geographie der Ju- Die Dissertation im Jahr 2000 wurde vom Verband der Geographen an Deutschen stus-Liebig-Universität steht dabei als Hochschulen (VGDH) als beste Dissertation der Jahre 1999/2000 und mit dem kompetenter Partner zur Verfügung, die Edwin-von-Böventer-Preis der Gesellschaft für Regionalforschung ausgezeichnet. begonnene Begleitforschung systema- Der Habilitation im Jahre 2005 mit einer Arbeit über „Netzwerke der Kulturökono- tisch fortzuführen. • mie. Lokale Knoten und globale Verflechtungen der Film- und Fernsehindustrie in Deutschland und den USA“ folgten zwischenzeitlich Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten in Tübingen (WS 2006/07) und Heidelberg (SS 2007, WS 2007/08). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Allgemeine Wirtschaftsgeographie, Prozesse der Literatur Clusterevolution, Globalisierung, Standort- und Gründungsforschung, Entwicklung innerstädtischer Geschäftszentren. • Brune, W., Junker, R., Pump-Uhl- mann, H. (2006) (Hrsg.): Angriff auf die City. Kritische Texte zur Konzeption, Planung und Wirkung von integrierten Ansgar Dorenkamp und nicht integrierten Shopping-Cen- Institut für Geographie tern in zentralen Lagen. Düsseldorf. Senckenbergstr. 1 • Dorenkamp, A. (2006): Die Anbin- 35390 Gießen dung des Einkaufszentrums ‚Galerie Telefon: 0641 99-36248 Neustädter Tor’ an das Gießener Ge- E-Mail: Ansgar.C.Dorenkamp@geogr.uni-giessen.de schäftszentrum: Das Kopplungsverhal- ten von Kunden in der Gießener Innen- Ansgar Dorenkamp, Jahrgang 1979. Studium der Geographie an der Justus-Liebig- stadt. In: Studien zur Wirtschaftsgeo- Universität Gießen und der Université de Bretagne Occidentale in Brest (Frank- graphie. Gießen. reich). Während dieser Zeit u.a. als gewählter Studentenvertreter im akademischen • Giese, E. (1999): Bedeutungsverlust in- Senat der Universität Gießen aktiv. Seit Juli 2005 ist er Promotionsstipendiat der nerstädtischer Geschäftszentren in West- Stiftung der Deutschen Wirtschaft e.V. und seit 2006 Lehrbeauftragter am Institut deutschland. In: Berichte zur deutschen für Geographie der Justus-Liebig-Universität. Im Rahmen seines Promotionspro- Landeskunde, Band 73, Heft 1, S. 33 - 66. jekts befasst er sich mit der blockierten Clusterbildung der Fernsehbranche am • Giese, E. (2003): Auswirkungen inte- Standort Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte: Wirtschaftsgeographie, akteur- grierter großflächiger Shopping-Center sorientierte Standortforschung, Prozesse der Clusterevolution, Einzelhandelsfor- auf den innerstädtischen Einzelhandel schung und Stadtentwicklung. in Mittelstädten Westdeutschlands. In: 25. Jg./Nr. 1 • Juli 2008 87
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