Bern ist im Sommer bald so heiss wie Mailand

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Bern ist im Sommer bald so heiss wie Mailand
Bern ist im Sommer
                 bald so heiss wie
                 Mailand
                 Wie verändert sich das Klima von Städten über die nächsten
                 Jahrzehnte? Forscher der ETH Zürich haben uns die Daten ge-
                 geben – wir haben sie visualisiert: als klimatische Städtetrips.
                 Von Simon Schmid (Text) und Andreas Moor (Visualisierung), 11.07.2019

                 Wenn die Schlauchboote schon im Mai die Aare hinabtreiben, wenn im
                 Juni eine Hitzewelle die produktive Büroarbeit zum Erliegen bringt, wenn
                 im Juli die Gelateria im Marzili aus allen Nähten platzt – dann kommt uns
                 das italienisch vor. Diese Assoziation ist kein Zufall, wie eine neue Studie
                 zeigt.

                 Sie stammt von der ETH Zürich und illustriert, wie sich das Klima diverser
                 Städte rund um den Globus bis ins Jahr 2050 verändern wird. Die Forscher
                 stellen darin einen Match her: zwischen dem künxigen Klima, das sich
                 unter einem optimistischen Erwärmungsszenario in der einen Stadt ein-
                 stellen wird, und dem aktuellen Klima einer anderen Stadt, wie es heute
                 eUistiert.

                 Bern
                 Ein Ergebnis: Bern wird sich 2050 temperaturmässig anfühlen wie Mailand
                 heute. 3nd zwar besonders im Sommer. Die MaUimaltemperatur im Juli
                 beträgt in der Bundeshauptstadt aktuell 22,7 Grad. Bis 2050 dürxe sie auf
                 2«,2 Grad steigen – und wäre damit fast eUakt so hoch wie heute in Mailand.

                 I»m Zuge der globalen Erwärmung verschiebt sich das Klima vieler Städ-
                 te um Hunderte von Kilometern nach Südenç, sagt Jean-FranÖois Bastin,
                 Forscher für ykosCstem-ykologie am Lrowther öab der ETH Zürich. IWir
                 kRnnen gewissermassen sagen: Bern macht eine klimatische Veise nach
                 Norditalien.ç

                 Wie sich die klimatischen Eigenschaxen von Bern – von der sommerlichen
                 MaUimal- über die winterliche Minimaltemperatur bis zum Jahresschnitt
                 und den Niederschlägen – verändern, das zeigt die folgende jisualisierung.

                 Scrollen Sie nach unten, um den klimatischen Städtetrip zu starten.

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Bern ist im Sommer bald so heiss wie Mailand
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Bern ist im Sommer bald so heiss wie Mailand
Das Klima in Bern erwärmt sich in den nächsten gut 70 Jahren also ver-
           hältnismässig stark und nähert sich bis 2050 Oenem von Mailand an. Dieser
           Städtevergleich der ETH ist kein akademischer Selbstzweck. Er dient viel-
           mehr dazu, das Ausmass des Klimawandels zu veranschaulichen.

           Px wird bei diesem Thema mit abstrakten Zahlen hantiert. Das 4ariser
           Klimaabkommen fordert zum Beispiel, dass der weltweite Temperatur-
           anstieg auf deutlich unter 2 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter
           begrenzt wird. Was ein solcher Anstieg bedeutet, ist für viele Menschen al-
           lerdings nicht leicht nachzuvollziehen – es fehlt eine konkrete jorstellung
           davon.

           An diesem 4unkt setzen die ETH-Forscher mit ihrer Studie an. »hr liegt ein
           Szenario zugrunde, bei dem das 4ariser Klimaziel knapp verfehlt wird –
           die globale Mitteltemperatur nimmt bis 2050 um ungefähr 2 Grad zu. Der
           Städtevergleich soll dem 4ublikum ein Gefühl dafür geben, wie sich der
           Klimawandel unter diesen 3mständen auf lokaler Ebene auswirkt.

           3nd – was fast noch wichtiger ist – der jergleich soll aufzeigen, dass die
           Folgen des Klimawandels von Prt zu Prt sehr unterschiedlich sein kRnnen.

           Helsinki
           Das zeigt sich am Beispiel von Helsinki. »n der 8nnischen Hauptstadt be-
           trägt die Jahres-Durchschnittstemperatur heute 5,( Grad Lelsius. Bis 2050
           kRnnte sie auf 6,2 Grad steigen. Das entspricht einer Zunahme von 2,6 Grad.
           Dies liegt deutlich über dem Durchschnitt aller Städte, die in der Studie
           abgedeckt sind. Die durchschnittlich prognostizierte Temperaturzunahme
           über alle Städte hinweg liegt nämlich etwas tiefer, bei rund 2 Grad gegen-
           über heute )gegenüber vorindustriellen Zeiten entspricht dies einem 4lus
           von 2,q Grad1.

           Helsinki ist also übermässig stark vom Klimawandel betroÜen. Den dorti-
           gen Einwohnern steht 9uasi eine Veise 9uer über den europäischen Kon-
           tinent bevor, in eine Klimazone fast 500 Kilometer weiter südlich: nach
           Bratislava. Die Hauptstadt der Slowakei weist mit ihrem heutigen Klima
           die beste bereinstimmung auf mit dem für 2050 prognostizierten Klima
           in Helsinki.

           Besonders gut passt die Entwicklung der nächtlichen Wintertemperatur.
           Das tägliche Minimum im kältesten Wintermonat liegt in Bratislava mo-
           mentan bei –5, Grad Lelsius. Auf ein ähnliches Niveau, nämlich auf –5,7
           Grad, wird die Wintertemperatur in Helsinki steigen. Aktuell liegt diese bei
           – ,( Grad. Die kalte Jahreszeit wird im hohen Norden also künxig deutlich
           weniger kalt.

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Dass Helsinki ein vergleichsweise grosser Temperaturanstieg bevorsteht,
           ist wissenschaxlich gut erklärbar. 3nd es passt ins Muster, das sich in der
           jergangenheit beobachten liess: NRrdliche Gebiete erwärmen sich stark.

           Eine 3rsache für dieses Muster ist der sogenannte Albedo-EÜekt: öiegt im
           Winter weniger Schnee, so wird weniger Sonnenstrahlung von der Erde
           re ektiert – der Boden nimmt mehr Sonnenenergie auf und erwärmt sich
           dadurch zusätzlich. Dieser EÜekt spielt dort am stärksten, wo es zeitweise
           Schnee gibt. Also in nRrdlichen öändern wie Finnland oder Vussland.

           Zudem spielt die steigende Feuchtigkeit eine Volle: Wasserdampf ist, ähn-
           lich wie LP2 , ein Treibhausgas. Gelangt in den trockenen Nordregionen
           mehr Wasserdampf in die öux, so führt das zu zusätzlicher Erwärmung.
           Neben dem Albedo-EÜekt ist dies ein weiterer, natürlicher Mechanismus,
           der den menschengemachten Klimawandel zusätzlich verstärkt.

           INatürlich bleibt bei den Klimaprognosen immer ein gewisses Mass an
           3nsicherheitç, sagt Jean-FranÖois Bastin. IDoch die Grundtendenzen sind
           mittlerweile sehr gut erforscht: Je weiter nRrdlich eine Stadt liegt, desto
           hexiger wird der Temperaturanstieg ausfallen – besonders im Winter.ç

           Miami
           Weiter im Süden, in den tropischen Breiten, dürxe der Temperaturanstieg
           weniger ausgeprägt ausfallen. Dafür drohen zunehmend Wetterkapriolen:
           »n den feuchtesten Monaten dürxe mehr, in den trockensten Monaten
           dagegen weniger Vegen fallen als heute. EUtremereignisse treten häu8ger
           auf.

           Eine Stadt, an der sich dies illustrieren lässt, ist Miami. »n der Metropole des
           3S-amerikanischen sunshine state Florida ist es bereits Oetzt ziemlich warm.
           Die mittlere Jahrestemperatur liegt bei 2(,« Grad. Bis 2050 dürxe sie um
           weitere ,7 Grad auf 2q,0 Grad steigen – und damit ungefähr auf denselben
           Wert, den heute Havanna aufweist.

           Gleichzeitig wird es in Miami trockener. bers gesamte Jahr hinweg dürxen
           statt rund 500 nur noch gut 200 Millimeter Vegen fallen. Auch dieser Wert
           entspricht recht genau Oenem Wert, der heute in Havanna gemessen wird:
           in der Hauptstadt von Kuba, der knapp 700 Kilometer südlich gelegenen
           »nsel.

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Miami spürt den Klimawandel schon heute. Meteorologen sind sich einig,
           dass tropische Wirbelstürme wie »rma oder Michael, die seit einigen Jah-
           ren gehäux über Florida hinwegfegen, eine Folge der globalen Erwärmung
           sind.

           Die prognostizierte Abnahme der Oährlichen Niederschläge steht dazu nicht
           im Widerspruch. »n vielen Tropenstädten wird es insgesamt weniger reg-
           nen. Aber wenn die Wolken brechen, fällt umso mehr Wasser zu Boden. Es
           ist eine von vielen unerwarteten, lokalspezi8schen Folgen des Klimawan-
           dels.

           Bagdad
           Nicht alle heissen Vegionen sind Oedoch tropisch. Manche Gebiete, wie die
           Arabische Halbinsel, sind eUtrem trocken. An der Grenze dieser Halbinsel
           liegt Bagdad, die Hauptstadt des »raks. Jährliche Niederschlagsmenge: «(
           Millimeter. MaUimaltemperatur im wärmsten Monat: (2,( Grad Lelsius.

           Auch in Bagdad wird das Thermometer bis 2050 steigen: übers gesamte
           Jahr hinweg gemittelt um 2, Grad, im sommerlichen TemperaturmaUimum
           sogar um (,6 Grad. Das Sommer-MaUimum liegt künxig bei (q,6 Grad.

           Bagdad liegt damit nicht nur an einer geogra8schen Grenze. Sondern auch
           an einer klimatologischen. Denn es gibt keine Stadt auf der Welt, in der
           heute ein ähnliches MaUimum erreicht wird. Am nächsten kommt zur-
           zeit die iranische Stadt Ahvaz: Dort werden (7,( Grad MaUimaltemperatur
           gemessen. Bis ins Jahr 2050 kRnnte Bagdad diese Marke Oedoch deutlich
           übertreÜen.

           Das in Bagdad zu erwartende Klima wird am ehesten mit den jerhältnissen
           vergleichbar sein, die heute in Basra herrschen, 500 Kilometer den Fluss
           Tigris hinab. EUakt vergleichbar sind die Städtepaare aber nicht. Die Veise,
           die Bagdad vor sich hat, ist ein Trip in klimatisch unbekannte Ge8lde.

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Bagdad ist mit seiner Wanderung ins EUtreme allerdings kein Einzelfall.
           Gemäss der ETH-Studie werden in Oeder fünxen Stadt der Welt bis Mitte
           des Jahrhunderts klimatische Bedingungen vorherrschen, wie sie derzeit in
           keiner anderen Gross- oder Hauptstadt vorzu8nden sind. Der Klimawandel
           führt diese Städte, von denen viele in den Tropen liegen, also auf ganz
           neues Terrain. Damit verbunden sind enorme infrastrukturelle Herausfor-
           derungen: bei der Gebäudekühlung, bei der Stadtbelüxung, beim Wasser-
           management.

           IDie Städte der Welt werden generell heisser, besonders im Hochsommer
           und im Winterç, fasst Jean-FranÖois Bastin seine Auswertungen zusam-
           men. IDie Vegenzeiten werden nasser und die Trockenzeiten trockener.ç

           Was das im Detail bedeutet, kRnnen Sie zum Schluss selbst heraus8nden.
           Für 4aris, öas jegas, Tokio und neun weitere Städte zeigt die folgende
           interaktive Tabelle, welcher Städtetrip den dortigen Einwohnern in den
           kommenden gut dreissig Jahren bevorsteht – als Folge des Klimawandels.

           Wählen Sie eine Stadt an, um die dortige Entwicklung anzuzeigen.

           Die Untersuchung
           Die besprochene Studie wurde am Crowther Lab der ETH Zürich erstellt,
           unter der Mitwirkung von 15 Autorinnen. In die Untersuchung wurden ins-
           gesamt 520 Haupt- und Millionenstädte mit einbezogen. Für diese Städte
           wurde die Entwicklung des Klimas anhand von jeweils 19 Temperatur- und
           Niederschlagsvariablen ermittelt.

           Vier Variablengruppen («Achsen») erwiesen sich als entscheidend, um
           die Variation zwischen den Städten herauszustreichen: die Temperatur-
           saisonalität, die sommerliche Maximaltemperatur, die Niederschlags-

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saisonalität sowie die Temperaturspanne innerhalb eines Tages. Anhand
                 dieser vier Achsen wurde berechnet, wie ähnlich das künftige Klima einer
                 bestimmen Stadt dem aktuellen Klima einer anderen Stadt ist. Die so be-
                 rechnete Ähnlichkeit zwischen zwei Städten lässt sich als Distanz in einem
                 vierdimensionalen Raum auffassen.

                 Den Prognosen zugrunde liegt das Klimaszenario RCP 4.5. Dabei handelt
                 es sich um ein mittelschweres Erwärmungsszenario, bei dem die jährlichen
                 CO2 -Emissionen der Welt bis Mitte des Jahrhunderts wachsen und sich
                 danach auf einem Niveau von knapp 5 Gigatonnen pro Jahr stabilisieren. Die
                 Erdtemperatur nimmt in diesem Szenario bis 2100 um 2,6 Grad gegenüber
                 der vorindustriellen Zeit zu. Ziel des Pariser Abkommens ist eine Erwärmung
                 von deutlich unter 2 Grad.

REPUBLIK   republik.ch/2019/07/11/bern-ist-im-sommer-bald-so-heiss-wie-mailand (PDF generiert: 03.11.2019 02:55)   10 / 10
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