BETROFFENE VON MENSCHENHANDEL IM ASYLKONTEXT ERKENNEN - Policy Paper

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Policy Paper
                       BETROFFENE VON MENSCHENHANDEL
                       IM ASYLKONTEXT ERKENNEN
                       PROBLEMBESCHREIBUNG UND
                       HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN

Bundesweiter Koordinierungskreis
gegen Menschenhandel e.V.
INHALT

1.   Einführung und Hintergrund                                           1

2.   Problembeschreibung                                                  2

     2.1 Das Erkennen Betroffener von Menschenhandel im Asylkontext       2

     2.2 Probleme bei der Identifizierung innerhalb des Asylverfahrens    4

     2.3 Herausforderungen für die spezialisierten Fachberatungsstellen   6

3.   Empfehlungen                                                         7

     3.1 Empfehlungen an Bund und Länder                                  7

     3.2 Empfehlungen an die Unterstützungsstrukturen                     8

     3.3 Empfehlungen an die Politik                                      8

     3.4 Empfehlungen an das BAMF                                         8
Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen Einführung und Hintergrund   1

1. EINFÜHRUNG UND HINTERGRUND

Der KOK beobachtet und benennt kontinuier-                                        Die Identifizierung Betroffener von Menschen-
lich aktuelle Problemstellungen aus der Praxis                                    handel und Ausbeutung ist die grundlegende
für Betroffene von Menschenhandel - auch im                                       Voraussetzung für die Gewährung von Schutz
Kontext von Flucht. Daraus abgeleitete Hand-                                      und Unterstützung sowie der ihnen zuste-
lungsempfehlungen trägt der KOK an relevante                                      henden Rechte. Aber auch die Strafverfolgung
Akteure aus Politik und Behörden heran. Das                                       der Täter*innen hängt im Wesentlichen von der
vorliegende Policy Paper beschäftigt sich mit                                     Identifizierung Betroffener ab, da die Verfahren
der Identifizierung geflüchteter Betroffener                                      wegen Menschenhandel und Ausbeutung auf
von Menschenhandel.                                                               den Personenbeweis, also die Aussage der
                                                                                  Betroffenen oder Zeug*innen, angewiesen sind.
Menschen auf der Flucht sind besonders
gefährdet, Gewalt zu erfahren und ausgebeutet                                     Die Notwendigkeit der Identifizierung von
zu werden.1 Faktoren wie prekäre Unter-                                           Betroffenen wird zwar von den meisten
bringung, eingeschränkte Rechte, Lücken im                                        Akteuren, die sich mit Fällen von Menschen-
Unterstützungssystem sowie fehlende Infor-                                        handel befassen oder mit Betroffenen in
mationen zur eigenen rechtlichen Situation                                        Kontakt kommen könnten, anerkannt. Dennoch
können das Risiko erhöhen, in ausbeuterische                                      gelingt es in Deutschland nach wie vor nicht,
Situationen zu gelangen. Die COVID-19-Pan-                                        Betroffene von Menschenhandel innerhalb des
demie und die zu deren Bekämpfung ergrif-                                         Asylsystems systematisch zu identifizieren.
fenen Maßnahmen verstärken die Vulnera-
bilität von Geflüchteten und Betroffenen von                                      Das Policy Paper macht auf diese Problematik
Menschenhandel und Ausbeutung zusätz-                                             aufmerksam, erläutert mögliche Gründe und
lich. Quarantänebestimmungen begünstigen                                          gibt Handlungsempfehlungen, um die Identifi-
die Isolation von Betroffenen. Ermittlungsbe-                                     zierung Betroffener von Menschenhandel und
hörden führen aufgrund der Einschränkungen                                        Ausbeutung im Kontext von Flucht und Asyl zu
weniger Untersuchungen durch. Ebenso der                                          verbessern.
fehlende oder erschwerte Zugang für Fachbe-
ratungsstellen (FBS) zu möglichen Betroffenen                                     Die hier dargestellten Sachverhalte und Beobach-
von Menschenhandel hat gravierende Auswir-                                        tungen und aus ihnen abgeleitete Forderungen
kungen, da die FBS eine große Rolle bei der                                       basieren auf den Ergebnissen einer Bestands-
Identifikation von Betroffenen von Menschen-                                      aufnahme aus dem Jahr 20192 für den Zeit-
handel spielen.                                                                   raum 2016 – 2018 (im Folgenden: Erfassungs-
                                                                                  zeitraum) sowie auf einer Desktop-Recherche.
Laut der EU-Aufnahmerichtlinie (AufnRL                                            Weitere Problembeschreibungen der KOK-
2013/33/EU; Art. 12) gehören Betroffene                                           Mitgliedsorganisationen3 ergänzen und bestä-
von Menschenhandel zur Gruppe besonders                                           tigen die Ergebnisse der Bestandsaufnahme.
schutzbedürftiger Personen. Diese Richtlinie                                      Die daraus resultierenden Handlungsempfeh-
verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten dazu,                                         lungen sind aus Sicht der spezialisierten Fachbe-
besonders schutzbedürftige Personen unter                                         ratungsstellen (FBS) notwendige Maßnahmen,
den Geflüchteten im Verlauf des Asylverfah-                                       damit Betroffene von Menschenhandel ange-
rens möglichst frühzeitig zu erkennen und                                         messen geschützt und unterstützt werden und
ihnen Schutzmaßnahmen zu gewährleisten.                                           ihre Rechte in Anspruch nehmen können.

1.   Scherrer, A. (2019). Detecting and protecting victims of trafficking in hotspots. Ex-post evaluation. Brussels: European Parliamentary Research Service.
     Abgerufen am 14.08.2020 von https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2019/631757/EPRS _ STU(2019)631757 _ EN.pdf.
2.   In der Bestandsaufnahme haben sich 16 Mitgliedsorganisationen der damals 39 beteiligt. Einige Fragebögen spiegeln in ihren Antworten die Beratungser-
     fahrungen und Aussagen mehrerer Zweigstellen wieder. So antwortete bspw. eine Mitgliedsorganisation stellvertretend für die ihr zugehörigen insgesamt
     17 Beratungsstellen. Es ist zu beachten, dass nicht alle KOK-Mitgliedsorganisationen unmittelbare Beratung für Betroffene von Menschenhandel anbieten.
     Unter den KOK-Mitgliedsorganisationen sind spezialisierte Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel, Migrant*innenorganisationen, Frauen-
     rechts- und Lobbyorganisationen oder auch Wohlfahrtsverbände. Die Bestandsaufnahme kann auf Nachfrage zur Verfügung gestellt werden.
3.   Der KOK steht im ständigen Austausch mit seinen Mitgliedsorganisationen und organisiert zweimal jährlich Mitgliederversammlungen. Dabei diskutieren
     die Mitgliedsorganisationen den aktuellen politischen Handlungsbedarf und beschließen die jeweiligen Arbeitsschwerpunkte des KOK sowie Forderungen an
     Politik und Gesellschaft.
2   Policy Paper Problembeschreibung

                    2. PROBLEMBESCHREIBUNG

                    In der Praxis ist die Identifizierung von Betrof-                                     tung an die konkreten Gewalterfahrungen.
                    fenen von Menschenhandel und Ausbeu-                                                  Der Wunsch, damit nicht mehr konfrontiert
                    tung selbst unter günstigen Umständen                                                 zu werden und abschließen zu können, kann
                    kompliziert.4 Den schutzsuchenden Betrof-                                             dazu führen, dass über das Erlebte nicht
                    fenen von Menschenhandel fehlt oftmals ein                                            noch zusätzlich gesprochen wird – auch nicht
                    Verständnis des Phänomens Menschenhandel                                              in Asylanhörungen. Darüber hinaus kann
                    und das Wissen hinsichtlich der Unterstüt-                                            aufgrund von Scham und Angst vor Stigmati-
                    zungsmöglichkeiten und Rechtsansprüche,                                               sierung, wie Sexarbeiter*innen diese beispiels-
                    die ihnen zustehen. So wissen sie zwar meist                                          weise oft erfahren, die sexuelle Ausbeutung
                    sehr genau, dass ihnen Gewalt und Unrecht                                             verschwiegen werden. Wenn über das Erlebte
                    widerfahren ist. Dass dies jedoch strafrecht-                                         gesprochen wird, kann dies oft abgespalten
                    lich relevant ist und sie Opferschutzrechte in                                        und dissoziiert wirken und lückenhaft sein.
                    Anspruch nehmen können, ist so gut wie nie                                            Die Erzählenden wirken dann oft emotionslos
                    bekannt. Ganz im Gegenteil: diese Personen                                            und vermeintlich unbeteiligt an ihrer eigenen
                    haben meist Angst, selbst strafrechtlich                                              Biografie. Dies darf nicht als Indiz zur Infrage-
                    verfolgt zu werden, beispielsweise aufgrund                                           stellung der Glaubhaftigkeit fehlinterpretiert
                    einer nicht regulären Einreise, nicht vorhan-                                         werden, sondern stellt eine Überlebensstra-
                    dener gültiger Ausweispapiere oder auch                                               tegie der Menschen dar, damit sie in stressigen
                    wenn sie neben einer unfreiwilligen Prosti-                                           Situationen funktionieren und diese emotional
                    tutionstätigkeit gezwungen wurden, unter                                              unbeschädigt überstehen können.
                    Strafe stehende Handlungen5, wie Laden-
                    diebstähle oder Urkundenfälschung, zu bege-                                           Überwiegend sind Betroffene von Menschen-
                    hen.6 Die Gefahr, selbst polizeilich verfolgt                                         handel aufgrund der benannten Schwierig-
                    und gerichtlich verurteilt und/oder abge-                                             keiten darauf angewiesen, dass Dritte ihre
                    schoben zu werden, wird vielfach durch die                                            Notlagen erkennen und sie über ihre Rechte
                    Täter*innen erst aufgebaut oder verstärkt.                                            informieren. Bei Betroffenen von Menschen-
                    Zudem werden sie von Täter*innen bedroht,                                             handel mit Fluchthintergrund ergeben sich
                    erpresst und eingeschüchtert.                                                         darüber hinaus weitere Faktoren, die eine Iden-
                                                                                                          tifizierung ungleich schwieriger machen.7, 8
                    Betroffene von Menschenhandel und Ausbeu-
                    tung brauchen meist lange Zeit und vor allem
                    Vertrauen, sich gegenüber Dritten zu offen-
                    baren. Vielfach ist die Zwangslage und Ausbeu-                                        2.1 Das Erkennen Betroffener von
                    tungssituation für die Betroffenen traumati-                                              Menschenhandel im Asylkontext
                    sierend und infolgedessen weisen sie häufig
                    eine chronifizierte Traumafolgestörung auf.                                           Eine im Asylverfahren frühzeitige Identifi-
                    Das fortwährende erneute Erleben der Gewalt                                           zierung ist bei geflüchteten Betroffenen von
                    als ein klassisches Symptom bei Posttrau-                                             Menschenhandel grundlegend notwendig.
                    matischen Belastungsstörungen, beispiels-                                             Fehleinschätzungen und/oder Unkenntnis
                    weise in Form von Flashbacks, Körperer-                                               der Entscheider*innen über den bestehenden
                    innerungen oder Albträumen, bindet die                                                Sachverhalt können zur Ablehnung des Asylan-
                    Personen auch nach Beendigung der Ausbeu-                                             trags, einer Dublin-Überstellung oder Abschie-

                    4.   Frei, N. (2018). Menschenhandel und Asyl. Die Umsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtungen zum Opferschutz im schweizerischen Asylverfahren.
                    5.   Seit der umfassenden Modifizierung der Straftatbestände im Jahr 2016 sind folgende Ausbeutungsformen strafrechtlich erfasst: Menschenhandel, Zwangs-
                         prostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung bei der Begehung strafbarer Handlungen, Ausbeutung bei der Bettelei, rechtswidrige
                         Organentnahme.
                    6.   Oftmals reisen minderjährige Betroffene von Menschenhandel mit Nationalpässen ein, die von den Täter*innen organisiert wurden und nach denen sie die
                         Volljährigkeit erreicht haben.
                    7.   Hoffmann, U. (2013). Die Identifizierung von Opfern von Menschenhandel im Asylverfahren und im Fall der erzwungenen Rückkehr, Working Paper 56 der
                         Forschungsgruppe des Bundesamtes. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.
                    8.   Brunovskis, A. & Surtees, R. (2019). Identifying trafficked migrants and refugees along the Balkan route. Exploring the boundaries of exploitation, vulnerabili-
                         ty and risk. In: Crime, Law and Social Change 72, (S. 73–86. https://doi.org/10.1007/s10611-019-09842-9).
Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen Problembeschreibung   3

bung ins Herkunftsland führen. Somit ist das                                       Entscheidungen über ihre weitere Zukunft
Erkennen von Betroffenen von Menschen-                                             zu treffen. Insbesondere bezüglich der Frage,
handel entscheidend für den Ausgang des Asyl-                                      ob eine Aussage bei den zuständigen Ermitt-
gesuchs.                                                                           lungsbehörden getätigt werden soll, brauchen
                                                                                   Betroffene diese Bedenkzeit. Menschenhandel
Die EU-Aufnahmerichtlinie und EU-Verfah-                                           ist ein sogenanntes Offizialdelikt12 und mit
rensrichtlinie für die Zuerkennung und Aber-                                       Beginn der polizeilichen und staatsanwalt-
kennung des internationalen Schutzes (VerfRL)                                      schaftlichen Ermittlungen steigt oft die Gefahr
verpflichten die Mitgliedstaaten, besonders                                        für die Betroffenen, teilweise auch für deren
schutzbedürftige Menschen zu identifizieren,                                       Angehörige, von den Täter*innen verstärkt
dies im Asylverfahren zu beachten und deren                                        gesucht, erpresst und bedroht zu werden. Wie
Vulnerabilität hinsichtlich der Aufnahme und                                       an vorheriger Stelle schon erwähnt, sind die
Unterbringung zu berücksichtigen. Eine beson-                                      Aussagen der betroffenen Personen zentral
dere Schutzbedürftigkeit ergibt sich beispiels-                                    für die Ermittlungsbehörden zur Identifizie-
weise, wenn die Antragsteller*innen schwere                                        rung sowie für die gerichtliche Verurteilung
Formen psychischer, physischer oder sexu-                                          der Täter*innen. Innerhalb des Aufenthaltsge-
eller Gewalt und Folter erfahren haben. Die                                        setzes regelt § 25 Abs. 4a AufenthG die Möglich-
Verfahrensgrundsätze garantieren, dass die                                         keit der Erteilung eines Aufenthalts für soge-
Antragsteller*innen notwendige Unterstüt-                                          nannte Opferzeug*innen in Strafverfahren.13
zung erhalten. Nur die Identifizierung einer
konkreten Form von Schutzbedürftigkeit kann                                        Menschenhandel ist mittlerweile als wich-
dazu führen, dass mit dieser spezifischen Form                                     tiges Thema im Bundesamt für Migration und
verbundene Rechte eingeräumt werden.9                                              Flüchtlinge etabliert. Seit 2012 gibt es Sonder-
                                                                                   beauftragte zu Menschenhandel14, zusätz-
Gibt es im Vorfeld einer Anhörung keine                                            lich wurden Handlungsanweisungen und
Hinweise auf Menschenhandel, soll dies inner-                                      Indikatorenlisten für Asylentscheider*innen
halb der Anhörung von Asylentscheider*innen                                        erstellt. Auf Länderebene gibt es z. T. regel-
festgestellt werden.10, 11 Innerhalb des Asyl-                                     mäßigen Austausch und Kontakt zwischen
verfahrens schreiben die AufnRL und VerfRL                                         den Sonderbeauftragten und den FBS;
außer der Anhörung keine anderen belast-                                           Mitarbeiter*innen der FBS unterstützen bei
baren Wege für die Identifizierung der Betrof-                                     Schulungen von BAMF-Mitarbeiter*innen.
fenen von Menschenhandel vor.                                                      Insgesamt gab es also in der jüngeren Vergan-
                                                                                   genheit einen Ausbau der Strukturen; Unter-
Für die identifizierten geflüchteten Betrof-                                       künfte wurden geschaffen, Beratungsstellen
fenen von Menschenhandel in Deutsch-                                               und Unterstützungsprojekte etablierten
land sollte eine mindestens dreimonatige                                           sich; in Behörden und auch im BAMF wurde
Bedenk- und Stabilisierungsfrist (§ 59 Abs.                                        Personal aufgestockt. So gab und gibt es eine
7 AufenthG) eingeräumt werden. Diese Frist                                         Vielzahl neuer Akteure, die in ihrem berufli-
soll der betroffenen Person ermöglichen, sich                                      chen Kontext mit Geflüchteten zu tun haben
ihrer aktuellen Situation sowie ihrer Rechte                                       und so auch mit potentiell Betroffenen von
und Möglichkeiten bewusst zu werden, Bera-                                         Menschenhandel und Ausbeutung in Kontakt
tung in Anspruch zu nehmen und fundierte                                           kommen können.

9.    Hinz, T. (2020). Menschenhandel im Asylkontext – Entscheider*innen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als Sonderbeauftragte für
      Opfer von Menschenhandel. In: Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e. V. (Hrsg.), Menschenhandel in Deutschland – Rechte und Schutz
      für Betroffene, (S. 235-245).
10.   Vgl. Hinz, T. (2020).
11.   Vgl. Hoffmann, U. (2013).
12.   Dies bedeutet, dass bei Kenntnis des Straftatbestands von den Ermittlungsbehörden ein Verfahren eingeleitet wird. Das Rückziehen einer Anzeige führt bei
      diesen Delikten nicht zu einer Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Den angezeigten Tatvorwürfen muss auch dann nachgegangen werden, wenn der Tatort
      außerhalb Deutschlands liegt.
13.   Voraussetzung zur Erteilung eines Aufenthaltes nach § 25 Abs. 4a AufenthG ist eine Bestätigung von der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaft.
14.   Seit 2012 werden in den Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Sonderbeauftragte für Opfer von Menschenhandel eingesetzt.
      Stellt sich ein Verdacht auf Menschenhandel erst im Verlauf einer Anhörung heraus, sollen entsprechend geschulte Sonderbeauftragte nach der Anhörung
      hinzugezogen oder die Anhörung in Absprache mit der*dem Schutzsuchenden abgebrochen und zu einem späteren Zeitpunkt von einem*einer Sonder-
      beauftragten weitergeführt werden. Mit dem Einverständnis der betroffenen Person nimmt der*die Sonderbeauftragte Kontakt zu einer spezialisierten
      Fachberatungsstelle auf. Es besteht kein rechtlicher Anspruch auf Anhörung durch eine*n Sonderbeauftragte*n.
4   Policy Paper Problembeschreibung

                    Dennoch stellen die FBS in ihrer täglichen                                         als sie selbst. Nach Berichten einiger FBS
                    Arbeit nach wie vor erhebliche Defizite bei der                                    wurden insbesondere Schilderungen von nige-
                    systematischen Identifizierung Betroffener im                                      rianischen Betroffenen vom BAMF zum Teil als
                    Asylkontext fest.                                                                  „unglaubwürdig“, „unsubstantiiert“ oder „nicht
                                                                                                       nachvollziehbar“ eingestuft. Darüber hinaus
                                                                                                       enthalten einige Asylbescheide des BAMF aus
                                                                                                       den Jahren 2018 und 2019 Hinweise darauf,
                    2.2 Probleme bei der Identifizierung                                               dass die Problematik des Menschenhandels
                        innerhalb des Asylverfahrens                                                   und entsprechende Gefährdungsgründe zwar
                                                                                                       thematisiert wurden, diese jedoch dann als
                    Die Bestandsaufnahme der FBS problemati-                                           „späteres Vorbringen“, „kein opfertypisches
                    siert mehrere Bereiche, die sich negativ auf                                       Verhalten“, „irrational wirkendes Verhalten“,
                    Betroffene von Menschenhandel auswirken                                            „realitätsfremd“ oder auch als „blumige Formu-
                    bzw. das Erkennen der möglichen Betroffenen                                        lierungen“ von den BAMF Entscheider*innen
                    erschweren. Im Folgenden werden die Defizite                                       beurteilt wurden. Infolgedessen wurden die
                    beschrieben, die bei der systematischen Identifi-                                  Asylgesuche der Betroffenen abgelehnt, u. a.
                    zierung Betroffener im Asylkontext auftauchen.                                     als „Dublin, offensichtlich unbegründet“.

                                                                                                       Stellungnahmen der FBS, die die Glaubhaf-
                    Identifizierung durch                                                              tigkeit der Schilderungen der betroffenen
                    BAMF-Mitarbeiter*innen                                                             Personen untermauern, werden nicht immer
                                                                                                       anerkannt. Die Fachberatungsstellen haben
                    Die Zusammenarbeit mit den Sonderbeauf-                                            die Erfahrung gemacht, dass die Sonderbeauf-
                    tragten für Menschenhandel und den FBS ist                                         tragten zu wenig Kapazitäten haben. Genügend
                    sehr unterschiedlich. Knapp 60 % der Rück-                                         Zeit und geschulte Kompetenz für den Umgang
                    meldungen der Bestandsaufnahme bestätigen                                          mit potentiellen Betroffenen sind unabdingbar,
                    zwar, dass sich der Kontakt mit den Sonder-                                        nicht nur für das Erkennen von Menschen-
                    beauftragten im Erfassungszeitraum verbes-                                         handel und Ausbeutung, sondern auch für die
                    sert hat.15 Inhaltlich bemerken einzelne FBS                                       Kontaktaufnahme zu Fachberatungsstellen
                    jedoch immer wieder, dass Mitarbeiter*innen                                        und der Berücksichtigung ihrer Expertise.
                    des BAMF nicht auf die Indizien für Menschen-
                    handel aufmerksam werden und dementspre-
                    chend nicht reagieren. Die Fachberatungsstellen                                    Anwendung der Dublin-Verordnung
                    führen aus, dass selbst wenn die Ausbeutungs-
                    erfahrung indirekt in der Anhörung ange-                                           Die Ausbeutung als inhärenter Bestandteil des
                    geben wird (z. B. wenn eine Frau erzählt, dass                                     Menschenhandels findet häufig in anderen und
                    sie sich nach der Ankunft in Europa prostitu-                                      mehreren EU-Ländern statt. Am häufigsten
                    ieren musste, um ihre angeblichen Schulden                                         benannt wurden Italien, Spanien und Frank-
                    zu begleichen), die Person nicht als Betroffene                                    reich. In diesen Fällen kommt allerdings auch
                    von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung                                        bei Betroffenen von Menschenhandel die
                    identifiziert wird. Das zeugt von der mangelnden                                   Dublin-III-Verordnung zum Tragen. So droht
                    Sensibilisierung der Entscheider*innen bezüg-                                      den Betroffenen innerhalb eines Dublin-
                    lich der Besonderheiten von Menschenhandel                                         Verfahrens eine Rücküberstellung in einen
                    sowie auch davon, dass die Glaubhaftigkeit der                                     Staat, in dem sie ausgebeutet wurden. Dies
                    Angaben angezweifelt wird.                                                         führt zu einer erhöhten Gefahr der Revikti-
                                                                                                       misierung, also erneut Ausbeutung durch
                    Mehrfach berichten spezialisierte Fachbera-                                        Menschenhändler*innen, denen sie durch die
                    tungsstellen von Konstellationen, in denen das                                     Flucht nach Deutschland entkommen sind, zu
                    BAMF zu einer anderen Einschätzung kommt                                           erfahren.16

                    15. Die Fachberatungsstellen beschreiben, dass sich u. a. die Erreichbarkeit und Absprache bei z. B. Terminverschiebungen oder Terminvergabe verbessert haben.
                    16. Nach Angaben der Fachberatungsstellen, fand die Ausbeutung von Klient*innen, die sich im Jahr 2018 an eine Beratungsstelle gewandt haben, überwie-
                        gend auf dem Fluchtweg statt. In wenigen Fällen begann die Ausbeutung schon im Herkunftsland. Bei dem Ausbeutungsort wurde überwiegend Nigeria als
                        Herkunftsland benannt. Über ein Drittel der Fachberatungsstellen gibt an, dass mehr als 80 % der Betroffenen mehr als einmal – im Herkunftsland, auf dem
                        Fluchtweg oder in Deutschland – ausgebeutet wurden.
Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen Problembeschreibung   5

Die FBS berichten von alarmierend starken                                         Wie schon erwähnt, brauchen Betroffene von
Zunahmen negativer Dublin-Bescheide für                                           Menschenhandel Zeit, Ruhe und eine vertrau-
Betroffene von Menschenhandel seit Anfang                                         ensvolle Situation, um das Erlebte benennen zu
2018. Nach den Erfahrungen der FBS wurden                                         können. Beschleunigte Asylverfahren stehen
bei Dublin-Anhörungen die speziell geschulten                                     diesem Prozess vehement im Wege. In Folge
Sonderbeauftragten z. T. nicht einbezogen. In                                     dessen werden mögliche Betroffene nicht
manchen Fällen werden die Stellungnahmen                                          erkannt und können von ihren Rechten keinen
von Sonderbeauftragten als nicht erforderlich                                     Gebrauch machen.
erachtet.17 Eine erhöhte Gefahr der Reviktimi-
sierung in den jeweiligen Tatort-Ländern wird                                     FBS bemängeln hier jedoch nicht nur die
oftmals mit dem Verweis, dass diese Staaten                                       erschwerte Identifizierung von und den
Teil der EU sind, verharmlost oder bagatelli-                                     Zugang zu möglichen Betroffenen, sondern
siert. Eine Schutzgewährung bzw. Ausübung                                         ebenso die Form der Unterbringung in den
des Selbsteintrittsrechts für die Betroffenen                                     Zentren für Ankunft, Entscheidung und
erfolgt in diesen Fällen nicht. Vermehrt sollen                                   Rückführung (AnkER-Zentren). Neben den
Rücküberstellung nach Italien erfolgen, wo                                        fehlenden Informations- und Beratungsange-
erwiesenermaßen ein sehr gut funktionie-                                          boten sind Betroffene teilweise gemeinsam
rendes Netzwerk der Menschenhändler*innen                                         mit Täter*innen untergerbacht. Die Lebens-
aus Nigeria existiert. Diese Tatsache wurde                                       umstände, in Form der Unterbringung in Mehr-
auch zuletzt (Juni 2020) in einem Länderreport                                    bettzimmern, geteilter Nutzung der sanitären
des BAMF über Nigeria bestätigt.18                                                Anlagen und großen Speisesälen, lassen kaum
                                                                                  Intims- und Privatsphäre oder Rückzugs-
Die geschilderten Erfahrungen zeigen, dass                                        möglichkeiten zu. Die beengten Räumlich-
selbst nach einer Identifizierung der Betrof-                                     keiten erhöhen die Gefahr, erneut übergrif-
fenen kein Schutz vor Abschiebung oder Rück-                                      figem Verhalten ausgesetzt zu sein. Darüber
überstellung auf Grundlage der Dublin-Verord-                                     hinaus hat die derzeitige COVID-19-Pandemie
nung besteht.                                                                     noch einmal verdeutlicht, was Fachberatungs-
                                                                                  stellen schon von Beginn an kritisierten: die
                                                                                  Unterbringung in Sammelunterkünften ist
Beschleunigte Asylverfahren und                                                   menschenunwürdig und gesundheitsgefähr-
Unterbringung in AnkER-Zentren                                                    dend; und das nicht nur in Pandemie-Zeiten.
                                                                                  Für Menschen, die u. a. aus Krisengebieten vor
Ein weiteres großes Problem sind die                                              Not, Armut, Folter, Krieg, Menschenhandel
beschleunigten Asylverfahren19, da hierdurch                                      und Ausbeutung flüchten konnten, ist eine
die Möglichkeit zur Identifizierung wesent-                                       sichere und geschützte Unterbringung zwin-
lich erschwert wird. Die Betroffenen müssen                                       gend notwendig, in der sie weitestgehend
schon in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft                                      frei und selbstbestimmt agieren können und
eine Anhörung durchlaufen. Dies erschwert                                         Zugriff auf umfassende Informationen und
es den Anhörer*innen, die zudem meist nicht                                       Unterstützungsangebote haben.
speziell zum Thema Menschenhandel geschult
sind, mögliche Anzeichen auf Menschenhandel                                       Es ist essenziell, dass alle Akteure in den Schutz-
zu erkennen. Vor allem aber haben die Betrof-                                     und Unterstützungsstrukturen für Geflüch-
fenen meistens nur sehr eingeschränkten                                           tete genügend sensibilisiert und geschult sind,
Zugang zu externen Beratungsstellen und                                           um frühzeitig (bereits vor der Anhörung) eine
zu wenig Zeit, um eine umfangreiche Bera-                                         besondere Vulnerabilität wie die Betroffenheit
tung in Anspruch nehmen zu können und sich                                        von Menschenhandel zu erkennen und eine
ihrer Situation und Rechte bewusst zu werden.                                     entsprechende Unterstützung anzubieten.

17. Meding, R. L. (2019). Grundrechtsschutz gegen Abschiebungen gemäß der Dublin-III-Verordnung von Betroffenen des Menschenhandels. Eine Untersuchung
    der aktuellen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte. S. 10. Berlin: KOK – Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel.
18. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2020). Länderreport 27. Nigeria. Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Abgerufen am
    17.08.2020 von https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/Laenderreporte/2020/laenderreport-27-nigeria.pdf;jsessioni
    d=28EB44D9C8869BD04B3051EE5CD11E81.internet541? _ _ blob=publicationFile&v=3.
19. Nach dem beschleunigten Verfahren gemäß § 30a AsylG wird in einer besonderen Aufnahmeeinrichtung das Asylverfahren durchführt, wenn die Asylsuchen-
    den z. B. aus einem sicheren Herkunftsland stammen oder einen Folgeantrag gestellt haben. Innerhalb einer Woche soll dort über den Asylantrag entschieden
    werden. Bei einem negativen Bescheid auf den Asylantrag erfolgt die Abschiebung aus der Einrichtung heraus innerhalb von drei Wochen.
6   Policy Paper Problembeschreibung

                    2.3 Herausforderungen für die spezi-
                        alisierten Fachberatungsstellen

                    Die spezialisierten Fachberatungsstellen für
                    Betroffene von Menschenhandel können auf
                    eine langjährige Praxis des Beratens und
                    Begleitens von Betroffenen, die Asyl bean-
                    tragen, zurückblicken. Schon vor dem Jahr 2015
                    befanden sich Betroffene von Menschenhandel,
                    die aus Drittstaaten kamen, im deutschen Asyl-
                    verfahren und waren in FBS angebunden. Im
                    Zuge der höheren Anzahl an Schutzsuchenden
                    in Deutschland haben auch die FBS einen
                    Anstieg von Fallzahlen verzeichnet. Damit
                    verbunden sind Herausforderungen für die
                    FBS: eine Erweiterung ihrer Aufgaben und die
                    Veränderung von Anforderungen an die Bera-
                    tungsarbeit. Dazu kamen neue Anforderungen
                    an die Vernetzung mit weiteren relevanten
                    Akteuren in Behörden wie BAMF und Bundes-
                    polizei sowie der Unterstützungsstruktur für
                    Geflüchtete.

                    Die Finanzierung von Fachberatungsstellen
                    ist nicht ausreichend und langfristig genug
                    abgesichert, um all diesen Anforderungen im
                    notwendigen Umfang nachkommen und dieser
                    Zielgruppe vollumfängliche Beratungs- und
                    Unterstützungsangebote anbieten zu können.
                    Dies führt dazu, dass nicht mehr alle hilfesu-
                    chenden Betroffenen von Menschenhandel
                    sofort unterstützt werden können.
Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen Empfehlungen   7

3. EMPFEHLUNGEN

Vor dem Hintergrund der immer ausdifferen-                                            nahmeeinrichtungen für Geflüchtete – in
zierteren Strukturen, in denen sich Geflüchtete                                       AnkER-Zentren und Erstaufnahmeeinrich-
bewegen, mit einer Vielzahl an Akteuren, wird                                         tungen – muss erleichtert werden, um vor
eine umfassende Sensibilisierung und eine gut                                         Ort beraten zu können und ggf. Aufklä-
funktionierende Kooperation und Vernetzung                                            rungsarbeit über das Phänomen Menschen-
aller relevanten Akteure in der Schutz- und                                           handel zu gewährleisten.
Unterstützungsstruktur umso bedeutender.
Die Identifizierung möglicher Betroffener
bleibt aufgrund fehlenden Wissens, dem Über-                                     ›    Besonders Schutzbedürftige sollten früh-
sehen oder Fehlinterpretieren von Indikatoren                                         zeitig im Asylverfahren identifiziert wer-
und Sachverhalten sowie aufgrund verkürzter                                           den, um entsprechende Schutzmaßnahmen
Fristen und erschwerter Zugänge zu FBS oft aus.                                       einzuleiten. Es sollten bundesweit ange-
                                                                                      messene Verweis- und Unterstützungsver-
Um eine systematische Identifizierung von                                             fahren vorhanden sein.
Betroffenen von Menschenhandel möglichst
schon zu Beginn des Asylverfahrens sicherzu-
stellen und gewährleisten zu können, sollten                                     ›    Schulungen und Sensibilisierungsmaßnah-
folgende Empfehlungen berücksichtigt werden:                                          men relevanter Akteure in den Schutz- und
                                                                                      Unterstützungsstrukturen für Geflüchtete
                                                                                      zu Indikatoren von Menschenhandel und der
                                                                                      Arbeit der spezialisierten Fachberatungs-
3.1 Empfehlungen an Bund und Länder                                                   stellen, insbesondere für Mitarbeiter*innen
                                                                                      der (Bundes-)Polizei, Registrierungsbehör-
›   Die Finanzierung von Unterstützungsein-                                           den und Mitarbeiter*innen in den (Erst-)
    richtungen für Geflüchtete sowie der spezi-                                       Aufnahmeeinrichtungen sowie Beratungs-
    alisierten Fachberatungsstellen für Betrof-                                       stellen20 für Geflüchtete, sollten regelmäßig
    fene von Menschenhandel muss gesichert                                            stattfinden.
    sein, um den Herausforderungen begeg-
    nen zu können, aber auch, um neue Ansätze
    zu entwickeln und einen flächendecken-                                       ›    Die Sicherstellung eines niedrigschwelli-
    den Ausbau der Fachberatungsstellen zu                                            gen Zugangs zu Rechtsberatung sowie einer
    gewährleisten.                                                                    unabhängigen und ausführlichen Asylver-
                                                                                      fahrensberatung bzw. Anhörungsvorbe-
                                                                                      reitung, auch vor einem Dublin-Verfahren,
›   Ein menschenwürdiger Umgang und eine                                              muss gewährleistet werden.
    adäquate Unterbringung Asylsuchender
    muss bundesweit gewährleistet sein. Diese
    umfasst u. a. das Recht auf Privatsphäre,
    Maßnahmen des Schutzes vor Infektio-
    nen/Einhaltung der Hygienestandards, das                                     3.2 Empfehlungen an die
    Selbstbestimmungsrecht – auch, was die                                           Unterstützungsstrukturen
    Mahlzeiten/das Essen betrifft – oder die
    freie Ärzt*innenwahl.                                                        ›    Schutzsuchenden muss psychosoziale
                                                                                      Unterstützung angeboten werden, um
                                                                                      erlebte Gewalterfahrungen und Ausbeu-
›   Der Zugang von Mitarbeiter*innen der                                              tung auf dem Fluchtweg nach Deutschland
    Fachberatungsstellen zu besonderen Auf-                                           verarbeiten zu können.

20. Allgemeine Beratungsstellen für Geflüchtete spielen eine große Rolle bei der Identifikation von Betroffenen von Menschenhandel. So zeigt die Bestands-
    aufnahme, dass der Anteil der von Menschenhandel betroffenen Klient*innen, der von Mitarbeiter*innen in der Beratungs- und Unterstützungsstruktur für
    Geflüchtete identifiziert und an die FBS weitergeleitet wurde, im Erfassungszeitraum deutlich angestiegen ist.
8   Policy Paper Empfehlungen

                    ›   Zeitgleich müssen niedrigschwellige Ange-     3.4 Empfehlungen an das BAMF
                        bote für Geflüchtete geschaffen werden.
                        Die Entwicklungen in der Unterstützungs-      ›   Mitarbeiter*innen     des    BAMF      (u. a.
                        struktur für Betroffene von Menschenhan-          Verfahrensberater*innen,      Sonderbeauf-
                        del zeigen, dass Maßnahmen wie bspw.              tragte für Opfer von Menschenhandel,
                        Frauencafés dazu beitragen, das Vertrauen         Entscheider*innen und Anhörer*innen), als
                        von geflüchteten Frauen aufzubauen und            die wichtigsten Akteure bei der Identifizie-
                        Kontakt zu Betroffenen von Menschenhan-           rung der Betroffenheit von Menschenhan-
                        del herzustellen.                                 del innerhalb des Asylverfahrens, müssen
                                                                          bundesweit ausreichend sensibilisiert und
                                                                          geschult sein, um die Betroffenen proaktiv
                    ›   Asylsuchende müssen trotz der evtl. ver-          zu erkennen.
                        kürzten Asylverfahrensdauer umfassend
                        zu ihren Rechten und Unterstützungsmög-
                        lichkeiten für Betroffene von Menschen-       ›   Die Anzahl der für die Thematik Menschen-
                        handel informiert werden.                         handel grundsensibilisierten Anhörer*innen
                                                                          und Entscheider*innen muss verfestigt bzw.
                                                                          erhöht werden.
                    ›   Der Ausbau der regionalen und bundeswei-
                        ten Vernetzung der im Kontext von Flucht
                        arbeitenden Einrichtungen, Beratungsstel-     ›   Sonderbeauftragte für Opfer von Men-
                        len, Gewaltschutzkoordinator*innen und            schenhandel müssen in die Entscheidungen,
                        Initiativen muss intensiviert werden.             auch bei Dublin-Fällen, tatsächlich einbe-
                                                                          zogen werden, wobei ihr Votum Durchset-
                                                                          zungskraft haben muss.

                    3.3 Empfehlungen an die Politik                   ›   Eine Kooperation zwischen den FBS und
                                                                          den Dublin-Referaten sollte etabliert wer-
                    ›   Abschaffung der beschleunigten Asylver-           den.
                        fahren, um potentiell Betroffene von Men-
                        schenhandel und Ausbeutung (aber auch
                        weitere besonders schutzbedürftige) iden-     ›   Die Zusammenarbeit zwischen den Sonder-
                        tifizieren zu können.                             beauftragten für Opfer von Menschenhan-
                                                                          del des BAMF und den spezialisierten Fach-
                                                                          beratungsstellen muss weiter gefestigt und
                    ›   Das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 der         ausgebaut werden. Bei Verdacht auf Men-
                        Dublin-III-VO soll bei Betroffenen von Men-       schenhandel sollten spezialisierte Fach-
                        schenhandel ausgeübt werden.                      beratungsstellen einbezogen werden. Die
                                                                          Expertise von Fachberatungsstellen sollte
                                                                          vom BAMF respektiert und anerkannt wer-
                    ›   Vorgaben zur systematischen Erkennung             den.
                        besonders schutzbedürftiger Personen im
                        Asylverfahren sollen entwickelt werden.
Policy Paper
Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen:
Problembeschreibung und Handlungsempfehlungen«

Herausgegeben vom
Bundesweiten Koordinierungskreis gegen Menschenhandel – KOK e. V.

Bundesweiter Koordinierungskreis
gegen Menschenhandel e.V.

Lützowstraße 102-104
Hof 1, Aufgang A
10785 Berlin

T 030 / 263 911 76
F 030 / 263 911 86

info@kok-buero.de
www.kok-gegen-menschenhandel.de

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Gestaltung und Satz: Kathrin Windhorst / www.kwikwi.org

Berlin, November 2020
©KOK e. V.
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