Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten
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Stadtentwicklung Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten Annalena Baerbock, Irene Mihalic Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten Erste Lehren aus der Hochwasserkatastrophe – ein Autorinnenpapier vom 26. Juli 2021 Die Starkregenfälle und das Hochwasser der vergangenen Tage in Teilen Deutschlands mit über 170 Toten ist eine der schlimmsten Naturkatastrophen der deutschen Geschichte. Häuser sind in den Fluten verschwunden und Stra- ßen, Bahngleise und Brücken zerstört. Ganze Existenzen der Menschen vor Ort sind vernichtet. Die Versorgung mit Trinkwasser und Strom ist in einigen Regionen zusammengebrochen. Es wird Jahre dauern, bis alle Häuser, Kitas, Klärwerke, die vielen zerstörten Gebäude wiederaufgebaut, die mehr als 600 Kilometer zerstörten Bahngleise re- pariert und Brücken sowie Straßen wieder instand gesetzt sind. Erste Schätzungen gehen von Schäden durch die Hochwasserkatastrophe von mehreren Milliarden Euro aus. Deshalb braucht es jetzt schnelle und unbürokratische Hilfen für die Betroffenen sowie für den kommunalen Wiederaufbau in enger Abstimmung zwischen Bund und Län- dern. Beeindruckend ist, wie Hilfsorganisationen, Helferinnen und Helfer sofort anpackten und unterstützten. Ihnen allen gilt ein besonderer Dank. In den betroffenen Regionen sind lokal extreme Regenmen- Neben Klimaanpassungsmaßnahmen müssen der Katas- gen von bis zu 250 Liter pro Quadratmeter in kürzester Zeit trophenschutz und die Katastrophenhilfe für solche über- gefallen. Das Wasser hat kleine Bäche in reißende Ströme regionalen Ereignisse für die Zukunft besser ausgestaltet verwandelt und ganze Ortsteile verwüstet. Die Katastrophe werden. Es ist jetzt Aufgabe von Bund, Ländern und Kom- reiht sich in eine Folge von klimabedingten Naturkatastro- munen, die Schwachstellen zu analysieren und daraus zu phen ein, die wir in den vergangenen Jahren in Deutschland lernen. Denn diese wurden teils bereits bei Extremereig- und Europa erlebt haben: Die Klimakrise wird uns mehr und nissen, wie Waldbränden oder in der COVID-19-Pande- extremere Unwetter bringen, häufigere und langanhaltende mie, sichtbar und haben in der aktuellen Lage noch mal Dürrephasen, Waldbrände, Starkregenereignisse und Über- an Brisanz gewonnen. Dabei muss es unser gemeinsamer schwemmungen. Die Ereignisse machen deutlich, dass wir Anspruch sein, die Stärke unserer föderalen Struktur zu die Menschen und unsere Städte, Dörfer und Infrastruktu- nutzen und zugleich die überregionale Zusammenarbeit ren vor solchen Extremwettern besser schützen müssen. zu stärken. So stellen wir sicher, dass die richtige Hilfe am richtigen Ort zur richtigen Zeit ankommt. Nur so können Menschen besser geschützt, Schäden begrenzt und unsere Infrastruktur bewahrt wer- den. Dazu gehören: 1. Zusammenarbeit im föderalen Katastro- phenschutz stärken – Zentralstelle beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz schaffen Katastrophenschutz ist in Deutschland laut Grundgesetz zuallererst Aufgabe der Bundes- länder. Das ist historisch gewachsen und auch sinnvoll, da die Behörden und Organisationen vor Ort im Katastrophenschutzfall regionale Be- sonderheiten am besten kennen sowie hand- lungs- und leistungsfähig sind. Das Rückgrat dieser föderalen Struktur bilden die überwie- gend ehrenamtlichen Mitglieder der Hilfsorga- nisationen. Durch den dezentralen Aufbau un- Abb. 1: Zerstörungen an der Ahr im Juli 2021 (Foto: C. George) seres Hilfeleistungssystems ist sichergestellt, vhw FWS 1 / Januar–Februar 2022 11
Stadtentwicklung Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten dass Hilfe schnell in allen Teilen des Landes verfügbar ist. Software, klare Zuständigkeiten und notwendige Doppelun- Der Bund trägt in Deutschland die Verantwortung für den gen bzw. Rückfallebenen kann einer Überlastung und Über- Zivilschutz im Verteidigungsfall und kann auf Anfrage der forderung wichtiger lokaler Strukturen vorgebeugt werden. Länder mit seinen Fähigkeiten die Länder im Katastrophen- Valide Lageinformationen sind im Bevölkerungsschutz es- fall unterstützen. senziell und entscheiden oft über den Erfolg der Maßnah- Doch es ist an der Zeit, diese Strukturen mit Blick auf große men. Wir wollen, dass diese allen jederzeit zur Verfügung Naturkatastrophen, Unglücksfälle und besondere Lagen, stehen: durch die Vereinheitlichung von Schnittstellen und die das gesamte Bundesgebiet betreffen oder bundeslän- Software, Digitalisierung analoger Strukturen, Standardi- der- und regionenübergreifend sind, weiterzuentwickeln. sierung notwendiger Kennzahlen und verpflichtende Mel- Der Grundsatz für die Zusammenarbeit zwischen Bund, deverfahren und insbesondere den Ausbau des gemeinsa- Ländern und Kommunen muss die Dezentralität bei star- men Lagezentrums von Bund und Ländern (GMLZ) zu einem ker Koordinierung sein. Dazu muss das Bundesamt für Be- gemeinsamen, ständigen Krisenstab der nichtpolizeilichen völkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mit einer Gefahrenabwehr respektive des Bevölkerungsschutzes. Zentralstellenkompetenz für den Bevölkerungsschutz zur Die operativen Fähigkeiten des Technischen Hilfswerks Unterstützung der Länder ausgestattet werden, neben ei- (THW) wollen wir mit dem BBK besser verzahnen und zu- ner erheblichen personellen Aufstockung. Ähnliches gibt es sammenführen. Des Weiteren wollen wir die Fähigkeiten beispielsweise im polizeilichen Bereich mit dem Bundes- der Hilfsorganisationen und weiterer Partner der nichtpoli- kriminalamt (BKA). Dies bedarf einer Änderung im Grund- zeilichen Gefahrenabwehr mit denen des THW stärker ver- gesetz. zahnen und an das BBK und das GMLZ anbinden. Wir wollen, dass der Bund in bestimmten Lagen besonde- Durch den Bund beschaffte bzw. betriebene Einsatzmittel, ren Ausmaßes koordinierende Aufgaben übernimmt und wie etwa die Zivilschutzhubschrauber oder andere am Boden den Informationsfluss steuert. Das BBK muss dann z. B. gebundene Einsatzmittel, sollen in Organisation, Steuerung Bewertungen und Handlungsempfehlungen an die Länder und Verfügbarkeit im Einsatzfall stärker an das BBK ange- geben dürfen. Hierzu müssen auf Bundesebene alle Infor- bunden und an neue Herausforderungen, wie etwa die Aus- mationen über Fähigkeiten, Ressourcen sowie Entwicklun- stattung von Rettungshubschraubern mit Rettungswinden, gen zusammenlaufen und fortlaufende Lagebilder erstellt angepasst werden. Dazu werden wir die Zuweisungsverfü- werden. Dabei ist es notwendig, dass Länder und Kommu- gung dieser Einsatzmittel an die Länder weiterentwickeln. nen zukünftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend Informationen an den Bund melden. Hierzu zählen z. B. In- Ein besonderes Augenmerk muss auf den Schutz kritischer formationen über die Verfügbarkeit von Einsatzmitteln der Infrastruktur (KRITIS) gelegt werden, um die Versorgung Feuerwehren mit Standortinformationen, die Verfügbarkeit der Menschen auch in einer Krise weiterhin sicherstellen von Intensivbetten, Unterbringungskapazitäten, der Sta- zu können. Dafür muss neben dem Schutz vor Cyberan- tus der kritischen Infrastruktur oder die Bereitschaft von griffen der physische Schutz als gemeinsame Aufgabe von Hubschraubern oder anderer Spezialkapazitäten der Bun- Betreibern kritischer Infrastrukturen stärker in den Fokus deswehr und des Gesundheitssektors. Durch diese bes- rücken. Durch ein KRITIS-Dachgesetz können vorsorgende sere Koordinierung können Fähigkeiten und Ressourcen Maßnahmen bei den Betreibern gestärkt, eine Basis für das schnellstmöglich an dem Ort zur Verfügung stehen, an dem gemeinsame Handeln von privaten und staatlichen Betrei- sie benötigt werden. So werden auch die Hilfsorganisatio- bern in der Krise gelegt und so die Versorgungssicherheit nen entlastet. Dabei ist wichtig, dass die Daten fortlaufend der Menschen direkt erhöht werden. aktualisiert und nach Möglichkeit live und tagesaktuell ab- 2. Nationale Resilienzstrategie gerufen werden können. Katastrophen nationaler Tragweite sind ressortübergreifen- Bund und Länder müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, de Lagen, die eine ressortübergreifende Steuerung benöti- dass diese Struktur auf der Landesebene gespiegelt wird. gen. Dabei können die Anforderungen und benötigten Be- Dazu bedarf es der Einrichtung entsprechender Landes- darfe so unterschiedlich wie die denkbaren Szenarien sein. katastrophenschutzstellen. Nur so kann sichergestellt Eine Pandemie ist in erster Linie eine Herausforderung für werden, dass Informationen aus den Kommunen zügig die den Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Sie Landes- und Bundesebene erreichen und umgekehrt. Dazu fordert aber auch ein enges Zusammenspiel mit den Orga- wird es u. a. flächendeckend wirkungsvolle Landesgesetze nisationen des Katastrophenschutzes. Naturkatastrophen zum Katastrophenschutz, Katastrophenschutzbedarfspläne können großflächig KRITIS, wie die Stromversorgung, außer und ein organisatorisches sowie technisches Ineinander- Funktion setzen. Die Wiederherstellung erfordert ein enges greifen von Krisenstabs- und Leitstellenarbeit geben müs- Zusammenspiel von Privatwirtschaft und Katastrophen- sen. Nur durch einen linearen Führungsaufbau, einheitliche schutz. In der Folge können u. a. Lieferketten unterbrochen 12 vhw FWS 1 / Januar–Februar 2022
Stadtentwicklung Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten werden und die Lebensmittelversorgung gefährdet sein. Die schnell eine Anordnung durch die Bundesnetzagentur und Klimakrise droht, diese Gefahren weiter zu verschärfen. ggf. eine gesetzliche Verpflichtung im Gesetz über den Zi- vilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) für Darüber hinaus stellen sogenannte hybride Gefahren, die die Betreiber, die diesen Dienst zur Verfügung stellen. äußere Sicherheit schwierig machen, eine große Gefahr für unsere Gesellschaft dar. Das „Sendai-Rahmenwerk“ zur 4. Stärkung der Frühwarnsysteme und Krisenforschung Katastrophenvorsorge der Vereinten Nationen beschreibt Auch wenn manche Wetterphänomene, wie Starkregen- die Notwendigkeit der Katstrophenvorsorge mit der Zielset- ereignisse, verhältnismäßig schwierig vorherzusehen sind, zung der Steigerung der Resilienz gegenüber Katastrophen. weil sie häufig sehr kurzfristig und lokal auftreten, braucht Deutschland hat sich zur Umsetzung des Rahmenwerks es hier weitere Forschung und ein engmaschiges Monitoring verpflichtet. Das BBK hat gemeinsam mit vielen Akteuren von neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dazu wollen erste Schritte zur Umsetzung unternommen. wir die Unwetterforschung beim Deutschen Wetterdienst Wir wollen, dass eine nationale Resilienzstrategie das Dach (DWD) stärken, um lokale und kleinräumige Vorhersagen für alle Aktivitäten zur Katastrophenvorsorge und Erhöhung von Wetterereignissen besser treffen zu können. Außerdem der Resilienz der Bevölkerung in Deutschland wird. Dazu möchten wir die Forschung für zivile Sicherheit stärker mit müssen wir eine umfassende, ressortübergreifende na- der Klimaforschung verschränken, um die Ergebnisse in die tionale Resilienzstrategie entwickeln, die diesem Anspruch Katastrophenszenarien der zuständigen Behörden einfließen gerecht wird. Die Erarbeitung und Zusammenführung der zu lassen. Zusätzlich muss die Weiterentwicklung der Mess- Strategie muss ressortübergreifend gebündelt werden und und Beobachtungsinfrastruktur sowie der Datenauswertung die Länder miteinbeziehen. auch in neuen, interdisziplinären Modellverbünden auf Dauer sichergestellt werden. In einem ersten Schritt sollen für die 3. Verbesserung der Warnsysteme im Bevölkerungs- Klima- und Klimafolgenforschung 100 Millionen Euro zusätz- schutz lich bereitgestellt werden. Die Forschungsprojekte sollen In Katastrophenfällen ist eine frühzeitige und vielfältige zum Ziel haben, die Ergebnisse der Modellierungen sobald Kommunikation eines der entscheidenden Kriterien, um wie möglich in die Hochwasserschutzplanungen und Katas- Menschen zu schützen und Schäden zu verringern. Eine trophenschutzpläne vor Ort einfließen zu lassen. moderne Krisenkommunikation muss unterschiedliche In Regionen mit einem hohen Risiko für Extremwetterereig- Medienkanäle nutzen, um sicherzustellen, dass alle Be- nisse, wie Hochwasser oder Tornados, können Freiwillige völkerungsgruppen erreicht werden. Dazu gehört auch, im Sinn des lokalen Selbstschutzes das Monitoring von dass die Informationen verständlich aufbereitet sind und Hochwassermeldungen und Unwetterwarnungen des DWD klare Handlungsempfehlungen enthalten. Die Warnungen als Teil der Feuerwehren oder Wasserwehren übernehmen, müssen so gestaltet werden, dass sie besonders vulne- um so frühzeitig mögliche Einsätze vorzubereiten. Spezielle rable Gruppen, wie beispielsweise ältere Menschen oder Wasserwehren, oft als Teil der Feuerwehren, werden in ei- Personen mit Behinderungen, erreichen. Zusammen mit nigen Regionen, u. a. in Thüringen und in Sachsen-Anhalt, den Ländern wollen wir eine gesetzliche Grundlage für die seit einiger Zeit erprobt. Wir regen an, deren Erfahrungen in Schaffung eines Hilfe- und Evakuierungsregisters schaf- einem länderweiten Modellprojekt aufzugreifen und als Teil fen, mit dem im Katastrophenfall besonders hilfsbedürf- des Hochwasserschutzes zu verstetigen. tige Menschen schnell unterstützt oder gerettet werden können. 5. Ehrenamt im Katastrophenschutz stärken und Spontanhelfende besser einbinden Essenziell ist auch die Schaffung eines flächendeckenden Die rund 1,8 Millionen ehrenamtlichen Mitglieder der Blau- Netzes von verschiedenen und lageangepassten Kommu- lichtorganisationen bilden mit ihrem freiwilligen Enga- nikationskanälen, die von Sirenen über den Weckruf bis gement das Rückgrat des Bevölkerungsschutzes und der hin zu digitalen Plattformen, wie der Warnapp „NINA“, Katastrophenhilfe und sind damit eine wichtige Säule der für umfangreiche Hinweise reichen sowie eines Ausbaus inneren Sicherheit in Deutschland. Damit sind mehr als 90 des Modularen Warnsystems (MoWas) des BBK. Zusätz- % der Einsatzkräfte in diesem Bereich ehrenamtlich tätig. lich zu den bestehenden Warnwegen braucht es ein robus- Dieser wichtige Beitrag für unsere Gesellschaft braucht tes und niedrigschwelliges System für Notfallnachrichten mehr Anerkennung, die über die aktuelle Katastrophe hi- durch Cell Broadcasting. In vielen Ländern, wie Griechen- nausgeht. land, Italien, Rumänien oder Israel, wird dieses System in Katastrophenfällen erfolgreich genutzt. Mit Cell Broad- Wir brauchen deshalb ein Ehrenamtskonzept für die Blau- casting erreicht man alle Empfänger in einer Funkzelle – lichtorganisationen, das das Ehrenamt fördert, Barrieren man braucht nicht mal ein Smartphone dafür. Ein norma- abbaut und Anerkennung ausdrückt. Um dem Nachwuchs- les Handy reicht aus. Dazu braucht es auf Bundesebene mangel bei den Hilfsorganisationen entgegenzuwirken, vhw FWS 1 / Januar–Februar 2022 13
Stadtentwicklung Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten müssen Werbemaßnahmen für ein Engagement auch durch deren Angehörige brauchen in der Zeit der Krise psychoso- den Bund mit unterstützt und neue Formen eines Mitei- ziale Unterstützung. Auch die Hilfe für die Helfenden selbst nanders von Ehrenamt und Teilzeithauptamt entwickelt muss weiter gestärkt werden und darf auch nach dem Ende werden. Zudem muss das Ehrenamt an Schulen und Hoch- des Einsatzes nicht aus dem Blick geraten. Zusammen mit schulen Bestandteil und Gegenstand des Unterrichts bzw. den Ländern wollen wir eine flächendeckende gesetzliche Bildungsangebots sein. Regelungslage von Versorgungsansprüchen und Zustän- digkeiten in der psychosozialen Notfallversorgung schaffen. Zusammen mit den Ländern wollen wir die Regelungen in den Katastrophen- und Brandschutzgesetzen der Län- Die Koordinierungsstelle „NOAH“ zur Nachsorge, Opfer- der dahingehend harmonisieren und ausbauen, dass die und Angehörigenhilfe beim BBK wollen wir weiterent- Sonderurlaube und Freistellungen von Freiwilligen (auch wickeln und für Katastrophen besonderen Ausmaßes im in Hilfsorganisationen) zum ehrenamtlichen Einsatz bun- Inland nutzbar machen, die bisher nur für deutsche Staats- desweit unbürokratisch, schnell und bei Lohnfortzahlung angehörige bei Katastrophen im Ausland gelten. Dadurch ermöglicht werden. Kein Ehrenamtlicher sollte das Enga- können Menschen in Krisenlagen eine geschulte Beratung gement für die Gesellschaft vor dem Arbeitgeber verste- erfahren und kommunale Stellen entlastet werden. cken müssen oder Nachteile erfahren. Ein Arbeitgeber, der freiwilliges Engagement unterstützt, darf ebenfalls keine Nachteile erfahren. Eine Rahmengesetzgebung zur Helfer- freistellung und Erstattung sollte im Rahmen der Innenmi- nisterkonferenz (IMK) erarbeitet werden. Eine Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit kann auch mit vielen kleinen, aber wertschätzenden Maßnahmen aus- gedrückt werden. Eine bundesweit gültige Ehrenamtskarte kann Vergünstigungen für öffentliche Einrichtungen vorse- hen, oder im Ehrenamt erlernte Fähigkeiten können in Beruf, Ausbildung oder Studium anerkannt werden. Ein wichtiger Bestandteil der Wertschätzung ist zudem, dass Ausrüstung, Ausstattung und Liegenschaften jederzeit auf dem neuesten Stand sind. Den Sanierungsbedarf bei den Liegenschaften des THW wollen wir entschieden angehen. Ehrenamtliches Abb. 2: Einsatz im Katastrophengebiet (Foto: Thomas Dreifke/Feuerwehr Engagement wollen wir auch auf digitale Bereiche ausweiten Bocholt) und z. B. ein Cyberhilfswerk einrichten. 7. Europäische Zusammenarbeit stärken und gemein- Zudem möchten wir Spontanhelfende besser in die pro- same Flugstaffel aufbauen fessionellen Strukturen einbinden. Dafür braucht es eine bundesweite Plattform, die Hilfe nach Bedarf und Fähig- Katastrophen machen nicht an Ländergrenzen halt. Große keit koordiniert. Ein solches „Bundes-Freiwilligen-Kontakt- Schadenslagen können schnell mehrere Staaten betreffen Zentrum“ bündelt dann sowohl personelle Ressourcen als oder einzelne Länder überfordern. So auch im aktuellen auch die Verfügbarkeit von Spezialmaschinen und ordnet Fall, in dem Regionen in Belgien oder Österreich ebenfalls diese regional zu, wo sie gebraucht werden. Dazu zählt stark betroffen sind. Die Europäische Kommission hat aus schweres Gerät, wie Traktoren von Landwirten, Baumaschi- diesem Grund den Aufbau gemeinsamer europäischer Re- nen von Unternehmen oder Fähigkeiten von Handwerkern serven, der „rescEU“, initiiert, die zunächst von der Bun- oder Gesundheitspersonal. In Großbritannien gibt es dies desregierung ablehnend betrachtet wurden. Die europäi- etwa mit den „Volunteer Reception Centres“ und einer App schen Reserven halten unter anderem Löschflugzeuge zur zur Koordination von Freiwilligen. Bekämpfung von Vegetationsbränden, Rettungshubschrau- ber zur Notfallversorgung oder Hochleistungspumpen für 6. Notfallseelsorge stärken und den Helfenden helfen Überschwemmungen vor. Die gegenseitige Unterstützung Bei Katastrophen mit vielen Opfern kommt es nicht nur auf im Katastrophenfall ist nicht nur gelebte Solidarität inner- deren medizinische Versorgung, sondern auch auf die psy- halb der europäischen Wertegemeinschaft, sondern ist am chosoziale und seelsorgerische Krisenintervention an. Die Ende auch für die Mitgliedsstaaten günstiger, als wenn je- Notfallseelsorge muss durch eine bessere Koordinierung des Land eigene und umfassende Spezialressourcen vor- ihrer Einsätze vor Ort gestärkt werden. Auch hier müssen hält. Die Reserve bildet vor allem die Möglichkeit, bei be- die Helfenden für die Zeit des Einsatzes flächendeckend sonders schweren Schadenslagen die betroffenen Staaten vom Beruf freigestellt werden. Aber nicht nur die Opfer und bestmöglich zu unterstützen. 14 vhw FWS 1 / Januar–Februar 2022
Stadtentwicklung Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe zukunftsfähig und krisenfest gestalten Wir wollen, dass der europäische Katastrophenschutzme- Schutzkonzepte für Gefahrenlagen und gefährdete Regio- chanismus und die europäische Reserve „rescEU“ weiter nen zu erstellen. Zudem sollte das BBK niedrigschwellig ausgebaut werden und Deutschland eine aktive Rolle bei Informationen und Bildungsangebote für Bürgerinnen und der Weiterentwicklung einnimmt sowie zusätzliche Res- Bürger zu Prävention und Verhalten während einer Gefah- sourcen einbringt. Wir wollen außerdem, dass die länder- renlage bereitstellen. übergreifende Zusammenarbeit durch Übungen verschie- dener Nationen gestärkt wird. 10. Notfallreserven stärken Wir brauchen eine stärkere Notfallbevorratung von Gütern, 8. Technik und Fähigkeiten den veränderten Lagen an- die in der Krise knapp sind und gebraucht werden. Die CO- passen VID-19-Krise hat uns auf dramatische Weise gezeigt, dass Die Zunahme an Extremwettereignissen bedarf einer An- Schutzausrüstung nicht in ausreichendem Maße vorhanden passung der Technik und Fähigkeiten des Katstrophen- war. Der Bund hat inzwischen auf diese Situation reagiert und schutzes. Im besonderen Maße stellen die Starkregenereig- die für den Verteidigungsfall vorgesehene Sanitätsmittelbe- nisse sowie die Dürreperioden und Hitzewellen eine Gefahr vorratung um entsprechende Komponenten erweitert sowie dar, die fortlaufende Anpassungen des Katastrophenschut- eine Nationale Reserve Gesundheitsschutz auf den Weg ge- zes erfordern. Die in den vergangenen Jahren angestoße- bracht. Eine umfassende Vorhaltung von Reserven kennen nen Investitionen des Bundes in das THW sowie in die er- wir in Deutschland aktuell vor allem aus dem Bereich der gänzende Ausstattung des Katastrophenschutzes müssen Versorgung mit Lebensmitteln, die im Rahmen des Ernäh- fortgeschrieben und angepasst werden. Dazu gehört ins- rungssicherstellungs- und Vorsorgegesetzes geregelt ist. besondere eine Stärkung der Luftrettung in Verantwortung Außerdem müssen die Kapazitäten zur medizinischen Ver- des Bundes sowie die Beschaffung von Löschflugzeugen sorgung, Notunterbringung und Verpflegung von Menschen oder entsprechenden Hubschraubern. Darüber hinaus weiter ausgebaut werden. Dazu wollen wir ein Gesundheits- müssen mehr geländefähige und wasserführende Fahrzeu- versorgungssicherstellungsgesetz auf den Weg bringen, das ge beschafft werden. Die Notfallversorgung mit Trinkwas- in einer Krise die stationäre und ambulante Gesundheitsver- ser, Funkmasten und Strom muss ausgebaut werden. Die sorgung sowie die Versorgung mit Medizinprodukten, Medi- Veränderung der Katastrophenszenarien bedarf neben der kamenten und Schutzausrüstung sicherstellt, analog zu an- veränderten Ausstattung auch eine angepasste Ausbildung deren elementaren Versorgungsgütern, wie Lebensmitteln. der haupt- und ehrenamtlichen Kräfte. Darüber hinaus ist systematisch zu prüfen, für welche Güter 9. Stärkere Betrachtung von Krisenszenarien und eine Notfallbevorratung notwendig ist oder ob andere Vor- Durchführung von ressort- und ebenenübergreifenden sorgemaßnahmen getroffen werden müssen, um in groß- Übungen flächigen oder langanhaltenden Katastrophenlagen eine Die Herausforderungen im Katastrophenschutz unterliegen Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Dabei muss einer ständigen Veränderung, dennoch lassen sich Trends sichergestellt werden, dass die strategischen Reserven und erkennen, und potenzielle Risiken sind bekannt. Das BBK Bevorratungen in der Krise unter verschiedenen Szenarien erstellt jährliche Risikoanalysen, die bisher wenig Einfluss auch dort verfügbar sind, wo sie benötigt werden. auf die praktische Arbeit in den Ländern und Kommunen finden. Auf der anderen Seite sind die operativen Fähigkei- Annalena Baerbock MdB ten in den Kommunen kaum auf Landes- und Bundesebene Bundesministerin des Auswärtigen, bekannt. Zuletzt gibt es wenige gemeinsame Übungen, die Bundesvorsitzende von alle Ebenen umfassen. Die länder- und ressortübergrei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Berlin fende Krisenmanagementübung (LÜKEX) bildet zwar einen großen Mehrwert für die Betrachtung möglicher Szenarien und Abläufe, der operative Mehrwert ist aufgrund der Kon- zeption als Übung der aufgerufenen Krisenstäbe, ohne ope- Dr. Irene Mihalic MdB Erste Parlamentarische Geschäftsführerin rative Einheiten, jedoch gering. der Bundestagsfraktion Wir wollen, dass gemeinsame und ressortübergreifen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Berlin de sowie risikobasierte Übungen von Bund, Ländern und Kommunen regelmäßig stattfinden und Erkenntnisse aus den Übungen implementiert werden. Dazu gehört ggf. auch eine Stärkung der Krisenzentren und Leitstellen von Bund, Ländern und Kommunen. Ein Transfer von Wissen und Ri- sikobewertungen muss zwischen den Ebenen gefördert und ausgebaut werden. Auf dieser Grundlage sind ebenfalls vhw FWS 1 / Januar–Februar 2022 15
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