Bundesweite Demonstrationen - Deutsches Ärzteblatt

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Bundesweite Demonstrationen - Deutsches Ärzteblatt
Faires Praktisches Jahr

                           Bundesweite
                           Demonstrationen
                                                     Medizinstudierende haben es satt,
                                                     Lückenbüßer zu sein:
                                                     Im Januar forderten sie deutschlandweit
                                                     Verbesserungen im Praktischen Jahr.

                                                     Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

                                                     N
                                                                 icht nur genau benennen kön-
                                                                 nen die Medizinstudierenden
                                                                 ihre Vorstellungen von einer
                                                                 künftigen Tätigkeit als Ärztin
                                                     oder Arzt – sie kämpfen auch für ihre Aus-
                                                     bildung. Mitte Januar gingen in ganz
                                                     Deutschland Medizinstudierende auf die
                                                     Barrikaden und forderten bessere Ar-
                                                     beits- und Studienbedingungen im letz-
                                                     ten Jahr ihres Studiums, dem Praktischen
                                                     Jahr (PJ).
                                                        Mit Informationsveranstaltungen, Po-
                                                     diumsdiskussionen und Demonstratio-
                                                     nen informierte die Bundesvertretung
                                                     der Medizinstudierenden in Deutschland
                                                     (bvmd) in Kooperation mit dem Team der
                                                     Medimeisterschaften beim gemeinsa-
                                                     men Aktionstag am 16. Januar die Öffent-
                                                     lichkeit über unfaire Ausbildungsbedin-
                                                     gungen und ungleiche Vergütung an den
                                                     einzelnen Standorten der Hochschulme-
                                                                                                  Medizin Studieren SS/2019

                                                     dizin. „Wir fordern faire Bedingungen im
                                                     Praktischen Jahr des Medizinstudiums“,
                                                     war ein Slogan, der bundesweit auf vielen
                                                                                                                              Studium

                                                     Plakaten zu lesen war. Zudem ist er Inhalt
                                                     einer Petition für ein faires Praktisches
                                                     Jahr im Medizinstudium, die bis Anfang
                                                     März lief und von mehr als 100 000 Un-
                                                     terstützern unterzeichnet wurde.

                                                                                                  7
Fotos: Andreas Kind/bvmd
Bundesweite Demonstrationen - Deutsches Ärzteblatt
„Das letzte Jahr des Medizinstudiums      tern“ und auf diese Weise zu lernen, „sie auf den einzelnen
                                      erfährt in unserer ganzen Ausbildung am      Krankheitsfall anzuwenden“. Dass unter einer derartigen Vertie-
                                      wenigsten Aufmerksamkeit“, sagt Jana         fung und Erweiterung nicht nur das reine Zusehen und Zuhören
                                      Aulenkamp, PJ-Studentin und ehemalige        zu verstehen ist, stellt die Approbationsordnung deutlich klar:
                                      bvmd-Präsidentin, dem Deutschen Ärzte-       Medizinstudierende sollen „entsprechend ihres Ausbildungs-
                                      blatt Medizin studieren am Rande einer       stands unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbil-
                                      Demonstration in Berlin. „Eine Struktur in   denden Arztes ihnen zugewiesene ärztliche Verrichtungen
                                      der Ausbildung, faire Arbeitsunfähig-           durchführen“.
                                      keitsregelungen oder eine Vergütung                Doch dies ist oftmals ein Spagat: Einerseits sollen die Stu-
                                      sind selten ausreichend vorhanden“,             dierenden eigenverantwortliches Handeln lernen, anderer-
                                      kritisiert sie. Auch Friedemann Egen-           seits muss ihre Ausbildungssituation berücksichtigt werden.
                                      der und Tobias Heising (Gründer und             Beides ist bei Weitem nicht immer und überall gewährleistet,
                                      Geschäftsführer der Medimeisterschaf-           kritisiert die bvmd. An vielen Lehrkrankenhäusern würden die
                                      ten) ist es wichtig, dass dem Prakti-           Studierenden vielmehr als günstige Arbeitskräfte für Routine-
                                      schen Jahr endlich mehr Aufmerksam-             aufgaben abgestellt. In einer Umfrage der bvmd vom vergan-
                                      keit geschenkt wird: „Ziel ist es, die Be-      genen Jahr bewerten 51 Prozent der PJ-Studierenden die Lehre
                                      dingungen für alle Medizinstudieren-            in ihrem Lehrkrankenhaus nur mit der Schulnote 3 oder
                                      den in Deutschland im Prakti-                        schlechter.
                                      schen Jahr zu verbessern.“ Auf ei-                      Neben der mangelnden Berücksichtigung des Ausbil-
                                      ne gute Gesundheitsversorgung                        dungsstatus im PJ kritisieren die Studierenden noch ande-
                                      seien alle angewiesen und diese wer-            re Punkte: So werden ihnen während des gesamten Prak-
                                      de unter anderem durch gut ausgebildete      tischen Jahres lediglich 30 Fehltage gewährt. Die Krux dabei: Es
                                      Nachwuchsärzte gewährleistet.                wird nicht zwischen Urlaubs- oder Krankheitstagen unterschie-
                                         Das PJ ist das letzte Jahr des Studiums   den. Aus Angst, Teile des PJ wiederholen zu müssen, sparen sich
                                      und stellt de facto den Übergang zwi-        viele die Tage für unvorhersehbare Ereignisse ein oder gehen
                                      schen Medizinstudium und dem künfti-         krank zum Dienst. Dies müsse dringend geändert werden, for-
                                      gen Arztberuf dar. Während des PJs sollen    dern die Medizinstudierenden. Wünschenswert wären zudem
          Medizin Studieren SS/2019

                                      die Studierenden lernen, ärztliche Tätig-    vier Stunden Lehrveranstaltungen und mindestens acht Stun-
                                      keiten zunehmend selbstständig durch-        den Selbststudium pro Woche.
                                      zuführen. Im Mittelpunkt steht dabei ge-         Für notwendig halten sie ferner einen Zugang zum Patienten-
Studium

                                      mäß der Approbationsordnung „die Aus-        verwaltungssystem, Arbeitskleidung und Aufbewahrungsmög-
                                      bildung am Patienten“, um die während        lichkeiten für private Gegenstände, die ihnen an vielen Kliniken
                                      des vorhergehenden Studiums erworbe-         bislang nicht gestellt werden. Zudem fordern die Medizinstudie-
                                      nen „ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten      renden bundesweit die Kliniken auf, ihnen im PJ eine Aufwands-
                                      und Fertigkeiten zu vertiefen und erwei-     entschädigung in der Höhe des BAföG-Höchstsatzes zu zahlen,

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Bundesweite Demonstrationen - Deutsches Ärzteblatt
Foto: Fachschaft Medizin Köln

inklusive Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeitrag. Die              Ob in Berlin, Mün-      nierte Aufgaben und feste Anwesen-
bvmd verweist dabei auf eine eigene Erhebung aus dem Jahr                 chen oder Köln (von     heitszeiten. Es müsse Schluss sein mit
                                                                          links.) Die Forderun-
2015, der zufolge 40 Prozent der Medizinstudierenden auf ihr              gen der Medizinstu-
                                                                                                  der Ausnutzung der PJler als billige Hilfs-
Sparbuch zurückgreifen müssen, um ihren Lebensunterhalt zu                dierenden nach ver-     kräfte im klinischen Alltag.
bestreiten, oder auf Nebenjobs (28 Prozent) angewiesen sind.              besserten Lern- und        Erst im vergangenen Jahr hatte der MB
Nach einer 40-Stunden-Woche im Krankenhaus sei dies jedoch                Arbeitsbedingungen      bei einer Befragung unter rund 1 300 Me-
                                                                          im Praktischen Jahr
nicht von allen zu leisten.                                               beim Aktionstag am
                                                                                                  dizinstudierenden im Praktischen Jahr
   Rückendeckung für ihre Forderungen erhielten die Medizin-              16. Januar waren        herausgefunden, dass die Ausbildung im
studierenden bereits im vergangenen Jahr beim 121. Deutschen              bundesweit einheit-     PJ vor allem von mangelnder Betreuung
Ärztetag in Erfurt. Die Abgeordneten forderten das Bundesge-              lich.                   geprägt ist. Vielfach sei den angehenden
sundheitsministerium (BMG) in einem Antrag auf, die Qualität                                      Ärzte die Rolle des „Lückenbüßers“ zuge-
des PJ durch zusätzlich für die Lehre freigestelltes ärztliches                                   dacht, der überall dort zur Stelle ist, wo im
Personal zu verbessern. Zudem solle der Anspruch auf eine Auf-                                    Krankenhaus Personal gebraucht wird –
wandsentschädigung im PJ von 1 500 Euro in der ärztlichen Ap-                                     und das, ohne ausreichend angeleitet
probationsordnung verankert werden, so die Delegierten.                                           und honoriert zu werden.
   Auch jetzt – angesichts der bundesweiten Demonstrationen                                          Fast zwei Drittel der Medizinstudie-
– setzt sich die Bundesärztekammer für die Studierenden ein:                                      renden (63 Prozent) verbringen der Um-
„Wir unterstützen die Forderungen der PJ-Studierenden nach                                        frage zufolge 40 bis 50 Stunden pro Wo-
vernünftigen Arbeitszeiten, einer angemessenen Vergütung                                          che im Krankenhaus, acht Prozent sogar
und guten Lernbedingungen im Praktischen Jahr“, sagt Bun-                                         50 bis 60 Stunden. Ein Fünftel (21 Prozent)
desärztekammerpräsident Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgo-                                       muss regelmäßig Zusatzdienste außer-
mery anlässlich des Aktionstages. Aufgrund der angespannten                                       halb der täglichen Anwesenheitszeit leis-
Personalsituation auf den Stationen bleibe zu wenig Zeit für                                      ten. „Die hohen wöchentlichen Anwesen-
den eigentlichen Zweck des PJ, die Wissensvermittlung. „Ein-                                      heitszeiten der PJler und die Zusatzdienste
sparungen bei der Qualität der ärztlichen Ausbildung gehen                                        verstoßen gegen die Approbationsord-
immer auch auf Kosten der Patientensicherheit. Diesen Zu-                                         nung und widersprechen eklatant dem
sammenhang sollten Politik und Krankenhausträger bedenken                                         Ausbildungscharakter des PJ“, kritisiert der
                                                                                                                                                  Medizin Studieren SS/2019

– und endlich handeln.“                                                                           MB. Zudem plädiert er für eine einheitliche
   Der Marburger Bund (MB) unterstützt ebenfalls die studenti-                                    PJ-Aufwandsentschädigung „auf einem
schen Forderungen. „Der Aktionstag der Fachschaften an den                                        mindestens existenzsichernden Niveau“ –
                                                                                                                                                                              Studium

medizinischen Fakultäten sendet das richtige Signal: Die Be-                                      und zwar bundesweit.
dingungen im PJ müssen dringend verbessert werden“, meint                                            Das sehen die medizinischen Fakultäten,
Victor Banas, Vorsitzender des Sprecherrats der Medizinstudie-                                    die durchaus wesentliche Ziele der de-
renden im Marburger Bund. Die Medizinstudierenden                                                 monstrierenden Medizinstudierenden tei-
bräuchten mehr Studienzeit, feste Ansprechpartner, klar defi-                                     len, anders. Sie stehen der Forderung nach

                                                                                                                                                  9
Bundesweite Demonstrationen - Deutsches Ärzteblatt
einer bundesweiten Honorierung der Tätig-                         ein Gehalt bekämen, nicht jedoch Medizinstudierende im PJ.
                                      keit im PJ skeptisch gegenüber: „Wir haben                        „Das ist eine Ungleichbehandlung des ärztlichen Berufs.“
                                      die Sorge, dass das PJ dadurch zunehmend                             Ein anderes Beispiel: Die Kammerversammlung der Sächsi-
                                      den Charakter einer sozialversicherungs-                          schen Landesärztekammer forderte bereits im vergangenen
                                      pflichtigen Tätigkeit erhält und künftig aus                      Jahr eine einheitliche Aufwandsentschädigung in Höhe des
                                      dem Studium herausgenommen wird“, er-                             BAföG-Höchstsatzes für PJ-Studierende. Und tatsächlich zeich-
                                      klärt Dr. Frank Wissing, Generalsekretär des                      nen sich in Sachsen jetzt erste Erfolge ab. Zwei Tage nach der
                                      Medizinischen Fakultätentages. Dies hätte                         Protestaktion der Medizinstudierenden kündigte das Universi-
                                      wesentliche rechtliche Implikatio-                                         tätsklinikum Leipzig (UKL) Gesprächsbereitschaft und
                                      nen für den Status der Studieren-                                          Verbesserungen an. Das Klinikum prüfe „ Möglichkeiten
                                      den und die Struktur des Studi-           „Wir unterstützen                einer Unterstützung, die über Sachleistungen hinaus-
                                      ums, so die Bedenken.                    die Forderungen der geht“, sagte Prof. Dr. med. Wolfgang E. Fleig, zu dieser
                                         Viele     Landesärztekammern                                            Zeit noch Medizinischer Vorstand des UKL. Die aktuelle
                                                                                 PJ-Studierenden.“
                                      unterstützen diese Forderung:                                              Diskussion sei wichtig, um zu klären, wie die bestehen-
                                                                                 Frank Ulrich Montgomery,
                                      Vor Ort bei der Demonstration in                                           de Finanzierungslücke geschlossen werden könne,
                                                                              Bundesärztekammer Präsident
                                      Berlin beispielsweise erhielten                                            heißt es in einer gemeinsam von der Klinik und den Stu-
                                      die Studierenden Rückendeckung                                             dierenden verfassten Erklärung. Ferner müssten künfti-
                                      vom Präsidenten der Berliner Ärztekam-                            ge Regelungen den Rahmen dafür schaffen, dass ein PJ die
                                      mer, Dr. med. Günther Jonitz: „Unbezahlte                         bestmögliche Ausbildung vermittele. „Oberstes Kriterium bei
                                      Arbeit ist Ausbeutung und unbezahlte                              der Wahl des Standortes für das PJ sollte gute Lehre sein. Das
                                      akademische Arbeit ist ein Ausverkauf der                         kann nur gegeben sein, wenn Studierende einheitlich finanziell
                                      akademischen Lehre“, sagt er dem Deut-                            unterstützt werden und bei der Auswahl nicht gezwungen
                                      schen Ärzteblatt Medizin studieren. Es sei                        sind, sich nach Aufwandsentschädigungen zu richten“, betont
                                      unverständlich, warum Referendare im                              der Fachschaftsrat Humanmedizin der medizinischen Fakultät
                                      pädagogischen und juristischen Bereich                            Leipzig.                                                      ■

                                        Was kritisieren Sie?

                                                                                                                                                                                                               Lisa Ruby,
                                                                  Foto: Mike Henning

                                                                                       Jana Aulenkamp,                                            Joachim Pankert,                                             Studentin,
                                                                                       PJ-Studentin,                                              Fachschafts-                                                 Marburger
                                                                                                                                   Foto: privat

                                                                                                                                                                                                Foto: privat

                                                                                       bvmd-Präsiden-                                             initiative der                                               Bund Berlin/
                                                                                       tin 2018                                                   Charité Berlin                                               Brandenburg

                                        Kommilitoninnen und Kommilitonen kom-                            Die Qualität der Lehre und der Ausbildung                   Das Praktische Jahr ermöglicht uns, wichti-
                                        men teilweise krank zur Arbeit, weil sie                         im Praktischen Jahr ist inhomogen. In eini-                 ge Erfahrungen zu sammeln, erworbene
                                        Angst haben, dass sie später nochmals                            gen Kliniken können PJ-Studierende auf-                     Fertigkeiten und Wissen praktisch anzu-
                                        krank werden und dann ihr PJ um ein hal-                         grund fehlender Motivation des Personals                    wenden sowie uns Verständnis für Dinge
                                        bes Jahr verlängern müssen. Das gefährdet                        oder aber wegen hohen Zeitdrucks in der                     anzueignen, die nicht in das Curriculum un-
                                        die Gesundheit der Patienten und die eige-                       Patientenversorgung nicht ordentlich aus-                   seres Studiums passten. Viele nutzen daher
                                        ne. Es herrscht ein System, das krank macht.                     gebildet werden: Fragen bleiben unbeant-                    die Chance, auch im Ausland Einblicke in die
          Medizin Studieren SS/2019

                                        Egal ob Pflege, Ärzteschaft oder andere                          wortet, Feedback fehlt, Patientenfälle wer-                 Gesundheitsversorgung zu bekommen. Da
                                        Heilberufe: Die Ausbildung braucht einen                         den nicht ausreichend besprochen. Kurz:                     aber das Medizinstudium nicht in jedem
                                        höheren Stellenwert in unserem Gesund-                           die Ausbildung bleibt im PJ auf der Strecke.                Land gleich aufgebaut ist, gibt es oftmals
Studium

                                        heitssystem und muss als ein integraler Be-                      Stattdessen fühlen sich einige Studierende                  lediglich die Möglichkeit, ein halbes Tertial
                                        standteil betrachtet werden, und zwar von                        wie ein „Klotz am Bein“ oder werden über-                   an einer Klinik im Ausland zu verbringen.
                                        der Politik, den Kliniken und den Niederge-                      mäßig oft für Routineaufgaben herangezo-                    Doch: Im „gesplitteten Tertial“ werden keine
                                        lassenen.                                                        gen.                                                        Fehltage toleriert.

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