CAR-T-Zelltherapie: Empfehlungen zum Therapiemanagement aus der Praxis - Gilead Medical Hub

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CAR-T-Zelltherapie: Empfehlungen zum Therapiemanagement aus der Praxis - Gilead Medical Hub
CAR-T-Zelltherapie:
Empfehlungen zum Therapiemanagement aus der Praxis
Genetisch modifizierte T-Zellen mit chimärem Antigenrezeptor (CAR-T-Zellen) erzielen hohe Ansprechraten und teils dauerhafte
Remissionen bei Patienten mit refraktären/rezidivierten hämato-onkologischen Erkrankungen. Sie können jedoch mit schwerwiegen-
den Nebenwirkungen wie dem ­Zytokin-Freisetzungssyndrom (CRS) und dem Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndrom
(ICANS) einhergehen. Ein adä­quates Nebenwirkungsmanagement, das ein engmaschiges Monitoring, die genaue Beurteilung und ent-
sprechende Behandlung beinhaltet, macht diese Komplikationen handhabbar.

Genetisch modifizierte CAR-T-Zelltherapien stellen einen in-        ZUMA-­  1-Studie [9, 10]. Aus der pivotalen ZUMA-1-Studie
novativen, potenziell kurativen Ansatz für Patienten mit hä-        waren Patienten mit einer aktiven Infektionen mit dem huma-
matologischen Neopla­sien dar. Die Behandlung basiert auf           nen Immundefizienzvirus (HIV), einer aktiven Hepatitis-B-­
patienteneigenen T-Zellen, die nach genetischer Modifizierung       Virus (HBV)- bzw. Hepatitis-C-Virus (HCV)-Infektion und mit
einen chimären Antigenrezeptor (CAR) zusätzlich zum physio-         sekundären Metastasen im Zen­tralnervensystem (ZNS) ausge-
logischen T-Zell-Rezeptor (TCR) exprimieren. Seit 2018 sind         schlossen. Mittlerweile gibt es zur Behandlung dieser Patienten
zwei CAR-T-Zelltherapien zur Behandlung von rezidivier-             publizierte Fallbeispiele, in denen erste Hinweise auf die Sicher-
ten oder refraktären (r/r) Erkrankungen des lymphatischen           heit und Wirksamkeit von Axi-Cel beschrieben werden [11–15].
­Systems in der Europäischen Union (EU) zugelassen:                 Diese Daten weisen darauf hin, dass z.B. eine Hepatitis-Vorge-
 • Axicabtagen-Ciloleucel (Axi-Cel) wird angewendet zur Be-         schichte kein grundsätzliches Ausschlusskriterium für die Be-
   handlung von erwachsenen Patienten mit r/r diffus großzel-       handlung eines Pateinten mit CAR-T-Zellen darstellen muss,
   ligem B-Zell-Lymphom (DLBCL) und primär mediastinalem            wenn eine Viruslast nicht mehr nachweisbar ist. Da Axi-Cel
   großzelligem B-Zell-Lymphom (PMBCL) nach 2 oder mehr             ein gegen CD19 gerichtetes Arzneimittel ist, das die humorale
   systemischen Therapien [1].                                      Immunantwort durch eine daraus resultierende B-Zell-Aplasie
 • Tisagenlecleucel (Tisa-Cel) wird angewendet zur Behandlung       beeinträchtigt, besteht das Risiko einer HBV-­Reaktivierung, die
   von:                                                             in manchen Fällen zu schweren Verläufen führen kann. Vor der
   --Kindern, Jugendlichen und jungen erwachsenen Patienten        Leukapherese für die Herstellung von Axi-Cel ist ein Screening
      im Alter bis einschließlich 25 Jahren mit r/r (Rezidiv nach   auf HBV, HCV und HIV durchzuführen [1].
      Transplantation oder zweites oder späteres Rezidiv) akuter
      lymphatischer B-Zell-Leukämie (ALL).                          Aufgrund der Behandlungserfolge laufen aktuell zahlreiche
   --	erwachsenen Patienten mit r/r DLBCL nach 2 oder mehr         klinische Studien zur CAR-T-Zelltherapie und es werden zeit-
       Linien einer systemischen Therapie [2].                      nah weitere Zulassungen erwartet. So steht mit Lisocabtagene
                                                                    Maraleucel (Liso-Cel) eine weitere CD19-spezifische CAR-­T-
Bei diesen Therapien richtet sich die antigenspezifische Domä-      Zelltherapie zur Behandlung des r/r DLBCL kurz vor der Zu-
ne des CAR gegen das B-Zell-Antigen CD19. Während hämato­           lassung, wobei hier das Produkt aus einer CD4/CD8-CAR-T-
poetische Stammzellen dieses Oberflächenprotein nicht expri-        Zell-Mischung im Verhältnis 1:1 besteht [16]. In einer Phase-­
mieren, findet es sich auf über 95% der malignen B-Zellen bei       II-Studie zur Wirksamkeit einer CD19-CAR-T-Zelltherapie
Patienten mit ALL und Non-Hodgkin-Lymphomen (NHL) [3].              beim Mantelzell-Lymphom erreichte der Großteil der Patienten
                                                                    eine dauerhafte Remission [17]. Neben den gegen CD19 gerich-
CD19-CAR-T-Zelltherapien erzielen vielversprechende Be-             teten Therapien werden weitere CAR-Konstrukte mit anderen
handlungserfolge mit beispiellosen Ansprechraten im r/r Set-        Zielantigenen untersucht, beispielsweise ein gegen das B cell
ting und teils dauerhaften Remissionen. So erreichen 40–54%         maturation antigen (BCMA) gerichteter CAR zur Behandlung
der Patienten mit r/r DLBCL eine komplette Remission [4, 5].        des r/r multiplen Myeloms [16]. Zudem befinden sich zahlrei-
Bei ALL-Patienten liegen die Remissionsraten bei bis zu 81%         che CARs zur Behandlung solider Tumoren in klinischen Prü-
[6]. Mit einem medianen Follow-up von mittlerweile über 3           fungen [18].
Jahren (Abb. 1) und einer Nachbeobachtungszeit in Einzelfäl-
len von mehr als 10 Jahren zeichnet sich zudem ab, dass die         Die CAR-T-Zelltherapie stellt das Behandlungsteam jedoch auch
Remission bei einem großen Anteil der DLBCL-Patienten dau-          vor die Herausforderung, mit neuen, immunvermittelten Neben-
erhaft ist [7].                                                     wirkungen umzugehen, wie dem Zytokin-Freisetzungssyndrom
                                                                    (cytokine release syndrome, CRS) und dem Immun­effektorzell-
Die Wirkung und das Nebenwirkungsprofil der Therapie                assoziierten Neurotoxizitätssyndrom (immune effector cell-asso­
mit Axi-Cel sind in den Analysen des Real-World-Settings            ciated neurotoxicity syndrome, ICANS). Die Behandlung von
vergleichbar mit den Ergebnissen der zulassungsrelevanten           Patienten mit CAR-T-Zellen ist daher Zen­tren vorbehalten, die

                                                                    Beilage zu                           Band 43, Heft 11, November 2020
neration. CAR der dritten Generation enthalten 2
        100
                                      3 Jahre nach Axi-Cel-Gabe sind 47%                                           kostimulatorische Domänen und werden derzeit
                                      der DLBCL-Patienten am Leben
                                                                                                                   in klinischen Studien geprüft [22]. In der Erfor-
            80
                                                                                                                   schung befinden sich CAR-T-Zellen der vierten
                                                                                                                   Generation. Diese auch als TRUCK (T cells redi-
            60                                                                                                     rected for antigen-unrestricted cytokine-initiated
    OS, %

                                                                                                                   killing) bezeichneten T-Zellen sind zusätzlich so
            40                                                                                                     genetisch modifiziert, dass sie nach CAR-Bin-
                                                                                                                   dung transgene Zytokine wie Interleukin (IL)-12
            20                                                                                                     oder IL-18 freisetzen. Dadurch soll eine unzurei-
                                                                                                                   chende Zytokinproduktion und -freisetzung der
             0   Medianes OS = 25,8 Monate (95%-KI, 12,8 – nicht auswertbar)                                       CAR-T-Zelle nach Bindung an das Zielantigen
                                                                                                                   kompensiert werden [23].
                 0   2   4   6   8   10 12 14 16 18 20 22 24 26 28 30 32 34 36 38 40 42 44 46
                                                      Zeit, Monate                                                 CAR-T-Zell-vermittelte Nebenwirkungen
Gefährdete
 Patienten 101 97 93 80 74 69 61 60 54 53 53 51 51 50 50 50 50 50 47 30 18 7 1                               0
 (zensiert) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (0) (17) (29) (40) (46) (47)
                                                                                         Die im Zusammenhang mit der CAR-T-Zellthe-
                                                                                         rapie besonders zu nennenden Nebenwirkun-
Abb. 1. Kaplan-Meier-Kurve für das Gesamtüberleben (OS) bei Patienten mit r/r DLBCL      gen sind CRS und ICANS. Zudem können
nach Axi-Cel-Therapie; modifiziert nach [8]. KI: Konfidenzintervall.                     CD19-spezifische CAR-T-Zellen zu Zytopeni-
                                                                                         en, Infektionen, B-Zell-Aplasie mit sekundärer
                                                                                         Hypogammaglobulinämie, Infusionsreaktionen
eine umfassende Erfahrung im Nebenwirkungsmanagement von oder einem Tumorlysesyndrom führen [24]. Eine frühzeitige
zellulären Krebstherapien sowie einen direkten Zugang zu einer Erkennung, genaue Beurteilung und Behandlung machen die
Intensivstation aufweisen. Um kommerzielle CAR-T-Zellthera- Nebenwirkungen bei den meisten Patienten jedoch gut hand-
pien anwenden zu dürfen, müssen die Zentren zudem hersteller- habbar und führen dazu, dass diese größtenteils reversibel sind.
spezifische Qualifizierungsprogramme durchlaufen. In Deutsch-
land stehen mit Stand Februar 2020 an 27 Zentren kommerzielle Zytokin-Freisetzungssyndrom
CAR-T-Zelltherapien zur Verfügung [19].                                   Ein CRS jeglichen Grades tritt bei 35–93% der behandelten
                                                                          Patienten nach einer CAR-T-Zelltherapie auf [25]. Die Varianz
Wirkprinzip der CAR-T-Zellen                                              erklärt sich unter anderem dadurch, dass in verschiedenen Stu-
                                                                          dien unterschiedliche Kriterien der Schweregradeinteilung des
Die kommerziellen CAR-T-Zelltherapien basieren auf autolo- CRS herangezogen wurden (vgl. «Grading-Systeme: Einteilung
gen T-Zellen. Nach Entnahme mittels unstimulierter Leuka- der Schweregrade von CRS und ICANS»).
pherese werden die T-Zellen mittels eines viralen Vektors ge-
netisch so modifiziert, dass sie auf ihrer Oberfläche zusätzlich Als Risikofaktoren für ein hochgradiges CRS gelten eine hohe
zum physiologischen TCR einen chimären Antikörper (den Tumorlast bei ALL und NHL, ALL als zugrunde liegende Er-
CAR) exprimieren. Dieser CAR besteht aus 4 Teilen: der extra- krankung, Thrombozytopenie und eine endotheliale Aktivie-
zellulären, antigenspezifischen Domäne, einem Linker (hinge), rung vor der CAR-T-Zelltherapie. Weiterhin können eine hohe
einer Transmembrandomäne und einer intrazellulären Sig- CAR-T-Zell-Dosis, eine hohe T-Zell-Expansion in vivo, ein frü-
naldomäne, die sich vom TCR ableitet. Sobald die extrazellu- hes Auftreten von CRS nach T-Zell-Gabe sowie eine lymphode-
läre Domäne, die der Einzelkette eines Anti­körpers entspricht pletierende Therapie mit Fludarabin und Cyclophosphamid das
(single chain variable fragment, scFv), an das Antigen der Ziel- Risiko für ein schwergradiges CRS erhöhen [26–28].
zelle bindet, vermittelt die TCR-Domäne die Aktivierung der
CAR-T-Zelle. Die so eingeleitete Immunantwort führt schließ- CRS manifestiert sich meist innerhalb der ersten Woche nach
lich zum Absterben der das CD19-Zielantigen tragenden Zel- der Gabe der CAR-T-Zellen [29]. Pathophysiologisch liegt dem
len. Im Vergleich zu physiologischen TCR erfolgt die Aktivie- CRS eine überschießende Immunreaktion mit massiver Freiset-
rung des CAR unabhängig vom humanen Leukozytenantigen zung von proinflammatorischen Zytokinen zugrunde. Die Bin-
(HLA)-System. Das ist von besonderer Bedeutung, da Tumor- dung des CAR an das entsprechende Antigen auf der Zielzelle
zellen die HLA-Expression von Tumorantigenen herunterregu- aktiviert die CAR-T-Zelle, die daraufhin Zytokine, wie Interfe-
lieren können, um einer Immunantwort zu entgehen [20].                    ron-γ (IFN-γ) und Tumornekrosefaktor-α (TNF-α), IL-2 und
                                                                          Granulozyten-/Makrophagenkolonien stimulierenden Faktor
Im Vergleich zu den in den 1990er Jahren entwickelten CAR der (granulocyte-macrophage colony-stimulating factor, GM-CSF),
ersten Generation, die lediglich die TCR-Domäne mit scFv ver- freisetzt. Dadurch werden weitere Immunzellen, wie beispiels-
knüpften, tragen CAR der zweiten Generation eine kostimulato- weise Makrophagen, rekrutiert und aktiviert, sodass diese
rische Domäne, wie beispielsweise CD28 oder 4-1BB (CD137). ebenfalls Zytokine, darunter IL-6, freisetzen. Dies wiederum
Die kostimulatorische Domäne verbessert die Aktivierung, die aktiviert das Endothel, das im Sinne einer positiven Rückkopp-
Proliferation sowie die Persistenz der CAR-T-Zellen [21]. Bei lung weiteres IL-6 sowie Entzündungsstoffe freisetzt, die letzt-
Axi-Cel und Tisa-Cel handelt es sich um CARs der zweiten Ge- endlich in einem Zytokinsturm münden (Abb. 2) [30].

2                                                                                    Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020
IL-6             IFN-γ
                                                                                                        IL-1             TNF-α
                                                                                                        IL-2             GM-CSF

  Endothel                                                                                 IL-6, IL-1

                                                                       IL-6, IL-1
                                     GM-CSF

                                      IFN-γ
                                                                                CRS                                Proinflammation      SYMPTOME*
                                       TNF-α                                                                                           • Fieber
                                       IL-2                                                                                            • Fatigue
                                     IL-1
                                                                                                                                       • Kopfschmerzen
    Tumorzelle CAR -T-Zelle                                                                                                            • Arthralgie
                                                        Aktivierung von                                                                • Myalgie
                                                    Makrophagen, Monozyten                                                             • Durchfall
                                                                                                                                       • Hypotonie
                                                                                                                                       • Tachykardie
       1                                              2                                         3                                      • Herzrhythmus-
                                                                                                                                         störungen
      CAR-T-Zielzell-Interaktion                     APC-Aktivierung                           Endotheliale Schädigung
      → Zytokine                                     → Inflammation                             → Inflammation
                                                                                                                                       • Dyspnoe
                                                                                                                                       • Hypoxie
                                                                                                                                       • Koagulopathie
                                                                                                                                       • Kapillarleck
                                                                                                                                       • Transaminitis
                                                                                                                                       • eingeschränkte
                                                          CRS                                                                            Nierenfunktion
                                                                                                                                       • Multiorganversagen

Abb. 2. Pathomechanismus CRS. Die Interaktion des CAR mit dem Zielantigen führt zur Zytokin-Freisetzung und Aktivierung von antigenpräsentierenden
Zellen. Dies mündet in einem massiven proinflammatorischen Zytokinsturm. Darstellung ausgewählter Symptome. *Eine ausführliche Liste der Symptome findet
sich im behördlich beauflagten Schulungsmaterial des jeweiligen Wirkstoffs; modifiziert nach [32]. IL: Interleukin, APC: antigenpräsentierende Zelle, INF-γ: In-
terferon-gamma, TNF-α: Tumornekrosefaktor-alpha, GM-CSF: Granulozyten-/Makrophagenkolonien stimulierender Faktor, CRS: Zytokin-Freisetzungssyndrom.

Klinisch reicht das Symptomspektrum eines CRS von grip­                               Immuneffektorzell-assoziiertes
pe­ähnlichen Symptomen wie Fieber, Kopfschmerzen, Ge-                                 Neurotoxizitätssyndrom
lenk- und Muskelschmerzen über Blutdruckabfall, Hypoxie,                              Zunächst wurden die mit der CAR-T-Zelltherapie assoziier-
Arrhyth­mie und/oder Verbrauchskoagulopathie (disseminated                            ten neurologischen Nebenwirkungen als «CAR T cell-rela­ted
intravascular coagulopathy, DIC), respiratorischem Versagen,                          encephalopathy syndrome (CRES)» bezeichnet. Um neben der
kardiovaskulärem Schock mit Kapillarlecksyndrom und Organ-                            Enzephalopathie auch weitere CAR-T-Zell-spezifische neuro-
versagen bis hin zum Tod [25]. Aufgrund der infektähnlichen                           logische Symptome einzuschließen sowie einer Gültigkeit für
Symptomatik sollte bei CRS immer auch eine Infektdiagnostik                           weitere Immuntherapien gerecht zu werden, wurde CRES von
durchgeführt werden, um Infektionen frühzeitig diagnostizie-                          der American Society for Transplantation and Cellular Thera-
ren und behandeln zu können.                                                          py (ASTCT) durch den Begriff «immune effector cell-associated
                                                                                      neurotoxicity syndrome (ICANS)» ersetzt [33].
Je nach Schweregrad wird CRS symptomatisch oder mit einer
Anti-Zytokin-Therapie behandelt. IL-6 kommt bei der Ent-                              ICANS tritt bei 21–64% der mit CAR-T-Zellen behandel-
wicklung eines CRS eine entscheidende Rolle zu. Der monoklo-                          ten Patienten auf, je nach Erkrankung und verwendeter
nale Antikörper Tocilizumab blockiert als IL-6-Rezeptor-Anta-                         CAR-T-Zelltherapie [30]. Auch hier variiert die Häufigkeit in
gonist membrangebundene und lösliche IL-6-Rezeptoren und                              Abhängigkeit von den verwendeten Diagnosekriterien, der zu
unterbricht so den IL-6-Signalweg. Retrospektive Daten zeigen,                        behandelnden Erkrankung sowie dem verwendeten CAR-Kon-
dass Tocilizumab bei Patienten mit schwerem CRS nach CAR-                             strukt. Häufig geht ein CRS den neurologischen Nebenwirkun-
T-Zell-Gabe nach 4–5 Tagen zu einer Besserung führte [31].                            gen voraus. Zusätzlich sprechen erhöhte Laktatdehydrogenase
Ursprünglich für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis                            (LDH)-Werte, erniedrigte Thrombozyten-Werte und ein erhöhtes
entwickelt, ist Tocilizumab seit 2018 auch für die Behandlung                         Angio­poietin (Ang)-1/Ang-2-Verhältnis im Serum zu Beginn der
von CRS zugelassen. Bei unzureichendem Ansprechen auf To-                             CAR-T-Zelltherapie für ein höheres Risiko, ein ICANS zu ent-
cilizumab kommen Steroide (Dexamethason oder Methylpred-                              wickeln [34, 35]. Weitere Risikofaktoren sind eine erhöhte Ferri-
nisolon) zum Einsatz [30].                                                            tin-Konzentration an Tag 3 nach CAR-T-Zell-Gabe und bereits
                                                                                      bestehende neurologische Komorbiditäten [35, 36]. Zudem spielt
Mit zunehmender klinischer Anwendung von CAR-T-Zellthe-                               das Design des CAR eine Rolle, wobei CD28 sowie die Linker-
rapien sinkt das Risiko für das Auftreten von höhergradigen                           und Transmembrandomäne mit einem höheren ICANS-Risiko
CRS, wie neuere Studien zeigen. Dies ist vermutlich einer frü-                        assoziiert sind [36].
heren therapeutischen Intervention und der wachsenden Er-
fahrung der CAR-T-Zell-Zentren mit auftretenden Nebenwir-                             Anzeichen von ICANS sind eine Veränderung der Handschrift,
kungen zuzuschreiben [30].                                                            Schwierigkeiten, Objekte zu benennen, verminderte Aufmerk-

Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020                                                                                   3
IL-6            IL-2           IL-1   IFN-γ

                                                                                                                         Endotheliale
    Endothel                                                                                                             Schädigung

                                                                                                                                             Zytokine
                                                                                                      BHS Störung            ICANS           ins ZNS
                                                            Makrophagen,
                     CAR-T-Zelle                            Monozyten

      Tumorzelle

                                                                                                                              CAR-T
                                                                                                                             ins ZNS
                                                         Dentritische Zelle

         Blut-Hirn-Schranke (BHS)

                                                                                                               SYMPTOME*
                                                                                                               • getrübter              • Enzephalopathie
               Perzyten                                                                                          Bewusstseinszustand
                                                                                                                                        • Krampfanfälle
                                                                                                               • Desorientierung
                                                                                                                                        • Tremor
                                                                                                               • Delirium
                                                                                                                                        • Ataxie
                                                                                                               • Gedächtnisstörung
                                                                                                                                        • Dysmetrie
                                                                                                               • Sprachstörungen
                                                                                                                                        • Hirnödem
                                                                                                               • Kopfschmerzen

                                                                        CAR-T-Zelle

Abb. 3. Pathomechanismus ICANS. Die Migration von T-Zellen und Diffusion von Zytokinen durch eine gestörte Blut-Hirn-Schranke sowie die Aktivie-
rung ZNS-ständiger Zellen werden als Pathomechanismus des ICANS diskutiert. Darstellung ausgewählter Symptome. *Eine ausführliche Liste der Symptome
findet sich im behördlich beauflagten Schulungsmaterial des jeweiligen Wirkstoffs; modifiziert nach [32]. BHS: Blut-Hirn-Schranke; IL: Interleukin, IFN: In-
terferon; ZNS: zentrales Nervensystem.

samkeit, Apraxie und Lethargie. Die expressive Aphasie sowie                      Diffusion von Zytokinen sowie die Migration von T-Zellen ins
die Veränderung des Schriftbildes scheinen spezifische Früh-                      ZNS könnten demnach der Neurotoxizität zugrunde liegen
symptome von ICANS zu sein [22, 37]. Die Progression zu                           (Abb. 3). Weitere diskutierte Mechanismen beinhalten die Frei-
einer schweren Neurotoxizität kann über Stunden oder Tage er-                     setzung von IL-1 und IL-6 durch Aktivierung von Mikroglia
folgen und sich in Krampfanfällen, motorischer Schwäche oder                      und/oder myeloiden Zellen im ZNS sowie N-Methyl-D-Aspar-
einem lebensbedrohlichen Hirnödem äußern.                                         tat (NMDA)-Rezeptor-Agonisten (z.B. Glutamat und Chino-
                                                                                  linsäure) [35, 37]. Außerdem konnte gezeigt werden, dass Pe-
ICANS kann entweder gleichzeitig mit einem CRS, nach dem                          rizyten gering CD19 exprimieren, was die Neurotoxizität von
Abklingen oder unabhängig von einem CRS auftreten. Die                            anti-CD19-gerichteten Therapien erklären könnte [38].
neurologischen Symptome zeigen sich meist nach 4–5 Tagen,
können aber auch verzögert 4–5 Wochen nach der CAR-T-Zell-                        Grading-Systeme: Einteilung der Schweregrade
Gabe auftreten. In der Regel halten ICANS-Symptome für etwa                       von CRS und ICANS
2 Wochen an, sie können aber auch nur für Stunden oder auch
Wochen persistieren [5, 22]. Die Neurotoxizität kann sich in-                     Die Einteilung der Schweregrade von CRS und ICANS wurde
nerhalb kurzer Zeit stark verschlechtern, was ein engmaschiges                    in den pivotalen Studien anhand der Common Terminology
Monitoring des Patienten erforderlich macht. Auch hier sollte                     Criteria for Adverse Events Version 4.03 (CTCAEv4.03) vorge-
eine entsprechende Differenzialdiagnostik erhoben werden, um                      nommen. Mit wachsender Erfahrung entwickelten verschiede-
andere Ursachen der Symptomatik auszuschließen.                                   ne Institutionen unterschiedliche Grading-Systeme zur Beur-
                                                                                  teilung der Nebenwirkungen bei CAR-T-Zelltherapien.
Je nach Schweregrad des isolierten ICANS ist eine supportive
Therapie oder die Gabe von Steroiden nötig. Tocilizumab zeigt                     Die Lee-Kriterien von 2014 definierten die Symptome des CRS
eine schlechte ZNS-Gängigkeit und ist mit einem erhöhten                          dadurch neu, dass erstmals Fieber als klinisches Kennzeichen
Risiko für Neurotoxizität assoziiert. Tocilizumab sollte daher                    in die CRS-Kriterien aufgenommen wurde [31]. Neurologi-
nur dann eingesetzt werden, wenn das ICANS gleichzeitig mit                       sche Symptome waren ebenfalls eingeschlossen, auch wenn das
einem CRS vorliegt [30].                                                          ICANS heute als gesondertes Syndrom betrachtet wird. 2018
                                                                                  publizierte die University of Pennsylvania eine eigene Skala zur
Der genaue Pathomechanismus des ICANS ist noch nicht voll-                        Beurteilung der CRS-Schweregrade (UPENN-Kriterien) [39].
ständig geklärt. Im Liquor von Patienten mit ICANS wurden
sowohl erhöhte Level von IL-6 und IL-15 als auch CAR-T-Zel-                       Mit dem Ziel, die Einteilung sowie das Management des
len nachgewiesen. Diskutiert wird eine endotheliale Aktivie-                      CRS zu standarisieren, entwickelte die CAR-T Cell Therapy-­
rung mit anschließender Störung der Blut-Hirn-Schranke. Die                       Associated Toxicity (CARTOX) Working Group ein multi-­

4                                                                        Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020
CRS-PARAMETER                       GRAD 1                           GRAD 2                      GRAD 3                        GRAD 4

                                 Symptome erfordern                                                                        lebensbedrohliche
                                 lediglich eine                Symptome erfordern eine       Symptome erfordern eine       Symptome,
   Klinische Symptome
                                 symptomatische                moderate Intervention         intensive Intervention        Nierenersatztherapie,
                                 Behandlung                                                                                Organtoxizität 4. Grades

   Körpertemperatur              ≥ 38,0 °C                     ≥ 38,0 °C                     ≥ 38,0 °C                     ≥ 38,0 °C

                                                                                             moderate Hypotonie            schwere Hypotonie
   Hypotonie                     _                             milde Hypotonie
                                                                                             → Katecholamintherapie        → Katecholamintherapie

                                                                                                                           schwere Hypoxie,
                                                                                                                           Notwendigkeit der
                                                               milde Hypoxie                 moderate Hypoxie
   Hypoxie                       _                                                                                         Beatmung mit positivem
                                                                                                                           Druck, ggfs. Intubation und
                                                                                                                           maschinelle Beatmung

   Tocilizumab                   nicht zutreffend              Tocilizumab                   Tocilizumab                   Tocilizumab

   Steroide                      nicht zutreffend              Steroide                      Steroide                      hochdosierte Steroide

Abb. 4. Maßnahmen zur Risikominimierung bei Patienten mit CRS unter Behandlung mit CAR-T-Zellen. CRS kann lebensbedrohliche Verläufe nehmen.
Bei frühzeitiger Intervention sind die Nebenwirkungen gut behandelbar und reversibel. Daher ist es essenziell, die Patienten engmaschig zu überwachen und
frühzeitig mit der Intensivstation bzw. der Neurologie Kontakt aufzunehmen. Bei Anwendung von kommerziellen CAR-T-Zelltherapien gelten die pro-
duktspezifischen Vorgaben und Risikomanagementpläne und die jeweiligen behördlich genehmigten Schulungsmaterialien; modifiziert nach [32].

institutionelles Grading-System. Die Beurteilung des CRS nach                  ZUMA-1-Studie zeigten 80% der Patienten eine Neutropenie
den CARTOX-­Kriterien basiert auf den 3 Vitalzeichen Kör-                      vom Grad 3 oder höher. Nach Tag 90 nach Gabe von A  ­ xi-Cel
pertemperatur, Blutdruck und Sauerstoffsättigung sowie auf                     wiesen noch 11% der Patienten eine Neutropenie Grad 3
der Organtoxizität nach CTCAEv4.03. Zusätzlich bieten die                      oder höher auf [43]. Während Anämie und Thrombozytope-
CARTOX-Kriterien mit dem Diagnosetool CARTOX-10 ein                            nie mittels Transfusionen ausgeglichen werden können, kön-
rasches Bewertungsinstrument für die Erfassung des Schwere-                    nen Neutropenien zu infektiösen Komplikationen führen,
grades des ICANS [41].                                                         weshalb alle Patienten im Vorfeld der Therapie eine Infekti-
                                                                               onsprophylaxe erhalten. Diese besteht aus einer Pneumocys-
Die unterschiedlichen Grading-Systeme erschweren den Ver-                      tis jirovecii-Pneumonie (PJP)-Prophylaxe mit Cotrimoxazol
gleich der Sicherheitsdaten verschiedener CAR-T-Zell-Pro-                      und einer Varicella-Zoster-Virus (VZV)-Prophylaxe mit
dukte. Um die Definition und Beurteilung des CRS und des                       Aciclovir, die bis zur Regeneration der CD4+ T-Zellen fort-
ICANS zu vereinheitlichen, entwickelte die American Society                    geführt werden sollte. Eine antibiotische Prophylaxe (bis >
for Transplantation and Cellular Therapy (ASTCT) ein Kon-                      1000 Neutrophile/µl) sowie eine antimykotische Prophylaxe
sens-Bewertungssystem [33]. Nach diesen ASTCT-Kriterien ist                    bis zur Regeneration der Neutrophilen kann erwogen wer-
Fieber (Köpertemperatur ≥ 38 °C), das zeitlich mit der CAR-T-                  den, sollte aber bei Patienten in der Neutropenie eingeleitet
Zell-Gabe assoziiert auftritt, die Voraussetzung für die Diagnose              werden.
eines CRS. Die Einteilung in Schweregrade erfolgt anhand des
Ausmaßes von Hypotonie und Hypoxie, während Organto-                           Persistiert die Neutropenie (< 500/µl) über Tag 10 bis Tag 14
xizität nicht mehr zur Beurteilung herangezogen wird. Ein re-                  nach der CAR-T-Zell-Gabe, sollte eine Behandlung mit Gra-
trospektiver Vergleich der unterschiedlichen Grading-Systeme                   nulozytenkolonien stimulierendem Faktor (G-CSF) erwogen
zeigt, dass die ASTCT-Kriterien ein objektives, reproduzierbares               werden [16]. GM-CSF wird nicht empfohlen, da Daten aus dem
und einfach anzuwendendes Grading-System für CAR-T-Zell-­                      Tiermodell auf eine Verschlechterung von CRS und ICANS
assoziierte Nebenwirkungen anhand von klinischen Symptomen                     durch GM-CSF hindeuten [44]. Falls eine schwerwiegende
darstellen [42].                                                               Zytopenie nach CAR-T-Zell-Gabe persisitiert und/oder nicht
                                                                               auf G-CSF anspricht, kann die Gabe eines Stammzellpräparates
Langzeitnebenwirkungen                                                         erwogen werden [45, 46].

Zytopenien                                                                     Hypogammaglobulinämie
Zytopenien sind die häufigste länger bestehende Neben-                         Eine weitere Nebenwirkung der CD19-CAR-T-Zellen ist zudem
wirkung der CAR-T-Zelltherapie. Sie können über Wochen                         die durch die B-Zell-Aplasie vermittelte Hypogammaglobuli-
anhalten und einen biphasischen Verlauf zeigen [42]. In der                    nämie. Bei niedrigem IgG-Spiegel (< 4 g/l) und/oder Auftreten

Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020                                                                                 5
GRADING-PARAMETER                     GRAD 1                        GRAD 2                         GRAD 3                         GRAD 4

                                                                                                                              lebensbedrohliche
     Klinische Symptome           leichte Symptome              moderate Symptome              schwere Symptome               Situation, Hirnödem,
                                                                                                                              Paraparese

                                                                                                                              nicht weckbar oder
                                                                durch Ansprache                durch taktilen Reiz
     Bewusstseinszustand          spontan weckbar                                                                             nur über repetitive Reize
                                                                weckbar                        weckbar
                                                                                                                              weckbar, Stupor, Koma

     ICE-Score*                   7–9                           3–6                            0–2                            0

     Tocilizumab nur bei                                        Tocilizumab nur bei            Tocilizumab nur bei            Tocilizumab nur bei
                                  nicht zutreffend
     gleichzeitigem CRS                                         gleichzeitigem CRS             gleichzeitigem CRS             gleichzeitigem CRS

     Steroide                     nicht zutreffend              Steroide                       Steroide                       hochdosierte Steroide

Abb. 5. Maßnahmen zur Risikominimierung bei Patienten mit ICANS unter Behandlung mit CAR-T-Zellen. ICANS kann lebensbedrohliche Verläufe neh-
men. Bei frühzeitiger Intervention sind die Nebenwirkungen gut behandelbar und reversibel. Daher ist es essenziell, die Patienten engmaschig zu überwachen
und frühzeitig mit der Intensivstation bzw. der Neurologie Kontakt aufzunehmen. Bei Anwendung von kommerziellen CAR-T-Zelltherapien gelten die pro-
duktspezifischen Vorgaben und Risikomanagementpläne und die jeweiligen behördlich genehmigten Schulungsmaterialien; modifiziert nach [32].
*ICE-Score 0: gewertet als ICANS Grad 3, falls Patient wach und aphasisch; gewertet als ICANS Grad 4, falls Patient nicht weckbar und nicht in der Lage, eine
ICE-Score-Bestimmung durchzuführen.

von schwerwiegenden Infektionen sollte eine Substitutions­                      sen. Vor Beginn der Produktbeschaffung muss der Patient
therapie nach der CAR-T-Zell-Gabe erwogen werden.                               umfassend über die CAR-T-Zelltherapie, alle dafür notwen-
                                                                                digen Verfahrensschritte sowie die möglichen Nebenwirkun-
Vor Behandlungsbeginn wird bei den Patienten der Immun-                         gen aufgeklärt werden und sein schriftliches Einverständnis
status bestimmt, eine Influenza- und Pneumokokken-Impfung                       geben. Nach Abklärung der Therapie mit den Kostenträgern,
sind zu empfehlen. Impfungen mit Lebendimpfstoffen sollten                      gegebenenfalls dem Medizinischen Dienst und den pharma-
in einem Zeitraum von mindestens 6 Wochen vor der vorbe-                        zeutischen Herstellern, werden der Therapieablauf sowie die
reitenden Chemotherapie bis zur Regeneration des Immunsys-                      vorbereitende Diagnostik und Leukapherese geplant.
tems nach der CAR-T-Zell-Gabe nicht erfolgen.
                                                                                Ein Ausgangsblutdruckwert sowie eine neurologische Aus-
                                                                                gangsdiagnostik einschließlich der Erhebung des ICE-Scores
    CAR-T-Zelltherapie und COVID-19                                             und einer Schriftprobe sollten vor der Therapieeinleitung er-
    CAR-T-Zelltherapien haben kuratives Potenzial bei Patienten mit an-         folgen, um im Verlauf als Ausgangswert herangezogen zu wer-
    sonsten sehr schlechter Prognose. Deshalb sollte diese Behandlungs-         den.
    option auch während der SARS-CoV-2-Pandemie angeboten und
    durchgeführt werden. Voraussetzung sind angemessene Auswahlkri-             Durchführung
    terien unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung sowie ein strikter
                                                                                Das entnommene Leukapheresat wird zum pharmazeutischen
    Infektionsschutz. Ein Positionspapier des CAR T-Cell Consortiums gibt
    entsprechende Empfehlungen [47].                                            Hersteller transportiert, der nach den Regeln der Good Manufac-
                                                                                turing Practice (GMP) die genetische Modifizierung der T-Zellen
                                                                                zur Expression des CAR durchführt. Nach Kryokonservierung
Praktische Empfehlungen aus dem                                                 und einer umfangreichen Qualitätskontrolle erfolgt der Rück­
Universitäts­klinikum Heidelberg                                                transport des CAR-T-Zell-Produkts zum behandelnden Zentrum.
                                                                                Der intravenösen (i.v.) Applikation der CAR-T-Zellen gehen
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der größten                       eine 3-tägige Chemotherapie mit Fludarabin und Cyclo-
CAR-T-Zell-Zentren in Europa, an dem in den letzten 2 Jah-                      phosphamid (bei kommerziellen Produkten Dosierung ent-
ren über 75 Patienten mit einer CAR-T-Zelltherapie behandelt                    sprechend der Fachinformation) sowie 1–2 Pausentage voran.
wurden. Die folgenden Empfehlungen sollen eine Orientie-                        In Fällen mit einer rasch proliferierenden Erkrankung muss
rungshilfe für den klinischen Einsatz der CAR-T-Zelltherapie                    zur Überbrückung der Wartezeiten zwischen Erstvorstellung
darstellen. Bei kommerziellen Produkten sind zudem die Vor-                     des Patienten und Gabe der CAR-T-Zellen gegebenenfalls
gaben der entsprechenden Fachinformation zu beachten.                           eine Bridging-Therapie erfolgen, z.B. Strahlen-, Antikörper-
                                                                                oder Chemotherapie. Vor der Infusion der CAR-T-Zellen
Vor der Therapie                                                                muss sichergestellt werden, dass entsprechend der Fachinfor-
Die Indikation für eine CAR-T-Zelltherapie wird für jeden                       mationen der jeweiligen CAR-T-Zell-Produkte der IL-6-Re-
Patienten individuell gestellt und im entsprechenden Tumor-                     zeptor-Inhibitor Tocilizumab für die Behandlung eines mög-
board und Zelltherapie-/CAR-T-Zell-Konferenz beschlos-                          lichen CRS auf der entsprechenden Station zur Verfügung

6                                                                      Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020
eine maschinelle Beatmung erforderlich sein kann. Ab einem
                                                                           CRS Grad 2 bzw. Grad 1, das sich nicht innerhalb von 24
                                                                           Stunden gebessert hat, wird Tocilizumab eingesetzt. Bei wei-
                                                                           terer Verschlechterung der Symptomatik kommen Steroide (s.
                                                                           oben) zum Einsatz.

                                                                           Bei Anzeichen von Neurotoxizität sollte zum Ausschluss an-
                                                                           derer Ursachen (Hirnmetastasen, Hirnblutung, Infektion
                                                                           oder Ähnliches) eine Bildgebung mittels kranieller Magnet-
                                                                           resonanztomografie/kranieller Computertomografie, Liquor-
                                                                           punktion und Elektroenzephalografie (EEG) erfolgen. Das
                                                                           Screening auf neurologische Komplikationen erfolgt mithilfe
                                                                           von täglichen Schriftproben und der Erfassung des ICE-Sco-
                                                                           res mehrmals täglich [33]. Die Behandlung des ICANS erfolgt
                                                                           sowohl symptomatisch als auch bei höheren Schweregraden
                                                                           mit Steroiden.

                                                                           Bei Besserung der Symptomatik sollte darauf geachtet werden,
                                                                           die Steroidgabe gegebenenfalls über mehrere Tage auszuschlei-
                                                                           chen, um eine Addisonkrise zu vermeiden.

                                                                           Entlassung und Nachsorge
                                                                           Voraussetzung für die Entlassung des Patienten nach CAR-T-
                                                                           Zell-Gabe sind die Regeneration der Neutrophilen (> 500/
                                                                           µl) sowie die Kontrolle von eventuellen Komplikationen, ins-
Abb. 6. Exemplarische Schriftprobe eines männlichen, 27-jährigen Patien-   besondere CRS, ICANS und febrilen Infektionen. Vor Ent-
ten mit einem Grad-3-ICANS nach CAR-T-Zelltherapie. Vor Start der The-
                                                                           lassung erfolgt eine ausführliche Aufklärung des Patienten
rapie wurde eine Ausgangsschriftprobe aufgenommen. Ab Tag 0 war 3-mal
täglich eine Schriftprobe vorgesehen. Von Tag 5 morgens bis Tag 9 abends
                                                                           sowie, wenn möglich, seiner Angehörigen oder Betreuungs-
war keine Schriftprobe möglich.                                            personen über mögliche Anzeichen von CRS (insbesondere
                                                                           Fieber), ICANS (frühe Anzeichen: Schriftbildveränderungen
                                                                           oder Sprachstörungen) und febrilen Infektionen. Der Patient
steht. Eine Prämedikation zur Vermeidung einer akuten In-                  wird darauf hingewiesen, bei Auftreten von Anzeichen von
fusionsreaktion auf das enthaltene Dimethylsulfoxid (DMSO)                 CRS/ICANS umgehend die Klinik zu kontaktieren und in-
wird vor der Gabe der CAR-T-Zellen verabreicht. Diese be-                  nerhalb der ersten Wochen eine zeitnahe Erreichbarkeit der
steht in der Regel aus:                                                    Klinik zu gewährleisten. In den ersten 4 Wochen nach der
• Paracetamol                                                              Entlassung erfolgt die ambulante Nachbetreuung engmaschig.
• Anti-Histaminikum                                                        Anschließend erfolgen ambulante Vorstellungen nach klini-
Auf die Gabe von Steroiden sollte verzichtet werden, um einen              schem Bedarf. Ein Patientenpass, wie er z.B. für Axi-Cel zur
negativen Effekt auf die CAR-T-Zellen zu vermeiden.                        Verfügung steht, umfasst die wesentlichen Informationen zur
                                                                           erfolgten CAR-T-Zelltherapie und wird dem jeweiligen Pati-
Nebenwirkungsmanagement                                                    enten ausgehändigt. Hier sind zudem die Symptome von CRS
Die Überwachung der Patienten erfolgt ab der Gabe der CAR-T-               und ICANS zum Nachlesen für die Patienten aufgelistet.
Zellen kontinuierlich über ein zentrales Monitoring, das Herzfre-
quenz, Blutdruck, Sauerstoffsättigung sowie Körpertemperatur               Fallbeispiele
erfasst. Die Daten des Monitorings sind zu protokollieren.
Die Symptomatik des CRS beginnt bei den meisten Patienten                  Patientin mit CRS
mit Schüttelfrost und Fieber. Da bisher keine klaren Abgren-               Eine 71-jährige Patientin erhielt zur Behandlung eines DLBCL
zungsparameter zwischen CRS und Infektion/Sepsis beschrie-                 im dritten Rezidiv eine CAR-T-Zelltherapie mit Axi-Cel nach
ben sind, wird bei Fieber immer auch eine Infektionsdiagnos-               Lymphodepletion mit Fludarabin und Cyclophosphamid. An
tik inklusive Labordiagnostik, Abnahme von Blutkulturen und                Tag 6 entwickelte sie ein CRS vom Grad 2, klinisch manifes-
symptomorientierte Fokussuche durchgeführt. Als therapeuti-                tiert durch eine Körpertemperatur von über 39 °C und einem
sche Maßnahmen werden sowohl die CRS-Symptome entspre-                     ­Sauerstoffsättigungsabfall von 98% auf 84%. Der Sauerstoffbedarf
chend der Therapie-Algorithmen behandelt sowie eine anti-­                  über Nasenbrille betrug 3 l/min. Der Blutdruck der Patientin lag
infektive Therapie begonnen.                                                bei 125/80 mmHg. Die Laborwerte waren wie folgt: Lympho-
                                                                            zyten (L) 0,57/nl, Hämoglobin (Hb) 7,8 mg/dl, Thrombozyten
Zur Stabilisierung des Blutdrucks können Flüssigkeitsgabe                   (T) 69 nl, C-reaktives Protein (CRP) 27 mg/l. Blutkulturen und
sowie Katecholamine notwendig werden. Bei Hypoxie erfolgt                   Bildgebung ergaben keinen Hinweis auf ein infektiöses Gesche-
die Gabe von Sauerstoff, wobei je nach Schweregrad des CRS                  hen. Die Patientin erhielt eine Transfusion mit Erythrozyten-

Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020                                                               7
konzentraten sowie eine antibiotische Therapie mit Piperacillin/   Literatur
Tazo­bactam über 6 Tage. Die Patientin erhielt dreimalig Tocili-    1 Fachinformation YESCARTA®, Stand Juni 2020.
zumab. An Tag 9 besserten sich die CRS-Symptome. Die Kör-           2 Fachinformation Kymriah®, Stand März 2020.
                                                                    3 Suggs JL et al.: Exp Mol Pathol 2007;83:471–473.
pertemperatur betrug 37,3 °C, die Sauerstoffsättigung stieg auf     4 Schuster SJ et al.: N Engl J Med 2019;380:45–56.
98%, es bestand kein Sauerstoffbedarf mehr. Der Blutdruck lag       5 Neelapu S et al.: N Engl J Med 2017;377:2531–2544.
bei 130/90 mmHg. Die Laborwerte normalisierten sich an Tag          6 Maude SL et al.: N Engl J Med 2018;378:439–448.
                                                                    7 Cappell K et al.: J Clin Oncol 2020;38:(15_suppl):3012.
10: ­L 1,33/nl, Hb 10 mg/dl, T 79n l, CRP 10 mg/l. Die Patientin    8 Neelapu S et al.: Blood 2019;134(suppl 1):203.
konnte an Tag 14 nach der CAR-T-Zelltherapie entlassen werden.      9 	Nastoupil LJ et al.: J Clin Oncol 2020;38:3119–3128.
                                                                   10 Jacobson CA et al.: J Clin Oncol 2020;38(15_suppl):8008.
                                                                   11 Strati P et al.: Blood 2019;133:2800–2802.
Patient mit ICANS                                                  12 Abramson JS et al.: Cancer 2019;125:3692–3698.
                                                                   13 Abbasi A et al.: J Hematol Oncol 2020;13:1.
Ein 27-jähriger Patient erhielt zur Behandlung eines r/r           14 Bennani NN et al.: Blood 2019;134(suppl 1):763.
DLBCL eine CAR-T-Zelltherapie mit Axi-Cel nach Lympho-             15 Frigault MJ et al.: Blood 2019;134:860–866.
depletion mit Fludarabin und Cyclophosphamid. An Tag 5             16 	Bücklein VL et al.: Management der Nebenwirkungen von CAR-T-Zellen. Deut-
                                                                        sche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO),
zeigte er Symptome eines CRS Grad 1 (Körpertemperatur:                  Stand Juni 2020.
38,3 °C, keine Hypotonie, keine Hypoxie). Zudem zeigte er          17 Wang M et al.: N Engl J Med 2020;382:1331–1342.
                                                                   18 D’Aloia MM et al.: Cell Death Dis 2018;9:282.
neurologische Symptome. Der Patient war wach, aber desori-         19 	Klein F: https://www.aerztezeitung.de/Medizin/CAR-T-Zelltherapie-ist-in-Deutschland-­
entiert und hatte Wortfindungsstörungen. Die Durchführung               angekommen-406907.html, Veröffentlicht: 20.02.2020.
                                                                   20 Toffalori C et al.: Nat Med 2019;25:603–611.
einer Schriftprobe war nicht möglich. Der ICE-Score lag bei        21 Schubert ML et al.: Int J Cancer 2018;142:1738–1747.
0 Punkten. Die Behandlung eines generalisierten tonisch-klo-       22 Schubert ML et al.: BMJ Open 2019;9:e026644.
nischen Krampfanfalls (über 30 Sekunden) mit Benzodiazepi-         23 Morgan MA, Schambach A: Hum Gene Ther 2018;29:1083–1097.
                                                                   24 Anderson K, Latchford T: Clin J Oncol Nurs 2019;23:13–19.
nen führte zu einer vollständigen Rückbildung des Anfalls.         25 Hirayama AV, Turtle CJ: Am J Hematol 2019;94:S42–S49.
Die beschriebenen Symptome führten zur Diagnose eines              26 Hay KA et al.: Blood 2017;130:2295–2306.
                                                                   27 Cao J et al.: Cytotherapy 2020;22:214–226.
Grad-3-ICANS. Der Patient erhielt Dexamethason 10 mg               28 Zhang X et al.: Blood Adv 2020;4:2325–2338.
i.v. alle 6 Stunden. Aufgrund der fieberhaften Körpertempe-        29 Neelapu S et al.: Nat Rev Clin Oncol 2018;15:47–62.
                                                                   30 Borrega JG et al.: HemaSphere 2019;3:e191.
ratur wurde eine antibiotische Therapie eingeleitet. An Tag 7      31 Lee DW et al.: Blood 2014;124:188–195.
zeigte der Patient eine leichte klinische Besserung, aber wei-     32 https://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit/schulungsmaterial/schulungsmaterial-inhalt.
terhin neurologische Symptome. Er war wach und orientiert,              html;jsessionid=2197579D258833DE7FAC7F34089C9FF6.2_cid354?nn=11236254&cms_
                                                                        gtp=11236256_list%253D13.
die Wortfindungsstörung und Schreibunfähigkeit bestanden           33 Lee DW et al.: Biol Blood Marrow Transplant 2019;25:625–638.
fort. Der ICE-Score ergab 5 Punkte. Der Patient erhielt nun        34 Karschnia P et al.: Blood 2019;133:2212–2221.
                                                                   35 Gust J et al.: Cancer Discov 2017;7:1404–1419.
Methylprednisolon 1 g  i.v./Tag für 3 Tage. An Tag 10 war          36 Brudno JN et al.: Blood 2018;132:697–697.
die neurologische Symptomatik komplett rückläufig. Der             37 Santomasso BD et al.: Cancer Discov 2018;8:958–971.
                                                                   38 June CH: Hematol Oncol 2019;37:34.
ICE-Score lag bei 10 Punkten und die Schriftprobe hatte sich       39 Porter D et al.: J Hematol Oncol 2018;11:35.
normalisiert (Abb. 6). An Tag 12 konnte der Patient entlassen      40 Pennisi M et al.: Blood Adv 2020;4:676–686.
werden. Die antibiotische Therapie konnte beendet werden,          41 	National Cancer Institute, Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE),
                                                                        Version 5.0, 2017.
die Steroidtherapie wurde graduell ausgeschlichen.                 42 Fried S et al.: Bone Marrow Transplant 2019;54:1643–1650.
                                                                   43 Locke FL et al.: Lancet 2018;20:31–42.
                                                                   44 Sterner RM et al.: Blood 2018;133:697–709.
Fazit                                                              45 Schubert M et al.: Biol Blood Marrow Transplant 2020;26:1575–1580.
                                                                   46 Yakoub-Agha I et al.: Haematologica 2020;105:297–316.
                                                                   47 Bachanova V et al.: Biol Blood Marrow Transplant 2020;26:1239–1246.
Mit der CAR-T-Zelltherapie steht seit 2018 eine weitere, in-
novative Therapieoption für Patienten mit vorbehandelten,          Vielen herzlichen Dank an Frau Dr. med. Schubert (Assistenzärztin;
fortgeschrittenen hämato-onkologischen Erkrankungen des            Klinik für Hämatologie, Onkologie, Rheumatologie-Universitäts­
B-Zell-Systems zu Verfügung. In Studien und im Real-World-­        klinikum Heidelberg) für Ihre Expertise und hervorragende Unter-
Setting hat die CAR-T-Zelltherapie zu beispiellosen Ansprech-      stützung bei der Erstellung dieses Artikels.
raten von über 80% im r/r Setting und teils anhaltenden Kom-
plettremissionen geführt. Mit diesem innovativen Therapiean-        Impressum
satz ist ein neuartiges Nebenwirkungsprofil vor allem in den
                                                                    CAR-T-Zelltherapie: Empfehlungen zum
ersten 4 Wochen nach der Infusion verbunden. Dies umfasst           Therapiemanagement aus der Praxis
unter anderem das CRS und das ICANS. Diese Nebenwirkun-             Beilage zu Oncology Research and Treatment 43 | 11 | 20
gen erfordern eine rasche Intervention mit dem IL-6-Rezep-          Mit freundlicher Unterstützung durch
tor-Blocker (beim CRS) und Steroiden. Zeitnah und richtig           GILEAD Sciences GmbH
behandelt sind Nebenwirkungen im Allgemeinen vollständig            Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Zeit-
                                                                    schrift berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zur Annahme, dass solche Namen im
reversibel. Wie in der Langzeitnachsorge ist auf den Immun-         Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher
                                                                    von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben von Dosierungsanweisungen und Applikations-
status und damit verbunden eine angepasste Infektionspro-           formen kann vom Verlag keine Haftung übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jewei-
phylaxe der CAR-T-Zelltherapie-Patienten zu achten.                 ligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.
                                                                    Ohne schriftliche Genehmigung des Verlags dürfen diese Publikation oder Teile daraus nicht in ande-
                                                                    re Sprachen übersetzt oder in irgendeiner Form mit mechanischen oder elektronischen Mitteln (ein-
                                                                                                                                                                          DE-UNB-0350

Um die sichere Anwendung der CAR-T-Zellen zu gewährleis-            schließlich Fotokopie, Tonaufnahme oder Mikrokopie) ­reproduziert oder auf ­einem Datenträger oder
                                                                    Computersystem gespeichert werden.
ten, sind daher die Schulung des Behandlungsteams sowie die         Alle Rechte vorbehalten.
                                                                    © 2020 by S. Karger Verlag für Medizin und Naturwissenschaften GmbH, Postfach, 79095 Freiburg,
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personen essenziell.                                                Druck: PRINTEC OFFSET > medienhaus > 34123 Kassel, Deutschland.

8                                                          Beilage zu Oncology Research and Treatment, Band 43, Heft 11, November 2020
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